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Mit der Hilfe von Old Wabble, dem "König der Cowboys", will Old Shatterhand den geheimnisvollen Westmann Old Surehand aus den Händen feindlicher Indianer befreien. Später gesellt sich Winnetou zu ihnen. Im "Llano Estacado" kommt es dann zu einer schicksalhaften Begegnung. Die vorliegende Erzählung spielt Ende der 60er-Jahre des 19. Jahrhunderts. "Old Surehand. Erster Band" wird fortgesetzt in "Old Surehand. Zweiter Band" (Band 15).
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Seitenzahl: 680
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KARL MAY’s
GESAMMELTE WERKE
BAND 14
OLD SUREHAND
ERSTER BAND
REISEERZÄHLUNG
VON
KARL MAY
Herausgegeben von Dr. Euchar Albrecht Schmid
© 1949 Karl-May-Verlag
ISBN 978-3-7802-1514-7
KARL-MAY-VERLAG
BAMBERG • RADEBEUL
Auf meinen vielen Reisen und weiten Wanderungen habe ich, besonders unter den so genannten Wilden und Halbzivilisierten, sehr oft Menschen gefunden, die mir liebe Freunde wurden und denen ich noch heute ein treues Andenken bewahre und bis zu meinem Tod weiter bewahren werde. Keiner aber hat meine Liebe in dem Grade besessen wie Winnetou, der berühmte Häuptling der Apatschen. Meine Freundschaft zu ihm hat mich immer und immer wieder, selbst aus dem fernen Afrika und Asien, zu ihm hinübergetrieben in die Prärien, Wälder und Felsengebirge Nordamerikas. Selbst wenn meine Ankunft drüben nicht vorher bestimmt war und wir also kein Stelldichein hatten verabreden können, wusste ich ihn doch bald zu treffen. Entweder ritt ich in solchen Fällen nach dem Rio Pecos zu dem Sonderstamm der Apatschen, dem er angehörte, und erfragte dort, wo er sich befand, oder ich erfuhr es von den Westmännern oder Indianern, die mir begegneten. Winnetous Taten sprachen sich schnell herum, und wo er sich sehen ließ, wurde sein Erscheinen bald in weitem Umkreis bekannt.
Häufig aber konnte ich ihm beim Scheiden sagen, wann ich wiederkommen würde, und dann wurde Ort und Zeit unseres Zusammentreffens vorher genau bestimmt. Ich richtete mich dabei nach dem Datum, während er sich der indianischen Zeitbestimmung bediente, und so unzuverlässig diese zu sein scheint, er war stets auf die Minute an Ort und Stelle und es ist niemals vorgekommen, dass ich auf ihn zu warten hatte.
Nur ein einziges Mal hatte es den Anschein, aber auch nur den Anschein, als ob er nicht pünktlich sei. Wir mussten uns hoch oben im Norden an dem so genannten Côteau trennen und wollten uns vier Monate später unten in der Sierra Madre treffen. Da fragte er mich:
„Mein Bruder kennt das Wasser, das Clearbrook[1] genannt wird. Wir haben dort miteinander gejagt. Besinnst du dich auf die Lebenseiche, unter der wir damals des Nachts lagerten?“
„Ganz genau.“
„So können wir uns nicht verfehlen. Der Wipfel dieses Baumes ist verdorrt und wächst also nicht mehr. Wenn um die Mittagszeit der Schatten der Eiche gerade fünfmal die Länge meines Bruders hat, wird Winnetou dort ankommen. Howgh!“
Ich hatte dies natürlich in unsere Zeitrechnung zu übersetzen und traf zur bestimmten Zeit dort ein. Es war weder Winnetou noch eine Spur von ihm zu sehen, obgleich die Schattenlänge der Eiche genau fünfmal die meinige betrug. Ich wartete mehrere Stunden lang; er stellte sich nicht ein. Ich wusste, dass ihn nur ein Unfall hindern konnte, ein gegebenes Wort zu halten, und wollte darum schon besorgt um ihn werden; da kam mir der Gedanke, dass er schon hier gewesen sein und einen triftigen Grund gehabt haben könnte, nicht auf mich zu warten. In diesem Fall hatte er mir sicherlich ein Zeichen hinterlassen. Ich untersuchte also den Stamm der Eiche – und richtig! Es steckte darin in Manneshöhe ein kleiner verdorrter Fichtenzweig. Da eine Eiche keine Fichtenzweige hat, so musste er mit Absicht angebracht worden sein, und zwar schon vor längerer Zeit, weil er vollständig vertrocknet war. Ich zog ihn heraus und mit ihm ein Papier, das um sein zugespitztes, unteres Ende festgewickelt war. Als ich es aufgerollt hatte, las ich die Worte:
„Mein Bruder komme schnell zu Bloody-Fox, den die Komantschen überfallen wollen. Winnetou eilt, ihn noch rechtzeitig zu warnen.“
Diejenigen meiner Leser, die Winnetou kennen, wissen, dass er sehr wohl lesen und auch schreiben konnte. Er führte fast stets Papier bei sich. Die Nachricht, die ich hiermit von ihm erhielt, war keine gute; sie machte mich um ihn besorgt, obgleich ich wusste, dass er jeder Gefahr gewachsen war. Auch um Bloody-Fox wurde mir bange, denn er war sehr wahrscheinlich verloren, wenn es Winnetou nicht gelang, ihn noch vor der Ankunft der Komantschen zu erreichen. Und was mich selbst betrifft, so war auch meine Lage nichts weniger als unbedenklich. Bloody-Fox hauste auf einer, ja, wohl der einzigen Oase des öden Llano estacado, und der Weg dorthin führte durch das Gebiet der Komantschen, mit denen wir oft feindlich zusammengeraten waren. Wenn ich in ihre Hände fiel, war mir der Marterpfahl gewiss, zumal dieses Indianervolk vor längerer Zeit ‚die Kriegsbeile ausgegraben‘ und mehrere beutereiche Raubzüge unternommen hatte.
