Neon Gods - Helena & Achill & Patroklos - Katee Robert - E-Book

Neon Gods - Helena & Achill & Patroklos E-Book

Katee Robert

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Beschreibung

Sie sind ihre größten Gegner. Doch sie sind auch unwiderstehlich ...

Um ihrem goldenen Käfig zu entfliehen, ist Helena Kasios fest entschlossen, der nächste Ares von Olympus zu werden. In einem aus drei Prüfungen bestehenden Turnier soll entschieden werden, wer den freien Platz einnimmt und damit einer der Dreizehn wird. Gewinnen bedeutet Macht und für Helena vor allem eines: Freiheit. Doch dann verkündet Zeus, dass der Sieger des Turniers neben Ares' Titel Helena zur Frau erhält. Plötzlich muss Helena alle schlagen, um sich selbst zu retten. Sie findet sich in einem Wettstreit wieder, in dem sie niemandem vertrauen sollte. Besonders nicht dem unwiderstehlichen Duo Achill und Patroklos ...

»Schwelende Leidenschaft, feurig und sündhaft sexy!« WHAT'S BETTER THAN BOOKS

Die verboten heiße Geschichte von Helena, Achill und Patroklos - Band 3 der DARK-OLYMPUS-Reihe von Bestseller-Autorin Katee Roberts

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Seitenzahl: 589

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INHALT

Titel

Zu diesem Buch

Leser:innenhinweis

Widmung

1

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Danksagung

Die Autorin

Die Romane von Katee Robert bei LYX

Impressum

Katee Robert

Neon Gods

HELENA & ACHILL & PATROKLOS

Roman

Ins Deutsche übertragen von Anika Klüver

ZU DIESEM BUCH

Helena Kasios hat nur einen Wunsch: Sie möchte ihr Leben selbst gestalten und sich nicht länger den Wünschen ihres Bruders, dem amtierenden Zeus von Olympus, beugen, der in ihr mehr eine Schachfigur als eine eigenständige Person sieht. Ihre einzige Möglichkeit, dem goldenen Käfig zu entfliehen, sieht Helena darin, die freigewordene Position des Ares zu erobern und eine der Dreizehn, die Olympus regieren, zu werden. Dazu muss sie in einem Turnier, bestehend aus drei Wettkämpfen, die erfahrensten Kämpfer und Kämpferinnen des Landes schlagen. Noch bevor ihr Bruder von ihrer Bewerbung erfährt, verkündet Zeus, dass der Sieger oder die Siegerin des Turniers neben Ares’ Titel auch Helena zur Frau erhält. Nun muss Helena noch dringender gewinnen, um sich selbst zu retten. Sie findet sich in einem brutalen Wettstreit wieder, in dem sie niemandem vertrauen sollte. Besonders nicht dem unwiderstehlichen Duo Achill und Patroklos. Doch als ein Anschlag auf ihr Leben verübt wird, sind es diese beiden, die sie retten und sie beschützen. Und obwohl sie eigentlich ihre Gegner sind, ist die Anziehungskraft zwischen ihnen nicht zu leugnen …

Liebe Leser*innen,

Neon Gods – Helena & Achill & Patroklos enthält Elemente, die triggern können.

Deshalb findet ihr hier eine Triggerwarnung.

Wir wünschen uns für euch alle das bestmögliche Leseerlebnis.

Euer LYX-Verlag

Für alle, die Geschichten mit gutem Ausgang lieber mögen als Tragödien.

1

Helena

»Ich bin so verdammt spät dran«, murmle ich vor mich hin. Die Flure des Dodona Towers sind zum Glück vollkommen leer, aber das macht das Ticken der Uhr in meinem Kopf nur schlimmer. Heute ist der Abend, an dem sich alles verändert. Der Abend, der dafür sorgen wird, dass ich nicht länger ein Bauer auf den Spielbrettern anderer Leute bin. Ich werde endlich die Macht zum Handeln erhalten, nach der ich mich schon sehne, seit ich ein kleines Mädchen war.

Und ich kann nicht glauben, dass ich verdammt noch mal zu spät dran bin.

Ich gehe schneller und schaffe es kaum, dem Drang zu rennen zu widerstehen. Doch außer Atem und aufgewühlt auf einer Party in Olympus aufzutauchen, ist sogar noch schlimmer, als zu spät zu erscheinen. Der äußere Schein ist wichtig. Olympus hat schon sehr lange keinen konventionellen Krieg mehr erlebt, aber jeden Tag werden hier kleine Schlachten geschlagen und gewonnen, indem die Leute die banalsten Dinge als ihre Waffen einsetzen.

Ein sorgfältig entworfenes Kleid.

Ein süßes Wort, das einen giftigen Biss übertüncht.

Eine Ehe.

Ich eile in den Aufzug, der mich nach oben zum Ballsaal bringen wird, und halte mich nur knapp davon ab, vor lauter Ungeduld auf meinen Zehen auf und ab zu wippen. Normalerweise würde mich das alles kein bisschen kümmern. Ich lehne mich gern mit kleinlichen Rebellionen gegen die herrschenden Gepflogenheiten auf und habe es zu einer regelrechten Kunstform erhoben.

Doch der heutige Abend ist anders.

Heute Abend wird mein Bruder Perseus – der jetzt Zeus ist – etwas verkünden, das alles verändern wird.

Vor weniger als einer Woche verstarb Ares. Das kam nicht gerade unerwartet – der Mann war uralt und hatte schon seit drei Monaten an die Tore der Unterwelt geklopft –, aber es eröffnete eine Gelegenheit, die sich normalerweise nur einmal pro Generation ergibt. Von allen Rollen der Dreizehn steht allein die des Ares absolut jedem offen. Die Vergangenheit, die Verbindungen und die finanziellen Mittel einer Person spielen keine Rolle. Man muss nicht einmal Olympier sein.

Man muss einfach nur gewinnen.

Es gibt drei Prüfungen, die alle darauf ausgelegt sind, die Spreu vom Weizen zu trennen, und die letzte Person, die noch steht, steigt auf und wird zu Ares. Zu einer der dreizehn Personen, die über Olympus herrschen. Jede von ihnen kümmert sich um einen speziellen Bereich, um dafür zu sorgen, dass in der Stadt alles reibungslos läuft. Für mich ist allerdings noch wichtiger, dass sie niemand dazu zwingen kann, irgendetwas zu tun, das sie nicht tun wollen.

Nicht einmal Zeus kann ein anderes Mitglied der Dreizehn zum Handeln zwingen – zumindest ist das die Theorie. Mein Vater schenkte derartigen Nettigkeiten nie Beachtung, und ich bezweifle, dass mein Bruder es tun wird, nun, da er den Titel geerbt hat. Das spielt keine Rolle. Wenn ich Ares bin, bin ich nicht länger die Tochter oder Schwester eines Zeus, eine verwöhnte Prinzessin ohne echten Wert, abgesehen von ihrem hübschen Gesicht und ihren familiären Verbindungen.

Zu Ares zu werden, wird mich befreien.

Die Aufzugtüren öffnen sich, und ich eile in Richtung des Ballsaals. Der lange Flur hat sich seit der letzten Party verändert. Die tristen, dunklen Vorhänge, die auf beiden Seiten der Türen von der Decke bis zum Boden hingen, wurden durch einen luftigen weißen Stoff ersetzt, der mit Silberfäden durchwirkt ist. Der Eindruck, der dadurch entsteht, ist immer noch nicht einladend, aber er ist deutlich weniger bedrückend.

Ich frage mich, wer diese Einrichtungsentscheidung getroffen hat, denn Perseus war das ganz sicher nicht. Seit er nach dem Tod unseres Vaters die Rolle des Zeus übernahm, interessiert sich mein ältester Bruder nur noch dafür, sein Geschäft zu führen und Olympus mit eiserner Faust zu regieren.

Oder es zumindest zu versuchen.

»Helena.«

Ich bleibe wie angewurzelt stehen, doch dann erkenne ich die Stimme und lächle erleichtert. »Eros. Was lungerst du denn hier in den Schatten herum?«

Er tritt vor und hält eine winzige, mit Juwelen besetzte Tasche hoch. »Psyche hat ihre Handtasche vergessen.« Er sollte mit dieser Handtasche lächerlich aussehen, vor allem wenn man die Gewalt bedenkt, die er mit diesen Händen verübt hat. Aber Eros hat die Angewohnheit, sich durchs Leben zu bewegen, als wäre er unantastbar. Niemand würde es wagen, auch nur ein Wort zu sagen, und das weiß er.

