Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Im 17. Jahrhundert war es höchste Zeit, dass ein Genie auftauchte und Schneisen ins Dickicht des Unwissens schlug. Isaac Newton war dieses Genie. Und ein Arschloch. Science Buster Florian Freistetter zeigt, wie intrigant und hinterhältig Newton wirklich war und dass sein Hass auf Robert Hooke und Gottfried Wilhelm Leibniz keine Grenzen kannte. Gleichzeitig beweist er, dass Newton die Physik niemals revolutioniert hätte, wenn er nicht solch ein Kotzbrocken gewesen wäre. Wenn Genialität auf Streitsucht trifft – und dabei ein kosmisches Arschloch herauskommt, davon erzählt Freistetters Buch mit schonungslosem Humor.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 246
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Science Buster Florian Freistetter wirft einen völlig neuen Blick auf das Leben Isaac Newtons. In unterhaltsamen Anekdoten zeigt er, wie leidenschaftlich der Erfinder des Gravitationsgesetzes Zeitgenossen wie Hooke und Leibniz hasste – und dass Newton nicht nur genial, sondern auch intigrant, egoistisch und nachtragend war. Am Ende seiner schonungslosen Charakterstudie kommt er zu einem überraschenden Schluß: Newton hätte unser Bild vom Universum niemals auf den Kopf gestellt, wäre er nicht so ein Arschloch gewesen.
Hanser E-Book
Florian Freistetter
Newton – Wie ein Arschloch das Universum neu erfand
Carl Hanser Verlag
Einleitung
1 Um jeden Preis – Newton, der Kompromisslose
Sprechende Hunde und kotzende Salamander
Forschung ohne Rücksicht auf Verluste
Der Warden und der Fälscher
Bis aufs Blut
Lob der moderaten Rücksichtslosigkeit
2 Principia über alles – Newton, der Egoist
Looking for Längengrad
Newton pfeift auf die Himmelsuhr und den Anstand
Newton macht Druck
Schlimmer als Stromberg
Der schmale Grat zwischen Hartnäckigkeit und Hybris
3 Falsch bescheiden, leicht verletzt – Newton, die Mimose
Auf der Suche nach der Unendlichkeit
Newton baut ein Teleskop
Vorhang auf für Newtons Lieblingsfeind
Wie im Kindergarten
Gut kritisiert ist halb gewonnen
4 Gravitation ganz ohne Apfel – Newton, der Streitbare
Unsicheres Wissen über das Universum
Und er fiel doch
Der Komet Seiner Majestät
Hooke vs. Newton: again
Das gebrochene Schweigen
Eine kleine Theorie für ein großes Universum
Sucht den Disput!
5 Der stille Revolutionär – Newton, der Geheimniskrämer
Auf den Schultern von …
Die Erfindung einer neuen Sprache
Eine universale Kraft
Der Mann, der nicht verstanden werden wollte
Das wilde Leben der Gezeiten
Better transparent than sorry
6 Auf der Suche nach dem Stein der Weisen – Newton, der Esoteriker
Der letzte Magier
Weltuntergangsprophet und Alchemist
Dem Stein der Weisen auf der Spur
Naturwissenschaft ohne Gott
7 Rivalität über den Tod hinaus – Newton, der Intrigant
Wie beschreibt man Bewegung?
Newtons Differential- und Integralrechnung
Leibniz, der Plagiator?
Newton fährt schwere Geschütze auf
Die Krux, der Erste sein zu müssen
Schluss
Danksagung
Bücher und Quellen
Wichtige Daten aus Isaac Newtons Leben
Anmerkungen
Stichwortverzeichnis
Newton war in der Lage, erstaunliche mentale Fähigkeiten mit einer Leichtgläubigkeit und einem Wahn zu kombinieren, die selbst für einen Hasen eine Schande darstellen würden.
George Bernard Shaw
Isaac Newton kam am ersten Weihnachtstag des Jahres 1642 zur Welt. Beziehungsweise am 4. Januar des Jahres 1643. Je nachdem, welchen Kalender man verwendet, und dass es damals zwei verschiedene Kalender gab, zeigt schon deutlich, in welch wirre Zeiten der spätere Neuerfinder des Universums hineingeboren wurde.1 Es war höchste Zeit, dass ein Genie auftauchte und die Welt erklärte: Isaac Newton war dieses Genie. Und ein Arschloch.
Normalerweise kennt man Newton als denjenigen, der fast im Alleingang die moderne Naturwissenschaft begründete. Als den Forscher, auf dessen Arbeit auch heute noch so gut wie alle naturwissenschaftlichen Disziplinen zurückgreifen. Als den, der uns einen völlig neuen Blick auf das Universum geschenkt hat. Und das ist auch alles völlig korrekt. Und dennoch war Isaac Newton auch: ein Egoist und streitbarer Fiesling. Und das schreibe ich jetzt nicht, weil ich etwas gegen den Herrn hätte. Ganz im Gegenteil. Meine eigene Arbeit als Astronom wird von Newtons Arbeit dominiert. Ohne Newton wäre nichts von dem möglich gewesen, was ich im Zuge meiner astronomischen Forschungsarbeiten herausgefunden habe. Ich bewundere Newton wie fast keinen anderen Wissenschaftler der Vergangenheit. Obwohl er solch ein Ekelpaket war.
