Sunrise Full Of Wonder - Mounia Jayawanth - E-Book

Sunrise Full Of Wonder E-Book

Mounia Jayawanth

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Beschreibung

"Schließlich lächelt sie - ein Lächeln, das sich tief in mich hineinbrennt. Eine Narbe der guten Sorte. Eine, von der ich wünschte, sie würde nie verblassen."

Auf eines kann sich Maya verlassen: dass ihr bester Freund Lenny immer an ihrer Seite ist. Schließlich teilen sie schon seit Jahren alles miteinander, trösten sich über jeden Liebeskummer hinweg und fangen sich gegenseitig auf, wenn der andere mal wieder in die Friendzone verbannt wurde. Doch als Lennart seine Wohnung verliert und kurzfristig bei Maya einzieht, verändert sich alles. Plötzlich weckt die Nähe zu Lenny vollkommen neue Gefühle in Maya, und sie muss sich fragen, ob die große Liebe vielleicht die ganze Zeit über schon ganz nah war. Aber kann sie sicher sein, dass Lenny ihre Gefühle auch erwidert? Oder läuft sie Gefahr, den wichtigsten Menschen in ihrem Leben zu verlieren?

"Dieses Buch hat mich zum Lachen gebracht und mir tausend Tränen geschenkt. Es ist keine Empfehlung, sondern ein Must-Read, der zeigt, wie wichtig NA-Romane für Themen wie diese sind." JUSTINE PUST

Band 3 der BERLIN-NIGHT-Trilogie

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Seitenzahl: 514

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INHALT

Titel

Zu diesem Buch

Leser:innenhinweis

Widmung

Motto

Playlist

Prolog

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

40. Kapitel

41. Kapitel

42. Kapitel

43. Kapitel

44. Kapitel

45. Kapitel

46. Kapitel

47. Kapitel

48. Kapitel

49. Kapitel

Epilog

Nachwort

Danksagung

Die Autorin

Die Romane von Mounia Jayawanth bei LYX

Impressum

Mounia Jayawanth

Sunrise full of Wonder

Roman

ZU DIESEM BUCH

Egal, was passiert, ob sie jemanden braucht, mit dem sie lachen oder weinen kann, auf ihren besten Freund Lenny kann Maya sich immer verlassen. Schließlich teilen die beiden schon seit Jahren alles miteinander und trösten sich über jeden Liebeskummer hinweg. Denn viel zu oft wurden sie von anderen schon in die Friendzone verbannt – mit dem Gefühl konfrontiert, nicht gut genug zu sein. Doch wenn sie zusammen sind, fühlen sie sich vollkommen verstanden, geborgen und geliebt. Aber als Lennart seine Wohnung verliert und bei Maya einzieht, verändert sich alles. Plötzlich weckt die ständige Nähe zu Lenny ganz neue Gefühle in Maya. Seine Stimme, sein Geruch, seine Berührungen – alles, was ihr so lange vertraut war, erscheint nun vollkommen anders und so viel intensiver als vorher. Aber kann Maya sicher sein, dass Lenny ihre Gefühle auch erwidert? Oder läuft sie Gefahr, den wichtigsten Menschen in ihrem Leben zu verlieren? Und als wäre das nicht schon aufwühlend genug, werden die beiden mit einer unerwarteten Herausforderung konfrontiert, die ihre Beziehung auf eine harte Probe stellt …

Liebe Leser:innen,

dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte. Deshalb findet ihr hier eine Triggerwarnung.

Achtung: Diese enthält Spoiler für das gesamte Buch!

Wir wünschen uns für euch alle das bestmögliche Leseerlebnis.

Eure Mounia und euer LYX-Verlag

Für Andi.

Bester Freund. Partner. Seelenverwandter.

»He smiled the most exquisite smile, veiled by memory, tinged by dreams.«

Virginia Woolf

PLAYLIST

ocean eyes – Billie Eilish

Everybody Wants You – Johnny Orlando

Just a Friend to You – Meghan Trainor

needy – Ariana Grande

She – Jake Scott

Shower – Becky G

OMG What’s Happening – Ava Max

Butterflies – MAX, Ali Gatie

Ross & Rachel – Jake Miller

Love Somebody – Lauv

THAT’S WHAT I WANT – Lil Nas X

Summertime – Public Library Commute

Honeymoon Fades – Sabrina Carpenter

Wonder – Shawn Mendes

Waves – Mr. Probz

Ready – Sam Fischer

enough for you – Olivia Rodrigo

PROLOG

Fünfeinhalb Jahre zuvor

Maya

Ich weiß noch nicht genau, wie das mit dem Alkohol funktioniert, aber ich glaube, ich mache irgendwas falsch. Ist es normal, dass einem nach zwei Bier schon so schwummerig ist? Dabei habe ich vorher extra noch was gegessen, weil ich gehört habe, dass ein voller Magen den Effekt etwas abmildern würde.

Vielleicht reicht es aber auch einfach fürs Erste. Ich schiebe den Rest meines Getränks auf die andere Seite des Tresens und signalisiere der Barkeeperin mit einem Lächeln, dass sie abräumen kann. Sie nickt als Antwort, und im nächsten Moment ist die grüne Flasche verschwunden. Einen Dank murmelnd, den sie durch die laute Musik vermutlich sowieso nicht hört, drehe ich mich um, und lehne mich gegen den Tresen.

Inzwischen hat sich der Rummel an der Bar beruhigt, die meisten sind wieder auf der Tanzfläche und schwingen zu einem schnellen Remix von Adeles Hello. Lächelnd betrachte ich die tanzende Meute und summe den Text mit. Neben mir höre ich, wie eine Gruppe Jungs darum wettet, dass sie ein Mädchen dazu bringen können, sie zu küssen. Mein Magen zieht sich zusammen vor Ekel, aber ich behalte meine Gesichtszüge im Griff, um mir nicht anmerken zu lassen, dass ich mitgehört habe. Die Leute aus meiner alten Schule waren kein Stück besser.

Die Leute aus meiner alten Schule …

Und schon schleicht sich ein breites Grinsen zurück auf meine Lippen. Ich bin nicht mehr dort. Ich bin in Berlin. Ich bin tatsächlich in Berlin!

In your face, Mama!

Ein Teil von mir wünschte, sie würde mich jetzt sehen. Hier, um zwei Uhr morgens in einem verdreckten Berliner Club, nach den ersten zwei Bier meines Lebens. Sie würde ausflippen, und das wäre ein ziemlich lustiger Anblick. Aber dazu wird sie keine Gelegenheit mehr haben, denn die Frau wird mich nie, nie wiedersehen.

Natürlich habe ich auch Angst in der neuen Stadt. Ich kenne Berlin noch gar nicht. Die Stadt ist riesig, hier sind so viele Menschen, und ich bin allein, kenne niemanden. Aber meine Freude ist größer als die Furcht.

Keine Ahnung, ob es am Alkohol liegt oder der Erkenntnis, endlich frei zu sein, aber ein wohliger Schauer der Wärme zieht sich durch meinen ganzen Körper. Mein Körper. Der nur mir allein gehört. Sonst niemandem. Am liebsten würde ich heulen vor Glück, aber dafür strahle ich gerade viel zu sehr.

Seit ich vor zwei Tagen angekommen bin, kann ich gar nicht mehr aufhören zu lächeln. Es ist, als würde mein Leben nach achtzehn langen Jahren endlich beginnen. Selbst, dass ich noch keine Wohnung gefunden habe, kann meiner Freude keinen Abbruch tun. Ich bin in Berlin, weil die HU mich angenommen hat. Ich werde hier leben und Philosophie studieren, so, wie ich es schon so lange wollte. Der Rest wird sich schon irgendwie ergeben, da bin ich sicher. Alles, was ich jetzt tun kann, ist zu tanzen. Tanzen und mein neues Leben genießen.

Beschwingt dränge ich mich in den innersten Kern der Tanzfläche, wo die Stimmung pulsiert. Mit federnden Schritten bewege ich mich zu den letzten Klängen von Hello, dann dringt Single Ladies durch die Lautsprecher. Die Menge rastet völlig aus, und ich lasse mich anstecken.

Gut, dass ich mich vorhin noch aufgerafft habe. Nachdem mir gestern am Alexanderplatz der Flyer von dieser Après-Abiparty in die Hand gedrückt wurde, war ich ziemlich skeptisch. Aber ich wollte nicht noch eine schlaflose Nacht alleine in dem schäbigen Hostel verbringen, in dem ich schon mehr Ratten als Angestellte gesehen habe. Und da ich nicht auf meinem eigenen Abiball war, dachte ich mir, die Party einfach nachzuholen. Und mein neues Leben feiern.

Auch meine Sorge, nicht tanzen zu können, fällt schnell von mir ab. Hier scheint das keine Rolle zu spielen, alle tanzen so, als würde niemand zusehen. Der Typ vor mir, der trotz der Hitze allen Ernstes noch seine Lederjacke trägt, bewegt sich völlig entgegen dem Takt. Ich finde das toll. Einfach nur tanzen, ohne sich Gedanken um andere zu machen. Es motiviert mich, mutiger in meinen Bewegungen zu werden. Und so schwinge ich meine Schultern, meine Hüften, meinen Hintern.

Als mich etwas Kratziges am Arm streift, bleibe ich automatisch stehen und drehe mich um. Es kommt von einem Kleid, das über und über mit Pailletten besetzt ist, die im bunten Flackern der Lichter in tausend unterschiedlichen Farben schimmern.

»Dein Kleid ist cool«, rufe ich dem Mädchen, das es trägt, ohne nachzudenken, zu.