»Was für ein guter Ehemann du doch bist.« Ich bringe die letzten paar Schritte hinter mich und hauche ihm einen flüchtigen Kuss auf beide Wangen. Ich habe ihn in den vergangenen Monaten nicht oft zu Gesicht bekommen, aber er sieht gut aus. Eros ist einer der umwerfendsten Menschen in Olympus – und das will schon was heißen. Er ist mit lockigem blonden Haar und einem Gesicht, das Maler mit seiner Perfektion zum Weinen bringen würde, gesegnet. »Die Ehe bekommt dir gut.«

»Mit jedem Tag ein wenig mehr.« Sein Blick wird aufmerksamer. »Du hast heute Abend alle Register gezogen.«

»Gefällt dir das Kleid?« Ich streiche mit den Händen über mein Gewand. Es ist eine Maßanfertigung. Der goldene Stoff schmiegt sich von den Schultern bis zur Hüfte eng an meinen Körper und wölbt sich dann weiter unten ein kleines bisschen auf. Es ist über und über mit einem Muster versehen, das so entworfen wurde, dass es bei jeder meiner Bewegungen das Licht einfängt. Der V-Ausschnitt endet tief zwischen meinen Brüsten, und die Schulterteile sind zu scharfen Spitzen geformt, die ganz leicht den Eindruck einer militärischen Uniform erwecken. »Es ist ein Showstopper, wie meine Mutter gesagt hätte.«

Ich ignoriere das Zwicken, das dieser Gedanke in meiner Brust auslöst, so wie ich es immer tue, wenn mein Verstand versucht, bei der Frau zu verweilen, die viel zu jung starb. Sie ist nun schon seit fünfzehn Jahren tot. Sie kam durch einen rätselhaften Sturz ums Leben, als ich fünfzehn war. Rätselhaft. Klar. Als würde nicht ganz Olympus den Verdacht hegen, dass mein Vater dahintersteckte.

Als wüsste ich es nicht mit Sicherheit.

Diesen Gedanken zu verdrängen ist für mich zu einer selbstverständlichen Gewohnheit geworden. Welche Sünden mein Vater beging, spielt keine Rolle. Er ist tot und begraben, genau wie meine Mutter. Ich hoffe, dass er in den Gruben des Tartaros leidet, seit er seinen letzten Atemzug machte. Wenn ich an seinen Tod denke, verspüre ich lediglich Erleichterung. Er starb, bevor er mich an jemanden verheiraten konnte, um sich irgendein schwachsinniges Bündnis zu sichern. Er starb sogar noch, bevor er mehr von dem Schmerz verursachen konnte, den er anderen allem Anschein nach so gern zufügte.

Nein, ich vermisse meinen Vater kein bisschen.

»Sie wäre stolz auf dich.«

»Mag sein.« Ich werfe einen Blick über seine Schulter zu den Türen. »Vielleicht wäre sie wegen dem, was ich nun tun werde, aber auch wütend.« Weil ich für Unruhe sorgen werde? Verdammt, nein, ich werde ein totales Chaos anrichten.

Eros zögert keine Sekunde lang. Er zieht die Augenbrauen hoch und schüttelt mit reumütiger Miene den Kopf. »Also willst du zu Ares werden. Ich hätte es wissen müssen. Du hast in letzter Zeit ziemlich viele Partys verpasst. Hast du trainiert?«

»Ja.« Ich wappne mich für seine Ungläubigkeit. Wir mögen Freunde sein, aber wir sind Freunde nach Olympus-Maßstäben. Ich vertraue Eros insofern, dass ich nicht glaube, dass er mir ein Messer zwischen die Rippen rammen wird. Er vertraut mir dahingehend, dass er nicht glaubt, dass ich ihm übermäßigen Ärger mit der Presse einbrocken werde. Wir verbringen auf Veranstaltungen und Partys regelmäßig Zeit miteinander und tauschen gelegentlich Gefallen aus. Aber ich vertraue ihm nicht meine größten Geheimnisse an. Das ist nichts Persönliches. Diesen Teil von mir würde ich niemandem anvertrauen.

Andererseits wird schon sehr bald jeder in Olympus meine Pläne kennen.

Ich straffe die Schultern. »Ich werde beim Wettkampf antreten, um die nächste Ares zu werden.«

»Verdammt.« Er stößt einen leisen Pfiff aus. »Da wirst du dich aber ranhalten müssen.«

Er sagt mir nicht, dass er denkt, dass ich es nicht schaffen werde, doch ich sacke trotzdem ein wenig in mich zusammen. Ich hatte nicht wirklich mit begeisterter Unterstützung gerechnet, allerdings tut es einfach immer wieder weh, ständig unterschätzt zu werden. »Ja, tja, ich sollte da besser mal reingehen.«

»Warte.« Er betrachtet mich. »Deine Frisur ist ein wenig verrutscht.«

»Was?« Ich hebe die Hand und berühre meinen Kopf. Ohne Spiegel kann ich das Ausmaß des Schadens nicht beurteilen. Verdammt, nun werde ich sogar noch später eintreffen, aber das ist immer noch besser, als diesen Raum ramponiert zu betreten.

Ich schicke mich an, mich in Richtung der Toilettenräume herumzudrehen, die sich in der Nähe der Aufzüge befinden, doch Eros packt meine Schulter. »Ich mach das schon.« Er öffnet Psyches Handtasche und wühlt einige Sekunden lang darin herum. Dann zieht er eine sogar noch kleinere Tasche heraus. Darin befinden sich ein paar Haarklammern. Eros lacht schnaubend, als er meine ungläubige Miene sieht. »Guck nicht so überrascht. Wenn du eine Handtasche hättest, hättest du darin auch einen Vorrat an Haarklammern. Und jetzt halt still und lass mich das für dich in Ordnung bringen.«

Ich bin so geschockt, dass ich vollkommen stillhalte, während er meine Frisur richtet und sie mit einem halben Dutzend Haarklammern fixiert. Er lehnt sich zurück und nickt. »Besser.«

»Eros.« Erneut taste ich behutsam nach meinem Haar. »Seit wann frisierst du Leute?«

Er zuckt mit den Schultern. »Ich kann nicht viel mehr als Schadensbegrenzung leisten. Aber es erspart Psyche einiges an Ärger, wenn ich ihr auf diese Weise helfen kann, während wir in der Öffentlichkeit unterwegs sind.«

Götter, er ist so verliebt, dass mir davon übel wird. Ich freue mich für ihn. Wirklich. Aber ich kann nichts gegen die Eifersucht unternehmen, die sich in mir breitmacht. Es geht nicht um Eros – er ist für mich eher ein Bruder als irgendetwas anderes –, sondern um die Intimität und das Vertrauen, die er mit seiner Frau teilt. Das eine Mal, als ich dachte, dass ich so etwas gefunden haben könnte, flog mir alles um die Ohren. Bis heute habe ich mit den emotionalen Narben dieser Erfahrung zu kämpfen.

Trotzdem ringe ich mir ein Lächeln ab. »Danke.«

»Zeig’s ihnen, Helena.« Sein Grinsen ist scharf genug, um zu schneiden. »Ich werde dich anfeuern.«

Ich atme langsam ein und drehe mich zur Tür herum. Da ich ohnehin schon zu spät dran bin, kann ich ebenso gut einen erinnerungswürdigen Auftritt hinlegen. Ich richte mich kerzengerade auf und schiebe beide Türen mit mehr Wucht als nötig auf. Die Leute zerstreuen sich, als ich den Raum betrete. Ich halte inne, lasse sie mich anschauen und betrachte sie gleichzeitig selbst.

Dieser Saal hat sich verändert, seit Perseus den Titel des Zeus geerbt hat. Oh, funktional gesehen ist immer noch alles gleich. Der Raum verfügt über einen schimmernden weißen Marmorfußboden, den ich unter der versammelten Menge kaum sehen kann, und eine hohe Gewölbedecke, die den Ballsaal sehr viel größer erscheinen lässt, als er eigentlich ist. Eine Seite besteht aus massiven Fenstern und Glastüren, die auf den Balkon hinausführen. Aber er fühlt sich trotzdem anders an. Früher waren die Wände cremefarben, doch jetzt sind sie in einem kühlen Grau gestrichen. Das ist zwar nur eine dezente Veränderung, sie macht jedoch einen gewaltigen Unterschied.

Am auffälligsten ist allerdings die Tatsache, dass die überlebensgroßen Porträts der Dreizehn, die die Wände säumen, nun andere Rahmen haben. Die dicken Goldrahmen, die mein Vater bevorzugte, sind verschwunden und wurden durch fein gearbeitete schwarze Varianten ersetzt. Ich müsste näher herantreten, um es mit Sicherheit sagen zu können, aber es sieht so aus, als wäre jeder Rahmen maßgefertigt und individuell auf das jeweilige Mitglied der Dreizehn abgestimmt.

Und Perseus war nicht derjenige, der diese Veränderungen veranlasste. Da bin ich mir sicher. Unser Vater mag in Bezug auf sein Image regelrecht besessen gewesen sein, aber meinen Bruder kümmern derartige Dinge nicht. Selbst wenn sie es sollten.

Mit hoch erhobenem Kopf trete ich den Weg durch die Menge an.

Normalerweise kann ich jede einzelne Person identifizieren, die an einer Party im Dodona Tower teilnimmt. Informationen sind alles, und ich habe schon in sehr jungen Jahren gelernt, dass sie die einzige Waffe sind, die man mir gestattet. Ein paar Leute begegnen meinem Blick, andere starren meinen Körper auf eine Weise an, die bei mir eine Gänsehaut erzeugt, und wieder andere drehen mir regelrecht den Rücken zu. Das überrascht mich nicht. In Olympus eine Kasios zu sein, mag seine Vorteile haben, aber es bedeutet auch, dass man in eine Welt aus seit Generationen gehegter Missgunst und politischen Intrigen hineingeboren wird. Ich wuchs mit dem Wissen auf, wem ich vertrauen kann – niemandem – und wer mir tatsächlich bei erstbester Gelegenheit in den Rücken fallen würde – mehr Leute, als mir lieb sind.

