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Der Kampf gegen Kyo ist vorbei, und Naofumi und seine Gefährtinnen kehren nach Melromarc zurück. Als Verdienst für seine Taten erhält Naofumi ein Stück Land. Um es zu besiedeln, begibt er sich auf die Suche nach den früheren Bewohnern von Raphtalias Heimatdorf. Dieses Vorhaben ist eine größere Herausforderung als gedacht, und führt den Held des Schildes sogar nach Zeltoble, das Reich des Handels und der Söldner – ein nicht ganz ungefährlicher Ort, an dem Naofumi sich erneut behaupten muss!
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Seitenzahl: 325
Inhaltsverzeichnis
Prolog: Die Barriere der Geisterschildkröte
Kapitel 1: Der Träger des Sternenstabs
Kapitel 2: Der Verbleib der Sklaven
Kapitel 3: Alte Bekannte
Kapitel 4: E Float Shield
Kapitel 5: Die Region Seaetto
Kapitel 6: Die Fütterung
Kapitel 7: Ein Anwendungsfall für die Bio Plant
Kapitel 8: Männer und Frauen des Meeres
Kapitel 9: Die Tafel mit dem Schild
Kapitel 10: Zeltoble
Kapitel 11: Die Sklavenjäger
Kapitel 12: Das Kaufhaus
Kapitel 13: Die Arena im Untergrund
Kapitel 14: Ringnamen
Kapitel 15: Überfälle und Verschwörungen
Kapitel 16: Nadia
Kapitel 17: Die Farce
Kapitel 18: Der Schaukampf
Kapitel 19: Die Macht des Untergrunds
Epilog: Anziehungskraft
Prolog: Die Barriere der Geisterschildkröte
Nachdem wir von Kizuna und den anderen Abschied genommen hatten, wurden wir wegteleportiert, als ginge es zur nächsten Welle. Schlagartig veränderte sich die Umgebung ringsherum.
Das hier … war jene vertraute Ebene Melromarcs. In der Ferne sah ich die Schlossstadt.
»Wir sind zurück, oder?«, fragte Raphtalia leise.
Nun, es fühlte sich schon ein wenig nach Heimkehr an.
»Sieht so aus.«
»Bin ich froooh!«
Filo schien es ähnlich zu gehen.
»Endlich sind wir wieder zu Hause!«
Sogar Rishia schien ergriffen.
Wir hatten jedoch nur eine Sekunde Zeit, erleichtert zu sein, da schoss aus meinem Schild ein gleißendes Licht in den Himmel. Es breitete sich hoch oben aus und verflüchtigte sich dann, als würde es sich in der Luft auflösen.
»Uah!«
»W… Was …?«
»Ich schätze, die Energie der Geisterschildkröte ist in die Welt zurückgekehrt.«
So viel Zeit war gar nicht vergangen, dennoch war es ein ergreifender Moment. Wir mochten nicht lange fort gewesen sein, aber es waren doch anstrengende Kämpfe gewesen.
Die Geisterschildkröte hatte einen ganz bestimmte Daseinszweck gehabt: Sie hatte zum Schutz der Welt eine Barriere hervorbringen sollen. Dann hatte Kyo jedoch die Kontrolle über sie erlangt und dieser Welt schlimmen Schaden zugefügt. Ost hatte mich um Hilfe gebeten, und schließlich waren wir dem Schurken durch ein Portal in eine andere Welt gefolgt.
Dort hatte ich Kizuna kennengelernt, die zu den vier Heiligen jener anderen Welt gehörte. Gemeinsam hatten wir gegen Kyo gekämpft, ihn zur Rechenschaft gezogen und die Energie der Geisterschildkröte zurückerobert. Und nun waren wir wieder hier.
Die vier Schutztiere, zu denen die Geisterschildkröte gehörte, waren Ungeheuer, die aus Seelen eine Barriere errichteten, um die »Wellen« aufzuhalten – ein Phänomen, bei dem zwei Welten miteinander verschmolzen. War genug Energie gesammelt, ereigneten sich keine Wellen mehr. Doch selbst mit weniger Energie ließ sich angeblich etwas Zeit gewinnen.
