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Wer Veränderung möchte, darf sich nicht auf ausgetretenen Pfaden bewegen, sondern muss mutig Neues ausprobieren, Chancen ergreifen, die sich bieten und Gelegenheiten schaffen, wo noch keine sind. In diesem Buch schildert Ursula Kraemer ihren Weg, der sie schließlich über etliche Stationen zu ihrer Berufung führte: Sie wurde Coach, machte sich selbständig und schaffte den Spagat zwischen erfolgreicher Arbeit, Zeit für ihre Kinder und persönlichen Hobbys. Begleiten Sie die Autorin auf ihrem Weg und lassen Sie sich anregen, Ihren eigenen zu finden.
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Seitenzahl: 254
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Meinen Kindern
Cornelia, Robert und Felix
gewidmet
Welches ist der Beruf, der zu mir und meinen Talenten passt? Wie kann ich Beruf und Kind verbinden? Mit welcher Geschäftsidee könnte ich mich selbständig machen? Werde ich von meiner Selbständigkeit leben können?
Ursula Kraemer beschreibt ihren beruflichen Weg als einen typisch weiblichen, der sich in drei Phasen teilt: Studium, Arbeit, Familienzeit. Die wenigen Stunden des beruflichen Wiedereinstiegs sind nur möglich in einer engen Abstimmung mit den Aufgaben in der Familie und im Geschäft des Ehemannes. Erst als sich die Notwendigkeit zeigt, auf eigenen Beinen stehen zu müssen, trifft sie weitreichende Entscheidungen.
Bei diesem Buch handelt es sich um die überarbeitete und erweiterte Neuauflage des 2009 erschienen Titels „Leben heißt es wagen - Vom Glück, seinen beruflichen Weg zu finden“
Ein Wort davor
Am Start
Entscheidungsnöte
Ein unglücklicher Abgang
Nebenschauplätze
Vom Lehren und Lernen
Landung im Berufsleben
Auf der anderen Seite
Wider den üblichen Lehrbetrieb
Er oder ich?
Die Franzosen kommen
Die rote Bluse
Der Norden ruft
Eingeschränkte Wahrnehmung
Schlüsselkinder und Klosterschüler
Wie kriege ich dich bloß groß?
Was machst du sonst so?
Berufstätigkeit ade
Das andere Leben
Gleichgesinnte
Der Webstuhl
Hexenküche
Qualm und Asche
Ein Platz zum Wohnen
Es grünt und blüht
Arbeit und Kinder
Jazztanz
Kette, Schuss und Knoten
Einarmig
Krisenstimmung
Die Milchpumpe
Kongreßbesuch
Der Kindersitz
Gegenwind
Der Doktorvater
Schlimmer als wie eine Mutter
Nachtschicht
Zurück auf Los
Zweiter Anlauf
Der Stufenplan
Ein Versehen mit Folgen
Zeit für mich – Zeit für dich
Spurwechsel
Die Guten ins Töpfchen
Frauen und das liebe Geld
Auf dem Prüfstand
Auf dem Sprungbrett
Ich werde Coach
Freikaufen von der Hausarbeit
Just do it!
Drei Räume für mich
Mut
Der ersehnte Anruf
Ein erster Klient
Falschgeld
Trittbrettfahrer
Ein professioneller Marktauftritt
Die Firma wächst
Dicke Fische: Mitarbeiterbefragung
Dicke Fische: Coaching
Eine dramatische Wende
Wohnen und Arbeiten unter einem Dach
Angst und Hoffnung
Ärzte im Visier
Gemeinsame Sache
Ikebana oder Blumenstrauß
Aus der Balance
Sportlich, sportlich
Papiertiger
Kreatives Schaffen
Digital unterwegs
Neue Lebensphasen
Was ich gelernt habe
Dies ist die Geschichte meines beruflichen Wegs. Von der Suche nach dem richtigen Beruf, von den Fehlstarts und den ersten Erfolgen. Von meinem Bemühen, eine gute Mutter zu sein und dabei dennoch eigene berufliche Ziele nicht aus den Augen zu verlieren.
Für die Generationen vor uns gab es feste Vorstellungen, wie das Leben zu sein hat. Heute haben wir tausend Möglichkeiten, wie wir unser Leben zu gestalten. Wir können ausprobieren und entscheiden, was zu uns passt. Damit haben wir Chancen, aber auch die Aufgabe, Entscheidungen zu treffen und Weichen zu stellen. Nicht immer ist der Weg klar vorgezeichnet. Manches Mal gilt es, erst einen zu schaffen und Erfahrungen zu sammeln, die noch keiner gemacht hat. Doch wer Neues wagt, stößt mitunter auf Hindernisse und Widerstände und braucht Mut und Ideen, diese zu überwinden.
Die Familie, in die man hineingeboren wird und die Zeit, in der man aufwächst, prägen, mit welchen Themen man sich beschäftigt und was einem wichtig ist. Die Themen meiner Jugend waren die Kritik am Bestehenden, später die Emanzipationsbestrebungen der Frauen, die Forderung nach der gleichberechtigten Teilhabe, nach dem eigenen Platz in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik. Auch wenn schon viel erreicht ist, so sind diese Themen doch auch heute immer noch aktuell.
