Nightsky Full Of Promise - Mounia Jayawanth - E-Book

Nightsky Full Of Promise E-Book

Mounia Jayawanth

0,0
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

"Irgendwas passiert hier gerade. Ich sehe es nicht, ich rieche es nicht, und doch spüre ich es wie ein Erdbeben, das meine gesamte Gefühlswelt erschüttert."

In einer Berliner Sommernacht verbringen Sydney und Luke ein paar viel zu kurze Stunden miteinander. Ihr Treffen ist ein magischer Moment, der sie für immer verändert zurücklässt. Sie sind sich sicher, dass das zwischen ihnen etwas ganz Großes werden kann - doch Luke will für ein Jahr ins Ausland gehen. Um ihren Gefühlen trotzdem eine Chance zu geben, vereinbaren sie, sich nach Lukes Rückkehr am selben Ort zu treffen. Natürlich ist Sydney zur Stelle - Luke jedoch nicht. Auch fünf Jahre später kann Sydney ihn nicht vergessen. Und dann steht Luke ihr plötzlich wieder gegenüber. Nur erinnert er sich weder an sie noch an ihr Versprechen ...

"Ihr haltet hier ein ganz besonderes Buch in den Händen, das direkt mit der ersten Seite einen Platz in meinem Herzen erobert hat. Es ist eine wundervolle Mischung aus Freundschaft, Liebe und dem Ernst des Lebens - was will man mehr?" @BOOKSLOVE128

Erster Band der BERLIN-NIGHT-Trilogie

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 558

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



INHALT

Titel

Zu diesem Buch

Widmung

Playlist

Prolog

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

40. Kapitel

41. Kapitel

42. Kapitel

43. Kapitel

44. Kapitel

45. Kapitel

46. Kapitel

47. Kapitel

48. Kapitel

49. Kapitel

50. Kapitel

51. Kapitel

52. Kapitel

53. Kapitel

54. Kapitel

55. Kapitel

56. Kapitel

57. Kapitel

58. Kapitel

59. Kapitel

60. Kapitel

Epilog

Danksagung

Sydneys vegane Macadamia Cookies

Die Autorin

Die Romane von Mounia Jayawanth bei LYX

Impressum

Mounia Jayawanth

Nightsky Full Of Promise

Roman

ZU DIESEM BUCH

In einer Berliner Sommernacht verbringen Sydney und Luke ein paar viel zu kurze Stunden miteinander. Ihr Treffen ist ein magischer Moment, der völlig unvorhergesehen über sie hereinbricht und sie für immer verändert zurücklässt. Sie spüren nicht nur eine tiefe Verbindung, sondern auch eine knisternde Anziehung, die sie so noch nicht erlebt haben. Beide sind sich sicher: Das zwischen ihnen kann etwas ganz Großes werden! Doch leider ist ein schnelles Wiedersehen unmöglich, denn Luke will für ein Jahr ins Ausland gehen. Um ihren Gefühlen trotzdem eine Chance zu geben, vereinbaren sie, sich nach Lukes Rückkehr am selben Ort zu treffen. Natürlich ist Sydney zur Stelle – Luke jedoch nicht. Jedes Jahr kehrt Sydney dorthin zurück, wo sie Luke begegnet ist, und auch fünf Jahre später kann sie ihn und die Gefühle, die er in ihr ausgelöst hat, einfach nicht vergessen. Doch dann steht Luke ihr plötzlich wieder gegenüber, genauso unvorhergesehen wie beim ersten Mal. Nur erinnert er sich weder an sie noch an ihr Versprechen …

Für Sarah. Du bist pure Liebe.

»If you are not too long, I will wait here for you all my life.«

Oscar Wilde

PLAYLIST

Perfect Strangers – Jonas Blue, JP Cooper

Missing You – The Vamps

I Have Questions – Camilla Cabello

Feels – Kelhani

hate u love u – Olivia O’Brien

New Rules – Dua Lipa

Shape of You – Ed Sheeran

everything i wanted – Billie Elish

Conversations in the Dark – John Legend

Defenceless – Louis Tomlinson

Talk To Me – Möwe, Conor Maynard & RANI

Can I Be Him – James Arthur

You Broke Me First – Tate McRae

Someone You Loved – Lewis Capaldi

One Last Time – Ariana Grande

You & I – One Direction

PROLOG

Fünf Jahre zuvor

Sydney

Heißer Typ auf zwölf Uhr. Mitten auf der Tanzfläche steht er da, keine zehn Schritte von mir entfernt, groß und athletisch und mit braunen lockigen Haaren, die vorne etwas länger als hinten sind. Vielleicht ist es aber auch seine offene Lederjacke, die mich nicht wegschauen lässt. Obwohl es so warm ist, trägt er sie sogar hier drin. Selbst jetzt, beim Tanzen. Gut gelaunt schwingt er zu Beyoncé, zwar nicht ganz zum Takt, aber er sieht trotzdem so aus, als hätte er den Spaß seines Lebens. Dabei lächelt er die ganze Zeit – ein warmes, aber irgendwie auch freches Lächeln, das durchs bloße Hinsehen gute Laune versprüht.

Eigentlich wollte ich nur kurz bei dieser Party vorbeischauen, damit mir später niemand vorwerfen kann, ich sei nicht da gewesen. Aber jetzt bleibe ich vielleicht doch noch einen kleinen Moment länger und schaue ihn weiter an. Ganz subtil durch den Vorhang meiner Haare …

Bis Mr Lederjacke meinen Blick erwidert.

O nein. Vielleicht war ich nicht so diskret wie ich dachte. Mein Herz macht einen ertappten Hüpfer. Aber Moment … gilt seine Aufmerksamkeit wirklich mir? Der Vorsicht halber schiele ich nach links und rechts, aber außer mir lehnt sonst niemand an der kahlen Wand. Die meisten trinken, feiern und tanzen auf der gegenüberliegenden Seite des Clubs. Nur ich nicht. Und er auch nicht mehr. Denn er schaut mich an. Und setzt sich in Bewegung.

Heilige Scheiße!

Er kommt auf mich zu!

Mein Puls fährt hoch, bringt Hitze in meine Wangen und rasende Gedanken in meinen Kopf. Er kommt doch nicht tatsächlich auf mich zu, oder? Doch, das tut er. Damit habe ich jetzt irgendwie nicht gerechnet. Aber gut, ruhig bleiben. Ist ja nichts Besonderes dabei. Vielleicht will er mich einfach nur nach Feuer fragen. Oder er sucht den Gang zur Toilette. Oder er findet mich genauso heiß.

Ha! Schön wär’s!

Bevor ich dazu komme, mein Kleid zu glätten oder ein weiteres Mal Luft zu holen, steht der Fremde auch schon vor mir.

»Hi.« Er hebt freundlich die Hand.

»Hi«, entgegne ich und spüre, wie schnell mein Herz in meiner Brust pulsiert.

Obwohl ich keine High Heels trage, sondern flache Ballerinas, kam es für ein Mädchen von eins achtzig wie mich heute schon einige Male vor, dass ich mich zum Sprechen runterbeugen musste. Dieser Fremde ist fast so groß wie ich, vielleicht drei, vier Zentimeter größer. Jetzt, da er direkt vor mir steht, sehen wir uns direkt in die Augen. Durch das Clublicht kann ich die Farbe nicht genau erkennen, aber ein tiefer melancholischer James-Dean-Ausdruck liegt in ihnen. Mein Blick wandert weiter zu seinen Lippen, die noch immer zu einem frechen Lächeln verzogen sind. Seine Züge sind markant, und mich überkommt augenblicklich der Impuls, über seine Kinnlinie zu fahren.

Er beugt sich zu meinem Gesicht vor, dabei streifen seine Haare meine Wange und kitzeln mich. Mir wird heiß.

»Warum stehst du ganz allein hier?«, ruft er mir ins Ohr, laut genug, um den Mainstream-Pop zu übertönen. Sein warmer Atem trifft auf meine Haut und lässt mich augenblicklich erschaudern. Hoffentlich ist es zu dunkel, um die Gänsehaut an meinem Nacken zu bemerken.

»Ähm … ich brauchte eine Pause«, erwidere ich verzögert. »Meine Freunde sind alle ziemlich betrunken.« Mit dem Kopf deute ich hinter ihn auf die Gruppe an der Bar. Heute ist vermutlich das letzte Mal, dass die ganze Stufe zusammen sein wird.

Der Fremde folgt meinem Blick. »Dein Jahrgang?«

Ich nicke. »Ist deiner auch da?«

»Ja, aber nur ein paar.«

Durch seine Kopfbewegung kann ich nun auch seinen Duft wahrnehmen. Verdammt, gut riechen tut er auch noch. Es ist eindeutig das Leder seiner Jacke, gemischt mit irgendeinem Parfum, das ich nicht kenne. Er riecht so herb und irgendwie auch süß. Am liebsten würde ich mich in seinen Geruch reinlegen und zudecken.

»Ist es okay, wenn ich mich kurz zu dir stelle? Ich brauche auch mal eine Pause.« Er mustert mich fragend, als würde er mich tatsächlich um Erlaubnis bitten.

»Klar«, entgegne ich und nicke zusätzlich, weil der Lärmpegel hier drin einer laufenden Bohrmaschine gleicht. Der Fremde lächelt und stellt sich neben mich. Wir berühren einander nicht, sind uns aber trotzdem so nah, dass ich seine Körperwärme spüre. Vielleicht ist es aber auch nur meine eigene, die in den letzten dreißig Sekunden um gefühlt zehn Grad gestiegen ist.

