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Mia hatte alles, was sie wollte: einen Job, den sie liebt, ihre beste Freundin Nicole und eine heiße Affäre mit Chase Harper - Schlagzeuger der erfolgreichsten Rockband des Landes. Spaß ohne Verpflichtungen, so war die Abmachung. Bis Chase entschied, dass er mehr wollte. Und Mia tat, was sie am besten kann: Sie floh.
Jetzt steht die Hochzeit von Nicole und Zack bevor, und Mia wird Chase nach sechs Monaten zum ersten Mal wiedersehen. Ihr graut davor, denn nur er kann es schaffen, sie wieder fühlen zu lassen - und das will sie unbedingt verhindern. Doch dann läuft plötzlich alles in ihrem Leben schief. Und Chase ist derjenige, der für sie da ist ...
Der zweite heiße und berührende Band der Rockstar-Romance-Reihe "Nur ein einziger Song". eBooks von beHEARTBEAT - Herzklopfen garantiert.
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Cover
Über dieses Buch
Über die Autorin
Titel
Impressum
Kapitel eins
Kapitel zwei
Kapitel drei
Kapitel vier
Kapitel fünf
Kapitel sechs
Kapitel sieben
Kapitel acht
Kapitel neun
Kapitel zehn
Kapitel elf
Kapitel zwölf
Kapitel dreizehn
Kapitel vierzehn
Kapitel fünfzehn
Kapitel sechzehn
Kapitel siebzehn
Kapitel achtzehn
Kapitel neunzehn
Kapitel zwanzig
Kapitel einundzwanzig
Kapitel zweiundzwanzig
Kapitel dreiundzwanzig
Kapitel vierundzwanzig
Kapitel fünfundzwanzig
Kapitel sechsundzwanzig
Kapitel siebenundzwanzig
Nachwort
Danksagungen
Mia hatte alles, was sie wollte: einen Job, den sie liebt, ihre beste Freundin Nicole und eine heiße Affäre mit Chase Harper – Schlagzeuger der erfolgreichsten Rockband des Landes. Spaß ohne Verpflichtungen, so war die Abmachung. Bis Chase entschied, dass er mehr wollte. Und Mia tat, was sie am besten kann: Sie floh.
Jetzt steht die Hochzeit von Nicole und Zack bevor, und Mia wird Chase nach sechs Monaten zum ersten Mal wiedersehen. Ihr graut davor, denn nur er kann es schaffen, sie wieder fühlen zu lassen – und das will sie unbedingt verhindern. Doch dann läuft plötzlich alles in ihrem Leben schief. Und Chase ist derjenige, der für sie da ist …
Stacey Lynn liebt es, Geschichten zu schreiben, bei denen sich die Leser in die Charaktere verlieben und sich wünschen, es wären im realen Leben ihre besten Freunde oder Familie. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren vier Kindern in North Carolina. Tagsüber versorgt sie liebevoll die Familie, abends macht sie es sich mit einer Decke und einem Buch oder Laptop auf der Couch gemütlich und schreibt all die Geschichten auf, die ihr durch den Kopf gehen.
Weitere Informationen unter: www.staceylynnbooks.com
STACEY LYNN
Nur eineinziger Song
MIA & CHASE
Aus dem Amerikanischenvon Cécile Lecaux
Deutsche Erstausgabe
»be« – Das E-Book-Imprint der Bastei Lübbe AG
Für die Originalausgabe:
The original English language edition was published as »Just One Week”.
Copyright © 2013 Stacey Lynn, USA (www.staceylynnbooks.com)
Diese Ausgabe wurde vermittelt durch Claudia Böhme Rights & Literary Agency, Hannover (www.agency-boehme.com)
Für diese Ausgabe:
Copyright © 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Textredaktion: Anne Pias
Lektorat/Projektmanagement: Anna-Lena Meyhöfer
Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München unter Verwendung von Motiven von © KDavideAngelini/shutterstock.com; vectorcup/shutterstock.com
E-Book-Erstellung: Jilzov Digital Publishing, Düsseldorf
ISBN 978-3-7325-7882-5
www.luebbe.de
www.lesejury.de
Mia
Ich wusste schon beim Aufstehen heute Morgen, dass dieser Tag ein schlechter Tag werden würde. Mein Wecker hatte nicht geklingelt, und als ich mich, in dem Bewusstsein, dass ich eine halbe Stunde zu spät zur Arbeit kommen würde, in meinem viel zu kleinen und entsprechend vollgestopften Ein-Zimmer-Apartment in New York City abgehetzt habe, habe ich mir gleich zweimal den Zeh gestoßen, bis ich endlich zur Tür raus war, um zur U-Bahn zu rennen.
Eingequetscht zwischen einem Mann, der aussah und roch, als hätte er sich seit der Jahrtausendwende nicht mehr gewaschen, und einer Frau, deren Ellbogen sich in meine Rippen bohrten, jedes Mal, wenn sie eine Seite ihres Klatschmagazins umblätterte, lechzte ich förmlich nach frischer Luft, als die Bahn endlich in meine Haltestelle einfuhr. Leider ließ die frische Luft noch etwas auf sich warten, da der Ellbogen, der mich schon die ganze Fahrt über gepiesackt hatte, sich diesmal in meine Wirbelsäule bohrte, und das mit solcher Kraft, dass ich beim Aussteigen stolperte und fiel.
Bei dem Sturz riss auch noch der Knöchelriemen meiner dunkelblauen Keilabsatz-Sandale von Chanel, sodass ich den ganzen Weg durch den Fashion District den Fuß mit dem kaputten Schuh über den Boden schleifen ließ, um ihn nicht zu verlieren. Mein entsprechend seltsamer Gang brachte mir neugierige Blicke der Passanten ein.
Erst im Büro fiel mir auf, dass mein dunkelblau-weiß gestreifter Rock sich in meinem Gürtel verfangen hatte, sodass jeder auf der Eighth Avenue meine altmodische Baumwollunterhose hatte sehen können. Das erklärte die sonderbaren Blicke der Leute, die ich auf meinen Gang zurückgeführt hatte. Ich ging zuerst ins Bad, um mich herzurichten, und seufzte dankbar, als ich den Wasserhahn aufdrehte und der Wasserstrahl nicht auf meine weiße Seidenbluse spritzte. Das wäre die Krönung gewesen, aber gewundert hätte es mich nicht.