Sofort fährt sie herum und mustert mich überrascht, doch dann lächelt sie, ein sehr sympathisches Lächeln, das eine kleine Zahnlücke zwischen den Schneidezähnen offenbart. Ihre großen grünen Augen werden durch einen geschwungenen Kleopatra-Lidstrich betont.

»Danke. Deins gefällt mir auch«, schreit sie durch die Musik und deutet auf mein rotes Kleid, das ich gestern noch im H&M-Sale ergattert habe.

»War im Ausverkauf. Ich glaube, ich bin betrunken«, sprudelt es aus mir heraus.

O Mann. Was rede ich denn da? Warum sollte es sie interessieren, wie viel ich bereits intus habe? Nicht, dass sie jetzt denkt, dass ich einfach irgendwelche fremden Menschen volllabere.

Das Mädchen mit dem Paillettenkleid wirkt jedoch keinesfalls gelangweilt oder genervt, sondern fast schon besorgt. »Oh. Willst du dich einen Moment hinsetzen? Soll ich mitkommen?«

Wow. Dass sie mir sogar anbietet, mich zu begleiten. Dabei kennt sie mich gar nicht.

»Du bist lieb«, sage ich wie im Affekt, schüttele jedoch den Kopf. »Ich will aber tanzen.«

Und das die ganze verdammte Nacht. So lange, bis ich eins mit dem Beat werde, und nicht mehr bin als die pure Melodie selbst.

Ich habe gar nicht gemerkt, dass ich wieder zu hüpfen angefangen habe, als das Mädchen unvermittelt loslacht, und mit den Händen jede meiner Bewegungen verfolgt, als wollte sie mich zur Not auffangen.

»Ich bin übrigens Vicky«, stellt sie sich vor.

Lächelnd greife ich nach ihrer ausgestreckten Hand und will mich gerade ebenfalls vorstellen, als mich ein Anflug von Schwindel ereilt und sich alles um mich herum zu drehen beginnt. Sofort schließe ich die Augen und schlucke trocken, dabei kralle ich mich an Vicky, als wäre sie mein Rettungsanker.

»Sicher, dass du dich nicht kurz hinsetzen willst?«, fragt sie wieder. »Du siehst aus, als wäre dir schwindelig.«

Hinsetzen? Im Leben nicht. Ich bin nicht extra nach Berlin gekommen, um mich hinzusetzen! Ich kann nicht am ersten Abend, an dem ich einen draufmache, gleich zusammenklappen.

»Ma-Maya«, kommt es nach mehreren Anläufen endlich aus mir heraus.

»Was?«

»Ich heiße Maya«, erkläre ich zum Verständnis und schüttele ihre Hand.

Sie lächelt. »Freut mich, Maya.«

»Freut mich auch, Nicky.«

»Vicky«, korrigiert sie mich und grinst breit. »Mit einem V. Eigentlich Victoria.«

»Habe ich das nicht gesagt?«, frage ich überrascht.

»Doch, vielleicht.«

Victoria. Das klingt so fürstlich. Als würde ihr Nachname ein adeliges von enthalten. Victoria von irgendwas.

»Du siehst nicht aus wie eine Victoria«, bemerke ich, während ich sie prüfend von Kopf bis Fuß mustere.

»Wirklich? Warum nicht?«

»Intuition, Nicky. Unterschätze niemals die Intuition einer Person, die sternhagelvoll ist.«

Sie prustet los.

»O Mist!« Ich verziehe entschuldigend das Gesicht. »Ich glaube, ich habe schon wieder Nicky gesagt.«

»Das macht doch nichts«, winkt sie ab.

Sie ist so cool!

»Du bist eine gute Freundin, Victoria mit V«, brabbele ich weiter. Das zumindest gefällt mir an diesem seltsamen Rausch. Meine Hemmschwelle ist um ein Stockwerk nach unten gesackt, aber der Mut, einfach draufloszureden, um zwei nach oben. »Du hast mich gehalten, sonst wäre ich umgekippt. Ich finde das voll nett.«

Ihr Lächeln wird verlegen. »Das ist doch auch selbstverständlich.«

»Ja.« Das finde ich auch. Den letzten Satz denke ich nur, und will ihn gerade laut aussprechen, als ich spüre, wie sich Speichel in meinem Mund ansammelt.

»Alles gut?«, fragt Vicky … oder war es doch Nicky? Ich weiß es nicht mehr.

»Ja.« Ich nicke, doch der nächste Anflug von Schwindel lässt es zu einem Kopfschütteln werden. Nein. Es ist nicht alles gut. Es ist gar nicht alles gut.

»Aber ich glaube, ich muss mich …«

»O shit.« Vicky … oder Nicky springt zurück, als wolle sie in Deckung gehen. Doch dann greift sie nach meiner Hand und sieht sich entschlossen um. »Okay. Lass uns eine Toilette suchen.«

Was, sie will mitkommen?!

»O Gott, nein!« Schnell befreie ich mich aus ihrem Griff und taumele dabei leicht nach hinten. »Du musst nicht mitkommen. Mach dein schönes Kleid nicht schmutzig. Ich bin gleich wieder da. Außerdem …« Nein, nein, nein! Ich halte mir die Hand vor den Mund und sprinte los.

Toilette, Toilette, wo ist die verdammte Toilette?

Da, das WC-Symbol über der Tür! Ich stürme in einen Flur, in dem sich zwei weitere Türen befinden, öffne die erste, und schaffe es gerade noch rechtzeitig bis zu dem großen weißen Porzellanding. Tränen schießen mir in die Augen, und mein Rachen brennt wie Feuer, während sich der Alkohol seinen Weg gnadenlos nach draußen bahnt.

Großartig, Maya. So cool bist du also. Da kippst du gerade mal zwei Bier in dich hinein, und jetzt stehst du vorm Klo und …

Moment. Ich halte inne. Das ist gar kein Klo. Es sieht zwar so ähnlich aus, aber es hängt an der Wand. Direkt neben drei anderen.

Das ist ein Urinal!

O nein. Bin ich etwa …

Ich komme nicht dazu, den Gedanken zu beenden, als im selben Moment meine Haare leicht zur Seite geschoben werden, und kühle Finger meinen Nacken streifen.

»Nicky?«, murmele ich heiser, und muss mich wieder übergeben.

»Nein.«

Sofort erstarre ich. O Gott.

»Ich bin im Männerklo gelandet, oder?« Meine Stimme klingt kratzig und fremd. Ich versuche mich zur Seite zu drehen, schaffe es aber nicht, weil sämtliche Kraft aus meinen Gliedern gewichen ist.

»Ja, das bist du«, sagt der Fremde schmunzelnd, ein Schmunzeln, das mir aus irgendeinem Grund Gänsehaut über die Unterarme treibt.

»Tut mir leid.«

»Warum entschuldigst du dich?« Der Typ klingt überrascht, als wäre es nicht völlig offensichtlich, warum ich um Verzeihung bitte.

»Ähm, weil ich vor deinen Augen am Kotzen bin?« Ich versuche die Spülung zu betätigen, aber ich schaffe es gar nicht, meinen Arm so weit zu strecken. Stöhnend lasse ich ihn wieder sinken, woraufhin sich eine große Hand in mein Blickfeld schiebt und für mich auf die Spültaste drückt.

»Sorry«, entschuldige ich mich wieder und nuschele dabei so sehr, dass es wie »Rory« klingt.

»Dafür musst du dich wirklich nicht entschuldigen«, sagt er und schmunzelt wieder. Bisher ist mir nie aufgefallen, dass man es hört, wenn jemand beim Reden lächelt.

»Doch, muss ich«, entgegne ich stur. »Dabei habe ich gar nicht so viel getrunken. »Nur zwei Bier … Nein, nicht mal! Eineinhalb!«

»Wirklich?« Er klingt überrascht. »Verträgst du normalerweise mehr?«

Ich schaffe es, halb mit den Schultern zu zucken. »Keine Ahnung. Das war das erste Mal, dass ich Alkohol probiert habe.«

Und vermutlich auch das letzte Mal, denn das gerade hier ist echt eklig.

»Ah.« Ich sehe seinen Schatten an der Wand nicken. Ein großer Schatten, der mich um gefühlt zwei Köpfe überragt. »Das erklärt es.«

Hitze schießt mir in die Wangen. Ja, das erklärt es wohl.

Ich bin eine Witzfigur.

»Du kannst ruhig wieder gehen«, sage ich bemüht lässig. »Es ist nicht mehr so schlimm. Danke für deine Hilfe.«

Der Fremde zögert. »Bist du sicher? Du wirkst noch ein wenig wackelig auf den Beinen.«

Erst jetzt fällt mir auf, dass er mit der anderen Hand meine Schulter umfasst. O Mann. Da stürme ich tatsächlich ins Männerklo, kotze mir die Seele aus dem Leib, und der Typ hier hält mir die Haare zurück und stützt mich, damit ich nicht umkippe. Geht’s eigentlich noch peinlicher?

»Jaja«, sage ich hastig und mache eine schwenkende Handbewegung, lehne mich aber sofort wieder gegen das Porzellan, um das Gleichgewicht zu halten. »Ich komme klar.«

Der Fremde ringt mit sich, als wollte er meiner Bitte eigentlich nicht nachkommen. Doch schließlich seufzt er ergeben.

»Okay.«

Vorsichtig nimmt er seine Hände von mir, erst die eine, mit der er meinen Kopf umfasst hat, dann die auf meiner Schulter. Mir fallen die Haare wieder ins Gesicht.