Unter diesen Umständen galt es für mich, nicht lange zu zaudern, sondern so schnell wie möglich zu handeln. Ich war zwar allein und auf mich selbst angewiesen; aber ich hatte gute Waffen und ein ausgezeichnetes Pferd, auf das ich mich verlassen konnte. Auch kannte ich die Gegend genau, die ich zu durchreiten hatte, und sagte mir, dass es für einen erfahrenen Westmann leichter sei, allein durchzukommen, als in Begleitung von Leuten, denen er nicht vollständig trauen kann. Und hätte es außerdem noch irgendein Bedenken gegeben, so wäre es hinfällig geworden vor dem Bewusstsein: Bloody-Fox befindet sich in Gefahr; er muss gerettet werden. Ich stieg also auf mein Pferd und folgte dem Wunsch meines roten Freundes und Bruders.
Solange ich mich in der eigentlichen Sierra befand, hatte ich weniger zu befürchten; es gab da Deckung genug und ich war gewohnt, gut aufzupassen. Dann aber kamen kahle Hochflächen, auf denen man schon aus sehr weiter Entfernung bemerkt werden konnte; sie waren von steilen Schluchten und tiefen Cañons durchschnitten, deren Pflanzenwuchs nur aus spärlichen Aloen und Kakteen bestand, hinter denen sich ein Reiter nicht verbergen kann. Ich konnte in einem solchen Cañon sehr leicht auf Komantschen stoßen; dann vermochte ich mich nur dadurch zu retten, dass ich schnell umkehrte und mich auf die Flüchtigkeit und Ausdauer meines Pferdes verließ.
Die gefährlichste dieser Schluchten war der so genannte Mistake Cañon[2], weil er den meist begangenen Indianerweg zwischen der Ebene und den Bergen bildete. Er hatte seinen Namen einer unheilvollen Verwechslung zu verdanken; man erzählte sich, dass dort ein weißer Jäger seinen besten Freund, einen Apatschen, an Stelle eines feindlichen Komantschen erschossen habe. Wer dieser Weiße und wer die beiden Roten gewesen waren, das wusste ich nicht; ich hatte die Namen nicht erfahren können. Auch abgesehen von seiner sonstigen Gefährlichkeit wurde der Cañon seitdem von abergläubischen Westmännern gemieden; man behauptete, dass es selten einem Weißen gelinge, ihn ohne Schaden zu passieren; der Geist des erschossenen Apatschen führe jeden ins Verderben.
Dieser Geist machte mir wenig Sorge; wenn ich nur auf keine menschlichen Feinde traf, so mochte er mir immer begegnen. Aber lange, bevor ich den Cañon erreichte, bemerkte ich die Spuren mehrere Reiter, die von der Seite her kamen und in meiner Richtung weiterführten. Ledige Pferde, Mustangs, konnten es nicht gewesen sein, weil es hier keine gab. Als ich abstieg und die Fährte untersuchte, bemerkte ich zu meiner Beruhigung und zugleich Verwunderung, dass die Pferde beschlagen gewesen waren; die Reiter hatten also nicht der roten Rasse angehört. Wer waren sie und was wollten sie hier?
Ein Stück Weges weiter war einer von ihnen abgestiegen, vielleicht um den Sattelgurt fester zu schnallen, und die anderen waren inzwischen weitergeritten. Ich betrachtete die Stelle genau und erkannte zur linken Seite seiner Fußspuren mehrere kurze, messerrückenschmale Einritzungen. Wovon? Hatte dieser Reiter einen Säbel getragen? Dann hatte ich Soldaten, Kavalleristen, vor mir. War etwa Militär gegen die Komantschen ausgerückt, um sie für die erwähnten Raubzüge zu bestrafen? Auf die Lösung dieser Frage höchst gespannt, folgte ich der Fährte im Galopp, und je weiter ich kam, desto mehr Spuren entdeckte ich, die von allen Seiten und nach allen Richtungen führten. Nun gab es keinen Zweifel mehr darüber, dass sich Truppen vor mir befanden, und als ich nach einiger Zeit um den Ausläufer eines dichten Kaktuswaldes bog, sah ich ihr Lager vor mir; und auf den ersten Blick bemerkte ich, dass dieses Lager nicht nur für kurze Zeit bestimmt war. Die Kaktusstrecke sicherte es vor jedem Überfall von hinten und von der Seite, und nach vorwärts konnte das Auge eine weite, offene Fläche beherrschen, sodass eine feindliche Überraschung unmöglich war. Freilich hatte man meine Annäherung von Westen her nicht bemerkt; man hätte hier selbst am hellen Tag einen Posten ausstellen müssen. Dass man dies unterlassen hatte, war jedenfalls eine Nachlässigkeit. Wie nun, wenn an meiner Stelle eine Indianerschar gekommen wäre?
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