Und ein kleines bisschen bewundere ich ihn auch, weil er so gemein war. Klingt seltsam in Ihren Ohren? Und widersprüchlich? Zu tun hat es damit, dass es heute in der modernen Wissenschaftswelt primär darauf ankommt, den sozialen Regeln des forschungspolitischen Apparats zu folgen, sich opportun zu verhalten. Sonst macht man keine Karriere. Ein Newton scheint heute schlicht nicht mehr möglich. Jemand, der sich sein Leben lang mit Begeisterung Feinde macht – und dabei dennoch die Welt der Wissenschaft revolutioniert. Oder vielleicht doch? Kann ein Genie und Arschloch auch in der Gegenwart ein Vorbild für eine erfolgreiche Forscherkarriere sein?
Isaac Newton war der Typ mit der Gravitation und dem Apfel; so viel werden die meisten wahrscheinlich noch wissen. Aber seine Arbeit ging weit darüber hinaus. Es gab fast kein Thema, mit dem er sich nicht auseinandersetzte. Es lohnt sich also, sich mit Newtons Arbeit zu beschäftigen. Aber eben auch mit seinem faszinierenden Charakter: Er war seltsam, unfreundlich, kompromisslos, extrem von sich überzeugt, nachtragend, streitlustig, geheimnistuerisch, rücksichtslos, hinterhältig und ein religiöser Fanatiker, der den Weltuntergang vorhersagte. Und, das ist der spannendste Punkt: Wenn er all das nicht gewesen wäre, wäre er vermutlich auch nicht in der Lage gewesen, die Welt auf die Weise zu verändern, wie er es getan hat.
Newton ist ein Mensch aus einer anderen Zeit. Sein wissenschaftliches Werk aber hat bis in die Gegenwart überdauert und wird auch noch in der Zukunft Bestand haben. Die Welt der Natur lässt sich immer noch mit den Gesetzen beschreiben, die er damals aufgestellt hat. In diesem Buch, das keine umfassende Biografie sein will – um Newtons Leben und Werk so komplett zu verstehen, wie es uns knapp 300 Jahre nach seinem Tod möglich ist, müsste man ganze Bibliotheken schreiben, was fähige Menschen in der Vergangenheit auch getan haben (siehe dazu unter anderem die Literaturempfehlungen am Ende dieses Buches)2 –, werfe ich einen Blick auf die Art und Weise, wie Newton mit sich selbst und seinen Mitmenschen umgegangen ist. Mit all den Streitigkeiten, absurden Entscheidungen und absonderlichen Vorfällen, die in den üblichen Lehrbüchern der Physik keine Erwähnung finden.
Ein seltsamer und unangenehmer Zeitgenosse war Newton von Anfang an: »Was soll aus mir werden? Ich werde dem ein Ende machen. Ich kann nur weinen. Ich weiß nicht, was ich tun soll.« Diese deprimierenden Sätze schrieb er als Jugendlicher in sein Notizbuch. Nach einer nicht sonderlich glücklichen Kindheit sah er ein kaum glücklicheres Leben als Erwachsener vor sich. Sein Vater starb noch vor seiner Geburt, seine Mutter heiratete erneut, als Isaac drei Jahre alt war. Das Kind schien das junge Paar nur zu stören, und Isaac wurde zu seiner Großmutter abgeschoben. In der Schule war er deutlich klüger als seine Klassenkameraden, was seine Isolation noch verstärkte.
Eine Liste mit all seinen »Sünden«, die Newton später, als er 19 Jahre alt war, in sein Notizbuch schrieb, demonstriert sein Verhältnis zu seiner Familie und seinen Mitmenschen. Wenn Newton dort vermerkt, dass er »übellaunig gegenüber Mutter« war, haben wir noch Verständnis. Einträge wie »Kirschen von Eduard Storer gestohlen« oder »Dorothy Rose beschimpft« klingen ebenfalls nach Dingen, die Kinder eben tun; genauso wie vermutlich jeder Jugendliche irgendwann »Unreine Gedanken und Träume« hatte. »Am Sonntagabend Kuchen gebacken« oder »Eine Mausefalle am Sonntag gebaut« sind aus heutiger Sicht keine Verfehlungen mehr,3 wogen für Newton damals aber offensichtlich schwer. Aber manche Einträge lassen tiefer blicken: »Einigen den Tod gewünscht«. Oder: »Viele geschlagen«. Und spätestens bei »Meinem Stiefvater und meiner Mutter angedroht, sie und das Haus über ihnen zu verbrennen« wird klar, dass im Kopf von Isaac Newton Dinge abgelaufen sind, die in einer normalen Kindheit und Jugend nichts verloren haben.