Nun hatten wir die gestohlene Energie zurückgebracht, und sie war freigesetzt worden, um ihren eigentlichen Zweck in dieser Welt zu erfüllen. Es war ein fantastischer Anblick. Das sah man doch bestimmt sogar aus großer Entfernung … Ich blickte auf meinen Spirit Tortoise Heart Shield hinunter und beobachtete, wie der Lichtstrom allmählich abebbte. Dann war sogar der letzte schwache Lichtschein fort. Anscheinend war alle Energie abgeflossen, die in meinem Schild gespeichert gewesen war. Die Anzeige für die Sonderfunktion dieses Schildes, Energy Blast, war auf 0 Prozent gesunken. Die Werte waren jetzt auch ein wenig niedriger, ganz so als hätte er nun seinen Zweck erfüllt.
»Dann sehen wir mal nach, was hier in der Zwischenzeit so passiert ist.«
»Ja, Herr Naofumi.«
Das war Raphtalia. Wir kämpften schon so lange zusammen, dass ich ihre Stimme erkannte, ohne hinsehen zu müssen. Das Subhumanoidenmädchen war früher einmal meine Sklavin gewesen. Ich hatte für sie eine Art Elternersatz dargestellt, aber mittlerweile brauchte häufig eher ich ihre Hilfe. In der fremden Welt hatte das Vasallenkatana sie erwählt, und nun war sie nicht mehr an mich gebunden.
Sie trug eine Miko-Tracht, die ihr erstaunlich gut stand: In dieser Kleidung war sie der Inbegriff einer klassisch japanischen Schönheit. Zu diesem Eindruck trug wohl auch bei, dass sie die Ohren und den Schwanz eines Tanukis hatte.
»Mal sehen, wie viel Zeit bis zur nächsten Welle ist …«
Ich lenkte den Blick auf die Sanduhr-Icons, die in meinem Gesichtsfeld schwebten. Die rote Sanduhr war stehen geblieben, doch bei der blauen lief die Zeit weiter. Die Ziffer Acht? Ost hatte ja etwas davon gesagt, dass wir eine Atempause haben würden, bis das nächste Schutztier erwachte. Die Rede war vom Phönix gewesen, oder? Aha, dann sah ich hier womöglich die Zeit, bis das Siegel des Phönix sich löste. Das waren noch etwa dreieinhalb Monate … Nicht allzu viel Zeit nach all den heftigen Kämpfen. Oder sollte ich mich einfach darüber freuen, dass wir eine Weile Ruhe hatten?
»Sieht so aus, als hätten wir dreieinhalb Monate, bis das Siegel des nächsten Schutztiers bricht.«
»Tatsächlich? Hm … Weniger als erwartet, oder?«
»Ach, das reicht schon. Ist immerhin mehr, als wir zuvor jemals hatten.«
Die erste Welle, die ich miterlebt hatte, hatte sich einen Monat nach meiner Beschwörung ereignet. Bis zur nächsten waren es etwa anderthalb Monate gewesen. Dann hatten sich die Ereignisse überschlagen: das Komplott der Drei-Helden-Kirche, der Informationsaustausch mit den anderen Helden, die Welle beim Cal-Mira-Archipel und schließlich die Sache mit der Geisterschildkröte. Eigentlich hätte bald die nächste Welle in Melromarc anstehen müssen … Das hieß, meine Beschwörung war bald vier Monate her.
»Das ist fast so lange, wie ich schon hier bin. In Kizunas Welt haben wir ja auch einen Monat verbracht.«
»Eeecht?«, fragte Filo.