»Wie heißt du?«, erkundigt er sich von der Seite.

»Sydney.«

»Wie die Stadt?«

»Wie die Stadt«, gebe ich ihm recht und lächle, gespannt, in welche Richtung er das Gespräch lenken möchte, wo wir nun bei Städten angekommen sind.

»Aber du kommst nicht aus Sydney, oder?«

»Nein, ich komme aus Berlin …«

Er nickt registrierend. »Cool.«

Cool? Einfach so? Einen Augenblick lang bin ich überrascht. Positiv überrascht, weil er meine Aussage einfach hinnimmt und nicht sofort nach meiner Herkunft fragt. Kein »Woher kommst du wirklich?«, »Nein, ich meine, wirklich-wirklich?« oder »Woher kommen deine Eltern?«.

»Und wie heißt du?«, rufe ich laut zurück, um den Lärm zu übertönen, und komme mir ein bisschen blöd vor, weil dieser just in dem Moment durch einen Liedwechsel verstummt ist.

»Luke«, antwortet er.

Wie Luke Skywalker?, will ich scherzhaft fragen, doch ich halte mich zurück. Nicht, weil ich mich dafür schäme, dass ich ein Star-Wars-Fan bin, aber die meisten Leute meiner Generation teilen meine Leidenschaft in der Regel ohnehin nicht.

Luke sagt wieder etwas, doch durch die lauten Bässe verstehe ich kein Wort.

»Was?«

Er wiederholt das Gesagte, aber Beyoncé, die alle Single Ladies dazu auffordert, die Hände zu heben, verschluckt seine Worte wieder.

»Es ist zu laut.« Ich deute auf mein Ohr und schüttele demonstrativ den Kopf.

»Wollen wir uns vielleicht draußen unterhalten?«, schlägt er vor, und diesmal verstehe ich ihn. Bevor ich ihm antworten kann, greift er sanft nach meiner Hand und zieht mich durch den Tanzsaal. Überrascht und mit klopfendem Herzen folge ich ihm. Sein Griff ist warm und fest, und irgendwas in meinem Bauch beginnt zu flattern. Ich komme an Vicky vorbei, die mich mit aufgerissenen Augen dabei beobachtet, wie ich mit Luke in Richtung Ausgang marschiere. Ich verstehe ihre Neugier, werfe ihr aber trotzdem einen »Nicht jetzt«-Blick zu. Sie grinst nur und antwortet mir mit einem stummen »Ich will nachher jedes einzelne Detail hören«.

Das kriegt sie, so viel ist sicher.

Draußen angekommen, werden wir von einer kühlen Sommerbrise begrüßt. Tief atme ich die frische Luft ein, so tief, als wollte ich mit diesem einzelnen Atemzug den Sauerstoffmangel der letzten paar Stunden kompensieren.

Am Eingang des Clubs prangt das pinke Schild der After-Abiball-Party. Viele Jahrgänge sind nach ihrer eigenen Feier ins Elysion weitergezogen, darunter auch meiner.

Luke führt mich zu der mit Büschen und Sträuchern verzierten Steinebene, von der man einen wunderschönen Ausblick auf den Landwehrkanal hat. Von hier dringt die Musik des Clubs nur noch gedämpft zu uns durch. Erst jetzt lassen wir einander los und setzen uns auf einen großen Stein.

Es braucht einen Moment, um meine Augen an die Dunkelheit zu gewöhnen. Das einzige Licht kommt vom Mond, der aus dem tiefen Schwarz der Nacht ragt und perlmuttfarben schimmert. Auf der gegenüberliegenden Seite des Wassers erkenne ich die Umrisse einer Trauerweide, die ihre Blätter bis ins Wasser taucht und ringförmige Wellen wirft. Manchmal ist Berlin bei Tag das reinste Rattenloch. Aber nachts am Wasser bei Ruhe und Mondschein gleicht es einem romantischen Ölgemälde.

»Also, Sydney.« Luke klappt die Hände zusammen und wirft mir einen forschenden Blick zu. »Was hat es mit deinem Namen auf sich?«

Ich unterdrücke ein Lächeln. Der Klassiker aller Fragen.

»Meine Eltern haben sich in Sydney kennengelernt und entschieden, dass es eine schöne Hommage wäre, ihr Kind nach der Stadt zu benennen, in der sie sich verliebt haben«, trage ich wie einen auswendig gelernten Text vor.

»Cool.« Er lächelt. »Haben deine Eltern dort Urlaub gemacht?«

»Mein Vater ja, aber meine Mutter hat damals noch in Australien gelebt. Sie ist Diplomatin«, setze ich als Erklärung hinzu.

»Oh, ein Diplomatenkind«, bemerkt er mit einem staunenden Unterton. »Dann bist du sicher viel rumgekommen, oder?«

»Ja, schon«, erwidere ich vage und gehe nicht weiter ins Detail. Meistens schüchtert es Menschen ein, wenn sie erfahren, dass ich bereits in Peru, Finnland, Kanada und Indonesien gelebt habe. Ist ja nicht so, dass ich dort irgendwas Besonderes geleistet hätte.

»Wow«, sagt Luke trotzdem, als wüsste er ganz genau, in welchen Ecken der Welt ich schon war. »Das stelle ich mir aufregend vor.«

Ich wippe unentschlossen mit dem Kopf. »Na ja, es hat seine Vor- und Nachteile. Man sieht viel von der Welt, aber um ehrlich zu sein, hat es mich auf Dauer auch etwas einsam gemacht. Kaum hatte ich Freundschaften geschlossen, musste ich wieder weg.« Noch während ich es ausspreche, wundere ich mich über mich selbst. Komisch, dass ich ihm das einfach so erzähle. Vielleicht liegt es daran, wie er aussieht, wenn er meinen Worten lauscht. So aufmerksam und konzentriert.

»So habe ich das noch gar nicht gesehen.« Sein Ausdruck verändert sich, und er nickt nachdenklich. »Für Kinder ist das sicher viel schwerer als für Erwachsene.«

Sein ehrliches Interesse löst ein Kribbeln in meinem Bauch aus, und mich überkommt das Bedürfnis, ihm mehr erzählen zu wollen. Aber bevor ich etwas erwidern kann, kommt er mir zuvor.

»Als Diplomatenkind sprichst du dann auch sicher mehrere Sprachen, oder? Wahrscheinlich hat man keine andere Wahl, wenn man in verschiedenen Ländern aufwächst.«

»Ja, Deutsch, Englisch und Spanisch sind relativ gut hier drin«, sage ich und tippe mir selbst auf den Kopf.

»Was? Nur so wenig?«, zieht er mich auf.

»Tatsächlich ist das gar nicht so viel für ein Diplomatenkind.«

»Trotzdem krass.«

»Und du?«, lenke ich auf ihn, da ich noch immer nicht mehr über ihn weiß als seinen Namen. »Wer bist du?«

»Ich bin Luke.«

»Ja, so weit waren wir schon.« Ich werfe ihm einen ironischen Blick zu. »Aber was macht Luke so?«

»Jetzt gerade? Sich mit einem hübschen Mädchen unterhalten.«

Sein Tonfall ist anzüglich, und meine Wangen glühen so heiß, dass mir kurz schwindelig wird. Leider bin ich echt mies in solchen Schlagabtauschen, besonders bei ihm, bei dessen Anblick ich einfach nur dauerlächeln möchte.

»Lenk nicht ab«, halte ich mich weiter am Text. »Erzähl mir mehr vom geheimnisvollen Luke. Was würde auf deinem Steckbrief stehen?«

Luke verlagert seinen Fuß auf das andere Knie und lehnt sich vor, während er nachdenkt. Dabei weht sein Duft erneut zu mir rüber, ein Duft, den ich tief in meine Lungen einziehe.

»Okay, ein Steckbrief also. Ähm … Luke, achtzehn Jahre alt, nicht trilingual und auch kein Weltenbummler. Nicht einmal genug Allgemeinbildung, um zu wissen, ob Sydney die Hauptstadt von Australien ist. Okay, deinem Blick nach zu urteilen nicht, shit!«

Ich lache leise, registriere jedoch auch die Tatsache, dass er meine Frage noch immer nicht beantwortet hat.

»Melbourne?«, rät er weiter.

»Canberra«, löse ich das Rätsel auf, und er schaut stutzig drein. »Hast du dir das gerade ausgedacht?«

»Nein!«

»Okay, ohne Scheiß, aber dieses Wort höre ich zum ersten Mal. Irgendwas sagt mir, dass du bei Stadt-Land-Fluss immer die Beste warst.« Er grinst leicht verschämt und fährt sich über den Nacken, während er den Kopf leicht senkt. In den Lichtern der Laternen wirkt seine Silhouette so cool und unnahbar, in seinem Gesicht hingegen spiegelt sich ganz zarte Unsicherheit. Als würde es ihm schon etwas ausmachen, dass er die Hauptstadt nicht wusste. Und irgendwie mag ich ihn dadurch sogar noch mehr.

Ich erwische mich dabei, wie ich ein winziges Stück in seine Richtung heranrutsche, um ihm noch ein bisschen näher zu sein, ein bisschen mehr von seiner Wärme zu spüren und mehr von ihm zu riechen, als immer nur auf einen Luftzug zu warten, der seinen herben, süßen Geruch zufällig in meine Richtung weht.

Wer von uns hat eigentlich zuletzt geredet? Ich habe komplett den Faden verloren. Hat er mir eine Frage gestellt? Muss ich auf irgendwas antworten?

