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Sie sind Feinde. Doch ihre Herzen wollen so viel mehr ...
Um ihre geliebte Stadt zu beschützen, heiratet Aphrodite den in ganz Olympus verrufenen Hephaistos. Auch wenn sie nichts als Hass für ihren frischangetrauten Ehemann verspürt, kann sie das unwiderstehliche Prickeln zwischen ihnen nicht leugnen, und sie gehen noch einen Schritt weiter: Während Aphrodite Hephaistos’ Kindheitsfreundin Pandora verführt, verwickelt ihr neuer Ehemann ausgerechnet Aphrodites Ex-Geliebten Adonis in ihr sinnliches Spiel. Die Grenzen zwischen Kalkül und Liebe verschwimmen, doch dann erreichen die Unruhen in Olympus einen neuen Höhepunkt ...
"Verführerisch, hinreißend und raffiniert zugleich. Ein Must-Read für Fans des Marriage of Convenience-Tropes!" THE NERD DAILY
Band 5 der DARK-OLYMPUS-Reihe von Bestseller-Autorin Katee Robert
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Seitenzahl: 555
Titel
Zu diesem Buch
Leser:innenhinweis
Widmung
Musewatch
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Danksagungen
Die Autorin
Die Romane von Katee Robert bei LYX
Impressum
Katee Robert
Neon Gods
APHRODITE & HEPHAISTOS & ADONIS & PANDORA
Roman
Ins Deutsche übertragen von Anika Klüver
Aphrodite möchte keine Liebe, sie will Macht – und heiratet dafür ausgerechnet den in ganz Olympus verrufenen Hephaistos. Die Zweckehe mit dem neuesten Mitglied der mächtigen Dreizehn und einem der engsten Vertrauten von Minos soll Aphrodite die Informationen beschaffen, die sie benötigt, um ihre geliebte Stadt zu beschützen. Und obwohl die Frischvermählten sich eigentlich hassen, ist da auch ein leidenschaftliches Feuer zwischen ihnen, das sich nicht mehr länger leugnen lässt. Doch Aphrodite geht noch einen Schritt weiter und verführt Hephaistos’ Kindheitsfreundin Pandora. Die Revanche lässt nicht lange auf sich warten, denn Hephaistos dreht den Spieß um und verwickelt im Gegenzug Adonis, Aphrodites Ex-Geliebten, in ihr sinnliches Spiel. Und während die Grenzen zwischen Kalkül und Liebe zu verschwimmen beginnen, erreichen die Unruhen in Olympus einen gänzlich neuen Höhepunkt …
Liebe Leser*innen,
Neon Gods – Aphrodite & Hephaistos & Adonis & Pandora enthält Elemente, die triggern können.
Deshalb findet ihr hier eine Triggerwarnung.
Wir wünschen uns für euch alle das bestmögliche Leseerlebnis.
Euer LYX-Verlag
Für all jene, die das CHAOS lieben. Dieses Buch ist für euch.
Zuvor in Olympus …
OLYMPUS’ LIEBLING AUSSER RAND UND BAND!
Persephone Dimitriou schockt alle, indem sie vor einer Verlobung mit Zeus flieht, nur um in Hades’ Bett zu landen!
ZEUS STÜRZT IN DEN TOD!
Perseus Kasios wird nun den Titel des Zeus übernehmen. Wird es ihm gelingen, die Stelle seines Vaters auszufüllen?
APHRODITE IN UNGNADE GEFALLEN
Nachdem sie Psyche Dimitriou öffentlich bedrohte, weil diese ihren Sohn Eros geheiratet hat, wird Aphrodite von den Dreizehn in die Verbannung geschickt. Sie wählt Eris Kasios als Nachfolgerin für ihren Titel.
ARES IST TOT …
Man wird einen Wettkampf abhalten, um den nächsten Ares zu bestimmen … und Helena Kasios ist der Preis.
… LANG LEBE ARES
Helena Kasios hat sich in einer verblüffenden Wendung der Ereignisse dazu entschieden, um ihre eigene Hand zu wetteifern … und sie hat gewonnen! Nun haben wir drei Kasios-Geschwister unter den Dreizehn.
NEUES BLUT IN DER STADT!
Nachdem sie den Kampf um den Titel des Ares verloren haben, haben Minos Vitalis und sein Haushalt die olympische Staatsbürgerschaft erhalten … und feiern dieses Ereignis mit einer erinnerungswürdigen Privatparty. Wir haben eine Gästeliste, und ihr werdet niemals erraten, wer alles eingeladen ist!
HAT APOLLON ENDLICH DIE LIEBE GEFUNDEN?
Nachdem sie für den Großteil ihres Erwachsenenlebens von Olympus geächtet wurde, hat sich Kassandra Gataki einen der Dreizehn ganz für sich allein gesichert!
Sie und Apollon wirkten bei einem Besuch im Dryad sehr vertraut miteinander.
MORD IST MIT DEN TAPFEREN
Was für eine Tragödie! Hephaistos wurde von Theseus Vitalis ermordet, wodurch ein kaum bekanntes Gesetz in Kraft getreten ist, das Theseus zum neuen Hephaistos macht. Die Möglichkeiten sind … faszinierend.
Gerüchten zufolge versagt die Barriere, die Olympus umgibt, und kein einziger Mensch weiß, wie man das Problem wieder in Ordnung bringen kann. Nicht einmal Apollon …
Bereits als Kind wusste ich, dass ich nicht aus Liebe heiraten würde. Liebe ist ein Märchen, eine Fantasie, die auf Lügen basiert, die so fein wie Spinnfäden sind. Normale Menschen heiraten aus Liebe. Sie werden sesshaft, ziehen in ein kleines Häuschen mit einem spießigen Vorgarten und haben zweieinhalb Kinder und einen Hund namens Struppi. Vielleicht sind sie glücklich. Vielleicht aber auch nicht.
Das ist nicht mein Lebensweg.
Ich heirate aus Machtgründen. Aus Verpflichtung. Für Olympus.
Ich ziehe den Gürtel meines seidenen Morgenmantels enger und kämpfe gegen den Drang an, in meiner Hochzeitssuite auf und ab zu tigern. Noch vor fünfzehn Minuten wimmelte es hier nur so von Brautjungfern und Leuten, sie sich um meine Frisur und mein Make-up kümmern sollten. Doch ich schickte sie alle weg, um mir Gelegenheit zum Durchatmen zu verschaffen. Zwei Wochen reichen nicht mal ansatzweise aus, um eine Hochzeit auf die Beine zu stellen, die meinem Titel würdig wäre, aber verzweifelte Situationen erfordern verzweifelte Maßnahmen.
Mein neuer Ehemann ist ein Feind der Stadt, die ich liebe. Ein Mörder, der den letzten Hephaistos tötete, um an seinen Titel zu gelangen. Er und seine Familie sind eine Gefahr, wie sie diese Stadt noch nie gesehen hat. Und da die Barriere, die Olympus umgibt, versagt, hat noch nie zuvor so viel auf dem Spiel gestanden.
Auch wenn ich nicht daran zweifle, diesen Weg einschlagen zu müssen, bedeutet das nicht, dass mich diese Entscheidung nichts kostet.
Ich lege eine Hand auf die Stelle an meiner Hüfte, an der sich ein kleines verstecktes Tattoo befindet. Die Haut dort ist immer noch empfindlich, weil das Tattoo gestern erst gestochen wurde. Es stellt eine Anemone dar. Normalerweise bin ich nicht so sentimental, aber der körperliche Schmerz lindert die Pein in meiner Brust ein wenig. Zumindest rede ich mir das ein, während ich mich dem Fenster zuwende, durch das man auf den Innenhof hinausschauen kann, in dem ich auf den Altar zuschreiten und mein Leben auf ewig mit dem des neuen Hephaistos von Olympus verbinden werde.
Die Sitzreihen sind bereits zur Hälfte mit den wichtigen Bewohnern der Stadt gefüllt. Meine Familie kann ich nirgends entdecken. Wahrscheinlich halten sie gerade irgendein geheimes Treffen ab, um dafür zu sorgen, dass mein Bräutigam nicht versuchen wird, mich vor aller Augen vor dem Altar stehen zu lassen.
Schließlich war diese Hochzeit nicht seine Entscheidung.
Ich lächle. Ich weiß nicht, was Theseus Vitalis zu erreichen glaubte, indem er sich den Titel des Hephaistos mit Gewalt nahm, aber hier ist er ein kleiner Fisch in einem großen Teich, selbst wenn er jetzt einer der Dreizehn ist. Er versuchte, Einwände gegen die Hochzeit zu erheben, aber da sich der Rest der Dreizehn einig war, dass dies die beste Vorgehensweise wäre, war er im Grunde genommen überstimmt.
Ich entschied mich hierfür. Und ich werde mich auch weiterhin hierfür entscheiden. Da ich als Tochter eines Zeus aufwuchs – und nun die Schwester eines anderen bin –, stand nie infrage, dass meine Ehe rein politische Gründe haben würde.
Es bedeutet auch, dass mir Gewalt und Tod nicht fremd sind. Und falls Minos’ Leute beschließen sollten, dass sie besser dran wären, wenn sie versuchten, mir meinen Titel zu nehmen, indem sie Hephaistos zum Witwer machen …
Ich ignoriere den kurzen Schauer, der mir über den Rücken läuft. Es ist ein seltsames Gefühl, das beinahe an Angst erinnert. Über Olympus zu herrschen bedeutet, dass wir alle bis zum Hals in Blut schwimmen, selbst wenn ein paar von meinesgleichen so tun, als wäre es nicht so. Ich hatte den Luxus dieser milden Fantasie nie und werde gerade jetzt ganz sicher nicht damit anfangen, mir selbst etwas vorzumachen.