Die Tür öffnet sich, und die Musik von draußen hallt laut von den senfgelb gefliesten Wänden wider. Als sie wieder verklingt, raffe ich mich auf, drehe mich um und taumele in Richtung Waschbecken. Zum Glück ist niemand sonst hier, die Kabinen sind alle weit geöffnet und leer.

Ich spüle mir mehrmals den Mund aus und fahre mit meinen nassen Fingern über Stirn und Wangen. Dann grinse ich mein Spiegelbild an, um zu überprüfen, ob sich irgendwelche Essensreste in meiner Zahnspange verfangen haben. Sieht alles gut aus. Auch mein rotes Kleid hat zum Glück nichts abbekommen. Und bis auf meine Augen, die leicht gerötet sind, und deren Schminke etwas verschmiert ist, mache ich sogar einen erstaunt fitten Eindruck.

Nur fühle ich mich nicht so. Mein Kopf dröhnt, als wäre er der Hauptsitz einer chaotischen Baustelle, und mit einem Mal prasselt alles auf mich ein. Die Angst, mein neues Leben nicht zu packen, das schlechte Gewissen, weil ich alle zurücklasse, und die Einsamkeit, weil ich mich noch nie so allein und schutzlos gefühlt habe. Mein Schluchzen hallt durch den leeren Raum, aber die Tränen bleiben aus. Dafür fühle ich mich zu ausgelaugt, und vielleicht ist das sogar besser so.

Ich weiß nicht, wie lange ich mein deprimiertes Spiegelbild anstarre, aber als die Tür aufgestoßen wird, zucke ich so heftig zusammen, dass meine Finger hart gegen das Waschbecken stoßen. Aua!

Ein sehr großer blonder Junge tritt herein. Er trägt ein weißes Hemd, das bis zu den Ellenbogen hochgekrempelt ist, dazu eine dunkelblaue Anzughose und kamelfarbene Schuhe. In der Hand hält er ein Glas.

Ich will gerade erklären, warum ich im Männerklo bin, als er meinen Gedankenfluss unterbricht, indem er mir das Glas hinhält. »Hier. Ich dachte, das hilft vielleicht. Ist nur Wasser.«

Diese Stimme … Das ist der Junge von vorhin. Der, der mir die Haare gehalten hat!

»Oh.« Mehr bringe ich nicht hervor. Mechanisch nehme ich das Glas entgegen. Unseren Blickkontakt unterbreche ich dabei kein einziges Mal.

Das Erste, das mir durch den Kopf schießt, ist, dass seine warme Stimme irgendwie zu seinem Gesicht passt. Seine Haare sind goldblond und wellig, das Gesicht glatt und ebenmäßig. Die Nase groß und gerade, die Lippen schmal. Ein kleines Grübchen sitzt auf seinem Kinn, und seine Augen … ich glaube, diese Farbe habe ich noch nie gesehen. Sie sind nicht direkt blau, aber auch nicht grau. Irgendwie eine unruhige Mitte dazwischen, wie tosende Wellen. Ob das Kontaktlinsen sind, die er trägt?

Als ein kalter Tropfen Wasser auf meinen Daumenrücken fällt, reiße ich den Blick endlich los und schaue zu meinem Glas.

»Danke«, sage ich verspätet und stürze den Inhalt in einem Zug runter. Meine Kehle hört augenblicklich auf zu brennen, aber dafür fängt mein Magen wieder an zu rebellieren. Verdammter Alkohol!

»Gern geschehen. Geht’s dir besser?«

»Keine Ahnung.« Bevor ich hinterfragen kann, was ich tue, laufe ich zur Wand und setze mich auf den Boden. »Ich glaube, Alkohol macht mich melancholisch.«

Diesmal sehe ich ihn an, während er schmunzelt, und oh wow – die Art und Weise, wie sich seine Mundwinkel nach oben ziehen und seine Meeresgischt-Augen dabei leuchten … Er sieht echt süß aus.

»Ich glaube, Alkohol macht jeden melancholisch«, erwidert er lächelnd.

Seine Schuhe schlittern über den Boden, während er auf mich zugeht und mir das leere Glas sanft aus der Hand nimmt. Am Waschbecken füllt er es wieder auf.

»Trink lieber noch etwas«, sagt er und reicht es mir zurück. »Dann tut dein Kopf morgen nicht so weh.«

»Okay.« Diesmal nippe ich nur vorsichtig daran und ziehe die Beine automatisch an meinen Körper, als zwei Jungs das Klo betreten und sich vor die Urinale stellen. Keine dreißig Sekunden später sind sie aus der Tür – ohne sich die Hände zu waschen! Igitt! Ob das der Grund ist, warum es keine Schlangen auf den Männerklos gibt?

»Vermisst dich da draußen keiner?«, frage ich, da der blonde Junge noch immer vor mir steht.

»Nein.« Er klingt gleichgültig, aber der seltsame Ausdruck in seinen Augen straft ihn Lügen.

Nein? Keiner vermisst ihn?

»Oh. Dann … also, wenn du magst, du kannst dich gern zu mir setzen«, schlage ich ohne große Hoffnung vor. Denn mal im Ernst: Warum sollte irgendwer freiwillig mit mir Kotztüte in einem verdreckten Jungsklo abhängen?

Er.

Nach kurzem Überlegen hebt er kapitulierend die Schultern und nimmt tatsächlich neben mir Platz. Selbst im Sitzen ist er noch groß, er besteht praktisch nur aus Armen und Beinen.

»Hi«, sage ich und streiche mir verlegen eine schwarze Strähne aus dem Gesicht. Glücklicherweise hat der Schwindel etwas nachgelassen, seit ich sitze.

»Hi.« Er lächelt und wirkt genauso schüchtern wie ich.

»Ich bin übrigens Maya«, stelle ich mich vor und reiche ihm die Hand.

»Freut mich, Maya.« Er schüttelt sie, verzichtet jedoch darauf, sich ebenfalls vorzustellen.

»Und wie heißt du?«, frage ich freundlich nach.

Er mustert mich einen Augenblick. »Das … möchte ich nicht sagen.«

Überrascht lege ich die Stirn in Falten. »Du willst mir nicht verraten, wie du heißt?«

Seine Kiefer stoßen hart aufeinander. »Nein.«

»Warum nicht?«

»Weil …« Er schüttelt leicht den Kopf und murmelt dann leise: »Mein Name peinlich ist.«

»Peinlich?«

»Ja.« Seine Stimme wird noch leiser. »Ziemlich peinlich sogar. Ich wurde nach meinem Urgroßvater benannt, der kurz vor meiner Geburt gestorben ist. Ich verstehe ja, dass meine Eltern ihn ehren wollten, aber heute nennt man kein Kind mehr so, wenn man nicht riskieren will, dass es während der gesamten Schulzeit wegen dieses Namens gehänselt wird.«

»Oh.« Mein Brustkorb schnürt sich zu. Automatisch drücke ich seine Hand etwas fester, und als hätte er erst jetzt bemerkt, dass wir noch immer Händchen halten, zieht er sie mit großen Augen schnell zurück.

»A-Alles gut«, winkt er ab und strafft die Schultern. »Der Name ist ja auch beschissen. Wer weiß, ob ich nicht selbst gelacht hätte, wenn jemand in meiner Klasse so hieße.«

Obwohl ich ihn nicht kenne, glaube ich das nicht. Er wirkt nicht wie jemand, der einen anderen Menschen verhöhnen würde.

»Ist es ein alter Name?«, frage ich weiter.

Er schnaubt. »Sehr alt, ja.«

»Darf ich raten?« Noch ehe er antwortet, schießt die erste Theorie aus meinem Mund. »Vielleicht Helmut?«

Der Fremde stutzt, dann lacht er leise. Ein belustigtes Glucksen, das so ganz anders als sein Schmunzeln klingt.

»Okay, nicht Helmut.« Ich tippe mir grübelnd aufs Kinn. »Dann vielleicht Heinrich? Hubertus? Oder Hildegard?«

»Hildegard ist ein Frauenname.«

»Das beantwortet meine Frage nicht.«

Jetzt lacht er richtig, ein Geräusch, das mein Herz ungewollt etwas schneller schlagen lässt.

»Nein.« Er schüttelt den Kopf. »Nicht Helmut, Heinrich, Hubertus oder Hildegard. Auch nicht Hildebrand oder sonst irgendwas mit H. Versuch es besser nicht weiter, du kommst sowieso nie darauf.«

Manno. Meine Beine zappeln auf dem kalten Boden. »Und was, wenn ich dir verspreche, dass ich auf keinen Fall lachen werde?«

Seine Miene verdüstert sich schlagartig. »Versprich nichts, was du nicht halten kannst.«

»Ich werde aber nicht lachen«, sage ich und hebe die Hand mit gespreiztem Zeige- und Mittelfinger, von dem mein angetrunkenes Ich gerade nicht sicher ist, ob das Symbol für Schwur oder Friede steht. Langsam beuge ich mich zu seinem Gesicht vor und halte ihm mein Ohr dicht vor seinen Mund. Meine Haare streifen seine Schulter, und obwohl ich den Fremden sonst nicht berühre, spüre ich trotzdem, wie er kurz erstarrt. Und ich gleich mit.

Zwei, drei Sekunden lang bewegen wir uns nicht, und mich beschleicht die Angst, dass ich vielleicht zu aufdringlich war.

»Wie kann es sein, dass du so gut riechst, obwohl du gerade gekotzt hast?«, raunt er mir ins Ohr und klingt dabei sowohl amüsiert als auch ehrlich überrascht.

