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Als das Online-Rollenspiel Yggdrasil vor wenigen Tagen abgeschaltet werden sollte, strandete Momonga in der Gaming-Welt. Nun führt er seine Gilde als der Overlord Ainz Ooal Gown. Doch Wissen ist Macht – und ihm fehlt vor allem das Wissen über die veränderte Welt. So reist er als Abenteurer getarnt in die Stadt E-Rantel, um mehr zu erfahren. Aber etwas Düsteres nähert sich der Stadt …
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Seitenzahl: 397
Prolog
Kapitel 1 Zwei Abenteurer
Kapitel 2 Die Reise
Kapitel 3 Der Weise König des Waldes
Kapitel 4 Die Zwillingsschwerter des sicheren Todes
Epilog
Charakterprofile
Nachwort
Das Büro des Herrschers der Großen Gruft von Nazarick war äußerst luxuriös. Die gesamte Einrichtung bestand aus fein verzierten Möbeln und Gegenständen, die dem Raum eine Atmosphäre von Eleganz und Kostbarkeit verliehen. Weicher scharlachroter Teppichboden dämpfte jeden Schritt. Flaggen mit verschiedenen Designs hingen an der Wand am anderen Ende des Raumes.
Der Tisch in der Mitte war aus wunderschönem Elfenbein gehauen. Der Besitzer dieses Zimmers saß in einem schwarzen Ledersessel. Man konnte dieses Individuum, gekleidet in einen pechschwarzen Umhang, der aussah, als würde er jegliches Licht absorbieren, auch den »Dunklen Lord des Todes« nennen.
Sein kahler Kopf hatte weder Haut noch Haare – er bestand lediglich aus Knochen. Rote Flammen mit einem Hauch von Schwarz darin tanzten in seinen leeren Augenhöhlen. Einst war sein Name Momonga, doch nun verwendete er den Namen seiner Gilde, Ainz Ooal Gown.
Ainz faltete seine Knochenfinger. Seine neun Ringe glänzten und reflektierten das Licht, das vom Zauber Continual Light ausging. »Mann, und was mach ich jetzt?«
Acht Tage waren nun schon vergangen, seit das DMM-ORPG (Dive Massively Multiplayer Online Role-Playing Game) Yggdrasil seine Server heruntergefahren hatte und er auf mysteriöse Weise – in der Form dieses skelettartigen Avatars – in eine andere Welt versetzt worden war. Während dieser Zeit hatte er überprüft, in welchem Zustand sich das Schloss, die Große Gruft von Nazarick, befand und wie es um seine Lakaien und Untergebenen stand. Nachdem er jedoch festgestellt hatte, dass sich seine neue Situation nicht grundlegend vom In-Game-Zustand unterschied, hatte er beschlossen, seinen nächsten Zug zu planen.
»Alles wird zu Eurer Zufriedenheit umgesetzt, mein Lord.« Eine wunderschöne Frau, die still an Ainz’ Seite stand, antwortete ihm auf sein Gemurmel. Ihr Anblick war makellos und unvergleichlich und sie war in ein schneeweißes Kleid gehüllt. Ihr Lächeln glich dem einer Göttin und ihr langes, glänzendes Haar reichte ihr bis zur Hüfte, was einen starken Kontrast zu ihrem Kleid bildete. Aber sie war kein Mensch.
Ihre Augen waren golden und ihre Pupillen schmale Schlitze wie bei einer Echse. Große Hörner wuchsen ihr aus den Schläfen und wanden sich um ihren Kopf wie die eines Widders. Aus ihrem unteren Rücken sprossen zwei rabenschwarze Schwingen empor, die sich um ihre Gestalt schmiegten und sogar ihre Füße verdeckten.
»Hmm. Ich schätze deine Loyalität sehr, Albedo.«
Ihr Name war Albedo und sie war ein NPC und die Oberste der sieben Ebenenwächter der Großen Gruft von Nazarick. Ainz und die anderen Mitglieder seiner Gilde hatten das Schloss und die NPCs geschaffen, die nun ein eigenes Bewusstsein erlangt und Ainz ihre ewige Treue geschworen hatten. Es gefiel ihm, wie ein Herrscher behandelt zu werden, doch es war ihm auch eine Last, da er in seinem realen Leben nur ein einfacher Büroangestellter gewesen war. Sich vor seinen Untergebenen als Herr und Meister zu geben und ihnen Befehle zu erteilen, sodass alles in der Gruft reibungslos ablief – es gab vieles, das nun in seiner Verantwortung lag.
Das größte Problem war, dass der Gilde noch immer Informationen über die Außenwelt fehlten.
»Und der nächste Bericht?«
»Hier ist er, Lord Ainz.«
Ainz nahm einen Stapel Papiere entgegen und ließ den Blick über die dicke Schrift eines Füllhalters wandern. Es war ein Bericht der Wächterin der sechsten Ebene, Aura Bella Fiora.
In ihrem Bericht stand, dass sie bisher noch immer keinen anderen Spielern aus Yggdrasil begegnet waren und auch keine Spur von ihnen entdeckt hatten. Sie berichtete aber, dass ihre Untersuchung des Waldes nahe der Gruft nach Plan verlief und dass sie den See jenseits der Berge erreicht hatten.
Ainz nickte. Seine größte Sorge war, anderen Spielern zu begegnen, deshalb war er erleichtert, dass dem nicht so war. »In Ordnung. Bitte lass Aura wissen, dass sie ihren Befehl weiterhin nach Plan ausführen soll.«
»Verstand…« Es klopfte mehrfach leise an der Tür. Albedo sah erst zu Ainz hinüber, verbeugte sich dann und ging zur Tür, um zu öffnen. Als sie sah, wer es war, meldete sie: »Shalltear würde Euch gerne sprechen.«
Ainz gab ihr die Erlaubnis zum Eintritt und ein Mädchen im Alter von ungefähr vierzehn Jahren trat elegant durch die Tür. Sie war in ein schwarzes Ballkleid mit weitem Rock gekleidet und ihre blasse Haut mutete fast wie Porzellan an. Auch bei ihr war »unübertroffen« das richtige Wort, um ihr wunderschön geformtes Gesicht zu beschreiben. Ihr langes silbernes Haar wippte bei jedem ihrer Schritte, genau wie ihr Busen, der für ihr Alter sehr üppig schien. Sie war die Wächterin der ersten, zweiten und dritten Ebene, Shalltear Bloodfallen, die »Wahre Vampirin«.
»Ich hoffe, es geht Euch gut, Lord Ainz.«
»Danke, ich hoffe, dir auch, Shalltear. Was führt dich heute in mein Quartier?«
»Ich wollte natürlich Euer überaus attraktives Gesicht sehen.«
Ainz’ Schädel hatte keine Möglichkeit, seine Mimik zu verändern, doch die Flammen tief in seinen Augenhöhlen flackerten. Er wollte schon fast sagen, dass sie sich nicht so einschleimen sollte, entschied sich dann jedoch anders – der Grund dafür war, dass er sehen konnte, wie sich Albedos Ausdruck nach und nach veränderte, während sie aus dem Augenwinkel beobachtete, wie Shalltears rote Augen sich lüstern verengten. Ihre sanfte Ausstrahlung blieb unverändert und auch ihrer Schönheit tat es keinen Abbruch, doch ihr Lächeln hatte sich zur Grimasse eines eifersüchtigen Dämons verzerrt. Ainz machte das jedoch nichts aus – ihr Zorn galt einzig und allein Shalltear, nicht ihm.