Aber dies hier ist keine gewöhnliche Party, und der heutige Abend ist kein gewöhnlicher Abend. Beinahe die Hälfte der Gesichter ist mir neu. Es sind Leute, die aus den Außenbezirken um Olympus herum eingetroffen oder für dieses spezielle Ereignis per Fähre von Poseidon in die Stadt gebracht worden sind. Ich bleibe nicht stehen, um mir ihre Gesichter einzuprägen. Nicht jeder hier wird sich als Herausforderer nominieren. Viele von ihnen sind genau wie der Großteil der Einwohner von Olympus einfach nur Mitläufer. Sie spielen keine Rolle.

Ich werde nicht schneller, sondern bewege mich mit gleichmäßigen Schritten vorwärts, die die Leute dazu zwingen, mir aus dem Weg zu gehen. Die Menge teilt sich für mich, so wie es immer geschieht, und hinter mir tuscheln die Leute aufgeregt. Ich mache eine Szene, und während mich die Hälfte von ihnen dafür liebt, hasst mich der Rest.

Jeder muss heute Abend alle Register ziehen. In einer Ecke lacht meine Schwester Eris – seit drei Monaten Aphrodite – mit Hermes und Dionysos über etwas. Ich verspüre einen schmerzhaften Stich in der Brust. Ich würde gerade nichts lieber tun, als mich ihnen anzuschließen und den Abend mit ihnen zu verbringen, so wie ich es auf jeder anderen Party tue. Meine Schwester und meine Freunde machen das Leben in Olympus erträglich, doch die letzten paar Monate haben die neuen Unterschiede zwischen uns sehr deutlich gemacht. Als Eris noch Eris war, waren sie nicht so offensichtlich, aber nun, da sie ebenfalls eine der Dreizehn ist …

Ich werde zurückgelassen. Zeus’ und Aphrodites Schwester und Hermes’ und Dionysos’ Freundin zu sein, bedeutet nicht das Geringste. Ich bin immer noch eine Schachfigur, die auf dem Spielbrett von jemand anders bewegt wird.

Zu Ares zu werden, ist meine einzige Gelegenheit, das zu ändern.

In der gegenüberliegenden Ecke entdecke ich den Dimitriou-Clan – Demeter mit drei ihrer vier Töchter sowie Hades, Persephones Ehemann. Wie alle anderen sind sie perfekt gekleidet. Die Tatsache, dass Hades und Persephone hier sind, betont nur, wie wichtig das ist, was heute Abend passieren wird. Jedes Mitglied der Dreizehn ist anwesend, um Zeuge der zeremoniellen Verkündung des Wettkampfs zu werden, dessen Ausgang über den neuen Ares entscheiden wird. Eros taucht neben seiner Frau auf, und als ich sehe, wie ihr Gesicht aufleuchtet, als sie ihn erblickt … wende ich mich ab.

Der Thron ist mein Ziel.

Nun ja, die beiden Throne – das sind zwei weitere Veränderungen, die der Wechsel auf der Führungsebene mit sich gebracht hat. Die protzige goldene Monstrosität, die unser Vater so sehr liebte, ist verschwunden und wurde durch eine Stahlskulptur ersetzt, die attraktiv, aber fürchterlich kalt ist. So ähnlich wie Perseus selbst.

Der zweite Thron ist eine zierlichere Version des ersten. Kallisto Dimitriou sitzt darauf. Sie ist eine schöne Frau mit heller Haut und langem dunklen Haar und trägt ein elegantes schwarzes Kleid. Sie starrt alle an, die sich unter ihr versammelt haben, als würde sie jeden Einzelnen von uns durch die gewaltigen Glastüren stoßen wollen, die geöffnet worden sind, um die milde Luft des Juniabends hereinzulassen. Ich bezweifle allerdings, dass ihr das genügen würde. Viel wahrscheinlicher ist, dass sie liebend gern sehen würde, wie wir alle über das Balkongeländer fallen und nach unten stürzen.

Warum mein Bruder ausgerechnet sie als Ehefrau auswählte und sie damit zu Hera machte, ist jedem in Olympus ein Rätsel. Sie scheinen sich eindeutig nicht zu mögen. Ihre Ehe riecht nach Demeters Einmischung, aber egal wie sehr ich nachbohre oder herumstöbere, es ist mir bisher nicht gelungen, eine zufriedenstellende Antwort zu finden. Ich vermute, dass es keine Rolle spielt, warum Perseus sie heiratete. Wichtig ist nur, dass er es tat.

Ich mache einen flüchtigen Knicks, der beinahe höflich wirkt. »Zeus. Hera.«

Mein Bruder lehnt sich vor und wirft mir einen kalten Blick zu. Eris und ich kommen nach unserer Mutter, aber Perseus ist vom Aussehen her ganz und gar der Sohn unseres Vaters. Blondes Haar, blaue Augen, blasse Haut und ein auf schroffe Weise attraktives Gesicht. Wenn er sich auch nur ein wenig Mühe geben würde, könnte er gut genug aussehen, um alle im Raum zu bezaubern. Leider hat sich mein Bruder in Bezug auf diese Fähigkeit nie so sehr hervorgetan wie der Rest meiner Familie.

Außer Herkules. Er war ebenso schlecht darin, das Spiel zu spielen, wie Perseus.

Ich verdränge diesen Gedanken. Über Herkules nachzudenken hat ebenfalls keinen Zweck. Er ist fort, und soweit es den Großteil von Olympus betrifft, könnte er ebenso gut tot sein. Nein, das stimmt nicht. Über die Toten reden die Leute. Doch bei Herkules tun sie so, als hätte er nie existiert. Ich vermisse ihn beinahe ebenso sehr wie meine Mutter.

»Du bist spät dran.« Perseus hebt die Stimme nicht, aber das ist auch gar nicht nötig. Die Leute in unserer Nähe sind verstummt und warten angespannt ab, ob sich unter den Mitgliedern der Familie Kasios möglicherweise ein Drama abspielen wird. Ich kann es ihnen nicht verdenken. Ich habe ihnen im Verlauf meiner dreißig Lebensjahre jede Menge Gesprächsstoff für ihren Tratsch geliefert.

»Tut mir leid.« Ich meine das sogar ernst. »Ich habe die Zeit vergessen.« Normalerweise erliege ich nicht der Versuchung, mich übertrieben gut vorzubereiten, aber an dieser Situation ist nichts normal.

Perseus schüttelt leicht den Kopf und lässt den Blick durch den restlichen Raum wandern. »Ich werde schon bald die Ankündigung machen. Sieh zu, dass du in der Nähe bleibst.«

In mir sträubt sich alles, aber es hat keinen Zweck, das persönlich zu nehmen. Perseus spricht mit jedem, als wäre sein Gegenüber ein kleines Kind oder ein Hund. Das macht er schon seit unserer Kindheit. Ich begreife zwar, dass er einfach so ist, aber seine bevorzugte Kommunikationsmethode löst unter der Elite von Olympus bereits Unmut aus.

Das ist allerdings nicht mein Problem. Nicht heute Abend. Ich schenke ihm ein strahlendes Lächeln. »Natürlich, lieber Bruder. Etwas anderes würde mir nicht mal im Traum einfallen.« Nach der Ankündigung werden die Leute Gelegenheit haben, ihre Namen vorzubringen, um sich für eine Teilnahme am Wettkampf um den Titel des Ares zu bewerben. Streng genommen schließt sich das Zeitfenster für die Bewerbung nicht vor dem Morgengrauen, aber soweit ich es verstehe, gibt es nur selten Nachzügler. Also will ich sichergehen, dass ich vor Ort bin, um meinen Namen zu nennen, bevor irgendjemand auf die Idee kommt, mich davon abzuhalten.

Ich drehe mich um, um den Raum zu betrachten, kann aber spüren, wie mich mein Bruder beobachtet. Vermutlich befürchtet er, dass ich ihn noch weiter in Verlegenheit bringen könnte. An einem anderen Abend würde ich das möglicherweise als Herausforderung betrachten, aber jetzt gerade habe ich den Blick fest auf mein Ziel gerichtet. Ich werde mich nicht ablenken lassen.

Nach dem heutigen Abend werden alle wissen, dass ich eine ernst zu nehmende Größe bin.

Es dauert nicht lange, bis der Rest der Dreizehn herüberkommt und sich neben meinem Bruder und Kallisto – Hera – in Position bringt. Sie scheint von diesem ganzen Vorgang gelangweilt zu sein, aber da ist sie die Einzige. Eine Welle der Aufregung schwappt durch den Raum. Ich weiß, dass Perseus nur Stabilität für Olympus will, aber dieses Trara wird der Stadt mehr als das bringen. Es wird den Bewohnern einen Grund zum Jubeln geben, ein Ereignis, um die zivile Moral zu heben, die in letzter Zeit ein wenig ins Wanken geraten ist.

Die Dreizehn mögen über Olympus herrschen, aber letztendlich sind sie nur eine Handvoll Leute. Ohne die Unterstützung des Großteils der Bevölkerung ist ihre Macht nur eine Fassade. In unserer Geschichte gab es nur ein einziges Mal einen Aufstand. Das war vor ein paar Generationen, nachdem ein Krieg zwischen den Dreizehn die Bevölkerung der Stadt dezimierte. Aber er war brutal genug, um uns erkennen zu lassen, dass wir so etwas nie wieder zulassen dürfen.