»Ich …« Weiß nicht, was ich sagen soll. Ein kurzer Blick zu Luke, und schon stürzt mein innerer Sever ab. Da ist nur noch das monotone Rauschen wie bei einem defekten alten Fernseher. Jetzt muss ich erst wieder hochfahren und mir irgendein neues Thema überlegen. »Wie … wie war dein Abi eigentlich so?«

Lukes Kiefermuskulatur verhärtet sich mit einem Schlag, und mir wird klar, dass das ein ganz und gar blöder Themenwechsel war. Warum glaubt mein Hirn, dass es eine kluge Idee wäre, ausgerechnet über die Schule zu reden?

»So lala. Bei dir?«

»Bei mir auch«, winke ich knapp ab, um das Gespräch so schnell wie möglich abzuschließen. Doch zu meinem Bedauern hakt er weiter nach.

»Und wie geht’s jetzt für dich weiter? Willst du irgendwas studieren?«

»Ja, ich habe mich für verschiedene Fächer beworben. Mich interessiert vieles, aber vor allem Politik und Wirtschaft. Wahrscheinlich wird es eins von beidem. Je nachdem, wo ich angenommen werde. Und du?«

Er schweigt einen Augenblick, dabei schweift sein Blick nachdenklich zum Wasser. »Ich studiere nicht.«

»Klar, muss man auch nicht«, sage ich und lächele zusätzlich, weil er nicht denken soll, dass ich ihn deswegen bewerte – was ich selbstverständlich nicht tue!

»Also, nicht direkt«, schiebt er ein. »Erst mal gehe ich ins Ausland.«

Seine Worte explodieren wie eine Bombe, und in winzigen Stückchen fliegt die Chance davon, dieses Beisammensein zu wiederholen. Mein Herz zieht sich zusammen, doch ich zwinge mich zu einem heiteren Lächeln.

»Cool.« Oder auch nicht cool. Nein, überhaupt nicht cool!

»Nach Neuseeland«, redet er weiter. »Die Welt entdecken und das Leben genießen. Danach bleibt immer noch genug Zeit zum Studieren.«

»Ja, viele aus meinem Jahrgang machen dasselbe«, sage ich und verfluche das Universum dafür, dass es mir erst einen supersüßen Typen schickt, nur um ihn mir im nächsten Moment wieder zu entziehen!

Plötzlich wird die Stimmung mit bleierner Stille gefüllt. Ich weiß nicht, was ich sagen soll, und vermutlich geht es ihm ähnlich. Trotz der Kälte schwitzen meine Hände vor Nervosität. Toll, jetzt habe ich ein bestandenes Abitur, weiß aber immer noch nicht, wie man ein Gespräch am Laufen hält. Unser Schulsystem benötigt ganz dringend eine Reform.

»Okay, Schluss mit dem Small Talk«, bricht Luke schließlich das Schweigen. »Keine Steckbriefe mehr, okay? Erzähl mir lieber etwas, was nicht auf deinem Lebenslauf stehen würde. Ein Geheimnis vielleicht.«

»Ein Geheimnis?«, wiederhole ich argwöhnisch.

»Ja, irgendwas, das niemand über dich weiß. Was Verrücktes, Albernes, Perverses, egal was. Denk nicht viel darüber nach, sag einfach das, was dir als Erstes in den Sinn kommt.«

Meine Antwort folgt aus dem Bauch heraus. »Ich habe einen leichten Backfetisch.«

»Was?« Seine Stimme hallt durch die Nacht und lässt die Wasseroberfläche vibrieren. »Einen Backfetisch?«

»Pssst«, mache ich, obwohl wir die Einzigen hier draußen sind.

»Okay, aber das musst du mir jetzt bitte etwas genauer erklären. Was meinst du mit Backfetisch? Bist du beim Backen etwa nackt? Benutzt du deine Füße zum Mixen?«

»Was? Nein!«, rufe ich in sein Lachen rein. »No judging, aber nein! Ich liebe es einfach zu backen.«

»Das ist doch kein Fetisch! Das ist einfach nur ein Hobby.«

»Bitte, dann nenn es eben ein Hobby.«

»Und das ist dein großes Geheimnis? Du backst gern?«

»Sag es nicht so, als wäre ich die langweiligste Person auf der Welt«, jammere ich.

»Keine Sorge, ich kann dich toppen. Bereit?«

Da bin ich mal gespannt, was er zu bieten hat. Gespannt nicke ich.

Obwohl er lächelt, mischt sich eine leichte Unsicherheit in seinen Blick, was mich noch neugieriger macht.

»Ich kann stricken«, sagt er endlich.

Mein Mund klappt auf. »Was?« Damit habe ich nun wirklich nicht gerechnet. »Du strickst? Mit Wolle und so?«

»Jepp.« Er kickt einen kleinen Stein ins Wasser. »Ich habe es in der Grundschule gelernt und kann es immer noch. Eigentlich ist es gar nicht so schwer. Aber davon weiß niemand, weil …« Er wirft mir einen vielsagenden Blick zu. »Du weißt schon.«

Ja, ich weiß, denke ich. Stricken ist nichts, was jemandes Beliebtheitsgrad erhöht. Vielleicht bin ich gerade deshalb so begeistert. Dieser Adonis hier neben mir kann allen Ernstes stricken!

»Meine Großmutter würde dich lieben.«

»Vielleicht lerne ich sie irgendwann mal kennen.«

»Vielleicht«, spiele ich mit. »Und dann backe ich uns einen Kuchen.«

»Nackt?«

Empört schnappe ich nach Luft und hole zu einem spielerischen Schlag aus, doch er weicht mir lachend aus.

»Nicht nackt!«, sage ich entschieden.

Er zieht einen Schmollmund. »Und wenn ich im Gegenzug etwas für dich stricke? Einen Topflappen oder eine Schürze vielleicht?«

»Kommt drauf an«, konfrontiere ich ihn. »Bist du dabei auch nackt?«

Luke zuckt lässig mit den Schultern. »Von mir aus. Aber ich will deine Oma nicht verstören.«

»O nein. Ganz. Böses. Kopfkino!« Tränen schießen mir in die Augen. Ich muss so sehr lachen, dass ich heulen muss. Das Bild von einem breitbeinigen nackten Luke auf unserem Sofa, daneben meine Großmutter, die nicht weiß, wo sie hinsehen soll … Ich kann nicht mehr!

Luke stimmt mit ein in mein Lachen, und wir lachen eine Minute lang, ohne dass sich einer von uns wieder einkriegt. Im Nachhinein ist es gar nicht so lustig, aber dieser Moment ist einer von diesen, in denen wir, immer wenn wir uns wieder einkriegen, das Lachen von Neuem beginnen. Lukes Lache ist im Gegensatz zu seiner tiefen Stimme hoch und fast schon jugendlich. Wenn ich nicht auch so kichern müsste, würde ich am liebsten die Augen schließen und einfach nur ihrem Klang lauschen.

»Kaum zu glauben, dass ich dir das mit dem Stricken wirklich erzählt habe«, sagt Luke, der sich als Erster von uns beruhigt. »Das weiß wirklich niemand. Du könntest mich jetzt mit allem erpressen.«

»Keine Sorge. Dein Geheimnis ist bei mir sicher.« Ich hebe die Hand zum Schwur, doch als ich sie runternehme, greift Luke nach ihr und verwebt unsere Finger miteinander. Er macht das so selbstverständlich, als wäre es Atmen oder Essen. Mein Puls stolpert kurz, dann verdoppelt er seinen Rhythmus.

»Erzähl mir noch etwas«, bittet er mich.

»Ich mag den Geruch von Benzin«, sage ich wieder aus dem Affekt. »Ist das schräg?«

»Nein, ich mag den Geruch auch. Aber ich hasse den von neuen Autos. Dieser spezielle Eigenduft nach Leder und … Auto halt.«

Ich habe zwar keine Ahnung, was er meint, doch ich nicke. »Jetzt du«, fordere ich ihn auf. »Sag, was dir als Erstes in den Sinn kommt.«

»Meine Lieblingscola ist die mit Vanille.«

»Bäh!« Ich verziehe das Gesicht. »Meine ist die mit Kirsche.«

»Doppel-Bäh! Meine Lieblingsnüsse sind Pistazien.«

»Meine sind Macadamia.«

»Die kenne ich gar nicht. Jetzt du wieder.«

»Ich schlafe immer mit Socken. Auch im Sommer.«

»Ich schlafe immer nackt. Auch im Winter.«

O nein. Jetzt stelle ich ihn mir schon wieder ohne Hose vor! Obwohl ich genug Reife zeigen will, um beim Wort nackt nicht gleich ins Kichern zu fallen, kann ich nicht anders.

»Bist du jetzt angeturnt?«, ärgert er mich.

»Komisch, genau dasselbe wollte ich dich auch fragen«, sage ich und wische mir eine Träne aus dem Augenwinkel.

»Du hast recht. Es gibt nichts Attraktiveres als eine Frau im Bett. Mit Socken.«

»Du müsstest mich mal im Winter sehen. Doppelte Socken, dazu die Flauschversion.«

»Woah, Sydney.« Er hält sich die Hand an die Brust. »Willst du mich umbringen? Ich bin auch nur ein Mann.«

Wieder will ich lachen, doch dann wird mir bewusst, wie nah sich unsere Gesichter sind. Sein fremder Duft umhüllt mich wie eine Decke, und sein Lächeln strahlt wie eine dieser alten stromfressenden Glühbirnen.

Irgendwas passiert hier gerade. Ich sehe es nicht, ich rieche es nicht, und doch spüre ich es wie ein Erdbeben, das meine gesamte Gefühlswelt erschüttert.

