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Die Hoffnung hat ein Problem. Gerade jetzt, wo wir sie am meisten brauchen, versagt sie. Immer mehr Menschen haben das Gefühl, dass die Zukunft nicht besser werden wird als die Gegenwart. Das beweisen neuste Umfragen ganz klar: Über die Hälfte aller Jugendlichen weltweit ist inzwischen davon überzeugt, dass die Menschheit dem Untergang geweiht ist. Die Gegenwart scheint ausweglos. Inklusive Klimawandel, sozialer Ungerechtigkeit, Faschismus und Krieg. Diese Entwicklung ist unerträglich, denn für ein selbstbestimmtes und gelungenes Leben, ist Hoffnung eine unabdingbare Notwendigkeit. Aber damit wir wieder Hoffnung haben können, müssen wir zuerst verstehen, was Hoffnung überhaupt bedeutet und warum es so einfach ist, absolut falsch zu hoffen.
Christiane Stenger und Stephan Phin Spielhoff machen sich deshalb auf die Suche nach der Hoffnung, nach ihrem Ursprung, ihrem Werdegang und wollen wissen, wie konnten wir darauf hoffen, dass alles gut wird, und dann wurde nichts gut?! Die Hoffnung braucht ein Revival, denn sie ist viel mehr als reines Wunschdenken - sie ist unser einziges Werkzeug, mit dem wir schon jetzt für eine bessere Zukunft sorgen können und zwar für uns alle.
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Seitenzahl: 356
Buch
Die Hoffnung hat ein Problem. Gerade jetzt, wo wir sie am meisten brauchen, versagt sie. Immer mehr Menschen haben das Gefühl, dass die Zukunft nicht besser werden wird als die Gegenwart. Das beweisen neuste Umfragen ganz klar: Über die Hälfte aller Jugendlichen weltweit ist inzwischen davon überzeugt, dass die Menschheit dem Untergang geweiht ist. Die Gegenwart scheint ausweglos. Inklusive Klimawandel, sozialer Ungerechtigkeit, Faschismus und Krieg. Diese Entwicklung ist unerträglich, denn für ein selbstbestimmtes und gelungenes Leben ist Hoffnung eine unabdingbare Notwendigkeit. Aber damit wir wieder Hoffnung haben können, müssen wir zuerst verstehen, was Hoffnung überhaupt bedeutet und warum es so einfach ist, absolut »falsch« zu hoffen.
Christiane Stenger und Stephan Phin Spielhoff machen sich deshalb auf die Suche nach der Hoffnung, nach ihrem Ursprung, ihrem Werdegang und wollen wissen, wie konnten wir darauf hoffen, dass alles gut wird, und dann wurde nichts gut?! Die Hoffnung braucht ein Revival, denn sie ist viel mehr als reines Wunschdenken – sie ist unser einziges Werkzeug, mit dem wir schon jetzt für eine bessere Zukunft sorgen können und zwar für uns alle.
Autor*innen
Christiane Stenger ist Politikwissenschaftlerin, Speakerin, Moderatorin. Als mehrfache Junioren-Gedächtnisweltmeisterin weiß sie, wie man Wissen sammelt, wie man es im Kopf behält und kreativ damit umgeht. Sie hat mehrere Bücher veröffentlicht, darunter den Bestseller Lassen Sie Ihr Hirn nicht unbeaufsichtigt! Zusammen mit Samira El Ouassil sprach sie im Podcast ›Sag niemals Nietzsche‹ über Philosophie.
Stephan Phin Spielhoff ist Autor, Podcaster und Texter und lebt in Berlin. Er hat einen Master in Philosophie von der Freien Universität Berlin. Sein Debütroman Der Himmel ist für Verräter erschien 2019.
Außerdem von Christiane Stenger im Programm
Warum fällt das Schaf vom Baum?
Lassen Sie Ihr Hirn nicht unbeaufsichtigt!
auch als E-Book erhältlich
Christiane Stenger Stephan Phin Spielhoff
Warum wir eine neue Definition von Hoffnung brauchen, um die Krisen der Zukunft zu meistern
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Originalausgabe November 2024
Copyright © 2024: Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München
Redaktion: Ilka Zänger
Umschlag: Uno Werbeagentur, München
Satz: satz-bau Leingärtner Nabburg
GS ∙ FP
ISBN 978-3-641-32002-7V001
www.goldmann-verlag.de
Für alle Menschen, die wir lieben.
vorwort: alles wird gut!?
1. wovon wir reden, wenn wir von hoffnung reden
2. der ist-zustand
feat. Klimawandel, Overshoot, Endling, Böden, Viehzucht, Antibiotika, Inflation, Krieg, Verlust
TEIL I: WOHERWIRKOMMEN
3. ein paar tausend jahre hoffnung – von hesiod bis kierkegaard
feat. Pandora, Hesiod, Friedrich Nietzsche, antike Philosophie, christliche Hoffnung, Ingolf Dalferth, Immanuel Kant, Arthur Schopenhauer, Søren Kierkegaard
4. utopia is calling – hoffnung im 20. jahrhundert
feat. Ernst Bloch, Das Prinzip Hoffnung, Utopie, Hannah Arendt
5. hoffnung und ihre gegner – die hoffnung im 21. jahrhundert
feat. Terry Eagleton, Corine Pelluchon, Byung-Chul Han, falsche Hoffnung
TEILII: WOWIRSIND
6. die anderen – warum faschismus eine gefahr für die hoffnung ist
feat. Erich Kästner, Rachel Maddow, Populismus, Donald Trump, Douglas Sirk, Hannah Arendt, Angst essen Seele auf
7. schwere hoffnung – warum faschisten keine hoffnung haben
feat. Róisín Murphy, Robert O. Paxton, Richard Rorty, Grausamkeit, Elaine Scarry, Stefan Zweig, Alice Hasters, Byung-Chul Han, Solidarität
8. trostloser konsum – warum wir alle einsam sind
feat. Einsamkeit, Tao Lin, Karl Marx, Das unsichtbare Komitee, Konsum, Byung-Chul Han, Rituale, Antoine de Saint-Exupéry, KI, Alain Badiou, Liebe, bell hooks, M. Scott Peck, Ada Limón
9. brillen und wie wir die welt sehen – warum unser gehirn ein problem mit der hoffnung hat
feat. Brillen, Zukunft, Erik Erikson, Tali Sharot, optimism bias, Ajit Varki, Martin Seligman, katastrophisches Denken, Status-quo-bias
10. the horror, the horror – warum es sich lohnt, die hoffnung zu verlieren
feat. Buffy, die Vampirjägerin, Rebecca Solnit, Doomer, Jonathan Franzen
11. hilfe, mainstream – warum normalität so gefährlich ist
feat. Die Truman Show, Slavoj Žižek, Friedrich Nietzsche, Wahrheit, Mariame Kaba, Abolitionismus, Gefängnisse, Tyler Austin Harper, Erich Fried, Ehe für alle, Lulu Miller
12. absichtlich die welt zerstören – warum wir uns die superreichen nicht mehr leisten können
