Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Ein erfrischender und herrlich humorvoller Kriminalroman mit viel Liebe für Kleingärten und Kleingärtner. Als Valentina in ihrem neuen Schrebergarten einen Teich anlegen will, gräbt sie dabei den Vorbesitzer ihrer Parzelle aus – ermordet. An Verdächtigen für die Tat mangelt es nicht: Alt-Hippie Jo, der hinterm Kirschlorbeer Marihuana anbaut, Senta, einst die »Uschi Obermaier der Anlage«, samt ihrem devoten Ehemann oder Konrad und Lisa alias »Maultäschle und Meerschweinle«, das blitzsaubere Paar aus dem Schwabenland. Und das sind längst nicht alle. Zum Glück erhält Valentina Unterstützung von ihrer betagten Nachbarin Friedl, die sich als wahrer Schrebergarten-Sherlock erweist. Denn der zweite Mord lässt nicht lange auf sich warten.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 317
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Martina Pahr, Jahrgang 68, Magistra der Literaturwissenschaften in Germanistik und Anglistik (Uni Heidelberg), lebt vom Schreiben und in München – und zwar beides sehr gern. Nach nervenaufreibenden Jahren als Fernsehredakteurin, Reiseleiterin und PR-Frau verbringt sie nun den Winter mit ihrem Laptop in Asien und den Rest des Jahres im Schrebergarten, wo sie die Nachbarschaft mit ihrer Experimentierfreude verblüfft (und ihrem Mangel an Fachwissen in Erstaunen versetzt). Darüber hinaus ist sie Vorsitzende der Regiogruppe Bayern der »Mörderischen Schwestern e.V.« und tritt mit Begeisterung auf Lesebühnen auf.
Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig.
© 2024 Emons Verlag GmbH
Alle Rechte vorbehalten
Umschlagmotive: shutterstock.com/by-studio, shutterstock.com/Tartila
Umschlaggestaltung: Nina Schäfer
Lektorat: Julia Lorenzer
E-Book-Erstellung: CPI books GmbH, Leck
ISBN 978-3-98707-163-8
Ein Schrebergarten Krimi
Originalausgabe
Unser Newsletter informiert Sie
regelmäßig über Neues von emons:
Kostenlos bestellen unter
www.emons-verlag.de
Die automatisierte Analyse des Werkes, um daraus Informationen insbesondere über Muster, Trends und Korrelationen gemäß § 44b UrhG (»Text und Data Mining«) zu gewinnen, ist untersagt.
Für meine Mama.
Ich habe wesentlich mehr von dir mitbekommen, als ich je (wahrhaben) wollte. Darunter auch die Liebe
1
»Einen Schrebergarten?«
»Ja!«
»Noch mal.« Die Lerche klang irritiert. Oder tat sie nur so, um mich zu ärgern? »Du hast, du kriegst oder du willst einen Schrebergarten?«
Ich sprach betont deutlich in mein Handy: »Ich wollte schon immer einen Schrebergarten, ich habe gerade eben einen Schrebergarten gekriegt, und jetzt besitze ich einen Schrebergarten.«
Meine freie Hand lag lässig auf der Regentonne. Von hier aus blickte ich stolz auf meine neuen Ländereien: zweihundertzehn Quadratmeter in Premiumlage mit Blick auf den Olympiaturm. Als Wohnraum wäre so etwas in meiner »Weltstadt mit Herz« – und einem besonders großen Herz für Immobilienspekulanten – nicht zu bezahlen, ohne dafür monatlich ein Organ zu verkaufen, doch in Form einer Pachtparzelle war es spottbillig. Zudem: Zum ersten Mal in meinem Leben mietete ich nicht, sondern pachtete. Das fühlte sich genauso gediegen und erwachsen an, wie ich gern gewesen wäre.
Die Lerche lachte laut. Ich konnte förmlich hören, wie sie ihren Kopf in den Nacken legte, um mit der charakteristischen Lerchenlache ihre halbe Nachbarschaft zu beschallen. Silberglöckchen klangen anders. Nachtigallen auch. Das hier ging eher in Richtung Oldtimerhupe mit Schluckauf. Ein wenig angefasst wegen ihrer enttäuschenden Reaktion auf meine Neuigkeit wartete ich, bis sie sich beruhigt hatte.
»Was willst du denn mit einem Strebergarten?«, legte sie nach, sowie sie wieder Luft bekam. »Du kannst doch keinen Rosenkohl von einer Spalierrose unterscheiden!«
Gemeinheit. Ein Mal, wirklich nur ein einziges Mal, hatte ich beim Kräutersammeln für Frühlingspesto Maiglöckchen mit Bärlauch verwechselt, was glücklicherweise nicht tödlich geendet hatte und außerdem gefühlte Ewigkeiten her war. Doch wofür hat man Freundinnen, wenn nicht, um alte Peinlichkeiten bei jeder sich bietenden Gelegenheit aufzuwärmen? Deshalb entgegnete ich nonchalant: »Eben. Höchste Zeit, dass ich das mal lerne.«
Wieder ertönte herzhaftes Gelächter aus meinem Handy. »Es heißt ja, dass Frauen nach einer Scheidung seltsam werden. Oder vor der Menopause. Und bei dir trifft halt beides zu.«
»Hör mal, verarschen kann ich mich auch selbst!«
»Anscheinend nicht. Sonst würdest du doch nicht immer mich anrufen, Liebchen.«
Da war was dran. Aber es war lästig, dass die Lerche wieder einmal recht hatte. Also sagte ich: »Was bist du bloß für eine Freundin, Frau Nachtigall? Du bist die Erste, die ich mit dieser unglaublichen Neuigkeit anrufe, und du freust dich nicht mal für mich!« Ich legte ein wenig Timbre in die Stimme. Die Lerche hatte ein grundlos schlechtes Gewissen abonniert und ließ sich dadurch erstaunlich leicht manipulieren.
Und richtig, auch diesmal lenkte sie ein. »Natürlich freu ich mich für dich, Valentina. Wenn du glücklich bist, bin ich glücklich. Weißt du doch.«
Wieder versöhnt, lud ich sie für den Tag darauf auf einen Kaffee in mein persönliches Kleingartenparadies ein, auf meine blitzblanke, wunderbare eigene Scholle. Mein urbanes Arkadien.
