Nur eine Nacht der Liebe - Kathryn Jensen - E-Book

Nur eine Nacht der Liebe E-Book

Kathryn Jensen

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Beschreibung

Ewig haben sie sich nicht gesehen, dennoch knistert es gleich wieder sinnlich zwischen ihnen. Kronprinz Jacob hat es geahnt: Allison hat das gewisse Etwas! Zu einer letzten Nacht auf seiner Jacht lädt er sie ein – bevor er seine standesgemäße Braut heiratet …

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IMPRESSUM

Nur eine Nacht der Liebe erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Katja Berger, Jürgen WelteLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Christina SeegerGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 1997 by Kathryn Pearce Originaltitel: „I Married A Prince“ erschienen bei: Silhouette Books, Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe 1998 in der Reihe COLLECTION BACCARA, Band 140 Übersetzung: Astrid Hartwig

Umschlagsmotive: mauritius images / Radius Images / Siephoto

Veröffentlicht im ePub Format in 10/2021 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783751503433

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, HISTORICAL, TIFFANY

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1. KAPITEL

Viel Zeit bleibt nicht, dachte Jacob.

Es gab nur wenig, was er für Geld nicht bekommen konnte. Für ihn schien selbst das Glück käuflich zu sein. Neunundzwanzig Jahre lang hatte er das Vermögen der von Karloffs nach Lust und Laune ausgegeben. Damit sollte nun Schluss sein.

„Verdammt!“ Er knüllte die Nachricht zusammen und warf sie ins blaugraue Wasser, das gegen den Rumpf der schnittigen Motorjacht plätscherte. Die Sonne stieg am wolkenlosen Septemberhimmel auf und strahlte auf die kleine Bucht an der Küste von Connecticut, wo die Queen Elise in der vergangenen Nacht geankert hatte.

„Schlechte Nachrichten, Eure Hoheit?“, hörte er die vertraute Stimme mit dem schweren britischen Akzent hinter sich sagen.

„Schlimmer könnte es nicht sein, Thomas.“

„Der Fürst? Hatte er wieder eine Herzattacke?“

Jacob wirbelte herum und sah Thomas an, der sein Bodyguard, sein Chauffeur, Sekretär und selbst ernannter Ratgeber in einer Person war. Außerdem war er sein Vertrauter, manche behaupteten auch, sein einziger Freund.

„Meinem Vater geht es besser als den meisten in seinem Kabinett“, sagte Jacob wütend. Seine schlechte Laune verstärkte die Kopfschmerzen und die Katerstimmung, mit der er aufgewacht war. „Es geht ihm besser als mir im Moment.“ Er hielt sich die Stirn.

„Soll ich Ihnen eine Bloody Mary bringen, Eure Hoheit?“

„Hoheit“, wiederholte Jacob verächtlich. „Hören Sie auf mit diesem Quatsch! Es sind keine Reporter in der Nähe.“

„Wie Sie wünschen, Sir“, sagte Thomas mit dem Anflug eines Lächelns. „Soll ich das Getränk servieren?“

„Nein.“ Jacob schüttelte den Kopf. Ihm wurde schwindlig. „Schwarzer Kaffee wäre mir lieber.“

Thomas brachte ihm einen Becher schwarzen Kaffee. Nach einigen Schlucken schien sich die Welt um Jacob zu stabilisieren. Sie standen eine Weile schweigend an der Reling. Einige Männer der Crew liefen geschäftig hin und her und verschwanden schließlich wieder unter dem polierten Holzdeck der Queen Elise. Die hochseetüchtige, zweihundert Fuß lange Luxusjacht hatte Jacob zu seinem sechzehnten Geburtstag von seinem Vater bekommen. Seitdem war die Jacht sein Zuhause. Aber an diesem Morgen tröstete sie ihn nicht.

„Den Kater haben Sie verdient, soviel wie Sie getrunken haben“, bemerkte Thomas, bevor er an seiner schwarzen Zigarre zog.

„Wahrscheinlich.“ Jacob seufzte. Außer seinem Vater und Frederik, der langjährige Berater seines alten Herrn, war Thomas der Einzige, der sich von Jacobs Geld und Position nicht einschüchtern ließ. Thomas nahm nie ein Blatt vor den Mund. Und sein Vater setzte sich stets durch, wenn er etwas wollte.

Was der Fürst von Danubia nun wollte, nein verlangte, war, dass sein einziger Sohn heiraten sollte, und zwar bis Weihnachten. Noch vor seinem dreißigsten Geburtstag. So war es Tradition in der Familie.