Ich werde alles tun, um die Sicherheit dieser Stadt zu garantieren.
Sogar das hier. Vor allem das hier. Dafür wurde ich geschaffen.
Ein Klopfen an meiner Tür sorgt dafür, dass ich mich vom Fenster abwende. Erneut ziehe ich meinen Gürtel enger und halte kurz inne, um mich davon zu überzeugen, dass mein Make-up tadellos ist. Dann gehe ich zur Tür. »Ich habe doch gesagt, dass ich etwas Zeit brauche. Warum seid ihr …?« Als ich sehe, wer auf der anderen Seite der Tür steht, halte ich inne. Vorhin hielt ich den Schmerz in meiner Brust für lästig. Doch das ist nichts im Vergleich zu der reinen Qual, die in mir auflodert, als ich in Adonis’ dunkle Augen schaue.
Er sieht gut aus. Natürlich sieht er gut aus. Er sieht immer gut aus, selbst wenn er offensichtlich nicht viel geschlafen hat. Seine dunkelbraune Haut schimmert im Licht des frühen Nachmittags warm. Doch um seine Augen haben sich vor Erschöpfung Falten gebildet. Er lächelt nicht. Das ist in Ordnung. Ich verdiene sein Lächeln nicht länger, aber ich trauere ihm immer noch nach. »Adonis«, sage ich leise. »Was machst du hier?«
»Ich wurde eingeladen.« Erst jetzt fällt mir auf, dass er einen perfekt geschnittenen hellgrauen Anzug trägt. Er kleidet sich immer gut, aber das ist eindeutig festliche Kleidung.
Ich habe ihn nicht eingeladen. Ich kann durchaus grausam sein, aber ich richte meine Grausamkeit nicht gegen jene, die mir etwas bedeuten. Gegen jene, die ich … liebe. Ich würge das scheußliche Gefühl in meiner Kehle hinunter. »Du hättest nicht herkommen sollen.«
Er leugnet es nicht. Stattdessen scheint er meinen Anblick in sich aufzusaugen. »Ich hätte derjenige sein sollen, Eris.«
Außerhalb meiner Familie ist er der einzige Mensch, der mich mit dem Namen anspricht, mit dem ich geboren wurde, statt mit meinem Titel. Früher fühlte sich das wie ein Geheimnis zwischen uns beiden an, aber jetzt hätte er ebenso gut ein Messer zücken und mich damit erstechen können. Götter, warum tut das so weh? »Du wärst nie derjenige gewesen.« Der Schmerz lässt meine Stimme barsch klingen. »Mein Bruder hätte es niemals erlaubt.« Das ist eine faule Ausrede. Zeus zwang mich nicht dazu, Hephaistos zu heiraten. Ich entschied mich für diese Vorgehensweise. Ich straffe die Schultern. »Ich hätte es niemals erlaubt.«
Könnte ich aus Liebe heiraten, hätte ich Adonis geheiratet, ohne mit der Wimper zu zucken. Unsere Beziehung ist nie besonders harmonisch gewesen, dennoch war sie in ihrer Unbeständigkeit immer beständig. Er bringt mich öfter zum Lachen als jede andere Person in dieser Stadt. Und er gibt mir das Gefühl, gesehen zu werden, auch wenn ihm meine eher chaotischen Neigungen nicht immer gefallen.
Aber ich bin Aphrodite, ehemals Eris Kasios, Tochter eines Zeus und Schwester eines weiteren. Mein Schicksal stand vom Augenblick meiner Geburt an fest.
Adonis spannt die Kiefermuskeln an. »Komm mit mir.«
»Was?«
»Komm mit mir«, wiederholt Adonis. Er streckt mir eine breite Hand entgegen. »Ich habe Triton bereits bestochen. Wir müssen nur die Barriere erreichen, und dann bringt er uns nach draußen. Du musst das hier nicht tun, Eris. Wir können verschwinden. Wir können irgendwo außerhalb dieser Stadt ein neues Leben anfangen und glücklich sein.«
Ich verspüre ein Brennen hinter meinen Augen, aber ich bin eine Kasios und habe schon sehr früh gelernt, meine Tränen zu kontrollieren. Ich werde jetzt nicht weinen, auch wenn es sich anfühlt, als würden sich die Scherben meines gebrochenen Herzens so heftig aneinander reiben, dass sie zu Staub zerfallen. »Nein.«
Er lässt die Hand nicht sinken. »Es muss nicht so enden.«
Wie kann ich ihn jetzt sogar noch mehr lieben? Ich weiß, dass er alles für mich opfern würde, obwohl ich es nie von ihm verlangt hätte.
Ich schüttle langsam den Kopf. »Nein«, wiederhole ich. »Was wir miteinander hatten, war etwas Besonderes, Adonis. Mach das jetzt nicht kaputt, indem du mir eine Szene machst.« Die Worte sind absichtlich grausam. Ich schlucke schwer und reiße mich zusammen. Wenn ich ihn verletzen muss, um seine Sicherheit zu garantieren, dann werde ich es tun.
Deswegen könnten wir niemals für immer zusammen sein. Adonis beharrt darauf, das Beste in mir zu sehen, ohne die Abgründe anzuerkennen, in die ich mich begeben werde, um meine Leute und meine Stadt zu beschützen. Er wird sich stets vor dem scheuen, was getan werden muss, und ich genieße nicht den Luxus zu zögern, wenn es drauf ankommt.
»Eris …«
»Aphrodite.« Ich umfasse die Türklinke so fest, dass meine Knöchel weiß hervortreten. »Ich bin Aphrodite, und das solltest du besser niemals vergessen, verdammt noch mal. Ich habe mich dafür entschieden, Adonis. Ich habe mich für … ihn entschieden.«
»Lüg mich nicht an. Du hasst ihn.«
»Ich würde ihm lieber ein Messer an die Kehle halten, als ihm einen Ring an den Finger zu stecken.«
Er zuckt zusammen. »Warum tust du es dann?«
»Du kennst den Grund.« Ich muss innhalten und meine Stimme senken. »Deine Eltern haben keinen Narren großgezogen, also hör auf, den Unschuldigen zu spielen. Minos hat jetzt eine sichere Stellung innerhalb der Dreizehn, die er ausbauen will. Er wird nicht aufhören. Was passiert, wenn wir die Beine in die Hand nehmen und fliehen und damit alle dazu verdammen, den Preis für seinen Ehrgeiz zu zahlen?«
»Das ist nicht fair.«
»Nein, das ist es nicht. Aber dass du hier auftauchst und etwas von mir verlangst, von dem wir beide wissen, dass ich es dir nicht gewähren kann, ist ebenfalls nicht fair.« Meine Brust schmerzt so sehr, dass ich kaum atmen kann. Ich weigere mich, mir etwas anmerken zu lassen. »Was ich tue, tue ich, um diese Stadt und jeden, der in ihr wohnt, zu beschützen. Dich eingeschlossen.«
Diese Ehe ist die einzige Möglichkeit. Man muss seine Freunde nahe bei sich halten, aber seine Feinde noch näher und all das. Ich will, dass Hephaistos für seine Taten bezahlt, und das kann ich am besten bewerkstelligen, indem ich mein Leben, mein Zuhause und mein Bett mit ihm teile. Er und seine kleine verkorkste Familie werden nicht in der Lage sein, unbemerkt umherzuschleichen, wenn wir uns so nah sind. Irgendwann wird er einen Fehler machen, und wenn es so weit ist, werde ich da sein, um die Informationen zu sammeln, die ich brauche, um dafür zu sorgen, dass Minos mit seinem Vorhaben keinen Erfolg hat.
Und bis dahin werde ich meinen neuen Ehemann so sehr beschäftigen und auf Trab halten, dass er keine Zeit haben wird, seinen nächsten Schritt zu planen.
Ich hebe das Kinn an. »Ich werde ihn heiraten, Adonis. Nichts, was du sagst oder tust, wird daran etwas ändern.« Die Entschuldigung liegt mir bereits auf der Zunge, aber auch wenn es mir leidtut, dass ich ihn verletze, tut es mir nicht leid, dass ich diese notwendige Handlung vollziehe. »Ich denke, du gehst jetzt besser.«
Er lässt die breiten Schultern sacken. »Das ist dein Ernst. Du wirst ihn wirklich heiraten.«
»Ja.« Zu sehen, wie er regelrecht in sich zusammenfällt, tut weh, aber noch schmerzhafter ist der Anblick, wie er sich wieder aufrichtet und alles abschüttelt. Jeder in Olympus, der auch nur über ein Fitzelchen Macht verfügt, lernt schon sehr früh, so oft wie möglich mit Worten, Handlungen und Gesichtsausdrücken zu lügen.
Adonis hat sich nur nie zuvor die Mühe gemacht, mich anzulügen.
Nun tut er es mit einem strahlenden Grinsen, das seine Augen nicht ganz erreicht. »Verstanden, Aphrodite.«
Götter, es tut wirklich weh, diesen Namen aus seinem Mund zu hören. »Adonis …«
»Wir sehen uns. Oder auch nicht.« Ohne ein weiteres Wort macht er kehrt und geht davon.