»Na ja, im Hinblick auf dein Alter sind dreieinhalb Monate lang.«
Filo war ein Monstermädchen. Sie gehörte zu den Filolials, eigentümliche Vogelmonster, deren größtes Glück es war, Kutschen zu ziehen. Sie war jedoch ein höherrangiges Exemplar und verfügte über die Fähigkeit, das Erscheinungsbild eines Engels anzunehmen. Dann verkörperte sie ein entzückendes kleines Mädchen mit blondem Haar und blauen Augen – wenn sie gerade mal nichts sagte. Ihr Alter entsprach jedenfalls der Zeit, die ich insgesamt schon hier war, abzüglich eines Monats. Dreieinhalb Monate Ruhe entsprachen also ungefähr Filos gesamter bisherigen Lebenszeit.
»Ojeee … Dann haben wir ja kaum Zeit, uns zu erholen!«
Und die, die ständig jammerte, hieß Rishia. Sie hatte Heldenqualitäten, aber ihre Leistung hing stark von ihrem emotionalen Zustand ab. Im Kampf gegen Kyo hatte sie sich wunderbar geschlagen. Ursprünglich war sie in Itsukis Gruppe gewesen; er war einer meiner Heldenkameraden. Er hatte jedoch nichts mit ihr anzufangen gewusst und sie verstoßen, und ich hatte sie aufgenommen. Nach allem, was sie mittlerweile geleistet hatte, war nun jedoch klar, dass sie durchaus als Kämpferin taugte.
Im Moment konnte sie ihre Kräfte noch nicht nutzen, wenn sie vorher nicht hinreichend in Rage geriet, aber das würde sich sicher ändern, wenn ihr Talent erst einmal aufblühte. Gut Ding wollte Weile haben. Sicher würde sie sich auch von den Werten her noch verbessern.
»Nun, wir müssen uns überlegen, wie wir stärker werden. Unser nächster Gegner ist der Phönix, da müssen wir ordentlich trainieren, und die Zeit ist begrenzt.«
»Ja!«
»Raph!«
Raphi hatte zusammen mit Rishia geantwortet. Sie sollte ich auch vorstellen: Sie war ein Shikigami, erschaffen aus Raphtalias Haar. Mit den süßen waschbärartigen Ohren sah Raphi wie eine Tierversion von Raphtalia aus. Sie war auch verblüffend schlau und hatte mir schon mehrmals gute Dienste geleistet.
In dem Moment bemerkte ich, dass mein Schild auf sie reagierte. »Familiar Shield«? Ich wählte das blinkende Icon an und stellte fest, dass ich nun einen Schild mit Gehilfenbezug hatte. Von den Eigenschaften waren er und der Shikigami Shield beinahe identisch. Womöglich war er aufgetaucht, weil ich ihn für Raphi benötigte. Puh, da hatte ich aber Glück gehabt, dass sie sich nicht aufgelöst hatte!
Bei allen Dingen, die zwischen den Welten nicht kompatibel waren, sah ich in meinen Menüs nur Zeichensalat, und sie funktionierten nicht mehr. Wäre nach dem Weltenwechsel die Schrift des Shikigami Shield nicht mehr zu entziffern und Raphi bloß noch ein stummes Stofftier gewesen, hätte mich das schon ziemlich deprimiert. Doch zum Glück war das nicht passiert.
»Herr Naofumi? Was denkst du wieder Komisches?«
»Ich hab nur gedacht: Bloß gut, dass wir Raphi in diese Welt mitnehmen konnten.«
Sie seufzte. Aus irgendeinem Grund war sie Raphi nicht besonders zugetan.
»Tja, was sie bisher gelernt hat, ist allerdings weg. Sie muss wohl ganz von vorn anfangen. Aber hier kenne ich mich ja viel besser aus. Wart’s nur ab, Raphi, im Handumdrehen bist du noch stärker als in Kizunas Welt!«
»Raph!«
Sie hatte sich auf die Hinterbeine gestellt, als wollte sie zeigen, wie motiviert sie war. Ich war ehrlich froh, dass Raphi immer so brav bei allem mitmachte.