Als wäre das alles noch nicht schlimm genug, kam der Anruf von meiner Ärztin wegen der Ergebnisse einiger Untersuchungen der vergangenen Woche. Die Nachricht der Sprechstundenhilfe lag ganz oben auf dem Stapel Zettel mit dem Vermerk »Nach der Rückkehr aus L.A. zurückrufen«. Nicht, weil der Anruf nicht wichtig gewesen wäre, sondern eher, weil ich die Sache nach dem Prinzip »Aus den Augen, aus dem Sinn« verdrängt hatte.
Als ich das Büro am Morgen betreten hatte, war ich so übellaunig und abgehetzt gewesen, dass ich eine neue Praktikantin angeschnauzt hatte, die mir den falschen Kaffee gebracht hatte. Ich schnauze niemals Praktikantinnen an, und diese, Shelley, hatte Tränen in den Augen, als sie mein Büro verließ, was auch nicht dazu angetan war, meine Stimmung zu heben.
Dabei mag ich Kaffee noch nicht einmal.
Und zu allem Überfluss muss ich morgen früh nach L.A. fliegen, um meiner besten Freundin Nicole beizustehen, die den Mann ihrer Träume heiratet, der ganz nebenbei auch der Traummann jeder anderen Amerikanerin ist.
Ich freue mich unendlich für sie und in dem gleichen Maße, bin ich auch urlaubsreif. Der heutige Morgen war wirklich in meinem stressigen Alltag mit zu wenig Schlaf und Nahrung der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat.
Ich muss nur noch das Mittagessen und mein letztes Meeting mit meiner Chefin, Devan, hinter mich bringen, die aus unzähligen Gründen Devan the Devil genannt wird, dann bin ich aufbruchsbereit.
»Mal im Ernst, warum kann ich nie einen Kugelschreiber finden, wenn ich einen brauche?«
Ich wühle weiter in den Papieren auf meinem Schreibtisch herum und höre meine Kollegin Marcia kichern.
»Mia«, sagt sie lachend und scheint sich nicht bewusst zu sein, dass ich gerade nicht in der Stimmung für Spaß bin. »In deinem Haar.«
Ich taste meine Haare ab und finde ihn. Sogar zwei. Ich werfe ihr einen verlegenen Blick zu, als ich die Stifte herausziehe, woraufhin mir das blonde Haar bis über meinen halben Rücken fällt.
»Alles okay bei dir?«, fragt sie, kommt zu mir herüber und setzt sich auf die einzige freie Ecke meines Schreibtischs. Marcia ist der erste Mensch, den ich kennengelernt habe, als ich vor etwa anderthalb Jahren nach New York gezogen bin.
Inzwischen ist sie so etwas wie eine Ersatzmutter geworden. Sie ist älter als ich, in den Fünfzigern, und hat zwei Kinder, die die Highschool besuchen. Sie hat das wärmste Lächeln, das ich je an einem Menschen gesehen habe, und ist zudem eine der wenigen Kolleginnen bei Callie’s, bei denen nicht zu befürchten steht, dass sie einem ihre Stilettoabsätze in den Rücken rammen, sobald man ihnen selbigen zukehrt.
Ich mache mir ein paar Notizen zu einem neuen französischen Designer, den wir unter Vertrag nehmen möchten, und ignoriere ihre Frage geflissentlich.
Stattdessen gebe ich nur einen Grunzlaut von mir und tue so, als wäre ich vollauf mit den Bergen von Arbeit beschäftigt, die sich auf meinem Schreibtisch stapeln. Man sollte meinen, dass mit der Erfindung von Tablets und Smartphones der reine Papierkram weniger werden würde, stattdessen habe ich das Gefühl, dass Papier sich vermehrt wie Karnickel, sobald ich den Raum verlasse. Es ist überall.
»Du bist immer noch sauer wegen der Sache mit deinem Rock, habe ich recht?«
Ich presse die Lippen zusammen und richte meinen müden und verlegenen Blick auf sie. Sie grinst. Biest. Dann muss ich lachen und schüttle den Kopf. »Ja, genau.«
»Raus damit, sonst stecke ich Devan, dass du das Mittagessen ausfällen lässt, um dich früher mit ihr treffen zu können. Wir wissen ja alle, wie sehr du sie liebst.«
Ich schneide eine Grimasse und werfe den Kugelschreiber nach ihr. Zu Marcias Glück hat sie zwei Jungs und Übung darin, Gegenstände aufzufangen, die durch die Luft fliegen.
»Das würdest du nie tun.«
»Doch, und das weißt du auch. Lass uns gehen, und dann kotzt du dich so richtig bei mir aus.«
Devan ist stinksauer auf mich, weil ich die nächsten zwei Wochen Urlaub genommen habe. Aber nichts auf der Welt hätte mich davon abhalten können, zu Nicoles Hochzeit zu fliegen – nicht einmal die Fashion Week in Frankreich, der absolute Traum aller in der Modebranche. Ich war letztes Jahr dort, und es war einfach fantastisch. Dumm, dass die beiden Termine sich überschneiden, aber es gibt noch andere, mindestens ebenso qualifizierte Einkäufer wie mich, und im Grunde ist es Devan völlig gleichgültig, wer sie begleitet.
Ich habe keinen blassen Schimmer, warum sie wegen meines Urlaubs so wütend ist, aber es interessiert mich auch nicht wirklich.
Marcia lächelt zufrieden, weil sie mich genau dort hat, wo sie mich haben will. Mit einem resignierten Lächeln und einem tiefen Seufzer für den dramatischen Effekt schnappe ich mir meine Handtasche, und wir verlassen das Gebäude.
Wir gehen die Eighth Avenue hinunter, wobei ich immer wieder nach meinem Rock taste, um sicherzugehen, dass ich nicht wieder unfreiwillig eine Peepshow biete, und steuern unsere Lieblingsbar an, das Threads. Heute ist es unerträglich heiß und schwül, und ich glaube, ich werde mich nie an den Anblick so vieler Menschen gewöhnen, die sich auf einem Bürgersteig drängen. Wir stehen da wie die Sardinen in der Büchse oder eine Herde Kühe, die zur Schlachtbank getrieben wird.