Ich sage mir, dass ich die Tür schließen und ihm nicht nachschauen und gegen jede Hoffnung hoffen sollte, dass er sich noch einmal umdrehen und mich anschauen wird. Dass das, was zwischen uns war, nicht ein für alle Mal vorbei sein wird.
Ich weiß es besser. Auch wenn Adonis manchmal so wirkt, ist er alles andere als unschuldig. Wir wuchsen zusammen auf. Er weiß genau, was nötig ist, um sich in Olympus Macht zu sichern – und was nötig ist, um sie dauerhaft zu behalten.
»Eris?«
Als ich die Stimme meiner Schwester vernehme, zucke ich zusammen. Ich hatte nicht mal gehört, wie sie sich mir genähert hat. »Es geht mir gut«, sage ich automatisch. Es klingt beinahe so, als würde ich es glauben.
»War das …?« Sie schaut an mir vorbei, zu der Stelle, an der Adonis gerade um die Ecke verschwunden ist.
»Ich will nicht darüber reden.« Ich trete ins Zimmer zurück. Meine Gefühle wieder unter Kontrolle zu bringen kostet mich fünf Atemzüge. Das frische Tattoo an meiner Hüfte fühlt sich an, als würde es im Einklang mit meinem Herzen pochen, aber das ist nur mein Verstand, der mir einen Streich spielt. »Hilf mir, dieses Kleid anzuziehen.«
Helena – Ares, wie sie jetzt heißt – folgt mir ins Zimmer. In ihren grün-braunen Augen schimmert Sorge. Sie ist bereits fertig und trägt das geschmackvolle Brautjungfernkleid, das ich letzte Woche ausgesucht habe. Es war nicht ganz leicht, unsere Kleider rechtzeitig fertig zu bekommen, aber die Designerin schaffte es. Es war nicht die legendäre Juliette – sie kann mich nicht besonders leiden –, sondern eine andere, die mir Psyche Dimitriou empfohlen hat.
Meine Schwester zieht den Reißverschluss des Kleidersacks auf, in dem sich mein Kleid befindet. »Du musst das hier nicht machen.«
Diese Unterhaltung haben wir schon ein halbes Dutzend Mal geführt, seit ich verkündete, dass ich unseren neuen Hephaistos heiraten würde. Unsere Vereinigung war die Bedingung, die ich ihm stellte, damit der Rest der Dreizehn ihn und den machthungrigen Minos in unserem inneren Kreis akzeptieren würde.
Aber Helena ist Idealistin. Ich bin mir immer noch nicht sicher, wie es ihr gelang, sich diese Werte zu bewahren, während sie im selben Haushalt wie ich aufwuchs. Wenn der eigene Vater ein zu Missbrauch neigender Größenwahnsinniger ist, sieht man die Dinge schnell aus einer anderen Perspektive. Helena hat ihr ganzes Leben damit verbracht, gegen die Rolle, die ihr von Geburt an vorherbestimmt war, anzukämpfen.
Ich hingegen habe meine Rolle angenommen.
Ich mache mir nicht die Mühe, etwas zu erwidern, während sie das Kleid vom Bügel nimmt und es für mich festhält, damit ich hineinsteigen kann. Ich habe mein Outfit für dieses Ereignis sorgfältig geplant. Das Kleid ist zwischen meinen Brüsten tief ausgeschnitten und umhüllt den Rest meines Körpers, während hier und da Spitze über Stofffeldern aufblitzt, die die gleiche Farbe wie meine Haut haben. Es soll die Betrachter necken und reizen.
Diese Ehe wird nicht nur auf dem Papier bestehen. Ich werde meinem neuen Ehemann nicht die geringste Munition dafür liefern zu behaupten, dass sie etwas anderes als rechtmäßig ist, damit er nicht auf einer Annullierung bestehen kann. Das bedeutet, dass wir die Ehe auch vollziehen werden, egal, wie widerwärtig ich die Vorstellung finde. Hephaistos ist auf grobschlächtige Art und Weise attraktiv, aber er ist ungehobelt und in etwa so subtil wie ein Ziegelstein, den man durch ein Fenster wirft. Gegenseitiger Hass kann zu einer intensiven Chemie im Schlafzimmer führen, aber da er mich ständig so anschaut, als würde er die Wände liebend gern mit meinem Blut streichen, kann ich mich in diesem Fall wohl glücklich schätzen, wenn wir beide den morgigen Tag noch erleben.
Helena zieht den Reißverschluss zu und tritt zurück. Ihre Miene ist undurchschaubar. Wenn wir nebeneinanderstehen, lässt sich unsere enge Verwandtschaft nicht leugnen. Wir haben beide die Haut- und Haarfarbe unserer Mutter, auch wenn Helenas Haar ein wenig heller als meins ist und im Licht des Nachmittags hier und da rötlich schimmert. Außerdem ist sie hübscher, obwohl »hübsch« nicht das richtige Wort ist. Helena ist umwerfend schön. Bei mir sehen die gleichen Züge ein wenig zu scharfkantig und ein wenig zu unheimlich aus.
Mir ist es so lieber. Meine Schönheit bereitet den Leuten Unbehagen und lässt sie misstrauisch werden.
Mein neuer Ehemann wird nicht wissen, wie ihm geschieht.
»Ich will das nicht machen.«
»Dafür ist es jetzt zu spät, mein Junge.« Minos, der Ziehvater, dem ich alles verdanke, steht vor mir und rückt meinen Kragen zurecht. Beinahe so, als wäre er ein echter Vater auf der Hochzeit seines echten Sohnes. Der Stolz auf seinem Gesicht ist echt genug, auch wenn alles andere am heutigen Tag eine Farce ist. Er tätschelt meine Schulter. »Mit großer Macht kommt große Verantwortung.«
Schon witzig, dass er sich immer nur dann an diesen Spruch erinnert, wenn es ihm in den Kram passt. Als wir nach Olympus kamen, schien alles recht einfach zu sein. Ich würde mir den Titel des Ares holen und dem Rest meiner Familie so einen Platz in diesem Drecksloch von Stadt sichern. Doch seit unserer Ankunft verlief einfach nichts nach Plan. Im Wettkampf um den Titel des Ares wurde ich bereits in der zweiten Runde eliminiert, statt als Sieger daraus hervorzugehen. Und dann zertrümmerte mir dieses kleine Miststück auch noch das Knie, sodass ich nun dauerhaft hinke. Was sich nicht einmal mit einer Operation beheben ließ.
Wären wir irgendjemand anders, wäre das das Ende gewesen.
Aber wir sind nicht irgendjemand. Minos ist nicht irgendjemand. Er ist ein mächtiger Mann, der einer noch mächtigeren Person verpflichtet ist. Ein einzelner Fehlschlag reicht nicht aus, um so jemanden aufzuhalten. Ich bin nicht mal überzeugt, dass er nicht von Anfang an plante, uns beim Wettkampf um den Titel des Ares versagen zu lassen, denn danach schwenkte er verdächtig schnell auf einen neuen Plan um.
»Du erwähntest nie, dass ich bis zum Hals in politischem Schwachsinn stecken würde, wenn ich mir den Titel auf diese Weise hole.« Politischer Schwachsinn wie eine Hochzeit mit dieser Hexe Aphrodite. Seit ich sie zum ersten Mal sah, hasse und begehre ich sie gleichermaßen. Sie ist zu klug, zu umwerfend, zu gut darin, mir unter die Haut zu gehen. Eine Ehe wäre schon schlimm genug – ich wollte nie heiraten –, aber mit dieser Paarung wird jeder Tag zu einem Schlachtfeld werden.
»Hättest du dir den Titel im Wettkampf geholt, hättest du Helena geheiratet.« Etwas Gefährliches schleicht sich in Minos’ Stimme. »Du hast versagt, also müssen wir jetzt mit dem arbeiten, was wir haben. Helena wäre eine fügsamere Ehefrau gewesen, aber die Würfel sind nun einmal gefallen.«
Ich bezweifle ernsthaft, dass man die Frau, die mich zum Krüppel gemacht hat, als »fügsam« beschreiben könnte, aber ich werde ihm nicht widersprechen. Es spielt ohnehin keine Rolle mehr. Ich werde nicht Helena heiraten, sondern Aphrodite. »Beim zweiten Mal habe ich nicht versagt«, schnauze ich.
Ich bin jetzt einer der Dreizehn und gehöre damit zu den mächtigsten Leuten in Olympus. Doch seit ich den letzten Hephaistos umbrachte und seinen Platz einnahm, wurden mir ständig nur Steine in den Weg gelegt. Das geht nicht. Und jetzt muss ich auch noch sie heiraten. In dem ganzen Durcheinander erwähnte niemand, dass ich in dem Moment, in dem ich meinen Namen aufgab, auch meinen freien Willen verlieren würde. Ich hasse das, verdammt noch mal.
Minos richtet sich zu seiner vollen Größe auf. Er ist ein massiger Mann, beinahe so breit wie ich und ein paar Zentimeter größer. Seit wir hier sind, ist er gealtert. Die Falten um seine Augen und seinen Mund sind tiefer geworden. Mein ganzes Leben lang ist er für mich eine gottgleiche Gestalt gewesen. Er ist derjenige, der mich aus dem Waisenhaus rettete, mir alles beibrachte, was ich weiß, und mich zu dem Krieger formte, der ich heute bin.