»Oh«, rief Raphtalia. »Es kommt wohl jemand vom Schloss, um uns willkommen zu heißen.«
Raphi und ich hatten einander in die Augen geschaut. Doch nun hob ich den Blick und sah, dass sich von der Schlossstadt eine mir bekannte Kutsche näherte.
Ich warf einen Blick über die Schulter: Hinter uns ragten die Überreste der Geisterschildkröte auf. Anscheinend hatte uns der Teleport direkt wieder vor ihr abgesetzt. Ein Monat war vergangen, daher war bereits das Meiste weggeschafft. Fleisch und so waren entfernt worden, und das Grün des Gebirges auf dem Rücken hatte sich weiter ausgebreitet.
Ost … Wir sind zurück.
Einen Wimpernschlag lang sah es so aus, als ginge von dem Kadaver der Geisterschildkröte ein Lichtschein aus. Hatte Ost auf meinen Gedanken geantwortet? Ach, das hatte ich mir sicher bloß eingebildet.
»Na, dann plaudern wir mal mit unserem Empfangskomitee, was?«
»Ja.«
»Wir haben einiges zu berichten, und mitgebracht haben wir ja auch allerhand.«
»Ob Melty sich wohl freuen wird?«
»Mal sehen.«
Filo trug gerade den Pyjama, der ihre Filolialform nachahmte. Der sollte ein Mitbringsel für ihre Freundin Melty sein, der zweiten Prinzessin Melromarcs.
»Von jetzt an wird’s bestimmt ziemlich hektisch, Raphtalia. Stell dich schon mal drauf ein.«
Uns erwarteten nun nämlich ähnliche Probleme wie die, mit denen sich Kizuna und ihre Freunde herumschlugen. Die drei anderen Helden hatten sich von der Geisterschildkröte besiegen und fangen lassen. Ich musste ein weiteres Mal versuchen, zu ihnen durchzudringen, und konnte nur hoffen, dass es mir endlich gelingen würde.
»Ich bin bereit.«
»Und dann müssen wir die Zeit nutzen, die uns bis zum Kampf gegen den Phönix bleibt. Wir tun, was wir tun müssen, und brechen auf, sobald es geht.«
»Wohin willst du denn?«
»Gedulde dich noch ein bisschen.«
»Na schön …«
»Ojeee …«
Ich hatte Raphtalia vielsagend zugezwinkert, und aus irgendeinem Grund hatte das Rishia wohl erschreckt. Mann, was war daran schon wieder falsch?
Unterdessen hielten die Kutsche und die Ritter vor uns an. Die Königin Melromarcs stieg aus und verneigte sich.
»Herr Iwatani, wie schön, dass Ihr heimgekehrt seid!«
»Lange nicht gesehen.«
Die Königin schien sich in dem Monat nicht verändert zu haben. Ja, sie war noch ganz die Alte.
»Hattet Ihr Erfolg?«
»Müssten das nicht alle mitgekriegt haben?«
»Ehe ich hier ankam, beobachtete ich, wie sich am Himmel ein gleißendes Licht ausbreitete. Bedeutet dies, dass Ihr die Energie der Geisterschildkröte zurückerobern konntet?«
»Ja. Und es sieht so aus, als hätte sich dadurch der Abstand zur nächsten Welle vergrößert.«
Die Ritter ringsum gaben erfreute Laute von sich.
»Wir können wohl davon ausgehen, dass wir Ruhe haben, bis das Siegel des Phönix bricht.«
»Und wie lange wird das wohl sein?«
»Dreieinhalb Monate. Eigentlich ein bisschen knapp … Tja, muss aber reichen.«
»Ich verstehe. Ihr seid doch sicher erschöpft von Eurem Kampf, in einer fremden und noch dazu feindlich gesinnten Welt.«
»Kann man wohl sagen. Ich will alles erfahren, was in der Zwischenzeit hier passiert ist.«
Die Königin trat beiseite und bedeutete uns, in die Kutsche zu steigen, die sie für uns bereitgestellt hatte. Das taten wir, und dann fuhren wir zum Schloss.