Ich drehte mich um meine eigene Achse, um nochmals alles zu bestaunen: die Gartenlaube, die optisch an eine Heimwerkersauna erinnerte, mit der reichlich mit Moos bewachsenen Steinterrasse davor. Die beiden imposanten Regentonnen daneben. Das Spaliergitter aus Holz, an dem in wenigen Monaten sicher herrliche Rosen ranken würden. Die mageren Zweiglein, in Kürze garantiert reich tragende Beerensträucher. Die Beete, auf denen sich das zarte Grün der ersten Unkräuter des Jahres zeigte. Und der neongrüne Kapuzenpulli des Nachbarn zur Linken, der hinter einer massiven Wand aus Kirschlorbeer hervorgetreten war und nun wenig dezent über den Maschendrahtzaun zu mir herüberspähte.
»Servus!«, tönte er und kam näher. Er war groß und hager, seine Haut um den weißen Bart herum tief gebräunt. Die dunklen Haare trug er in einem erstaunlich dicken Pferdeschwanz. Sein Alter war mir ein Rätsel. Wie ich später erfahren sollte, wurde es allgemein zwischen sechzig und achtzig vermutet, wobei die individuelle Schätzung jeweils um den Beisatz ergänzt wurde, er sei mit Sicherheit älter, als er aussehe.
»Du kannst Jo zu mir sagen. Wir duzen uns alle im Garten«, sagte er kauend und präsentierte eine erdverkrustete Pranke. Eine echte Gärtnerhand.
Beherzt griff ich zu und wollte mich eben vorstellen, als ein kleines, schmutziges Stück Fell neben Jo heiser bellend auf und ab sprang.
»Und das ist Flokati.«
»Passender Name.« Ich beugte mich ungelenk über den Zaun und tätschelte den Kopf des Zottels.
»Ich nenne die Dinge eben gern Bananen«, nuschelte er.
»Bananen?«
»Beim Namen, zefix!« Jo kaute sichtlich energischer und schob eine Handvoll Schokonüsse nach. »Der Hund heißt Flokati, und die beiden Goldfische Sushi.«
»Susi?«
»Sushi. Sushi eins und Sushi zwei. Und der dicke Gelbe heißt Käpt’n Iglo.« Bei diesen Worten machte er einen Schritt zur Seite.
Ich beugte mich über den Maschendrahtzaun, spähte um den Kirschlorbeer herum und konnte so einen Blick auf den kleinen Teich erhaschen, der malerisch unter Stauden und Steinen lag. So einen wollte ich auch!
»Du bist also die Neue«, kombinierte mein Nachbar scharfsinnig.
»Valentina«, stellte ich mich artig vor.
»Das ist ein Haufen Arbeit mit einem Garten, wirst schon sehen, Valentina.«
»Ich hab keine Angst vor Arbeit«, beteuerte ich. Es war erstaunlich, wie wichtig es mir, einer gestandenen Frau, doch war, in meiner neuen Gartennachbarschaft patent und fleißig zu wirken und nicht so unbedarft und planlos, wie es mir mein Ex-Mann gern vorgeworfen hatte.
»Hast du was Süßes?«, wollte Jo wissen, nachdem er endlich heruntergeschluckt hatte. Ich fand zwei Toffees in meiner Jackentasche, die ich ihm in die dreckige Hand drückte.
Zum Dank gab es einen Rat. »Ich kann dir nur empfehlen: Tu nicht zu viel! Wenn du dich zu sehr reinhängst, vergeht dir bald die Lust daran. Carpe lieber den Diem und genieße. Und wenn du Fragen hast, dann frag mich.«
»Danke, das werde ich gern machen. Beides.«
Meine erste soziale Kleingarteninteraktion lief ja so geschmeidig wie ein Stück Butter auf heißem Toast! Demonstrativ schob ich die Ärmel meines Anoraks hoch und präsentierte wie nebenbei die nagelneuen Gartenhandschuhe mit Blümchenmuster. Ich packte an, ich war eine Macherin. Eine Pächterin noch dazu. Ich surfte souverän auf dem Trend der kleinen heilen Gartenwelt. Das fühlte sich unglaublich kompetent an.
Rückblickend muss ich gestehen, dass ich an diesem herrlichen Frühlingstag keine Ahnung hatte, davon allerdings gleich eimerweise: weder vom Garteln noch davon, dass ich in Kürze dem ersten Toten meines Lebens begegnen würde, der nicht aufgebahrt und angehübscht in einem Sarg lag, wie es sich für eine anständige Leiche gehörte. Stattdessen würde er sich mir in freier Wildbahn in den Weg legen, wodurch der Begriff des »Gottesackers« einen bizarren Realitätsbezug bekam, auf den ich gern verzichtet hätte. Darüber hinaus würde ich eine regelrechte Mulch-Miss-Marple in Aktion erleben. Diese drei Dinge in Kombination – das Garteln, die Leiche und Elfriede Frühauf – sollten durch mein Leben pflügen, meine Nerven häckseln und meinen Alltag kompostieren, bis es kein Zurück mehr gab. Kaum hatte ich mein Parzellenparadies in Besitz genommen, stand mir der Biss in die Frucht vom Baum der Erkenntnis unmittelbar bevor. Und wer die Bibel kennt, kann sich denken, dass dem die Vertreibung aus meinem mentalen Garten Eden auf dem Fuße folgen würde.
Doch der Reihe nach. Im Garten hetzt man nicht.
2
Am nächsten Morgen, einem Samstag, lernte ich Senta und Adi kennen, deren Garten an den von Jo grenzte. Jos Grün lag direkt dort, wo der Veilchenweg auf den Primelpfad stieß. Die beiden waren quasi meine Übereck-Nachbarn. Senta saß auf einem Gartenstuhl, eine Decke über den Knien, und schaute zu, wie ihr Mann das Hochbeet mit Erde befüllte. Adi wuchtete die Vierzig-Liter-Säcke mit geübtem Schwung über den Rand einer Einfassung, die gut und gerne auch Platz für einen Strömungspool geboten hätte. Ich sah die Myriaden von leeren Plastiksäcken, die sich neben ihm aufhäuften. Meine Güte, wie viel Erde fraß so ein Ungetüm?
»Guten Morgen und herzlich willkommen!«, rief Senta, sprang auf und kam mit ausgebreiteten Armen auf mich zu. Ein bisschen theatralisch vielleicht. Ich wappnete mich für die Bussi-Bussi-Begrüßung, die prompt erfolgte: Küsschen links und rechts neben meinen Ohren in die Luft geschmatzt, ergänzt um ein gehauchtes »Ich bin die Senta«.