Lieber als mit anderen Menschen beschäftigte sich Newton daher mit der ihn umgebenden dinglichen Welt. Er war fasziniert von Maschinen; baute Wassermühlen, beobachtete, wie das Licht durch kleine Löcher in der Wand seiner Dachkammer fiel und wie sich an den Lichtstrahlen der Lauf der Sonne ablesen ließ. Er konstruierte Sonnenuhren, die so genau waren, dass die Familie, bei der er während seiner Schulzeit wohnte, sie zur Zeitmessung benutzte. Als er 16 Jahre alt war, rief seine Mutter – mittlerweile erneut Witwe – Isaac wieder zurück nach Hause. Er sollte den landwirtschaftlichen Betrieb der Familie übernehmen. Etwas, das Isaacs Interessen komplett zuwiderlief.
Newton war ein schlechter Landwirt. Vielleicht wäre er besser gewesen, wenn er Interesse an dieser Arbeit gehabt hätte. Er war schon damals vor allem trotzig, egoistisch, kindisch – jemand, der keine Lust auf körperliche Ertüchtigung hatte, die ihn nicht interessierte und die er deswegen absichtlich schlecht machte. Aber zu seinem Glück und dem Glück der Wissenschaft konnten sein Onkel und Newtons ehemaliger Lehrer Isaacs Mutter davon überzeugen, ihn die Universität von Cambridge besuchen zu lassen.
Im Juni 1661 verließ Newton sein heimatliches Dorf Woolsthorpe in der Grafschaft Lincolshire und machte sich auf den Weg zur Universität. Dort begann er mit der Arbeit, die die damalige Welt erschüttern sollte und deren Auswirkungen heute immer noch spürbar sind. Dort begann aber ebenfalls die weitere Ausformung seines Charakters, sodass man im Rückblick nur sagen kann: Was für ein genialer Wissenschaftler. Und was für ein Arschloch.
Wissenschaftler gelten ja auch heute noch oft als eher seltsame Menschen. Sozial isoliert, schlecht angezogen, unfähig, über etwas anderes zu sprechen als ihre Arbeit, und allein auf die Forschung konzentriert. Sie haben kein Privatleben und sitzen nur im Labor. Und wenn das alles auch maßlos übertrieben ist: Auf Isaac Newton würde die Charakterisierung zutreffen. Er war nicht nur ein Nerd, er war der Nerd. Das ist ja eigentlich sympathisch – und die Nerdiness des 17. Jahrhunderts wird Ihnen auch in diesem Kapitel zunächst noch fast niedlich erscheinen. Doch dabei war Newton eben auch kompromisslos bis zum Äußersten. Wenn es darum ging, etwas über die Welt zu erfahren, kannte er keine Rücksicht auf seine eigene Befindlichkeit oder die anderer Menschen, keine sozialen Konventionen. Aus Wissensdurst resultierte eine Radikalität, bei der die Grenze zur Arschlochhaftigkeit nicht selten überschritten wurde.
Humphrey Newton, sein Assistent in Cambridge (und nicht verwandt), beschreibt Newtons Verhalten so: »Er hat sich keinerlei Erholung oder Freizeit gegönnt und war der Meinung, dass jede Zeit verschwendet war, die er nicht mit seinen Studien verbringen konnte. Er war so eifrig und so ernsthaft mit seinen Studien beschäftigt, dass er kaum aß und manchmal sogar völlig vergaß zu essen. Wenn ich ihn daran erinnerte, aß er ein oder zwei Bissen im Stehen, und ich habe ihn dazu nie am Tisch sitzen gesehen. Er ging selten vor 2 oder 3 Uhr ins Bett; manchmal erst um 5 oder 6 und schlief nur 4 bis 5 Stunden. Man sah ihn kaum bei den gemeinsamen Abendessen, außer bei offiziellen Anlässen, und auch da war er nachlässig gekleidet, mit abgenutzten Schuhen, unordentlichen Strümpfen und kaum gekämmten Haaren.«4
Und selbst wenn sich Newton mal die Zeit für einen kurzen Spaziergang nahm, konnte es passieren, dass er, von einem spontanen Gedanken überkommen, zurück in sein Studienzimmer raste, um dort an seinem Schreibtisch weiterarbeiten zu können. Im Stehen, wie Humphrey Newton erklärt – Isaac wollte sich offensichtlich nicht einmal die Zeit nehmen, sich hinzusetzen.
Es gibt leider keinerlei Aufzeichnungen oder Berichte von Studenten, die seine Vorlesungen besucht haben. Das liegt vielleicht auch daran, dass deren Zahl extrem überschaubar war. »Wenige kamen und noch weniger verstanden ihn«, schreibt Humphrey Newton. Newton schien das nicht zu stören, und wenn die Studenten seinen Vorlesungen fernblieben, dann sprach er eben zu den leeren Wänden des Hörsaals.