Mein Puls rast los. Noch nie hat ein Typ zu mir gesagt, dass ich gut rieche.

»Parfum«, sage ich mit einem Frosch im Hals.

»Ist ein schöner Duft.«

»Danke.« Ich räuspere mich kurz in der Hoffnung, den seltsamen Kloß in meinem Hals zu lockern. »Und jetzt weiter im Text.«

Der blonde Junge seufzt, sodass sein warmer Atem auf mein Ohr trifft. Wieder überläuft mich ein heißer Schauer, der mir erneute Gänsehaut beschert.

»Na schön, ich verrate ihn dir«, willigt er ein. »Aber nur, weil du ihn morgen sowieso vergessen hast.«

Vergessen? Da kennt der Mann mich schlecht. Ich habe ein Elefantengedächtnis und bin sicher, dass auch keine zwei Bier etwas daran ändern können.

Ich höre das Zittern in seiner Stimme, als er mir seinen Namen nennt. Sehr leise, aber trotzdem deutlich.

Als ich den Kopf wieder zurückziehe, mustert er mich mit zusammengepressten Lippen. Sein Blick ist abwartend, als rechne er damit, dass ich jeden Moment lospruste. Aber das tue ich nicht.

»So peinlich ist er gar nicht«, sage ich.

»Natürlich nicht.« Er verdreht die Augen.

»Nein, im Ernst. Klar, er ist etwas altmodisch, aber …«

Na gut, er ist ein bisschen peinlich, aber ich würde trotzdem niemals über ihn lachen. Er kann ja nichts dafür, wie seine Eltern ihn genannt haben.

»Das Schlimmste ist, dass man keinen Spitznamen aus ihm bilden kann.«

»Wirklich?« Im Kopf gehe ich ein paar Ideen durch, aber mir will nichts einfallen. »Stimmt.«

»Meine Schwestern haben alle normale Namen«, brummt er. »Maria, Pia, Elisabeth und Miriam. Alle schön und leicht auszusprechen. Und ich …«

»Warte, du hast vier Schwestern?«, unterbreche ich ihn.

»Ja. Zwei ältere und zwei jüngere.«

»Cool.«

Sein linker Mundwinkel hebt sich. »Eher nervig.«

»Versteht ihr euch nicht gut?«

»Doch, schon, aber …« Er macht eine uneindeutige Handgeste. »Manchmal ist es ätzend, der einzige Junge im Haus zu sein. Mein Vater ist zwar auch noch da, aber der arbeitet immer viel. Hast du Geschwister?«

Mein Magen krampft sich zusammen, und ganz kurz fürchte ich, mich gleich wieder zu übergeben. Das hat man also von Small Talk. Waschechten Brechreiz.

»Eine jüngere Schwester«, presse ich hervor, doch bevor er weiter nachhaken kann, setze ich »Aber zurück zu deinem Namen« hinterher.

Er stöhnt leise, doch ich fahre unbeirrt fort. »Hast du einen zweiten Vornamen?«

Er schüttelt den Kopf.

»Mist.« Es kann doch nicht sein, dass er für immer Angst davor haben wird, sich jemandem vorzustellen, weil ihm sein Name unangenehm ist?

»Und was ist mit deinem Nachnamen?«

Sein graublauer Blick mustert mich argwöhnisch. »Was soll mit ihm sein?«

»Wie lautet er?«

»Lennart.«

»Lennart«, wiederhole ich. »Der ist doch eigentlich schön, oder? Es gibt viele, die man mit dem Nachnamen anspricht, und bei deinem ist das Gute, dass er auch als Vorname durchgeht.«

»Lennart?« Er verzieht das Gesicht. »Nee, das klingt zu sehr nach meinem Vater. Pastor Lennart.«

Interessant, dass sein Vater Pastor ist. Ich erwische mich dabei, dass ich mehr über ihn erfahren will. Über ihn, seinen Vater, seine Schwestern.

Aber dann müsste ich ebenfalls die Familienakte auspacken, und diese halte ich fest verschlossen, vorzugsweise so lange, bis für immer endet.

»Außerdem denke ich da sofort an Leonard Hofstadter aus The Big Bang Theory«, fügt er missmutig hinzu.

»Na und? Das ist doch ein voll lieber Charakter«, wende ich ein, doch er starrt mich an, als hätte ich ihn gerade angespuckt.

»Das ist kein … Nein, ich will nicht wie ein Nerd heißen!«

»Hm, und was ist mit Lenny?«

»Lenny?« Er schürzt die Lippen. »Ich weiß nicht. Klingt das nicht irgendwie voll … unsexy?«

Unsexy. Ich hätte nicht gedacht, dass ihm die Sexyness seines Namens so wichtig wäre.

»Na, hör mal«, sage ich halbstreng. »Lenny Kravitz? Lenny Platt? Lenny Tavárez? Die sind alle sehr sexy.«

»Die kenne ich nicht. Außer Lenny Kravitz. Und ja, der geht.«

»Und ob der geht! Lennart ist ein schöner Name. Und Lenny auch. Falls dir dein Vorname also zu blöd ist, wäre das vielleicht eine Alternative.«

»Lenny.« Er lässt sich den Namen auf der Zunge zergehen. »Lenny«, wiederholt er leise. »Hm. Ich werde drüber nachdenken.«

Er dreht sich wieder zu mir, und hach, wieder dieses süße Schmunzeln. Das ockerfarbene Klolicht fängt sich in seinen Haaren und lässt die Spitzen fast hellkupfern erstrahlen. Seine Augen leuchten ebenfalls.

»Danke … Maya.«

»Nicht dafür … Lenny.«

Lenny

»Hey, Maya! Maya? Bist du hier irgendwo?«

Eine laute Stimme lässt mich blinzelnd die Augen aufschlagen. Mayas Kopf ruht auf meiner Schulter, und für einen Moment bin ich völlig verwirrt. Sind wir etwa eingeschlafen? Ich weiß nicht mehr genau, worüber wir zuletzt geredet haben, wir hatten so viele unterschiedliche Themen. Aber irgendwann war ich weg. Und sie anscheinend auch.

»Ey! Nimm deine Hände von ihr!«

Ein Mädchen in einem schimmernden Paillettenkleid baut sich vor mir auf und tritt mit ihren ebenso glitzernden High Heels gegen meinen Oberschenkel.

»Was?«, murmele ich schlaftrunken.

»Siehst du nicht, dass sie total hinüber ist?« Sie deutet auf Maya und schwingt ihren Fuß erneut in die Richtung meines Beins, wobei ich noch versuche, auszuweichen. Vergeblich.

»Ich … nein, ich hab gar nicht …«, versuche ich mich zu verteidigen, werde jedoch von Mayas Kichern unterbrochen, die allem Anschein nach ebenfalls aufgewacht ist. Eine Schlaffalte zeichnet ihr Gesicht, der Abdruck des Schulterteils meines Hemdes. Mein Blick wandert weiter zu ihren Augen.

Camilla Cabello. An sie dachte ich instinktiv, als ich sie zum ersten Mal gesehen habe. Die gleichen dunklen Haare, dunklen Augen und die gleiche kleine, zierliche Statur. Nur trägt sie eine Zahnspange, was ich aus unerfindlichen Gründen ziemlich sexy finde. Die Gummis an ihren Brackets sind rot und passen zu ihrem Kleid, das im Übrigen auch sehr schön ist.

Alles an ihr ist schön.

»Keine Sorge, Nicky«, wehrt Maya ab. »Lenny war total lieb. Er hat mir die Haare gehalten und mir sogar Wasser gebracht.«

Maya versucht nach dem leeren Glas neben sich zu greifen, doch es kippt zur Seite und rollt über den weißen Kachelboden. Reflexartig strecke ich das Bein und stoppe das Glas mit dem Fuß.

»Wasser«, wiederholt Nicky schnaubend. »Und du hast einfach ein Glas Wasser von einem Fremden genommen, das dich allem Anschein nach völlig ausgeknockt hat?«

»W-was?« Ach du Scheiße. Will diese Nicky mir etwa unterstellen, dass ich Maya etwas ins Getränk gemischt habe?

Wieder kichert Maya. »Das würde Lenny niemals tun. Ich vertraue ihm.«

Mein Puls beschleunigt sich bei ihren Worten. Sie tut was?

Nicky verdreht die Augen. »Du solltest einem Fremden nicht einfach so vertrauen, Süße.«

Obwohl Nicky völlig recht hat, werde ich trotzdem wütend. Es gefällt mir nicht, dass sie mich wie einen Verbrecher behandelt. Ich will mich gerade verteidigen, da übernimmt ihre Freundin im Paillettenkleid wieder das Wort.

»Tut mir leid, dass ich erst so spät nach dir gesehen habe«, sagt sie zu Maya, und diesmal schwingt leichtes Bedauern in ihrer Stimme.

»Muss es nicht.« Maya klopft mir auf den Oberschenkel. »Ich hatte sehr gute Gesellschaft.«

Meine Wangen brennen unter dieser Berührung, doch ich lächele, als ob es mir nichts ausmachen würde, dass ihre Hand in verdächtiger Nähe meines Schritts ist.

»Wenigstens das«, murrt Nicky. »Aber bringen wir dich erst mal hier raus. Der Club schließt gleich.« Sie hält ihr die flache Hand hin. Maya zieht sich an ihr hoch, und ich rappele mich ebenfalls auf.

Wir treten aus dem Klo, und auf dem Weg zur Garderobe greift Maya ganz selbstverständlich nach meiner Hand. Ich versuche mir nicht anmerken zu lassen, wie überrascht ich bin, während es in meinem Magen zu kribbeln anfängt.