Meine neue Nachbarin war eine zierliche und aparte Erscheinung, deren kupferrote Haare in leichten Wellen kokett auf ihre Schultern fielen. Aber ich ließ mir nichts vormachen. So ein lässiger Eben-aufgestanden-Look kostete Zeit und Mühe. Wenn meine Friseurin sich der Herkulesaufgabe stellte, mich zu einer speziellen Gelegenheit entsprechend zu stylen, konnte ich locker in dieser Zeit die erste Hälfte von »Krieg und Frieden« lesen.
Ich schätzte Senta auf Anfang bis Mitte sechzig. Ihr Teint war passend zur Haarfarbe keltisch blass, obwohl ich für die Echtheit dieser Farbe keinen Finger ins Feuer gelegt hätte. Auffallendes Make-up für einen Gartentag, stellte ich fest, und für eine echte Gärtnerin erstaunlich gepflegte Hände. Ihre langen Gelnägel und die orientalisch anmutenden Ringe jagten mir eine gewisse Scheu ein.
»Komm rein und trink einen Kaffee mit«, flötete sie.
Obwohl ich wenig später mit der Lerche verabredet war, konnte ich schlecht ablehnen. Der erste Eindruck ist schließlich der, den man hinterher auf Jahre hinaus zu revidieren versucht. Wir setzten uns, während Adi in vorauseilendem Gehorsam in die Laube lief, über deren Tür eine ovale Holztafel hing. Sie schmückte der Schriftzug »Gärtner’s Ranch«, komplett mit Brandmalerei und dem, was die Lerche einen »Deppenapostroph« nannte. Adi balancierte Kanne, Tassen, Zuckerdose, Milchkännchen und Keksteller auf einem Tablett zu uns an den Tisch, und seine Gattin strahlte ihn an. »Danke, Hase!« Erst dann stellte sie ihn mir vor: »Das ist Adi.«
Der als Nager Titulierte war ein behäbig wirkender Mann mit solidem Bauch und hellem schütteren Haar, der mir folgsam die Hand schüttelte und mit tiefem Bass dröhnte: »Valentina heißt du? Bist du eine Russlanddeutsche?«
Mein Name hatte also schon die Runde gemacht und wurde jetzt mit freien Assoziationen und Vermutungen, wenn nicht gar haltlosen Gerüchten ein wenig aufpoliert. Ich wollte eben erklären, dass meine Eltern große Verehrer von Karl Valentin waren und »Karla« für zu altbacken befunden hatten, doch Senta unterbrach mich.
»Hast du schon die anderen kennengelernt?«
»Den Jo hab ich gestern getroffen …«
»Ach, den Sepp!«, lachte Adi. »Denk dir nichts dabei!«
»Ich hab mir eigentlich nichts dabei …«
»Kennst du schon Friedl?«, fiel mir Senta erneut ins Wort. »Die müsste heute oder morgen auch wieder zurückkommen. Gerade treibt sie sich in Schottland rum.«
»Ist ständig auf Achse, die Gute«, ergänzte Adi. »Die wird bei dir sicher nicht gießen, wenn du mal weg bist. Wozu die überhaupt einen Garten hat, frag ich mich.«
»Um die anderen im Auge zu behalten, darum. Könnte ja sein, dass irgendetwas passiert, ohne dass sie es mitbekommt«, meinte seine Frau.
Das widersprach inhaltlich der Aussage von Adi, fand ich. Wenn die Dame Angst hätte, etwas zu versäumen, wäre sie ja wohl nicht ständig unterwegs.
Aber Senta schien das nicht aufzufallen, denn sie fuhr fort: »Die wird sich ärgern, wenn sie mitkriegt, was sie hier verpasst!«
»Die meint ja, ohne sie könnten wir nicht bis drei zählen.«
Ich unterbrach das eheliche Geplänkel. »Ich kenne nur die Frau Huber, die Vorsitzende.«
Senta verzog das Gesicht. »Na, da hast du mit dem Sepp und der Oberhuberin ja gleich den richtigen Eindruck von uns bekommen. Denk dir nichts dabei, wir sind nicht alle so.«
Ich dachte mir längst nicht so viel, wie mir hier unterstellt wurde. Zudem bildete ich mir nicht ein, die Menschen auf den ersten Blick einschätzen zu können. Ein ordentlicher erster Eindruck brauchte durchaus ein wenig Zeit bei mir, und selbst dann irrte ich mich gern mal.
Zeit schien aber ein knappes Gut in Gartengesprächen, denn Senta feuerte die nächste Frage ab: »Und die Nachbarn auf der anderen Seite von dir, das Maultäschle und das Meerschweinle, hast du die schon getroffen?«
»Schwäbischer Migrationshintergrund«, grinste Adi und ertränkte das zweite Stück Würfelzucker in seiner Tasse. Senta warf ihm einen scharfen Blick zu, und er zog die Hand zurück, mit der er nach einem dritten greifen wollte.
»Ich war gestern zum ersten Mal hier«, versuchte ich meine augenscheinliche Ignoranz zu relativieren. Was eindeutig niemanden interessierte.
»Das Maultäschle, das ist der Konrad, der erklärt dir die Welt«, fuhr Senta fort. »Ein echter Schwabe. Na ja …«
»Ich denk mir nichts dabei«, bestätigte ich unaufgefordert.
»Und seine Frau, die Lisa, die isst kein Fleisch!«, entrüstete sich Adi mit einem leichten Schaudern.
Ich fand, dass dies nicht der rechte Zeitpunkt war, meine eigene vegetarische Ernährung anzusprechen. Das würde er schnell genug mitkriegen.
»Hast du Gartenerfahrung?«, fragte Senta fast zeitgleich mit Adi, der wissen wollte: »Und was arbeitest du?«
»Ich bin Illustratorin«, antwortete ich.
»Ach, da gab es doch vor einigen Jahren diesen Film«, rief Adi begeistert. »Und zu denen gehörst du? Ich wusste gar nicht, dass man damit Geld verdienen kann.«
»Du verwechselst das mit den Illuminati, Hase«, klärte seine Frau ihn auf. »Valentina macht Zeichnungen.«
»Für Kinderbücher«, ergänzte ich.
»Ach? Ich wusste auch nicht, dass man damit Geld verdienen kann!« Adi lachte schallend.