Kapitel 1: Der Träger des Sternenstabs
»Alsdann, Herr Iwatani, das Volk möchte Euch seinen grenzenlosen Dank ausdrücken. Bitte, winkt den Leuten zu.«
»Meinetwegen.«
Ich hatte meine Zweifel an ihrer Dankbarkeit.
»Habt Dank, werter Held des Schildes!«
»Schildheeeld!«
Wir fuhren durch die Schlossstadt. Am Straßenrand standen die Leute und winkten und jubelten, als wäre das ein Triumphzug. Berechnende Bande. Nun, das wusste man ja aus Animes oder aus der Geschichte selbst, dass die Masse manchmal recht einfach tickte. Ich ließ mir nichts anmerken und winkte zurück. Zwei, drei Monate vorher hätten sie noch mit faulen Tomaten geschmissen. Immerhin war ich ja der Schildteufel. Als ich von der ersten Welle zurückgekehrt war, hatten sie mich noch angestarrt, als wollten sie sagen: Was willst du denn hier? Vielleicht sollte ich mich einfach freuen, dass man mich nun endlich angemessen würdigte, aber es stieß mir sauer auf.
Hm … Wie viel Zeit war nun eigentlich wirklich vergangen?
»Sag mal, Königin …«
»Ja?«
»Wie lange ist es her, seit ich abgereist bin?«
Ich hatte zwar schon selbst nachgerechnet, aber ich wollte mich lieber vergewissern. Es wäre ja möglich, dass hier während unserer Abwesenheit wie in einem Märchen in Wahrheit viele Jahre vergangen waren.
»Zweieinhalb Wochen.«
»Ach, tatsächlich?«
Nanu? Es schien, als verginge in Kizunas Welt die Zeit schneller als hier. Auch Raphtalia und Rishia blickten erstaunt drein, als die Königin das sagte.
»Warum fragt Ihr?«
»Während unserer Verfolgungsjagd ist in der anderen Welt ein Monat vergangen.«
»Ich verstehe … Eine erstaunliche Abweichung.«
Ich wusste nicht, ob das gut oder schlecht war, doch anscheinend hatten wir Zeit gutgemacht.
Schließlich kamen wir beim Schloss an und wurden in den Thronsaal geführt.
»Was ist aus dem Militärbündnis geworden?«
»Die Armeen wenden alle Kraft für den Wiederaufbau ihrer jeweiligen Reiche auf.«
Die Geisterschildkröte hatte furchtbaren Schaden angerichtet. Überall sah ich noch deutlich die Spuren. Mitten im Grasland Melromarcs lag der gewaltige Kadaver der Geisterschildkröte. Wir hatten sie zwar besiegt, doch sie hatte auf ihrem Weg eine Schneise der Verwüstung hinterlassen.
»Vergegenwärtigen wir uns einmal die jetzige Lage: Überall auf der Welt sind die Drachensanduhren stehengeblieben.«
»Das Gleiche gilt für meine rote Uhr.«
»Ich verstehe.«
»Aber die andere zeigt dreieinhalb Monate an.« Mir wurde düster zumute. »Dreieinhalb Monate haben wir also, dann müssen wir bereit sein, es mit dem Phönix aufzunehmen.«
Wir wussten ja bereits, dass er wieder zum Leben erwachen würde.
»Ach, und dann haben wir in der anderen Welt, in die wir diesem Kyo gefolgt sind, noch ein paar Sachen herausgefunden.«
Ich berichtete der Königin, was wir in Kizunas Welt erfahren hatten. Uns war mitgeteilt worden, dass es sich bei den Wellen um ein Verschmelzungsphänomen zwischen Welten handelte. Würde die Verschmelzung dieses Mal vollendet, so glaubte man, würde es die Kapazitäten der Welten überschreiten, und sie würden beide untergehen. Um dies zu verhindern, waren die sogenannten Vasallenwaffenträger, ein bestimmter Heldentyp, über die Wellenrisse herübergekommen und hatten versucht, die heiligen Helden umzubringen, die Stützpfeiler unserer Welt.