Seit über fünfhundert Jahren hatten die Kronprinzen von Danubia, einem europäischen Fürstentum kleiner als Liechtenstein, pflichtbewusst den Gesetzen der Thronfolge gehorcht. Nun war die Reihe an Jacob. Er hielt politische Ehen für mittelalterliche Idiotie und hatte immer gehofft, dieser Falle irgendwie zu entkommen. Doch wie es aussah, blieb ihm nicht viel übrig. Entweder er folgte der Tradition, oder er musste auf den Thron verzichten.

„Mein Vater lässt nicht locker, Thomas“, sagte Jacob, während er die glänzende Messingreling mit beiden Händen umklammerte und aufs Wasser schaute. „Er behauptet, ich hätte genug Zeit gehabt, mir eine passende Frau zu suchen. Das da …“ Er zeigte auf die Stelle, wo der zerknüllte Zettel untergegangen war. „… war die Liste junger Damen, von denen er glaubt, sie seien den Aufgaben der zukünftigen Fürstin von Danubia gewachsen.“

Thomas sah ihn an. „Sie wussten, dass dieser Tag kommen würde.“

„Ja. Aber er schien immer so weit weg … bis heute.“

„Als einziger Thronfolger von Danubia müssen Sie für Nachkommen sorgen“, sagte Thomas sanft. „Wenn die von Karloffs aussterben, hat Ihr Land keine Zukunft.“ Thomas war in jeder Hinsicht ein Engländer, daran würde sich auch nie etwas ändern. Trotzdem lag ihm das Schicksal Danubias am Herzen, ebenso wie das Schicksal seines Arbeitgebers.

Jacob fuhr sich mit der Hand durch sein pechschwarzes Haar. Er wusste, dass Thomas recht hatte. Seit Jahren quälten ihn Schuldgefühle, wenn er an seine Pflichten dachte, aber sein angeborener Eigensinn war stärker als die Tradition.

Sein Ärger legte sich ein wenig, als er den Blick über die Bucht mit dem weißen Sandstrand und den sich dahinter erhebenden Felsen gleiten ließ. Er hatte gestern Nacht beschlossen, hier zu ankern, nachdem er den letzten seiner Gäste an Land gebracht hatte. Etwas hatte ihn an diesen Ort zurückgezogen. Er wusste nicht genau, was es war. Vielleicht wollte er eine Weile allein sein oder auch nur die Sonne über dieser vertrauten Bucht namens Nanticoke Bay aufgehen sehen.

Die Landschaft hier war so anders als das landumschlossene Danubia. Danubia war wie Monaco und Liechtenstein ein Fürstentum, ein Anachronismus in der modernen Hightechwelt. Thomas hatte recht. Nur das Festhalten an Traditionen konnte verhindern, dass solche Zwergstaaten von anderen Ländern geschluckt wurden.

Danubia besaß kaum nennenswerte Industrie. Kein Öl, keine Diamanten oder sonstige Bodenschätze. Keinen Zugang zum Meer. Aber es gab wunderschöne Seen, atemberaubende Berge und einmalig schöne, alte Schlösser. Danubia lebte vom Tourismus. Und der konnte auf den Glamour der Fürstlichen Familie und die vielen Veranstaltungen in der Hauptstadt nicht verzichten.

Jacob presste die Hände an seine Schläfen. „Der Fürst sagt, ich muss nach Hause kommen und mir eine Braut suchen. Sofort. Auf dem Zettel standen seine zehn Favoritinnen.“

„Und?“, fragte Thomas amüsiert.

„Ich will keine von ihnen.“

„Wenn es dieselben jungen Damen sind, die Ihr Vater früher schon erwähnt hat, dann sind alle recht akzeptabel. Aus adliger Familie, mit tadellosem Ruf. Einige von ihnen sind auch sehr hübsch.“

„Heiraten Sie sie doch!“ Jacob trank seinen Kaffee aus und warf den Becher auf den Sessel, in dem gestern Abend eine New Yorker Schauspielerin mit außergewöhnlich langen Beinen und einem einladenden Lächeln gesessen hatte. „Diese Frauen lassen mich kalt.“

„Trotzdem hatten Sie, wenn ich mich recht entsinne, mit einigen dieser Damen … nun ja, eine Beziehung.“

„Ich habe mit Dutzenden von Frauen aus allen Ländern der Welt geschlafen“, gab Jacob offen zu. „Aber das bedeutet doch nicht, dass ich den Rest meines Lebens mit ihnen verbringen will.“

Thomas legte die Hand auf Jacobs Schulter. „Andere Männer haben ihrem Land gegenüber weitaus unangenehmere Verpflichtungen“, bemerkte er freundlich.