»Dann hast du also gar keine Gartenerfahrung?«, kam Senta auf ihre eigene Frage zurück. »Da steht dir ja noch einiges bevor. Es ist nicht damit getan, das Zeug in die Erde zu setzen und ihm beim Wachsen zuzuschauen.«
»Das habe ich auch gar nicht …«
»Da lauern Überraschungen an jeder Ecke!«, fiel mir Adi ins Wort. »Der letzte Sommer war beispielsweise komplett verregnet, da war nichts zu wollen. Sämtliche Tomaten in der Anlage haben Braunfäule gekriegt.«
»Bis auf die von Herrn Walter, unserem Nachbar zur anderen Seite hin«, ergänzte Senta.
»Was der alles an chemischen Keulen einsetzt, will ich gar nicht wissen«, bemerkte Adi und hantierte mit einem Döschen Süßstoff. Er kam mit dem kleinen Kippverschluss nicht zurecht.
Senta nahm ihm das Ding aus der Hand und klickte versiert zwei Tablettchen in seinen Kaffee. Wahrscheinlich, damit der Würfelzucker sich nicht so allein fühlte. Währenddessen erläuterte sie: »Er war ja Apotheker, da kennt er sich aus.«
»Eine Tomate hat nicht viel mit einem Menschen zu tun«, warf Adi ein. »Trotzdem ist das nicht fair. Der kauft fertige Pflanzen und behauptet, er hätte sie selber auf der Fensterbank vorgezogen.«
»Komm lieber gleich zu uns, wenn du Fragen hast«, bot Senta an.
Ich war erleichtert, als ich das dunkle Haupt der Lerche auf dem Gartenweg erspähte, und verabschiedete mich so zügig es ging, ohne unhöflich zu wirken. Immerhin hatte ich hier noch einen Ruf zu verlieren. Ungeachtet dessen, dass ich mit meinem ersten Eindruck oft genug danebenlag, war ich mir ziemlich sicher, dass dies nicht der Beginn einer wunderbaren Gartenfreundschaft war.
3
»Was ist dadrin?« Ich beäugte die Lebkuchendose, die mir meine beste Freundin entgegenstreckte. Dass die Versiegelung bereits aufgebrochen und folglich kaum mit der Originalbefüllung zu rechnen war, hatte mein geübtes Auge sofort registriert.
»Gärtners Gold«, strahlte die Lerche und fügte als Reaktion auf meinen leeren Blick hinzu: »Küchenabfälle für den Kompost, du Dödel!«
Eine nähere Inspektion ergab, dass wenig davon brauchbar war.
»Brot!«, schrie ich. »Das hat da ja wohl nichts verloren.«
»Es ist Biobrot«, beharrte sie. Ihre dunklen Augen nahmen einen entrückten Ausdruck an. »Wusstest du, dass die Gefangenen auf Sarah Island vor Tasmanien vor mehr als zweihundert Jahren, als die Engländer den neuen Kontinent als Strafkolonie benutzt haben, ihr Brot absichtlich verschimmeln ließen? Weil sie dann auf einen Trip gekommen sind, wenn sie es gegessen haben?«
Die Lerche war eine wahre Fundgrube unnützer Informationen. Keine Quelle für guten Kompost allerdings, wie die weiteren Funde in der Lebkuchendose bewiesen.
»Du hast Mixed Pickles in die Bioabfälle gegeben? Dein Ernst?«
»Gemüse ist Gemüse«, stellte sie fest. »Was essbar ist, kann man auch kompostieren.«
»Diese Pyramidenteebeutel sind nicht essbar!«
»Die bestehen aus Maisstärke, du Kompostmeisterin.«
Die Lerche hatte keine Gelegenheit gehabt, ein Geschenk zum Garteneinstand zu besorgen, und weil sie es nicht übers Herz brachte, mit leeren Händen aufzutauchen, hatte sie zu dieser Notlösung gegriffen. Dass ihre Gabe nicht gut ankam, setzte ihr merklich zu. Meine liebe Barbara Nachtigall. Ihre fast schwarzen Haare waren neuerdings zu einem Pixie geschnitten, der ihre großen dunklen Augen und hohen Wangenknochen vorteilhaft betonte. Sie trug eine helle Reithose mit einer weiten Tunika aus Kaschmir darüber und bewies wieder einmal, dass sie die einzige Frau der Welt war, die Taupe tragen konnte, ohne damit wie eine Schüssel Haferflocken auszusehen. Man könnte annehmen, sie sei für Gartenarbeit – und im Grunde jede Art von ehrlicher Arbeit – overdressed, doch ich wusste, dass diese elegante Kluft in Wirklichkeit legere Freizeitkleidung für sie darstellte.
Ich reichte ihr eine Schaufel, griff mir einen Spaten und lockte sie zu dem Stück Rasen vor der Heckenrose. »Wie schaut’s aus? Wollen wir einen Teich ausheben?«
Das waren die letzten klaren Worte dieses Tages, an die ich mich später noch erinnern konnte. Von dem Moment an, als mein Spaten gegen einen seltsamen Widerstand stieß, der sich wenig später als Wiggerl Wetzstein entpuppen sollte, Vorbesitzer meines Gartens, brachte ich keinen zusammenhängenden Satz mehr heraus.
Es war Senta, die einen Arzt rief. Immerhin musste der Tod zuallererst von einem Arzt festgestellt werden, wie sie immer wieder betonte. Dass jemand, der schon eifrig zu der Erde wurde, aus der wir alle entstanden sind, auch ohne medizinische Expertise getrost als mausetot gelten durfte, schien sie nicht einzusehen. Kleingärtnerinnen und Regeln halt.
Dr. Mittermaier kam angetattert, ihr alter Hausarzt, der so gebrechlich wirkte, als könnte er sich geradewegs mit in die Grube legen. Dann tauchten zwei Menschen von der Polizei auf, teils mit Schnurrbart und teils mit blondem Pferdeschwanz. Beide trugen Uniform und entsprachen so sehr den gängigen Klischees, als wären sie einem Vorabendkrimi entsprungen. Aber vielleicht trug ja der Mann den Pferdeschwanz und die Frau den Schnurrbart, und beide waren im Team darum bemüht, Geschlechterstereotype zu unterwandern? Ich hätte es im Nachhinein nicht mehr sagen können.