Frauen alleine werden es nicht schaffen können, sondern nur im Dialog mit ihren Partnern, mit Kollegen und Chefs, mit Politikern und Wirtschaftsverantwortlichen. Wenn es kein Gegeneinander gibt, sondern ein Miteinander, ist Neues möglich, das für alle Beteiligten Vorteile bringen kann. Dafür habe ich mich stark gemacht, nicht zuletzt deshalb, weil ich eine Tochter und zwei Söhne habe, für die ich mir eine solche Zukunft wünsche.
Ich will mit diesem Buch keine Maßstäbe setzen. Jede und jeder muss selbst entscheiden, wofür es sich lohnt, die eigene Energie und Kraft zu investieren, und welche Werte dabei Leitschnur sind. Ich möchte Erfahrungen weitergeben. Es ist wichtig, ein Bild vor Augen und im Herzen zu haben von dem, was das eigene Leben ausmachen soll. Diesen Weg gilt es zu verfolgen, aber nicht stur, sondern mit der Offenheit für das, was sich unterwegs an Gelegenheiten begegnet. Vielleicht ist dies genau das, was wir im Augenblick brauchen. Nicht immer werden uns hilfreiche Ratgeber zur Seite stehen, nicht immer sich die passenden Rahmenbedingungen bieten, um zu erreichen, was wir anstreben. Aber es lohnt sich, dran zu bleiben, Fantasie zu entwickeln und neue Möglichkeiten zu suchen. So werden sich Türen öffnen, durch die noch keiner gegangen ist. Das bedeutet natürlich manchmal auch, ein Risiko einzugehen. Doch das Ergebnis wird uns belohnen. Eigene Spuren zu hinterlassen ist immer besser, als Trampelpfade zu benutzen und einer von denen zu sein, die rufen: „Das mache ich auch.“
Neue Ziele, besonders die beruflichen, beanspruchen einen großen Teil unserer Zeit. Trotz allem sollten wir nicht die Menschen, die Dinge und die Aktivitäten vergessen, die uns wichtig sind und die Kraft geben dranzubleiben. Nur alles zusammen macht das Leben aus, nie nur eines allein. Auch nicht der Beruf. Das Geheimnis, um glücklich und zufrieden zu leben, ist das Sowohl-als auch, nicht das Entweder-oder.
Ich wünsche Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, dass Sie den Weg finden, der Sie glücklich macht.
Ursula Kraemer
Friedrichshafen im August 2018
„Aussteuer oder Studium, was ist dir lieber?“ Mein Vater legte die Tageszeitung auf den Tisch, nahm seine Lesebrille ab und schaute mich fragend an. Ich musste nicht lange überlegen. Schließlich wollte ich nicht das Abitur machen, um, wie noch viele Frauen meiner Generation, danach auf einem beruflichen Spargleis auf den passenden Ehemann und Ernährer zu warten. Und außerdem war ich mir sicher, dass mein Vater mir im Falle einer Hochzeit auch die Aussteuer oder zumindest einen Teil davon stellen würde. War ich doch sein einziges Kind.
In unserem Bekanntenkreis gab es eine Stewardess, Ulla. Wo immer sie aufkreuzte, zog sie alle Aufmerksamkeit auf sich. Das Flair der großen weiten Welt und ein Hauch von Exklusivität umwehten sie wie teures Parfum. Denn Flugreisen waren damals noch wichtigen Geschäftsleuten und betuchten Urlaubern vorbehalten. Das dunkelblaue Kostüm der Lufthansa mit dem schmalen Rock und dem körperbetonten Blazer stand ihr ausgezeichnet; das flotte Käppi und das farblich abgestimmte blau-gelbe Tuch, das sie um den Hals geschlungen hatte, vervollständigten den edlen Eindruck. Wann immer ich sie traf, erzählte sie von unbekannten Städten und fernen Ländern und den Menschen, die sie dabei kennengelernt hatte. Da stand für mich fest: Ich will auch Flugbegleiterin werden.
Mein Vater jedoch fegte diesen Berufswunsch schnell vom Tisch: „Da kannst du genauso gut im Bahnhofshotel nebenan servieren gehen. Dort brauchst du nicht einmal Spucktüten zu halten“. Schweren Herzens fügte ich mich, denn die Meinung meines Vaters war mir sehr wichtig. Nicht nur, aber auch, weil er das Studium auch würde finanzieren müssen.
Die Möbel in meinem Zimmer standen nie lange am gleichen Platz: In regelmäßigen Abständen verschob ich Bett, Schreibtisch und Schrank und suchte immer wieder neue Arrangements. Aber nie, ohne vorher alles genau ausgemessen und meine Ideen in einer maßstabsgerechten Skizze festgehalten zu haben. Wenn ich eine fremde Wohnung betrat, gestaltete ich sie in Gedanken um. Was, wenn man hier bodenlange Vorhänge aufhängte oder die Bücherwand an der anderen Seite platzierte? Ich träumte davon, als Innenarchitektin mich immer mit solchen Fragen beschäftigen zu können. Ein neuer Berufswunsch war geboren.