»Bist du dann fertig, Shalltear? Lord Ainz und ich haben wichtige Dinge über die Zukunft der Großen Gruft von Nazarick zu besprechen. Würde es dir etwas ausmachen, zu gehen? Wir wollen nicht gestört werden.«
»Du könntest mich wenigstens begrüßen, bevor du mir Befehle erteilst. Sei nicht so überheblich, alte Schachtel. Wieso so eilig? Machst es wohl nicht mehr lange, was?«
»Willst du Ärger, du Klappergestell? Im Gegensatz zu dir habe ich wenigstens Kurven.«
»Wohl eher Hängetitten und tiefe Falten!«
»Du kannst dich noch so aufreizend zurechtmachen, das täuscht nicht darüber hinweg, dass an dir nichts dran ist – vor allem obenrum …«
»›Nichts dran?!‹ Ich bring dich um!«
»Dein letztes Stündlein hat geschlagen!«
Vor Ainz ragten zwei Wesen auf, deren Gesichtsausdruck schwer zu beschreiben war – er war aber so eisig, dass er die Sonne hätte gefrieren können. Er widerstand dem Drang, sein Gesicht in den Händen zu vergraben und schritt ein, bevor es zu Gewalttaten kommen konnte. »Schluss mit dem Kinderkram, ihr beiden.«
Beide reagierten auf Ainz’ Worte in gleicher Manier und strahlten ihn an. Gerade waren sie noch zwei Furien direkt aus der Hölle gewesen, doch nun standen dort zwei unschuldige, liebreizende Jungfern.
Frauen können wirklich Furcht einflößend sein … Oder vielleicht gilt das nur für die beiden hier? Sogar Ainz, bei dem größere Emotionsausbrüche gedämpft wurden, seit er ein Untoter war, war etwas unwohl bei den extremen Stimmungsschwankungen, denen er sich hier gerade gegenübersah.
Der wahre Grund für ihre Feindseligkeit war natürlich, dass sie Konkurrentinnen um Ainz’ Liebesgunst waren. Albedo und Shalltear waren beide unsterblich in Ainz verliebt – was bedeutete, dass Ainz von zwei unvergleichlich schönen Frauen begehrt wurde. Wer würde sich nicht darüber freuen?
Ainz jedoch konnte ihre Gefühle nicht einfach so erwidern, besonders wenn die nekrophile Shalltear ihm mit der süßlichen Stimme ins Ohr flüsterte: »Eure Knochenstatur ist außergewöhnlich – man könnte fast meinen, sie wäre von einem Gott geschaffen worden.« Für sie war das vielleicht ein Ausdruck ihrer Zuneigung – vielleicht sah sie es sogar als Kompliment an –, doch bei Ainz saß der Schock immer noch tief: Vor ein paar Tagen hatte er zu ersten Mal in seinem Leben ein Kompliment für sein Äußeres bekommen – und das als Skelett!
Er schüttelte diese trivialen Gedanken ab und wiederholte seine Frage. »Ich frage erneut: Was führt dich her, Shalltear?«
»Mein Lord, ich werde mich wie gewünscht Sebas anschließen. Ich werde wohl für eine Weile weg sein, also wollte ich mich nur von Euch verabschieden.«
Ainz erinnerte sich an den Befehl, den er ihr gegeben hatte, und nickte. »Verstehe. Bleib wachsam, mach deine Arbeit gut und komm wohlbehalten wieder nach Hause, Shalltear.«
»Ja, mein Lord!«, antwortete sie ehrfürchtig.
»Du kannst jetzt gehen, Shalltear. Sobald du mein Quartier verlassen hast, sag Narberal oder Entoma, dass sie Demiurge zu mir schicken sollen. Ich will unseren nächsten Zug mit ihm besprechen.«
»Verstanden, Lord Ainz.«
E-Rantel, die Festungsstadt, war in einer Schlüsselposition zwischen dem Königreich Re-Estize und seinen Nachbarländern, dem Kaiserreich Baharuth und dem Gottesstaat Slane gelegen. Die Stadt machte ihrem Namen alle Ehre, denn sie war von drei dicken Mauerwällen umgeben. Die Bereiche zwischen diesen Mauern dienten unterschiedlichsten Zwecken.
Im äußersten Ring war die königliche Armee mit all ihren Militäreinrichtungen stationiert. Im innersten Ring war die Administration untergebracht. Auch die Lagerhallen mit dem Proviant für das Militär befanden sich dort und der ganze Bereich wurde streng bewacht. Der mittlere Ring gehörte den Stadtbewohnern. Wenn jemand den Namen der Stadt hörte, kam ihm zuerst das rege Treiben ebendieser Zone in den Sinn.
Im Zentrum lag der Marktplatz, der größte freie Platz der ganzen Zone. Offene Stände boten dort allerhand Waren an. Hier fand man alles, angefangen von frischem Gemüse bis hin zu verarbeiteten Nahrungsmitteln. Es herrschte reges Treiben. Verkäufer priesen den Passanten lautstark ihre Waren an, ältere Kunden feilschten mit den Verkäufern um den besten Preis, junge Männer, die vom Duft des gegrillten Fleisches angelockt worden waren, aßen genüsslich ihre Spieße.
Das lebhafte Treiben zur Mittagszeit ließ vermuten, dass der Lärm bis zum Abend nicht abnehmen würde – doch als zwei Gestalten plötzlich aus einem fünfstöckigen Gebäude traten, wurde es mit einem Mal ganz still auf dem Platz. Alle Augen waren auf sie gerichtet.
Eine der Gestalten war eine Frau. Sie sah aus, als wäre sie höchstens Anfang zwanzig und sie hatte wunderschöne Mandelaugen, die leuchteten wie Obsidian. Ihr volles Haar, das so schwarz war, dass es feucht zu glänzen schien, war zu einem Pferdeschwanz gebunden. Ihre ebenmäßige, blasse Haut reflektierte das Licht wie eine Perle in der Sonne. Das Anziehendste an ihr war jedoch ihre Schlichtheit. Sie hatte etwas Exotisches an sich, das jedem den Kopf verdrehte. Sogar ein einfacher brauner Umhang schien sich in ein luxuriöses Gewand zu verwandeln, wenn sie ihn trug.
Das Geschlecht der Gestalt neben ihr war nicht zu deuten – es waren einfach keine besonderen geschlechtsspezifischen Merkmale ersichtlich.
Jemand auf dem Platz flüsterte: »Der Dunkle Krieger …«
Tatsächlich war die Gestalt neben der Frau in eine glänzende pechschwarze Ganzkörperrüstung gehüllt, die mit purpurnen und goldenen Akzenten versehen war. Es war unmöglich, ihr Gesicht durch den dünnen Schlitz in ihrem Helm zu erkennen, doch passend zu ihrer massive Statur ragten die Griffe zweier auf dem Rücken gekreuzter Großschwerter über ihrem karminroten Umhang empor.
Sie ließen ihren Blick über den Platz schweifen, dann ging die in die Rüstung gehüllte Gestalt voraus. Die Menschen auf dem Platz verfolgten die Schritte der beiden Gestalten, die sich nun wieder den Blicken der Menge entzogen, und Getuschel breitete sich aus. Dass die Leute so erregt waren, lag nicht daran, dass sie Angst hatten oder sich von den Waffen bedroht fühlten – sie waren nur gerade Zeuge eines überaus seltenen Anblicks in dieser Stadt geworden.
Ein weiterer Grund für ihre Gelassenheit war, dass das Gebäude, aus dem die beiden Gestalten herausgekommen waren, ein Ort für Abenteurer war, die sich auf Monstereliminierung spezialisiert hatten – die Abenteurergilde. Es kam häufig vor, dass man bewaffnete Leute ein- und ausgehen sah. Tatsächlich traten nach den gerade erschienenen Gestalten noch weitere Personen mit Waffen ein und kamen wieder heraus. Und wer gute Augen hatte, hatte die Kupfermarken erkannt, die die beiden um den Hals trugen. Womit klar war, dass der Grund für das Aufsehen, das die beiden erregt hatten, einzig die Schönheit der jungen Frau und die beeindruckende Rüstung der anderen Gestalt gewesen sein mussten.