Hand in Hand sitzen wir angestrahlt vom Mond in der Dunkelheit und reden weiter. Unsere Gespräche kennen keine Struktur, keine Logik und auch keine Scham. Wir reden über Dinge, die nicht in unserem Lebenslauf stehen, über Wünsche, Träume und Ängste. Wir beurteilen einander nicht, wir hören einfach nur zu. Noch nie in meinem Leben habe ich mich in der Gegenwart eines anderen so wohlgefühlt. Luke ist einfühlsam, empathisch, klug und witzig.

Irgendwann sitzen wir enger nebeneinander, irgendwann trage ich seine Jacke. Irgendwann sehen wir uns in die Augen, irgendwann schaut niemand mehr weg. Wenn Vollkommenheit sich so anfühlt, verstehe ich, warum die Menschen nicht genug davon kriegen können. Das hier ist perfekt. Es ist so perfekt, dass ich in Anbetracht dieser Perfektion heulen könnte. Das Einzige, das mich innerlich zerfetzt, ist die unüberwindbare Tatsache, dass diese Begegnung, egal wie lang wir sie hinauszögern, irgendwann ein Ende nehmen wird.

*

Als der Club um sieben schließt und die letzten Alkoholleichen rausgeschmissen werden, stehen wir ebenfalls auf. Vicky hat mir geschrieben, dass sie und ein paar andere an der nahegelegenen Bushaltestelle auf mich warten. Auch Luke checkt sein Handy und schaut sich um, als suche er seine Leute. Dann lässt er es zurück in seine Hosentasche gleiten und schaut mich an. Er sieht müde aus. Ich wahrscheinlich auch.

»Das war wirklich ein schöner Abend«, sagt er leise.

»Fand ich auch«, murmle ich und spüre, wie mir Tränen in die Augen steigen. Doch ich bewahre sie mir für später auf. Wenn ich zu Hause bin und in einem dampfenden, heißen Bad Selbstmitleid zerfließen kann.

»Irgendwie schade, dass ich ausgerechnet jetzt gehe.« Er lächelt geknickt. »Würde ich hierbleiben, würde ich dich nach deiner Nummer fragen. Aber jetzt …« Er zuckt mit den Schultern und schaukelt mit den Beinen vor und zurück. »Keine Ahnung. In ein paar Tagen bin ich weg. Ich will nichts zurücklassen.«

Doch, bitte. Lass etwas zurück. Oder bleib gleich da und geh nie fort!

»Das verstehe ich«, sage ich mit fester Stimme. »Du solltest diese Erfahrung unbedingt machen und dich von niemandem gebremst fühlen. Es war eben ein schlechtes Timing.«

Er mustert mich eindringlich. Dann wieder dieses strahlende Lächeln. »Du bist echt süß, Sydney.«

Weil ich nicht weiß, was ich sagen soll, antworte ich: »Du auch.« Daraufhin lachen wir etwas befangen.

Eine betretene Pause entsteht, in der wir beide wohl nicht so recht wissen, was wir sagen sollen. Ich wage es nicht, den Mund zu öffnen, weil ich nicht weiß, ob ich ihn dann doch um seine Nummer anflehe.

»Hey, vielleicht kommt das jetzt komisch«, beginnt er vorsichtig, »aber wie wär’s, wenn wir uns nächstes Jahr wiedersehen? Also, wenn ich wieder da bin, meine ich.«

Meine Augen weiten sich. »N-nächstes Jahr?«, wiederhole ich stockend.

»Falls du dich dann noch an mich erinnerst.«

Wie könnte ich nicht!

»Wir könnten uns hier treffen«, redet er weiter und deutet auf die Stelle, an der wir die letzten Stunden saßen. »Genau hier am Wasser. Oder ist das zu kitschig?« Er fährt sich mit einer Hand durch die Haare und lacht verlegen.

Und das ist er. Der jämmerliche Moment, in dem ich nach nur wenigen Stunden einem wildfremden Menschen verfalle. Früher habe ich mich immer gefragt, woran man merkt, dass man verliebt ist. Jetzt kenne ich die Antwort. Klischeehaft, aber wahr: Man weiß es einfach.

»Okay«, bringe ich mühsam hervor. »Vorausgesetzt, du vergisst mich nicht.«

Er schüttelt den Kopf. »Das werde ich nicht, Sydney.« Er sagt es so aufrichtig, dass ich gar nicht anders kann, als ihm zu glauben.

Luke macht einen Schritt auf mich zu, verringert unseren Abstand und schließt die Arme um mich. Seine Hände streichen mir sanft über den Kopf, während ich mein Gesicht in seiner Halsbeuge vergrabe. Ein letztes Mal atme ich seinen fremden und nun gleichzeitig vertrauten Geruch ein, ganz tief, in der Hoffnung, ihn bis zu unserer nächsten Begegnung bei mir zu haben.

Als Luke meinen Kopf zu seinem Gesicht zieht und mich ansieht, erwarte ich, dass er mich küssen wird. Doch er lächelt nur und lässt mich schließlich los.

»Also, nächstes Jahr?«, vergewissert er sich und klingt mit einem Mal ernst. »Versprichst du es?«

Ich verdrehe die Augen, während ich innerlich Pirouetten drehe. »Okay, du Dramatiker. Ich verspreche es.«

»Gut. Ich verspreche es auch.«

»Also dann.«

»Also dann.«

Wir liefern uns ein stummes Blickduell. Ich warte immer noch darauf, dass er mich küsst, ich hoffe es regelrecht. Doch zu meinem Entsetzen tritt er nicht näher heran, sondern einen Schritt zurück.

Er geht???

So kann es doch unmöglich enden, nicht, ohne unsere Begegnung mit etwas Größerem als einer Umarmung zu besiegeln. Nicht ohne einen eindeutigen Beweis zu haben, dass wir mehr sind als nur Fremde, die sich die ganze Nacht unterhalten haben.

»Bis zum nächsten Jahr«, sagt er abschiedsvoll, lächelt schief und wendet sich ab.

Na gut. Selbst ist die Frau. Wenn er mich nicht küsst, dann werde ich es tun. Ich muss es tun, sonst explodiere ich.

Bevor mich der Mut verlässt, greife ich nach seiner Schulter, ziehe ihn an mich und presse meine Lippen auf seine. Etwas überrascht verkrampft er sich einen Augenblick. Doch dann spüre ich, wie sich seine Lippen zu einem Lächeln verziehen, und endlich, endlich erwidert er meinen Kuss. Ich schmelze. Ich schmelze und werde zu einer Wolke und irgendeinem anderen Aggregatzustand.

So fühlt sich also ein richtiger Kuss an. Als würden meine Atome zerfallen und sich neu bilden. Endlich verstehe ich den Hype.

»Bis zum nächsten Jahr«, hauche ich.

Luke

»Und?« Vince mustert mich fragend. Wir sitzen im Bus und haben einen der Vierersitze ergattert. Aus dem Fenster sehe ich, wie Sydney mit ein paar Freundinnen an der gegenüberliegenden Bushaltestelle steht und redet. Sie trägt noch immer meine Jacke, die ich leider, leider »vergessen« habe. Wenn wir uns schon nicht wiedersehen, soll sie irgendwas von mir behalten.

Der säuerliche Geschmack der Schuldgefühle schießt mir den Rachen runter. Ich presse die Lippen aufeinander und antworte Vince mit einem Nicken.

Keine Sekunde später grölen meine Freunde los. Sie kichern und jubeln und klopfen mir anerkennend auf die Schulter, während ich mich vor Scham am liebsten aus dem Fenster schmeißen würde.

»Du hast trotzdem verloren«, grunzt Said und schüttelt entschieden den Kopf. »Du hast viel zu lang gebraucht.«

»Dein Ernst, Junge?« Ich verdrehe die Augen. »Es gab kein Zeitlimit.«

»Das stimmt«, mischt Alex sich ein. »Die Challenge hieß nur: Bring ein Mädchen dazu, dass sie dich küsst.«

»Aber doch nicht drei Stunden! In dieser Zeit hätte es jeder geschafft.«

»Du hast es nicht geschafft«, zieht ihn Alex auf.

»Gib ihm das Geld, Mann. Wettschulden sind Ehrenschulden«, ergreift Vince, mein bester Freund, wie immer Partei für mich.

»Ich muss erst noch zur Bank«, murrt Said. Er hasst es zu verlieren, tritt allerdings trotzdem immer wieder gegen mich an. Wir machen das schon seit der Zehnten. Irgendwer fordert den anderen zu einer lächerlichen Challenge heraus, manchmal um Geld, und manchmal einfach nur so. Es ist kindisch, aber auch echt lustig. Meistens zumindest.

Nur nicht heute. Definitiv nicht heute.

Der Bus fährt los, und Sydney verschwindet endgültig aus meinem Blickfeld. Plötzlich fühle ich mich wie ein böser Wolf, dem zenterweise Steine im Bauch liegen. Mein Magen zieht sich schmerzvoll zusammen.

»Also, erzähl mal, wie du es geschafft hast«, fordert mich Alex auf, hebt jedoch sofort die Hand, bevor ich sprechen kann. »Oder nein. Nein, lass mich raten. Du hast den Charmeur gespielt.«

Die anderen kichern wie kleine Kinder.

»Ich deute dein Schweigen mal als Ja. Und weiter?«

»Wie weiter?«, murmele ich, den Blick wieder aus dem Fenster gerichtet. Mein eigenes Spiegelbild springt mir entgegen. Ein Typ mit herunterhängenden Mundwinkeln und todmüden Augen.