feat. Fargo, Douglas Rushkoff, Superreiche, Bunker, Mark Zuckerberg, Jeff Bezos, der Große Gatsby, Exxon Mobile & Co, Recycling, Stephen Markley, Konsum, Bill Watterson
13. happy endzeit – warum wir den untergang lieben
feat. Tyler Austin Harper, Temporocentrism, Marvel, Zombies, Hans Joachim Schellnhuber, Will Steffen, Ozonloch, Waldsterben, Saurer Regen, Klimawandel, Hyperobjekt, Michael Hobbes, Paul Krugman, Naomi Klein, Everything Everywhere All At Once
14. lagerfeuer-feeling – wir erzählen die falschen geschichten
feat. Geschichten, Kendall Haven, confirmation bias, Brillen, Ausreden, Hedwig Richter, Bernd Ulrich, Medien
TEILIII: WOHINWIRGEHENKÖNNTEN
15. immer diese zeigefinger – warum hoffnung moralisch ist
feat. Ökodiktatur, Robert Habeck, Friedrich Merz, Richard Rorty, Grausamkeit, Verzicht, Till Raether
16. jetzt und wir – warum wir nicht genug tun
feat. Hans Joachim Schellnhuber, António Guterres, Christoph Nikendei, Verdrängung, Moral Licensing, Identität, Peter Kahn, Privilegien, Jetzt, Art Markman, Lobbyisten
17. wenn du das liest, bin ich tot … – was uns der kampf gegen aids heute beibringen kann
feat. Max Frisch, Revolutionen, Vincent Bevins, Sarah Schulman, Aids, Act Up, Ronald Reagan, Princess Di, Horst Seehofer, Peter Gauweiler, Vito Russo, David Bowie, James Baldwin, Melvin Dixon, Duane Kearns Puryear, AfD, Martha Stark
18. hoffnung zum selber machen – was wir alle jetzt für eine bessere zukunft tun können
feat. Joanna Macy, Chris Johnstone, Active Hope, Enno Bunger, Mindshift, Carol Dweck, Poesie, Joseph Fasano, Fantasie, Elisabeth Stern, Zusammenkommen, Korruption, Ingrid Robeyns, Limitarismus, Konsum
19. hoffnung ist ein tu-wort oder auch: there is no utopia, there is only work
anmerkungen
»The water has no nostalgia, no desire to witness anything but its own rise, its erasure of everything named.«
– K-Ming Chang
Der Keim für dieses Buch entstand, als wir beisammensaßen und Negronis tranken. Draußen schneite es und die Kerzen auf dem Esstisch waren halb heruntergebrannt. Es war kurz vor Silvester, und wir wussten nicht, dass nächstes Jahr eine Pandemie ausbrechen würde und zwei Jahre später wieder ein Krieg in Europa. Und trotzdem war uns mulmig. Die Gegenwart schien bereits aussichtslos und die Zukunft bedrohlich. Wir waren hin- und hergerissen zwischen den immer düsterer werdenden Schlagzeilen über die Art, wie wir unsere Umwelt zerstören, und dem Gefühl, dass wir trotzdem einfach so weitermachen wie bisher. Wir erinnerten uns an den Anfang des Films La Haine[1], der mit der Anekdote über einen Mann beginnt, der aus einem Hochhaus stürzt und sich bei jeder Etage denkt: »Jusqu’ici tout va bien« – so weit, so gut. Wir wollten diesem Gefühl einer stillen Panik etwas entgegensetzen und uns auf die Suche nach der Hoffnung machen, die wir für ein wirksames Gegenmittel hielten. Also fingen wir an, jede Woche einen Podcast aufzunehmen, in dem wir miteinander darüber sprachen, was uns Hoffnung macht. Und es dauerte nur ein paar Folgen, bis wir merkten, mit der Hoffnung stimmt etwas ganz und gar nicht – die Medizin fing nicht an zu wirken. Denn gerade jetzt, wo wir sie am meisten brauchen, steckt die Hoffnung in einer fundamentalen Krise. Dafür müssen wir nur gewöhnliche Tatsachen betrachten: Während sich das Klima immer weiter aufheizt, wachsen die Müllberge in den Himmel, und die Weltmeere verschlingen die Küstengebiete. In unseren Lungen finden die Wissenschaftlerinnen Mikroplastik. Nirgendwo auf der Welt ist es sicher, Regenwasser zu trinken. Die Lebenshaltungskosten steigen in letzter Zeit rapide an. Und wir sollten immer daran denken, faschistische Kräfte gewinnen weltweit wieder an Einfluss und Macht. Natürlich geht noch viel mehr schief. Simultan, global, kontinuierlich. Anzeichen der Hoffnungs-Krise lassen sich überall ausmachen. So gaben in einer weltweiten Studie unter 10 000 jungen Menschen 56 % der Befragten an, dass die Menschheit nicht mehr zu retten sei![2] Es lohnt sich, diesen Datenpunkt noch einmal klar und deutlich auszusprechen: Über die Hälfte dieser jungen Menschen glaubt nicht mehr daran, dass sich die Menschheit noch retten lässt!
Kein Wunder also, dass ein Denker wie Slavoj Žižek bereits einen Abgesang auf die Hoffnung angestimmt hat. Für ihn ist es »echte Courage«, wenn wir uns endlich eingestehen, dass das Licht am Ende des Tunnels eben momentan meistens keine Hoffnung ist, sondern viel mehr »der Scheinwerfer eines Zuges […], der uns entgegenkommt.«[3]
Žižek verlangt von uns, dass wir unsere Hoffnung aufgeben. Denn nur dadurch können wir einen Nullpunkt der Hoffnungslosigkeit erreichen, von dem aus sich die Dinge wirklich ändern lassen. Ganz ähnliche Überlegungen hat sich der Schriftsteller Jonathan Franzen gemacht, der, mit Blick auf den Klimawandel, ganz nüchtern fragt: »Was wäre, wenn wir uns nichts mehr vormachen würden?« Er schreibt:
»Wenn dir unser Planet und die Menschen und Tiere, die auf ihm leben, am Herzen liegen, gibt es zwei Möglichkeiten darüber nachzudenken, was jetzt passiert. Du kannst weiterhin hoffen, dass die Katastrophe vermeidbar ist, und wirst immer frustrierter und wütender über die Untätigkeit der Welt. Oder du kannst akzeptieren, dass die Katastrophe kommt, und anfangen, neu zu überdenken, was es bedeutet, Hoffnung zu haben.«[4]
Wir haben uns in eine scheinbar ausweglose Gegenwart manövriert und tun immer noch so, als könnten wir weitermachen wie bisher. Die Annahme, es wird schon nicht so schlimm werden, macht es uns geradezu unmöglich, unser Leben zu ändern. Und offensichtlich ist der politische Wille nicht stark genug, um die notwendigen Veränderungen auf den Weg zu bringen. Wir können uns ja noch nicht einmal auf ein Tempolimit einigen, da wird es mit der Weltrettung schwierig. Ist es also möglich? Können wir die Hoffnung, so wie sie ist, nicht mehr gebrauchen?