Alles funktioniert am besten, wenn die aktuellen Mitglieder der Dreizehn das Promispiel spielen. Wenn jemand einen neuen Titel übernimmt, entscheidet diese Person, wie sie ihr Image erschaffen und sich der Öffentlichkeit präsentieren will. Manche – wie Demeter, die letzte Aphrodite, Hermes und Dionysos – arbeiten hart daran und nutzen die öffentliche Meinung, um ihre jeweiligen Ziele voranzubringen. Poseidon und Hades haben das Spiel jedoch nie mitgespielt. Bei Hades wusste bis vor Kurzem niemand auf dieser Seite des Flusses, dass er überhaupt existiert. Und Poseidon erlangt schon allein dadurch genug Wohlwollen, dass er einer der wenigen ist, der die Barriere, die Olympus umgibt, nach Belieben überschreiten kann – was bedeutet, dass er alles importiert, was die Industrie in der Stadt nicht selbst herstellen kann.

Doch nun sind innerhalb kurzer Zeit einige neue Mitglieder zu den Dreizehn gestoßen, und das verheißt Ungewissheit. Und in ungewissen Zeiten ist alles möglich. Sogar eine Revolution.

Mein Bruder wird alles tun, um dafür zu sorgen, dass es dazu nicht kommt.

Die Menge drängt sich näher an die Dreizehn heran, und ich weiche ein Stück zurück und begebe mich in Dionysos’ Nähe. Er ist etwa in meinem Alter. Sein kurzes Haar ist dunkel, und er verfügt über einen wirklich beeindruckenden Schnurrbart, den er sich extra so lang hat wachsen lassen, dass er ihn an den Seiten seines Munds ein wenig nach oben zwirbeln kann. Das sollte lächerlich aussehen, aber wir reden hier von Dionysos. Er schafft es, aus etwas Lächerlichem ein künstlerisches Statement zu machen, angefangen bei seiner schwungvollen Einstellung bis hin zu seinem knallbunten Anzug. Er grinst mich an. »Bist du bereit hierfür?«

Mein Magen ist fürchterlich verkrampft, aber ich schaffe es, das Lächeln zu erwidern. »Natürlich. Das wird mit Sicherheit Theater geben, und du weißt, wie sehr ich das liebe.« In Kürze werde ich diejenige sein, die für das Theater sorgt.

Ein Licht über Perseus wird heller, während das Kamerateam ihm gegenüber in Position geht. Dieses Ereignis wird überall in der Stadt übertragen werden, was bedeutet, dass die Eindrücke, die die Bewerber von diesem Moment an machen, entscheidend sein werden. Streng genommen benötigt Ares keine zivile Unterstützung, um seinen Job zu erledigen. Aber bei den Bürgern beliebt zu sein, hilft dabei, die Abläufe zu erleichtern.

Mein Bruder erhebt sich und richtet sich zu seiner vollen Größe auf. Er verfügt nicht über die gebieterische Präsenz, die unser Vater hatte, aber er hat die Fähigkeit, es so wirken zu lassen, als würde er einer Person direkt in die Seele schauen. Diese Fähigkeit nutzt er jetzt, während er seinen eisigen Blick über die Leute wandern lässt, die sich vor ihm versammelt haben, bis er ihn schließlich auf mich richtet. In seinem Gesicht flackert etwas auf, das ich nicht erkenne, aber er lässt den Blick weiterschweifen, bevor ich es identifizieren kann.

»Ihr alle wisst, warum wir hier sind.« Er hebt die Stimme nicht, doch das ist auch nicht nötig. Meine Geschwister und ich lernten schon sehr früh, in der Öffentlichkeit zu sprechen. Wir lernten, perfekte Symbole unserer perfekten Blutlinie zu sein. »Wir sind hier, um Ares’ Ableben zu ehren. Er diente dem Titel beinahe sechzig Jahre lang und hat uns nun viel zu früh verlassen.« Nette Worte. Bedeutungslose Worte. Der letzte Ares war, ehrlich gesagt, ein Arschloch.

Perseus wendet sich an den anderen Teil des Raums. »Heute Abend werden wir mit dem Prozess beginnen, unseren nächsten Ares zu finden. Die Tradition besagt, dass es drei Prüfungen geben wird. In zwei Tagen werdet ihr erfahren, wie die erste von ihnen aussehen wird. Der Sieger der drei Herausforderungen wird der nächste Ares werden.« Er macht eine gewichtige Pause. Wieder huscht dieser seltsame Ausdruck über sein Gesicht.

Das ist die einzige Warnung, die ich erhalte.

Perseus schaut mich an, und in seinen blauen Augen liegt so etwas wie Mitgefühl, während er mein Schicksal besiegelt. »Und meine Schwester Helena heiraten.«

2

Achill

»Ich hab’s dir ja gesagt«, murmelt Patroklos.

Ich muss ihn nicht anschauen, um zu wissen, was er denkt. Ich weiß immer, was er denkt. Nämlich verdammt noch mal zu viel. Wenigstens haben sich die aufdringlichen Groupies, die sich vorhin auf uns stürzten, sobald wir zur Tür hereinkamen, zerstreut – nun, da die Vorstellung angefangen hat. Das ist eine Erleichterung. Ich kann zwar meinen Charme anknipsen, wenn es mir gelegen kommt, aber dieser Mist ist anstrengend.

Der letzte Ares gab sich nie besondere Mühe, sich bei der Öffentlichkeit beliebt zu machen. Er war ein richtiger alter Mistkerl, und ihn kümmerte nicht, ob es jeder wusste. Ich weiß nicht, ob er schon so war, als er den Titel übernahm, aber gegen Ende hassten ihn alle. Sogar seine eigenen Leute.

So arbeitet Athene nicht, und alles Wertvolle, was ich weiß, habe ich von ihr gelernt. Es ist immer besser, Honig statt Essig zu benutzen. Wenn man jemanden dazu bringen will, das zu tun, was man möchte, erreicht man das leichter mit ein wenig Manipulation, anstatt der Person mit der nächstbesten Waffe eins überzuziehen. Ares hätte ein paar dieser Lektionen gebrauchen können, aber er war der Typ, der sich eine Methode aussuchte und dann nicht mehr davon abwich.

Das wird sich ändern, wenn ich das Sagen habe.

Zeus redet immer noch und spinnt eine Menge Schwachsinn über Tradition zusammen. Olympus ertrinkt förmlich in Tradition. Das ist hier die Entschuldigung für alles, und mit dieser Argumentation kann man die Verantwortung praktischerweise immer von den handelnden Personen wegleiten.

»Ja«, murmle ich. »Aber du musst es nicht unbedingt aussprechen. Ich habe das ›Ich hab’s dir ja gesagt‹ auch so schon laut und deutlich gehört.« Patroklos war sich sicher gewesen, dass der Titel ebenfalls eine Ehefrau beinhalten würde. Dieser Titel ist lange nicht mehr vergeben worden, also hatte ich meine Zweifel. Aber eine von Patroklos’ vielen Fähigkeiten besteht darin, alle verfügbaren Informationen zu sammeln und Szenarien durchzugehen, bis er das Wahrscheinlichste findet. Das sorgt dafür, dass es manchmal verflucht nervtötend sein kann, sich in seiner Gesellschaft aufzuhalten, aber er ist brillant.

Ich schaue mich im Raum um. Niemand scheint von der Ankündigung besonders überrascht zu sein, also haben die Leute entweder genau wie Patroklos ein wenig nachgeforscht, oder sie haben ausgezeichnete Pokerfaces.

Er tritt näher an mich heran und presst seine Schulter an meine. Er hat die Stirn gerunzelt, was darauf hindeutet, dass sein großes Hirn Überstunden macht. »Ich hätte allerdings nicht erwartet, dass es Helena sein würde. Ich hätte nicht gedacht, dass Aphrodite sie auswählen würde.«

»Ja.« Auch wenn ich weiß, dass ich es nicht tun sollte, lasse ich den Blick zu der Frau wandern, die in einem leeren Kreis steht, als wären die Leute um sie herum zurückgewichen, weil sie nichts mit dem, was als Nächstes kommt, zu tun haben wollen. Ich kann nur ihr Profil sehen, aber das genügt.

Helena schön zu nennen, ist die Untertreibung des Jahrhunderts. Sie ist makellos, die Art von perfekt, die nur einmal pro Generation vorkommt. Alle in ihrer Familie sind attraktiv, aber sie spielt in einer vollkommen anderen Liga. Außerdem ist sie ein unbekümmertes Partymäuschen, dessen Eskapaden regelmäßig die Klatschspalten füllen. Sie befolgt nicht dieselben Regeln wie der Rest von uns. Sie musste noch nie hungern oder um irgendetwas kämpfen.

Die Frau ist eine Prinzessin in einem Turm, und eine Prinzessin eignet sich ausschließlich als Köder.

Sie bewegt sich, indem sie auf kaum merkliche Weise die Schultern strafft. Als sie sich zum Raum herumdreht, wirkt sie glücklich … solange man ihr nicht in die bernsteinfarbenen Augen blickt. Sie sind so kalt wie die von Zeus. Sie winkt den Anwesenden zaghaft mit den Fingern zu. »Da könnt ihr euch aber glücklich schätzen.«

Hier und da ertönt Gelächter. Weder ich noch Patroklos geben einen Laut von uns. Ich werfe ihm einen Blick zu. Er ist ein paar Zentimeter größer als ich und von Natur aus schlanker gebaut. Heute Abend trägt er die Brille, die ich so gern mag, und einen Anzug, den ich am liebsten zerknittern würde. Der Mann ist immer so verdammt gelassen. Nichts bringt ihn aus der Fassung, weil er längst ein halbes Dutzend Szenarien durchgegangen ist, bevor er handelt. Ihn zu überraschen, ist so gut wie unmöglich.