Ein Möchtegern-Model führt uns in den Essbereich des Threads, in dem die Tische im Abstand von nur wenigen Zentimetern U-förmig aufgestellt sind. Die äußeren Sitze stehen vor einer hohen schwarzen Lederwand. Auf der gegenüberliegenden Tischseite stehen quadratische Sitzhocker mit Stauraum, wie man sie bei Target finden würde. Sie sehen zwar schicker aus, aber trotzdem … Als ich das erste Mal hier war, habe ich fast damit gerechnet, dass die Bedienung den Deckel abnimmt und unser Besteck und die Platzsets aus dem Hocker holt. Privatsphäre ist im Threads ein Fremdwort.
Ich nicke den beiden Anzugträgern am Nebentisch höflich, aber reserviert zu und wähle die Bank an der Rückseite. Ich hasse es, beim Essen auf einem Hocker zu sitzen. Eigentlich kommen wir nur her, weil die Martinis nicht nur billig, sondern auch noch überdurchschnittlich gut sind. Normalerweise trinke ich an einem Arbeitstag keinen Alkohol, aber in Anbetracht der Katastrophen an diesem Morgen mache ich eine Ausnahme.
Nachdem wir das Essen bestellt haben, höre ich unfreiwillig mit, wie die Männer am Nebentisch über ihre Pläne für das Wochenende sprechen, wobei einer der beiden erwähnt, dass er vorhat, seine Freundin zu betrügen. Ich werfe ihm einen vernichtenden Blick zu, ehe ich Marcia meine volle Aufmerksamkeit schenke.
Ich mag nicht über das sprechen, was mich bedrückt, aber Marcia als Mutter zweier Teenager besitzt die Gabe, einem die Wahrheit zu entlocken, ehe man sich versieht. Als ich noch ein Kind war, hatte ich einen geflochtenen Gummiring. Er sah ganz harmlos aus, aber sobald man den Finger hindurch gesteckt hat, hat er sich förmlich festgesaugt, sodass er sich nur mit Mühe wieder abziehen ließ. So ist Marcia.
Sie nippt an ihrem Appletini und zwinkert mir zu. »Triffst du in Kalifornien deinen Little Drummer Boy?«
Die Männer am Nebentisch sehen zu uns herüber, und der Typ, der neben mir auf der Bank sitzt, mustert mich anerkennend, wenn auch ein wenig wie ein Gebrauchtwagenhändler einen Sportwagen. Am liebsten würde ich die Oliven von dem Plastikzahnstocher in meinem Martini abstreifen und ihm damit die Augen ausstechen. Er war es, der vorhin einen Seitensprung angekündigt hat, ich denke also, diese Maßnahme wäre durchaus gerechtfertigt.
Ihr Spitzname für Chase entlockt mir immer ein Lächeln. Er ist zwar Drummer, aber alles andere als »little«. Sein Bizeps hat in etwa den Umfang meines Kopfes und er überragt mich mit meinem Meter sechzig um einen ganzen Kopf. Dazu hat er Hände so groß wie Schaufeln, die aussehen, als wären sie zu nichts anderem imstande, als Gewichte zu heben. Aber er ist der beste Rock-Drummer der Welt und besitzt noch so manch anderes verborgenes Talent. Jeder Muskel seines Körpers ist perfekt definiert, und die eine Seite seines Brustkorbs ist mit Tattoos bedeckt. Ich fand Tattoos eigentlich nie besonders sexy – bis ich mit den Fingern die Bilder an seinem Bizeps, auf seiner breiten Brust und den stahlharten Rückenmuskeln nachgefahren bin. An Chase sind Tattoos unfassbar sexy.
Marcia zieht mich gerne mit ihm auf und benutzt den Spitznamen, damit niemand im Büro mitbekommt, dass ich mit dem Schlagzeuger von Zack Walters’ Band schlafe.
»Ja, er kommt auch. Er ist Trauzeuge.«
»Ach … wie süß. Dann werdet ihr beide gemeinsam zum Altar gehen. Vielleicht ist das ein Omen.«
Ich schnaube. Allein der Gedanke, ich könnte heiraten, ist absurd. Wenn Nicole hier wäre, würde sie sich auf dem Boden wälzen und sich schier ausschütten vor Lachen. Heiraten ist etwas Wunderbares – für Leute, die in geordneten Verhältnissen leben möchten, Kinder großziehen und was weiß ich. Ich bin auch ganz aus dem Häuschen vor Freude, dass Nicole jetzt ihre zweite Chance auf ein »Und sie lebten glücklich bis an ihr Lebensende« bekommt und Marcia seit mehr als dreißig Jahren glücklich verheiratet ist. Aber was mich betrifft: niemals.
»Du weißt, was ich vom Heiraten halte, Marcia«, entgegne ich kopfschüttelnd und genehmige mir einen großen Schluck Martini.
Marcia zieht nur die Nase kraus, als rieche sie saure Milch. »Irgendwann wirst du deine Meinung ändern, ganz sicher. Du brauchst nur jemanden, der stark genug ist, dich zur Vernunft zu bringen.«
»Musst du eigentlich jeden bemuttern?«
»Nein. Aber du weißt ja, dass Mütter immer recht haben. Es ist also sinnlos, mir in diesem Punkt zu widersprechen.«
Ich muss lachen, als sie pantomimisch eine Wahrsagerin vor ihrer Kristallkugel imitiert und die Augen zusammenkneift, als sähe sie in meine Zukunft. Sie untermalt das Ganze sogar mit einem Summton.
»Ich prophezeie dir in den kommenden Wochen heißen, wilden Sex.« Sie schließt die Augen und summt erneut vor sich hin. Ich möchte sie gerade unterbrechen, als sie die Augen aufschlägt und wir gemeinsam lachen.
»Enttäusch mich nicht. Du bist jung und wunderschön, und jede verheiratete alte Frau träumt von einer leidenschaftlichen Affäre mit einem Rockstar. Du lebst meinen Traum.«
»Sei still«, sage ich lachend. Innerlich verdrehe ich die Augen, lasse mir aber nichts anmerken. Sie ahnt ja nicht, dass Chase und ich seit sechs Monaten keinen Kontakt mehr haben, und ich habe nicht vor, ihr zu erzählen, warum. Die meisten Menschen würden meine Gründe als verrückt abtun. Ein heißer Typ meint es ernst mit einem Mädchen, das aber nicht mehr will als Sex. Welche normale Frau würde sich eine solche Gelegenheit entgehen lassen?