Sieht man von der Welt in seinem Kopf ab, schien Isaac Newton während seiner Zeit an der Universität Cambridge einzig an seinem Gemüsegarten interessiert gewesen zu sein. Dort ging er spazieren und jätete regelmäßig das Unkraut, welches er, wie Humphrey Newton berichtet, absolut nicht leiden konnte.
Wenig Schlaf, Essen im Stehen, Vorlesungen in leeren Räumen und eine Abneigung gegen Unkraut: Isaac Newton erfüllte schon früh alle Kriterien eines verwirrten Professors. Er war allerdings keine harmlose Witzfigur – denn wenn es darum ging, die Welt zu verstehen, kannte er kein Pardon.
»Frische Luft, fasten und wenig Wein« lautete sein Rezept für eine erfolgreiche Forscherkarriere das er in einem seiner Notizbücher aufschrieb. Aber auch: »Wer zu viel studiert, wird verrückt.« Vielleicht hätte er sich ein wenig besser an diesen Ratschlag halten sollen, denn wenn man sich seine Arbeitsweise ansieht, scheint es so, als hätte er die Grenze zur Verrücktheit weit überschritten.
Zum Beispiel, als er sich als junger Mann eine Nadel ins Auge rammte, um mehr über die Natur des Lichts herauszufinden. Eine komplett durchgeknallte Aktion, aber er wollte eben um jeden Preis Wissen erlangen. Wie gesagt: Newton kannte kein Pardon. Und er war definitiv kein Warmduscher.
Man darf auch nicht vergessen, in welcher Zeit Newton lebte. Im ausklingenden 17. Jahrhundert gab es eine »Naturwissenschaft« im heutigen Sinn nicht. Und so gut wie jeder Bereich der Natur war voller Rätsel und Fragen ohne Antwort. Nicht nur Newton war seltsam; der gesamte Wissenschaftsbetrieb erscheint uns von heute aus absurd. Dazu reicht ein Blick in die damalige Fachliteratur. Im März 1665 erschien die erste Ausgabe der »Philosophical Transactions of the Royal Society«, in der die Gelehrten der damaligen Zeit sich über ihre Forschung austauschten. Zusammen mit der drei Monate früher gegründeten französischen Zeitschrift »Journal des sçavans« sind die »Philosophical Transactions« die älteste wissenschaftliche Zeitschrift der Welt.
Auch wenn man fast ein wenig daran zweifeln könnte, wenn man die Artikel betrachtet, die dort publiziert wurden. Ein »Mr. Colepresse« berichtet zum Beispiel gleich in der ersten Ausgabe über »Einen seltsamen Vorfall bei zwei älteren Menschen«: Joseph Shute, 81 Jahre alt, und Maria Stert, 75 und neunfache Mutter, wuchsen trotz ihres hohen Alters noch einmal neue Zähne. Und dieser Vorfall wurde offensichtlich als ausreichend bemerkenswert erachtet, um in der neuen wissenschaftlichen Fachzeitschrift publiziert zu werden.
Das ist aber noch gar nichts im Vergleich zum »Auszug aus einem Brief, der vor nicht allzu langer Zeit in Rom geschrieben wurde, in dem Aussagen über Salamander, die im Feuer leben, korrigiert werden«.5 Ein nicht näher genannter »Gentleman« hatte einen Salamander aus Übersee ins Feuer geworfen, um zu sehen, was passiert. Das Tier begann, die Flammen auszukotzen, und setzte die Löscharbeiten mit dem eigenen Erbrochenen so lange fort, bis es zwei Stunden später wieder aus dem Feuer entfernt wurde; um »ihm weiteren Stress zu ersparen«, wie es im Bericht heißt. Der Wahrheitsgehalt dieser Geschichte darf bezweifelt werden; so wie viele andere der »Forschungsarbeiten« der damaligen Zeit. Man hielt einfach alles für berichtenswert, was auch nur irgendwie außergewöhnlich war. Ein Stein, der im Kopf einer Schlange gefunden wurde. Die Geburt eines Kalbes mit zwei Köpfen. Ein englischer Kaufmann, der in Syrien von einer Schlange gebissen wurde. Ein mysteriöser Fischregen, der über England niederging (aufgezeichnet von einem »ehrenwerten Gentleman«, der die seltsamen Fische vom Himmel eingesammelt und konserviert, aber leider dann verlegt hatte und deswegen nicht vorzeigen konnte).