Wenige Wochen vor dem Abitur erschien ein Berater vom Arbeitsamt in der Klasse. Von ihm sollten wir Anregungen erhalten für unsere berufliche Zukunft und konkrete Informationen zu den verschiedenen Berufsbildern und Studiengängen. „Wenn Sie Innenarchitektin werden wollen, müssen Sie vorher eine dreijährige Schreinerlehre absolvieren, das ist die Voraussetzung“, eröffnete er mir. Und danach erst würde das Studium beginnen. Alles in allem wären das rund sieben Jahre, bevor ich einen Abschluss hätte und daran denken könnte, Geld zu verdienen. Das schien mir eindeutig zu lang. Und so gab ich widerstrebend auch diesen Berufswunsch auf. Später erfuhr ich, dass es besser gewesen wäre, dem Berufsberater nicht zu glauben und mich noch an anderer Stelle zu erkundigen. Die Lehre wäre nämlich wesentlich kürzer gewesen. Aber da war es dann schon zu spät.
Zu jener Zeit fehlten Lehrer am Gymnasium, also warb der Berater des Arbeitsamtes intensiv für diesen Beruf. Er beschrieb mit lebhaften Worten die Vorteile des Lehrerdaseins, sprach von einem sicheren Arbeitsplatz, den langen Schulferien und freien Nachmittagen und von regelmäßigen Beförderungen. Der Berater machte seine Sache ausgezeichnet. Denn nach der Informationsstunde entschied sich mehr als die Hälfte der Klasse dazu, den Lehrerberuf zu ergreifen. Wir hielten das für eine gute Wahl, denn schließlich wussten wir, wie der schulische Alltag ablief. Ein unbekanntes Terrain würde uns also nicht erwarten. Wir suchten nach Schulfächern und Fachkombinationen. Was eignet sich für ein Lehramtsstudium? In welchen Fächern würden vermutlich Lehrer gebraucht, wenn wir nach dem Referendariat in den Schuldienst eintreten wollten? „Ich mache Mathe und Physik, was machst du?“ So oder ähnlich lauteten die Gespräche, wenn wir uns über unseren Weg nach dem Abitur austauschten.
Bei mir fiel die Wahl auf Französisch und Sport. In beiden Fächern hatte ich immer gute Noten und Spaß an der Sache gehabt. Nach etlichen Wochen Schüleraustausch mit französischen Familien konnte ich mich sprachlich flüssig und ohne Wörterbuch ausdrücken, so gut sogar, dass ich manches Mal auf Französisch träumte. Und bei den Bundesjugendspielen errang ich regelmäßig Anerkennung. Im Sommer in Leichtathletik reichte es zwar nur für eine Siegerurkunde, aber im Winter im Geräteturnen war mir die Ehrenurkunde sicher. Die Grätsche mit Flugphase über den Querkasten gehörte zu meinen Paradeübungen. Dass all das alleine nicht ausreicht, um als Lehrerin Erfüllung im Beruf zu finden, merkte ich erst später. Kaum einer von uns Studienanfängern machte sich klar, dass das Lehramtsstudium nicht nur hieß, sich selbst gerne mit den gewählten Fächern zu beschäftigen, sondern vor allem bedeutete, dem Lehrplan zu folgen und den Unterrichtsstoff in kleinen Häppchen an Schüler zu verfüttern, die daran nicht immer interessiert sind. Und dass es auch bedeutete, sich mit Disziplinproblemen und mangelnder Motivation herumzuschlagen und stapelweise Hefte zu korrigieren, um dann oft festzustellen, wie wenig von dem, was man den Schülern vermittelte wollte, wirklich hängen geblieben war.
Die große Halle war hell erleuchtet, der herbstliche Nachmittag schon weit fortgeschritten. Zahlreiche Helfer bauten den Geräteparcours auf, die letzte Etappe der Aufnahmeprüfung für das Sportstudium. Vorher schon hatten wir Einzelübungen absolviert, am Boden, am Barren, beim Sprung. Jetzt sollten wir auf der Gerätebahn eine festgelegte Übungsfolge durchturnen und die einzelnen Elemente fließend miteinander verbinden.
Den Sprung schaffte ich gut, die Anflugphase stimmte, die Grätsche war hoch angesetzt, ich landete sicher auf beiden Beinen. Im Laufschritt ging es zur Mattenbahn: Flugrolle, Strecksprung mit halber Drehung, Rolle rückwärts, Drehung, Rad. Auch diese Aufgaben meisterte ich mit Bravour. Am Ende der Gerätebahn wartete der Stufenbarren. Aufschwung, Umschwung, Drehung, es lief wie am Schnürchen. Ich setzte zum Abgang an. Plötzlich ein Knirschen, ein stechender Schmerz, ein spitzer Schrei und ich saß wie ein Häufchen Elend am Boden. Statt wie geplant auf den Fußsohlen aufzukommen, war ich mit beiden Füßen umgeknickt und mit den Knöcheln auf der Matte gelandet. Die Aussicht, die Aufnahmeprüfung gleich überstanden zu haben, hatten meine Konzentration schwinden lassen und die Körperspannung war dahin gewesen.