Ich, offensichtlich. Denn genau das ist bei unserem letzten Date passiert. Ich habe schon vor langer Zeit gelernt, dass die Chancen, dass eine Beziehung funktioniert, äußert gering sind, wenn nicht sogar gleich null. Warum also sich darauf einlassen, wenn letztlich doch einer von beiden das Handtuch wirft?
Dieses Risiko bin ich nicht bereit einzugehen. Chase hat das nicht verstanden, darum habe ich die beste »Freundschaft Plus« beendet, die ich je hatte. Ich würde das nicht als Davonlaufen bezeichnen, wette aber, dass er das tut. So wie Nicole.
Zwei Wochen, nachdem ich angefangen habe, seine Anrufe nicht mehr anzunehmen, habe ich in einem dieser Late-Night-Klatsch-Formate gesehen, wie er vor einem Restaurant in L.A. irgendeine Schauspielerin geküsst hat. Sofort kochte Eifersucht in mir hoch, was mich aber nur in meinem Entschluss bekräftigt hat, mich von Chase fernzuhalten.
Es ist ja nicht so, dass ich nichts für ihn empfinden würde. Das tue ich. Ich denke nur, dass Beziehungen viel unkomplizierter sind, wenn keine Gefühle im Spiel sind. Dass ich eifersüchtig war und überhaupt etwas gefühlt habe beim Anblick von Chase mit einer anderen, die kürzlich einen Award als beste Schauspielerin bekommen hat, bestärkt mich nur in meiner Entscheidung, mich von ihm fernzuhalten.
Den Rest der Mahlzeit unterhält Marcia mich mit Geschichten von ihren Jungs und ihren Plänen für das Wochenende des vierten Julis. Ich höre aufmerksam zu und stelle viele Fragen, um die Unterhaltung in diesen Bahnen zu halten. Am Ende der Mittagspause ist meine Stimmung schon deutlich besser – vielleicht auch aufgrund des zweiten Martinis, den ich mir gegönnt habe – und die Erinnerung an die Pechsträhne am Morgen ist in weite Ferne gerückt. Wenn aller schlechten Dinge drei sind, habe ich meine Tagesquote bereits erfüllt. Was sollte noch schiefgehen?
»Hallo, Devan«, sage ich und nehme Platz, einen Schwung Kundenakten in der Hand, die ich endlich fertig bearbeitet habe.
Ich habe meiner Chefin zwei Wochen nach Antritt meines Jobs in New York den Spitznamen Devan the Devil verpasst. Ich schwöre, sollte man sie jemals lächeln sehen, kämen Reißzähne zum Vorschein oder eine gespaltene Zunge. Sie ist blitzgescheit, eine taffe Karrierefrau und stellt hohe Anforderungen an ihre Mitarbeiter, und das alles ist großartig. Ich liebe Herausforderungen, und ich bin gut in meinem Job. Bis dahin dachte ich aber, eine Chefin könnte diese Eigenschaften besitzen, ohne eine Bitch zu sein, aber davon hat Devan offenbar noch nie etwas gehört.
Ohne meinen Gruß verbal, durch ein Nicken oder in sonstiger Form zu erwidern, lehnt sie sich in ihrem Chefsessel zurück und stützt das Kinn auf die wie zum Gebet gefalteten Hände, wobei sie mit den ausgestreckten Zeigefingern an ihre Lippen tippt. Das erinnert mich an einen Kinderreim. Here is the church, here is the steeple; open the doors and look at the people.
Ich verkneife mir ein Kichern, weil ich davon ausgehe, dass Devan für meine Heiterkeit wenig Verständnis hätte. Im Übrigen würde ich wetten, dass sie noch nie eine Kirche von innen gesehen und noch nie gebetet hat.
Dann fällt mir auf, dass sie mich so eindringlich mustert, dass es mir vorkommt, als würde ihr Blick mich förmlich durchbohren. Sie trägt das dunkelbraune Haar zu einem strengen Knoten geschlungen und sieht ein wenig einschüchternd aus.
Für gewöhnlich habe ich vor nichts Angst, aber irgendetwas an ihrer Haltung und dem ernsten Ausdruck auf ihrem Gesicht macht mich nervös.
Ich schlucke bedächtig und kämpfe gegen den Impuls an, den Blick abzuwenden. Lasse einen Gegner niemals deine Angst spüren, höre ich meinen Tennistrainer an der Highschool sagen.
»Devan?«, frage ich leise, zögernd. Vielleicht hat sie einfach nur einen besonders ätzenden Tag.
»Die Zahlen lassen zu wünschen übrig«, sagt sie schließlich und legt die Hände auf den Schreibtisch. Ihre Finger trommeln rhythmisch auf einen leuchtendblauen Aktendeckel.
Ich nicke und lehne mich ein wenig in meinem Stuhl zurück. Dieses Gespräch zur Profitabilität von Callie’s haben wir in den letzten Jahren schon mehrfach geführt. Wir sind eine noch junge Modekette, die sich vor allem an eine junge Zielgruppe mit dem höchsten verfügbaren Einkommen richtet.
»Verstehe«, sage ich und schlage eine der Akten auf, die ich mitgebracht habe. »Darum wirst du auch erfreut sein von dem, was ich bei diesen Kunden erreicht habe. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass wenn wir das Timing unserer Einkäufe bei ihnen verlagern …«
Mir wird plötzlich ganz flau unter ihrem Blick, und ich merke gar nicht, dass meine Hände unwillkürlich anfangen zu zittern. Sie interessiert sich einen Dreck für meine Akten. Die Erkenntnis dringt bis in den letzten Winkel meines Körpers vor, und mir wird schlagartig speiübel.
Das ist nicht gut. Genau genommen habe ich das ungute Gefühl, dass das hier richtig, richtig scheiße läuft.
»Du interessierst dich nicht für die Akte von Les Belles Chaussures, oder?«, frage ich, obwohl ich bereits weiß, dass es völlig egal ist, was ich in den Händen halte.
Sie schüttelt langsam den Kopf und schiebt die blaue Akte über den Schreibtisch zu mir herüber. Ihr Gesicht ist dabei völlig ausdruckslos, was es nur noch schlimmer macht. Bisher habe ich nur einen Ausdruck an Devan gesehen, eine Mischung aus Eiskönigin und Bitch, gebündelt in einem einzigen furchterregenden Blick, aber jetzt ist da … nichts.
»Was ist das?«, frage ich, lege zögernd eine Hand auf die Akte und ziehe sie zu mir herüber. Was immer sich in dieser Akte befindet, ich will es nicht sehen, so viel steht fest.