Später verlor ich vollends den Überblick. Ich erinnere mich an Frau Huber, unsere Gartenchefin, die, obwohl selbst erschüttert, zur Ansprechpartnerin für die vielen Leute wurde, die blaue oder silberne Sterne auf den Schultern durch meinen Garten trugen. Gefühlt war das gesamte Kommissariat 11 auf dem Plan.
Einer mit Silbersternchen sprach mit der Lerche und mir. Er versuchte jedenfalls, mit mir zu sprechen, doch ich starrte mit offenem Mund vor mich hin, bis Adi mir den einen oder anderen Obstler einschenkte. Davon wurde ich im Handumdrehen so müde, dass ich den gesamten Einsatz verdämmerte, der sich vor uns entfaltete: Mediziner und Ärztinnen, Forensiker, Gesprächstherapeutinnen, Barista, Tatortreinigung, das Fernsehballett und diverse Kreuzfahrtkapitäne, wenn ich mich recht erinnere. Eine Frau in Grellweiß gab mir etwas, wodurch alles besser wurde: einen Klaps auf den Hintern, eine Spritze in den Arm oder eine Tablette.
Als ich am nächsten Morgen in meinem Bett aufwachte und die Lerche, die das Ganze unbeschadet überstanden hatte, mir den ersten Darjeeling des Tages kredenzte, umspannte bereits ein Absperrband in Weiß und Rot mein urbanes Arkadien. Das war’s dann gewesen mit der kleinen heilen Welt.
4
Damals sprach ich noch nicht so fließend Botanisch wie heute. Wörter wie Grünschnitt und Karbidstein waren böhmische Dörfer für mich, und Unkraut nannte ich Unkraut, statt den politisch korrekten Begriff »Beikraut« zu verwenden. Beikräuter baute ich am Anfang viele an, weil ich sie nicht von den Hauptkräutern unterscheiden konnte. Ich hatte keine andere Wahl, als das Zeug wachsen zu lassen, bis es groß genug war, damit ich es erkennen konnte – und selbst dann gab es noch Überraschungen. Doch im Garten ersetzt Enthusiasmus glücklicherweise konkretes Fachwissen, anders als etwa in Medizin oder Politik, wie ich hoffte. Außerdem finden sich auf YouTube Anleitungen für schlichtweg alles: eine Wunde mit einfachem Küchengerät verarzten, Hochbeete aus Sperrmüll gestalten oder Wärmekissen aus Nachbars Katzen nähen.
»Hauptsache, es macht dir Freude«, sagte Konrad zu mir, mein Nachbar zur Rechten.
Er war sehr groß und sehr bebrillt und hatte den Kopf voller dichter ergrauender Locken. »Rollehaar«, wie es auf Schwäbisch heißt. Seinen Dialekt pflegte er – wie auch seinen Garten – voller Stolz und Hingabe.
Großzügig bot er mir Zugriff auf seinen reichen Wissensschatz an. »Den Rescht kriegschd schnell mit. Frog oifach mi.«
Ich versprach es. Aber im Moment plagten mich keine botanischen Fragen. »Was war denn los? Wer war das in meinem Garten?«
Der Kommissar, der mich am Vortag zu Hause besucht und auffallend oft die Lerche angeschaut hatte, während er mir Fragen stellte, hatte nur einen Namen genannt: Wiggerl Wetzstein. Von der Eckbank der Nachbarn schaute ich zu meiner abgesperrten Scholle hinüber. Die Leute von der Spurensicherung, die am Vormittag hier gearbeitet hatten, waren inzwischen weg. Ein, zwei Tage, hatte die Lerche gesagt, dann dürfe ich bestimmt wieder hinein. Wenn ich dann überhaupt noch wollte. Ich seufzte.
»Wiggerl hatte den Garten vor dir, und zwar scho immer«, sagte Konrad und seufzte ebenfalls. »A feiner Kerle Mitte siebzig. Tierlieb, freundlich und hilfsbereit. Und überall sein Riassl drin.«
»Vielseitig interessiert, meint mein Mann«, erklärte Lisa, stellte einen Becher Kaffee vor mir ab und setzte sich mit auf die Bank.
»A Grillmoischter wie koi zwoiter. Mir hen immer Grillator zu ihm gsagt.«
Ich setzte diesen Begriff im Geiste auf meine Liste der böhmischen Dörfer.
»Dann hat man ihn irgendwann gar nicht mehr gesehen«, erzählte Lisa weiter. Die Brille war das Einzige, was sie – zumindest rein äußerlich – mit ihrem Mann gemeinsam hatte. Die und der beklagenswerte Hang zu Funktionskleidung – auch wenn ich zugeben musste, dass ihre Outfits wesentlich kompetenter wirkten als die alte Jogginghose, die ich trug. So groß ihr Mann war, so klein war Lisa, und seinen Lockenkopf kontrastierte sie mit einem glatten aschblonden Bob. Darüber hinaus wirkte sie eher zurückhaltend und überließ das Reden ihrem Mann. Doch ich war mit dem spröden Charme schwäbischer Frauen durch eine ehemalige Kollegin und deren Freundinnen vertraut. Erst hatte man das Gefühl, man würde von oben bis unten abgeschätzt und eher kühl empfangen. Doch wenn sie dann zu der Meinung kamen, man sei schon recht, tauten sie auf und wurden herzlich.
»Mir hen ihn vermisst. Ihn und des Schleifgerät, des mir ihm glieha hen, bevor er sich verabschiedet hot. Und jetzt so was«, sinnierte Konrad.
»Stimmt nicht!«, warf Lisa ein. »Verabschiedet hat er sich ja nicht. Das war saudumm von ihm, haben wir alle gedacht. Aber im Nachhinein …«
Sie schaute jetzt ebenfalls wehmütig zu meinem Garten hinüber. Im Nachhinein betrachtet hatte Wiggerl gar keine Gelegenheit mehr gehabt, die Nachbarn zu einem soliden Ausstand einzuladen.