Die Begleiter der Königin begannen aufgeregt zu murmeln, als sie das alles hörten.
»Und meint Ihr, dies entspricht der Wahrheit?«
»Ehrlich gesagt halte ich es für fragwürdig. Es wurde noch nie versucht. Außerdem gibt’s dort drüben eine Heldin, die mit ihrer heiligen Waffe nichts gegen Menschen ausrichten kann. Wenn diese Geschichte wahr wäre, müssten doch gerade die vier Heiligen allesamt stark sein, oder?«
Es konnte trotzdem stimmen. Aber Kizuna hatte Einwände vorgebracht.
»Wir haben drüben einen Text gefunden, der andere Ansichten über die Wellen enthält. Rishia?«
»J… Ja!«
Rishia holte das Buch hervor, das Kizuna und die anderen ihr anvertraut hatten.
»Wir wissen nicht, was drinsteht, aber es enthält viele Bilder, die an die Wellen denken lassen. Es muss uns nur gelingen, den Text zu entschlüsseln, dann erfahren wir vielleicht irgendwas.«
»Ich verstehe … Dann werde ich die anderen Reiche ersuchen, Gelehrte zu entsenden, die solche Texte entschlüsseln können.«
»Lass Rishia auch mitmachen. Sie beherrscht nämlich die Sprache der anderen Welt. So was scheint ihre Stärke zu sein.«
Dafür hatte sie, offen gesagt, mehr Talent als fürs Kämpfen.
»Ojeee …«
»Glass und die anderen haben es dir anvertraut. Streng dich an.«
Ich musste sie dazu bringen, dass sie sich alles zutraute.
»So, diesen Text hätten wir schon mal. Aber ich hab mich auch mit der Heldin der anderen Welt ausgesprochen. Einstweilig haben wir eine Waffenruhe. Wenn wir Glass und L’Arc das nächste Mal begegnen, dürfte es also höchst unwahrscheinlich sein, dass wir gegen sie kämpfen müssen.«
»Verstehe. Nun, da vorerst keine Wellen kommen, hätte es gewiss nicht viel Sinn, allzu sehr auf der Hut zu sein.«
»Wir haben außerdem noch eine Reihe von Items aus der anderen Welt mitgebracht. Da ist so einiges dabei. Ich weiß aber noch nicht, was davon hier funktioniert.«
Ich zeigte der Königin den Beutel, den ich von Kizuna und ihren Freunden bekommen hatte. Es waren ausschließlich erstklassige Artikel, die uns bestenfalls nicht nur helfen würden, die Wellen zu bewältigen – sie würden mich auch auf einen Schlag reich machen.
Kizuna hatte uns so viel mitgegeben: Ein Item imitierte die Drop-Funktion der legendären Waffen; ein anderes teleportierte einen wie die Drachensanduhren zu einer Welle; dann gab es noch das Heimwegmanuskript, das Teleport-Skills nachahmte …
»Ach ja, eine wichtige Sache wäre da noch: Wir müssen von einem Fluch genesen, den wir uns bei dem Kampf eingehandelt haben.«
»Oh … So etwas Schlimmes ist Euch widerfahren?«
Im Augenblick waren bei Raphtalia, Filo und mir alle Werte sehr niedrig, eine Nebenwirkung des Zaubers All Sacrifice Aura, den ich im Kampf gewirkt hatte. Und es würde lange dauern, bis wir uns davon erholt hatten: dem Heiler aus Kizunas Welt zufolge volle drei Monate. Das brachte uns in eine wahrhaft ernste Lage. Bis wir wieder ganz bei Kräften waren, durften wir nicht leichtsinnig sein. Selbst gewöhnliche Kämpfe könnten ziemlich hart für uns werden. Wir konnten zwar verschiedene Heilmethoden ausprobieren, aber in der Zwischenzeit würden wir irgendwie mit unseren gesenkten Werten zurechtkommen müssen. Erst durch diesen Verlust wurde mir schmerzlich bewusst, wie ungeheuer stark ich durch die gemeinsamen Hochrüstmethoden der Helden geworden war. Glücklicherweise war wenigstens meine Verteidigungskraft von den Auswirkungen des Fluchs ausgenommen. Irgendwie würden wir es schon schaffen.