Jetzt ist alles aus, schoss es mir durch den Kopf. Das Sportstudium kannst du vergessen! Wer schon bei der Aufnahmeprüfung patzt… Hilflos sah ich mich um. Es dauerte eine Weile, bis auch die Mitglieder der Jury begriffen hatten, dass ich nicht mehr aufstehen konnte. Sie trugen mich hinüber zu einer Bank, betasteten prüfend meine Fußgelenke und beratschlagten, was zu tun sei. Einer der Dozenten fuhr mich in seinem Wagen zur Universitätsklinik, wo die Ärzte nach dem Röntgen eine beiderseitige Bänderzerrung feststellten. Ich frohlockte. Also kein Bruch! „Kein Grund zur Freude“, meinte der untersuchende Arzt trocken, „eine Zerrung braucht oft länger. Frühestens in vier Wochen werden Sie wieder normal gehen können.“
Eine solche Verletzung rechtfertigte natürlich keinen Krankenhausaufenthalt und so saß ich wenig später in meiner Studentenbude auf dem Bett. Unfähig auch nur einen Schritt zu machen. Mutterseelenallein, abgeschnitten von der Umwelt. Telefon gab es damals noch auf keiner Studentenbude, dafür musste man zur öffentlichen Zelle gehen, auch das Handy war noch nicht erfunden. Mir war zum Heulen. Zum Glück brachte mir die Zimmerwirtin, die im Nachbarhaus wohnte, das Essen und fragte nach, was ich noch brauchen könnte. Um zur Toilette zu gehen, musste ich kräftig gegen die Zimmerwand klopfen. Dann erschien mein Mitbewohner, der trug mich zum WC und wartete draußen, bis ich fertig war. Wie war mir das peinlich! Ich kannte diesen Mann erst seit einer Woche! Und hatte in diesen wenigen Tagen nur erlebt, wie er Beziehungen zu drei Freundinnen parallel führte und dies so geschickt anstellte, dass keine der Damen etwas von dem ungewöhnlichen Arrangement bemerkte.
Trotz des unglücklichen Anfangs wurde ich zum Sportstudium aufgenommen. Die Folgen des Unfalls allerdings machten mir während der ganzen Studienzeit und auch danach noch zu schaffen. Immer wieder knickte ich um, die Bänder waren sehr empfindlich geworden, wie ausgeleiert. „Am besten, Sie besorgen sich ein Paar neue Füße“, empfahl mir lachend der Arzt bei einem neuerlichen Klinikbesuch. Mit Bandagen und knöchelhohen Schuhen versuchte ich mich zu schützen. Es klappte nicht immer. Verletzungen waren an der Tagesordnung. Kein Wunder, dass das Schwimmen zu meiner Lieblingsdisziplin wurde. Wasser hat ja bekanntlich keine Balken und auch keinen Boden, auf dem man umknicken kann.
Mein Stundenplan gerade in den ersten Semestern war übervoll. Die beiden Fächer ließen sich nicht immer gut verbinden. Im Winter stand ich morgens schon um sieben Uhr in der ungeheizten Halle und übte im Basketball das Dribbeln, die Manndeckung und den Korbwurf. Danach ging es in die Schwimmhalle, wo wir ein Gummiband um die Knie schnüren mussten, um die neue schmale Form der Schwunggrätsche im Brustschwimmen zu erlernen. Mit nassen Haaren und im Dauerlauf machte ich mich, um pünktlich zu sein, nach Abschluss der Stunde auf den Weg zur Vorlesung „Das Werk Voltaires“. Während meine Kommilitonen geradewegs aus dem Bett kamen oder zumindest von einem gemütlichen Frühstück, hatte ich schon drei Stunden intensives körperliches Training hinter mir und musste aufpassen, dass ich beim Sitzen im warmen Hörsaal wach blieb.
Das Studium an der Universität beinhaltete keine einzige Stunde Methodik und Didaktik. Nichts davon. Wir studierten die Sprache, lernten etwas über Phonetik und Linguistik, interpretierten Gedichte und übersetzten Texte. Und paukten fünf Jahrhunderte Literaturgeschichte. In Sport ging es vor allem um das eigene Training. Wir übten das Ausschleudern an den Ringen, zogen unsere Bahnen im Stadion, studierten Tänze ein und lernten den Fosbury Flop, der sich gerade im Hochsprung zu etablieren begann. In zwölf Fächern sollten wir eigene Leistung zeigen und dies auch in Prüfungen belegen: höher, schneller, weiter. Auf meinen Einwand, ich müsse meinen Schülern nicht vormachen, in welcher Zeit ich den Hundertmeterlauf zurücklegen kann, sondern ihnen helfen, den eigenen Laufstil zu verbessern und ihr Tempo zu steigern, bekam ich keine Antwort.