»Wenn das die Friedl erfährt«, bemerkte Konrad und lachte kurz auf. »Menschenskind! Höchste Zeit, dass die wieder zurückkommt.«
Die Geschichte, die mir die beiden erzählten, war folgende: Sie selbst hatten Wiggerl zuletzt eineinhalb Jahre zuvor gesehen, Anfang Oktober, zum Erntedankfest. Wobei: Es war nicht das offizielle Erntedankfest der Gartenanlage, sondern eine Art alternative Veranstaltung gewesen, privat und zum Trotz. Weil sich meine gesamte Gartennachbarschaft zuvor mit der Oberhuberin zerstritten hatte, es war um Ratten oder um Laufenten gegangen, vielleicht auch um Hühner oder Kaninchen. Jedenfalls hatten Konrad und Lisa, Jo aka Sepp, Senta und Adi, Herr Walter und Wiggerl angekündigt, dass sie das Erntedankfest boykottieren und zeitgleich eine eigene Party im Garten von Senta und Adi feiern würden.
»Die Friedl war nicht dabei, die hätte das vielleicht hinbiegen können«, sagte Lisa. »Aber die musste sich ja wieder bei den Schotten rumtreiben. Mensch, war die Oberhuberin sauer! Wie hat sie das genannt? Eine Trotzaktion wie im Kindergarten, glaube ich.«
»Ned des erschte Mol, dass die mit ons eigschnappt war«, seufzte Konrad.
Seine Frau nickte begeistert. »Wenn irgendwo in der Anlage eine Extrawurst gegrillt wird, dann mit Sicherheit hier in unserer Ecke.« Das schien Lisa zu amüsieren – trotz oder wegen ihrer augenscheinlichen Korrektheit.
Dann war ohnehin die Winterpause gekommen, eine Zeitspanne, in der die Gartenleute traditionell kaum Kontakt zueinander hielten.
»Mir sehet die andere nur in der Gardasaison. Vielleicht treffa sich die, die besser miteinander befreundet sind, ja au im Winter«, erklärte das Maultäschle. Es klang, als wäre ihm die zeitweise Distanz zur subversiven Nachbarschaft gar nicht mal unrecht.
Anfang des Frühlings hatte sich Wiggerl dann nur noch wenige Male sehen lassen, bevor er ganz von der Bildfläche verschwunden war. Er sei zu seiner Schwester in den Norden gefahren, hatte es an den Zäunen und Hecken geheißen. Die Gartenpacht, die im März in Rechnung gestellt wurde, hatte er jedenfalls nicht bezahlt und auch auf Mahnungen nicht reagiert. Was völlig untypisch für ihn war.
»Da hat unsere Ecke zusammengelegt und das Geld vorgestreckt«, erzählte Lisa.
Konrad nickte leicht gequält. Dass sie ihre Einlage nicht mehr wiedersehen würden, war durch meinen Fund leider offensichtlich geworden. Die Nachbarschaft habe sich obendrein um den Garten des Abwesenden gekümmert, damit die Natur ihn nicht zurückeroberte. So wie Konrad es beschrieb, klang es, als wäre die Laube auf meiner Parzelle in Gefahr gewesen, vom bayerischen Dschungel der gemäßigten Zonen völlig verschluckt zu werden, Angkor Wat statt Arkadien.
»Aber der Oberhuberin isch es zu dumm gworda, dass der Wiggerl sich aus dem Staub gmacht hot, und den Garda hot er liega lassa«, sagte Konrad. »I woiß gar nedda, wie oft die versucht hot, ihn anzurufa, und wie viele Briefe sie gschickt hot. Dann hot se ihm kündigt. Und als er dodrauf immer no nedda reagiert hat, hosch halt du den Garda gkriegt.«
Zwei Augenpaare sahen mich mit leichtem Vorwurf an. Ich würde meinen Vorgänger nicht adäquat ersetzen können, da ich weder handwerklich begabt noch versiert an der Grillzange war. Immerhin hatte meine Nachbarschaft beim Vorstand durchgesetzt, dass mir der Garten mitsamt der kompletten Ausstattung übergeben wurde.
»Der Wiggerl hätte sein Zeug eh nicht mehr abgeholt, haben wir uns gedacht«, sagte Lisa. »Wenn er schon den ganzen Garten im Stich lässt. Und du kannst das behalten, was du brauchst, und den restlichen Kruscht entsorgen. Werkzeuge, Mobiliar und der ganze Krempel, das kostet eine Stange Geld, wenn man sich alles neu anschaffen muss.«
»Bis auf des Schleifgerät«, sagte Konrad. »Des hättat mir scho gern wieder.«
Und doch glaubte ich, dass die Tränen, die in seinen Augen schimmerten, nicht nur seinem Werkzeug galten, sondern vor allem dem verlorenen Gartenfreund.
5
Zwei Tage später war es dann so weit: Ich durfte wieder in meinen Garten. Sein Image als Insel der Glückseligen war mittlerweile natürlich nachhaltig geschreddert.
Dies war in jeder Hinsicht ein Ausnahmejahr für mich, das mit gleich mehreren Premieren Herausforderungen an allen Ecken bot. Zum einen war ich frisch geschieden. Tatsächlich hatte ich mich auf die Warteliste für eine urbane Oase setzen lassen, als es anfing, in meiner Ehe zu kriseln. Oder besser: als uns beiden langsam dämmerte, dass unsere Lebensentwürfe doch nicht so gut miteinander harmonierten, wie wir immer gedacht hatten, und wir noch hofften, es irgendwie einrenken oder wenigstens ignorieren zu können. Zum anderen war es mein erster Garten; dies allein schon ein massives Projekt, das mir auch in schlichteren Jahren einiges abverlangt hätte. Doch in diesem hatte ich darüber hinaus endlich den Sprung in die Freiberuflichkeit gewagt und mich als Kinderbuchillustratorin selbstständig gemacht. Eine Handvoll solider Anfragen, die einträgliche Folgeaufträge versprachen, hatten mir den Einstieg nahegelegt – und natürlich auch mein früherer Chef, der mit seiner Hektik jede Kreativität im Keim erstickt hatte.
Nun kam zu alldem noch ein Mordopfer, das in unmittelbarer Nähe aufgetaucht war. So abgebrüht wir auch zu sein glauben bei all den Nachrichten und Krimis, die wir tagtäglich konsumieren: Eine unmittelbare, echte Begegnung, noch dazu aus heiterem Himmel und offener Erde, macht was mit einem. Die Redewendung »Dem Tod von der Schippe springen« hatte sich für mich umgekehrt: Ich hatte den Tod buchstäblich auf die Schippe respektive den Spaten genommen. Das machte noch mehr mit mir.