Ich mag nicht immer einer Meinung mit ihm sein, aber ich verdanke ihm alles.
Ich schicke mich an, mit einer Hand durch mein Haar zu fahren, doch er packt mein Handgelenk. »Du wirst deine Frisur durcheinanderbringen.«
»Als würde mich das kümmern.«
Er presst die Lippen zu einer dünnen Linie zusammen. »Das Erscheinungsbild ist hier wichtig, Hephaistos. Das ist eine Lektion, die du lernen musst, und zwar schnell.«
Hephaistos. Nicht Theseus. Die einzige Person, die mich noch mit meinem echten Namen anspricht, ist Pandora, und von ihr habe ich in den letzten zwei Wochen nicht viel gesehen. Meine Verlobte hält sie als Geisel in der Hochzeitsgesellschaft fest, auch wenn Aphrodite das nie offen zugeben würde. »Mein Name ist Theseus.«
»Nicht mehr.« Minos mustert mich von Kopf bis Fuß. »Wenn du deine Aufgabe nicht erledigen kannst, nützt du mir nichts. Wir sind hier in Olympus noch nicht fertig, noch lange nicht, und ich kann keine Zeit darauf verschwenden, auf dich aufzupassen. Es gibt Dinge, um die ich mich kümmern muss.«
Dinge, um die er sich kümmern muss. Klar. Nicht, dass er mir jetzt noch viel darüber erzählen würde. Mein Name ist nicht das Einzige, was ich verloren habe, als ich zu Hephaistos wurde. Der Titel trieb einen Keil zwischen mich und Minos, zumindest fühlt es sich so an. Ich werde einfach das Gefühl nicht los, dass er mir jetzt nicht mehr vertraut. »Klar«, presse ich schließlich hervor. »Ich werde dich nicht enttäuschen.«
»Das weiß ich, mein Junge. Nicht noch einmal.« Er wirft einen Blick auf seine Armbanduhr. »Es wird Zeit.«
In mir steigt Protest auf, aber ich schlucke ihn herunter. Es ist zu spät, um einen Rückzieher zu machen. Es war schon in dem Moment zu spät, in dem wir in diese verdammte Stadt kamen. Ich folge Minos in den Flur hinaus, wo sich meine Trauzeugen versammelt haben. Meine Ziehbrüder, der Minotauros und Ikarus … und die zwei Männer, die ich nicht ausgewählt habe. Eros, ein verdammter Mann fürs Grobe, der in Olympus Probleme auf die unappetitliche Art löst. Und Zeus, mein zukünftiger Schwager. Sie hätten die Drohung nicht deutlicher machen können, wenn sie sie mit Blut geschrieben hätten.
Zeus ist ein weißer Kerl mit blondem Haar und blauen Augen, die so kalt sind, dass sie sogar mir zu denken geben. Er zieht eine Augenbraue hoch. »Gibt es ein Problem?«
»Ganz und gar nicht.« Minos ist die Fröhlichkeit in Person. »Von kalten Füßen kann keine Rede sein.«
»Gut.« Erstaunlich, wie drei Buchstaben so bedrohlich klingen können. »Lasst uns gehen.«
Wir verlassen hintereinander das Gebäude und gehen in den Innenhof hinaus oder was auch immer diese freie Fläche sein soll. Er ist mit Leuten gefüllt, und überall sind Blumen. Als ginge es um eine richtige Hochzeit und nicht um eine Farce.
Der Rest der Dreizehn ist hier. Ich entdecke sie ohne Probleme in den ersten Reihen. Artemis, die aussieht, als wollte sie nichts lieber tun, als mich dafür niederzustrecken, dass ich ihren Cousin umgebracht habe. Athene, Dionysos, Apollon, Poseidon – alle wirken ernst und streng. Mir fällt auf, dass Apollon seine kleine Freundin mitgebracht hat.
Jeder Einzelne von ihnen will mich tot sehen und doch sitzen sie jetzt hier und nehmen an meiner Hochzeit teil. Schließlich müssen sie den Schein wahren. Diese Stadt liebt diesen Quatsch. Demeter, Hades und Hera befinden sich ebenfalls unter den Gästen. Verweichlicht. Sie sind alle so verdammt verweichlicht.
Die Musik schwillt an, und die Gäste drehen sich alle gleichzeitig herum, um zu der schicken Tür im hinteren Bereich des Innenhofs zu schauen. Zuerst kommt Ariadne, meine Ziehschwester. Ich habe nicht viel Erfahrung mit Hochzeiten, aber ich dachte immer, dass es darum ginge, für die Brautjungfern hässliche Kleider auszuwählen, damit sie der Braut nicht die Schau stehlen. Das hat Aphrodite nicht getan. Das tiefdunkle Rot harmoniert sehr gut mit Ariadnes hellbrauner Haut, und der Schnitt schmeichelt ihrem kurvigen Körper.
Noch mehr Lügen für die Reporter, die sich seitlich des Geschehens in einer Traube versammelt haben. Das Klicken ihrer Kameras ist sogar trotz der seltsamen kleinen Melodie zu hören, die die Hochzeitsplanerin für diesen Teil der Veranstaltung ausgewählt hat.
Als Nächstes kommt Pandora, und das macht mich sogar noch wütender, als ich es ohnehin schon bin. Sie sieht toll aus. Sie sieht immer toll aus. Ihr Kleid ist ein wenig anders als Ariadnes und passt sich ihren Kurven perfekt an. Sie schenkt mir ein breites Lächeln, als wäre diese Sache echt und keine politische Heirat mit meiner Feindin. Andererseits neigt Pandora dazu, in allem immer das Positive zu sehen. In dieser Hinsicht ist sie das perfekte Gegengewicht zu mir, denn ich kann dieser verdammten Situation wirklich nichts Positives abgewinnen.
Ich wünschte, dass ich in den letzten Tagen die Möglichkeit gehabt hätte, mit ihr zu reden. Sie bietet einem immer neue Perspektiven, und vielleicht kennt sie ein Geheimnis, das diese Ehe zu etwas anderem als einem offenen Krieg machen würde.
Aber das ist der Traum eines Narren.
Als Nächstes kommen Hermes und Ares. Hermes ist eine zierliche schwarze Frau, die allen Ernstes einen Overall trägt und voller Stolz ihre natürlichen Locken präsentiert. Sie ist niedlich, aber ich habe sehr genau gesehen, wie gefährlich sie ist. Nur ein Narr würde sie beim Anblick dieses schelmischen Lächelns für harmlos halten.
Ares ist die Letzte in der Reihe. Sie ist eine weiße Frau mit kastanienbraunem Haar. Jede ihrer Bewegungen ist ein Beweis für die Anmut, die sie im Wettkampf um den Titel des Ares gegen mich einsetzte. Bevor ich meine Teilnahme am Wettkampf verkündete, hatte ich nicht gewusst, dass sie Turnerin war. Hätte ich es gewusst, hätte ich sie nicht unterschätzt. Ich beobachte sie unter zusammengezogenen Augenbrauen. Sie ist der Grund dafür, dass ich jetzt hinke, und ich würde nichts lieber tun, als ihr den Gefallen zu erwidern.
Ares hebt den Blick und erwischt mich dabei, wie ich sie anstarre. Sie ist absolut umwerfend, selbst wenn sie so finster dreinschaut wie jetzt. Wenn Aphrodite an ihrem Hochzeitstag nicht überstrahlt werden wollte, hätte sie ihre Schwester nicht zu einer ihrer Brautjungfern machen sollen. Ares ist so schön, dass mir bei ihrem Anblick ein wenig übel wird. Ihre Züge sind zu perfekt, um echt zu sein.
Das könnte ich für sie korrigieren.
Sie richtet den Blick auf mein Knie, und ihr Lächeln wird breiter. Ich muss mich enorm zusammenreißen, um reglos stehen zu bleiben, statt meine Hände um ihren langen Hals zu legen, während sie an mir vorbeigeht, um ihren Platz auf der anderen Seite des Altars einzunehmen.
Die Musik verändert sich, dann ist Aphrodite an der Reihe.
Die Luft lädt sich auf, als sie durch die Türen tritt und langsam auf den Altar zuschreitet. Sie verfügt nicht über die gleiche überirdische Schönheit wie Ares, aber ich kann den Blick nicht von ihr losreißen. Ihr Kleid ist beinahe unanständig oder deutet zumindest an, dass es das mit einer falschen Bewegung leicht werden könnte. Ihr dichtes dunkles Haar ist zu einer schicken Frisur hochgesteckt, die aussieht, als hätte es Stunden gekostet, sie fertigzustellen.
Sie hält meinem Blick kühn stand. Mir fällt auf, dass sie allein auf den Altar zuschreitet. Müsste ihr Bruder sie nicht begleiten, um sie an mich zu übergeben, statt hinter mir zu stehen, als wollte er nichts lieber tun, als mir ein Messer zwischen die Rippen zu rammen, bevor ich mein Ehegelübde leisten kann?
Vermutlich steckt irgendeine Symbolik dahinter. Olympus scheint diesen Quatsch zu lieben. Hier ist nichts direkt und niemand sagt, was er wirklich meint. So war es daheim in Aiaia nicht. Ich werde nicht so tun, als wäre das Leben dort frei von jeglichen Tücken gewesen, aber wenigstens lächelten einem die Leute nicht ins Gesicht, um einen dann bei der ersten Gelegenheit zu ermorden.