Sie hält meine Hand!

Offenbar dachte ein Teil von mir, dass sie nur deshalb mit mir abhängt, weil sie noch nicht ganz bei klarem Verstand ist. Warum sonst sollte ein so wunderschönes Mädchen freiwillig mit mir Zeit verbringen wollen? Mit mir, dem Schweinchen?

Draußen begrüßt uns ein lila umworbener Morgenhimmel, der sich wie flüssige Aquarellfarbe im Wasser spiegelt. Einzelne Wolken schweben wie flauschige Wattebausche über uns, die Luft ist frisch und angenehm kühl.

Unsere Finger noch immer ineinander verflochten, folgen wir Nicky, die sich suchend umsieht. Je länger wir laufen, desto schlurfender werden Mayas Schritte. Sie gähnt im Sekundentakt und sieht so müde aus, dass es mich nicht wundern würde, wenn sie im Gehen einschlafen würde.

Ich löse meine Hand von ihrer, und lege stattdessen meinen Arm um sie. Maya entfährt ein kurzer überraschter Laut, lehnt sich aber dann sofort an meine Seite und lächelt, dankbar, dass sie jetzt gestützt wird. Seltsam, wie natürlich und unverkrampft es sich anfühlt, sie im Arm zu halten. Als würden wir uns schon ewig kennen und die Hemmungen vor Berührungen längst zerschlagen haben.

An der Bushaltestelle kommen wir zum Stehen. Nicky zückt ihr Handy, tippt eine Nachricht und schaut sich wieder nach allen Seiten um. Dann erhellt sich ihr Gesicht.

»Da bist du ja!« Sie winkt einem großen Mädchen in einem strahlend weißen Kleid zu.

»Vicky.« Die beiden nehmen sich fest in den Arm.

Vicky? Oh, ich dachte, sie heißt Nicky.

»Wo warst du die ganze Zeit?«, erkundigt sich Vicky bei ihrer Freundin.

»Hier draußen. Ich …« Trotz ihres dunklen Hauttons wirkt sie etwas rosig um die Wangen. »Ich glaube, ich habe mich verliebt.«

»Verliebt?« Vicky zieht den Kopf ein und mustert ihre Freundin, als wäre sie nicht ganz bei Trost. Doch diese lächelt nur träge und wirkt fast, als wäre sie in Trance.

»Liebe ist etwas Wundervolles«, nuschelt Maya an meiner Brust, was Vickys Aufmerksamkeit zurück auf uns lenkt. Ein amüsiertes Lächeln umspielt ihren herzförmigen Mund.

»Syd, das sind Maya und Lenny«, stellt Vicky uns vor.

Lenny … Und schon habe ich einen neuen Namen. Einen, bei dessen Klang niemand das Gesicht verzieht oder »Ernsthaft?« ruft.

»Lenny, Maya – das ist meine beste Freundin Sydney.«

»Freut mich«, sagen Maya und ich synchron, wobei nur ich die Hand von Sydney ergreife, weil Maya allem Anschein nach wieder döst und ich meinen Arm etwas enger um sie legen muss, um sie vor weiterem Abrutschen zu hindern.

Vicky beäugt mich mit einem skeptischen Blick. Was bitte ist ihr Problem?

»Miese Nacht gehabt?«, frage ich herausfordernd, fühle mich aber sofort schlecht, als ich den Schmerz in ihren Augen sehe. Da habe ich wohl direkt ins Schwarze getroffen.

»Allerdings«, sprudelt es aus ihr heraus. »Da glotzt mich dieser heiße Typ die ganze Nacht lang an, als wäre ich die Liebe seines Lebens, und dann stellt sich heraus, dass er eine Freundin hat!«

»Was?« Sydney reißt den Mund auf. »Das ist so gemein!«

Und erklärt ihren momentanen Zorn auf das andere Geschlecht.

»Extrem gemein«, bestätigt Vicky und schnaubt theatralisch. »Aber egal. Zurück zu dir, Syd. Du bist also verliebt?«

Ich meine mir einzubilden, rosa Herzchen in Sydneys Augen tanzen zu sehen. »Ich glaub schon«, seufzt sie und pustet dabei eine ihrer vielen schwarzen Strähnen zur Seite, die ihr offen über die Schultern fallen. »Kann man das? Nach nur einer Nacht verliebt sein?«

»Keine Ahnung.« Vicky zuckt mit den Schultern, dabei hätte ich ihr eigentlich zugetraut, dass sie sofort Nein sagen würde. Wieder ist da dieser Schmerz in ihrem Blick, den sie jedoch schnell wegblinzelt und sich dann an Maya und mich wendet. »Wie müsst ihr jetzt fahren?«

»Mit der S7 nach Potsdam. Aber das geht voll klar – ich kann einfach durchfahren«, ergänze ich, als Vicky den Mund zu einem großen O bildet. So O ist es auch wieder nicht, ich wohne nur eine Station von Berlin entfernt.

»Und ihr?«, lenke ich auf sie.

»Ich muss zur U-Bahn in Richtung Tempelhof«, sagt Vicky und linst zu Sydney. »Du wolltest heute bei mir schlafen, oder?«

Sydney nickt. »Ja, wenn das geht.«

»Und du, Maya?«, fragt Vicky. »Wie musst du fahren?«

»Hm?« Mayas Lider flattern, als sie ihren Namen hört.

»Wo musst du hin?«

»Oh.« Sie nimmt den Kopf von meiner Brust. »Ich … Ich habe noch keine Wohnung gefunden. Gerade wohne ich in einem Hostel.«

»Ah, okay.« Vicky hakt nicht weiter nach, obwohl ihr die offenen Fragen ähnlich wie mir förmlich im Gesicht kleben. Ich wusste nicht, dass sie nicht aus Berlin kommt. Tatsächlich wird mir gerade klar, dass wir kaum über sie geredet haben. Sie hat eine Frage nach der anderen gestellt, und ich habe geantwortet.

»Wo ist dieses Hostel?«, fragt Sydney.

»In Friedrichsfelde, glaube ich. Oder war es Friedrichshafen?«

»Friedrichshain?«, korrigiere ich.

»Ja, kann sein.«

»Kann sein?«, wiederholt Sydney und mustert sie besorgt. »Du weißt es nicht?«

»Nein, ich …« Maya beißt sich auf die Unterlippe. »Ich glaube, ich habe es vergessen. Aber das Hostel war auf jeden Fall direkt an einer Kreuzung. Genau gegenüber einer Ampel.«

Oh gut, das beschränkt die Suche nur noch auf einen Bezirk und dreihundert Kreuzungen …

»Hast du dir die Adresse irgendwo aufgeschrieben?«, fragt Vicky.

»Ja, in meinem Handy.« Maya zückt es aus ihrer Jackentasche und zieht einen Schmollmund. »Aber der Akku ist leer.«

»Oh, scheiße.« Vicky rauft sich die Haare und wirkt zerknirscht, als wäre sie selbst es, die nicht mehr nach Hause kommt. »Ich habe leider keine Power Bank.«

Und der Rest von uns auch nicht, wie unser Schweigen bestätigt.

»Na super. Das kann auch echt nur mir passieren. Jetzt denkt ihr bestimmt, dass ich … Ah, ich bin so eine Katastrophe.« Maya krümmt den Rücken und schlingt die Arme um sich, als wollte sie sich ganz klein machen.

»Du bist doch keine Katastrophe«, sage ich sanft. »Du wohnst hier noch nicht lange, da ist es doch völlig normal, den Namen einer Straße zu vergessen. Bestimmt fällt er dir wieder ein.«

»Aber was mache ich jetzt?«, jammert sie. »Wo soll ich hin? Ich erinnere mich nicht einmal an den Namen der Haltestelle.«

»Wenn du willst, kannst du mit zu mir kommen«, sage ich, bevor ich es verhindern kann.

Mayas Augen werden groß. Sie öffnet den Mund, und fast rechne ich damit, dass sie sofort ablehnen wird, als sie »Wirklich?« haucht.

Hitze schießt mir in den Kopf. Hastig nicke ich. »Natürlich.«

»Ha! Das hättest du wohl gern«, geht Vicky dazwischen und bedenkt mich mit einem Mörderblick. »Ein hilfloses Mädchen zu sich nach Hause schleppen, ja?«

Alter!

»Nein, so was würde ich niemals tun. So bin ich nicht!«

»Du kannst auch zu mir kommen«, bietet Vicky ihr an. »Oder zu Syd. Sie wohnt mit ihrer Oma und hat noch ein zusätzliches Zimmer frei.«

»Oh.« Sydney stutzt, als Vicky für sie spricht, fängt sich jedoch schnell wieder, und nickt entschlossen. »Ja, klar kannst du auch mit zu mir kommen.«

»Wow.« Maya wirkt baff. »Ist das euer Ernst?«

»Klar.« Vicky wirft ihr ein fast schon mütterliches Lächeln zu, und deutet dann auf Sydney und mich. »Jetzt hast du nur die Qual der Wahl.«

Maya kräuselt die Lippen und zögert nur kurz, ehe ihr Blick wieder zu mir wandert. »Dann gehe ich mit Lenny!«, beschließt sie und schenkt mir ein strahlendes Zahnspangen-Lächeln.

Mein Herz macht einen unkontrollierten Sprung. Sie will mit mir gehen. Mit mir! Klar kennt sie mich von uns dreien am besten, weil sie die halbe Nacht mit mir verbracht hat, aber trotzdem! Sie entscheidet sich für mich!