»Kneifen gilt nicht, Liebchen«, hatte mir die Lerche zugeflüstert und ein wenig vom Kreislauf der Biologie erzählt. Wir gärtnern, um zu leben, und leben, um auf dem Kompost der Ewigkeit zu landen … irgendwas in der Art. Leider musste sie arbeiten, weshalb ich mich dem Tatort allein stellte.
Irgendeine gute Seele hatte den Aushub wieder in das Loch zurückgeschaufelt, den Teil, den Wiggerl eingenommen hatte, mit Gartenerde aufgefüllt und das Ganze platt gedrückt. Das sah proper aus, und die Lust auf einen Teich war mir ohnehin vergangen. Erdbeeren würden sich hier auch gut machen, überlegte ich. Doch obwohl die Leiche, die guten Dünger abgegeben hätte, nicht mehr da war, hatte ich Skrupel, Erdbeeren zu essen, die möglicherweise noch ein paar Moleküle meines Vorgängers enthielten.
Ein schriller Pfiff von nebenan, begleitet von einem heiseren Bellen, holte mich aus meinen Gedanken. Mein Nachbar stand am Zaun. »Furchtbar, Valentina. Was für ein Einstand. Wie geht es dir?«
Flokati streckte sich am Zaun hoch und leckte meine Hand. Die Anteilnahme, ich gebe es zu, tat gut. Dieses Gefühl wurde nur leicht geschmälert durch die unverhohlene Neugier, die aus Jos Augen stach.
»Ach, ich stehe noch richtig unter Schock«, wollte ich ihm mein Leid klagen, als er mich unterbrach.
»Was sagt die Polizei? Weiß man schon was?«
Die Grenzen von Jos Mitgefühl waren eng gesteckt. Um ihm einen leichten Dämpfer zu versetzen, erzählte ich eine wilde Geschichte: »Sie haben schon einige Spuren, Sepp. Und etliche davon führen in den Garten. Vielmehr bleiben sie im Garten, um genau zu sein.«
Jo schüttelte sich, als hätte er in eine Zitrone gebissen. »Meine Freunde nennen mich Jo, das weißt du doch.« Er rümpfte seine Nase in Richtung von Sentas und Adis Garten. »Solche Leute, klar, die sagen Sepp, aus reiner Bosheit. Auf die musst du nicht hören. Weißt du, wofür Adi die Abkürzung ist?«
»Adalbert?«
»Denk noch mal nach. Ist ein bekannter Name, Teil unserer Geschichte. Und dann überleg dir, wie ein Mensch gestrickt sein muss, wenn er diesen Namen nicht ändert.«
Ich überlegte. Was sagte es aus, wenn man den Geburtsnamen behielt, selbst wenn er durch Namensvettern und -basen eine schale Assoziation bekommen hatte? Hatte mein Nachbar übersehen, dass er sich den Vornamen mit Stalin teilte, der selbst nicht gerade als Gutmensch in die Geschichte eingegangen war? Jo hielt mein grüblerisches Schweigen nicht lange aus und schlug vor, bald mal an einem Wochenende meinen Einstand mit einem zünftigen Umtrunk zu feiern. Damit ich alle kennenlernen und den Schock überwinden könne.
»Das ist aber nett von dir, danke.«
»Ja, nicht bei mir! Bei dir im Garten, ist ja dein Einstand. Ein kleines Grillfest bricht das Eis. Musst halt warten, bis Friedl wieder zurück ist.«
Da war sie wieder, die mysteriöse Friedl. So langsam wurde ich wirklich neugierig. Aber ich hielt mich bedeckt und fragte stattdessen: »Standet ihr euch nahe, der Wiggerl und du?«
Jos leicht gerötete Augen wurden feucht, wie die von Konrad ein paar Tage zuvor. Er zwinkerte ein paarmal und antwortete dann: »So nah sich Nachbarn nur stehen können. Wiggerl und ich waren die einzigen Junggesellen hier, das verbindet. Nur dass er nie verheiratet war und ich geschieden bin. Aber mein Sohn besucht mich nur ab und zu mal, im Grunde flogen wir alten Herren beide solo. Und Wiggerl war ein guter Mensch, geradeheraus und hilfsbereit. Da könnten sich andere eine Scheibe von abschneiden.«
Er schaute wieder zu seinen direkten Nachbarn hinüber. Dann machte er auf dem Absatz kehrt und eilte davon. Flokati hechelte ihm hektisch hinterher.
Ich nahm den Spaten in die Hand, brachte es aber nicht über mich, ihn in die Erde zu stoßen. Das Gefühl, wie er den fremden Körper berührt hatte, seltsam nachgiebig und doch fest, juckte immer noch in meinen Handflächen. Unmotiviert zog ich mit der langstieligen Gartenkralle ein wenig Grünzeug aus dem verwahrlosten Gemüsebeet. »Verwahrlost« war nicht meine eigene Wertung. Ich sah da nichts anderes als bunt zusammengewürfelte Blümchen, die hier ein erfülltes Pflanzendasein führten. Aber ein gediegenes Schrebergartenbeet sah eben doch anders aus. Da wurden der kurvenreichen Natur, die sich hierhin und dorthin wölbte, wenn man sie nicht mit Gartenschere und Drähten daran hinderte, klare Linien entgegengesetzt: Radieschen in Reih und Glied, dahinter Möhren, Lauch, Bohnen oder Grünkohl. Ich fragte mich, wo die Bezeichnung »Kraut und Rüben« für ein wildes Durcheinander eigentlich herkam. Sicher nicht aus einer Kleingartenanlage. Krautiges und Rübenartiges wuchs hier sortiert und strukturiert, wie mir bereits aufgefallen war, als ich auf der Warteliste für mein Parzellenparadies gestanden hatte. In diesen fast vier Jahren war ich oft durch die Anlage geschlendert und hatte die Gärten in Augenschein genommen, als Inspiration für meine Arbeit und Ausdruck meiner Hoffnung, bald dazuzugehören. Meine eigenen Beete würden dieses starre Muster durchbrechen, hatte ich mir gedacht. Lockere Grüppchen statt langer Reihen, bunte Mischungen in launigen Formen angeordnet, vielleicht in konzentrischen Ringen oder als Spirale. Damals hatte ich große Pläne gehabt und wenig Ahnung. Die Pläne sollten in den folgenden Gartenjahren kleiner werden, doch meine Ahnung ihren Umfang weitgehend beibehalten.