Das Paar ging schweigend die schmale Gasse entlang, in der das Wasser in den Wagenradrillen das Sonnenlicht reflektierte. Der Weg war nicht gepflastert, sondern bestand aus einer Mischung aus gestampfter Erde und Dreck, was das Vorankommen erschwerte. Eine falsche Bewegung und man rutschte sofort aus, doch vielleicht lag es an ihrem überlegenen Gleichgewichtssinn, dass die beiden weiterhin mit einer Eleganz ausschritten, als bewegten sie sich auf Kopfsteinpflaster.
Die Frau prüfte, ob auch niemand in der Nähe war, bevor sie sich an die Figur in der Ganzkörperrüstung wandte: »Lord Ai…«
»Nein. Mein Name ist Momon. Und du bist nicht Narberal Gamma von den Plejaden, sondern Nabe, Momons Abenteurerfreundin.« Es war die Person in Rüstung – Ainz –, die die Frau unterbrochen hatte – Narberal.
»Oh! Bitte verzeiht meinen Fehler, Lord Momon!«
»Lass das mit dem Lord. Wir sind einfach nur Abenteurer und wir sind Freunde. Es würde verdächtig erscheinen, wenn du mich Lord nennst.«
»A… Aber Ihr seid doch eins der Höchsten Geschöpfe!«
Ainz bedeutete ihr, ihre Stimme zu senken, und antwortete mit einer gewissen Genervtheit: »Wie oft soll ich das noch sagen? In diesem Land hier bin ich Momon, der Dunkle … Ich meine, Momon, und du bist meine Partnerin. Also hör auf mit dem Lord. Das ist ein Befehl.«
Einen Moment lang schwieg Narberal, doch dann stimmte sie mit leichtem Widerwillen zu. »Verstanden, Sir Momon.«
»Schon besser, aber das mit dem Sir können wir auch sein lassen. Ich bin dein Kamerad, wenn du mich also Sir nennst, entsteht wieder ein Gefälle zwischen uns.«
»Wäre das nicht … respektlos oder …?«
Narberal sprach nicht weiter, aber Ainz zuckte nur mit den Schultern. »Niemand darf herausfinden, wer wir wirklich sind. Das verstehst du doch, oder?«
»Natürlich, Herr.«
»Lass das … Na ja, wie dem auch sei. Ich will ja nur sagen, dass wir vorsichtig sein sollten.«
»Verstanden, Sir Momon! Seid Ihr sicher, dass ich für diese Mission die Richtige bin? Wenn Ihr eine Gefährtin wünscht, wäre dann jemand mit Grazie und Eleganz wie Albedo nicht besser geeignet?«
»Albedo, hm …?« In Ainz’ Stimme schwangen gemischte Gefühle mit. »Albedo muss Nazarick führen, während ich weg bin.«
»Falls ich mir den Kommentar erlauben darf … Ich bin sicher, Cocytus könnte Nazarick auch allein führen. Das haben die Wächter alle gesagt … Aber wenn es um Eure Sicherheit geht, mein Lord, dann wäre es doch ratsam, Nazaricks beste Verteidigerin, Albedo, bei Euch zu haben, nicht wahr?«
Diese Frage brachte Ainz in Verlegenheit. Als er angekündigt hatte, dass er sich persönlich auf die Reise nach E-Rantel begeben würde, war es die Wächterin Albedo gewesen, die am nachdrücklichsten dagegen protestiert hatte – doch erst, als sie erfahren hatte, dass sie Ainz nicht begleiten durfte.
Er hatte immer noch das Gefühl, ihr etwas zu schulden, weil sie ihn gedeckt hatte, als er, gleich nachdem er in diese Welt versetzt worden war, ohne Leibgarde ausgezogen war. Deshalb hatte er auf ihren Widerwillen nicht allzu heftig reagiert. Aber dieses Mal war es anders. Dies war eine sorgfältig geplante Erkundung, keine Laune, also würde er auch zu seinem Plan stehen.
Albedo hatte wahrscheinlich ihre persönlichen Wünsche unterdrückt und gehorcht, denn alle Wächter erfüllte es, wenn sie ihre Befehle ausführen konnten – aber Ainz fühlte sich dabei nicht wohl. Es störte ihn, dass er den Kreationen seiner früheren Gildenkameraden Befehle aufzwang.
Ainz hatte mit Engelszungen auf sie eingeredet, doch Albedo war strikt gegen seine Entscheidung gewesen. Ihre Meinungen gingen so weit auseinander, dass es einfach keinen gemeinsamen Nenner geben konnte. Dementsprechend schien es auch keine Lösung für das Problem zu geben. Dann hatte Demiurge Albedo jedoch etwas ins Ohr geflüstert, worauf sie sich abrupt zurückgezogen und all ihre Beschwerden hinuntergeschluckt hatte. Und damit war es entschieden gewesen. Sie hatte sich sogar ein »Ich verstehe es jetzt« abgerungen und sich mit einem sanften Lächeln von ihm verabschiedet.
Ainz wusste immer noch nicht, was Demiurge zu ihr gesagt hatte. Zusammen mit Albedos dramatischem Stimmungswechsel machte ihn das etwas nervös.
»Der Grund, warum ich Albedo nicht mitgebracht habe, ist, dass ich niemandem mehr vertraue als ihr. Genau deshalb muss ich mich in meiner Abwesenheit nicht um Nazarick sorgen, da ich weiß, dass es bei ihr in den besten Händen ist.«
»Verstehe. Das hatte ich mir schon gedacht. Also bedeutet das, dass Ihr zu Albedo das innigste Verhältnis habt, nehme ich an?«
Er hätte in dieser Situation unmöglich sagen können: Ja, na ja, denk schon, also nickte Ainz nur. »Und ich weiß, wie gefährlich diese Mission ist.« Ainz hielt seine rechte Hand hoch und wackelte mit dem Ringfinger. »Aber ich muss das tun. Wenn ich nur von Nazarick aus meine Befehle gebe, fehlen mir wichtige Informationen, da mir diese Welt immer noch zum größten Teil unbekannt ist. Ich muss selbst hinausgehen und mir ein Bild machen. Ich bin sicher, es hätte auch andere Wege gegeben, diese Mission anzugehen, doch ich wollte mich für die entscheiden, bei der ich mich am sichersten fühle, nachdem wir es ohnehin schon mit so vielen Unwägbarkeiten zu tun haben.«
Ainz blickte durch den Schlitz in seinem Helm auf Narberal herab, die seine Entscheidung demütig akzeptierte, und fragte dann mit ein wenig Unbehagen in der Stimme: »Sag mal, siehst du Menschen als niedere Lebensformen an?«
»Natürlich tue ich das. Menschen sind wertloser Abschaum.«
Die Antwort kam ohne Zögern und aus tiefstem Herzen. Ainz presste ein »Also denkst du auch so …« hervor, doch es war zu leise, als dass Narberal es hätte hören können. Er grummelte weiter vor sich hin: »Das ist der Grund, warum ich euch nicht einfach in eine Menschenstadt schicken kann. Ich hätte es zu meiner obersten Priorität machen sollen, die Persönlichkeiten meiner Untergebenen genauer zu studieren.«
Einer der Gründe, warum er Albedo nicht mitnehmen konnte, war ihre Einstellung den Menschen gegenüber. Sie betrachtete sie als niedere Lebensformen. Er konnte sie unmöglich in eine Stadt mitnehmen, in der so viele Menschen lebten, und riskieren, dass sie ein Blutbad anrichtete, sobald er sie kurz aus den Augen ließ. Außerdem beherrschte Albedo keine Tarnmagie, was es unmöglich gemacht hätte, ihre Hörner oder ihre Flügel zu verstecken.