Die ziellose und ungezügelte Neugier der damaligen Forscher erkennt man vielleicht am besten an einem Artikel, der in der vierten Ausgabe der »Philosophical Transactions« erschien. Dessen schöner Titel lautet »Ein Auszug aus einem Brief von M. De la Quintiny, verfasst vor einiger Zeit in Französisch an den Herausgeber und betreffend seine Art, Melonen anzuordnen; nun auf Englisch übermittelt zur Befriedigung der Neugier einiger Melonenzüchter in England«.6 Auf erstaunlichen vier Seiten wird hier darüber berichtet, wie man Melonen im Beet anordnet, ihre Blätter schneidet und wie sie zu behandeln und ernten sind; komplett mit entsprechenden Diagrammen.
Die Welt war also ein einziges großes Geheimnis, und die Menschen machten sich daran, es zu entschlüsseln. »Wissenschaftler« nannten sich diese damals nicht. Diejenigen, die sich wie Isaac Newton daranmachten, die Welt mit wissenschaftlichen Methoden zu verstehen, waren »Naturphilosophen«. Das, was sie taten, wies zwar tatsächlich Spuren von dem auf, was wir heute unter »Philosophie« verstehen, war am Ende aber doch das, was im Laufe der Zeit zur echten Naturwissenschaft wurde. Dazu musste man aber endlich beginnen, der Welt auf neue Weise auf den Grund zu gehen. Und dabei waren monströse Baby-Kühe, Melonen oder ins Feuer kotzende Salamander ebenso interessant wie das, was wir heutzutage als »echte Forschung« bezeichnen würden. Bedeutende Forscher wie Robert Hooke oder Robert Boyle berichten in den »Philosophical Transactions« auch über ihre Arbeit mit Vakuumpumpen, über astronomische Beobachtungen oder über neue optische Gerätschaften. Robert Boyle zum Beispiel legte damals die Grundlagen für die moderne Chemie und entwickelte das heute noch auf jeder Universität gelehrte »Boyle’sche Gesetz« (bzw. eigentlich das »Boyle-Mariotte-Gesetz«) über die Eigenschaften eines idealen Gases.7 Er fand aber auch nichts Seltsames darin, einen Artikel wie »Untersuchungen an einem monströsen Kopf« zu veröffentlichen, in dem er sich im Detail mit dem missgebildeten Schädel eines neugeborenen Fohlens beschäftigte. Gottfried Wilhelm Leibniz, einer der größten Gelehrten der damaligen Zeit (und einer von Newtons Erzfeinden, siehe Kapitel 7), ist heute noch zu Recht als genialer Mathematiker, bedeutender Philosoph und Computerpionier bekannt und wird als »letzter Universalgelehrter« bezeichnet. Aber er schrieb auch Artikel für das »Journal des sçavans« mit Berichten über »eine Ziege, die eine extrem ungewöhnliche Frisur hat«. Anscheinend lebte dieses Tier in Zwickau bei einem Herrn Winckel und hatte sich zunächst völlig normal, dann aber eine komische Frisur entwickelt, nachdem es einen Passanten getreten hatte und deswegen eingesperrt worden war. Leibniz, ganz kurioser Naturforscher, machte sich Gedanken, warum das so war, und spekulierte, dass womöglich die Trauer der Ziege über die Freiheitsberaubung für die Veränderung von Fell und Haaren verantwortlich gewesen war.
Einige Jahre später berichtete Leibniz von einem sprechenden Hund in der sachsen-anhaltinischen Stadt Zeitz. Ein Kind habe dem Hund ein paar Wörter beigebracht, zum Beispiel »Thé«, »Caffé« oder »Chocolat«.8 Leibniz’ Ansehen litt durch diese Berichte keineswegs, nach den Maßstäben des 17. Jahrhunderts war das alles vollkommen normal. Wenn man noch so gut wie gar nichts über die Welt weiß, stellen angeblich sprechende Hunde fast genauso gute Informationsquellen dar wie astronomische Beobachtungen. Und selbst die aus moderner Sicht »ernsthafte« Wissenschaft lief nicht so ab, wie wir es heute gewohnt sind. Als Robert Hooke (ein weiterer bedeutender Wissenschaftler, der später zu Newtons Feinden zählen würde, siehe Kapitel 3 und 4) begreifen wollte, wie das Atmungssystem funktionierte, schnappte er sich einen Hund, schnitt ihn bei lebendigem Leib auf und blies ihm mit einem Blasebalg Luft durch die Lungen. Das Tier überlebte (wenn auch leider nur kurz), und Hooke machte sich Gedanken, ob man vielleicht mehr herausfinden könnte, wenn man auch das Blut aus den Adern umleiten und mit frischer Luft in Kontakt bringen würde.
In dieser seltsamen Welt brennender Salamander war es schon eine Leistung, noch seltsamer und noch neugieriger zu sein. Isaac Newton gelang dies spielerisch. Denn es genügte ihm nicht, sich einfach auf das zu verlassen, was irgendwelche »ehrenwerten Gentlemen« berichteten. Er hatte kein Interesse an den scholastischen Traditionen der Universitäten, wo man immer noch die Texte der alten Griechen interpretierte. Er wollte keine Hypothesen, er wollte verlässliches und aus Experimenten gewonnenes Wissen. Er wollte die Dinge selbst und von Grund auf herausfinden. Das war ein echter Paradigmenwechsel, der auf Unverständnis stieß.