»In dreieinhalb Monaten bricht das Siegel des Phönix. Und nach ihm werden die Kämpfe bestimmt auch nicht leichter.«
In Kizunas Welt hatten wir erfahren, dass die Monster durch die Wellen an Stärke gewannen. Je schlimmer die Lage wurde, desto unentbehrlicher wurden die Helden. Das konnte ich nicht alles allein bewältigen, ebenso wenig Raphtalia, trotz ihres Vasallenkatanas. Außerdem hatte ich Fitoria ein Versprechen gegeben. Wenigstens wir vier Helden mussten unseren Zusammenhalt verbessern.
»Im Hinblick auf das, was kommt«, sagte ich, »ist wohl ein weiteres Heldengespräch nötig – die Vasallen eingeschlossen … aber die heißen hier Sternhelden, oder?«
Ich ging davon aus, dass die Helden der sieben Sterne unsere Entsprechung der Vasallen aus der anderen Welt waren. Daher wollte ich mit ihnen sprechen und nach Möglichkeit die Hochrüstmethoden abgleichen. Die Königin hörte mir schweigend zu und verbarg den Mund hinter ihrem Fächer.
»Ich höre sehr wohl, was Ihr sagt, Herr Iwatani. Eine Unterredung mit den Sternhelden … Ich werde mit Faubrey und den anderen Reichen Kontakt aufnehmen und alles daransetzen, dass dieses Gespräch zustande kommt.«
Ich sah sie zweifelnd an. Wieso nur die Sternhelden? Was war mit den drei Trotteln?!
»Moment mal«, fragte ich. »Was ist mit den anderen Helden?«
Die Königin wandte den Blick ab.
»Hey!«
»Nun, ich bin wirklich untröstlich, aber vor einigen Tagen …«
Neben mir gab es noch drei weitere heilige Helden: Ren Amaki war das Schwert, Motoyasu Kitamura die Lanze und Itsuki Kawasumi der Bogen. Die drei waren überzeugt, in einer Videospielwelt gelandet zu sein. Sie liefen herum, ohne auf irgendjemanden Rücksicht zu nehmen, und verließen sich ausschließlich auf das, was sie aus ihren Games kannten. Sie hatten es mit der Geisterschildkröte aufgenommen, doch das Blatt hatte sich gegen sie gewendet: Kyo hatte sie gefangen und dann als Energiequelle für die Geisterschildkröte genutzt. Kurz bevor wir in die andere Welt hinübergewechselt waren, hatten Eclair und die alte Schachtel mit ihrem Stil der Unvergleichlichen Veränderung die drei Helden mitgenommen, das wusste ich noch.
Nun berichtete mir die Königin, was vorgefallen war.
Die Helden hatten im Krankenhaus gelegen und waren zunächst einfach nicht aufgewacht. Vor einigen Tagen hatte der behandelnde Heiler jedoch bemerkt, dass sie allmählich wieder zu Bewusstsein kamen. Die drei hatten gefragt, was geschehen war … Und dann war ihnen wieder eingefallen, dass sie die Geisterschildkröte angegriffen und verloren hatten.
»Und dann?«
»Am Abend war es dann plötzlich, als hätten sie sich in Luft aufgelöst …«
Ich spürte, wie meine Wange zuckte. Diese verdammten Idioten! Sie mussten mit ihren Teleportationsskills geflohen sein! Es blieb jedoch unklar warum. Irgendwelchen Unfug schienen sie jedenfalls nicht angestellt zu haben … Na ja, es war trotzdem absolut uncool, so viel stand fest.