Und dann gab es da noch den allerwichtigsten Grund – den, von dem er niemandem erzählen konnte: Ainz, der früher ein normaler Büroangestellter gewesen war, hatte kein Vertrauen in seine Fähigkeit, Nazarick zu führen und für die Zukunft zu planen, wenn ihm nur Informationen aus zweiter Hand zur Verfügung standen. Deshalb hatte er auch beschlossen, diese Mission anzutreten und Albedo im Gegenzug das Kommando zu überlassen, wozu sie bestens qualifiziert war. Wann immer möglich, sollte man einem talentierten Untergebenen Aufgaben übertragen. Es kam nie etwas Gutes dabei heraus, wenn jemand aus den oberen Rängen in etwas herumpfuschte, das außerhalb seines Kompetenzbereichs lag.
Außerdem war Albedo durch zwei metaphorische Ketten an ihn gebunden: ihre Liebe zu Ainz und ihre Treue ihm gegenüber. Unter solchen Umständen fühlte er sich sicher dabei, ihr die Große Gruft von Nazarick zu überlassen.
Liebe … Wann immer er Albedo sah oder sie ihm sagte, wie sehr sie ihn bewunderte, wurde er an sein Vergehen erinnert, ihre Hintergrundgeschichte manipuliert zu haben. Ja, kurz bevor die Server heruntergefahren worden waren, hatte er einen Teil am Ende ihres ellenlangen Profils verändert und hineingeschrieben, dass sie Momonga – also Ainz – liebte. Er hatte damals natürlich keine Ahnung gehabt, dass sie alle nach dem Server-Shutdown in eine andere Welt katapultiert werden würden. Er hatte sich an seinem letzten Tag nur ein kleines Späßchen erlauben wollen.
Wenn er jedoch so darüber nachdachte, schien Albedo selbst kein Problem mit der Veränderung zu haben. Was aber würde Ainz’ Freund, Tabula Smaragdina, dazu sagen, wenn er herausfand, was geschehen war? Was, wenn mir das passiert wäre? Wenn jemand einen meiner NPCs verändert hätte …? Auch behagte ihm nicht, dass er ihren Zustand ausnutzte und einfach davon ausging, dass sie ihn nicht hintergehen würde.
Er schüttelte den Kopf, um diese dunklen Gedanken zu verbannen. Sein untoter Körper ließ keine starken Emotionen zu, doch kleine Gefühlsausbrüche wie dieser beeinflussten ihn immer noch so, als wäre er ein Mensch. Wenn ich mich gänzlich in einen Untoten verwandle, werde ich dann diese Schuldgefühle los? Während er sich hinter seinem Vollvisier diesen Fragen hingab, wandte er sich wieder Narberal zu. »Nabe, ich sage nicht, dass du diese Einstellung einfach ablegen sollst, aber bitte unterdrücke sie wenigstens. Dies ist eine Menschenstadt und wir wissen nicht, wie stark einige von den Leuten hier vielleicht sind, ganz zu schweigen von all den anderen Dingen, die uns weiterhin verborgen bleiben. Achte darauf, dass du nichts tust, was irgendwelche Feindseligkeiten auslösen könnte.«
Narberal verneigte sich tief, um ihre Loyalität und Unterwürfigkeit zu unterstreichen, und Ainz legte eine seiner Hände auf ihren Kopf, um einen letzten Punkt klarzumachen. »Eins noch. Wenn wir Kämpfe zu ernst nehmen und jemandem den Hals umdrehen wollen … dann macht das den Menschen Angst. Ich weiß nicht, ob du tatsächlich blutdurstig bist oder nicht, aber zumindest scheint es so – also mach nichts ohne meine Zustimmung, in Ordnung?«
»Ja, Sir Momon.«
»Okay, das Gasthaus, von dem uns die Dame erzählt hat, sollte hier irgendwo sein …« Ainz sah sich um.
Manche Geschäfte waren offen und man sah hier und da Leute ein- und ausgehen. Rechts von ihnen transportierten ein paar Handwerker in Schürzen irgendwelche Waren. Ainz und Narberal suchten anhand des Bildes auf dem Schild nach dem Gasthaus, da sie die Schrift dieses Landes nicht lesen konnten.
Endlich fand Ainz das entsprechende Bild und beschleunigte seinen Schritt. Narberal passte sich seinem Tempo an.
Ainz klopfte den Dreck von seinen Eisenschuhen und betrat die Stufe am Eingang. Er stieß die Schwingtüren auf und trat in den schlecht beleuchteten Gastraum ein. An den Fenstern, die Licht hereingelassen hätten, waren größtenteils die Läden geschlossen. Jemand, der gerade von draußen, wo helllichter Tag herrschte, hereinkam, hätte im ersten Moment gar nichts gesehen, aber Ainz hatte die Fähigkeit Dark Vision, die ihm erlaubte, alles zu erkennen.
Die Gaststube war recht geräumig. Am anderen Ende des Erdgeschosses befand sich eine Bar, hinter der zwei Einbauregale voller Flaschen aufragten. Die Tür neben dem Tresen führte vermutlich in die Küche.
In der Ecke führte eine Wendeltreppe in die oberen Stockwerke. Der Dame in der Gilde zufolge befanden sich im ersten und zweiten Stock die Zimmer des Gasthauses.
Ein paar Gäste, vorwiegend Männer, saßen um runde Tische herum. Die Atmosphäre ließ schon erahnen, dass dies Leute waren, die es gewohnt waren, sich in gefährliche Situationen zu begeben.
Fast alle Blicke waren auf Ainz und Narberal gerichtet, viele beäugten sie kritisch. Die einzige Person, die ihnen keine Aufmerksamkeit schenkte, war eine junge Frau, die am anderen Ende des Raumes saß und auf eine Phiole starrte.
Ainz zog bei diesem Anblick eine seiner nicht vorhandenen Augenbrauen hoch. Er war zwar auf vieles vorbereitet, aber dieser Ort war dann doch schäbiger, als er erwartet hatte.
Es hatte natürlich auch widerliche und abstoßende Orte in Yggdrasil gegeben – sogar in der Großen Gruft von Nazarick fand man immer mal wieder solche Ecken. Das Quartier des Prinzen des Schreckens zum Beispiel oder auch die Gifthöhle. Aber dies war eine andere Art von schmutzig.
Der Boden war übersät mit Essensresten und Pfützen von irgendwelchen Flüssigkeiten. An den Wänden waren eigenartige Flecken und in einer Ecke war irgendetwas geronnen und hatte Schimmel gebildet …
Ainz seufzte innerlich und spähte in den hinteren Bereich des Raumes. Dort stand ein Mann, der eine schmuddelige Schürze trug. Unter den hochgekrempelten Ärmeln kamen seine starken Unterarme zum Vorschein. Sie waren voller Narben, doch es war schwer zu sagen, ob diese von Schwertern oder Tieren verursacht worden waren. Seine Gesichtszüge rangierten irgendwo zwischen absoluter Männlichkeit und wildem Tier und auch dort zeichneten sich ein paar Narben ab. Sein Kopf war kahl geschoren – nicht ein einziges Haar war übrig geblieben. Dieser Mann, der einen Wischmopp in der Hand hielt und eher wie ein angeheuerter Schläger als ein Gasthausbesitzer anmutete, musterte Ainz ganz besonders genau.
»Ihr braucht also ’n Zimmer, was? Wie viele Nächte sollen’s denn sein?«, fragte er mit ruhiger Stimme.