»Na schön«, brummt Vicky. »Aber –«, sie wendet sich mir zu und stößt mir ihren Zeigefinger bedrohlich entgegen, »ich will wissen, wo du wohnst. Lass mich ein Foto von deinem Perso machen. Gib mir auch deine Nummer«, fordert sie. »Und meldet euch, wenn ihr angekommen seid. Aber ich warne dich, Freundchen, wenn du ihr auch nur ein Haar krümmst, dann …«

»Nicky«, unterbricht Maya sie und hält sich prustend eine Hand vor den Mund. »Es ist alles gut, wirklich. Lenny ist ein anständiger Kerl.«

»Das will ich ihm auch raten!«

Jetzt muss auch ich lachen. Obwohl mich diese Nicky – ich meine Vicky! – bis jetzt nur angeschissen hat, gefällt es mir, dass sie so aufrichtig besorgt um Maya ist. Außerdem verstehe ich ihre Angst. Es gibt einen Haufen widerlicher Typen da draußen, die diese Situation tatsächlich ausnutzen würden.

Aber so bin ich nicht. So war ich nie.

Wir tauschen unsere Nummern aus, dann verabschieden Maya und ich uns von den beiden.

In der S-Bahn schläft Maya wieder ein, und als wir nach fast einer Stunde die Haltestelle Griebnitzsee erreichen, nehme ich sie kurzerhand huckepack. Die ganzen zehn Minuten Fußweg trage ich sie. Sie wiegt nicht viel, hält sich aber kaum an mir fest, weshalb ich sie immer leicht schütteln muss, um sie daran zu erinnern.

»Du riechst auch gut«, murmelt sie in meine Halsbeuge, und ihre Worte lassen mein Blut viel zu schnell durch meine Herzkammern rasen.

Okay, kleiner Realitätscheck: Ich gehe gerade mit dem schönsten Mädchen aus dem Club zu mir nach Hause. Das ist so surreal, dass ich an meiner eigenen Wahrnehmung zweifle.

Passiert das gerade wirklich?

Bei mir angekommen, trage ich Maya immer noch, weil ich ihr ehrlich gesagt nicht zutraue, dass sie es die drei Stockwerke bis zum Dachboden schaffen wird, ohne das ganze Haus zu wecken. Meine Oberschenkel brennen wie Feuer, und ich seufze erleichtert, als ich die letzte Stufe erklimme, ohne dass eine meiner neugierigen Schwestern den Kopf aus ihrem Zimmer gesteckt hat.

»Ich gehe kurz ins Badezimmer«, teile ich Maya keuchend mit, lege sie vorsichtig auf meinem Bett ab und verschwinde mit meinen Schlafsachen im angrenzenden Raum. Mein Bad ist winzig, aber wenigstens habe ich ein eigenes.

In Windeseile putze ich mir die Zähne und schlüpfe in ein weißes T-Shirt und eine blaue Schlafhose. Wäre Maya nicht hier, würde ich nur in Boxershorts ins Bett gehen, aber ich will sie nicht erschrecken, weil ich halb nackt bin.

Als ich zurück ins Zimmer gehe, finde ich meinen Gast aufrecht sitzend auf meinem Bett wieder. Im Gegensatz zu vorhin wirkt sie erstaunlich wach.

»Kannst du mir vielleicht ein T-Shirt zum Schlafen geben?«, fragt sie zaghaft.

»Oh.« Ein Mädchen will meine Sachen tragen. »Ähm … ja, klar.« Ich wühle in meinem Schrank, und werfe ihr ein schwarzes Oberteil entgegen.

Während sie im Bad ist, schreibe ich Vicky, dass wir gut angekommen sind, und uns noch mal morgen – oder nachher, denn es ist schon halb neun – bei ihr melden werden. Anschließend lege ich mein Handy auf die Kommode und angele tief gähnend nach meiner Decke und meinem Kissen. Vorhin in der Bahn war ich schon müde, aber Maya so lange zu tragen, hat mich endgültig erschöpft.

»Ich hoffe, du bist mir nicht böse«, beginnt Maya, als sie wieder in den Raum tritt, »aber ich habe deine Zahnbürste benutzt, weil ich unbedingt den Geschmack im Mund loswerden wollte. Keine Sorge, ich kauf dir morgen einen neue, und … Hey, was machst du da?«

»Ich …« Vergesse, was ich sagen will, als ich mich umdrehe und sie in meinem Shirt sehe. Der Stoff reicht ihr fast bis zu den Knien, und auch ihre Oberarme verschwinden unter der Baumwolle.

Mein Mund wird trocken.

»Du schläfst doch nicht etwa auf dem Boden!«, ruft sie entsetzt aus.

»Ähm, nicht?«, frage ich und schaue zur hellgrauen Bettdecke, die ich auf dem Teppich drapiert habe.

»Als ob. Das ist schließlich dein Zimmer, und ich bin der Störenfried. Wenn, dann schlafe ich auf dem Boden.«

»Was? Nein, auf keinen Fall!«

»Dann lass uns doch beide auf dem Bett schlafen«, schlägt sie vor. »Ist doch schließlich groß genug.« Sie setzt sich auf die Seite, auf der normalerweise immer ich liege, und klopft neben sich auf die Matratze.

»Na gut«, gebe ich klein bei und hebe meine Decke vom Boden auf. Natürlich ist mir dieser Vorschlag ebenso recht, aber ich wollte nicht aufdringlich wirken.

Ich ziehe die Rollos runter, um den Raum etwas abzudunkeln, dann schlüpfe ich unter die Decke.

Maya liegt auf der Seite und mustert mich mit ihren warmen braunen Augen. »Danke, dass ich hier sein darf.«

Ihr Atem riecht nach meiner Zahnpasta, was mich unweigerlich lächeln lässt. Ich weiß auch nicht, warum.

»Kein Problem.«

»Danke auch für deine Hilfe auf dem Klo vorhin. Und dass du so lange bei mir geblieben bist. Du bist ein echt guter Freund.«

Und schon fällt mir das Lächeln vom Gesicht. Ihre Worte krallen sich wie scharfe Klauen in mein Herz.

Freund. Klar bin ich nur ihr Freund. Was sollte ich auch sonst sein? Ich habe mir doch nicht ernsthaft irgendwelche Hoffnungen bei ihr gemacht, nur weil sie lieber mit zu mir kommen wollte? Ich bin immer noch ich, der Typ, den Mädchen einfach nicht auf diese Weise mögen.

»Du … auch«, erwidere ich stolpernd und atme gegen das beklemmende Gefühl in meiner Brust an. Höchste Zeit, diese absurde Nacht zu beenden.

Ich schließe die Augen und rolle mich auf den Rücken. Aber Mayas süßlicher Duft dringt mir in die Nase, was mich mit jedem Atemzug daran erinnert, wie nah sie mir ist. Es fühlt sich so unwirklich an, neben ihr zu liegen. Obwohl ich hundemüde bin, werde ich vor lauter Herzklopfen bestimmt kein Auge zumachen können.

»Lenny?«, durchdringt mein neuer Spitzname die Stille.

»Ja?« Ich öffne die Augen und drehe den Kopf zu ihr. Die Schatten der Rollos ziehen sich streifenartig über ihr Gesicht. »Ich will Skateboard fahren lernen. Und Ski fahren. Und Snowboarden.«

»Äh, okay. Aber ich glaube, dass das alles nicht ganz ungefährlich ist.«

»Genau.« Sie nickt, als wäre eben das der Grund für ihr Vorhaben. »Und ich will ganz viele Tattoos haben. Ganz, ganz viele, überall an meinem Körper.«

»Okay«, sage ich wieder, nicht wissend, was ich dazu sagen soll. Wenn sie das möchte, soll sie das tun. Außerdem sähe sie volltätowiert vermutlich genauso süß aus.

»Lenny?«, erklingt mein Name wieder.

»Ja?«

Ein funkelnder Blitz durchzieht ihre Augen. »Hast du schon mal ein Mädchen mit Zahnspange geküsst?«

Mein Körper versteift sich. Wow. Diesen Themenwechsel habe ich nicht kommen sehen. Sie will wissen, ob ich …

»Ich habe noch nie irgendein Mädchen geküsst.«

Halt. Halt, halt, halt! Warum zur Hölle sage ich das? Fuck, und ich wundere mich noch, warum sie mich nur als Freund sieht?

Aber bei ihr kann ich irgendwie nicht lügen. Kann nicht vorgeben, ein Frauenheld zu sein. Bei ihr bin ich einfach nur ich. Ungefiltert. Ungeküsst. Und jetzt hängt mein lächerliches Geständnis in der stickigen Dachbodenluft zwischen uns.

Mayas Miene zeigt keine Regung, genau wie vorhin, als ich ihr meinen Vornamen genannt habe. Sie sieht mich unverwandt an. Ohne Spott. Ohne Wertung.

»Und ich hab noch nie einen Jungen geküsst«, sagt sie leise, und für einen Moment bin ich so schockiert, dass mir der Mund offen steht. Schnell schließe ich ihn wieder, aber Mann … Dieses bildhübsche Mädchen will mir doch nicht ernsthaft erzählen, dass sie genauso unerfahren ist wie ich?

Doch, ist sie. Das sagt mir ihr ernster Blick, und ich verstehe beim besten Willen nicht, warum sie das ausgerechnet jetzt zur Sprache bringt. Ob das der Restalkohol ist, der ihre Gedanken wild durcheinanderwirbelt?