Als Schüler bereits füllte Newton sein Notizbuch mit Informationen und Fragen aller Art. Er kopierte Texte aus anderen Büchern, zum Beispiel Anleitungen zum Zeichnen von Landschaftsbildern, zum Schmelzen von Metall oder zum Einfangen von Vögeln (offensichtlich klappt es am besten, wenn man sie mit Wein betrunken macht). Licht und Farben fand er schon faszinierend, bevor er seine revolutionäre Forschung dazu durchführte, und er katalogisierte die verschiedenen Farbtöne, die ihm bekannt waren. Die Prioritäten waren dabei ein wenig seltsam verteilt. Während »Farben für Nacktbilder« und »Farben für tote Körper« extra erwähnt werden, findet man im Rest der Liste eher unmotivierte Aufzählungen wie »Grün, ein anderes Grün, ein helles Grün«. Aber gut, Isaac war noch ein Teenager – da waren Nackte und Leichen einfach interessanter.
In seinem Notizbuch findet sich auch eine Liste von »Dingen, die schmerzhaft für das Auge sind«. Staub, Feuer und »zu viele Tränen« sind noch nachvollziehbar; genauso wie »Knoblauch«, »Lauch« und »Zwiebeln«. Wieso Newton aber auch »warmen Wein« als schädlich für die Augen empfand, wird wohl ein Geheimnis bleiben. Vielleicht gab es damals in England nur grauenhaften Fusel zu trinken. »Sich mit einer Nadel ins Auge stechen« fehlt auf der Liste, aber genau das tat Newton ein paar Jahre später.
Nicht einfach nur aus Spaß an der Freude; so verrückt war Newton dann auch wieder nicht. Es ging ihm bei diesem Experiment um eine wichtige Frage: Wie funktionieren unsere Sinnesorgane? Auch darüber wusste man damals kaum etwas. Im antiken Griechenland waren Philosophen wie Euklid oder Ptolemäus der Ansicht, das Auge würde mysteriöse Strahlen aussenden, die die Dinge sichtbar machen. Aristoteles und seine Schüler dagegen waren der Meinung, die Dinge selbst würden Strahlen in unsere Augen schicken, um so gesehen werden zu können. Im 17. Jahrhundert war man noch nicht wesentlich klüger, und das störte Newton, der sich fragte: Wenn wir nicht wissen, wie unsere Sinnesorgane funktionieren, und es aber diese Sinnesorgane sind, die uns die Welt wahrnehmen lassen: Wie sollen wir dann verdammt noch mal die Welt verstehen?
Eine berechtigte Frage und vielleicht auch ein berechtigter Grund, um mit einer dicken Nadel im eigenen Auge herumzuwerken. Newton steckte sich das Ding zwischen Augapfel und Augenhöhle, sodass er mit der Spitze der Nadel von hinten auf das Auge drücken konnte. Dadurch konnte er die Form des Augapfels verändern und beobachten, wie sich das auf seine visuelle Wahrnehmung auswirkte. Er sah verschieden große und verschiedenfarbige Ringe, die sich veränderten, wenn er die Nadel bewegte – die aber wieder verschwanden, wenn er sie stillhielt, ganz so, als wäre Licht etwas, das durch Druck entsteht. Eine interessante Beobachtung, denn was genau Licht eigentlich ist, wusste man damals ebenso wenig, wie man die Funktionsweise des Auges kannte.
Die Nadel im Auge reichte Newton aber noch nicht. Wenn heutzutage eine Sonnenfinsternis stattfindet, kann man sich als Astronom dazu kaum mehr äußern, ohne mehrmals zu erwähnen, dass man auf keinen Fall mit ungeschützten Augen direkt in die Sonne blicken soll, weil das enorm gefährlich ist (was verlässlich dazu führt, dass alle Leute kurzfristig Sonnenfinsternisbrillen kaufen wollen, keine mehr bekommen – und dann erst recht irgendwelche potenziell gefährlichen anderen Methoden nutzen).9 Und was hat Newton gemacht? Natürlich genau das: einfach mal so lange mit freiem Auge in die Sonne gestarrt, wie er konnte; nur um zu sehen, was dabei passiert. Er überstand all diese Selbstversuche, ohne sein Augenlicht zu verlieren – aber war auch höchst fasziniert von den Effekten, die dabei entstanden. Wenn er nur lange genug die Sonne anstarrte, konnte er auch später noch Nachbilder und seltsame Farben sehen, die offensichtlich nicht real waren. Das waren interessante Forschungsergebnisse, aber ein klein wenig beunruhigt war Newton trotzdem: Er sperrte sich selbst in einen völlig dunklen Raum, blieb dort drei Tage lang und kam erst wieder heraus, als seine Augen wieder normal funktionierten.