Jacob nickte. „Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich kenne meine Pflichten. Und ich hatte auch vor, sie zu erfüllen. Aber nun ist der Zeitpunkt gekommen, und … Verdammt, ich kann es einfach nicht. Warum, weiß ich selbst nicht. Ich …“ Er zögerte. „Es gab mal jemanden … Aber sie …“

„Eine Frau?“, fragte Thomas hoffnungsvoll.

„Ja. Sie war etwas Besonderes. Sie war …“ Was hatte sie ihm bedeutet in jenem Sommer vor zwei Jahren? Die Amerikanerin mit den großen, blaugrünen Augen und dem hellblonden Haar, das wie Champagner über ihre Schultern floss. Sie war nett, unkompliziert, zärtlich und leidenschaftlich. Er hatte sich zu ihr hingezogen gefühlt wie zu keiner anderen Frau in seinem Leben.

Aber sie war eine Bürgerliche. Noch dazu eine Amerikanerin, was nach Ansicht seines Vaters noch schlimmer war. Jacob hatte von Anfang an gewusst, dass er sie verlassen musste. Eines Nachts hatte er es dann getan. Schweren Herzens. Er ging fort, ohne ihr zu erklären, wer er war und warum er nicht bei ihr bleiben konnte.

Wochen hatte es gedauert, bis er über die Trennung halbwegs hinwegkam. Schließlich konzentrierte er sich auf sein Studium, das vor den Prüfungen anstrengend und zermürbend war. Die Monate vergingen. Er hatte überlebt.

Etwas allerdings bereitete ihm Sorgen. Sein Liebesleben. Mehr als zwei Jahre waren vergangen, seit er sie verlassen hatte, und bei keiner Frau hatte er je wieder dieses wundervolle Gefühl der Erfüllung und Glückseligkeit gefunden, das er in ihren Armen verspürt hatte.

Jacob blickte auf die Felsenküste, die in der Herbstsonne goldgelb leuchtete. Das Wasser war zum Schwimmen noch warm genug, doch der Winter kündigte sich bereits an.

„Diese Frau“, begann Thomas vorsichtig. „Sind wir ihretwegen gestern Nacht hierhergekommen, wo es doch einfacher gewesen wäre, in Greenwich anzulegen?“

Jacob runzelte die Stirn. Schließlich nickte er widerwillig. „Sie heißt Allison“, flüsterte er. Seit jener Nacht hatte er ihren Namen nicht mehr ausgesprochen, aber er hatte an sie gedacht. Viel zu oft.

„Kommt sie als Ehefrau nicht infrage?“, wollte Thomas wissen.

„Nein.“ Jacob lachte gereizt. „Sie ist alles andere als eine Prinzessin. Mein Vater würde sie nie akzeptieren.“

„Verstehe.“ Thomas seufzte. „Wollen Sie sich mit ihr treffen?“

Jacob blickte zu den Strandhäusern hinüber, die mit ihren weißen Schindelfronten, den luftigen Veranden und dunkelgrünen Fensterläden so typisch für New England waren. „Ja“, sagte er entschlossen. „Ich muss sie noch einmal sehen. Dann höre ich vielleicht auf, ständig an sie zu denken und andere Frauen mit ihr zu vergleichen. Ich weiß selbst nicht, warum ich so …“ Er suchte nach Worten. „So besessen von ihr bin. Sie spukt mir dauernd im Kopf herum!“

Wütend schlug er mit der Faust auf die Reling. „Sie gehört zu den unerledigten Dingen in meinem Leben, das ist alles. Ich will sie wiedersehen, damit ich endlich von ihr loskomme.“

„Sie meinen, Sie wollen die Affäre erneuern?“

„Wenn’s sein muss, auch das“, gab Jacob entschlossen zurück. „Danach fahre ich nach Danubia und treffe die notwendigen Entscheidungen.“

Es war wieder einmal ein mittelmäßig schlechter Tag für Allison Collins.

Als sie am Morgen zur Arbeit gehen wollte, klammerte der kleine Cray sich an sie. Er hatte Fieber und weinte. Ihre Schwester Diane war vollauf mit ihren eigenen drei Kindern beschäftigt. Die beiden ältesten scheuchte sie zum Schulbus, während sie das jüngste anzog. In Kürze würden ihre drei Tageskinder eintreffen. Ein fünfzehn Monate altes, krankes Kleinkind zu versorgen, bedeutete noch zusätzliche Arbeit.