»Eine Nacht bitte.«
»Eine Kupfermarke …? Fünf Kupferstücke für ’n Bett im Gemeinschaftszimmer«, gab der Mann schroff zurück. »Zu essen gibt’s Haferschleim – oder auch altes Brot – und Gemüse. Wenn ihr Fleisch wollt, kostet das extra.«
»Wenn es ginge, hätten wir gern ein Zimmer nur für uns allein.«
Ein leises Grunzen erklang. »Es gibt in dieser Stadt drei Gasthäuser, die Abenteurer aufnehmen. Das schlechteste is meins. Ihr wurdet von der Gilde geschickt, was? Wisst ihr, woher ich das weiß?«
»Nein, aber Ihr werdet es uns sicher gleich sagen.«
Auf Ainz’ abrupte Antwort hin verfinsterte sich die Miene des Gasthausbesitzers. »Denk doch mal nach! Oder ist dein schicker Helm nur mit heißer Luft gefüllt?«
Ainz blieb unbeeindruckt angesichts des aggressiven Tonfalls des Gasthausbesitzers. Nach seinem letzten Kampf konnte er diesen Ausbruch wie den Wutanfall eines Kindes betrachten.
Dieser Kampf und die Folterung der Gefangenen hatten ihm gezeigt, welche Macht er wirklich besaß. Angeschrien zu werden musste ihn nicht weiter bekümmern.
Der Gasthausbesitzer bemerkte, dass er Ainz nicht einschüchtern konnte, und gab nur ein leises Grummeln von sich, das schon fast wie Bewunderung klang. »Scheint, als hättet ihr ziemlichen Mumm, was? Die Abenteurer, die normalerweise herkommen, haben meistens Bronze- oder Eisenmarken. Wenn sie ähnliche Fähigkeiten haben und miteinander auskommen, tun sich viele zusammen und ziehen gemeinsam los. Mein Laden hier ist perfekt, um Teammitglieder zu finden …« Die Augen des Gasthausbesitzers weiteten sich bedrohlich. »Von mir aus könnt ihr in eurem eigenen Zimmer schlafen, aber wenn ihr keine Leute trefft, dann könnt ihr hier auch keine Freunde finden. Und wenn ihr kein ausgewogenes Team habt, dann verreckt ihr bei eurem nächsten Kampf gegen ’n Monster. Deshalb übernachten die Grünschnäbel lieber gleich in ’nem großen Zimmer, damit sie Leute treffen können. Ich frag euch deshalb noch mal: Wollt ihr ’n Gemeinschaftszimmer oder ’n Doppelzimmer?«
»Ein Doppelzimmer, bitte. Und wir brauchen keine Nahrung.«
»Tse, ich versuch hier nur, nett zu sein … Oder willste behaupten, dass diese Ganzkörperrüstung nicht nur zum Angeben is? Na, was soll’s. Eine Nacht macht sieben Kupferstücke – im Voraus, versteht sich.« Der Gasthausbesitzer streckte die Hand aus.
Unter den Blicken aller Anwesenden machten die beiden sich auf den Weg. Plötzlich wurde Ainz ein Bein in den Weg gestreckt. Er blieb stehen und drehte sich zu dem Mann um, dem es gehörte.
Er hatte ein widerliches Grinsen auf den Lippen. Alle anderen, die um seinen Tisch herum saßen, grinsten entweder ebenso dreckig oder starrten Ainz und Narberal mit durchdringendem Blick an.
Weder der Gasthausbesitzer noch irgendwelche anderen Gäste schritten ein. Entweder war es ihnen egal oder sie erwarteten, dass ihnen gleich eine lustige Show geboten werden würde. Einige wenige jedoch beobachteten jede Bewegung der Neuankömmlinge.
Oh Mann. Ainz stieß ein leichtes Seufzen aus und schob dann mit seinem Schuh das Bein von sich.
Als hätte er nur darauf gewartet, erhob sich der Mann plötzlich von seinem Stuhl. Da er keine Rüstung trug, konnte man die Muskeln deutlich erkennen, die sich unter seiner Kleidung abzeichneten. Eine Marke, die der glich, die Ainz trug, baumelte um seinen Hals – seine war allerdings aus Eisen. »Hey, das hat wehgetan!«, rief er in drohendem Ton, während er sich langsam vor Ainz aufbaute. Zwischenzeitlich hatte er seine Handschuhe übergezogen und als er die Fäuste ballte, konnte man das Metall bedrohlich knarzen hören.
Ainz und der Mann schätzten einander ab, doch sie standen ein bisschen zu dicht zusammen, um sich zu prügeln. Sie waren in etwa gleich groß. Ainz machte den ersten Schritt. »Oh, ich hab dein Bein nicht gesehen. Mit diesem Helm ist meine Sicht ziemlich eingeschränkt. Oder vielleicht liegt es daran, dass du so Stummelbeinchen hast … Das wirst du mir doch nicht krummnehmen, oder?«
»Mistkerl!« Auf Ainz’ Provokation hin funkelten die Augen des Mannes bedrohlich. Aber als sein Blick dann an Ainz vorbei auf Narberal fiel, wurde seine Wut durch eine andere Emotion ersetzt. »Du machst mich echt krank, aber hey, ich bin ein netter Kerl. Wenn du mir deine Braut für die Nacht überlässt, lass ich das noch mal durchgehen.«
»Ha! Ha ha ha!« Ainz brach in Gelächter aus und streckte die Hand aus, um Narberal aufzuhalten, die sich schon in Bewegung setzen wollte.
»Was …?«
»Ach, es ist nur, das war gerade ein Paradebeispiel für die Worte eines richtigen Dreckskerls, da konnte ich einfach nicht anders, als zu lachen. Tut mir echt leid.«
»Hä …?« Vor Wut zeichneten sich inzwischen rote Flecken auf dem Gesicht des Mannes ab.
»Oh, bevor es zu einer Schlägerei kommt, darf ich vielleicht vorher was fragen? Bist du stärker als Gazef Stronoff?«
»Was?! Was zum Teufel redest du da?«
»Verstehe. Die Reaktion reicht mir als Antwort. Ich glaube, ich müsste mich bei dir so sehr zurückhalten, dass es keinen Spaß mehr macht. Zeit, dass du ’ne Fliege machst!«
Blitzschnell packte Ainz den Mann am Kragen, um ihn vom Boden hochzuheben. Da er sich nicht wehren oder gar ausweichen konnte, stieß der Mann ein erschrockenes »Woah!« aus und die Menge begann zu toben. Wie stark jemand wohl sein musste, um einen anderen mit nur einer Hand in die Luft zu heben? Alle konnten es sich ziemlich gut vorstellen.
Auf den Aufruhr folgte ein kollektives Atemanhalten. Ainz durchbrach die gespannte Stimmung, indem er den Mann sanft durch den Raum schleuderte – »sanft« natürlich nur aus Ainz’ Sicht.
Der Körper des Mannes flog mit beeindruckender Geschwindigkeit fast bis zur Decke, bevor er auf einen Tisch krachte.
Der Aufprall des Körpers, das Zerbrechen der Dinge auf dem Tisch, das Bersten des Holzes, das schmerzerfüllte Stöhnen des Mannes – die Kakophonie all diese Geräusche erfüllte den Raum. Dann, als hätte sich das Ächzen des Mannes über den Lärm gelegt, senkte sich Stille über den Raum. Nur einen Herzschlag später jedoch …
»Nyaaaargh!« Ein eigenartiger Schrei entrang sich aus dem Mund der Frau, die an dem Tisch gesessen hatte – der Schrei kam aus tiefster Seele und drückte aus, dass sie gerade etwas Unaussprechliches mitangesehen hatte. Die Reaktion war völlig normal, wenn man bedachte, dass ein Mann plötzlich auf ihrem Tisch gelandet war, doch dieser Schrei galt definitiv etwas anderem.