Um diese Frage zu beantworten, ist dieses Buch in drei Teile aufgeteilt. Im ersten Teil geht es darum, was Hoffnung ist. Dafür machen wir einen wilden Ritt durch knapp 3000 Jahre Philosophiegeschichte.
Im zweiten Teil bringen wir in Erfahrung, warum es uns so schwerfällt, strukturell, gesellschaftlich und emotional auf die Herausforderungen angemessen zu reagieren. Wir machen uns Sorgen um die gesellschaftlichen Verwerfungen, mit denen wir konfrontiert sind, und stellen immer wieder fest, wie seltsam und gefährlich die Dinge wirklich sind, die wir als normal ansehen.
Im letzten Teil erkunden wir dann explizit den Raum des Machbaren und versuchen, echte Ideen und Lösungen zu finden, die uns helfen können, die großen Probleme, die wir haben, gemeinsam zu meistern.
Wir haben mehr als zwei Jahre lang jede Woche über die Hoffnung geredet und noch einmal zwei Jahre an diesem Buch gearbeitet. Wir sind keine Journalistinnen, Wissenschaftler, Politikerinnen oder Aktivisten, sondern einfach nur zwei Menschen, die sich auf den Weg gemacht haben, die Hoffnung zu finden. Dieses Buch ist das Ergebnis dieser Reise. Ein Versuch des Verstehens, der Neuentdeckung und immer wieder das Wagnis, über die Beschränkungen der Gegenwart hinaus zu denken.
*Weil wir euch alle mit meinen wollen, wechseln wir in diesem Buch zwischen verschiedenen Geschlechtsformen. Viel Freude beim Lesen.
»Du kannst die Hoffnung nicht einfach verlieren, nur weil es hoffnungslos ist. Du musst noch viel mehr hoffen und dir deine Ohren zuhalten und bla bla bla bla rufen.«
– Futurama
Wir haben lange darüber diskutiert, wie wir dieses Buch über die Hoffnung starten, und sind ultimativ zu der Überzeugung gekommen, dass wir unsere Definition der Hoffnung gleich am Anfang vollkommen transparent erklären. Keine Tricks, keine Nebelkerzen, keine vagen Worte. Wenn wir sagen, dass wir tatsächlich davon ausgehen, dass die Hoffnung ein Problem hat, bedeutet das auch, dass wir konkret darüber reden müssen, was wir meinen, wenn wir von der Hoffnung reden. Natürlich werden wir diese Definition in den einzelnen Kapiteln noch viel genauer kennenlernen, weiter bestimmen und praktisch anwenden, aber der Start unserer Reise soll ein gutes Fundament haben. Und darum sagen wir:
Hoffnung ist unser menschliches Vermögen, uns eine Zukunft vorzustellen, die besser ist als die Gegenwart, und das Erkennen, dass wir diese Zukunft gestalten können.
Wir wollen diesen Satz genauer betrachten und auseinandernehmen, weil sich ein paar wichtige Implikationen sozusagen zwischen den Worten verstecken. Eindeutig ist, dass sich Hoffnung auf die Zukunft bezieht und eine klare Aussage trifft: Die Dinge können besser sein. Für uns ist dies der fundamentale Charakter der Hoffnung, und er muss deshalb betont werden, weil hin und wieder versucht wird, genau diese Eigenschaft herauszurechnen. Es wäre vieles leichter mit der Hoffnung, wenn sie das Versprechen einer besseren Zukunft nicht machen würde. Denn dann könnte sie auch nicht enttäuscht werden. Aber es ist eben genau dieses Versprechen – die Zukunft wird besser sein, als es jetzt ist –, das die Hoffnung zur Hoffnung macht. Es aufzugeben, nur um nicht Gefahr zu laufen, im Erleben von Enttäuschungen die Hoffnung zu verlieren, ist genau das: die Hoffnung aufgeben.
Wenn wir von einem Vermögen reden, meinen wir damit, dass Hoffnung kein Gefühl ist, sondern eine Fähigkeit, ein Können, eben das Vermögen, uns eine bessere Zukunft vorstellen zu können. (Wie wunderbar, dass es auch gleich impliziert, welch Reichtum auf uns wartet, wenn wir es mit der Hoffnung richtig machen.) Dies zeigt schon, wie aktiv der Charakter der Hoffnung ist, was auch im zweiten Teil der Definition eindeutig wird. Denn Hoffnung ist nicht einfach nur die Vorstellung einer besseren Zukunft, sondern ihre aktive Herbeiführung. Hoffnung ist etwas, das wir tun müssen, um es zu haben. Hoffnung hat in diesem Sinne einen performativen Charakter, weil allein dadurch, dass wir sie haben, motiviert sie uns, etwas in der Welt zu bewegen, weil wir erkennen, dass wir die Welt verändern können. Hoffnung bedeutet, wir wollen, dass die Zukunft besser wird als die Gegenwart, und wir sind bereit, etwas dafür zu tun, dass unsere Hoffnung real wird. Auch dieser Sachverhalt wird immer wieder zur Sprache kommen, weil die Annahme, dass Hoffnung etwas ist, das uns passiv werden lässt, durchaus verbreitet ist. Ganz so, als könnten wir auch nichts tun, um eine bessere Zukunft zu erreichen. Der gesunde Menschenverstand sollte uns da bereits sagen, dass Hoffnung so nicht funktionieren kann.
Das Wort besser leistet in unserer Definition viel mehr, als man auf den ersten Blick annehmen könnte. Denn es deutet gleichzeitig auf eine solidarische und eine moralische Komponente der Hoffnung hin, die oft vergessen wird. Denn Hoffnung lässt sich nicht alleine haben. Wir können nicht privat auf etwas hoffen, das nur für uns etwas Gutes bedeutet. Denn ansonsten kann die Situation eintreten – und wir sprechen in dem Kapitel »Schwere Hoffnung« genauer darüber –, dass das, was ich als etwas Gutes für mich definiere, für viele andere negative, ja sogar fatale Konsequenzen hat. Auch so funktioniert es mit der besseren Zukunft nicht. Aber Moment, lässt sich sofort einwerfen, kann ich denn nicht sagen: Ich hoffe, ich gewinne eine Million in der Lotterie?! Und ja, sagen lässt sich das durchaus. Eine Menge Dinge lassen sich sagen. Auf dem Mond leben Einhörner. Glühbirnen sind ein gutes Gewürz. Sieben ist größer als eintausend. Es lassen sich viele Dinge sagen, die so gar nicht sind. Und das gilt besonders für den Sprachgebrauch in Bezug auf die Hoffnung. Da, wo wir nämlich sehr häufig Hoffnung sagen, handelt es sich meistens um etwas ganz anderes. Im Falle von unserem theoretischen Millionär ist es ganz einfach ein Wunsch und keine Hoffnung. Denn Hoffnung können wir alle nur zusammen haben.