„Es tut mir leid. Ich sollte Cray nicht bei dir lassen, wenn er so jammert“, entschuldigte sich Allison.

„Hör auf mit diesem Schuldkomplex“, sagte Diane. „Er ist eben in dem Alter, wo er jammert, wenn du weggehst. Ich gebe ihm etwas gegen das Fieber, und in zehn Minuten geht’s ihm wieder gut.“

„Ich weiß nicht recht, vielleicht sollte ich heute lieber freinehmen und bei ihm bleiben.“ Es klang wundervoll und war genau das, was Allison eigentlich jeden Tag tun wollte. Immer wenn sie Cray verließ, hatte sie ein Gefühl, als würde ihr das Herz aus dem Leib gerissen. Aber was blieb einer alleinerziehenden Mutter übrig?

Allison war froh, dass ihre Schwester sich um Cray kümmerte und nur die Hälfte des üblichen Honorars nahm. Tagesplätze waren teuer, und viel verdiente eine Bibliothekarin in einer kleinen Stadt wie Nanticoke nicht.

Vor fünf Jahren waren ihre Eltern nach Florida gezogen und hatten ihr das Strandhaus überlassen. Allison wohnte gern dort. Zwar musste sie Steuern auf das Grundstück bezahlen, Kleidung, Lebensmittel, Arztrechnungen und was sonst noch so anfiel, aber irgendwie gelang ihr all dies, ohne Schulden zu machen. Sie beklagte sich auch nicht über ihre Lage. Viele Familien mussten kämpfen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Aber Allison hatte ständig das Gefühl, für Cray nicht genug Zeit zu haben. Und das störte sie. Sie kam sich manchmal wie eine Rabenmutter vor.

Wenigstens haben wir ein Dach über dem Kopf, dachte sie seufzend. Dann löste sie sich von Crays klammernden kleinen Fingern und lief durch die Küche. Noch bevor die Tür hinter ihr ins Schloss fiel, hörte sie seinen Protest. Sie biss sich auf die Unterlippe, sprang in ihren Wagen und flüchtete.

In der Bibliothek wartete die Kindergruppe auf sie. Es war Vorlesetag. Allison nahm die beiden Bücher, die sie schon am Vortag herausgesucht hatte, und begann zu lesen. Da sie den größten Teil der Nacht mit Cray auf dem Arm verbracht und kaum geschlafen hatte, kostete es sie einige Mühe, die gewohnte Begeisterung in ihre Stimme zu legen.

Nach den Kindern kamen die Erstausgaben an die Reihe. Die Sammlung musste katalogisiert werden. Mehrere Stunden täglich arbeitete Allison daran. Mittags sprang sie für Kollegen ein, die zum Lunch gegangen waren. Dann folgte der übliche Nachmittagsansturm, besonders in der Kinderecke, die nicht selten als Betreuungsraum missverstanden wurde. Manche Eltern lieferten ihre Kinder dort ab und machten dann ihre Besorgungen. Eine Unsitte, die vom Personal nicht gern gesehen wurde, denn schließlich sollten die Bibliothekare den Kunden helfen, bestimmte Bücher zu finden, und nicht quengelnde und tobende Kinder beruhigen.

Um fünf Uhr konnte Allison vor Müdigkeit kaum noch aus den Augen schauen.

„Du siehst erschöpft aus“, sagte ihre Kollegin Miriam, als Allison wortlos an ihr vorbei Richtung Ausgang lief.

„Ich hole nur noch mein Baby ab, und dann fahre ich nach Hause und setze mich mit einem großen Glas Eistee auf die Veranda“, murmelte Allison, ohne stehen zu bleiben.

Nach Hause, nur noch nach Hause, dachte sie, als sie die ausgetretenen Granitstufen hinunterging, den Blick nach unten gesenkt. Nichts mehr hören und nichts mehr sehen.

„Alli?“

Sie blieb stehen. Das Blut schien in ihren Adern zu gefrieren, aber ihre Wangen glühten. Diese tiefe Stimme mit dem leichten Akzent erkannte sie sofort. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Allison hielt sich die Hand vor den Mund, um ihren erschreckten Aufschrei zu unterdrücken.

Erst nachdem sie mehrmals tief durchgeatmet hatte, wagte sie aufzublicken. „Hallo, Jay“, sagte sie und sah in die blaugrauen Augen des Mannes, der sich ihr in den Weg stellte.