»Was habt ihr die ganze Zeit gemacht?«

»Geredet.«

»Im Ernst? Das ist ja lahm.«

Nein, war es nicht. Es war perfekt.

»Jepp«, gebe ich zurück und verschränke lässig die Arme vor der Brust.

Die anderen fallen in erneutes Gelächter, verstummen jedoch, als der Busfahrer uns durch die Sprechanlage droht, dass er uns rausschmeißen wird, wenn wir nicht sofort leiser sind.

»Warum bist du nicht mit ihr nach Hause gegangen?«, fragt Vince.

»Weil sie zu lieb war.« Ich denke an ihr reines, strahlendes Lächeln. »Und zu unschuldig. Ich hätte mich echt mies gefühlt.«

»Klar, du bist ja kein Monster«, entgegnet Alex spöttisch.

»Aber hast du wenigstens ihre Nummer bekommen?«, hakt Vince nach.

»Nein.« Jetzt kommt der Teil, für den ich mich am meisten schäme. »Ich habe ihr gesagt, dass ich ins Ausland gehe und dass es sich nicht lohnen würde, Nummern auszutauschen.«

»Ein Auslandsjahr? Und das hat sie dir ernsthaft geglaubt?«

Meine Freunde liegen fast am Boden vor Lachen. Wieder ermahnt uns der Busfahrer und erinnert mich mit seinem schroffen Tonfall an meinen Vater.

Ich weiß auch nicht, warum ich das gesagt habe. Es war eine Kurzschlussreaktion, weil ich mit ihrem trilingualen Diplomatenkind-Jetsetter-Leben nicht mithalten konnte. Heute war ich ohnehin die Witzfigur des Abends und wollte wenigstens vor einer fremden Person so tun, als wäre ich nicht der größte Versager auf Erden, der durchs Abi gerasselt ist.

Aber je mehr wir uns kennenlernten, desto mehr wollte ich die Lüge zurücknehmen. Deshalb kam mir zum Ende hin die Idee, uns nach meinem Scheinaufenthalt wiederzusehen. Nicht meine beste Lüge – aber auf die Schnelle ist mir nichts anderes eingefallen. Plötzlich die Wahrheit zu sagen war in jedem Fall ausgeschlossen.

»Ach übrigens, das mit Neuseeland war gelogen. Eigentlich habe ich dich nur wegen einer Wette angequatscht. Krieg ich trotzdem deine Nummer?«

Nein. Sie hätte mich in die Wüste geschickt. Aber bis zu einem Jahr ist es noch lange hin. Wenn sie nach all der Zeit wirklich kommen sollte, haben wir vielleicht eine Chance.

»Luke, du Pisser, das ist einfach genial«, lobt mich Said zum ersten Mal in dieser Nacht. »Nach dem Abi machen sowieso alle so ’ne Reise. Das ist die ultimative Ausrede!«

Und das Schuldgefühl wird immer schlimmer …

»Das arme Mädchen.« Said wischt sich eine Lachträne aus dem Augenwinkel. »Sie tut mir fast ein bisschen leid.«

Und mir erst.

»Tut mir leid, das zu sagen, Luke, aber du kommst wirklich in die Hölle«, gluckst Alex, und die anderen stimmen mit ein.

»Ja, ich weiß.« Gerade würde ich sogar freiwillig den nächsten Expresszug in Richtung Fegefeuer nehmen.

»Wartet mal. Warum haben wir eigentlich diesen Bus genommen? Niemand von uns wohnt in Friedrichshain«, wechselt Said das Thema und kneift die Augen zusammen, während er aus dem Fenster späht.

Das ist meine Schuld. Ich wollte nicht denselben Bus nehmen wie Sydney und habe die anderen bequatscht, den in Richtung Warschauer Straße zu nehmen. Für uns, die alle im Westen Berlins wohnen, ist das so ziemlich der Arsch der Welt. Meinetwegen brauchen wir jetzt noch länger nach Hause. Es sei denn …

»Vielleicht können wir noch in eine Bar«, denke ich laut.

»Alter, es ist fast acht Uhr. Hast du immer noch nicht genug?«, fragt Vince und klingt hörbar genervt.

Ich zucke mit den Schultern, obwohl ich natürlich nichts lieber täte, als den Abend endlich hinter mir zu lassen. Aber solange ich die Möglichkeit habe, nicht nach Hause zu müssen, nutze ich sie. Mein Vater ist seit dem versemmelten Abi noch übler drauf als sonst.

Und außerdem ist da noch Sydney. Wenn ich erst einmal allein bin, werden sich meine Gedanken nur um sie drehen. Ein Jahr in Neuseeland. Ich bin so ein verdammtes Arschloch. Und wenn sie bis dahin jemanden kennengelernt hat?

»Falls die Bars überhaupt noch aufhaben«, wendet Said ein und lässt mich von meinen Träumereien aufschrecken.

»Also ich wäre dabei«, meint Alex, woraufhin die anderen nach kurzem Bedenken auch in meinen Vorschlag einwilligen, auf den ich inzwischen gar keine Lust mehr habe. Ich will einfach nur zurück zu Sydney, sie an mich ziehen und nie mehr loslassen.

1. KAPITEL

Sydney

Fünf Jahre später. Fünf Jahre später, und ich denke immer noch an ihn. Bin ich die armseligste Person auf der Welt, nach wie vor um einen Typen zu trauern, der mich eiskalt versetzt hat?

Definitiv.

Natürlich habe ich ihn überall gesucht. Bei Facebook, Instagram, Twitter. Ich habe mir sogar sämtliche Dating Apps installiert und mir bei Tinder die Finger wund geswiped. Ich habe bei Work-and-Travel-Foren geforscht. Ich habe die Abiturliste sämtlicher Berliner Schulen durchforstet. Ich habe meinen Recherchekünsten alle Ehre erwiesen und mich mehr informiert als für jede Hausarbeit, die ich jemals geschrieben habe.

Dennoch war ich erfolglos. Luke schien von einem anderen Stern zu kommen und auch dorthin verschwunden zu sein. Hätte ihn Vicky damals nicht auch gesehen, würde ich mich früher oder später gefragt haben, ob ich ihn mir vielleicht nur eingebildet habe.

»Vergiss ihn endlich«, schmatzt Vicky vom Sofa aus und greift in ihre Chipstüte, ohne ihren Blick von der Glotze abzuwenden, wo gerade Jane the Virgin läuft.

Ich hab keine Ahnung, wie sie es macht, aber sie weiß immer, woran ich gerade denke. Dabei bin ich nur kurz durch das Wohnzimmer gelaufen, um mir einen Snack aus der Küche zu holen. Die beiden haben mich eigentlich aus dem Zimmer verbannt, weil ich die Serie schon gesehen und die nervige Angewohnheit habe, versehentlich zu spoilern. Aber da das Wohnzimmer gleichermaßen auch ein Durchgangszimmer zu meinem ist, muss ich trotzdem gelegentlich an den beiden vorbeigehen.

»Wovon redest du?«, gebe ich mich ahnungslos und zerknülle dabei fast den Müsliriegel in meiner Hand.

»Also bitte.« Maya verschränkt die Arme und mustert mich argwöhnisch. »Mach dir selbst ruhig was vor, aber bei uns klappt das nicht. Wir kennen dich zu gut.«

Da ist was dran. Meine besten Freundinnen wissen alles über mich. Vicky kenne ich schon seit dem Gymnasium. Maya ist eigentlich Vickys Freundin, aber da wir zwei an derselben Uni studieren und seit dem ersten Tag jede Mittagspause zusammen verbracht haben, verstehen wir uns mindestens genauso gut. Als Trio haben wir so gut funktioniert, dass wir nach dem ersten Semester eine WG gegründet haben und seitdem zusammenwohnen.

»Und außerdem«, Vicky greift wieder in die Chipstüte und inspiziert das frittierte Ding in ihrer Hand, »wissen wir, welcher Tag heute ist.«

»Der fünfzehnte August«, hilft Maya mir auf die Sprünge, als ob ich es nicht selbst wüsste. Das Datum ist schon seit Jahren dick und fett in meinen imaginären Kalender eingetragen. Ich müsste schon dement werden, um ihn zu vergessen.

»Die Nacht des Abiballs«, fügt Vicky mit unheilvoller Stimme hinzu und hebt ihre krümelbesetzte Hand in die Höhe. »Als sich Sydneys Leben für immer veränderte.« Sie hat eine tiefe Erzählerstimme eingenommen und räuspert sich kurz, ehe sie weiterspricht. »Es war eine laue Sommernacht. Sydney trug ein Kleid, so weiß wie Schnee, ihre Lippen so rot wie Blut.«

Schmunzelnd verdrehe ich die Augen, während Maya ihr Lachen durch ein Husten zu kaschieren versucht.

»Du weißt schon, dass plagiieren illegal ist«, kommentiere ich grinsend. »Nur weil du das Wort Haut durch Kleid änderst, ist es noch lange nicht …«

»Doch dann sah sie diesen Jungen«, unterbricht sie mich und schnappt theatralisch nach Luft. »Und es war …« Künstliche Pause. »Als würden sie sich ewig kennen.«

Abrupt verblasst mein Lächeln. Die Bilder, die ich in den letzten fünf Jahren mindestens eine Million Mal in meinem Kopf durchgespielt habe, flitzen wie ein schneller Stummfilm an mir vorbei. Ich will auf die imaginäre Stopptaste drücken, doch es gelingt mir nicht. Der Film läuft weiter und endet mit unserem Kuss, bei dessen Erinnerung mich noch immer das Gefühl, als würde ich schweben, überkommt. Plötzlich ist mir nach Weinen zumute, aber ich will den beiden nicht das Gefühl geben, dass ihre Späße mich verletzen. Wobei sie meinen Stimmungsumschwung anscheinend trotzdem bemerken, denn sie hören augenblicklich auf, mich zu ärgern.