Wir haben über diesen Aspekt der Hoffnung schon häufig im Freundeskreis gesprochen und bekamen immer wieder eine ganz bestimmte Frage gestellt: Aber was ist, wenn jemand, den ich liebe, schwer krank wird, kann ich dann nicht darauf hoffen, dass dieser Mensch wieder gesund wird? Wollt ihr mir genau in dem Moment, wo ich Hoffnung brauche, die Hoffnung rauben?
Aber es ist genau dieser Augenblick, in dem der Charakter der Hoffnung deutlich wird. Denn wenn ein Mensch, den wir lieben, schwer krank ist, sind wir niemals allein in der Hoffnung, dass alles wieder gut wird. Hofft der oder die Kranke nicht auch? Wie viele Freundinnen und Familienmitglieder hoffen mit uns? Wie viele Nachbarn bieten uns Hilfe in der Not an? Wie viele Kolleginnen hören uns zu, sind für uns da und stehen uns in diesen harten Zeiten bei? Woran uns die Hoffnung eben erinnert, ist die Tatsache, dass wir viel weniger allein sind, als wir denken. In diesem Zusammenhang bringt es nichts, anzufangen zu rechnen, wie viele wir denn sein müssen, bis Hoffnung endlich Hoffnung ist. Hoffnung ist keine Arithmetik, sondern unser Vermögen, uns eine Zukunft vorzustellen, die besser ist als die Gegenwart, und das Erkennen, dass wir diese Zukunft gestalten können. Manche fangen an, den Weg zu gehen, andere kommen mit, vielleicht bleiben ein paar stehen, biegen ab, andere schließen sich an, aber wir sind immer gemeinsam unterwegs. Das ist auch der Grund, warum wir in diesem Buch das Wir als Erzählperspektive gewählt haben. Weil nur wenn wir diese Hoffnung gemeinsam tun, gibt es Hoffnung. Nur als solidarische Haltung, dass es uns allen besser gehen muss, macht Hoffnung einen Sinn. Natürlich können wir von der Hoffnung nicht verlangen, dass sie ad hoc alles für jeden besser machen muss. Aber wir können durch den moralischen Ansatz unserer Hoffnung die Weichen des Weltgeschehens so stellen, dass wir die verschiedenen Perspektiven von uns allen im Blick haben, dass es uns nicht darum geht, dass es einigen von uns in Zukunft besser geht, sondern uns allen. Dieser universelle Anspruch der Hoffnung bedeutet aber wiederum nicht, dass wir alle die gleiche Hoffnung teilen. Eine globale Giga-Hoffnung, über die wir uns alle einig sind. Es bedeutet, dass die Hoffnung, die wir besitzen, auch über uns hinausgehen muss. Wir teilen sie nicht mit allen, aber wir hoffen für alle mit.
Nicht zuletzt, und diese Anmerkung muss uns an dieser Stelle erlaubt sein, müssen wir uns immer daran erinnern, dass Hoffnung möglich ist. Wir sagen das, weil in den Seiten dieses Buches viel Verzweiflung und Wut stecken, und uns ist klar, dass hin und wieder durchaus der Eindruck entstehen könnte, als ob die Situation am Ende hoffnungslos ist. Gewiss, die Probleme sind riesig und zu oft unerträglich. Und die Lösungen scheinen fern und kaum umsetzbar. Aber es gibt Lösungen. Es gibt Menschen, die sich jeden Tag dafür starkmachen, dass die Zukunft tatsächlich besser wird. Wir haben Ideen, Möglichkeiten und Fantasie, alles wichtige Bestandteile einer Zukunft, die mehr zu bieten hat, als wir es uns jetzt vorstellen können. Bestimmt, unsere Herzen werden immer wieder brechen, wir werden in Kissen schreien und den Glauben an unsere Mitmenschen verlieren. Und dann machen wir weiter. Noch einen Tag, noch eine Chance. Wir sind so viele. Wir haben so viele Werkzeuge. Sollte uns der Mut verlassen, können wir uns, wie so oft, sicher sein: Jemand anderes hat für uns mit Mut, jemand trägt uns ein Stück des Weges, schreibt uns eine Nachricht, ob wir klarkommen, und ist für uns da, wenn wir nicht weiterwissen. Und oft sind wir auch diese Person für andere. Und wenn wir das alles zusammenrechnen, wie Mathematikerinnen einer guten Welt, dann, ja dann können wir auch Hoffnung haben.
»I don’t have to tell you things are bad. Everybody knows things are bad.«
– Network
Wohin wir auch schauen, der Horizont verdüstert sich. Nächstes Jahr wird es ein bisschen wärmer sein als dieses Jahr. Es wird weltweit ein bisschen weniger Trinkwasser geben, weniger Böden, die wir bestellen können, mehr Tierarten werden ausgestorben sein, mehr Plastik wird in den Ozeanen schwimmen und sich in unseren Organen ansammeln, mehr Menschen werden auf der Flucht sein, die Preise werden weiter steigen, in immer mehr Ländern wird die Demokratie unter Beschuss kommen. Und, und, und. Und im Jahr darauf wird all das noch schlimmer, und das Jahr danach …
Die Geschichten, die wir in diesem Buch über die Hoffnung erzählen werden, haben viel mit einem Raubbau zu tun, metaphorisch und tatsächlich, der so sehr nicht nur die Substanz unseres Heimatplaneten angreift, zerstört und aufbraucht, sondern auch unsere Menschlichkeit. Wenn ein Teil der Hoffnung unser Vermögen ist, dass wir uns eine Zukunft vorstellen können, die besser ist als die Gegenwart, gerät dieses Vermögen immer mehr an seine Grenzen, weil die Zukunft ganz einfach nicht besser sein wird als die Gegenwart. Zumindest dann, wenn wir die Maßstäbe eines guten Lebens anlegen, die wir momentan nutzen. Und diese Maßstäbe eines guten Lebens sind ja genau der Ursprung dieser Dynamik der ständigen Verschlechterung. Weil das, was wir Wohlstand nennen, so sehr an die Idee gebunden ist, dass wir immer mehr, immer schneller und vor allem andauernd die Volkswirtschaft wachsen lassen müssen. Weil der Bewertungsmechanismus, den wir nutzen, um unseren Wohlstand zu messen, Konsum ist. Unserer Volkswirtschaft geht es gut, wenn das Bruttoinlandsprodukt steigt. Und weil es jedes Jahr steigen muss, müssen wir jedes Jahr nicht nur mehr produzieren, sondern auch mehr konsumieren. Und das ist fatal. Dieses Wachstum war früher mit einem Versprechen von Wohlstand und Fortschritt verbunden, kommt heutzutage aber eher daher wie die Kleine Fabel[1] von Franz Kafka, in der eine Maus bemerkt, dass sich die Mauern um sie herum schließen und die Falle schon auf sie wartet, nur um dann von einer Katze gesagt zu bekommen, dass sie ganz einfach die Richtung wechseln muss, bevor die Katze die Maus frisst. Diese Fabel ergießt sich heute in ein Wort: Overshoot. Ein Begriff für den simplen Sachverhalt, dass die Menschheit der Erde jedes Jahr mehr Ressourcen und Energie entnimmt, als unser Heimatplanet produzieren kann. Bäume wachsen nicht schnell genug nach, Öl braucht sich auf, es gibt immer weniger Trinkwasser, Böden sind ausgelaugt, Wüsten, in denen nichts mehr wächst, breiten sich aus. Jedes Jahr stehen wir mehr und mehr in der Kreide. Denn jedes Jahr rückt dieser Tag des Overshoots nach vorn. 2024 war dieser Tag der 1. August. Ab dem 1. August lebten wir also auf Kredit, wenn man so will. So komplex und vielschichtig die Gefahren sind, die in der Zukunft lauern, so direkt lässt sich immer wieder feststellen, dass unser Konsum und die Art, wie wir die Produkte für diesen Konsum herstellen, die Ursache für unsere missliche Lage sind.