»Also? Was habt ihr jetzt vor? Es wäre echt mühsam, wenn ich einen jeden von euch einzeln verdreschen müsste, ganz zu schweigen davon, dass es eine ziemliche Zeitverschwendung wäre. Ihr könnt also gerne alle auf einmal auf mich losgehen«, wandte sich Ainz an die anderen Männer, die um den Tisch saßen, von dem der eben Besiegte aufgestanden war.
Sie verstanden nur zu gut, was er da angedeutet hatte, und senkten eilig ihre Köpfe. »Hm? Ohh! Wir wollen uns für unseren Kameraden entschuldigen, bitte, nimm die Entschuldigung an!«
»Verstanden. Ich verzeihe euch. Das hat mir gar nichts ausgemacht. Stellt aber sicher, dass ihr dem Gasthausbesitzer den Tisch ersetzt.«
»Natürlich. Wir kümmern uns darum.«
Das wäre geklärt. Ainz wollte gerade weitergehen, als eine andere Stimme ihn auf einmal ansprach. »Hey, hey, hey!«
Als er sich umdrehte, kam die Frau, die vorhin so laut geschrien hatte, auf ihn zumarschiert.
Sie war höchstens zwanzig und ihr rotes Haar war auf eine praktische Länge zurechtgestutzt, aber selbst mit viel Wohlwollen waren die Spitzen alles andere als gerade geschnitten – ihr Haar glich eher einem Vogelnest. Ihr Gesicht war von mittelmäßiger Schönheit. Sie trug jedoch keinerlei Make-up und in ihren Augen stand eine tiefe Verachtung. Ihre Haut hatte eine gesunde Bräune und ihre Armmuskeln traten hervor. Ihre Hände waren schwielig, was darauf hindeutete, dass sie Schwertträgerin war. Der erste Eindruck, den man von ihr hatte, war nicht der einer Frau, sondern einer Kämpferin. Die Eisenmarke um ihren Hals schwang bei jedem Schritt mit.
»Was meinste, was du hier machst?!«
»Was meinst du?«
»Du hast ’nen Schimmer, was du da grade veranstaltet hast?!« Sie zeigte auf den zerschmetterten Tisch. »Du hast diesen Idioten hier rumgeschleudert und mein Trank, mein kostbarer Trank, ist zerbrochen! Was soll das überhaupt, hier einfach solche Kleiderschränke rumzuschmeißen?!«
»Worauf willst du hinaus?«
»Worauf ich rauswill?! Oh Mann …« Ihre Augen funkelten und sie senkte die Stimme. »Ich verlange natürlich Ersatz! Für meinen Trank!«
»Es war doch nur ein Trank …«
»Ich hab auf mein Essen verzichtet und geschmachtet und gespart, wie ’ne Kirchenmaus hab ich gelebt, nur damit ich mir diesen Trank leisten konnte – und du hast ihn einfach so zerstört! Dieser Trank sollte mich auf einer gefährlichen Reise vor dem Tod bewahren! Und wie reagierst du, nachdem du mir meinen Traum einfach zerstört hast?! Das macht mich echt rasend!« Sie schritt weiter auf Ainz zu. Ihre weit aufgerissenen Augen waren blutunterlaufen. Sie sah nun gänzlich aus wie ein wütender Bulle.
Ainz unterdrückte ein Seufzen. Es war rücksichtslos von ihm gewesen, dass er nicht auf die Umgebung geachtet hatte, bevor er den Mann weggeschleudert hatte. Aber es gab einen bestimmten Grund dafür, dass er nicht einfach zustimmte, ihr den Trank zu ersetzen.
»Wieso verlangst du nicht von dem Kerl hier Ersatz? Wenn er seine Gräten bei sich behalten hätte, wär das alles nie passiert, oder?« Er starrte die Freunde des Mannes durch den Schlitz in seinem Helm an.
»Ohhh …«
»Aber …«
»In Ordnung, ihr könnt mir entweder einen neuen Trank geben oder mich ausbezahlen, beides ist mir recht … Aber er hat ein Goldstück und zehn Silberstücke gekostet.« Die Männer starrten auf ihre Füße. Anscheinend hatten sie nicht genug Geld, um den Trank zu ersetzen. Der Blick der Frau wanderte also wieder zurück zu Ainz. »War ja klar. Die kommen immer her und saufen sich die Hucke voll. Woher sollten die auf einmal so viel Geld haben? Aber du … du trägst diese schicke Rüstung, also musst du doch wenigstens einen kleinen Heiltrank dabeihaben, oder?«
Verstehe, dachte Ainz. Deshalb hat sie mich also als Erstes angesprochen. Die Sache wurde immer komplizierter. Ein falscher Zug und alles wäre ruiniert. Er dachte einen Moment nach und traf dann eine Entscheidung. »Habe ich, aber … bist du sicher, dass das ein Heiltrank war?«
»Na klar! Ich hab so hart dafür geschu…«
»Ja, das hab ich verstanden. Ich werde dir einen Trank geben, also sind wir danach quitt.« Er nahm einen schwachen Heiltrank aus seinem Inventar und streckte ihn der Frau entgegen.
Sie beäugte ihn misstrauisch, nahm ihn aber mürrisch entgegen.
»Gibt es sonst noch irgendwas?«
»Nein, ich denke, das war’s.« Es klang so, als stünde immer noch irgendetwas im Raum, was geklärt werden musste, doch Ainz tat den Gedanken schnell ab. Er hatte wichtigere Dinge, über die er sich den Kopf zerbrechen musste. Da war ja auch noch Narberal, die jede Sekunde einen fatalen Fehler begehen konnte. Auch wenn er die Situation entschärft hatte, stand sie anscheinend immer noch unter Strom. Die anderen Schaulustigen um sie herum schienen dies auch zu spüren, denn ihnen stand allesamt der Schrecken ins Gesicht geschrieben.
»Lass uns gehen«, sagte Ainz, auch um Narberal auf andere Gedanken zu bringen, und wandte sich wieder dem Gasthausbesitzer zu. Dann nahm er beiläufig seinen schwarzen Lederbeutel heraus, zog eine Silbermünze hervor und ließ sie in die raue Hand des Inhabers fallen.
Der Gasthausbesitzer verstaute sie ohne ein weiteres Wort und als er seine Hand wieder hervorholte, lagen mehrere Kupferstücke darin. »Okay, hier, du kriegst sechs Kupferstücke zurück.« Er ließ die Stücke in Ainz’ Hand fallen und legte mit einem Klirren einen Schlüssel auf die Theke. »Die Treppe hoch und dann gleich die erste Tür rechts. Euer Gepäck könnt ihr in den Schubfächern verstauen, die unter den Betten eingebaut sind. Ich glaub nicht, dass ich euch das sagen muss, aber haltet euch nicht in der Nähe der anderen Zimmer auf, wenn ihr keinen Grund dazu habt. Wenn ihr jemandem verdächtig vorkommt, gibt’s Ärger. Andererseits kann man so auch Leute kennenlernen. Ihr scheint ja mit jedem Ärger fertigwerden zu können. Solange ihr mir keinen macht, verstehen wir uns.« Die Augen des Gasthausbesitzers huschten kurz zu dem Mann, der immer noch ächzend auf dem Boden lag.
»Verstehe. Könnten Sie uns bitte außerdem mit der Minimalausrüstung aushelfen, die man zum Abenteuern braucht? Ich habe alles verloren, was ich hatte. Als ich bei der Gilde gefragt habe, sagten die, dass Sie uns da …«
Der Gasthausbesitzer sah sich die Rüstung und Kleidung von Ainz und Narberal an und ließ seinen Blick dann zu dem Lederbeutel wandern. »Ja, natürlich. Ich werde euch alles bis zum Abendbrot vorbereiten lassen. Stellt sicher, dass ihr genug Geld zum Zahlen habt.«
»Machen wir. Okay, Nabe, gehen wir.«
Narberal folgte Ainz die alte Wendeltreppe hinauf, die bei jedem Schritt quietschte und knarzte, und sie verschwanden in ihrem Zimmer.