Keine Ahnung. Was ich weiß, ist, dass jetzt irgendwie alles anders ist. Die Stimmung zwischen uns ist gespannt wie Gummi. Mein Herz donnert gegen meine Brust, so laut, dass ich Angst habe, das ganze Haus zu wecken. Ich schlucke, während ich Maya direkt in die Augen sehe. Ihr Blick ist unergründlich.

Schließlich lächelt sie, ein Lächeln, das sich tief in mich hineinbrennt. Eine Narbe der guten Sorte. Eine, von der ich wünschte, sie würde nie verblassen.

»Gute Nacht, Lenny«, haucht sie.

»Gute Nacht, Maya.«

Und dann weiß ich, dass es gleich passieren wird. Ich weiß es, und kann trotzdem nicht verhindern, dass mein Atem stockt, als sie sanft an meinem T-Shirt zieht. In mir explodiert eine unglaubliche Hitze, und mein Herz rast, als wollte es aus meinem Brustkorb ausbrechen. Doch mein Puls und meine Gedanken kommen zum völligen Stillstand, als ich spüre, wie sich ihre weichen Lippen auf meine legen.

1. KAPITEL

Fünfeinhalb Jahre später

Maya

Ich hasse den Valentinstag. Ich hasse alles daran, die Blumen, den Kitsch, das viele Rosa und Konfetti … wah!

Doch so jämmerlich es auch klingt, am allermeisten hasse ich, dass ich diesen Tag allein verbringe. Allein, allein, nur ich, mein Becher Eis und eine viel zu romantische Schnulze.

Nicht, dass wir uns falsch verstehen: Ich habe kein Problem damit, Single zu sein, und ich bin auch keine von denen, die sich krampfhaft in eine Beziehung zwingen, nur damit sie jemanden haben. Heute allerdings, am 14. Februar, zieht es trotzdem scharf in meiner Brust, beim Gedanken daran, dass mich abgesehen von meinen besten Freunden niemand liebhat.

Früher war der Tag deutlich erträglicher, weil ich ihn mit meinen Mitbewohnerinnen verbracht habe. Sydney hat irgendwas gebacken, und dann haben sie, Vicky und ich den Abend vor der Glotze verbracht. Es war nichts Besonderes, und vielleicht war gerade das so schön daran. Die Leichtigkeit, die Normalität. Doch dieses Jahr ist alles anders. Die beiden Verräterinnen haben mich hängenlassen und verbringen den Abend mit ihren Liebsten, während ich allein versauere.

Auch wenn ich total kindisch klinge, ich freue mich für sie. Luke und Sydney sind das süßeste Paar überhaupt, und seit einigen Tagen ist auch das zwischen Vince und Vicky nach vielem Hin und Her endlich offiziell. Ich bin froh, dass sie alle sich gefunden haben und wünsche ihnen alles Glück der Welt. Wirklich.

Aber … heute möchte ich das auch. Nur heute will ich mich nicht systematisch zurückgewiesen fühlen, weil ich alle potenziellen Verehrer in die Flucht treibe. Vicky meinte zwar einmal, dass es nicht an mir liegt, aber ganz ehrlich – an wem sonst? Jeder außer mir kriegt es gebacken, jeder findet jemanden, jeder verliebt sich. Ich kriege nicht mal die Chance dazu, denn anscheinend habe ich irgendwas an mir, das mehr nach Kumpel als nach fester Freundin schreit. Es ist zum Kotzen.

Missmutig löffele ich mein Eis, hefte meinen Blick weiter auf Wie ein einziger Tag und kann selbst nicht glauben, wie jämmerlich ich mich gerade benehme. Vielleicht sollte ich das Klischee vollenden, indem ich mir noch eine Katze zulege. Oder fünf!

Meine Gedanken sind chaotisch und laut, und in Kombination aus diesem jammernden Selbstmitleid und dem Ton des Fernsehers höre ich nicht sofort, dass es an der Tür klingelt.

Wer wagt es, mich in meiner Einsamkeit zu stören?

Ich beschließe, mich nicht zu bewegen, aber wieder klingelt es, und diesmal scheint die Person da draußen so lange auf den Knopf zu drücken, bis ich aufmache. Boah, wie aufdringlich!

»Ist ja gut«, seufze ich und schiebe mir die Decke vom Schoß, ehe ich aufstehe und in Richtung Haustür trotte.

»Ja?«, frage ich lustlos in die Sprechanlage.

»Oh gut, du lebst.« Selbst durch die schlechte Leitung erkenne ich das vertraute Schmunzeln in seiner Stimme.

»Lenny? Was …« Ich unterbreche mich selbst und drücke stattdessen auf das Schlüsselsymbol, um ihn reinzulassen.

Schritte hallen durch das Treppenhaus, und es dauert etwa eine halbe Minute, bis mein bester Freund den vierten Stock erreicht. Auf dem Rücken trägt er einen riesigen Rucksack, der vermutlich mit einem Haufen Unibücher gefüllt ist. Seit er mit dem Schreiben seiner Masterarbeit begonnen hat, schleppt er das Ding dauerhaft mit sich herum.

»Hey, hübscher Schlafanzug«, bemerkt er, während er sich an mir vorbeischiebt. Sein Tonfall ist eine Mischung aus Kompliment und Belustigung.

Ich schaue herab auf meinen dunkelgrünen Zweiteiler mit den kleinen glitzernden T-Rexen. Niemand muss mir sagen, dass ich wie ein zu groß geratenes Kleinkind aussehe, und würde es nicht Lenny sein, der vor mir steht, könnte ich dem Impuls, die Arme schützend vor meinem Brustkorb zu überkreuzen, nicht widerstehen. Aber es ist Lenny.

Mein bester Freund.

Mit einem Ächzen hievt er sich den Rucksack von den Schultern, fummelt am Verschluss herum, und als er eine Packung Pralinen hervorzieht, und mir einfach so in die Hand drückt, bin ich vollends verwirrt. Erst klingelt er Sturm, und dann überreicht er mir Pralinen?

»Was … aber … du …«

Okay, kompletter Systemabsturz. Ich hole tief Luft und starte erneut: »Was machst du hier?«

Lenny stützt sich an der Wand ab, während er sich die Schnürsenkel öffnet. »Du warst seit sechzehn Uhr nicht mehr online und hast auch nicht auf meine Nachrichten reagiert.« Er lächelt mich wissend an. »Da ist es doch klar, dass irgendwas nicht stimmt. Das letzte Mal, als du so lange nicht geantwortet hast, hattest du den kleinen Unfall mit dem Skateboard. Weißt du noch?«

Und ob ich das weiß. Ironischerweise hatte ich den Unfall, weil ich während des Fahrens eine Nachricht tippen wollte – ja, so handysüchtig bin ich!

»Und deshalb klingelst du Sturm?«

»Ich dachte, dass du mich wegen des Fernsehers vielleicht nicht hörst.«

»Ach so«, murmele ich, weil mir seine Schlussfolgerung völlig einleuchtet. »Und ich dachte schon, du wolltest überprüfen, ob ich mir am Valentinstag die Kugel gegeben habe.«

Mein bester Freund verzieht überrascht das Gesicht. »Ach, heute ist Valentinstag?« Sein Blick verliert sich in der Luft, als irgendwas in seinem Kopf einzurasten scheint. »Deshalb also das rosa gefärbte Kartoffelpüree in der Mensa.«

»Moment, warte.« Ich hebe eine Hand. »Du wusstest nicht, dass heute Valentinstag ist? Und was soll dann die Schokolade?«, frage ich und wedele mit der grünen Packung in meiner Hand, von der Lenny ganz genau weiß, dass es meine liebsten veganen Pralinen sind.

»Einfach so.« Seine Schultern heben sich, und er lächelt schief. »Ich wollte nicht mit leeren Händen kommen, weil ich schon dachte, dass irgendwas los ist. Aber jetzt, wo ich weiß, dass Valentinstag ist …« Er macht ein zerstreutes Gesicht. »Lustiger Zufall.«

»Das ist er wirklich«, gebe ich ihm recht, kann die Skepsis in meiner Stimme allerdings nicht verdrängen. Lenny bringt mir ausgerechnet heute Pralinen mit. Das finde ich ziemlich krass. Genauso krass wie die Tatsache, dass er sich schon dachte, »dass irgendwas nicht stimmt«. Nach all den Jahren Freundschaft habe ich manchmal den Eindruck, dass er instinktiv spürt, wenn mich etwas innerlich aufwühlt. Ich weiß noch nicht, ob ich das seltsam oder niedlich finde.

Lennys Lippen zucken, als würde er genau wissen, was ich gerade denke. »Gern geschehen.«

»Oh. Ja … danke«, schiebe ich in völlig falscher Reihenfolge hinterher, und setze mich mit den Pralinen unterm Arm in Bewegung. Mein Platz auf dem Sofa ist noch warm, als ich mich zurück zwischen die Kissen setze. Lenny schiebt die Decken zur Seite und nimmt ebenfalls Platz. Sein Blick fällt erst auf die Eispackung, und dann auf den eingefrorenen Bildschirm, in dem Noah und Allie gerade eine romantische Bootstour machen.

»Wie ein einziger Tag?« Er unterdrückt ein Lachen. »Oh Mann, so übel?«

»Hey, der Film ist gut! Und Ryan Gosling ist …« Ich drücke einen geräuschvollen Kuss auf meine Fingerspitzen.

»Ich habe mir mal sagen lassen, dass ich so aussehe wie er«, sagt Lenny mit einem lässigen Nicken in Richtung Fernseher.