Es ist sinnvoll, eine Bestandsanalyse des Ist-Zustands zu machen. Eine Art Polaroid von dem Moment, in dem wir in dieses Buch starten. Unvollständig und unscharf, aber dennoch ein handfester Beweis für den Ernst der Lage. Ein kleines Who is Who von Tatsachen, die in Zukunft schlimmer werden. Ja, geradezu Dinge, an die wir vor dem Schlafengehen nicht denken sollten, wenn wir nicht die ganze Nacht wach liegen wollen, während sich immer wieder die quälende Frage stellt: Wie sollen wir da nur wieder heil rauskommen?
Dass die Dinge schlimm sind, ist kein Geheimnis. Unseren ersten Oho-hier-stimmt-etwas-nicht-Moment hatten wir 2017, als wir einen Text von David Wallace-Wells gelesen haben, der im New York Magazine erschien. Das Ziel von Wallace-Wells war komplex und einfach zugleich, er wollte das, was die Wissenschaftlerinnen in ihren Studien über die Effekte des Klimawandels berichten, in eine Sprache übersetzen, die leicht zu verstehen ist, weil dieses wissenschaftliche, vorsichtige und datenfixierte Vokabular ganz einfach nicht in der Lage ist, den Leuten die Gefahr, in der die Menschheit sich befindet, eindeutig zu vermitteln. Und genau das war sein erklärtes Ziel: klar und für alle unmissverständlich zu benennen, was Sache ist. Wallace-Wells ist in vielerlei Hinsicht ein Vorbild für das Unterfangen, das wir gestartet haben. Weil er in seinem Text immer wieder zeigt, dass wir über unsere Zukunft reden müssen, sonst wird es nämlich mit unserer Zukunft nichts. Dabei verfolgen uns ein paar Zeilen aus seinem Werk bis heute:
»Viele Leute reden immer noch so, als hätten Miami und Bangladesch noch eine Überlebenschance; die meisten Wissenschaftlerinnen, mit denen ich gesprochen habe, gehen davon aus, dass wir sie innerhalb dieses Jahrhunderts verlieren werden, selbst wenn wir im nächsten Jahrzehnt aufhören, fossile Brennstoffe zu verbrennen.«[2]
Egal, was wir jetzt unternehmen, es wird schlimmer. Die Erde wird sich erwärmen. Diese Erwärmung wollten wir eigentlich auf 1,5 Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit beschränken, aber wir werden sie nicht auf 1,5 Grad beschränken. Selbst wenn wir morgen komplett aufhören würden, Treibhausgase auszustoßen, würde die Temperatur weiter steigen, weil die Treibhausgase, die wir bereits in die Atmosphäre geblasen haben, zeitversetzt ihre Wirkung entfalten. Städte, Regionen und Länder, in denen momentan noch Menschen leben, werden unbewohnbar werden. Weil die Temperaturen dort tödlich sein werden. Weil der Meeresspiegel steigt. Weil das Grundwasser versiegt. Und diese Entwicklungen werden Jahr für Jahr extremer, während sie sich immer weiter beschleunigen. Einer der Wissenschaftler, James Renwick, der auch an den Berichten des ICPP, des Weltklimarats, mitarbeitet, warnt uns mit eindeutigen Worten vor den Folgen des Klimawandels:
»Es ist die größte Bedrohung für die Menschheit und hat das Potenzial, unser soziales Gefüge und unsere Lebensweise zu zerstören. Der Klimawandel hat das Potenzial, Millionen, wenn nicht Milliarden von Menschen zu töten, durch Hunger, Kriege um Ressourcen, Vertreibung. Keiner von uns wird von der Verwüstung verschont bleiben.«[3]
Diese Fakten sind zentral, wenn wir uns heutzutage mit der Hoffnung auseinandersetzen. Die Bedeutung der an sich so nüchternen Daten ist gewaltig. Und dennoch, obwohl unsere grauenhafte Zukunft immer ungeduldiger auf uns wartet, leben wir weiter, als wären unsere Probleme handhabbar, als könnten wir sie mit ein paar smarten Kniffen lösen, und in unserer ganzen Überforderung verbieten wir Plastikstrohhalme. Wir beruhigen uns mit einer Allmachtsfantasie, die uns sagt: Es wird schon nicht so schlimm werden, und deshalb können wir weitermachen wie bisher. Immerhin, so verspricht uns die Politik, haben wir fest vor, dass Deutschland bis 2045 klimaneutral werden wird. Die 27 Mitgliedstaaten der EU wollen dies zusammen bis 2050 schaffen – versprochen.
2050 wird es in Deutschland bereits 1,9–2,3 Grad wärmer sein als zur vorindustriellen Zeit.[4] Egal, was wir jetzt tun. Brandenburg wird 2050 eine Steppe sein.[5] Berlin wird dann so warm sein, wie es Toulouse jetzt bereits ist. Was vielleicht ein bisschen so klingt wie Ferien-Feeling, ist katastrophal für eine Stadt, die noch nicht einmal damit begonnen hat, sich auf diese neuen Hitzerekorde vorzubereiten – durch Renaturierung, Begrünung oder die umfassende Installation von Klimaanlagen in Seniorenheimen –, sondern stattdessen lieber eine sogenannte Stadtautobahn weiterbaut, um noch mehr Flächen zu versiegeln und noch mehr Autos in die Innenstadt zu manövrieren.