Trotzdem. »Bist du dir da sicher?«, murmle ich. Er mag damit gerechnet haben, dass dem Sieger des Wettkampfs aus Tradition auch eine Ehefrau angeboten wird, aber Helena macht die Sache kompliziert. Man könnte ebenso gut mit einer Schlange ins Bett gehen und beten, dass sie ihre Fangzähne nicht in einen schlägt. Sie wird zubeißen. Das tun Schlangen eben. Die Frau ist einzig und allein ihrer Familie gegenüber loyal. Mit ihr verheiratet zu sein, würde bedeuten, dass jede Interaktion, sowohl innerhalb als auch außerhalb unseres Zuhauses, ein Schlachtfeld sein würde. Sie ist eine Kasios. Man kann ihr nicht vertrauen.

»Das ist die einzige Möglichkeit.«

Er hat recht. Ich weiß nicht mal, warum ich es überhaupt hinterfrage. Ich wollte das hier, seit ich alt genug war, um zu begreifen, dass Macht das Einzige ist, was die Leute in Olympus respektieren. Während ich unter Athene immer weiter in der Hierarchie aufstieg, erhielt ich eine Kostprobe davon. Also ja, ich bin bereit, eine ganze Menge zu opfern, um diesen Titel zu erhalten. »Dann ziehen wir den Plan durch.«

Er wirft mir einen Blick zu. Sein attraktives Gesicht ist vollkommen ruhig. Dann nickt er kaum merklich. Patroklos wollte nie ein Anführer sein, ganz zu schweigen davon, dass er einen Platz als einer der Dreizehn beanspruchen will. Aber er wird seinen Namen ins Spiel bringen und sich für die Teilnahme am Wettkampf nominieren, damit er mir dabei helfen kann, den Titel zu gewinnen. Das war von dem Moment an, in dem ich mich für den Titel des Ares entschied, der Plan. Die ersten beiden Prüfungen sind dafür gedacht, die Bewerber auszusieben, bis für die letzte Prüfung nur noch fünf übrig sind. Bündnisse kommen durchaus vor, aber ich bin nicht bereit, meinen Erfolg von Unbekannten abhängig zu machen. Und da kommt Patroklos ins Spiel. Er wird mir jegliche Unterstützung verschaffen, die nötig ist, damit ich die letzte Prüfung erreiche. Ich bin mir relativ sicher, dass ich es auch allein schaffen könnte, aber er hat darauf bestanden.

Die Wahrheit ist, dass ich nicht allzu sehr protestiert habe. Patroklos ist an meiner Seite, seit wir uns mit achtzehn kennenlernten. Seitdem haben wir jeden wichtigen Meilenstein im Leben gemeinsam hinter uns gebracht. Um den Titel des Ares zu kämpfen und ihn zu gewinnen, ohne ihn als Rückendeckung zu haben, würde sich falsch anfühlen.

Trotzdem. »Wenn du dir sicher bist.«

»Ich bin mir sicher. Hör auf damit, ständig zu versuchen, mir einen Ausweg anzubieten. Ich werde am Wettkampf teilnehmen. Ende der Diskussion.« Er dreht sich wieder herum, um die Menge zu betrachten. »Ich habe Akten über jeden einzelnen möglichen Bewerber in Olympus. Du bist der Beste. Mit mir an deiner Seite ist dir der Sieg so gut wie sicher.«

Der Sieg. Zu Ares zu werden. Helena zu heiraten. Patroklos und ich führen eine unkonventionelle Beziehung, zumindest nach den Maßstäben mancher Leute, aber ich warte immer noch darauf, dass ihm die Vorstellung, dass ich jemand anders heiraten könnte, etwas ausmacht. Mir würde es ganz sicher etwas ausmachen, wenn er jemand anders heiraten würde. Er ist so gelassen wie immer. Das treibt mich in den Wahnsinn. »Helena Kasios zu heiraten, wird ziemlich unangenehm sein.«

Er wirft mir einen weiteren seiner strengen Blicke zu. »Ares.«

Als müsste er mich daran erinnern. Ich würde eine verdammte Harpyie heiraten, wenn das bedeuten würde, dass ich einer der Dreizehn werde. Leider kommt Helena Kasios dem recht nah. Sie ist eine verwöhnte Göre, die immer ihren Willen bekommen hat, und ich kann sogar trotz ihres verlogenen Lächelns sehen, dass sie angesichts dieser Ankündigung stinkwütend ist. Sie wird dafür sorgen, dass der Sieger dieses Wettkampfs es bereuen wird, vermutlich für den Rest seines Lebens. Ganz zu schweigen davon, dass sie alle Informationen, die sie mir entlocken kann, sofort an Zeus weiterleiten wird.

Das ist ein kluger Schachzug von ihm und einem von Patroklos’ Plänen ebenbürtig. Aber letztendlich spielt das keine Rolle. Ich werde zu Ares werden. Um den ganzen anderen Mist werde ich mich kümmern, sobald mir der Titel gehört.

Eine Bewegung auf meiner anderen Seite sorgt dafür, dass ich den Kopf drehe. Paris. Er ist ein schlanker Kerl, der offensichtlich abartig viel Geld für sein Erscheinungsbild ausgibt. Seine helle Haut ist auf diese unnatürliche Weise glatt, und sein blondes Haar ist perfekt gestylt. Zu schade, dass man sich mit Geld keine anständige Persönlichkeit kaufen kann. Paris ist ein verdammtes Arschloch. All die Gene, die einen anständigen Menschen ausmachen, hat in seiner Familie sein Bruder Hektor abbekommen.

Hektor mag und respektiere ich.

Paris schaut Helena an, als wäre sie ein Stück Fleisch und als könnte er es kaum erwarten, es zu verschlingen. Ich habe nicht die Angewohnheit, den Klatschseiten allzu viel Aufmerksamkeit zu schenken, aber Paris’ und Helenas Trennung war hässlich genug, um wochenlang die Schlagzeilen zu beherrschen. Nun reibt sich der kleine Scheißer vor lauter Schadenfreude förmlich die Hände.

Er wirft einen Blick in meine Richtung und grinst. »Tut mir leid, Mann, aber sie gehört mir. Sie kann sich mir nicht länger entziehen, wenn ich zu Ares werde und sie heirate.«

Hektor tritt neben seinem Bruder vor und versetzt ihm einen Schlag auf den Hinterkopf. Die Geste wirkt so vertraut, dass klar ist, dass er das schon so oft gemacht hat, dass die Bewegung in sein Muskelgedächtnis übergegangen ist. »Sei nicht so vulgär.« Er nickt mir zu. »Achill.«

»Hektor.« Er führte früher einmal eine von Ares’ Truppen an, aber nachdem er geheiratet hat und Vater geworden ist, wechselte er den Arbeitgeber und steht nun in den Diensten eines anderen Mitglieds der Dreizehn: Apollon. Seitdem sind einige Jahre vergangen und ich habe Hektor in dieser Zeit nicht mehr oft gesehen. Aber als ich ihn kannte, war er ein überragender Kämpfer. »Wie geht es dem Kind?«

»Sie kommt nach ihrer Mutter.« Er lächelt leicht. »Ich danke den Göttern jeden Tag dafür, dass sie nicht meine hässliche Visage geerbt hat.«

Mit seinem sandblonden Haar und den freundlichen Augen sieht Hektor auf raue Weise gut aus. Aber er hat recht. So bald wird er keinen Schönheitswettbewerb gewinnen. Ich grinse ihn an und ignoriere Paris vollkommen. »Du wirst doch sicher nicht zum Kampf antreten, oder? Du hast bereits eine Frau. Ich dachte, dass du dich mittlerweile schon halb in den Ruhestand zurückgezogen hättest.«

Er zuckt mit den Schultern. »Familie.«

Ich nicke, als hätte ich irgendeine Ahnung, wovon er redet. Meine Familie besteht allein aus Patroklos und der Truppe, die wir gemeinsam führen. Meine Eltern kenne ich nicht. Offensichtlich wollten sie kein Kind haben, also folgten sie der alten Tradition und ließen das Baby – mich – auf den Stufen des Tempels zurück. Ich wuchs in einem der Waisenhäuser auf, die in Heras Namen geführt werden. Aber ich glaube nicht, dass seit meiner Geburt irgendeine Hera wirklich mal einen Fuß in einen dieser Orte gesetzt hat. Als ich achtzehn war, konnte ich mir aussuchen, ob ich für Ares, Poseidon oder Demeter arbeiten wollte. Tatsächlich fiel mir die Wahl nicht schwer. Ich erledigte ein paar Jahre lang die Drecksarbeit für Ares, bis mich Athene aus der Versenkung holte und mir zeigte, was Größe sein kann.

Ich war schon immer für das hier bestimmt.