»Ha! Träum weiter!«, spotte ich, woraufhin mein bester Freund loslacht und etwas Undeutliches murmelt, das ich durch das Aufreißen der Plastikfolie noch weniger verstehe. Als ich den Deckel aufschiebe, begrüßt mich der vertraute Pralinenduft, was mir einerseits das Wasser im Mund zusammenlaufen lässt, aber mich andererseits noch trauriger stimmt. Erst das Eis, jetzt die Pralinen, und dazwischen ganz viel Nicholas Sparks.

Wie jämmerlich kann man sein?

Maya: Ja.

Frustriert stopfe ich mir die erste mit Krokant verzierte Kugel in den Mund und reiche die Packung dann weiter an Lenny. Dieser nimmt sie zwar entgegen, starrt mich aber so lange von der Seite an, bis sich sein Blick in meine Schläfe brennt, und ich ihn widerwillig erwidere. Seine graublauen Augen glänzen ernst.

»Macht dir das echt was aus?«, fragt er, ein rosa Schokoding zwischen Daumen und Zeigefinger balancierend. Gut, dass er die mit Erdbeere isst, die mag ich nämlich am wenigsten. »Dass du am Valentinstag allein bist, meine ich«, fügt er hinzu und beißt von der Praline ab, von der ein bisschen rosa Flüssigkeit auf seine Finger tropft.

»Ich bin ja nicht mehr allein«, entgegne ich und fordere mit einer Handgeste die Schokolade zurück.

Lenny schleckt erst seinen Finger ab, bevor er die Packung zu mir schiebt. »Ich weiß, ich meine auch eher …« Er wippt mehrmals mit dem Kopf und macht dabei eine uneindeutige Handgeste. »Dass du kein Date hast oder so.«

Beschämt rutsche ich tiefer ins Kissen und ziehe mir die Decke bis zu den Schultern hoch. »Um ehrlich zu sein, schon«, gestehe ich. »Ich weiß selbst, wie albern es ist, aber an diesem Tag, der nur der Liebe gilt, fühle ich mich extrem einsam. Deshalb war ich auch nicht am Handy. Ich hab’s einfach nicht mehr ausgehalten, dass alle Leute Blumen und Schokolade in ihren Storys posten, weil sie die besten Partner auf der Welt haben.«

»Hey, du hast auch Schokolade bekommen«, erinnert er mich grinsend. »Und das, obwohl ich nicht mal wusste, dass heute Valentinstag ist. Das ist ja wohl tausendmal cooler.«

Ich bin dankbar, dass er die Stimmung mit seiner verspielten Albernheit füllt. Vielleicht fällt es mir sogar deshalb so leicht, ehrlich zu sein.

»Ja, aber du weißt doch, was ich meine. Manchmal hat man eben diese Sehnsucht nach Nähe und Zärtlichkeit.«

Lenny zuckt mit den Schultern, eine Geste, die ich nicht eindeutig als »Ja, kann sein« oder »Sehe ich nicht so« festmache.

»Du etwa nicht?«, hake ich nach.

»Nein.« Kauend schüttelt er den Kopf, und wirkt fast schon ein wenig amüsiert. »Um ehrlich zu sein, finde ich es sogar ziemlich befremdlich, dass sich Menschen genau ein Mal im Jahr besonders viel Mühe geben, Geschenke machen und rote Lebensmittelfarbe in Kartoffelpüree mischen.«

Ich lache los, fange mich jedoch schnell wieder, weil ich genau weiß, was er vorhat.

»Das beantwortet meine Frage aber nicht. Was ist mit dem ganzen Rummel an sich? Ein romantisches Date, Blumen und Pralinen?«

»Keine Ahnung. Es kommt, wie es kommt.« Er sagt es so gleichgültig, als würde er über das Wetter reden.

Ich unterdrücke ein Stöhnen, obwohl ich mit einer solchen schwammigen Antwort fast schon gerechnet habe. Es ist so typisch für ihn, dass er sofort dichtmacht, wenn es um sein Liebesleben geht. Aber da ich weiß, dass Nachbohren ohnehin nichts bringt, lasse ich das Thema fallen und fische nach der Fernbedienung.

Wir schauen weiter Wie ein einziger Tag, ein Film, der mein Herz selbst nach zwanzigmal Anschauen noch immer entzweibricht und am Ende wieder zusammensetzt. Ich nasche derweil so viele Pralinen, bis mir schlecht wird. Das Eis vorhin und die Schokolade haben sich wie ein klebriger Klumpen in meinen Bauch gesetzt. Aber vielleicht liegt es auch gar nicht an meinem übersüßten Abendessen, sondern am Film, der so abartig romantisch ist, dass sich mir der Magen dreht. Die Geschichte von Noah und Allie ist purer Zucker, und am Ende kann ich die Tränen wie immer nicht aufhalten.

Als der Film vorbei ist, und wir eine ganze Weile dem Abspann lauschen, ist es Lenny, der das Schweigen bricht. »Der Film war echt gut.«

»Ja, war ganz okay«, schniefe ich und wische mir etwas aus dem Augenwinkel, was Lenny sein berühmt-berüchtigtes Schmunzeln entlockt.

»Aber ich dachte, du stehst bei diesen Filmen immer aufs Happy End?«

»Es hat doch eins.«

Lenny zieht eine Grimasse. »Das ist für dich ein Happy End? Die Frau hat Alzheimer, und am Ende sterben beide!«

»Aber davor hatten sie ein langes, glückliches Leben«, halte ich dagegen. »Und denk nur an die Vögel, die beim Abspann mit der Musik fliegen. ›Wenn du ein Vogel bist, bin ich auch ein Vogel‹«, zitiere ich, was ihn unverhofft losprusten lässt.

Er hat ja recht. Ein bisschen traurig ist das Ende schon. Aber Allie und Noah hatten ihr Happy End, und das ist das Wichtigste.

Happy.

End.

»Ich stehe halt auf Kitsch«, sage ich und strecke kurzerhand meine Beine auf seinem Schoß aus.

Verdattert lässt er den Kopf sinken. »Ähm, wenn du jetzt glaubst, dass ich dir die Füße massiere, nur weil du deprimiert bist, heißt die Antwort Nein.«

Um ehrlich zu sein, weiß ich selbst nicht genau, warum meine Füße jetzt auf seinem Schoß liegen, doch ich spiele mit, ziehe einen Schmollmund und wackele mit den Zehen.

Erfolglos.

»Hm, den Versuch war es trotzdem wert«, entgegne ich und versuche die Niederlage mit gerecktem Kinn zu ertragen. Lenny erwidert nichts, und bald darauf herrscht Stille im Raum. Aber es ist keine unangenehme, im Gegenteil. Mit Lenny kann man wunderbar reden und wunderbar schweigen. Ich nehme einen tiefen Atemzug und genieße die Ruhe, die auch langsam in mir einkehrt.

Als ich zurück zu meinem besten Freund schaue, bemerke ich, dass er auf seinen Schoß starrt, auf dem noch immer meine Füße ruhen.

»Was?«, frage ich.

Ein warmes Lächeln umspielt seine Lippen. »Deine Füße sind süß.«

Was? Wessen Füße sind denn bittesüß?Verlegen balle ich die Zehen zusammen, auf dessen Nägeln der schwarze Nagellack bereits großzügig abgeblättert ist. Und er nennt das süß. »Sind sie nicht!«

»Doch, sie sind so klein.« Er hebt mein rechtes Bein an und hält dann seine Hand an meine Sohle, die noch größer ist als mein Fuß. Die Berührung kitzelt leicht, aber irgendwie ist sie auch angenehm.

»Wenn du sie so süß findest, kannst du es dir mit der Massage ja doch noch mal überlegen«, scherze ich und mache die Beine extra schwer. Als Lenny sie jedoch ohne großen Aufwand einfach hochhebt, keuche ich überrascht auf, schlage instinktiv um mich, und treffe dabei versehentlich seine Schläfe.

»Ah!« Er verzieht das Gesicht, legt meine Füße aber trotzdem erst auf seinem Schoß ab, bevor er sich über die Stelle reibt, an der meine Hacke ihn getroffen hat.

»O nein! Sorry, ich … das war irgendwie überraschend.«

»Alles gut.« Er fährt mit dem Finger über den kleinen T-Rex am Rande meines Knöchels und lächelt. »Diese Füße können sowieso nicht viel ausrichten.«

»Ey, provozier mich nicht«, warne ich, horche jedoch auf, als der Schlüssel im Schloss gedreht wird, und kurz darauf das Licht im Flur angeht.

Sydney murmelt etwas darüber, dass mein Skateboard wieder den Eingang blockiert (Mist, ich habe schon wieder vergessen, es an die Wand zu hängen!), während Vicky über leichten Hunger klagt (Doppelmist, ich habe ihren letzten Joghurt verputzt!).

Als Sydney ins Wohnzimmer kommt, blinzelt sie überrascht. »Oh, hey, ihr zwei«, begrüßt sie uns und heftet ihren Blick auf meinen besten Freund. »Lennart, du hast gar nicht erzählt, dass du noch vorbeikommst.«

»Es war auch ein spontaner Besuch«, erwidert er lächelnd.

»Ja, er hat mir Gesellschaft geleistet, nachdem ihr beide mich hinterrücks verraten habt.« Es war eigentlich scherzhaft gemeint, aber das unkontrollierte Vibrieren in meiner Stimme lässt es anklagender klingen als gewollt.

»Hä?«, macht Vicky, die hinter Sydney hervortritt und noch immer ihren Leopardenmantel trägt. Dass sie nicht einmal weiß, wovon ich rede, lässt meinen Magen geradewegs in Richtung Keller sacken.