In einer Studie des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung steht, dass allein das CO2, das wir bis jetzt in die Atmosphäre geblasen haben, zu einem globalen Einkommensverlust von 19 % führen wird, egal, welche Maßnahmen wir jetzt ergreifen.[6] Wir reden bis 2050 über die schwindelerregende Zahl von 38 Billionen Dollar. Es gibt viele Ursachen für diesen Einbruch. Landwirtschaftliche Erträge werden durch Dürre und Überschwemmungen geringer. Die Arbeitsproduktivität reduziert sich, wegen der Hitze oder auch weil Menschen öfter krank werden. Genauso wird auch die Infrastruktur immer mehr in Mitleidenschaft gezogen. Auf dieser Grundlage lässt sich berechnen, dass ein Hin- und Rückflug von Berlin nach Lissabon, den wir heute antreten, in der Zukunft pro Person Klima-Kosten in Höhe von ca. 2000 Euro verursachen wird.[7] Wie gesagt, wir stehen immer mehr in der Kreide.
Die Maßlosigkeit und Gedankenlosigkeit, mit der wir unser Klima-Konto überziehen, ist unvorstellbar. Die meisten Menschen haben keine Idee, was auf uns wartet. Dabei können wir erahnen, was kommen wird. (Wir wollen es nur gar nicht wissen.) Eine Studie der Bundesregierung berechnet, dass die Schäden, die allein in Deutschland bis 2050 durch den Klimawandel, also durch Stürme, Fluten, Brände, Hitzewellen, entstehen, zwischen 280 und 900 Milliarden Euro kosten werden.[8] Fast schon lapidar steht in einem Bericht der Bundesregierung zu oben zitierter Studie, dass in den astronomischen Kosten noch nicht einmal »gesundheitliche Beeinträchtigungen, Todesfälle durch Hitze und Überflutungen, die Belastung von Ökosystemen, der Verlust von Artenvielfalt und eine schlechtere Lebensqualität«[9] miteinberechnet sind. Der schiere Schrecken, der in diesen paar Zeilen steckt, klingt gleichzeitig bürokratisch und bedrohlich. Der Hitzesommer 2018 wird auf einmal zu einem Angst einjagenden Omen. Während die Medien die Rekordtemperaturen bejubelt und aus Freibädern und Eispavillon berichtet haben, starben in Europa zwischen 50 000 und 70 000 Menschen wegen der Hitze – was diesen Sommer, wie auch schon den damals sogenannten Jahrhundertsommer 2003[10], zu den schlimmsten Naturkatastrophen macht, die es in Europa je gegeben hat.[11] 2050 werden die Sommer noch länger, noch heißer sein. Jeder Sommer eine Naturkatastrophe, für uns alle. Die Situation wäre beruhigender, wenn wir das Gefühl hätten, dass wir alles in Bewegung setzen, Schlimmeres zu verhindern. Aber wir tun genau das nicht. Eine Untersuchung der UN hat kürzlich herausgefunden, dass die Pläne und Vorhaben von 200 Ländern zum Klimaschutz bis 2030 gerade einmal einen Rückgang von 2 % der Emissionen bedeuten.[12] Würden wir es mit dem Klimaabkommen ernst meinen, müsste es eine Reduktion um ٤٣ ٪ geben. Stattdessen investieren Konzerne und Länder immer noch Milliarden in Projekte, die Öl und Gas fördern, was das Klima weiter verschlimmern wird. Allein in den USAwurde 2023 mehr Rohöl gefördert als jemals zuvor. 13 Millionen Fässer – jeden Tag.[13] Anstelle einer Kehrtwende geht’s weiter wie bisher.
Welche Metapher eignet sich für diesen Vorgang? Ein Auto, das auf eine Wand zurast und, statt zu bremsen, weiter beschleunigt? Das Problem mit Metaphern für den Klimawandel ist, dass wir eigentlich keine Metaphern brauchen. Wir zerstören unseren Heimatplaneten und wir wollen damit nicht aufhören. Das ist alles. Zwar gibt es Anstrengungen und sogar Anzeichen, dass wir den Peak der weltweiten Emissionen schon bald erreicht haben könnten, aber das reicht bei Weitem nicht aus, denn auch wenn wir den Gipfel erreicht haben, sinken die Emissionen bisher nicht schnell genug, um uns das zu sichern, was wir brauchen: eine lebenswerte Zukunft.
Am 26. September 2016 starb Toughie, ein Rabbs Fransenzehen-Laubfrosch. Er war der letzte seiner Art, ein sogenannter Endling, und sein Tod erinnert uns daran, dass 41 % aller Amphibienarten als bedroht gelistet werden. Eine Liste, die 2006 schon 16 119 Arten lang war und jetzt bereits 45 300 Arten beinhaltet.[14]
Während uns auf der einen Seite immer mehr Lebewesen abhandenkommen, züchten wir andere Arten, um sie in unvorstellbarer Menge zu schlachten. Jeden Tag werden global 900 000 Kühe für unseren Konsum getötet, 3,8 Millionen Schweine und 202 Millionen Hühner – das sind 140 000 Hühner jede Minute.[15] Und das alles, damit wir in Deutschland jährlich im Durchschnitt 150 Lebewesen pro Person verspeisen können.[16] Wie katastrophal dieser Lifestyle ist, wird besonders deutlich mit Blick auf eine Umfrage unter 210 Klima- und Agrarwissenschaftlerinnen, die ergeben hat, dass die Emissionen, die als Folge der Tierhaltung entstehen, im Westen ab 2025 nicht weiter steigen dürfen, wenn wir die Vorgaben des Pariser Abkommens einhalten wollen.[17]
Mehr noch, nach diesem Scheitelpunkt müssen die Emissionen in fünf Jahren um 50 % fallen, wenn wir die Erderwärmung auf unter 2 Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit beschränken wollen.[18] Allein diese Datenlage sollte uns mal wieder klarmachen, in welcher absurden und desillusionierten Situation wir uns befinden. Es gibt in all dem niemals nur ein Problem, sondern systemweite multiple Krisen, die allein genommen angsteinjagend sind und zusammenhängend den Eindruck erwecken können, dass eine nachhaltige Lösung ganz einfach außerhalb unseres menschlichen Vermögens ist. Denn die Zahlen sind immer wieder schwindelerregend.