»Nun ist es für jene, die zu Ares werden wollen, an der Zeit, vorzutreten.«

Zeus geht einen Schritt zurück und deutet auf die große Frau an seiner Seite. Sie trägt kein Kleid, sondern einen Anzug, dessen hellgrauer Stoff ihre warme braune Haut betont. Ihr schwarzes Haar ist an den Seiten kurz geschoren, während die Locken oben auf dem Kopf länger sind. Athene.

Sie lässt den Blick durch den Raum wandern, als würde sie die Schwäche jeder einzelnen Person einschätzen. So wie ich sie kenne, tut sie genau das. »Sobald ihr euren Namen genannt habt, besteht der einzige Ausweg in Eliminierung oder Kapitulation. Auch wenn diese Prüfungen nicht als Kämpfe bis zum Tod gedacht sind … Unfälle können vorkommen. Ihr solltet bereit sein, alles zu opfern.«

Paris duckt sich unter Hektors Hand hinweg und tritt vor. »Ich bin Paris Chloros. Ich werde alles opfern.«

Ich kann nicht anders. Ich werfe einen Blick zu Helena, um ihre Reaktion zu beobachten. Ihre blasse Haut ist ein wenig grün geworden, während sie ihren Ex-Freund anschaut. Paris zwinkert ihr zu, als könnte er die Mordlust in ihren Augen nicht sehen. Wenn er den Titel des Ares gewinnt, würde ich nicht darauf wetten, dass er die Hochzeitsnacht überlebt.

Das wird jedoch kein Problem sein, denn Paris ist kein ernst zu nehmender Gegner. Meine größere Sorge ist Hektor, der vortritt und die traditionelle Formel wiederholt. Ajax – ein weiterer Kommandant des ehemaligen Ares und jemand, den ich als Freund betrachte – ist der Nächste. Dann folgt eine schwarze Frau mit Dreadlocks, die sie so zurückgebunden hat, dass man ihr vernarbtes Gesicht sehen kann. Ihr Name ist Atalante und sie ist leichtfüßig genug, dass ich bereits weiß, dass sie verflucht schnell sein wird.

Eine Person nach der anderen tritt in einem endlosen Strom vor. Ich merke mir, welche von ihnen Patroklos als Kandidaten vorhergesagt hat, und welche nicht. Sie alle spielen keine Rolle. Ein paar von ihnen sind ernst zu nehmende Gegner, aber die meisten sind Leute aus den Elitefamilien, die sich in den erweiterten Kreisen der Dreizehn bewegen. Sie werden an dem Wettkampf teilnehmen, weil sie es sich nicht leisten können, eine Chance auf den Titel zu ignorieren. Aber sie sind keine echte Bedrohung.

Hinter mir breitet sich Gemurmel aus, und ich werfe einen Blick über meine Schulter. Zwei Männer stampfen durch die Menge, und die Leute fallen beinahe übereinander, weil sie es so eilig haben, ihnen aus dem Weg zu gehen. Sie sehen sich sehr ähnlich – mittelbraune Haut, dunkelrotes Haar, dunkle Augen – und sind beide sogar noch größer als ich. »Große Mistkerle«, murmle ich.

Der Größere der beiden wirft mir einen schaurig leeren Blick zu, als sie an mir vorbeigehen. Im Raum ist es vollkommen still geworden. Vermutlich spüren die restlichen Leute das Gleiche wie ich – das sind wahre Raubtiere in unserer Mitte. Und was noch wichtiger ist: Sie sind Fremde.

Der Kleinere tritt zuerst vor und verbeugt sich übertrieben auffällig. »Ich bin Theseus Vitalis, und ich bin bereit, alles zu opfern.«

Athene zieht eine Augenbraue hoch. »Neu in der Stadt?«

»Das ist nicht verboten und liegt innerhalb der Rahmenbedingungen des Wettkampfs.«

»Die Regeln sind mir bekannt.« Sie schaut zu dem Größeren. »Und du?«

»Ich bin der Minotauros.« Seine Stimme klingt, als hätte jemand seine Stimmbänder aufgerissen und dann glühende Kohle in die Wunde gekippt.

Athene wirft ihm einen strengen Blick zu. »Das ist dein Name?«

»Er erfüllt seinen Zweck.« Er hält kaum lange genug inne, um ihr ein Nicken zu ermöglichen, bevor er fortfährt. »Ich werde alles opfern.«

»Gefährlich«, murmelt Patroklos.

»Ja.« Ich warte, bis sie zur Seite gegangen sind. Dann treten Patroklos und ich vor. Wieder kann ich es mir nicht verkneifen, zu Helena zu schauen, als Patroklos die Worte spricht, mit denen er seine Teilnahme am Wettkampf bestätigt. Es gelingt ihr nicht, ihre Miene unter Kontrolle zu halten, und ich hasse es, dass ich daraufhin Mitgefühl für sie empfinde. Sie hat sich das hier offensichtlich nicht ausgesucht. Verdammt, augenscheinlich wusste sie nicht einmal etwas von dieser Sache, bis Zeus seine Ankündigung machte. Diese Frau bedeutet mir nichts, aber wenn ich den Titel des Ares gewinne – und ich werde ihn gewinnen –, werde ich dafür sorgen, dass sie nicht schlecht behandelt wird. Nach der Hochzeit ist mir egal, was sie macht oder mit wem sie es treibt, solange sie sich von mir und Patroklos fernhält. Ein besseres Angebot wird sie von niemand anders erhalten.

Dann bin ich mit Sprechen an der Reihe. Mühelos verdränge ich jegliche Gedanken an Helena. »Ich bin Achill Kallis, und ich bin bereit, alles zu opfern.«

Athene lächelt nicht, aber in ihren dunklen Augen leuchtet warme Anerkennung auf. Überschwänglicher wird es bei ihr nicht, und seltsamerweise löst das in mir eine unerwartete Reaktion aus. Ich bin niemand, der Bestätigung von außen braucht, um sich wertgeschätzt zu fühlen. Aber ich habe den größten Respekt vor Athene, und ihre Meinung ist mir wichtig.

Sie wartet einige Augenblicke lang, doch keine weitere Person tritt vor. Sie hebt die Stimme, damit man sie bis in die hinterste Ecke des Raums hören kann. »Die Bewerbungsfrist für den Wettkampf läuft bei Morgengrauen ab. Viel Glück.«

Das Licht wird langsam heller und signalisiert das Ende des prunkvollen Schauspiels. Die Party wird noch stundenlang weitergehen, aber der Grund für unsere Anwesenheit ist erledigt. Ich wende mich an Patroklos. »Lass uns gehen.«

Für eine Sekunde scheint es so, als wollte er mir widersprechen, doch schließlich nickt er und läuft zusammen mit mir in Richtung Tür. Die Leute gehen uns aus dem Weg. In den Jahren seit meiner Beförderung zu Athenes Stellvertreter bin ich ein paarmal auf diesen Partys gewesen, aber sie zieht es vor, ihre Leute von dem Schlangennest fernzuhalten. Das sind ihre Worte, nicht meine. Ich verstehe nicht, warum das ein Problem darstellen sollte, doch ich bin auch niemand, der sich von einem hübschen Gesicht oder noch hübscheren Worten beeinflussen lässt. Ich kenne mein Schicksal.

Ich halte Patroklos die Tür auf, und wir treten in den langen Flur hinaus, der zum Aufzug führt, der uns nach unten bringen wird. Er hat diesenAusdruck auf dem Gesicht, und ich verdrehe innerlich die Augen. »Sag mir, dass du nicht ernsthaft wegen dieser goldenen Prinzessin besorgt bist.«

»Ich habe Mitleid mit ihr.« Er zuckt mit den Schultern und schämt sich kein bisschen für sein blutendes Herz. »So vielen Mitgliedern der Dreizehn so nahezustehen, kann nicht angenehm sein. Ihr Leben gehörte ihr nie. Von Geburt an konnte sie nicht selbst über ihr Schicksal entscheiden.«

Dieses Mal kann ich mich nicht davon abhalten, sichtbar die Augen zu verdrehen. »Klar. Die arme kleine Prinzessin wurde in die reichste Familie der Stadt hineingeboren, und alles, was sie sich je erträumen könnte, befindet sich in ihrer Reichweite. Sie musste in ihrem ganzen Leben nie auch nur um eine einzige Sache kämpfen. Im Gegensatz zu mir. Im Gegensatz zu dir.«

»Das stimmt nicht ganz, zumindest in meinem Fall. Wenn die Dinge anders gekommen wären, wäre ich Aphrodites Sohn.«

»Das ist etwas anderes.«

»Wenn du das sagst.« Wieder zuckt er mit den Schultern. »Ich bin nicht so ehrgeizig wie du, Achill. Für mich ist die Arbeit für Athene nur ein Job. Das ist sie immer gewesen.«

Ich liebe diesen Mann, aber manchmal verstehe ich ihn wirklich nicht. Wenn man nicht für etwas kämpft, werden einen die Leute, die es tun, als Sprungbrett benutzen. Patroklos ist einer der brillantesten Menschen, die ich kenne, aber er ist zu weich. Wenn ich nicht auf ihn aufpassen würde, hätte man ihn schon Dutzende Male übers Ohr gehauen, seit wir uns als Teenager kennenlernten.

Andererseits wäre er vermutlich kein Mitglied von Athenes Spezialeinheit, wenn ich nicht in sein Leben getreten wäre. Mit seiner Liebe für Wissen und Recherche wäre er vielleicht eher in Apollons Branche gelandet, genau wie Hektor.