»Deine Kündigung und Abfindung.«
Wenn ich vorhin noch ein nervöses Prickeln gefühlt habe, schießt jetzt ein glühender Strom durch meine Adern. Die Zeit scheint stillzustehen, während ich die Worte mehrmals in Gedanken wiederhole, bis ich zu dem Schluss komme, dass ich mich verhört haben muss. Kündigung. Abfindung. Es muss noch eine andere, mir unbekannte Bedeutung dieser Worte geben. Mein Blick ist auf die Akte geheftet, auf der meine Hand ruht, die Finger wie erstarrt.
Ja, das alles muss ein Missverständnis sein. Das ist die einzige logische Erklärung. Ich reiße den Blick von der Akte auf dem Schreibtisch los und schaue Devan wieder in die Augen.
Sie mustert mich schweigend mit leicht hochgezogener Braue. Am liebsten würde ich mit einem Satz über den Schreibtisch hechten und sie windelweich prügeln. Aber sie rührt sich immer noch nicht, und mir geht durch den Kopf, dass mein Traum möglicherweise zu Eis erstarrt ist. Vielleicht bin ich ja eine Hexe und kann die Zeit einfrieren. Vielleicht hat Marcia beim Mittagessen mit ihrer imaginären Kristallkugel tatsächlich einen Voodoo-Zauber erzeugt, und das alles ist nur ein dummer Streich, bevor ich in den Urlaub fliege.
Ich runzle die Stirn und neige den Kopf leicht zur linken Seite, immer noch davon überzeugt, dass das hier nicht wirklich passiert. Ich habe für diesen Job mein altes Leben und meine Familie in Minneapolis zurückgelassen. Es ist mein Traumjob, und ich habe für diese Chance alles andere aufgegeben. Man kann mir das nicht einfach so wegnehmen, ohne Vorwarnung. Unmöglich.
Mir wird bewusst, dass mir die Kinnlade heruntergeklappt ist und ich mit offenem Mund dasitze. Hastig schließe ich den Mund, bevor Speichel hinaustropfen kann.
Mia
»Wie bitte?«, frage ich. Meine Kehle ist plötzlich ganz trocken, und meine Stimme klingt heiser und rau.
»Du bekommst eine Abfindung, die sechs Wochen Gehalt entspricht, was sehr ungewöhnlich und großzügig ist.«
»Das kann nicht dein Ernst sein«, erwidere ich, während die Realität, dass ich soeben gefeuert wurde, langsam in mein Bewusstsein dringt.
Devan verharrt völlig reglos, als sie mir antwortet. Sie sieht aus wie eine Marmorstatue, unbeweglich und kalt wie Stein. Ihr Gesicht ist immer noch völlig ausdruckslos. Ich wusste ja schon immer, dass sie ein Biest ist, aber ich habe, seit ich hier angefangen habe, sehr hart gearbeitet und mir ihren Respekt verdient.
»Der Markt erholt sich nicht so rasch, wie wir uns das wünschen würden. Wir sind gezwungen, gewisse Kürzungen vorzunehmen, und du gehörst zu denjenigen, die zuletzt eingestellt wurden.«
Mein Gott. Ich bin gefeuert. Sie redet weiter, aber ich höre sie nicht mehr. Ich muss die Miete bezahlen, laufende Kosten … meine Krankenversicherung. Scheiße. Ich kann mich eine Weile mit meinen Ersparnissen über Wasser halten, aber, verdammt, hier geht es nicht nur um Geld.
Ich habe gerade meinen Traumjob verloren. Und Devan hat recht, was die Konjunktur und die Modebranche betrifft. Es geht der Branche insgesamt schlecht, es dürfte mir also aktuell schwerfallen, einen passenden Job zu finden.
»Außerdem …«, Devans Stimme dringt wieder in mein Bewusstsein, und mir wird klar, dass sie die ganze Zeit weitergeredet hat, »… gehst du ausgerechnet zur arbeitsreichsten Zeit des Jahres in Urlaub. Daraus schließe ich, dass dir deine Karriere nicht so wichtig ist, wie du uns hast glauben machen.«
Erneut klappt mein Unterkiefer herunter, aber ich schließe den Mund rasch wieder. »Ich werde gefeuert, weil ich zum ersten Mal in fast zwei Jahren Urlaub nehme?«
Sie zuckt mit den Schultern. Ein Schulterzucken ist offensichtlich alles, was sie nach meinem Einsatz der letzten Jahre für mich übrighat. »Die Personalabteilung hat einen Karton in dein Büro bringen lassen. Pack bis Feierabend deine Sachen. Ich wünsche dir einen schönen Urlaub.«
Ich balle unwillkürlich die Hände zu Fäusten, als mir aufgeht, dass das Gespräch damit beendet ist. Sie ist fertig mit mir. Noch nie habe ich einen solchen Drang zur Gewalttätigkeit verspürt wie in diesem Moment.
Wortlos stehe ich auf und nehme die blaue Akte an mich, wobei ich beinahe damit rechne, dass mein Körper vor angestauter Wut explodiert. Sie ist der leibhaftige Satan. Ich gehe hinaus und schließe leise die Tür hinter mir, obwohl es mich alle Willenskraft kostet, sie nicht mit solcher Wucht zuzuschlagen, dass das Glas zerspringt und ein Scherbenregen auf den langflorigen Teppichboden niedergeht.
Als ich mein Büro betrete, sitzt Marcia in meinem Sessel und starrt auf den leeren Karton auf meinem Schreibtisch.
Ihre Augen sind gerötet, und ich sehe ihr an, dass sie geweint hat. Vermutlich war sie dabei, als der Bote der Personalabteilung den Karton gebracht und sie erkannt hat, worauf mein Gespräch mit Devan hinauslaufen würde.
Ich mache mir nicht die Mühe, die Tür hinter mir zu schließen. Stattdessen gehe ich auf direktem Weg zum Fenster, blicke hinaus auf die Stadt und versuche immer noch zu begreifen, wie es soweit kommen konnte.
»Es tut mir ja so leid.« Marcia ist eine gute Freundin, aber ihre Worte können mich nicht trösten. Ich antworte nicht. Ich kann keinen klaren Gedanken fassen.
Mehrere Minuten schweigen wir, und das einzige Geräusch ist ein gelegentliches Schniefen aus Marcias Richtung. Ich kneife die Augen so fest zusammen, wie ich nur kann, um die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken.