Genauso wenig, wie er bei seinem Drang nach Wissen auf sich selbst und seine eigene Gesundheit Rücksicht nahm, kümmerte sich Newton um die Befindlichkeit anderer. Wenn andere anzuzweifeln wagten, was er selbst mühsam herausgefunden hatte, kannte er keine Gnade oder gar Verständnis. Das mussten viele seiner Zeitgenossen erfahren (ganz besonders sein Kollege Robert Hooke, siehe Kapitel 3 und 4).
Es ist ja auch irgendwie nachvollziehbar: Wenn man sich schon so viel Mühe gibt, ist man ein wenig empfindlich, wenn andere das nicht wertschätzen. Wer sich eine Nadel ins Auge steckt, kann sich schon ein wenig verarscht vorkommen, wenn man dafür nachträglich auch noch kritisiert wird. Besonders dann, wenn die Kritiker keine Ahnung haben, wovon sie reden. Und dass seine Kritiker keine Ahnung hatten, davon war Newton fest überzeugt. Ein wenig Verständnis vonseiten Newtons wäre aber trotzdem angebracht gewesen. Newtons Art, Wissenschaft zu betreiben, war für die meisten seiner Zeitgenossen außergewöhnlich. Ja, Newton ging die Sache anders an als die Gelehrten vor ihm. Aber er war nicht völlig aus der Zeit gefallen; er kannte die Welt der Universitäten und die Gepflogenheiten. Ihm muss bewusst gewesen sein, dass das akademische Streitgespräch über philosophische Ideen einen wichtigen Stellenwert hatte und dass seine Weigerung, sich daran zu beteiligen, auf Unverständnis stoßen musste.
Aber so verständnisvoll war Newton nicht. Er sah keinen Sinn darin, auf die Ansichten seiner Umgebung Rücksicht zu nehmen. Er konzentrierte sich auf seine Sicht der Welt und war beleidigt, dass niemand seinen neuen Zugang zu deren Erforschung verstehen wollte. Newton machte Experimente, um Hypothesen zu testen. Er tat also genau das, was die Naturwissenschaft aus heutiger Sicht immer und ganz selbstverständlich tut. Im 17. Jahrhundert mussten sich viele Forscher damit aber erst anfreunden.
Newtons Kompromisslosigkeit bei der Verfolgung seiner Ziele zeigt sich aber nicht nur zu Beginn seiner Karriere, sondern gerade am Ende. Er wurde immerhin 84 Jahre alt; nicht wenig für die damalige Zeit. Seine großen wissenschaftlichen Erkenntnisse machte er aber fast ausschließlich in den ersten dreißig Jahren seines Lebens. Während der letzten dreißig Jahre beschäftigte er sich mit einem ganz anderen Thema – und war dabei so tough wie nie zuvor.
Springen wir also vom jungen zum alten Newton. Viel hat sich geändert (und was Newton in der Zwischenzeit alles erlebt hat, ist Teil der folgenden Kapitel); viel aber auch nicht. Anstatt als unbekannter Wissenschaftler und einfaches Mitglied der Royal Society mit seinen Kollegen zu streiten, stritt sich Newton nun als berühmter Forscher und Präsident der Royal Society mit seinen Kollegen. Und er war immer noch kompromisslos wie in seinen jungen Jahren. Sogar kompromissloser. Denn im Alter lebte Newton gewissermaßen den heimlichen Traum eines jeden Nerds: Er verließ die Universität und begann, Verbrechen zu bekämpfen. Allerdings nicht als frühneuzeitlicher Superheld mit Umhang und übernatürlichen Kräften.10 Dafür aber mit einem beeindruckenden Titel: Warden of the Royal Mint.
Den Job als »Wächter der königlichen Münzprägeanstalt« hatte Newton seit 1696 inne. Bis dahin war er kaum aus seiner gewohnten Umgebung herausgekommen. Sein Leben hatte sich zwischen dem heimatlichen Kaff Woolsthorpe und der beschaulichen akademischen Ruhe des kaum 100 Kilometer entfernten Cambridge abgespielt. London besuchte er das erste Mal im Jahr 1668 und danach nur selten. Erst später sollte er regelmäßig in der Hauptstadt zu Besuch sein, vor allem in den Jahren 1689 und 1690, als er im Englischen Parlament saß. Über diese Anfänge von Newtons politischer Karriere ist wenig bekannt. Er hat keine mitreißenden Reden gehalten oder sich sonstwie hervorgetan. Die einzige überlieferte Aktivität war eine Beschwerde wegen kalter Zugluft …
Anscheinend hat es ihm in der großen Stadt aber doch gut gefallen. In den Jahren nach seiner Zeit im Parlament wurde das abgeschiedene Leben in Cambridge wohl zu langweilig, und er sah sich nach neuen Aufgaben in London um.11 Dort benötigte er aber einen passenden Job, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Zum Glück hatte Newton die passende Verwandtschaft. Seine Nichte, Catherine Barton, war damals mit Charles Montagu, dem Earl of Halifax und Schatzkanzler der Königin, liiert. Diese Beziehung nutzte Newton offenbar aus, um einen gut bezahlten Posten bei der königlichen Münzprägeanstalt zu bekommen.12
Wo andere sich nach Erlangen solch eines Verwaltungspostens vielleicht gemütlich zurückgelehnt hätten, um ihren Lebensabend auf Staatskosten in Ruhe und Wohlstand zu verbringen, zeigte Newton die gleiche brutale Starrköpfigkeit, die ihn auch schon während seiner wissenschaftlichen Karriere ausgezeichnet hatte. Das war auch nötig, denn auf ihn wartete nicht nur ein marodes Finanzsystem, sondern auch ein Gegner von einem ganz anderen Kaliber als die Gelehrten, mit denen er es bisher zu tun hatte.