»Ach, Süße.« Maya nimmt die Füße vom Tisch und klopft auf den freien Platz zwischen sich und Vicky. Widerwillig quetsche ich mich neben sie und stolpere dabei fast über Mayas Skateboard am Boden, das mal wieder überall, nur nicht auf seinem Ständer an der Flurwand platziert ist.

»Was, wenn er wirklich auf Tatooine lebt?«, frage ich hoffnungsvoll.

Die beiden lachen kurz.

»Ja klar, in einer WG mit Jabba«, entgegnet Vicky belustigt. »Vielleicht hat er dir auch einen falschen Namen genannt.«

»Hat er nicht«, protestiere ich. »Wer sagt, dass er mich überhaupt angelogen hat?«

»Na ja … sein Nicht-Erscheinen?«, sagt Maya vorsichtig und löst eine Strähne aus ihrem Ohrpiercing, die sich immer darin verfängt. Ihre Lippen sind dabei leicht verzogen, unklar, ob vor Schmerz oder weil sie mich keinesfalls verletzen will.

»Ja, er hat mich versetzt«, räume ich ein. »Aber vielleicht hat er jemand anderen kennengelernt. Oder er ist länger weggeblieben. Wir haben keine Nummern ausgetauscht, deshalb konnte er mir nicht Bescheid geben.«

»Ein ziemlich schlauer Fuchs«, erwidert Vicky spitz.

Ich werfe ihr einen bösen Blick zu. »So war er nicht. Er war kein Arsch oder so. Du würdest dir auch nicht einfach die Nummer von jemandem einspeichern, wenn du danach für ein Jahr verschwindest. Wir haben nur geredet«, fahre ich fort, obwohl die beiden sich das Ganze schon tausendmal anhören mussten. »Die ganze Nacht lang haben wir geredet und uns in die Augen gesehen. Er hätte mich nicht einmal geküsst, wenn ich es nicht getan hätte. Er war durch und durch ein Gentleman. Und er mochte mich auch. Das weiß ich einfach.«

Ich gebe ein paar grummelnde Laute von mir und rutsche tiefer ins Polster. Mein Blick fällt auf den eingefrorenen Bildschirm. Jane und Michael sehen sich gerade tief in die Augen und erinnern mich prompt an Luke und mich. Alles erinnert mich an uns. Ich habe mich Hals über Kopf in einen Jungen verliebt, den ich überhaupt nicht kenne und nur ein einziges Mal gesehen habe. Wie armselig ist das bitte?

»Versprich mir nur eins«, ergreift Vicky wieder das Wort. Ihr Tonfall ist nicht mehr neckend, sondern aufrichtig besorgt. Aus ihrem Atem dringt der salzige Geruch von Kartoffelchips. »Bitte fahr nicht hin. Nicht schon wieder.«

Ihr letzter Satz hinterlässt ein schambesetztes sodbrennartiges Gefühl in meinem Magen. In den letzten vier Jahren war ich jedes Mal da. Anfangs noch aus der Hoffnung, ihn endlich wiederzusehen, und später aus reinem Masochismus. Die Nacht des fünfzehnten Augusts ist die Nacht, in der ich mir erlaube, in Selbstvorwürfen und Mitleid zu versinken. Jedes Mal fahre ich zu dem alten Club, setze mich ans Ufer und denke an unsere kurze gemeinsame Zeit. Natürlich warte ich auch, aber das würde ich niemals vor den anderen zugeben.

»Vergiss es. Damit bin ich durch. Ich mache mich nicht länger zum Volltrottel.«

»Gut«, sagt Maya. »Es gibt nämlich noch einen Haufen anderer süßer Typen da draußen. Du wüsstest das auch, wenn du dich nicht ständig auf ihn fixieren würdest.«

»Hab’s kapiert, ich gehe nicht. Ich schwöre es hoch und heilig.«

Wer’s glaubt, wird selig …

Natürlich bin ich doch hingegangen. Ich konnte nicht anders, es war wie ein durchtriebener Zwang, dem ich nachgeben musste, um nicht in tausend Teile zu zerspringen. Niemand muss mir sagen, wie lächerlich es ist, sich mitten in der Nacht aus den eigenen vier Wänden herauszuschleichen und zu dem Ort zu fahren, an dem alles begann. Die Chancen sind gering, aber wenn mich Luke genauso gesucht hat wie ich ihn, wenn auch nur die kleinste Möglichkeit bestünde, ihn wiederzusehen, würden wir beide sicher zu dem Ort gehen, an dem wir uns kennengelernt haben.

Doch wie erwartet kommt er nicht. Obwohl ich es mir so sehr gewünscht habe, hat das Leben mich zum wiederholten Mal daran erinnert, dass es kein verdammter Teenie-Film ist. Und während ich auf das dunkle Wasser starre, mir den Hintern abfriere und mir wie die größte Loserin vorkomme, die die Menschheitsgeschichte je gesehen hat, wird mir eines mit reichlicher Verspätung endlich klar.

Es reicht. Ich muss ihn endgültig loslassen.

2. KAPITEL

Sydney

Backen ist meine Meditation. Wenn ich den Ofen vorheize und die Zutaten bereitstelle, verliere ich das Gefühl von Raum und Zeit. Ich lebe im Moment, während ich rühre, knete und forme. Beim Backen werden meine Sinne klarer und schärfer. Und dann, am Ende, habe ich etwas Neues erschaffen.

Backen erfordert Konzentration und Präzision. Und Liebe, wie meine Großmutter sagen würde. »Mit Liebe schmeckt alles viel besser« – so ihre Faustregel. Von ihr habe ich mir meine Leidenschaft übrigens abgeguckt.

Heute habe ich mich für etwas Aufwendiges entschieden, um besonders lang beschäftigt zu bleiben: eine doppelbödige Blaubeer-Kokos-Torte mit einem Joghurt-Frosting – vegan natürlich. Alles, was wir im Coffee & Books anbieten, ist ohne tierische Produkte.

Eigentlich arbeite ich als Barista nicht in der Küche, sondern an der Theke. Unser Gebäck wird, genau wie in den meisten Cafés, gefroren geliefert und in der Küche aufgetaut. Ich jedoch habe es mir vor einer Weile zum Hobby gemacht, wenn weniger los ist, in die Küche zu verschwinden, und mir die Zeit mit Backen zu vertreiben. Die Zutaten dafür kaufe ich immer selbst, und ich kriege auch kein höheres Gehalt. Aber das ist okay. Für meine Meditation zahle ich diesen Preis gern.

Der Tortenboden ist bereits abgekühlt und in zwei Teile halbiert. Ganz in meinem Element streiche ich die violette Creme auf den einen Boden, bevor ich den anderen daraufsetze. Fast fertig. Fehlt nur noch das Frosting.

»Hey, kennst du irgendjemanden, der gerade einen Job sucht?« Tina, die Inhaberin des Cafés steckt ihren rot gefärbten Schopf durch die Tür. Sie trägt eine dunkelgrüne Latzhose mit gepunkteten Chucks, was irgendwie die Assoziation eines Weihnachtsbaums in mir hervorruft.

Ich schüttele den Kopf, während ich mehr Kokosflocken in den Joghurt schütte. »Nein, immer noch nicht.« Dasselbe hat sie mich schon heute Morgen gefragt. Und gestern Morgen. Und die ganze letzte Woche.

»Was ist mit deinen Mitbewohnerinnen?«

»Die arbeiten schon woanders«, erwidere ich und schmecke die Creme mit einem Löffel ab. Ich kann mir Vicky ohnehin nicht in der Küche vorstellen. Sie würde den rohen Teig schon verschlingen, bevor er in der Kuchenform ist. Und Maya würde den Teig zwar nicht essen, aber mit großer Sicherheit verbrennen.

»Oh wow, Sydney.« Tinas Blick fällt auf meine Torte, ehe sie den Raum mit großen Schritten überquert. »Die sieht Hammer aus. Was ist das? Blaubeere?« Sie steckt einen Finger in die violette Masse und schleckt daran.

»Und Kokos«, ergänze ich und reiche ihr die ganze Schüssel. »Hier, bitte. Ich muss eine neue machen.«

»Warum? Ich war doch nur ganz kurz mit dem Finger drin. Meine Hände sind sauber, ich schwör’s!«

»Trotzdem«, beharre ich. »Ich will nicht gegen irgendwelche Hygieneregeln verstoßen. Und wer weiß, vielleicht ist das ja nur ein Test von dir, um zu überprüfen, wie ich reagiere.«

»Du hascht bestanden«, nuschelt sie, den Finger schon wieder mit einem Klacks Creme im Mund. »Mitarbeiterin desch Monatsch.«

Ich lache leise.

»Fuck, ist das gut.« Tina bedient sich einer weiteren Portion und schließt die Augen. »Mmh. Traumhaft. Die Kokosnote kommt erst zum Schluss. Boah. Im Ernst, ich könnte mich in das Zeug reinlegen.«

»Meinst du, sie ist süß genug?«, überlege ich skeptisch. Bei Obsttorten mache ich oft den Fehler, zu sparsam mit dem Zucker zu sein.