Etwas, das an Schuldgefühle erinnert, klatscht mir ins Gesicht, aber ich schiebe es beiseite. Wenn ich Ares bin, wird es Patroklos freistehen zu tun, was immer er verdammt noch mal will. Wenn mir so viel Macht und so viele Ressourcen zur Verfügung stehen, wird er gar nicht mehr arbeiten müssen, wenn er es nicht will.

Ich schlinge einen Arm um seine Schultern und presse ihm einen schnellen Kuss auf die Schläfe. »Mach dir nicht so viele Sorgen. Wenn ich Ares bin, werde ich mich um uns beide kümmern.« Ich grinse. »Verdammt, ich werde mich auch um Helena kümmern, wenn du dich dann besser fühlst.« Selbst wenn sie eine verwöhnte Göre ist.

3

Helena

»Willst du mich verdammt noch mal auf den Arm nehmen?« Ich kralle die Finger in den Stoff meines Kleids. Das muss ich tun, um mich davon abzuhalten, meinem Bruder einen Schlag auf seinen nervtötend kantigen Kiefer zu verpassen. Egal wie befriedigend es wäre, ich kann es nicht riskieren, mir die Hand zu verletzen. Nicht wenn ich Ares werden will. Aber wie in aller Welt kann ich Ares sein, wenn mich Perseus zu Ares’ Ehefrau erklärt hat? »Du hast aus mir einen Preis gemacht, den man gewinnen kann! Du willst mich mit einem Fremden verheiraten! Ohne vorher auch nur mit mir darüber geredet zu haben.«

Ich habe es geschafft, mich zusammenzureißen, bis die Party endete und eine kleine Gruppe von uns in Perseus’ Büro landete – Perseus, Eris, Kallisto und ich. Zeus, Aphrodite, Hera und ich. Perseus sitzt hinter seinem großen Schreibtisch und wirkt von meinem Theater gelangweilt. Eris lehnt mit einer Hüfte am Schreibtisch und lächelt auf eine Art, die mir ganz und gar nicht gefällt. Ich liebe meine Geschwister. Wirklich. Aber ich kann nie vergessen, dass es ihnen vor allem anderen um Macht und Ehrgeiz geht. Das war schon immer so, sogar bevor sie zu Mitgliedern der Dreizehn wurden. Immerhin wurden wir alle so erzogen.

Die einzige Ausnahme war Herkules, und wir alle wissen, was mit ihm passiert ist.

Kallisto steht vor den vom Boden bis zur Decke reichenden Fenstern und scheint sich komplett aus der Unterhaltung ausgeklinkt zu haben. Oder genauer gesagt aus dem Streit.

Eris betrachtet ihre Fingernägel. »Dass zum Titel des Ares auch eine Ehefrau gehört, ist Tradition.«

Irgendwie ist mir dieses Detail bei all meinen Vorbereitungen entgangen. Ich war so sehr auf die Frage konzentriert, wie die Prüfungen aussehen könnten, dass ich mir nicht die Mühe gemacht habe, mir den Rest anzuschauen. Der letzte Ares hatte in der Zeit, in der er den Titel innehatte, mehrere Ehefrauen. Der Gedanke, dass er eine von ihnen bekam, als er den Titel gewann, ist mir nie gekommen. »Das ist keine Entschuldigung. Du hättest jemand anders auswählen können. Du hättest jemand anders auswählen sollen. Warum musste ich es sein?«

Perseus legt seine Finger vor seinem Mund zusammen. »Weil du eine Kasios bist.«

Ich zucke zusammen. Ich habe nicht darum gebeten, in diese Familie hineingeboren zu werden. Ich habe nicht um die Konsequenzen gebeten, mit denen ich mein ganzes Leben verbracht habe. »Also werde ich dafür bestraft, dass das Blut unseres Vaters durch meine Adern fließt?«

»Spar dir das Theater, Helena.«

Ich hasse es, wie herablassend er gerade klingt. »Nein, verdammt noch mal. Du weißt nicht, wie es ist …«

Er steht langsam auf und schneidet mir das Wort ab. »Was genau weiß ich nicht? Wie es ist, im Namen der Dreizehn Opfer zu bringen? Wie es ist, um das Wohl der Allgemeinheit willen eine fremde Person zu heiraten?« Er schaut nicht zu Kallisto. »Ich verlange dir nichts ab, was ich mir nicht bereits selbst abverlangt habe.«

»Ich habe nicht um all das gebeten«, bringe ich schließlich hervor.

»Sei nicht kindisch. Du bist nichts Besonderes. Keiner von uns hat um all das hier gebeten.« Er wendet sich der Tür zu. »Dir war es schon immer bestimmt, eines Tages eine Zweckehe einzugehen, um unserer Familie Macht zu sichern. Das weißt du.«

Ehrlich gesagt ist es ein kleines Wunder, dass ich es bis jetzt vermeiden konnte. Mein Vater hatte vor, mich zu brechen, bevor er mich irgendjemand anders als Bauern anbieten würde. Das ist der einzige Grund dafür, dass man mir nicht bereits einen Ring an den Finger gesteckt und mich vor einen Altar gestoßen hat. Aber von Perseus hätte ich das nicht erwartet.

Wie dumm von mir.

Natürlich würde mein Bruder niemals zulassen, dass etwas so Unbedeutendes wie mein Glück seinen Zielen in die Quere kommt. Dafür hat ihn unser Vater zu gut unterrichtet. Er hat uns alle zu gut unterrichtet. Sogar Zeus, dessen kleinliche Grausamkeit unerträglich war, beschützte Olympus auf seine Weise. Niemand konnte Olympus vor ihm beschützen, doch wenigstens mussten wir uns mit ihm auf dem Thron keine Sorgen wegen irgendwelcher Feinde von außerhalb machen. »Aber …«

»Die Dreizehn sind zu gespalten, und nach all den Wechseln sorgt das für Unruhe. Ich werde sie alle gefügig machen, einen nach dem anderen, egal was dafür nötig ist. Du wirst deinen Teil dazu beitragen, indem du Ares so beeinflusst, dass er sich auf meine Seite stellt. Genau wie man es dir beigebracht hat.«

Das ist die Begleiterscheinung einer politischen Ehe. Sie hört nicht auf, politisch zu sein, sobald ich »Ja, ich will« sage. Ich werde auf einem Drahtseil zwischen meinem Ehepartner und meiner Familie balancieren, und die Götter wissen, dass meine Familie nicht perfekt sein mag, aber ihr gilt immer noch meine Loyalität. Egal wie sehr es mich quält, das zu tun, was nötig ist. Was bedeutet, dass mir nur eine einzige Antwort zur Verfügung steht. »Ich verstehe.«

»Gut.« Er dreht sich um und fixiert mich mit einem kalten Blick. »Du wirst morgen während der Eröffnungszeremonie anwesend sein, und du wirst in einem hübschen Kleid neben Athene sitzen und die Kandidaten zu herausragenden Leistungen anspornen. Sie müssen eine denkwürdige Vorstellung hinlegen, und ich brauche deine Hilfe, damit das gelingt. Das ist deine Pflicht, Helena. Du hast doch nicht den Preis vergessen, den wir für das Leben, das wir führen, zahlen müssen, oder?«

Scham erfüllt mich, und ich muss mich enorm zusammenreißen, um nicht in mich zusammenzusacken. Egal wie schrecklich es gewesen ist, als eins von Zeus’ Kindern aufzuwachsen, es bleibt die Tatsache bestehen, dass es mir in Bezug auf materielle Bedürfnisse nie an irgendetwas gemangelt hat. Ich besuchte die besten Schulen, trug die teuerste Kleidung, hatte ein Zuhause in der Oberstadt und bewegte mich in den Kreisen der Reichen und Mächtigen. Und das alles nur wegen der Familie, in die ich hineingeboren wurde.

Aber dafür muss ich einen Preis zahlen, wie mir mein Bruder gern ins Gedächtnis ruft.

In gewisser Weise hat Perseus recht. Er verlangt nichts von mir, wozu er nicht auch selbst bereit wäre. Immerhin heiratete er eine von Demeters Töchtern. So sehr ich mich auch beklage, sogar ich kann anerkennen, dass Bündnisse wertvoll sind, selbst wenn ich nicht komplett verstehe, warum es ausgerechnet Kallisto sein musste. Von uns allen ist ihm das entsetzliche Erbe, das wir in unserem Blut tragen – die Sünden, die unser Vater beging, während er Zeus war –, am stärksten bewusst. Perseus gibt sich bereits die größte Mühe, um sicherzustellen, dass er einen anderen Weg beschreitet. Er mag mir extrem auf die Nerven gehen, doch das kann ich an ihm respektieren.

Aber …

Ich will diese Verantwortung nicht. Ich habe mir das nicht ausgesucht.

Das spielt keine Rolle. Ich hebe mein Kinn an und blinzle, um das Brennen in meinen Augen loszuwerden. Ich bin eine Kasios, und eine Kasios weint nicht. »Ich werde meine Pflicht tun.« Was bleibt mir sonst übrig? Soll ich davonlaufen? Die Vorstellung ist lächerlich. Nur Poseidon kann eine Person aus Olympus herausbringen, und er wird mir auf gar keinen Fall helfen. Er kann mich nicht leiden, aber vor allem weiß er, wie wertvoll ich für diesen ganzen Plan bin. Würde er mir helfen, würde er Zeus, Aphrodite und den nächsten Ares gegen sich aufbringen, und das alles mit einer einzigen Tat. Vermutlich auch Demeter, auch wenn es dafür keine Garantie gibt. Poseidon ist zu vernünftig, um etwas so Leichtsinniges zu tun.