Newton war während seiner Zeit als Verbrechensbekämpfer kein Superheld, sein Gegenspieler dafür aber auch weit davon entfernt, ein klassischer Superschurke zu sein. Hätte sich William Chaloner damals nicht gerade Isaac Newton als Gegner ausgesucht, würde sein Name heute vermutlich komplett vergessen sein. Sein genaues Geburtsdatum ist unbekannt, seine Herkunft nicht weiter bemerkenswert. In Birmingham wurde Chaloner als Schmied ausgebildet, und das noch nicht einmal richtig. Er erlernte dort nur das spezialisierte Handwerk des Nagelmachers; ein Beruf, der damals schon am Aussterben war. Ende des 17. Jahrhunderts wurden die ersten Maschinen bei der Produktion von Nägeln verwendet, und Nagelmacher wie Chaloner waren nur noch dürftig bezahlte Hilfsarbeiter. Kein Wunder, dass sich damals viele schlecht entlohnte Metallarbeiter von den Nägeln ab- und dem Falschgeld zuwandten. Wenn man schon den ganzen Tag mit kleinen Metallstückchen zu tun hat, kann man auch gleich Münzen machen, dachten sich die Birminghamer Schmiede und taten das mit solcher Begeisterung, dass die gefälschten Groschenstücke als »Birmingham Groats«13 bekannt wurden und zeitweise zahlreicher auf dem Markt verfügbar waren als die offiziellen Münzen.
Ob Chaloner damals schon sein erstes Falschgeld produzierte, ist nicht belegt, auf jeden Fall hatte er die handwerklichen Fähigkeiten dazu. Als er Birmingham verließ und sein Glück in London versuchte, setzte er sein Talent aber zuerst anderweitig ein. Die zeitgenössischen Quellen sind ein wenig vage, wenn es darum geht, das Produkt zu beschreiben, das Chaloner vertrieb: »The first part of his Ingenuity showed it self in making Tin Watches, with D-does &c in ‚em«. Was Chaloners Biograf Guzman Redivivus14 hier etwas verschämt »D-does &c« nennt, dürfte nichts anderes als ein Sexspielzeug gewesen sein. Chaloner stellte wohl eine Art Scherztaschenuhr mit eingebauten Dildos her. Very sophisticated.
Und auch sonst war seine frühe kriminelle Karriere illuster: Er schwatzte den Leuten pseudomedizinische Tinkturen auf und betätigte sich als Wahrsager. Besonders gut war er darin, den Menschen vorherzusagen, wo sie verlorene und gestohlene Dinge wiederfinden konnten. Das konnte er vermutlich deswegen so gut, weil er es war, der die Sachen überhaupt erst geklaut hatte. Nebenbei ließ er sich auch noch das Handwerk des Lackierers und Vergolders beibringen, was ihm bei seiner späteren Tätigkeit als Münzfälscher helfen sollte. Und Gelegenheit, mit dem Finanzwesen Unfug zu treiben, gab es gegen Ende des 17. Jahrhunderts in Großbritannien genug.
Die britische Währung war in einem ziemlich miesen Zustand. Die alten Silbermünzen waren schon längst nicht mehr das wert, was sie eigentlich wert sein sollten. Es war leicht, am Rand ein klein wenig abzuschaben und das so erhaltene Silber zu sammeln. Diese Praxis, die »clipping« genannt wurde, verringerte Gewicht und Wert der Münzen, und den »Clippern« blieb ein schöner Profit. Die Münzprägeanstalt versuchte das mit der Ausgabe neuer Münzen zu unterbinden, die auch am Rand geprägt waren, sodass der Missbrauch auffallen würde. Ein Problem blieb allerdings: Der Wert des reinen Silbers war auf dem europäischen Kontinent größer als der Nominalwert der Münzen in Großbritannien. Geschäftsleute horteten also die englischen Münzen, verschifften sie nach Paris oder Amsterdam, wo sie zu Silberbarren eingeschmolzen und mit Profit verkauft werden konnten.