Die Ironie, dass ich genau das vor zwei Wochen selbst getan habe, entgeht mir nicht.
Aphrodite bleibt vor mir stehen. Sie ist ohnehin groß, trägt aber Absatzschuhe, die sie sogar noch größer als meine knapp eins neunzig machen. Sie lächelt, aber es ist kein heiteres Lächeln. Einmal mehr muss ich darum ringen, mich nicht zu verspannen. Ich habe die Schlagzeilen auf der Klatschseite gelesen, die sie hier ein Nachrichtenportal nennen – MuseWatch. Niemand glaubt, dass das hier eine Liebesheirat ist. Was in gewisser Weise eine Erleichterung ist.
Wenigstens muss ich nicht so tun, als würde ich meine Ehefrau mögen.
Der Priester, ein alter weißer Kerl, der noch etwa drei Haare auf dem Kopf hat, fängt an, etwas über die Prinzipien herunterzuleiern, die eine gute Ehe ausmachen. Doch ich ignoriere ihn und starre die Frau an, die ich mit meinem Leben verbinde.
Nicht für lange. Nicht, wenn es nach Minos und den anderen geht. Ich kann ihn aus dem Augenwinkel sehen. Er lächelt und täuscht Freude vor. Im Gegensatz zu mir hat mein Ziehvater kein Problem damit, sowohl mit seiner Miene als auch mit seiner Körpersprache zu lügen. Die Erinnerung an seine Worte sorgt dafür, dass ich mich kerzengerade aufrichte.
Das hier ist nötig, um den Rest von ihnen weiterhin denken zu lassen, dass wir eingeschüchtert sind. Spiel deine Rolle, Theseus.
Ich befolge die Anweisungen des Priesters und lege meine linke Hand unter Aphrodites Rechte. Ihre Haut ist weich und glatt. Im Gegensatz zu mir hat sie keine Schwielen. Ich bin nicht dumm genug zu denken, das könnte bedeuten, dass sie nicht gefährlich ist. Sie hat bereits das Gegenteil bewiesen.
»Hast du kalte Füße, Ehemann?«, murmelt sie.
»Nicht kälter als dein Herz«, blaffe ich.
Der Priester ignoriert uns und wickelt ein Stück goldenen Stoff um unsere Hände, um uns auf symbolische Weise miteinander zu verbinden. Mit monotoner Stimme schwafelt er etwas darüber, unsere Leben aneinander zu binden. Die ganze Prozedur scheint ewig zu dauern. Die Spätsommersonne scheint heiß auf uns herunter und sorgt dafür, dass sich mein Anzug zu eng anfühlt. Ich will, verdammt noch mal, von hier verschwinden, mich bewegen, bis ich mich nicht mehr wie ein Tier in einer Falle fühle.
Endlich hebt er unsere Hände in die Höhe. »Was die Götter verbunden haben, soll niemand trennen.«
Und dann ist es vorbei.
Wir werden die Stoffbinde bis zum Empfang tragen müssen, was ein guter Zeitpunkt für einen Mordversuch zu sein scheint. Beide Parteien sind auf unbeholfene Weise aneinandergebunden, und mindestens eine bevorzugte Hand ist außer Gefecht gesetzt. Eine weitere nutzlose olympische Tradition.
Meine Haut prickelt, als wir gemeinsam zurück durch den Mittelgang gehen. Keiner der Zuschauenden scheint mit dieser Veranstaltung besonders glücklich zu sein. Das war zu erwarten, aber ich habe nicht damit gerechnet, dass ich mich dadurch so verdammt angreifbar fühlen würde. Ich hasse das.
Wir treten durch die Türen, aber Aphrodite bleibt dort nicht stehen. Sie zerrt mich praktisch durch den Flur, an dem Ballsaal vorbei, in dem ein Teil des Empfangs stattfinden wird, und durch eine unauffällige Tür.
Meine Augen haben sich noch nicht ganz an die Dunkelheit gewöhnt, als sie mich auch schon herumwirbelt, um mich gegen die Wand zu stoßen. Ihre Bewegungen sind unbeholfen, denn unsere miteinander verbundenen Hände bedeuten, dass sie automatisch mitgerissen wird und gegen meine Brust prallt.
»Du verdammter Mistkerl«, faucht sie.
Und plötzlich weiß ich sehr genau, warum sie so sauer ist. Offenbar hat meine kleine Einladung ihr Ziel erreicht. Gut. Ich entspanne mich an der Wand und schaue sie an. »Gibt es ein Problem, Ehefrau?«
»Du weißt sehr gut, was das Problem ist.« Sie streckt die Hand nach meinem Kinn aus, doch ich packe ihr Handgelenk, bevor sie mich berühren kann. Sie zieht die Brauen zusammen. »Lass mich los.«
»Nennen wir es ein Übermaß an Vorsicht.« Ich packe sie ein wenig fester, als sie versucht, sich loszureißen. »Schließlich will ich nicht, dass du mir mit diesen Fingernägeln mein hübsches Gesicht zerkratzt.« Nun, da ich einen genaueren Blick auf sie werfen kann, bin ich kein bisschen überrascht, dass sie scharf genug sind, um als Waffe durchzugehen. Sie wird damit niemandem die Kehle herausreißen, aber sie könnte vermutlich das ein oder andere Auge ausstechen.
Aphrodite legt so schnell einen Schalter um, dass mir schwindelig wird. Ihr ganzer Zorn ist von einem Herzschlag auf den anderen wie weggeblasen. Sie schmiegt sich an mich, doch ihr Lächeln ist immer noch eiskalt. »Du bist nicht hübsch, Hephaistos. Man kann nie wissen. Ein paar Narben würden vielleicht eine Verbesserung darstellen. Dem Minotauros haben sie definitiv nicht geschadet.«
»Ich verzichte.« Diese Interaktion verwirrt mich. Erst wirkte es wie ein Angriff, aber jetzt schmiegt sie sich an mich wie eine Geliebte. Ihre Brüste quellen fast aus ihrem Kleid. Unsere Gesichter sind auf einer Höhe, nah genug für einen Kuss. Mir gefällt nicht, wie schnell sich ihr Verhalten geändert hat. Ich traue dem Braten nicht. »Geh weg von mir.«
»Aber warum denn nur, Ehemann? Wir werden in Kürze unsere Ehe vollziehen. Wir könnten ebenso gut jetzt schon damit anfangen.«
Schlagartig wird mir klar, was hier los ist. Die Wut war der Ausrutscher, nicht diese seltsame sexuelle Spannung, die zwischen uns aufschäumt wie Gift. Ich drücke ihren Arm nach unten und fixiere ihn in ihrem Kreuz, wodurch ich uns noch dichter aneinanderpresse. Ich muss regelrecht darum ringen, meinen Körper davon abzuhalten, auf ihren zu reagieren. Ich bin auch nur ein Mensch, und Aphrodite mag eine Schlange sein, aber sie ist eine umwerfende Schlange.
Außerdem hat sie gerade bestätigt, was ich vermutete … und mir damit die ultimative Waffe in die Hand gegeben.
Ich lehne mich ein klein wenig nach unten, um ihr direkt ins Ohr zu flüstern. »Hat dir dein kleiner Freund einen Besuch abgestattet, Ehefrau?«
Sie erstarrt für eine halbe Sekunde, entspannt sich dann aber wieder. Unter anderen Umständen hätte ich diese Reaktion wohl kaum bemerkt, aber wir sind so dicht aneinandergepresst, dass sie mir nicht entgehen konnte. »Ich habe keine Ahnung, wovon du redest.«
»Lügnerin.« Ihr so nah zu sein ist ein Fehler, aber mir gefällt, dass sie in dieser Situation nicht erfolgreich lügen kann. Das sorgt dafür, dass ich meinen Vorteil ausnutzen will. »Hat er angeboten, dich zu retten? Dich von mir, dem großen bösen Mann, wegzubringen?«
Wieder erstarrt sie kurz, bevor sie ihren Körper dazu zwingt, sich zu entspannen. Aphrodite stößt langsam den Atem aus. »Adonis war nichts weiter als eine nette kleine Affäre. Er ließ sich von seinen Gefühlen überwältigen. Er ist nicht weiter wichtig.«
Ich lache. »Niedliche Geschichte. Ich sah, wie du ihn auf Minos’ Party angeschaut hast. Das sah nach Liebe aus.« Wenn ich schon Teil dieser Ehe sein muss – und das muss ich –, habe ich definitiv vor, Aphrodite dafür bezahlen zu lassen, dass sie mich überhaupt erst in die Ecke gedrängt hat. Politische Machenschaften mögen mich in diese Lage gezwungen haben, aber ich bin fest entschlossen, die Oberhand zu gewinnen. Egal, wie beeindruckend sie ist, sie hat eine eindeutige Schwachstelle.
Und ich habe vor, sie voll und ganz auszunutzen.
Der Empfang zieht sich ewig lang hin. Obwohl ich meine Emotionen sorgfältig verberge, kann ich nichts gegen das mulmige Gefühl in meinem Bauch ausrichten. Ich habe meinem neuen Ehemann direkt in die Hände gespielt. Das war ein Fehler, und zwar einer, der mich eine Menge kosten wird. Ich kann es mir nicht leisten, Hephaistos zu unterschätzen. Die Tatsache, dass ich körperlich auf Adonis’ unerwartetes Auftauchen vor meiner Hochzeit mit meinem Feind reagierte … Da hätte ich ebenso gut mit einem roten Tuch vor einem Stier herumwedeln können. Mein Ehemann wird schon bald zuschlagen. Ich wünschte, ich könnte darauf vertrauen, dass Adonis dieser Falle ausweicht, aber Gefühle bringen alles durcheinander, und ich habe ihn mit dieser Aktion sehr verletzt.