Die letzten Semester standen im Zeichen häufiger Streiks und Demonstrationen. Es war die Zeit nach 68. Mehr als einmal war ich zum Sportinstitut am anderen Ende der Stadt geradelt, um dann festzustellen, dass das Training ausfallen würde, Streikposten den Zugang zu den Hörsälen verweigerten oder die Vorlesung für Grundsatzdiskussionen und politischen Statements umfunktioniert worden war. Als Folge davon war ich gezwungen, meine Meldung zum Staatsexamen um ein halbes Jahr zu verschieben, weil mir durch die Streiks ein für die Prüfung notwendiger Schein fehlte. Beinahe scheiterte auch dieser Termin. Beim Kurzstreckenlauf hatte ich mir eine Zerrung im Oberschenkel geholt. Mein Muskel würde keinen Sprint aushalten, nur ein langsameres Antreten könnte gehen. Aber ich brauchte den Schein unbedingt. Es gab nur eine Lösung: Ich bekam den Oberschenkel vereist, um den Schmerz nicht zu spüren, zwei Sportkollegen liefen neben mir her, einer rechts, einer links. Sie spornten mich an und motivierten mich, die Strecke von 800 m durchzuhalten. Nach zwei schier endlosen Runden hatte ich endlich meine Leichtathletikprüfung in der Tasche.
Je näher der Tag kam, an dem ich in den Vorbereitungsdienst für die Schule eintreten sollte, desto unwohler fühlte ich mich. Mein Vorbehalt gegenüber dem Lehrerberuf war mehr und mehr gewachsen. Doch getreu dem Familienmotto ‚was man anfängt, muss man treiben’ hatte ich trotzdem erst einmal das Studium beendet. Doch wie konnte ich mit einem Abschluss in Französisch und Sport anderweitig mein Geld verdienen? Die Fächerkombination war auf den Schuldienst abgestimmt. Eine zweite Fremdsprache zu vertiefen, um ‚irgendetwas mit Sprache’ tun zu können, lockte mich wenig. Eine berufliche Möglichkeit sah ich im Sportjournalismus. Ich bewarb mich um einen Praktikumsplatz bei der Esslinger Zeitung und es klappte. Vier Wochen sollte ich mir einen Einblick in den Alltag der Sportredation verschaffen dürfen.
„Sie wären die erste Frau, die es im Sportjournalismus zu etwas bringen würde!“ Mit diesen Worten empfing mich der Chefredakteur an meinem ersten Arbeitstag. Es fiel mir schwer, eine Herausforderung in diesem Ausspruch zu sehen. Auf mich wirkte er eher wie ein Dämpfer.
Meine vorrangige Aufgabe bestand darin, aus dem Fotoarchiv nach Bildern zu suchen, die zu den aktuellen Berichten passten. Die Schwarz-Weiß-Aufnahmen lagen, nach Sportarten sortiert, in großen Stapeln in einem Regal im Flur der Redaktion. Zum Glück hatte man sie auf der Rückseite beschriftet. Ohne diese Information wäre ich verloren gewesen, denn so gut kannte ich mich im Sportgeschehen noch nicht aus.
Eines Tages kam die Nachricht vom Tod Jochen Rindts über den Ticker. Er war beim Abschlusstraining für den Grand Prix in Monza verunglückt. Man vermutete Probleme an den Bremsen seines Lotus während eines Überholmanövers. Der Bericht beschäftigte mich sehr. Ich las die Unfallbeschreibung immer wieder, stellte mir vor, wie es für ihn in den Sekunden vor dem Aufprall gewesen sein musste, machte mir Gedanken über seine Familie und die Rennfahrerkollegen. Welches Foto würde zum Artikel passen? Ein Portrait? Das Rennauto? Oder beides? Die Entscheidung darüber war aber nicht meine Sache, sie lag beim zuständigen Redakteur. Also legte ich ihm eine Sammlung verschiedener Aufnahmen vor. Die Überschriften möglichst genau auf die Breite des jeweiligen Artikels abzustimmen, gehörte ebenfalls zu meiner Arbeit. Ich jonglierte mit Wörtern und Varianten und zählte die Buchstaben ab. Wirklich einfach war es nicht. Worin bestand die wesentliche Aussage des Berichts? Was würde die Leser anziehen? Und welche Änderung könnte schließlich die geforderte Breite bringen?
In der Etage über der Esslinger Zeitung befand sich eine Redaktion der Bild-Zeitung. Mitarbeiter von dort schauten immer wieder bei uns rein, um ein Schwätzchen zu halten und Informationen auszutauschen. Mir als Neuling erteilten sie natürlich gerne großzügig Ratschläge und lieferten mögliche Überschriften wie ‚Jetzt oder nie!’ oder ‚Die Katastrophe naht!’ Beispiele, die kaum die richtigen waren für den Stil ‚meiner’ Zeitung.
Die vier Wochen Praktikum näherten sich ihrem Ende und von Sportjournalismus hatte ich noch wenig gehört. „Sie können ja mal beim nächsten Fußballspiel mitgehen und von Ereignissen am Rande berichten.“ Doch dazu kam es nie. Ich suchte weiter nach Fotos und bastelte an Überschriften.