Tina verdreht die Augen und schiebt sich den Träger ihrer runterhängenden Latzhose wieder hoch. »Wirst du irgendwann ein Kompliment annehmen, ohne dich ständig selbst zu kritisieren?«

»Ich will doch nur, dass sie perfekt wird.«

»Sie ist perfekt. Ich werde dieses Baby für satte fünf Euro pro Stück verkaufen. Sie steht doch zum Verkauf? Oder hast du sie für jemand anderen gebacken?«

»Nein, verkauf sie ruhig.« Im Grunde ging es mir beim Ganzen nur um meine Meditation. Was danach mit dem Kuchen passiert, ist mir egal.

»Dann mach sie schnell fertig und komm nach draußen. Wir brauchen dich hier vorne. Aufräumen kannst du später.«

»Okay, gib mir drei Minuten«, sage ich und eile zum Kühlschrank, um den veganen Blaubeerjoghurt für das neue Frosting zu holen.

Schnell glätte ich das Frosting mithilfe meiner Winkelpalette, die ich vor einer Weile von zu Hause mitgebracht habe. Zum Schluss verziere ich die Torte mit ein paar Himbeeren und Blaubeeren. Fertig.

Als ich mich vor den Tresen stelle, tritt Lennart, mein Mitarbeiter, zur Seite und öffnet das Glasfenster, damit ich die Torte in die Theke stellen kann.

»Wow, Sydney, du hast dich mal wieder selbst übertroffen. Will ich wissen, wie viel Zucker da drin ist …«

»Gar nicht so viel.«

Er lacht über meinen offensichtlichen Bluff und schiebt die Glastür wieder zu. Dann angelt er nach dem Handtuch, das an der Spüle baumelt, und reicht es mir, damit ich meine leicht verschmierten Hände abwischen kann.

»Danke, Lennart.« Obwohl er die dunkelblonden Haare, anders als bei unserer ersten Begegnung, inzwischen deutlich kürzer trägt, erinnert er mich mit seinem graublauen Blick und dem Kinngrübchen noch immer an Anakin Skywalker.

»Wie oft soll ich dir noch sagen, dass du mich Lenny nennen sollst?«, schimpft er halbstreng.

Würde ich ja gern, wenn Lenny nicht wie der Name eines Golden Retrievers klingen würde …

Die nächsten Stunden arbeiten wir wie am Fließband. Tina notiert sich die Bestellungen, ich bereite den Kaffee zu, Lennart gibt das Essen aus und kassiert ab. Tina hat recht, wir sind extrem unterbesetzt und müssten dringend jemanden einstellen. Kurz vor den Ferien haben zwei Vollzeitmitarbeiter gekündigt, deshalb machen Lennart und ich gerade eine Überstunde nach der anderen. Meine Pausen nutze ich nicht mehr zum Verschnaufen und Durchatmen, sondern zum Backen.

Trotzdem liebe ich meine Arbeit im Coffee & Books. Tina hat das Café vor sechs Jahren gegründet, als der Hype um vegane Ernährung gerade erst im Kommen war. Sie hatte damit den Zahn der Zeit getroffen und das Café wurde binnen kurzer Zeit zu einem der erfolgreichsten der Gegend. Die zweite Besonderheit des Coffee & Books ist die große Bücherwand, die eine Seite des Cafés einnimmt. Alle Bücher, die in den Regalen stehe, dürfen gelesen, mitgenommen, getauscht, zurückgegeben oder neu hinzugefügt werden. Jeden Tag sieht die Wand anders aus.

Vor einem Jahr haben Lennart und ich uns dem Team angeschlossen. Wir kannten uns zwar schon vorher flüchtig über Maya, aber in den letzten Monaten sind wir zu richtigen Freunden geworden.

Als die Rushhour gegen sechzehn Uhr allmählich abklingt, verlässt uns Tina mit einem erschöpften Schnaufen im Pausenraum. Zu meiner großen Freude sind nur noch zwei Stücke von meiner Torte übrig. Vielleicht war sie ja doch süß genug.

»Du eins, ich eins?« Lennart deutet mit dem Kopf auf mein lila Kunstwerk. Ich grinse. Der wohl größte Vorteil, in einem Café wie diesem zu arbeiten, ist die köstliche Tatsache, sich eine Menge Gebäck zu erschnorren.

»Wollen wir uns nicht lieber einen teilen und das letzte Stück einem Gast übrig lassen?«, schlage ich vor. »Die Dinger sind echt mächtig.«

»So viel zu ein bisschen Zucker«, neckt er mich, kramt jedoch einen Teller und zwei Gabeln hervor. Wir essen geduckt hinter der Kaffeemaschine, auch wenn es den Gästen vermutlich egal ist, dass wir auch ein bisschen naschen.

»Das ist wirklich der beste von allen«, meint Lennart mit vollem Mund.

Ich verdrehe die Augen und gebe ihm einen freundschaftlichen Klaps gegen den Arm. »Das sagst du jedes Mal.«

»Weil es stimmt.«

Dankbar lächele ich ihn an. »Das ist nett von dir, Lennart. Lenny«, korrigiere ich mich schnell.

»Was machst du eigentlich heute Abend?«, erkundigt er sich und kratzt das letzte bisschen violette Creme vom Teller auf. »Tina und ich wollten später noch auf einen Drink ins Epos.«

Lennart lädt mich fast jeden Tag nach der Arbeit ein, und ich sage jedes Mal ab. Der Grund ist kein anderer als der, dass ich mich fünf Jahre lang kaum auf jemanden einlassen konnte. Auch nicht auf Lennart, obwohl er eigentlich ganz süß ist.

»Mit dir wird es bestimmt lustiger«, fügt er lächelnd hinzu, als ich noch nichts geantwortet habe.

Ich beiße mir auf die Zunge, um die automatisierte Absage zu verhindern.

»Ich bin kein großer Fan von Bars.«

»Ich bin nicht passend angezogen.«

»Ich muss noch eine Menge für die Uni machen.«

Dabei lautet die eigentliche Antwort doch: »Ich will nicht raus gehen und andere Menschen kennenlernen, weil keiner von ihnen an Luke rankommt.«

Und schon wieder sitze ich in Gedanken am Landwehrkanal, mit einer Jacke um meine Schultern, die herb und ledrig riecht, und warte darauf, dass ein Jemand sein Versprechen einlöst. Fünf lange Jahre.

Verdammt, ich wollte doch loslassen!

»Okay«, sage ich, bevor ich es mir anders überlege.

*

Als meine Schicht endlich rum ist, befreie ich mich aus meiner dreckigen Schürze, löse meine Haare aus meinem Zopf und spaziere gemeinsam mit Lennart, Tina und einem Stammgast, der sich spontan entschlossen hat mitzukommen – und bei dem sich Tina nicht zusammenreißen konnte, ihn auch zu fragen, ob er einen Job sucht –, in Richtung Epos.

Das Epos ist eine kleine rustikale Bar um die Ecke. Der Inhaber ist ein Urberliner, schätzungsweise hundert Jahre alt und sieht ein bisschen aus wie der Weihnachtsmann. Gelegentlich holt er sich bei uns seinen Kaffee, den er mit etwa zehn Löffeln Zucker süßt.

Mich beschleicht ein Anflug kindlicher Aufregung, da ich selten ausgehe – aber das soll sich zukünftig ändern. Heute wird eine neue Seite aufgeschlagen. Von nun an bin ich nicht mehr Langweiler-Sydney, die mit ihren zwei besten Freundinnen auf dem Sofa vegetiert und ihrem verschollenen Geliebten nachtrauert. Ich bin Spaß-Sydney, die nach einem anstrengenden Arbeitstag mit ihren Kollegen in eine Bar geht und einen draufmacht. Vielleicht besaufe ich mich heute, vielleicht reiße ich sogar jemanden auf.

Na gut, erst mal eins nach dem anderen.

Beschwingt und motiviert stolziere ich ins Epos und verordne mir selbst, nicht vor dem dritten Drink zu verschwinden.

Und dann passiert es. Es passiert das, was passieren muss, weil mein Leben nun mal ist, wie es ist. Das Schicksal nutzt meine Unachtsamkeit, um mir geradewegs ein Bein zu stellen. Und ich falle – schon wieder. Denn in dem Moment, in dem ich ihn loslasse, in dem Moment, in dem ich Luke endlich ein für alle Mal gehen lassen will und aufhöre, an ihn zu denken, sehe ich ihn wieder.

3. KAPITEL

Luke

Das Mädchen starrt mich schon seit einer ganzen Weile an. Ich tue so, als würde ich es nicht bemerken, und nippe an meinem Bier, während ich auf mein Handy linse. Dann, bei jedem neuen Schluck, huscht mein Blick wieder zu ihr. Groß, schwarze gelockte Haare, dunkelbraune Haut. Sie trägt ein schwarzes Top, dazu hellblau verwaschene Jeans und weiße Sneakers.

Sie ist hübsch, sehr hübsch sogar. Doch es sind ihre Augen, die mich in ihren Bann ziehen. Selbst aus der Entfernung kann ich erkennen, wie groß und funkelnd sie sind.

Wieder nehme ich einen Schluck, und wieder schaue ich zu ihr rüber. Sie mustert mich noch immer. Wow. So unverfroren wurde ich schon lange nicht mehr begutachtet.

Eigentlich bin ich nur hergekommen, um meinen Kummer in billigem Bier zu ertränken. Eine Kündigung darf schließlich auch gebührend begossen werden. Aber vielleicht verschiebe ich dieses Vorhaben einfach um einen Tag und schaue mal, was der Abend sonst noch zu bieten hat.