*
Sobald Ainz verschwunden war, wendeten die Kameraden des zuvor umhergeschleuderten Mannes Heilmagie auf ihn an. Und als wäre ihre Magie der Auslöser, erwachte das totenstille Gasthaus plötzlich wieder zum Leben.
»Der Typ ist also wirklich so hart, wie er aussieht, was?«
»Ja, diese Kraft war echt nicht von schlechten Eltern! Ich frag mich, wie er trainiert hat.«
»Außer diesen zwei Großschwertern hatte er keine anderen Waffen dabei, aber das zeigt eigentlich nur, wie selbstsicher er ist.«
»Argh, noch ein Typ, der uns alle mit einem Streich ausschalten könnte?«
Sämtliche Unterhaltungen drückten Bewunderung, Staunen und auch Überraschung aus. Tatsächlich hatte jeder von Anfang an gewusst, dass Ainz kein gewöhnlicher Abenteurer war. Das Erste, was ihn verriet, war natürlich seine eindrucksvolle Ausrüstung. Eine Ganzkörperrüstung war nicht billig. Nur jemand, der ein Abenteuer nach dem anderen absolviert hatte – also jemand mit jeder Menge Erfahrung –, konnte sich so etwas leisten. Wenn man nur die Belohnungen rechnete, könnte man ein solches Vermögen angehäuft haben, wenn man die Silbermarke erreichte. Natürlich gab es auch Leute, die Ausrüstung erbten, oder welche, die sie in Ruinen und auf Schlachtfeldern auflasen. Deshalb hatten die Männer testen wollen, wie stark Ainz wirklich war.
Hier im Gasthaus war man freundlich zueinander und doch waren alle auch Konkurrenten. Wenn jemand Neues sich zeigte, dann wollten alle wissen, wie stark der Neuling war. Dementsprechend waren Situationen wie die gerade eben hier gang und gäbe. Tatsächlich war jeder von ihnen einer solchen Prüfung unterzogen worden, auch wenn niemand von sich sagen konnte, dass er sie so mühelos bestanden hatte.
Mit anderen Worten war also jedem klar: Ob sie nun Freunde oder Feinde waren, dieses unbekannte Paar mit den Kupfermarken besaß wahre Stärke.
»Wie sollen wir ab jetzt mit ihnen umgehen?«
»Ich glaube, wir können nie wieder mit der hübschen Lady ein Wort wechseln.«
»Wenn sie nur zu zweit sind, können sie meinem Team beitreten!«
»Du meinst wohl, du wirst drum betteln, dass sie euch beitreten!«
»Ich frag mich, wie sein Gesicht unter dem Helm aussieht.«
»Ich werd mich heute Nacht vor ihr Zimmer hocken und sie belauschen!«
»Er hat Gazef Stronoff erwähnt, den stärksten Krieger, den es gibt!«
»Denkst du, er ist vielleicht sein Schüler oder so?«
»Möglich.«
»Überlasst so einen wichtigen Job mir! Ich bin ein Dieb mit ausgeprägtem Gehörsinn.«
Inmitten all des Getratsches über das unbekannte Paar kam der Gasthausbesitzer auf einen ganz speziellen Abenteurer zu – die Frau, die gerade den Trank von Ainz erhalten hatte.
»Hey, Brita.«
»Hmm? Was?« Ohne den Kopf zu bewegen, richtete die Frau ihren Blick, der zuvor auf dem roten Trank geruht hatte, auf ihn.
»Was ist mit dem Trank?«
»Keine Ahnung.«
»Komm schon, was meinste damit, ›keine Ahnung‹? Du hast ihn doch nur genommen, weil du wusstest, wie viel er wert ist, oder?«
»Ja, stimmt. Um ehrlich zu sein, hab ich so einen Trank noch nie vorher gesehen. Und du bist nur hier, weil’s dir genauso geht, stimmt’s?«
Sie hatte ins Schwarze getroffen. »Und das ist okay für dich? Immerhin hat er deinen Trank vernichtet. Der hier könnte weniger wert sein als der, den du hattest!«
»Hmm, ja. Das Risiko besteht, aber ich hab das Gefühl, dass ich trotzdem Gewinn mache. Er hat ihn mir ja erst angeboten, nachdem ich gesagt hab, wie viel meiner wert war.«
»Oh …«
»Außerdem habe ich noch nie einen Trank in dieser Farbe gesehen. Das heißt, dass er ziemlich selten sein könnte, oder? Wenn ich gezögert hätte, dann wäre das fast gewesen, als wär ich in ein Drachennest eingedrungen, nur um dann nichts mitzunehmen. Morgen werde ich ihn jedenfalls schätzen lassen, dann weiß ich endlich, wie viel er wirklich wert ist.«
»Ach ja? Dann lass mich die Kosten für die Schätzung übernehmen. Und nicht nur das, ich werd dir außerdem einen richtig guten Laden nennen.«
»Das würdest du tun?«, fragte Brita, die Augenbrauen ungläubig hochgezogen. Der Gasthausbesitzer war ein guter Mann, aber er war kein Dummkopf. Er hatte sicher einen Hintergedanken.
»Nun mach doch nicht so ein Gesicht. Alles, was du tun musst, ist, mir zu sagen, was der Trank für eine Wirkung hat.«
»Das ist alles, ja?«
»Kein schlechter Deal, oder? Und mit meinen Kontakten kann ich dich sogar mit der besten Trankbrauerin in der Gegend bekanntmachen – Lizzie Baleare.«
Brita stand nun aufrichtige Überraschung ins Gesicht geschrieben.
E-Rantel war eine Stadt, in der es viele Söldner und Abenteurer gab, also gab es auch einen reichen Handel mit Ausrüstung und Items, die ganz auf diese Berufsgruppen ausgerichtet waren. Besonders das Geschäft mit den Tränken boomte und es gab hier viel mehr Heiler und Alchemisten als in anderen Städten.
Unter ihnen war Lizzie Baleare als beste Heilerin bekannt, die die komplexesten Tränke überhaupt herstellen konnte. Als der Name dieses bestsortierten Ladens in E-Rantel gefallen war, musste Brita das Angebot einfach annehmen.
Die Holztür fiel leise zu.
Die einzigen Möbel in diesem Zimmer waren ein kleiner Tisch und zwei simple Holzbetten, unter denen Schubkästen eingebaut waren. Da die Fensterläden geöffnet waren, strömten Sonnenlicht und frische Luft herein.
Ainz sah sich sichtlich enttäuscht um. Er wusste, dass dies ein Gasthaus am Rande der Stadt war und dass er sich nicht so viel Komfort und Sauberkeit erhoffen konnte, wie er sie aus Nazarick gewohnt war, doch dieser Anblick verstörte ihn.