Mein Arbeitstag kam mir als Nachtmensch sehr entgegen, denn ich brauchte nicht vor dreizehn Uhr in der Redaktion zu sein. Dafür allerdings saß ich auch erst kurz vor Mitternacht im Zug, der mich nach Hause brachte. Der Sonntag gehörte natürlich zu den Arbeitstagen, die meisten sportlichen Ereignisse fanden ja am Wochenende statt und über sie galt es zu berichten. Ich konnte mir nicht vorstellen, diesen Arbeitsrhythmus auch in Zukunft beizubehalten. Wo bliebe da noch Zeit für Freunde und Hobbys? Und was, wenn ich Familie hätte? Es würde ein Problem geben, wollte ich dann weiterhin berufstätig sein. So entschied ich mich gegen den Beruf der Sportjournalistin. Ich beendete mein Praktikum. Und die berufliche Alternative fehlte noch immer.
Gegen Ende des Studiums hatte ich für einige Stunden in der Woche eine Stelle als wissenschaftliche Hilfskraft am Zentrum für Neue Lernverfahren der Universität Tübingen angenommen. Dort beschäftigte man sich vor allem mit der Verwendung des Sprachlabors im Fremdsprachunterricht, den Einsatzmöglichkeiten des gerade neu entwickelten Programmierten Lernens und mit Microteaching. Mit diesem an der amerikanischen Universität Stanford entwickelten Trainingsverfahren war es möglich, Lehrverhalten vereinfacht zu trainieren, indem sich die Übenden auf bestimmte Fertigkeiten fokussierten. Die Unterrichtsdauer sollten nur wenige Minuten dauern. Zur Erleichterung des Trainings wurde auch die Zahl der Schüler beschränkt. Gerade weil ich im Studium keinerlei praktische Erfahrungen im Unterrichten sammeln konnte, war ich vom Sinn und von der Notwendigkeit solcher Untersuchungen überzeugt. Ich wollte wissen, wie diese neuen Methoden eingesetzt werden könnten und welche Vorteile sie hätten. Zu Beginn meiner Tätigkeit als Hilfskraft allerdings war ich vorrangig damit beschäftigt, organisatorische Aufgaben zu erledigen: Ich korrigierte Seminarunterlagen, stellte Handapparate für Seminare zusammen, tippte Matrizen und ‚nudelte’ sie durch.
Es gab damals noch kein Kopiergerät, um Arbeitspapiere und Sitzungsvorlagen zu vervielfältigen. Deshalb musste ich zuerst eine Matrize erstellen und dafür den Text mit der Schreibmaschine auf ein Blatt Papier tippen, das mit einer speziellen, wachsbeschichteten Folie verbunden war. Beim Tippen löste sich das Wachs durch den Druck des Anschlags und hinterließ auf der Rückseite des Papierbogens einen spiegelverkehrten Durchschlag. Hatte ich mich vertippt, bestand die einzige Möglichkeit zur Korrektur darin, mit der Spitze eines Messers oder einer Schere den falschen Buchstaben auszukratzen, das Blatt wieder einzuspannen und erneut zu tippen. Schwierig war, die auszubessernde Stelle in der Schreibmaschine genau zu justieren, damit der korrigierte Buchstabe nicht aus der Reihe tanzte, sondern einigermaßen richtig positioniert war. Wenn der Text fehlerfrei geschrieben war, spannte ich die Matrize in den Matrizendrucker, eine Art handbetriebener Trommel, und drehte gleichmäßig an der Kurbel. Bei jeder Umdrehung wurde ein neues Blatt durchgezogen und am Ende hatte ich die gewünschte Anzahl von Kopien. Einmal war meine Mutter zu Besuch gekommen. Sie hatte mich ins Institut begleitet und wollte warten, bis ich meine Arbeit dort erledigt hatte. Sie sah zu, wie ich geduldig die Walze in Bewegung hielt und das Druckergebnis kontrollierte und fragte zweifelnd: „Kind, und das befriedigt dich?“
Bald wurde ich stärker in die inhaltliche Arbeit eingebunden und formulierte zusammen mit meinem Kollegen einen Antrag für ein Projekt, den wir bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft zur Finanzierung einreichen wollten. Wir planten die Entwicklung von Modellen, wie praktische Lehrerfahrung in die gymnasiale Lehrerausbildung an der Universität eingebaut werden könnte. Sollte der Antrag genehmigt werden, würde dies meine erste volle Stelle als wissenschaftliche Mitarbeiterin bedeuten. Und es klappte. Wir erhielten die Gelder für eine dreijährige Projektphase.
Die Freude über meinen nahtlosen Berufseinstieg drei Wochen nach Abschluss des Studiums war groß, doch dann tauchte unerwartet ein Problem auf: Mein Staatsexamen als Lehrerin reichte als Qualifikation für eine Laufbahn an der Universität nicht aus. Die Promotion würde zu lange dauern, eine Magisterarbeit und die entsprechende Prüfung dagegen wären zeitlich und vom Arbeitsumfang her eher zu schaffen.