Weltweit nutzen wir 80 % der landwirtschaftlichen Fläche für die Viehzucht[19] und zerstören durch diese Monokulturen den Lebensraum von Milliarden anderer Lebewesen wie Toughie, im Boden, in der Luft, in den Wäldern, in Seen und Flüssen. Diese Art der Bewirtschaftung und unser Mangel an Respekt gegenüber dem Boden, auf dem wir stehen, hat katastrophale Folgen. Wir verlieren allein in Deutschland jeden Tag ca. 50 Hektar Boden durch Bebauung und Degradation – also etwas über 70 Fußballfelder. Dabei sind überhaupt nur 12 % unseres weltweiten Bodens fruchtbar genug, um als Ackerboden benutzt zu werden. 12 %, von denen im Worst-Case-Szenario 2050 nichts mehr übrig geblieben ist.[20] Wir haben also wenig und es wird immer weniger.[21] Diese Ökosysteme sind überall in Gefahr. Auch weil Kühe durch ihr Rülpsen und Furzen allein in Deutschland für 5,3 % der Treibhausgasemissionen verantwortlich sind[22], während der Kot der Tiere in derartigen Mengen als Dünger genutzt wird, dass er das Grundwasser verseucht. Dabei halten wir diese Tiere, die wir essen, häufig unter derart schädlichen Bedingungen, dass sie konstant mit einem Antibiotika-Cocktail versorgt werden müssen, da sich ansonsten in den engen Ställen Krankheiten rasant ausbreiten würden. Dafür werden in Deutschland 735 Tonnen dieser Medikamente eingesetzt[23], was zur Folge hat, dass Bakterien gegen den Gebrauch resistent werden. In Europa sterben schon jetzt jedes Jahr bereits 35 000 Menschen an diesen Antibiotikaresistenzen.[24] Eine Zahl, die wachsen wird, weil wir auch die Reserveantibiotika, die wir eigentlich nicht in der Tierhaltung einsetzen sollen, damit sie uns Menschen erhalten bleiben, massenhaft in der Tierhaltung einsetzen.
Überhaupt leidet unsere Gesundheit, die ganze Zeit. Schon die Tatsache, dass wir so sehr auf das Auto angewiesen sind, ist schlecht für uns. Wir denken an die Abgase und die Lärmbelästigung, die uns schaden – vier Millionen Kinder weltweit entwickeln wegen Autoabgasen jedes Jahr Asthma.[25] Aber noch 100-mal schlimmer für unsere Gesundheit sind die sogenannten Nicht-Abgas-Emissionen, zu denen auch das Mikroplastik gehört, das durch den Reifenabrieb entsteht. In Deutschland sind das allein 140 000 Tonnen jedes Jahr.[26] Dieses Mikroplastik findet sich inzwischen in all unseren Organen und sogar in der Muttermilch. Die gesundheitlichen Konsequenzen davon sind kaum abzusehen, aber was kann schon schiefgehen, wenn sich immer mehr und mehr von einer Substanz in unseren Körpern ansammelt, die aus Erdöl gewonnen wird?
Das alles sind Konsequenzen eines Wirtschaftssystems, das Profit über alles stellt. Bis jetzt sind diese Konsequenzen physikalisch und biologisch, aber natürlich gibt es noch andere Entwicklungen, die uns mit Sorge in die Zukunft blicken lassen. Um es kurz zu machen: Es geht uns schlecht. The struggle is real, wie wir heutzutage sagen. Wir bemerken es in einer Art von Panik, mit der auch in einem reichen Land wie Deutschland über die Lebensumstände gesprochen wird. Die unsicheren Anstellungsverhältnisse, eine Rente, die nicht zum Leben reichen wird, oder von den Preisen im Supermarkt. Freunde, die Kinder haben, berichten über einen Alltag, den sie als eine konstante Überforderung beschreiben, und ein Gefühl, dass sie mit ihren Problemen alleingelassen werden. Irgendwie scheint es immer schwieriger zu werden, ganz einfach über die Runden zu kommen, ohne sich gesundheitlich und psychisch zu ruinieren. Tatsächlich hat eine Untersuchung ergeben, dass in Deutschland der Energiepreisschock nach Russlands Überfall auf die Ukraine zum größten Kollaps des Lebensstandards seit dem 2. Weltkrieg geführt hat.[27] Kein Wunder, dass inzwischen mehr als die Hälfte der 16- bis 26-Jährigen in Europa davon ausgehen, dass es ihnen schlechter gehen wird als ihren Eltern. Dies ist nicht nur ein Gefühl, sondern lässt sich an harten Zahlen ablesen.
Die Millennials werden die erste Generation seit dem Ende des 2. Weltkriegs sein, die ärmer ist als ihre Eltern.[28] Weil die Lebenshaltungskosten unerbittlich steigen und besonders Kostenpunkte wie Wohnen und Essen immer nur noch teurer werden und unsere nächste Gehaltserhöhung schon längst von der Inflation aufgefressen wurde. Die Idee, dass du nur hart genug arbeiten musst, es genug wollen musst, genug an dich glauben musst, um eine gesicherte Existenz zu haben, in dem, was wir Mittelstand nennen, enttarnt sich immer mehr als eine bloße Behauptung. Weil sich 1/3 der Menschen schon jetzt nicht mehr eine unerwartete Ausgabe leisten kann[29], wenn die Waschmaschine kaputt geht oder der Hund krank wird. 17,3 Millionen Menschen in Deutschland waren 2022 armutsgefährdet. Und die Chancen, dieser Gefahr durch einen sozialen Aufstieg zu entkommen, sind gering. Wer arm ist, wird der Statistik nach ganz einfach arm bleiben. Und stets fehlt es an politischen Visionen, wie sich dieser Sachverhalt nachhaltig lösen lässt. Und diese Ausweglosigkeit nagt an all unseren Psychen.
Aber unsere Verunsicherung und unser mangelndes Vertrauen in die Zukunft hat noch einen weiteren Ursprung: Krieg. Dies war eines der großen Versprechen der neoliberalen Globalisierung, dass alle Länder durch den Handel derart zusammenwachsen, dass ein bewaffneter Konflikt geradezu undenkbar wird. Natürlich hat sich diese Behauptung nie bewahrheitet, aber der Angriffskrieg von Russland gegen die Ukraine hat das friedliche Selbstverständnis in Europa nachhaltig erschüttert. Auf einmal reden wir wieder von einem atomaren Erstschlag, auch die Vokabel Weltkrieg wird wieder aus der Mottenkiste geholt. Die gesetzte Weltordnung gerät ins Wanken, und es wirkt nicht, als ob sie durch etwas ersetzt wird, das das Leben der Menschen genuin besser machen wird. Vielmehr erscheint uns die Zukunft unsicherer, chaotischer. In dieser politischen Gemengelage ist es relevant, darauf hinzuweisen, dass rechtsnationale Kräfte weltweit wieder an Macht gewinnen. In Deutschland ist die AfD, die teilweise als gesichert rechtsextrem eingestuft wird, bundesweit in Umfragen zeitweise die zweitstärkste Partei und in manchen Bundesländern die No. 1. In Italien, den Niederlanden, Österreich und anderen europäischen Staaten werden Parteien stärker, die ganz offen fremdenfeindlich sind. Lektionen, die wir durch den 2. Weltkrieg gelernt hatten, werden verlernt, und der Menschenhass ist wieder salonfähig. Es sieht nicht gut für unsere Zukunft aus, wenn die Faschisten wieder an die Macht kommen. Unsere Welt wird dann hässlicher, denn wir sollten ihren Plänen glauben, wenn sie sagen, dass sie 20 Millionen Menschen aus Deutschland weghaben wollen.[30] Angefangen bei denen, die hier nicht geboren sind, und weitergemacht mit allen, die nicht so denken, wie die AfD will, dass gedacht wird. Es ist erschreckend, wenn wir merken, wie offen inzwischen wieder über Auswanderung gesprochen wird, wie plötzlich wieder die Frage im Raum steht: Wohin flüchtest du eigentlich, wenn wieder Menschen dieses Land regieren, die deinen Lebensentwurf nicht nur ablehnen, sondern die es am liebsten sehen würden, wenn du einfach verschwindest? Egal auf welche Weise?