»Dass Ihr in einem Zimmer wie diesem hier die Nacht verbringen müsst, Lord Momon, das ist …«
»Oh, sag das bitte nicht. Unser Ziel ist, uns in dieser Stadt einen Ruf als Abenteurer aufzubauen. Wir müssen hoch hinaus, damit auch jeder meinen Namen erfährt. Bis dahin wird es nicht schaden, wenn wir auch unseren Lebensstil entsprechend anpassen.« Ainz verbarg seine wahren Emotionen, um sie zu beruhigen, und schloss die Fensterläden. Trotzdem fiel noch genug Licht, durch die Spalten zwischen den Läden, dass es nicht ganz dunkel im Zimmer wurde. Ainz und Narberal hatten beide die Fähigkeit Dark Vision, deshalb machte ihnen das Dämmerlicht nichts aus, aber für jemanden, der diese Fähigkeit nicht hatte, wäre es wahrscheinlich dennoch zu finster gewesen, um etwas erkennen zu können. »Ein Abenteurer zu sein ist viel trostloser, als ich es mir vorgestellt hatte.«
Abenteurer. In Ainz löste das Wort immer noch eine gewisse Faszination aus. Sie zogen durch die Welt und stürzten sich ins Unbekannte. Er hatte diesen Beruf immer als einzig »richtige Art« gesehen, Yggdrasil zu spielen, doch nachdem er mit der Rezeptionistin bei der Gilde gesprochen hatte, wurde ihm bewusst, dass es eine viel zu praktisch orientierte und langweilige Tätigkeit war.
Abenteurer waren im Grunde nichts anderes als Monster eliminierende Söldner. Sie hatten zwar auch etwas von den Abenteurern, von denen Ainz immer geträumt hatte – zum Beispiel gab es natürlich die Möglichkeit, Ruinen zu erkunden oder auch Städte, die von bösen Göttern zerstört worden waren, die vor zweihundert Jahren aufgetaucht und ihr Unwesen getrieben hatten, oder in unbekannte und unerforschte Gebiete auszuziehen –, doch eigentlich waren sie nur Monsterbekämpfer.
Die Monster hatten verschiedene Spezialfähigkeiten, die sich je nach ihrer Art unterschieden. Das war auch der Grund, warum die Bekämpfung Leute erforderte, die mit einer Vielzahl verschiedener Fertigkeiten gegen sie vorgehen konnten, über die gewöhnliche Soldaten nicht verfügten.
So gesehen hätte man erwarten können, dass sie so etwas wie die Position eines Helden in einem Videospiel einnahmen, auf den sich viele Leute verließen …
Aber das entsprach nicht der Realität. Den herrschenden Klassen gefiel nicht, dass bewaffnete Gruppen unkontrolliert durch ihre Ländereien zogen. Deshalb waren Abenteurer nicht wirklich angesehen, auch wenn sie gutes Geld verdienten. Der Grund, warum diese Abenteurer nicht auf nationaler Ebene angestellt wurden, war derselbe wie auch bei großen Firmen in der echten Welt: Vollzeitangestellte kosten Geld, deshalb ist es einfacher, bei Bedarf vorübergehend Leute anzuheuern. Und genau, wie es auch Firmen gibt, die ohne Zeitarbeiter auskommen, gab es hier auch Länder, deren eigene Armeen die Monster in Schach halten konnten. In diesen Gebieten war das Ansehen der Abenteurer sogar noch geringer.
Die Dame hinter der Theke der Gilde hatte sich darüber beschwert, dass es keine Abenteurer im Gottesstaat Slane gab und dass der Status von Abenteurern im Kaiserreich Baharuth weiter gesunken war, seit der neue Herrscher an die Macht gekommen war.
Ainz schüttelte den leichten Anflug von Enttäuschung ab. Es war gar nicht so ungewöhnlich, dass man einen Job annahm, den man immer schon gewollt hatte, nur um herauszufinden, dass dieser gar nicht so toll war, wie man immer gedacht hatte.
Mit einer kleinen Handbewegung lösten sich seine rabenschwarze Rüstung und die zwei Großschwerter in Luft auf und gaben seinen Skelettkörper frei, der immer noch in magische Gegenstände gehüllt war. Hin und wieder erschien ein rotes Fadenkreuz auf seiner schmalen, schwarz-verspiegelten Sonnenbrille und verschwand wieder. Die Amethystkrone auf seinem Kopf erinnerte an eine Rosenranke – aus der Außenseite ragte eine Vielzahl von Dornen. Er trug ein schwarzes Langarmshirt, das einen Seidenschimmer hatte, und dazu eine weite Hose. Der Gürtel erinnerte an einen schwarzen Gürtel aus dem Kampfsport. Unter seinen Handschuhen kamen an allen Fingern außer den Ringfingern Ringe zum Vorschein. Seine robusten, rotbraunen Stiefel waren mit Goldfäden bestickt. Um seinen Hals hing eine Halskette mit einem silbernen Anhänger, der wie ein Löwenkopf geformt war, und sein karminroter Umhang fiel über seine Schultern herab.
Für gewöhnlich konnte man Items in Yggdrasil durch Datenkristalle aufwerten. Deshalb war es ziemlich schwierig, zusammenpassende Rüstungsteile zu finden. Es gab allerdings genügend Spieler, die es leid waren, wie dahergelaufene Zirkusclowns auszusehen, sodass die Spieleentwickler ein Update eingeführt hatten, das es Spielern, die bestimmte Kriterien erfüllten, ermöglichte, das Design ihrer Rüstungsteile zu vereinheitlichen, ohne dabei Statuswerte einzubüßen.
Das zusammenpassende Set der schwarzen Ganzkörperrüstung, die Ainz bis eben noch getragen hatte, war durch Create Greater Item erschaffen worden, was eine dieser Voraussetzungen war.
Zu den Items, die Ainz ausgerüstet hatte, gehörten Direct Hit Glasses, eine Crown of Psychic Defense, Black Widow Spider Clothes, ein Black Belt, Járngreipr-Handschuhe, eine Nemean Lion-Halskette, Haste Boots und …
In Yggdrasil kaufte und verkaufte man meistens Datenkristalle, manchmal kam es allerdings auch vor, dass Spieler ein mächtigeres Item kreierten und dann einfach ihre zuvor getragene Ausrüstung verkauften. Das Problem dabei war, dass ein Spieler ein Item, das er geschaffen hatte, nennen konnte, wie immer er wollte (die Admins forderten nur Änderungen, wenn der Name verbotene Begriffe oder gezielte Beleidigungen enthielt).
Verständlicherweise wurden Items mit seltsamen Namen auf dem Markt eher gemieden. Eine Namensänderung kostete nicht viel, aber es gab nicht viele Leute, die diese Funktion nutzen würden, nur um ein bestimmtes Item kaufen zu können. Deshalb zermarterten sich viele Spieler das Hirn, wenn es um die Namen ihrer Items ging. Mythische Namen oder auch englische Begriffe waren gängige Lösungen für das Probleme.
Natürlich gab es auch Ausnahmen. Ringe einfach Ring1, Ring2, Ring3 usw. zu nennen war irgendwie noch eine liebenswerte Variante. Ainz hatte auch schon Daumen, Zeigefinger und Mittelfinger als Namensvarianten gesehen. Einer von Ainz’ Freunden, Krieger Takemikazuchi, hatte zwei Odachi, die er für verschiedene Dinge benutzte. Er nannte die achte Generation von einer dieser Waffen Takemikazuchi MK 8.
Auch Ainz’ karminroter Umhang hatte einen benutzerdefinierten Namen: Necroplasmic Mantle. Die Idee stammte von einem dunklen Helden aus einem amerikanischen Comic.
Die Items, die er trug, hatten alle Relic-Rang. Sie lagen zwei Stufen unter seinen sonstigen Ausrüstungsgegenständen, doch ihm fielen verschiedene Gründe ein, wieso er keine allzu mächtigen Items hierherbringen sollte, deshalb hatte er sich zurückgehalten.
Als Ainz seine Schultern kreisen ließ und die Bewegungsfreiheit genoss, nachdem er die Rüstung abgelegt hatte, stellte Narberal ihm eine Frage. »Was sollen wir wegen der nervigen Frau von vorhin tun?«
»Ach, du meinst die, deren Trank ich zerstört habe? Die sollte kein Problem mehr sein. Wenn mir etwas so