So belegte ich parallel zu meiner Berufstätigkeit Seminare in Psychologie, Soziologie und Erziehungswissenschaften, erarbeitete mir die Voraussetzungen für den geforderten Schein in Statistik. Für meine Magisterarbeit zum Thema „Sprachlernzentren“ durfte ich Universitäten in der französischen Schweiz und in England besuchen, Interviews mit den Institutsleitern führen und deren Planungskonzepte studieren. Die Abschlussarbeit im Fachbereich Verhaltens- und Sozialwissenschaften fertigte ich am heimischen Schreibtisch, einen freien Tag in der Woche konnte ich mir dafür nehmen. Und so saß ich immer freitags und brachte meine Arbeits- und Rechercheergebnisse auf das Papier. Wenn die Konzentration nachließ und ich nicht weiterkam, zupfte ich im Garten Unkraut oder schnappte mir Dixie, unseren rotbraunen Springspaniel, den ich aus dem Tierheim geholt hatte. Mit ihm drehte ich einige Runden über die Felder. Die Bewegung half mir, die Gedanken neu zu ordnen und mir über den Fortgang der Arbeit klar zu werden. Zurück am Schreibtisch konnte ich sicher sein, dass es wieder floss und das neue Kapitel wachsen würde.
Staunend nahm ich den Kontoauszug zur Hand, auf dem der Eingang meines ersten Gehalts vermerkt war. Das hatte ich selbst verdient! Ich konnte allein darüber verfügen. In meiner Kinder- und Jugendzeit hatte meine Mutter für mich die Kleidung genäht, oft auch aus abgelegten Stücken aus der Verwandtschaft. Und nicht immer fanden diese abgeänderten Kleider und Röcke meine Zustimmung, doch ich musste sie tragen. Ich erinnere mich an ein Kleid aus dehnbarem Wollstoff in Dunkelgrau mit damenhaften Absteppungen auf der Vorderfront. Um es aufzupeppen, hatte meine Mutter ein buntes Tüchlein in der Brusttasche fixiert. Es passte so gar nicht zu einer Fünfzehnjährigen. Zur Tarnung hielt ich meist die Arme vor der Brust verschränkt, ich schämte mich sehr vor meinen Klassenkameraden.
Kein Wunder, dass ich mit meinem ersten Gehalt schnurstracks in einem Damenbekleidungsfachgeschäft landete. Ich kaufte mir eine ganze Kombination passender Stücke: einen Hosenanzug, Pullis, Schals, einen Rock. Alles abgestimmt in den damaligen Modefarben braun und orange. Niemals mehr würde ich abgelegte Kleidung tragen, nie mehr wollte ich mich wegen meiner Kleidung genieren müssen! Endlich konnte ich selbst entscheiden.
Kurz nach meinem Arbeitsantritt im Projekt kam der Institutsdirektor zu mir ins Büro und erklärte:„Lehrveranstaltungen abzuhalten gehört für Sie als Mitarbeiterin des Instituts auch zu Ihren Aufgaben. Ich schlage vor, Sie machen etwas zur Curriculumforschung, das ist ein neues Gebiet.“ Mir fuhr der Schreck gewaltig in die Glieder. Wochen zuvor hatte ich noch selbst im Hörsaal gesessen und jetzt sollte ich Studenten etwas beibringen. Dazu fühlte ich mich überhaupt nicht in der Lage. Ich war gerade 23 Jahre geworden, also kaum älter als ‚meine’ Teilnehmer und hatte bei dem gestellten Thema höchstens eine Seminarsitzung Wissensvorsprung. Ich bereitete mich für jeden Termin gründlich vor und brauchte dafür natürlich verhältnismäßig viel Zeit. Auf Dauer würde ich mir das nicht mehr leisten können. Während der Veranstaltung schwitzte ich Blut und Wasser und hoffte jedes Mal inständig, die Studenten mögen keine Fragen stellen, durch die sie meiner Unwissenheit auf die Schliche kämen. Und nach jedem Seminartermin packte ich erleichtert meine Sachen zusammen, froh, wenn dies nicht der Fall gewesen war.
Doch je mehr das Seminar voranschritt, desto mehr wuchs meine Sicherheit. Ich hatte die Lust am Unterrichten gefunden, bot von da an jedes Semester zwei Themen an und entdeckte dabei immer mehr, was mich wirklich interessierte und wie ich im Seminar arbeiten wollte. Mir kam es nicht so sehr auf die reine Wissensvermittlung an, ich wollte die Studenten einbeziehen, sie eigene Erfahrungen machen und Themenaspekte selbst erarbeiten lassen.
Denn Lernen an der Hochschule sah in den meisten Fällen anders aus: Die Professoren hielten ihre Vorlesungen, die Studenten schrieben mit. Keine Fragerunde, kein Austausch im Gespräch, kein Transfer des Gelernten. Keine Rückversicherung für die Hörer, ob das, was sie verstanden hatten, auch tatsächlich richtig war. In einem Artikel „Das große Palaver oder die Kommunikation im Hörsaal“ machte ich diese Praxis zum Thema und warb für neue Methoden universitären Lernens.