»Muss ich dir einen von Athenes Leuten zur Seite stellen?«

Ich richte mich auf. »Ganz sicher nicht.«

»Schön. Lass mich diese Entscheidung nicht bereuen.« Er nickt, und dann ist er fort und lässt mich mit Eris allein.

Eris stößt sich vom Schreibtisch ab. Sie trägt ein eng anliegendes, silbrig schimmerndes dunkelgraues Kleid und hat ihr langes Haar zu einer Reihe komplizierter Knoten frisiert. »Ich weiß, dass es nicht ideal ist, aber er hat recht. Ein neuer Ares bedeutet, dass wir den Dreizehn eine unbekannte Größe hinzufügen. Wie brauchen dich, damit du den Weg für ein neues Bündnis zwischen Zeus und Ares ebnen kannst.«

Ich liebe meine Schwester. Sehr. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass für sie genau wie für jeden anderen in meiner Familie Olympus an erster Stelle steht. Dann folgt sie selbst, und alle anderen kommen zuletzt. Die Familie mag wichtiger als der Großteil der Olympischen Bevölkerung sein, aber nicht nennenswert. Sie liebt mich. Aber sie würde niemals zulassen, dass ihre Gefühle für mich einer entscheidenden Handlung in die Quere kommen – und sie mag es, für Aufruhr zu sorgen, wann immer sich eine Gelegenheit dafür ergibt. »Ihr hättet jemand anders auswählen können. Jeden anderen.«

Sie zuckt mit den Schultern, und ein kleines Lächeln zupft an ihren Mundwinkeln. »Du wirst dich schon behaupten, Helena. Das tust du immer.«

Ich lege den Kopf in den Nacken und starre an die Decke. »Das war ein ziemlich zweifelhaftes Kompliment.« Meine Stimme klingt schrill und angespannt. Ich habe mich zu sehr unter Kontrolle, um wegen dieser Wende der Ereignisse einen Wutanfall zu bekommen, aber momentan würde ich nichts lieber tun, als meiner Schwester irgendetwas in ihr arrogantes Gesicht zu schleudern. »Ich bin gerade sehr wütend auf dich.«

»Du wirst drüber hinwegkommen. In dieser Stadt kämpft jeder gegen jeden, vor allem unter den Dreizehn. Das weißt du.«

»Tja, ich hätte euch ein wasserdichtes Bündnis zwischen Zeus und Ares gesichert, wenn ihr zugelassen hättet, dass ich die nächste Ares werde.«

Sie zuckt zusammen, als hätte ich sie überrascht. »Du willst mir doch nicht ernsthaft erzählen, dass du mit dem Gedanken gespielt hast, dich als Kandidatin zu bewerben? Ich dachte, dass du diesen albernen Traum bereits aufgegeben hättest, als wir noch Kinder waren.«

Dass mich meine Schwester nicht ernst nimmt, sollte nicht so sehr wehtun. Ich hätte gedacht, dass von allen in meiner Familie zumindest sie erkennen müsste, dass meine Ziele mehr als nur oberflächlich sind. Offensichtlich lag ich falsch. »Ich habe ihn nie aufgegeben.«

Sie schenkt mir ein verkniffenes Lächeln. »Schätzchen, ich weiß, dass du es gut meinst, aber schau dir die Bewerber doch an. Achill, Hektor, Atalante, diese beiden Fremden. Sie sind riesig und verströmen praktisch Gewaltbereitschaft. Von den anderen gut dreißig Bewerbern ganz zu schweigen. Du bist …« Sie zögert. »Du bist begabt, aber du bist keine Kriegerin, Helena. Du könntest diesen Wettkampf niemals gewinnen.«

Irgendwie ist das noch schlimmer als die Tatsache, dass sie meinen Ehrgeiz nicht ernst genommen hat. Sie denkt wirklich nicht, dass ich es schaffen könnte. Meine Brust droht, sich zu verkrampfen, und nur Jahre der Übung halten mich davon ab, zusammenzubrechen. »Ich hätte gewonnen.«

»Ich schätze, dass wir das niemals erfahren werden.« Eris presst die Lippen zusammen. Sie wirkt nun beinahe entschuldigend. So sah sie nicht aus, als sie mich in eine Ehe verkauft hat, ohne mich vorher zu fragen. »Es tut mir leid, Helena. Wirklich. Aber du weißt, wie das läuft. Olympus steht immer an erster Stelle. Und manchmal bedeutet das, dass man Opfer bringen muss.«

»Rede dir das nur weiter ein. Du bringst kein einziges verdammtes Opfer.« Ich bin so wütend, dass ich zittere. Die Versuchung, meiner Wut hier in diesem Raum, in dem wir unter uns sind, freien Lauf zu lassen, ist beinahe zu stark, um sie zu ignorieren. Ich habe mich seit vielen Jahren nicht mehr mit Eris geprügelt. Beim letzten Mal waren wir noch Teenager. Es würde sich so verdammt gut anfühlen, einen Teil des schrecklichen Gefühls in meinem Inneren einfach rauszulassen. Der Verrat liegt schwer auf meiner Zunge und droht, alles andere zu ersticken.

»Mach nicht so ein Gesicht. Davon bekommst du sonst noch Falten. Diese Sache wird funktionieren, Helena. Vertrau uns.« Sie dreht sich herum und stolziert aus dem Büro. Eris hat einen Streit schon immer gern unbeendet gelassen.

Es war so verdammt naiv von mir zu glauben, dass mich meine Geschwister anders behandeln würden, als mein Vater es beabsichtigte. Helena Kasios, die Prinzessin von Olympus, ist dazu bestimmt, jemanden zu heiraten, der ihrer Familie mehr Macht verschaffen wird – als bräuchten sie die. »Verdammt.« Ich zwinge mich dazu, meine verkrampften Finger von den Falten meines Kleids zu lösen. »Ich wollte diesen Titel so sehr.«

»Warum nimmst du nicht einfach trotzdem am Wettkampf teil?« Kallistos Stimme kommt aus den Schatten. Sie klingt tief und beinahe verführerisch.

Ich zucke zusammen und wirbele herum. Mein Herz rast. Ich hatte vollkommen vergessen, dass sie noch mit uns im Raum war. Sie löst sich aus den Schatten in der Nähe des Fensters, vor dem sie beinahe unsichtbar gestanden hat. In ihrem schwarzen Kleid und mit dem dunklen Haar sieht sie wie ein Geschöpf der Nacht aus, das zufällig in diesem Büro gelandet ist. Ich kann immer noch nicht glauben, dass mein Bruder sie geheiratet hat. Ich verstehe, dass er Demeter und ihre beträchtliche Macht sicher auf seiner Seite wissen will, aber Eurydike wäre doch bestimmt die bessere Wahl gewesen. Sie ist so viel süßer, und eine Ehe mit ihr hätte ein sehr viel weniger turbulentes Leben bedeutet.

Andererseits würde Olympus Eurydike bei lebendigem Leib verschlingen, wenn sie zur Hera würde.

»Ich kann es ohnehin nicht machen. So funktioniert das nicht.«

»Nicht?« Kallisto betrachtet ihre Fingernägel. »Ich bin eine Anhängerin des Prinzips, lieber um Vergebung statt um Erlaubnis zu bitten. Schließlich hat dein Bruder es genauso gemacht. Warum zahlst du es ihm nicht mit gleicher Münze heim?«

Ich starre sie an. »Du versuchst, für Ärger zu sorgen.«

»Olympus besteht aus Ärger.« Etwas Gefährliches schleicht sich in ihren Tonfall. Sie hat nicht ganz unrecht, aber das bedeutet nicht automatisch, dass sie recht hat. Ihre Mutter, Demeter, erhielt den Titel und brachte ihre Töchter vor etwas mehr als zehn Jahren mit ins Zentrum der Oberstadt. In dieser Zeit hat Kallisto ihre Verachtung für alles, was mit den Dreizehn zu tun hat, mehr als deutlich gemacht. Bevor sie meinen Bruder heiratete, ließ sie sich nicht auf Partys blicken. Sie spielte das Spiel nicht mit. Sie war immer bereit, vorzutreten und zu kämpfen, egal gegen welchen Gegner.

Nun, da sie offiziell zu Hera geworden ist, weiß ich nicht, was ich von ihr halten soll.

Ich verschränke die Arme vor der Brust und versuche, mein rasendes Herz zu beruhigen. Egal wie gefährlich sie wirkt, sie ist nur eine Frau, und ich spiele dieses Spiel schon sehr viel länger, als sie sich in der Stadt befindet. Ich lasse ein wenig falsche Fröhlichkeit in meinen Tonfall sickern. »Es ist wirklich süß, dass du versuchst, mich zu unterstützen, aber ich habe nicht vor, zu einem Bauern in dem Spiel zu werden, das du und mein Bruder am Laufen habt – wie auch immer es aussehen mag.«

Kallisto wirft mir einen langen Blick zu. Ihre grünbraunen Augen wirken regelrecht raubtierhaft. »Das hat nichts mit deinem Bruder zu tun.«