Da ist er nicht der Einzige.
Reden werden gehalten, die Hochzeitstorte wird angeschnitten, der erste Tanz findet statt – und die ganze Zeit über hat Hephaistos dieses zufriedene Schmunzeln im Gesicht. Ich würde ihn am liebsten …
Ich schaffe es, mich für einen kurzen Moment von meinem Ehemann zu lösen, um mir vom Tablett eines vorbeihuschenden Kellners ein Glas Champagner zu schnappen. Nun ist es an der Zeit, ihm zurück zu unseren Plätzen in der Mitte des Brautpaartisches zu folgen. Aber ich brauche einen Augenblick, also ziehe ich mich in Richtung der Tür zurück, die nach draußen führt. Nachdem die Sonne untergegangen ist, hat sich die Luft merklich abgekühlt und lässt eine erste Ahnung von der Kälte zu, die der Winter mit sich bringen wird.
Ich schließe die Augen und atme tief ein. Das Verlangen, es Hephaistos nach dieser kleinen Auseinandersetzung heimzuzahlen, ist beinahe überwältigend. Aber ich habe es im Leben nicht so weit gebracht, indem ich impulsiv gehandelt habe. Zumindest größtenteils nicht.
Jetzt gerade ist nur wichtig, den Rest dieses Hochzeitsempfangs zu über- und dann dem Drang zu widerstehen, mich in meiner Hochzeitsnacht eigenhändig zur Witwe zu machen. Hephaistos ist ein Feind, aber ein bekannter Feind. Wenn Minos denkt, dass er seinen Willen bekommt, wird er unvorsichtig werden. Hoffentlich.
Um Minos und seine Pläne kann ich mir morgen immer noch Gedanken machen.
Obwohl ich weiß, dass das die klügste Vorgehensweise ist, kann ich nicht anders, als die Gesichter der Gäste zu mustern, die sich im Ballsaal versammelt haben. Adonis ist nicht hier – ich weiß, dass er nicht hier ist –, aber das hält mich nicht davon ab, gegen besseres Wissen nach ihm Ausschau zu halten.
Er wird Olympus nicht verlassen haben. Nicht ohne mich. Sein Leben ist hier. Hier hat er seine Familie und sein Vermögen, und eine ganze Stadt voller Bewunderer. Er zieht die Leute an, wo immer er auch hingeht. Sein Charme und seine Schönheit machen ihn zum Liebling von MuseWatch und einem Großteil der Erbfamilien. Seine Beliebtheit reicht nicht aus, um ihm einen der Titel der Dreizehn zu sichern, aber Adonis führt ein Leben in Geborgenheit.
Nichts davon entschuldigt, was ich getan habe.
Oder dass ich nicht zuerst mit ihm darüber geredet habe.
Ich ersticke die Schuldgefühle, die in meiner Brust Wurzeln zu schlagen versuchen. Adonis wusste, worauf er sich einließ, als wir vor ein paar Jahren diese dem Untergang geweihte On-off-Beziehung begannen. Ich war eine Kasios, bevor ich zu Aphrodite wurde.
Ich leere mein Glas Champagner und packe die chaotischen Gefühle weg. Was hätte sein können, spielt keine Rolle, denn das hier ist meine Realität. Ich werde meinem neuen Ehemann und seiner Familie nicht mal einen Hauch von Befriedigung gewähren, indem ich sie denken lasse, dass ich ein gebrochenes Herz habe.
Denn um ein gebrochenes Herz zu haben, müsste ich erst einmal überhaupt über ein Herz verfügen.
Ich gehe zu dem Tisch mit der Hochzeitsgesellschaft. Ich komme nur langsam voran, denn jeder will die Braut anhalten und mir gratulieren oder dreißig Sekunden seiner Zeit für den Versuch nutzen, sich näher an die Macht heranzuschleichen, die mit Aphrodite einhergeht. Die Pflichten meines Titels schließen auch das Arrangieren von Ehen ein, und arrangierte Ehen gehören in Olympus zu den beliebtesten Möglichkeiten, Macht zu festigen.
Wieder und wieder wird meine Aufmerksamkeit zurück zur Hochzeitsgesellschaft gelenkt. Sie haben sich untereinander ein wenig gemischt, doch die Grenzen sind klar definiert. Meine Leute – Hermes, Eros sowie mein Bruder und meine Schwester – bilden die eine Seite und Hephaistos’ Leute – der Minotauros, Ikarus, Ariadne und Pandora – die andere. Letztere interessiert mich aktuell am meisten.
Ich kenne ihren verfluchten Haushalt noch nicht besonders lange, aber sie scheint die Einzige von ihnen zu sein, die mein reizender Ehemann mehr als nur erträglich findet. Selbst jetzt lehnt er sich über Ikarus und hat tatsächlich ein Lächeln auf dem Gesicht. Das Lächeln ist seltsam und weich und sorgt dafür, dass ich mir das nächstbeste Besteckteil schnappen will, um ihm damit die Augen auszustechen.
Stattdessen konzentriere ich mich auf Pandora. Sie ist wirklich ein hübsches Ding – klein und weich mit der Art von Kurven, in die man seine Hände sinken lassen kann. Glatte hellbraune Haut und dichtes, welliges schwarzes Haar runden das Bild ab. Doch was sie wirklich aus der Masse heraushebt, ist die Art, wie sie einen Raum zum Strahlen bringt, wenn sie ihn betritt. Ihr Lachen füllt ihre Umgebung auf eine Weise aus, wie ich es noch nie zuvor erlebt habe. Aus reiner Gehässigkeit habe ich sie meiner Seite der Hochzeitsgesellschaft hinzugefügt, denn ich wusste, das würde Hephaistos ärgern. Doch dann stellte ich fest, dass ich ihre Gesellschaft tatsächlich genieße.
Wenn ihr Verhalten eine Maske ist, dann ist es die beste, die ich je gesehen habe.
Hephaistos sieht mich kommen und lehnt sich abrupt zurück. Sein Lächeln verblasst, und sein Blick verfinstert sich. Mir gefällt nicht, wie attraktiv er ist. Er hat mittelbraune Haut und dunkelrotes Haar, das für diese Veranstaltung tatsächlich ordentlich gestutzt und frisiert wurde. Sein muskulöser Körperbau wies ihn vor seiner Verletzung als Krieger aus, und ich hege keinen Zweifel, dass er sogar mit seinem verletzten Knie noch jede Menge Schaden anrichten kann.
Schließlich tötete er den letzten Hephaistos.
Ich schlüpfe um den Tisch herum und nehme an seiner Seite Platz. Ich kann das hier schaffen. Ich habe mich dafür entschieden. Der Empfang ist so gut wie vorbei, und danach bleibt nur noch der Vollzug der Ehe. Daraufhin kann ich die nächste Phase meines Plans einleiten. Ich muss einfach nur die nächsten ein oder zwei Stunden durchhalten. Obwohl ich weiß, was kommt, vergeht der Rest des Empfangs in einem verschwommenen Wirbel aus Glückwünschen.
Und dann ist der Zeitpunkt gekommen, an dem wir uns verabschieden.
Hephaistos ist gerade erst in das Penthouse eingezogen, das er mit seinem Titel geerbt hat – vermutlich, weil ihm die Leute seines Vorgängers den Übergang erschwert haben –, und ich habe nicht die Absicht, ihn in mein Zuhause zu lassen. Also haben wir für die heutige Nacht ein Hotelzimmer gebucht.
Das war die einfachste Lösung, doch jetzt bereue ich, dass wir keinen längeren Weg vor uns haben. Die verbliebenen Hochzeitsgäste säumen den Flur und werfen Blumen vor uns. Eine perfekte Mischung aus Rottönen – Rosen und Nelken und Mohnblumen. Sie bilden eine schöne Bühne für uns, über die wir schreiten können, während wir uns an den Händen halten, als wären wir wirklich Ehemann und Ehefrau statt Feinde. Entfernt nehme ich wahr, wie der Fotograf emsig Bilder von uns schießt. Helena wird sie sich noch heute Abend anschauen und entscheiden, welche davon veröffentlicht werden. Den Rest bekomme ich danach zugeschickt.
Welchen Sinn hat eine Hochzeit, die als Ablenkung dienen soll, wenn nicht alle darüber reden?
Meine Schwester taucht am Ende des Flurs auf und zieht mich in eine kurze Umarmung. »Pass auf dich auf«, flüstert sie. Ich spüre, wie sie mir etwas Kaltes in die Hand drückt.