Irgendwann gab ich die halb gare Arbeit auf und ging in den kleinen Verschlag hinter der Laube, in dessen einer Hälfte eine Komposttoilette untergebracht war. In der anderen, die ich mit einem bunten Tuch optisch abtrennen wollte, befand sich eine Falltür, die eine recht große, sauber geflieste Grube im Boden abdeckte – ein Erdkeller oder auch Kühlloch, in dem sich Getränke und Gemüse sicher gut lagern ließen. Dahinter waren sämtliche Werkzeuge von Wiggerl griffbereit in Regale sortiert oder säuberlich an der Wand aufgehängt. Keine Schleifmaschine, soweit ich sehen konnte, dafür alles potenzielle Tatwaffen: Schlauch, Gartenschere, Mistgabel, die Säge für den Astschnitt, dazwischen Schneckenkorn und Teichfolie … Mir kam der Gedanke, dass ich mit Leichtigkeit vier oder fünf Menschen nicht nur auf unterschiedlichste Weise umbringen, sondern ihre Überreste gleich im eigenen Garten entsorgen könnte. Im Komposthaufen. Im Kühlloch. Im Hochbeet, sofern ich eines bauen würde. Vielleicht sogar im Spitzboden, den ich logischerweise haben musste, weil der Dachgiebel emporragte, das Laubeninnere aber eine flache Decke aufwies. Ein weiteres Geheimnis, das nur darauf wartete, von mir gelüftet zu werden. Vom Münchner Heckenscherenmassaker trennte mich im Grunde nur eine dumme Bemerkung über meine gärtnerische Inkompetenz.
Bevor meine dunklen Gedanken überhandnehmen konnten, streifte ich mir die Blümchenhandschuhe über. Die hatte ich besorgt, bevor ich wusste, dass die Optik nicht das entscheidende Kriterium für Gartenhandschuhe war. Dann schnappte ich mir Gartenschere und Eimer. Es war nicht warm, dafür aber sonnig. Ein schöner Tag für ein bisschen Therapie: Runter von der Psychocouch und rein in den Garten!
Ob es zu früh war, die kreuz und quer austreibenden Rosenstöcke ein wenig auf Vordermann zu bringen? Oder sollte ich lieber auf die Eisheiligen warten, falls doch noch ein Frost kam? Nur mit Mühe unterdrückte ich das mentale Bild, dass jener, der diese Rosen gepflanzt hatte, sie eine ganze Weile lang von unten betrachtet hatte, quasi wortwörtlich. Wie sahen die Wurzeln einer alten Rose eigentlich aus? Ob sie stark genug waren, um …?
»Die Rosen kannst jetzt schneiden, das passt, die Forsythien blühen ja schon. Und beißen tun sie auch nicht«, durchschnitt da eine klare Stimme ein wenig schroff mein Zögern.
Wie ich bald feststellen würde, schwang bei ihr immer diese gewisse Note mit, die klang, als würde sie sich insgeheim köstlich amüsieren. Meist über die anderen und in diesem konkreten Fall über mich. Ich drehte mich um und sah die oft beschworene Friedl vor mir: Elfriede Frühauf, die Besitzerin des Gartens genau meinem gegenüber. Den hatte ich zuvor schon ausgiebig bewundert, und jetzt bewunderte ich die bunt gekleidete Dame jenseits der siebzig mit kurzem weißem Haar und einer drahtigen, leicht nach vorn gebogenen Figur, die mich mit ihren grünen Augen ungeniert von oben bis unten abscannte. Auf dem Rollator, den sie schob, stand ein Vogelkäfig, in dem sich zwei Wellensittiche in Grün und Blau auf der Stange festkrallten.
»Grüß Gott, Frau Frühauf«, sagte ich. Der Ansage von Jo, dass sich in einer Gartenanlage alle ungehindert duzten, ungeachtet von Alter, Bekanntschaftsstatus und Ernteerfolg, traute ich nicht. »Ich bin Valentina, die neue Nachbarin.«
Friedl lachte herzhaft, möglicherweise über meine guten Manieren. »Komm halt mit rüber, kriegst einen Kaffee. Und dann erzählst du mir alles, was hier passiert ist, während ich weg war. Vor dir muss man sich ja in Acht nehmen, hab ich gehört! Wäre besser, du gräbst erst mal nichts mehr um.«
6
Die Tulpen und Narzissen in Friedls Garten konnten sich sehen lassen. Über ihrer Parzelle schien offensichtlich eine eigene Sonne. Noch wusste ich nicht, dass meine Nachbarin mit Doping arbeitete: Sie löste alte Medikamente, für die sie keine Verwendung mehr hatte, im Gießwasser auf und trank garantiert nur deshalb Kaffee, damit sie mit dem Kaffeesatz ausgewählte Lieblinge verwöhnen konnte. In ihrem Reich sprangen kleine Elfen von Blüte zu Blüte und spielten Kobolde unter den Büschen Verstecken. Eine ideale Quelle für Motive! Doch so poetisch sich der Zaubergarten präsentierte, so wenig sentimental war seine Herrin. Ich würde sie nicht direkt als pietätlos bezeichnen, doch sie war nah dran.
»Nun ist er für immer steif. Was Besseres kann diesen Machos doch gar nicht passieren«, sagte sie und holperte mit ihrem Rollator über die Steinplatten zur Terrasse.
Ich schluckte. »Das muss furchtbar für Sie sein, Frau Frühauf. Standen Sie sich nahe?«
»Traurig ist das, sicher. Der Wiggerl war ein lieber Mensch, der nicht verdient hat, dass man ihn kommentarlos verbuddelt. Aber wenn man eines im Garten lernt, dann, dass der Tod Teil des Lebens ist.«
»Das hat meine Lerche auch gesagt.«
Meine Nachbarin drehte sich um und sah mich fragend an, schien aber zu akzeptieren, dass auch ich einen Vogel hatte, und zwar einen sprechenden.
»Magst ein Wasser zum Kaffee, Mädel?« Sie stellte den Vogelkäfig auf einen Hocker, der unter einem Granatapfelbaum bereitstand, und schob sich zur Laube weiter.
»Gern.«
Friedl öffnete die Laube und verzog sich samt Rollator nach drinnen, wo sie laut hantierte.
Nach ihrer Rückkehr griff sie in die Tasche ihres Rentnerporsches und brachte ein volles Glas mit Wasser zum Vorschein, ohne einen Tropfen zu verschütten. Ich vergaß vor Erstaunen, mich zu bedanken.