Mein erstes Seminar dieser Art trug den Titel „Arbeitstechniken für das Lernen an der Hochschule“. Es richtete sich an Hörer aller Fachbereiche und nicht nur an diejenigen, die einen Schein für das Fachstudium der Sozialwissenschaften brauchten. Die Schule vermittelte in keiner Weise, wie das eigene Lernen organisieren werden könnte. Und im Studium geschah dies auch eher zufällig. Ob die Studenten konkrete Informationen und Anregungen dafür bekam, hing von den jeweiligen Professoren ab. Meist war dies kein Thema. Im schlimmsten Fall wurde man öffentlich bloßgestellt für Fehler, die man gemacht hatte.
Als ich den großen Vortragssaal betrat, schauten mich mehr als fünfzig Studenten erwartungsvoll an. Sie erhofften sich Hilfe beim Abfassen eines Referats, bei der Vorbereitung auf eine Prüfung oder Tipps, wie sie mit ihrer Zeit besser zurecht kämen. Meine Begrüßungsrede, in der ich die geplante Vorgehensweise darlegte, wurde mit Erstaunen und Gemurmel quittiert. Die Studenten waren gewohnt, mit Block und Stift den Ausführungen des Dozenten zu folgen und das für sie Wichtige mitzuschreiben. Dann aber waren sie mit Feuereifer bei der Sache und folgten meinen Vorschlägen: Sie spürten am eigenen Leib, wie ihre Konzentration schwand, als ich ihnen während einer Problemlösungsaufgabe laute Radiomusik und Kommentare vorspielte und ihnen zwischendurch ständig neue Fragen stellte. Sie lernten ihr Gedächtnis zu schulen, Mitschriebe während einer Vorlesung so abzufassen, dass sie ihnen auch später noch nützten. Sie wussten jetzt, wo sie nach Material für ein Referat suchen können und wie eine realistische Zeitplanung aussieht. Sie brachten ihre Erfahrungen mit, die sie in der Zeit zwischen den Seminarterminen mit den neuen Methoden gemacht hatten und waren stolz auf ihre Fortschritte.
Die Studenten griffen begierig auf, was ich ihnen zu bieten hatte. Ich war glücklich, dass mein Konzept aufgegangen war. Ein Ansporn, mich noch mehr mit der Sache zu beschäftigen und tiefer einzusteigen. Das Schönste aber waren die positiven Rückmeldungen gleich nach dem Seminar und auch noch lange danach. Ein Student schrieb mir einige Semester später, nach Ablegen seiner Examina: „Ihr Seminar war das Beste und Hilfreichste meines ganzen Studiums. Vielen Dank!“
Nach dem Besuch einer Reihe von gruppendynamischen Veranstaltungen bekam ich Lust, auch dieses Thema an der Universität anzubieten. Wieder ein Novum im akademischen Lehrbetrieb. Und noch etwas war unüblich: Ich führte das zweisemestrige Seminar „Kommunikation und Kooperation“ nicht alleine durch, sondern in Zusammenarbeit mit einem Kollegen. Zu zweit konnten wir kleinere Gruppen besser betreuen und Beispiel geben für Gesprächsübungen und Rollenspiele. Und den Studierenden gleichzeitig die Unterschiede männlicher und weiblicher Sichtweise auf das Thema verdeutlichen.
Die gemeinsame Vorbereitung erlebten wir beide als Bereicherung, wir ergänzten uns und entwickelten gemeinsam neue Übungen und Konzepte. Die Arbeit im Seminar ging über das hinaus, was ich bisher schon ausprobiert hatte. Aufgrund der positiven Resonanz wurden wir immer mutiger, wir experimentierten mit ungewöhnlichen Methoden und bauten Elemente ein, bei denen wir auch draußen in der Natur arbeiten konnten. So ließen wir z.B. die Studenten Vertrauensspaziergänge machen, bei denen einer einen anderen, der die Augen verbunden hatte, in den Gärten rund um das Schloss auf gewundenen Wegen und über Hindernisse sicher führen sollte. Wir führten sie in das Thema „konstruktives Feedback“ ein. Die besonders Mutigen setzten sich hierzu auf den heißen Stuhl. Wir rückten Äußerungen zurecht, die wenig Hilfreiches enthielten und freuten uns mit den Studenten an der menschlichen Nähe, die durch sehr persönliche Rückmeldungen entstand. Oftmals waren es die ersten positiven Sätze, die die Betreffenden während ihres Studiums erhalten hatten.
Nach meinen beruflichen Aufenthalten im europäischen Ausland folgte in dieser Projektphase eine Dienstreise in die USA. Quer durch den Kontinent, von der Ost- zur Westküste, von New Orleans und San Francisco nach Chicago. Ich lernte nicht nur Universitäten und Institute kennen, sondern hatte zum Glück auch Zeit, Land und Leute zu studieren und die wesentlichen Sehenswürdigkeiten zu besichtigen.