Ich schaue nach unten und lache beinahe auf. Es ist ein kleines Messer mit einer gefährlich gebogenen Klinge, das so entworfen wurde, dass es perfekt in meine Handfläche passt. »Was soll ich denn damit?«
»Er ist ein Mörder, Eris.« Sie umarmt mich erneut und spricht direkt in mein Ohr. »Tu, was du tun musst.«
Ich sage ihr nicht, dass sie sich keine Sorgen machen muss. Die Wahrheit ist, dass diese Hochzeit ein Risiko war. Sie sollte eine Falle für Hephaistos sein, aber sie könnte sich ebenso gut als Falle für mich herausstellen. Wenn eins seiner Familienmitglieder beschließt, mich zu töten und damit die Attentatsklausel in Kraft treten zu lassen – diese sorgfältig zurückgehaltene, verkorkste Klausel aus der alten olympischen Überlieferung, mit der sich Hephaistos seinen Platz unter den Dreizehn verschaffte –, hätte der- oder diejenige ein Anrecht auf meinen Titel. Mich darauf einzulassen, mit ihm allein zu sein, ist so, als würde ich regelrecht um einen Anschlag auf mein Leben betteln.
Aber diese Gefahr geht von beiden Seiten aus.
»Mir wird schon nichts passieren.«
»Versprich nichts, was du nicht halten kannst.« Sie tritt zurück, und dann ist mein Bruder da. Er umarmt mich nicht. Er ist nicht gerade der anhängliche Typ.
Er schaut mich nur an und nickt. »Tu, was du tun musst.«
Helena gibt einen verärgerten Laut von sich, aber sie hat Perseus – jetzt Zeus – nie wirklich so verstanden, wie ich ihn verstehe. Er ist übertrieben skrupellos und klinisch kalt, was beides Eigenschaften sind, die unser Mistkerl von Vater gefördert hat. Aber er hat noch nie mit seiner Rolle in dieser Stadt gehadert. Nicht so wie Helena. Nicht so wie Herkules. Beim Gedanken an unseren jüngsten Bruder verziehe ich ein wenig das Gesicht. Er ist nicht hier. Er war natürlich eingeladen, aber er hat sehr deutlich gemacht, dass er nicht nach Olympus zurückkehren wird, nicht einmal jetzt, da unser Vater tot ist.
Ich versuche, ihm deswegen keinen Vorwurf zu machen. Er ist glücklich, und den anderen genügt das. Mir muss es ebenfalls genügen.
»Ich tue immer, was ich tun muss.« Ich wende mich von den verbliebenen Mitgliedern meiner Familie ab und gehe mit meinem neuen Ehemann auf den Aufzug zu, der uns nach oben in die Flitterwochensuite bringen wird. Die Türen schließen sich, und ich bin zum ersten Mal mit Hephaistos allein.
Ich weiß nicht, was mich erwartet. Drohungen oder weitere höhnische Bemerkungen. Er sagt nichts. Die Stille macht mich nervös, aber dies ist eine Waffe, mit der ich vertraut bin. Mein Vater benutzte sie nicht oft, aber wenn er es tat, war es so schlimm, dass ich seine Fäuste beinahe vorzog. Wenn wir eine ganz spezielle Verärgerung in ihm auslösten, ignorierte er uns. Dann tat er stunden- und manchmal sogar tagelang so, als könnte er uns weder sehen noch hören. Perseus schien darin immer eine gewisse Erleichterung zu finden, aber mich machte es rasend vor Wut. Als ich fünfzehn war, zerstörte ich ein komplettes Zimmer, während ich meinen Vater ankeifte. Und er saß die ganze Zeit da, starrte gelassen aus dem Fenster und trank seinen Kaffee.
Ich erschaudere. Ich bin nicht mehr fünfzehn. Meine Beherrschung habe ich mir mühsam errungen, aber sie ist da. Die Türen öffnen sich, bevor ich mich selbst zur Lügnerin machen kann, und ich stürze vor und lasse Hephaistos hinter mir zurück. Er wird mir zweifellos folgen.
Die Flitterwochensuite ist entzückend. Alles an diesem historischen Hotel ist entzückend. Deswegen habe ich es für die Hochzeit ausgewählt. Nun ja, deswegen, und weil jedes Mitglied meiner Familie seit Generationen hier geheiratet hat.
Im Falle meines Vaters sogar mehrmals.
Ich starre die geschmackvolle cremefarbene Einrichtung an, und mein Magen verkrampft sich. Darüber sollte ich besser nicht nachdenken. Und auch nicht über die Tatsache, dass auch mein Bruder und meine Schwägerin ebendieses Zimmer bewohnten, als sie im Mai aus politischen Gründen heiraten mussten. Ich erschaure. Tradition ist eine Falle, aber ich bin schon zu weit gekommen, um jetzt noch einen Rückzieher zu machen.
Hephaistos tritt um mich herum und geht schnurstracks auf die kleine Küche zu. Dort steht eine Flasche Whiskey mit einer fröhlichen Schleife um den Hals, die komplett aus Glitzer zu bestehen scheint. Noch bevor er nach der Karte greift und schnaubt, weiß ich, von wem sie stammt.
Hermes. Bis vor zwei Wochen hielt ich sie für eine meiner besten Freundinnen auf dieser Welt. Jetzt weiß ich nicht mehr, was ich glauben soll. Mein Bruder hält sie für eine Verräterin, und sie hat nicht viel getan, um ihn diesbezüglich eines Besseren zu belehren. Ich kann immer noch nicht so recht glauben, dass sie dieser Stadt schaden will oder dass sie sich wirklich mit Hephaistos’ Familie verbündet hat. Da steckt sicher mehr dahinter. Zweifellos hat sie Minos nicht mit Informationen versorgt, weil sie die Absicht hegt, Olympus und die Dreizehn zu Fall zu bringen.
Vielleicht bin ich naiv, weil ich das glaube. Aber ich wurde schon Schlimmeres genannt.
Ich schlucke die komplizierten Gefühle, die der Gedanke an Hermes mit sich bringt, herunter und schließe mich Hephaistos an der Küchentheke an. »Gib her.«
»Ich mach das schon.« Er zerrt beinahe gewalttätig an der Schleife herum.
Nur mit Mühe widerstehe ich dem Drang, ihm die Flasche aus den Händen zu reißen, und greife stattdessen nach der Karte. Hermes schnörkelige Handschrift begrüßt mich.
Genießt die Hochzeitsnacht, ihr zwei Turteltäubchen!
Ich seufze und werfe die Karte beiseite. »Sie und ihre ständigen Spielchen.«
»Sie ist Olympierin. So sind deine Leute eben.« Endlich gelingt es ihm, die Schleife zu entfernen. Er lässt sie mit einem angewiderten Knurren auf die Theke fallen. Der Verschluss der Flasche schließt sich ihr bald an. Hephaistos trinkt einen großen Schluck aus der Flasche. Zu jedem anderen Zeitpunkt hätte ich wahrscheinlich seine schlechten Manieren kommentiert, aber jetzt benötige ich die gleiche Stärkung, die er offensichtlich gerade selbst braucht.
Nein. Verdammt, nein.
Ich bin keine schwache Prinzessin, die gegen ihren Willen verheiratet wurde. Diese Hochzeit war meine Idee. Wäre das hier eine Geschichte, wäre ich die listige Königin oder vielleicht auch die böse Hexe. Ich bin weder hilflos noch unschuldig.
Wenn Hephaistos flüssigen Mut braucht, bedeutet das, dass ich diejenige bin, die heute die Oberhand gewinnen wird. Sein fieser kleiner Trick mit Adonis von vorhin hilft ihm jetzt auch nicht mehr. Trotzdem nehme ich ihm die Flasche aus der Hand und hebe sie an meine Lippen. Die ganze Zeit lasse ich ihn dabei nicht aus den Augen. Ich nehme erst einen Schluck und dann einen zweiten. Dann halte ich inne und stelle die Flasche mit einem dumpfen Klirren auf die Theke. »Sollen wir, lieber Ehemann?«
Er schüttelt langsam den Kopf. »Du bist wirklich Olympus’ Hu…«
»Ich werde dich an dieser Stelle mal unterbrechen.« Ich muss mich enorm zusammenreißen, um die Hände nicht zu Fäusten zu ballen … und ihm eine davon womöglich direkt ins Gesicht zu rammen. »Diese Ehe kann so schrecklich oder so angenehm sein, wie du es willst.« Das sind alles Lügen. Ich werde alles dafür tun, meinem liebenEhemann das Leben jeden Tag aufs Neue zur Hölle zu machen. Jede Information, die ich sammeln kann, ist wertvoll, und mein Bruder hat noch mehr Pläne geschmiedet, um herauszufinden, was Minos im Schilde führt. Wir müssen dieses Problem – diesen Feind – aus unterschiedlichen Richtungen gleichzeitig angreifen.
Und wenn ich meinen neuen Ehemann währenddessen leiden lassen kann, dann umso besser.
Er schaut mich an, als würde er mich am liebsten aus dem nächstbesten Fenster werfen. Das Gefühl beruht auf Gegenseitigkeit.
Ich finde mich damit ab, dass mir eine qualvolle Erfahrung bevorsteht, und wende mich dem Schlafzimmer zu. »Bringen wir es hinter uns.«
Ich gönne mir einen weiteren ausgiebigen Schluck aus der Whiskeyflasche, bevor ich Aphrodite durch den Flur zu dem lächerlich prunkvollen Schlafzimmer folge. Alles an diesem Ort spiegelt Olympus als Ganzes wider. Hier investiert man Reichtum in nutzlose Dinge, um eine Ästhetik zu erschaffen. Die äußere Erscheinung ist das Einzige, was den Bürgern dieser Stadt etwas bedeutet, und je länger ich hier bin, desto weniger fühle ich mich mit der Realität verbunden.