Im Geiste gehe ich meine typischen Anmachsprüche durch.

»Hey, du hast echt schöne Augen.«

Nein, viel zu abgedroschen.

»Hey, schöne Haare.«

Nein, noch schlimmer. Keine Komplimente zu ihrem Äußeren. Ich bin doch kein Anfänger.

Vielleicht belasse ich es beim einfachen »Hey« und sehe dann weiter.

Gerade, als ich ihren Blick erwidern und auf sie zugehen will, schafft es das fremde Mädchen, mich doch tatsächlich in Staunen zu versetzen, indem sie auf mich zukommt. Ihr Blick ist unbeholfen und schüchtern. Ihre Hände zittern ein wenig, als wäre sie voll aufgeregt. Dabei macht sie doch den ersten Schritt. Das ist echt süß. Am liebsten würde ich ihr auf halbem Weg entgegenkommen.

Einen Meter vor mir bleibt sie stehen. Das Erste, was ich registriere, ist ihre Größe. Sie ist fast so groß wie ich. Das Zweite sind ihre Augen. Etwas Funkelndes, Vertrautes tanzt in ihnen. Irgendwie kommen sie mir bekannt vor, aber ich weiß nicht, woher. Vielleicht erinnert sie mich an jemanden.

»Hallo.« Ihre Stimme ist warm und angenehm.

»Hey, wie geht’s?«, entgegne ich ihr. Nicht gerade die originellste Anrede, aber was soll’s.

»Äh, gut. Und dir?« Sie lächelt verhalten und verlagert ihr Gewicht aufs andere Bein.

»Mir auch, danke.« Ich stelle meine leere Bierflasche auf dem Tresen ab und drehe mich wieder zu ihr. Sofort trifft ihr intensiver Blick meinen, und mir wird zum ersten Mal bewusst, was Leute damit meinen, wenn sie sagen, dass es sie verlegen macht, wenn sie angestarrt werden. Mich überkommt der Impuls, wegzusehen. Plötzlich weiß ich nicht mehr, was ich sagen soll.

»Lange nicht gesehen«, sagt sie und lacht leise.

Lange nicht gesehen? Ob sie das ironisch meint, weil sie unseren gestelzten Small Talk genauso albern findet wie ich? Wahrscheinlich, denn alles andere würde keinen Sinn ergeben.

Ich entscheide mich, mitzumachen, und so lache ich mit und setze einen drauf. »Viel zu lange.« Ich seufze verliebt. »Wo warst du nur die ganze Zeit?«

»Ich war die ganze Zeit hier! Wo warst du?«

Wow, sie spielt ihre Rolle echt gut. Wieder lache ich und beschließe aufzugeben.

»Wie heißt du?«, frage ich sie freundlich.

Das Lächeln des Mädchens gefriert. Vielleicht wollte sie unseren kleinen Sketch fortsetzen. Vielleicht steht sie auf Rollenspiele …

Es vergeht eine gefühlte Ewigkeit, ehe sie mir endlich ihren Namen nennt. »Sydney.«

»Sydney«, wiederhole ich und lasse mir den Namen auf der Zunge zergehen. »Ein wirklich schöner Name. Ich bin Lukas. Aber die meisten nennen mich Luke.«

Ich reiche ihr die Hand, doch sie schüttelt sie nur knapp, bevor sie sie eilig zurückzieht.

»Also, Sydney, was hat es mit deinem Namen auf sich?«, frage ich und tue so, als hätte ich es nicht bemerkt. Schüchterne Mädchen sind manchmal schräg. »Kommst du aus Sydney?«

Wieder sieht sie mich einen Moment lang nur an, ohne zu antworten. Als würden wir über eine Entfernung skypen und meine Worte nur zeitversetzt zu ihr durchdringen.

Als ich meine Frage erneut stellen will, schüttelt sie den Kopf. »Nein. Aber meine Eltern haben sich in Sydney kennengelernt. Meine Mutter ist Diplomatin«, setzt sie als Erklärung hinzu.

»Oh, ein Diplomatenkind«, sage ich ehrlich interessiert. »Dann bist du sicher viel rumgekommen.«

»Ja?«, entgegnet sie, wobei es fast schon als Frage klingt. »Und du?« Ihre Stimme zittert ein wenig. »Verreist du gern? Warst du auch mal in … Sydney?«

»Nein, schön wär’s. Ich war noch nie außerhalb Europas. Aber ich würde gern mal hin.«

Sydney nickt registrierend, dann lächelt sie gezwungen. Ihr Blick fliegt durch die Bar, über den Tresen, zu meinem Bier, zu einer Gruppe fremder Leute. Sie schaut überallhin, nur nicht in meine Augen. Ich verstehe sie nicht. Wieso kommt sie auf mich zu, spielt ein Spielchen und stürzt scheinbar dabei ab? Ist sie wirklich schüchtern oder tut sie nur so?

»Aber du lebst hier?«, nehme ich den Small Talk wieder auf. Vielleicht taut sie ein wenig auf, wenn sie ein bisschen mehr über sich erzählt.

Doch sie nickt nur kurz und reckt das Kinn fast schon ein wenig hochnäsig in die Höhe, als wäre die Antwort darauf völlig logisch.

»Und, äh, mit wem bist du hier?«, setze ich einen letzten Versuch an. Wenn sie weiterhin so wortkarg ist, bin ich weg. Faszinierende Augen hin oder her.

Sie öffnet den Mund, um mir zu antworten, als ihr im selben Moment ein blonder Kerl den Arm um die Schultern legt.

»Soll ich dich retten?«, raunt er ihr zu, laut genug, dass ich es auch hören kann. Seinem Blick nach zu urteilen würde er ihr am liebsten ans Bein pissen, um sein Revier zu markieren. Ich glaube nicht, dass er ihr Freund ist, aber ich glaube auch, dass er es gern wäre.

Sydney schüttelt zaghaft den Kopf. »Nein, schon gut.«

Schon gut? Sie war es doch, die auf mich zugekommen ist. Warum tut sie jetzt so, als sei ich eine lästige Spinne, die sie auch allein zerquetschen kann?

Obwohl mir das Ganze allmählich zu blöd wird, beschließe ich, trotzdem nett zu sein, weil ich zu müde für eine weitere Auseinandersetzung an diesem Tag bin.

»Hey, ich bin Luke«, stelle ich mich vor und reiche ihm die Hand. »Sydney und ich haben uns gerade kennengelernt.«

Der Blonde lächelt überrascht, vielleicht wundert es ihn, dass ich einen so freundlichen Ton an den Tag lege.

»Ich bin Lenny.«

»Freut mich, Lenny. Ich habe Sydney gerade gefragt, mit wem sie hier ist, aber –« Ich deute auf die beiden und hebe die Hände, als ob ich nicht wüsste, dass zwischen den beiden nichts läuft. »Ich wusste nicht, dass sie mit dir hier ist. Sorry, Bro.«

»Oh! Nein, er ist nicht mein Freund!« Offenbar scheint Sydney erst jetzt zu bemerken, dass er sie im Arm hält. Schnell befreit sie sich aus seinem Griff. »Wir sind bloß Kollegen«, ergänzt sie.

»Ja … Kollegen«, pflichtet Lenny ihr zögernd bei und lächelt verkrampft. »Wir arbeiten zusammen im Coffee & Books.«

»Das kenne ich. Das ist hier gleich um die Ecke, oder?«

»Genau. Die Dame hier macht dir die besten Torten der Stadt.« Stolz deutet er auf Sydney, die mit einem Mal ganz blass wirkt. Ich werfe ihr einen besorgten Blick zu, doch sie weicht meinem weiterhin aus.

»Ich muss jetzt gehen«, wispert sie an Lennys Schulter, und einen absurden Moment lang glaube ich, dass es was mit mir zu tun haben könnte. Aber das kann nicht sein, wir haben uns ja kaum richtig unterhalten.

»Was? Jetzt schon?« Der Typ mit dem Hundenamen zieht einen Schmollmund. »Wir haben noch gar nichts zusammen getrunken.«

»Ein anderes Mal, okay? Mir geht es irgendwie nicht so gut.«

Das würde jetzt zumindest erklären, warum sie sich so seltsam verhält.

»Oh, ist dir übel?« Lenny mustert sie wachsam. »Soll ich dich nach Hause bringen?«

Sie schüttelt den Kopf. »Nein, das passt schon. Ich habe es nicht weit.«

Die beiden umarmen sich zum Abschied.

»Arbeitest du morgen?«, fragt er und streicht ihr sanft über den Rücken.

Ich weiß zwar nicht warum, aber irgendwie nervt es mich, dass der Kerl sie so antatscht.

»Nein, erst Freitag wieder.«

»Dann sehen wir uns Freitag.«

Als sie sich voneinander lösen, huscht Sydneys Blick zurück zu mir und verhakt sich mit meinen. Ich bin wie hypnotisiert, ich blinzle nicht einmal mehr. Ihre dunklen Augen sind wie ein Strudel, der mich immer tiefer in seinen Bann zieht.

»Bis dann, Sydney«, sage ich, ohne den Blickkontakt zu unterbrechen.

»Bis dann … Luke.« Sie schluckt fest, dann dreht sie sich um und flitzt in Richtung Ausgang, als müsse sie sich jeden Moment übergeben.

Die Ärmste. Viele tun ja so, um sich aus einer unangenehmen Situation zu befreien, aber sie wirkt wirklich völlig am Ende.

»Gute Besserung«, rufe ich ihr noch hinterher.

4. KAPITEL