Die Hoffnung hat ein Problem, weil die Zukunft düster wird. Wir könnten diesen Teil des Buches seitenlang weiterführen, von Prognose zu Prognose eilen und dabei ständig das Gefühl haben, dass wir niemals in der Lage sein werden, das ganze Ausmaß des Entsetzens einzufangen. Jedoch möchten wir an dieser Stelle eindeutig bemerken, dass uns natürlich klar ist, dass nicht alles schlecht ist und nicht alles schlechter wird. Eine Krankheit wie Mukoviszidose, die unheilbar war und zu einem frühen Tod geführt hat, lässt sich heute gut behandeln, sodass die Patientinnen ein fast normales Leben führen können. Weltweit verfügen mittlerweile fast 90 Prozent der Menschen ab 15 Jahren über grundlegende Fähigkeiten beim Lesen und Schreiben. Genauso leisten technologische Fortschritte, zum Beispiel in der Batterieproduktion, einen wichtigen Beitrag für eine CO2-neutrale Zukunft, die noch vor ein paar Jahren weit außerhalb unserer Möglichkeiten schien. Dennoch werden wir immer wieder sehen, dass diese eindeutigen Verbesserungen nicht in der Lage sind, die vielen strukturellen Probleme zu lösen, die unsere Zukunft in Gefahr bringen. Vielmehr werden diese Erfolgsstorys immer eher als Argumente dafür genutzt, dass wir einfach weitermachen können wie bisher. Als würden die teilweisen Verbesserungen in gewissen Bereichen die schreckliche Gesamtsituation aufwiegen. Genauso lässt sich feststellen, dass diese positiven Entwicklungen auch nicht als Beweis dafür genutzt werden, was tatsächlich alles möglich ist, also als Ansporn, das, was als unmöglich gilt, infrage zu stellen. Es wäre etwas anderes, wenn sich das Gefühl einstellen würde, dass wir unsere Probleme mit Eifer und Ernsthaftigkeit angehen, aber an genau dieser Einstellung mangelt es uns. Wir schauen auf eine Welt, die immer weniger der Welt ähnelt, an die wir gewöhnt sind, und trotzdem verhalten wir uns so, als hätte sich nichts geändert. Wenn wir davon reden, dass die Welt untergeht, meinen wir damit, dass die Welt, wie wir sie kennen, untergeht. Wir reden nicht davon, dass alle Menschen aussterben oder die Zivilisation zusammenbricht. Wir meinen, dass immer mehr verloren geht, was unsere Welt ausmacht.
Ein Aspekt, der gern unterschlagen wird, ist dieser Welten-Verlust. Der mehr ist, als die pure Aufzählung von Küstenstädten, Waldgebieten oder Korallenriffen, die wir verloren haben. Wenn wir manchmal davon reden, dass die Welt endet, meinen wir Dinge, die sich in den nackten Daten verstecken. Es ist ein Familienmitglied, das die Hitze nicht überlebt hat. Ein Haus, in dem wir groß geworden sind, das den Flammen zum Opfer gefallen ist. Es ist ein See, in dem in der Nacht zu baden früher eine Mutprobe war und der inzwischen ausgetrocknet ist. Es ist die Reissorte Carnaroli classico, die auch der König des Risottos genannt wird und die in der Po-Ebene in Italien angebaut wird. Es gibt keinen Reis, der besser ist, um Risotto herzustellen.[31] Dieses kulturelle Gut steht, wie so vieles andere, vor der Auslöschung. 2022 gab es die schlimmste Dürre im Po-Tal seit 200 Jahren. Teilweise ging über die Hälfte der Carnaroli-Ernte verloren, und es ist vollkommen unklar, ob der Anbau überhaupt weitergehen kann, wenn sich der Klimawandel verschärft – was er tun wird. Und das bedeutet eben auch, dass wir vielleicht nie wieder das beste Risotto der Welt essen können. Ein Verlust, der einigen banal vorkommen mag, im Vergleich zum menschlichen Leid, das durch den Klimawandel entstehen wird – und dennoch ein weiteres Puzzleteil unseres kulturellen Erbes, das in der Zukunft fehlt. So addiert sich, was wir verlieren werden. Und während man sicherlich behaupten kann, dass diese Art des Verlusts schon immer Teil der menschlichen Existenz war, lautet die Antwort dennoch: nicht so, nicht in diesem Ausmaß, mit dieser Gleichzeitigkeit und Finalität. Uns muss immer wieder klar sein: Die meisten Wissenschaftlerinnen sind sich einig, dass wir ein Land wie Bangladesch nicht mehr retten können. Das sind fast 170 Millionen Menschen, deren Welt es am Ende dieses Jahrhunderts nicht mehr geben wird. Eine Heimat geht verloren, ein See, ein Reiskorn – uns kommt abhanden, was wir sind, woher wir kommen und was uns die Welt bedeutet. Und dennoch bekommen wir immer wieder mit, dass technologische Entwicklungen als Garant dafür gesehen werden, dass wir die Klimakrise lösen können, wenn nur plötzlich die kalte Fusion oder eine andere Techno-Fantasie funktioniert.
Diese Art der Hoffnung, die am Ende gar keine Hoffnung ist, sondern pures Wunschdenken, dass schon alles nicht so schlimm kommen wird und dass uns eine Lösung für unsere Probleme auf geradezu magische Art, wie ein Lottogewinn, zufallen wird. Immerhin haben wir es ja sonst auch immer geschafft, was sollte jetzt schon schiefgehen? Wir haben ein Problem mit der Hoffnung, weil unsere Zukunft immer düsterer wird. Aber das muss nicht sein. Und der erste Schritt in eine bessere Zukunft fängt damit an, dass wir verstehen, dass mit der Hoffnung etwas nicht stimmt.