Es spielt keine Rolle. Ich brauche keine Realität. Ich habe Minos’ Pläne. Es hätte ein unermesslicher Sieg sein sollen, dass ein wütendes Waisenkind nun eine der dreizehn mächtigsten Personen in einer der unantastbarsten Städte der Welt ist. Ich hatte mit diesem Gefühl gerechnet, es erwartet. Schließlich habe ich das hier immer gewollt. So viel Macht, dass sich keiner mit mir anlegt.
Ich hatte nicht damit gerechnet, dass sich diese Macht wie ein Tellereisen anfühlen würde, das sich um mein Bein legt und zuschnappt.
Als ich aufwuchs, dachte ich immer, dass Macht Freiheit bedeutet. Als ich als Teenager in Minos’ Haushalt kam, untermauerte das diese Überzeugung umso mehr. Er untersteht nur einer einzigen Person und selbst dieser gehorcht er nur selten. Das wollte ich für mich ebenfalls erreichen. Ich wollte es so sehr, dass ich es förmlich schmecken konnte.
Die letzten zwei Wochen haben mir gezeigt, wie falsch diese Überzeugung ist. Seit ich zu Hephaistos wurde, habe ich keine einzige Entscheidung mehr für mich selbst getroffen. Es gibt mehr Bürokratie, als ich mir je hätte erträumen können, und das alles gipfelt in dieser verdammten Hochzeit und dieser verdammten Nacht.
Aphrodite löst ihr Haar aus ihrer schicken Frisur, indem sie eine Haarnadel nach der anderen herauszupft. Sie schaut nicht zu mir und tut so, als wäre ich nicht mal mit ihr im Zimmer.
Nun ist für mich der Zeitpunkt gekommen, die Sache selbst in die Hand zu nehmen und ihr zu zeigen, dass ich kein Schwächling bin, den sie manipulieren und plattwalzen kann. Doch irgendwie gelingt es mir nicht, meinen Körper in Bewegung zu setzen, während ich dabei zuschaue, wie sich eine dunkle Strähne nach der anderen löst und nach unten fällt. Ihr Haar ist lang. Es reicht bis zur Hälfte ihres Rückens und ist leicht gewellt. Sie hat keine natürlichen Locken. Zumindest hatte sie während Minos’ Party vor zwei Wochen noch keine.
Sie legt die letzte Haarnadel auf die Kommode und fährt mit den Fingern durch ihr Haar. »Schon besser. Jetzt komm her und zieh den Reißverschluss für mich auf.«
Ich zucke zusammen. »Was?«
Aphrodite dreht sich herum, um mich mit einem spöttischen Lächeln auf den blutroten Lippen anzuschauen. »Liebling, schau mich an. Falls es dir nicht aufgefallen ist: Dieses Kleid lässt mir nicht viel Bewegungsfreiheit.«
Gegen besseres Wissen lasse ich den Blick über ihren Körper wandern. Das Kleid ist wahrhaftig ein Meisterwerk. Es überlässt nur wenig der Fantasie, und wenn ihr Körper genauso feingliedrig und wie gemeißelt ist wie ihr Gesicht, kann nicht einmal ich leugnen, dass Aphrodite schön ist. Der Spitzenstoff fließt über ihren Körper und lenkt meine Aufmerksamkeit auf die sanfte Wölbung ihrer kleinen Brüste, die leichte Ausbuchtung ihrer Taille und die ellenlangen Beine.
»Dreh dich um.« Ich klinge kaum wie ich selbst.
Sie wirft mir noch einen letzten langen Blick zu und wendet sich dann von mir ab. Dass ihre dunklen Augen nun nicht mehr auf mich gerichtet sind, macht es nicht besser, denn der Spiegel über der Kommode verbirgt nichts. Sie sollte Angst vor mir haben, sollte sich fragen, was ich tun werde, nun, da wir allein sind. Und doch bin ich derjenige, der beinahe zaghaft ist, als ich mich in Bewegung setze, um mich hinter sie zu stellen.
Der Reißverschluss ist winzig, aber ich bin an diesen Mist gewöhnt, nachdem ich mit Pandora als beste Freundin aufgewachsen bin. Frauenklamotten sind verflucht unpraktisch, und Pandora sucht sich gern die unpraktischsten überhaupt aus. Ich hoffe, dass sie heute Abend auf mich gehört hat und mit der Familie nach Hause gegangen ist. Sie war ein wenig angetrunken, als wir gingen, und wenn sie trinkt, kommt sie auf dumme Gedanken. Bislang ist es mir gelungen, sie aus Schwierigkeiten herauszuhalten, seit wir nach Olympus kamen. Aber dies ist seit sehr langer Zeit die erste Nacht, die wir nicht zusammen verbringen werden.
Verdammt, darüber darf ich jetzt nicht nachdenken.
Sie ist klug. Sie wird sich auf nichts Gefährliches einlassen. Nach dem Medienrummel, der um uns gemacht wird, seit ich zu Hephaistos wurde, muss sie wissen, dass sie sich da draußen besser nicht allein irgendwo erwischen lassen sollte. Die Reporter und Paparazzi sind erbarmungslos. Ich weiß nicht, wie diese Mistkerle so leben können.
Pandora ist kein Teil von Minos’ Plan, was bedeutet, dass sie in seinen Augen entbehrlich ist. Zumindest wäre sie das, wenn mir ihre Sicherheit nicht so verdammt wichtig wäre. Er wird ihr Sicherheitsleute zur Seite gestellt haben. Er hat es versprochen.
»Gibt es ein Problem, Ehemann?«
Götterverdammt, ich kann es mir gerade wirklich nicht leisten, an Pandora zu denken. Sie wird die Nacht überstehen, und falls es irgendein Chaos zu beseitigen gibt, werde ich mich morgen darum kümmern. In diesem Augenblick muss ich mich auf die deutlich akutere Gefahr konzentrieren.
Meine Ehefrau.
Nach diesem lächerlichen Reißverschluss zu greifen und ihn langsam an Aphrodites Wirbelsäule entlang nach unten gleiten zu lassen fühlt sich unerträglich intim an. Der Stoff teilt sich und enthüllt glatte, blasse Haut, die von keinerlei Narben verunstaltet ist. Offensichtlich ist es schön, eine olympische Prinzessin zu sein.
Das Kleid gleitet von ihrem Körper, und sie macht keinerlei Anstalten, es daran zu hindern. Darunter trägt sie ein weißes Spitzenhöschen und sonst nichts. Aphrodite dreht sich zu mir herum und lehnt sich an die Kommode. »Du bist dran.«
Ich habe die süße, schüchterne Jungfrauennummer noch nie besonders attraktiv gefunden, aber ihre Dreistigkeit lässt mich dennoch zurückweichen. Sie hat diese Begegnung von Anfang an gesteuert. Die Hochzeit war allein ihr Werk, bis in sämtliche Einzelheiten. Und jetzt das hier.
Ich habe wirklich genug davon, verdammt noch mal.
»Wir machen das auf meine Weise.« Ich überwinde den Abstand zwischen uns und nagele sie zwischen mir und der Kommode fest. Sie trägt immer noch ihre Absatzschuhe, und die Tatsache, dass ihr Gesicht auf einer Höhe mit meinem ist, ärgert mich über alle Maßen.
Vielleicht küsse ich sie deshalb. Es ist reiner Instinkt. Ich will sie in ihre Schranken weisen, sie daran erinnern, dass nicht sie es ist, die hier das Sagen hat.
Ich hätte wissen müssen, dass es nicht so leicht sein würde.
Sie kommt mir auf halbem Weg entgegen. Unser Kuss verwandelt sich sofort in einen Krieg, der mit Zungen und Zähnen ausgefochten wird. Ich vergrabe meine Faust in ihrem Haar und lege meinen anderen Arm um ihre Taille, um sie an mich zu reißen. Verdammt, sie fühlt sich gut an. Ich hasse es, dass sie sich so gut anfühlt.
Ich wirbele uns herum und trage sie halb zum Bett. Meine Instinkte sind völlig durcheinander. Ich will sie bestrafen, das alles schnell und grob hinter mich bringen und selbstsüchtig meiner eigenen Lust nachjagen … Aber irgendwie kann ich nicht aufhören, sie zu küssen.
Aphrodite zwängt eine Hand zwischen uns und umfasst meinen Schwanz durch meine Hose. Sie unterbricht den Kuss lange genug, um zu sagen: »Da freut sich aber jemand, mich zu sehen.«
Dem kann ich nicht widersprechen. Ich bin so hart, dass es mich ein wenig überrascht, dass ich die Naht meiner Hose noch nicht gesprengt habe. Ich konnte Wut und Lust noch nie gut auseinanderhalten. »Lass dir das nicht zu Kopf steigen.«
»Zu spät.« Sie streichelt mich langsam und verzieht die Lippen zu einem boshaften Grinsen.
Sie versucht schon wieder, die Kontrolle zu übernehmen. Und schon wieder ist es viel zu verlockend, sie ihr einfach zu überlassen.
Stattdessen lasse ich sie aufs Bett fallen.
Sie stößt einen überraschten Laut aus, aber ich habe mich bereits in Bewegung gesetzt und packe ihre Hüften, um sie auf den Bauch zu drehen. Dann ziehe ich sie nach hinten, bis ihre Füße den Boden berühren. Dieser Anblick ist nicht weniger ablenkend. Sie hat einen festen kleinen Hintern, der in mir den Drang auslöst …