Ich gönne weder Devan noch sonst jemandem in diesem Büro die Schadenfreude, mich am Boden zu sehen.
Schließlich drehe ich mich um und schenke Marcia das wohl kläglichste Lächeln, das die Welt je gesehen hat.
»Es ist okay«, sage ich und fange an, gerahmte Fotos von meinem Schreibtisch und aus dem Regal dahinter in den Karton zu legen. Ich achte nicht darauf, ob ich etwas kaputt mache, als ich meine übrigen Sachen hinterherschmeiße. Im Moment ist es mir egal.
»Das ist es nicht«, entgegnet Marcia und legt nun ebenfalls persönliche Gegenstände von mir in die Kiste. »Ich habe das nicht kommen sehen, und ich kann einfach nicht fassen, dass sie dir das angetan hat. Du wirst mir fehlen.«
Wir schweigen mehrere Minuten lang, bis ich alle Schubladen und Regale durchsucht und ausgeräumt habe. Einen Moment halte ich den Tacker in der Hand und muss an Milton aus dem Film Office Space denken, wie er sagt: »Verzeihen Sie, ich glaube, das ist mein Tacker.«
Ich drücke einmal zu und eine perfekt gefaltete Klammer fällt auf meinen Schreibtisch. Auf eine seltsame Art fühlt es sich gut an, wie bei einem dieser Stressbälle, die manche Leute benutzen, um Spannungen abzubauen. Das Gewicht des Tackers und der Widerstand, jedes Mal, wenn ich zudrücke, fühlen sich irgendwie gut an. Ich drücke noch einmal zu und noch mal. Das Klicken des Tackers, der eine Klammer nach der anderen im Zimmer verteilt, ist eine ganze Weile das einzige Geräusch. Die Klammern hüpfen von meinem Schreibtisch auf den Boden, prallen mit leisem Klirren von meinem metallenen Stiftehalter und von meinem Telefon ab.
Dann lache ich plötzlich. Es ist nicht das fröhliche Lachen, das man mit einem Freund teilt, sondern klingt vielmehr ein bisschen psycho. Ich vermute, es ist dem Adrenalin geschuldet, das durch meine Adern jagt und der Tatsache, dass Devan gerade meine Träume unter ihrem Louboutin-Pump zerquetscht hat wie eine unbedeutende Ameise auf der Straße.
Ich verliere den Verstand, sage ich mir, während ich unter Marcias verdattertem Blick in meinem Büro stehe und mit meinem roten Tacker in der Hand nur noch an Zitate aus Office Space denken kann.
Zum Teufel mit ihnen. Ich pfeffere den Tacker in meine Kiste und fühle dann Marcias Hand auf meinem Unterarm.
Sie schaut mich nur stumm an, während ich mit geweiteten Augen immer noch diesen meckernden Laut von mir gebe. Es ist nicht einmal mehr ein Lachen. Ich fürchte, ich klinge mehr wie eine Hyäne auf der Jagd, während ich dastehe und … komplett durchdrehe.
Der erschrockene Ausdruck auf ihrem Gesicht bringt mich wieder zur Vernunft. Ich schließe den Mund, und wir sehen einander wortlos an. Ich frage mich, ob sie etwas sagen wird, und sie fragt sich vermutlich, ob ich das Gebäude abfackeln werde.
Ich hole tief Luft und atme geräuschvoll wieder aus. »Es geht schon wieder.«
Marcia mustert mich kritisch. Ich bin ziemlich sicher, dass sie gerade denkt: »Ganz sicher? Du hast dich nämlich gerade aufgeführt wie eine Irre.«
»Kann ich irgendetwas für dich tun?«, fragte sie schließlich.
Kopfschüttelnd blicke ich auf das Fenster hinter ihr und konzentriere mich auf die Hunderten kalter Glastürme da draußen, bemüht, eine weitere Panikattacke zu unterdrücken.
»Nein.« Ich schnappe mir den Karton. Kein Grund, länger hierzubleiben als nötig.
Marcia begleitet mich hinaus. Wir halten beiden den Blick starr geradeaus gerichtet, als wir den Flur hinunter zum Fahrstuhl gehen. Ich muss gegen den Drang ankämpfen, mich umzusehen, weil es so ungewöhnlich still ist, nehme aber aus den Augenwinkeln wahr, dass die Kollegen uns hinterherblicken. Es ist nicht deshalb so still, weil niemand da wäre, sondern weil sich die gesamte Belegschaft auf unserer Etage versammelt hat und mit offenem Mund verfolgt, wie ich den blöden Karton vor mir hertrage. Wenn mein irres Lachen vorhin nicht bereits verraten hat, was passiert ist, liegt es spätestens jetzt auf der Hand.
Und alle sind gekommen, um meinen Abgang mitanzusehen.
Großartig.
Ich schaue keinen einzigen von ihnen an, während Marcia und ich stumm vor den Fahrstühlen warten, eintreten, die dreißig Stockwerke nach unten fahren und die Lobby durchqueren.
»Ich werde ein bisschen herumtelefonieren, während du im Urlaub bist, und versuchen, einen Job zu finden, der dich interessieren könnte«, bricht sie schließlich ihr Schweigen.
Ich nicke, ohne sie anzusehen. Mein Adrenalinpegel fällt jetzt ab, und es fällt mir immer schwerer, mich zusammenzureißen. Wenn ich Marcia ansehe, breche ich zusammen.
Ihre Hand legt sich warm und tröstend auf meine Schulter. Sie umarmt mich nicht und macht auch keine Anstalten, noch mehr zu sagen, als wir draußen auf der Straße stehen. Sie hebt eine Hand, um ein Taxi anzuhalten. Natürlich hätte ich das selbst tun sollen, aber irgendwie bin ich wie gelähmt.
Dutzende von Menschen hasten auf dem Bürgersteig an uns vorbei. Der Verkehr rauscht die Straße hinunter, es wird gehupt, Taxifahrer schimpfen aus heruntergekurbelten Fenstern, und Menschen sprechen in ihre Handys. Geschäftsleute, Models, Touristen mit Kameras um den Hals. Sie alle setzen ihren Tag fort, ganz beschäftigt mit ihren eigenen Erledigungen und Gedanken. Niemand von ihnen bemerkt, dass mein Leben sich vor wenigen Minuten in einen Trümmerhaufen verwandelt hat.