Er lächelte.

Sie runzelte die Stirn.

„Freust du dich nicht, mich zu sehen?“, fragte er.

„Warum sollte ich?“, gab sie schnippisch zurück. Sie wollte sich an ihm vorbeidrängen, doch er blockierte erneut ihren Weg.

Attraktiv und selbstbewusst stand er vor ihr. Unter seinem türkisfarbenen Golfhemd spannten sich die Muskeln beim Atmen.

„Wir waren doch mal gute Freunde“, erwiderte er mit einem zweideutigen Zwinkern in den Augen, das sie nur allzugut verstand.

Meine Güte, dachte sie. Wieso werde ich immer noch schwach, wenn ich ihn nur ansehe? Nach so langer Zeit? „Das ist lange her“, sagte sie abweisend. „Ich muss jetzt nach Hause.“

Er blickte auf ihre linke Hand. „Wie ich sehe, bist du noch nicht verheiratet“, stellte er zufrieden fest.

„Warum auch?“ Sie täuschte einen Schritt nach links an und lief dann rechts an ihm vorbei zu ihrem Wagen. „Affären mit Typen wie dir genügen doch. Guter Sex, keine Verpflichtungen“, rief sie ihm über die Schulter zu. Ihre Verbitterung war unüberhörbar. Aber das störte sie nicht. Sie wollte, dass er verschwand. Für immer.

Ihre Gedanken überschlugen sich. Warum war er zurückgekommen? Warum gerade jetzt, wo sie ein neues Leben begonnen hatte? Ohne die schmerzlichen Erinnerungen an jene wundervollen Wochen mit ihm.

Als sie ihren Wagen aufschloss, legte er seine breite Hand auf ihre.

„Fass mich nicht an“, warnte sie ihn. „Ich schwöre, wenn du mich …“

Er nahm sofort beide Hände hoch und trat einen Schritt zurück. „Keine Sorge, ich will nur mit dir reden.“

„Nein.“

„Warum nicht?“

„Das fragst du noch?“, fuhr sie ihn wütend an. „Wir waren ein Liebespaar, Jay! Zwei Monate lang. Und dann bist du verschwunden. Hast du das vergessen?“

„Nein“, sagte er sanft. Für einen Moment schienen sich seine Augen aufzuhellen. Doch gleich darauf wurde sein Blick wieder hart und entschlossen.

„Dann weißt du sicher auch noch, dass du dich nicht mal verabschiedet hast. Du hast mir nicht gesagt, dass du am nächsten Tag nicht mehr wiederkommen würdest. Du bist einfach verschwunden.“ Sie sah ihn herausfordernd an. Versuch ja nicht, es abzustreiten, sagte ihr Blick.

Er zuckte die Achseln und lachte verlegen. „Na ja, ich wusste wohl nicht, wie man bei euch ‚mach’s gut‘ sagt.“

„Ach so!“ Sie stieß ihn vor die Brust. Dann sprang sie in den Wagen und startete den Motor.

„Alli! Warte!“ Wütend riss er die Wagentür auf und zerrte sie aus dem Sitz.

„Was willst du von mir?“, schrie sie verzweifelt. Ihre Stimme zitterte, Tränen hingen in ihren Wimpern.

Hatte er ihr nicht schon genug angetan? Er war der erste Mann, der sie berührt hatte. Ihre erste Liebe. Und bis heute ihre einzige Liebe. Er hatte sie verlassen, als sie schwanger war. Mit dem Kind, das sie in einer Liebesnacht am Strand gezeugt hatten. Sie hatte an die große Liebe geglaubt und wäre vor Kummer fast gestorben.

Als sie entdeckte, dass sie schwanger war, war er verschwunden. Sie traf ihre Entscheidung und bereitete sich darauf vor, allein für ihr Kind zu sorgen. Immer wieder sagte sie sich, dass sie mit allem fertig werden würde, wenn sie diese Zeit durchstand. Sie hatte nicht damit gerechnet, eines Tages den Mann wiederzusehen, der sie so bitter enttäuscht hatte.

„Ich möchte dir nur eine Freude machen“, sagte er.

Diese Masche hat er geübt, dachte sie argwöhnisch. „Die größte Freude kannst du mir machen, wenn du mich in Ruhe lässt, Jay.“

„Na, na.“ Er schüttelte den Kopf. Ein Windstoß ließ eine Haarsträhne auf seiner Stirn tanzen, als er sie eindringlich ansah.