Ich atme tief aus, als ein Taxi am Straßenrand hält, und sehe, wie Marcia mir die Tür öffnet. Sie lächelt traurig, als ich die Kiste auf den Rücksitz stelle und mich ihr dann wieder zuwende.
»Danke.« Es klingt jämmerlich. Ich klinge jämmerlich. Ich hasse es.
Ohne Vorwarnung zieht sie mich an sich und drückt mich fest und mütterlich an sich. Ich kann nicht mehr tun, als ihre Umarmung zu erwidern. Ich liebe diese Frau, und der Gedanke, dass ich nicht mehr mit ihr zusammenarbeiten werde, ist niederschmetternd.
»Ich gebe dir Bescheid, wenn sich etwas ergibt.« Immer noch traurig lächelnd gibt sie mich wieder frei. »Versuch, die nächsten Wochen trotz allem zu genießen. Betrink dich, vergiss Devan und den ganzen Mist. Du wirst bald etwas Neues finden.«
Ich möchte ihr gerne glauben, also nicke ich und tue so, als hätte ich nicht gerade erst die schlimmste Nachricht überhaupt bekommen. Als ich im Taxi sitze, blicke ich noch einmal zu ihr auf. Das Seitenfenster ist offen, vermutlich um das Wageninnere nach dem letzten Fahrgast zu lüften. Ich stütze den Arm auf, schenkte Marcia ein letztes trauriges Lächeln und winke ihr noch einmal zu, ehe sich das Taxi in Bewegung setzt.
»Geh und hab wilden Sex mit dem Drummer Boy, damit du den ganzen Mist eine Weile vergisst.« Sie zwinkert mir zu und schenkt mir ein breites, aufrichtiges Lächeln. »Und lebe ein paar von meinen Fantasien für mich aus.«
Ich muss lachen, auch wenn ein seltsames Geräusch dabei herauskommt, eine Mischung aus dem Würgelaut, den eine Katze beim Erbrechen eines Haarballens von sich gibt, und einem echten Lachen. Der Taxifahrer wirft mir einen merkwürdigen Blick zu.
Als das Taxi zwanzig Minuten später vor meinem Wohnblock hält, fühle ich mich wie ein Roboter. Die Tränen, mit denen ich beim Einsteigen ins Taxi noch gekämpft habe, sind versiegt. Ich glaube, ich fühle gar nichts, als ich den Fahrer bezahle, stolpernd aus dem Wagen steige und die Tür zu meinem bewachten Wohnblock aufsperre, während ich mit der anderen Hand die Kiste mit meinen persönlichen Gegenständen trage.
Als ich auf meinem Flur aus dem Fahrstuhl steige, fühle ich mich total ausgelaugt. Ich möchte nur noch baden, ein, zwei – oder auch vier – Gläser Wein trinken und nicht einmal daran denken, meinen Koffer für L.A. zu packen.
Ich lebe nicht in der besten Wohngegend von New York. Mein Block befindet sich auf halbem Weg zwischen Central Park und Garment District, und ich habe die Wohnung nur wegen der Lage gemietet. Das Haus ist alles andere als ansehnlich, und es fehlt all das, was die meisten besseren Adressen zu bieten haben, wie einen Portier, aber es ist halbwegs sicher, und meine Nachbarn sind leise. Ich bin zufrieden. Doch heute kommt mir der Flur besonders dunkel und die Backsteinmauer besonders schäbig vor. In der Luft hängt der abgestandene Geruch asiatischer Küche … und vor meiner Wohnungstür sitzt ein Mann auf dem Flur.
Nur wenige Männer, die ich kenne, können einen engen Flur so ausfüllen wie dieser. Er sitzt mit dem Rücken an meiner Tür, ein Bein ausgestreckt, das andere angewinkelt. Das ausgestreckte Bein reicht fast bis an die gegenüberliegende Wand, und sein Kopf nickt im Takt zu Musik, was ich daraus schließe, dass seine Finger rhythmisch auf seinen ausgestreckten Schenkel trommeln.
Der Mann ist einfach umwerfend. Er ist unglaublich sexy, und mein Puls schnellt sogleich in die Höhe. Was macht er hier?
Chase bemerkt mich erst, als mein Schatten auf ihn fällt. Langsam blickt er auf, bis sein Kopf gegen die Tür stößt, wobei seine Augen sehr aufmerksam über meinen Körper gleiten. Unter normalen Umständen würde dieser Blick ein wohliges Prickeln in mir auslösen, aber nicht nach diesem Tag und nachdem ich Chase Monate nicht mehr gesprochen habe.
Er schenkt mir dieses lässige, leicht schiefe Lächeln. Sein Gesicht wird von dichten hellbraunen Haaren eingerahmt.
»Du hast Haare.« Ich schließe die Augen, als mir aufgeht, wie blöd das klingt. Bisher habe ich ihn nur mit kahlrasiertem Schädel gesehen, der sich ganz weich und glatt angefühlt hat.
»Alles okay mit dir? Du siehst beschissen aus.«
Vor sechs Monaten hätte ich angesichts seiner kritischen Äußerung zu meinem Aussehen nur gelacht, vor allem deshalb, weil ich gewusst hätte, dass es Spaß ist, aber heute sieht das anders aus. Ich trage limettengrüne Pumps, die nicht so ganz zu meinem Outfit passen, aber es war das einzige Ersatzpaar, das ich im Büro hatte. Mein Rock und meine Seidenbluse sind völlig verknittert, und mein Haar ist bestimmt ganz strähnig, weil ich während der Taxifahrt ständig nervös mit den Fingern hindurchgefahren bin. Ich vermute außerdem, dass meine Nase gerötet und meine Mascara verschmiert ist von den Tränen, die ich im Taxi vergossen habe.
»Ich freue mich auch, dich zu sehen. Was machst du hier?« Ich stütze die Kiste auf die Hüfte. Er blinzelt, und sein Lächeln erlischt. Ich schätze, er hat aus meinem Gesichtsausdruck geschlossen, dass ich heute nicht in der Stimmung bin für Späße.
»Wenn du mich reinlässt, verrate ich es dir.« Er richtet sich auf, steht gleich darauf in seiner ganzen muskelbepackten Pracht neben mir und streckt die Hände nach meinem Karton aus.
Nach kurzem Zögern übergebe ich ihm stirnrunzelnd die Kiste. Wenn er schon einmal da ist, kann er sich auch nützlich machen. Ich halte einen Moment inne, bevor ich den Schlüssel ins Schloss stecke, und beobachte ihn. Ob er mich fragen wird, warum ich in den vergangenen sechs Monaten seine Anrufe nicht beantwortet habe? Oder warum ich mich auch nicht gerührt habe, als er mir zu meinem Geburtstag im vergangenen Monat Blumen geschickt hat? Aber er verharrt ebenso stumm wie ich, einen seltsam leeren Ausdruck auf dem Gesicht.
Als mir aufgeht, dass er nichts sagen wird, winke ich ihn, mitsamt der Kiste, die ich möglichst bald entsorgen will, herein.
Mia
»Was ist das?« Chases betrachtet den Inhalt der offenen Kiste und blickt dann mit großen Augen zornig zu mir auf. »Sie haben dich gefeuert?«
Ich nicke, schließe die Tür hinter ihm und schiebe alle fünf Riegel vor. »Das war ein ziemlich beschissener Tag«, gebe ich zu, und er folgt mir in die Küche. »Stell das bitte drüben auf den Tisch.«
Ich biete Chase ein Glas Wein an, und er wirft mir einen Blick zu, der klar zum Ausdruck bringt, dass ein Kerl wie er niemals ein Glas rosafarbenen Wein trinken würde. Er hat Glück, dass ich auch Bier im Kühlschrank habe. Ich öffne eine Flasche Heineken und schiebe sie ihm über den Tisch zu.
»Danke«, sagt er nach dem ersten Schluck, setzt sich an die Küchenbar und stützt die Ellbogen auf. »Willst du mir nicht erzählen, was passiert ist?«
Ich lasse den Blick durch meine Wohnung schweifen und vermeide es dabei tunlichst, ihn anzusehen. Ich fühle mich jetzt nicht mehr wie ein Roboter und muss meine ganze Willenskraft aufbieten, um meine Gefühle im Zaum zu halten. Ich möchte nicht zusammenbrechen deswegen. Ich will nicht weinen, weil ich meinen Job verloren habe.
»Ehrlich gesagt, das weiß ich selbst nicht so genau«, antworte ich schließlich und nippe an meinem Weinglas. Das heißt, genau genommen trinke ich einen ziemlich großen Schluck. Chase verfolgt mit einem merkwürdigen Blick, wie ich den Wein hinunterkippe und mir nachschenke. »Devan hat mich heute Nachmittag in ihr Büro zitiert, hat mir einen Vortrag über die miese Konjunktur gehalten und schließlich gemeint, mir würde ja offensichtlich nicht viel an meinem Job liegen, wenn ich es vorzöge, die nächsten zwei Wochen Urlaub zu machen.«
»Das ist übel. Hast du schon eine Idee, wie es weitergehen soll?«
»Nein, Chase«, erwidere ich knapp und werfe dann einen Blick auf die Uhr meines Handys. »Ich bin vor etwa einer Stunde gefeuert worden. Ich habe noch keinen blassen Schimmer, was ich jetzt tun soll.«
Er schüttelt den Kopf. Er weiß, dass er mich wütend gemacht hat, ist aber klug genug, das auf sich beruhen zu lassen.
»Warum bist du hier?«, frage ich abrupt. Chase bringt mich aus dem Konzept. Manchmal reicht ein Blick, und ich weiß ganz genau, was er denkt, dann wieder schaut er mich so an wie jetzt und schweigt, obwohl ich ihm ansehe, dass er einiges zu sagen hätte. Das ist einer der Gründe, weshalb wir aufgehört haben zu reden – weil er immer nur stumm geguckt hat.
»Weil ich dich vermisst habe?«, erwidert er mit einem Grinsen und einem Zwinkern. Was immer ihm vorhin durch den Kopf gegangen ist, ist verflogen.
Er zieht mich auf und ich fühle mich wieder wie damals, als noch alles gut war zwischen uns, wenn auch nur für den Augenblick. Ich habe nichts dagegen.
Ich verdrehe lächelnd die Augen, und es ist das erste ehrliche Lächeln seit dem Mittagessen mit Marcia. »Ich dachte, du wärst in L.A.«
»War ich auch. Warst du in letzter Zeit mal in Nics und Zacks Nähe? Es ist, als würde man den ganzen Tag einen Porno schauen. Ich bin Anfang der Woche geflüchtet.« Er trinkt einen Schluck und setzt eine grimmige Miene auf, aber ich weiß, dass er nicht wirklich böse ist. Tatsächlich vermute ich, dass es ihm sogar Spaß macht, die beiden Turteltauben zu beobachten.
»Und warum bist du hier?«
»Ich dachte mir, ich komme mal vorbei und frage, warum du nie zurückgerufen hast.«
Ich stelle mein Glas ab und stütze beide Hände auf die kalte Oberfläche der Bar, um das leichte Zittern meiner Finger zu verbergen. Wie soll ich das erklären, ohne zu klingen wie eine Bitch oder eine Schlampe? Ich wollte nur Sex, und du wolltest plötzlich mehr? Achselzuckend kehre ich ihm den Rücken zu und krame Käse und Trauben aus dem Kühlschrank, ohne auf seine Frage einzugehen.
Ich stecke mir eine Traube in den Mund und drehe mich wieder um, als ich Chase seufzen höre, das Signal, dass er aufgibt.
»Gut, lassen wir das für den Moment. Ich bin vorbeigekommen, weil ich heute Abend mit dem Jet nach Kalifornien fliege. Ich dachte mir, ich erspare dir den Linienflug morgen in aller Herrgottsfrühe.”
Im ersten Moment bin ich sprachlos, nicht nur, weil er das Thema auf sich beruhen lässt, sondern weil er mir auch noch einen Freiflug anbietet. Warum muss der Kerl immer so verdammt nett sein?
»Mein Ticket ist nicht stornierbar.« Das ist eine lahme Ausrede, und ich wende mich ab, um mein Glas ein weiteres Mal zu füllen und um seinem Blick auszuweichen, der keinen Zweifel daran lässt, wie dumm sie tatsächlich ist. »Außerdem habe ich noch nicht gepackt.« Als wäre das von Bedeutung.
»Halt die Klappe, Mia. Ich möchte, dass du mit mir fliegst. Ich kann dir die Kosten für dein Ticket erstatten.« Er klingt jetzt genervt.