Allison bekam Angst. Was sollte sie tun, wenn er noch näher kam? Um Hilfe rufen? Diesen Gedanken verwarf sie. Etwas in seinen Augen, dieses schelmische Funkeln weckte ihre Neugier.

„Lass uns am Strand spazieren gehen“, schlug er vor. „Ich muss dir etwas sagen. Es wird dir bestimmt gefallen.“

Sie seufzte. „Ist das der einzige Weg, dich loszuwerden?“

„Sieht so aus.“ Er grinste.

„Ich muss verrückt sein“, murmelte sie. „Also gut. Zehn Minuten.“

Als er nun den Weg freigab, spurtete sie über die Straße. Sie brauchte Bewegung, um ihre Spannung zu entladen.

„Hey, warte!“, rief Jacob ihr nach. Mit Riesenschritten versuchte er sie einzuholen.

Um diese Jahreszeit war der Strand menschenleer. Die Sonnenhungrigen waren verschwunden. Allison atmete die salzige Luft ein. Die Schreie der Seevögel übertönten beinahe das Rauschen der Wellen. Sie liebte das Meer. Es wirkte beruhigend und ermutigend. Ich muss mich von diesem Kerl nicht nervös machen lassen, sagte sie sich. Sie brauchte ihm nur klarzumachen, dass sie ihn nicht mehr sehen wollte.

Sie könnte auch etwas erfinden. Behaupten, sie hätte einen Freund. Oder Mann und Kind … Nein, das durfte sie auf keinen Fall sagen. Womöglich erriet er dann die Wahrheit.

Als sie das Wasser erreichte, blieb sie stehen und blickte aufs Meer. Zwei Boote segelten vor der Küste. Im Hafen lagen noch viele Boote und Jachten, die frühestens nächsten Monat ins Winterquartier gebracht wurden. Draußen in der Bucht ankerte eine weiße Jacht. Sie war mindestens dreimal so lang wie die größte Jacht im Hafen.

„Fantastisch“, sagte Allison bewundernd.

Jacob hatte sie eingeholt. „Nicht schlecht, oder?“

Sie nickte. „So eine große Jacht sehe ich zum ersten Mal in Nanticoke Cove.“

„Sie heißt Queen Elise und schafft die Atlantiküberquerung einen ganzen Tag schneller als die Queen Elizabeth 2.“

Allison blickte auf die Wellen, die ihre Füße umspülten. „Warum machst du das, Jay?“

Er lachte. „Ich habe keine Ahnung, was du meinst.“

„Du weißt doch gar nicht, wie das Schiff heißt. Du probierst nur eine neue Taktik mit mir aus.“

„Nein. Ehrlich nicht, Alli.“

Sie sah ihn geringschätzig an. „Vor zwei Jahren hast du mir erzählt, du würdest in Yale Politik studieren und wärst kurz vor dem Examen.“

„Das stimmte auch.“

„Lüg mich nicht an, Jay!“, rief sie wütend. „Du warst nie Student in Yale. Ich weiß es. Ich habe es nachgeprüft.“

Er sah sie stumm an.

Wenn sie nur daran dachte, wie verzweifelt sie ihn gesucht hatte, kamen ihr die Tränen. Sie hatte ihm erzählen wollen, dass sie ein Kind von ihm erwartete. Sie war durcheinander und einsam. Am Schluss wollte sie ihm nur noch mitteilen, dass sie das Kind bekommen wollte und dass er sich entscheiden könne, ob er die Verantwortung als Vater übernehmen wollte.

„Halt den Mund“, sagte sie, als er etwas erwidern wollte. „Ich habe bei der Uni angerufen. Dreimal sogar. Jedes Mal erhielt ich dieselbe Auskunft. Ein Jay Thomas war in Yale nie eingeschrieben.“

Er sah sie bewundernd an. „Du hast tatsächlich versucht mich aufzuspüren?“

Ihre Augen funkelten vor Wut. „Du hast mich belogen, Jay. Du wolltest nur einen kleinen Sommerflirt. Und ich war so naiv zu glauben, du würdest mehr für mich empfinden.“

„Verzeih mir“, sagte er ernst. „Ich möchte es wiedergutmachen. Deswegen bin ich hier. Darf ich dich zum Dinner einladen?“

Fassungslos drehte sie sich um und ging ein paar Schritte am Strand entlang. „Unglaublich“, murmelte sie wütend. Erst verschwindet er ohne eine Nachricht, lässt mich mit dem Baby allein, und dann meint er, er braucht mir nur ein Essen zu spendieren, und alles ist wieder gut.