»Wir halten die Informationen zurück, aber im Volk munkelt man bereits, ob die Niederlage der drei Helden nicht eine der Ursachen sein könne, dass die Geisterschildkröte sich so fürchterlich verwandelt hat. Jedenfalls müssen wir uns nun sorgen, was aus ihnen geworden ist.«
Ich seufzte. »Ich weiß ja nicht, wohin sie verschwunden sind, aber überlegt euch mal bitte, wie ihr sie beschützen wollt.«
»Wir werden angemessene Schritte ergreifen. Vielleicht machen sie sich ja Vorwürfe, weil sie den Schaden noch verschlimmert haben. Ich werde befehlen, dass man sich ihnen mit Bedacht nähert.«
Also wirklich … Wie viel Ärger wollten die uns denn noch machen? Diese Idiotenbande!
»Vor einer Sache müssen wir uns in Acht nehmen. Nach ihrer Niederlage sind die drei Helden gewiss am Boden. Es könnte durchaus ein Reich geben, dass sich ihnen in dieser Situation anbiedert, um sich mit ihrer Hilfe zum Herrscher der Welt aufzuschwingen.«
»Ach, solche Leute gibt’s hier auch? War ja klar …«
»Natürlich würden sie entsprechend Kritik ernten. Unser Reich würde jedenfalls nicht dazu schweigen, und Faubrey gewiss auch nicht.«
»Ähm … Das ist das mächtige Reich, das zuerst versucht hat, die vier Helden zu beschwören, oder?«
»Ja. Es steht in enger Verbindung zu den vier Heiligen. Wer ohne die Einwilligung dieses Reichs einen solchen Vorstoß wagte, würde einem Krieg wohl nicht entgehen können.«
Ich hatte gedacht, Kriege und Ähnliches seien hier kein solches Problem wie in Kizunas Welt, aber anscheinend bestand generell kein Mangel an so etwas. Liefen die Helden zu einem Reich über, das ihnen Honig ums Maul schmierte, dann bestand die Gefahr, dass man sie als politisches Werkzeug benutzen würde.
Ich hatte bereits solche Einladungen abgelehnt, ohne dass es mir bewusst gewesen war. Bei den Jungs konnte ich mir jedoch sehr gut vorstellen, dass sie sich auf so etwas einließen. Die Helden waren wirklich zu nichts zu gebrauchen … Auch wenn es komisch war, das zu sagen, denn immerhin war ich einer von ihnen.
Konnten wir also im Augenblick nicht mehr tun, als die Sternhelden zusammenzurufen?
Es war unklar, ob sie Freund oder Feind waren, aber wir mussten wenigstens einmal zusammenkommen und miteinander reden. Es war wichtig, dass wir unsere Hochrüstmethoden zusammenführten. Wobei nicht feststand, dass sie ihre verraten würden: Auch in Kizunas Welt hatte es ja Beispiele wie Kyo gegeben; man konnte nicht wissen, ob die Helden der sieben Sterne tatsächlich unsere Verbündeten waren. Aber irgendwie musste ich in Erfahrung bringen, wie sie hochpowerten. So bekäme ich ein Mittel in die Hand, etwas wegen meiner durch den Fluch gesenkten Werte zu unternehmen.
»Jetzt weiß ich, was mit den Helden ist. Und wie sieht es mit der Katastrophe aus? Schafft ihr den Wiederaufbau?«
Als ich das fragte, verfinsterten sich die Mienen der Königin und ihrer Gefolgsleute ein weiteres Mal. Aha, es gestaltete sich also schwierig.
»Unter den Alliierten hat es recht viele Opfer gegeben«, sagte die Königin.»Wegen unserer Expedition ins Innere der Geisterschildkröte und der Versuche, sie zu lenken.«
»Es tut mir leid, dass ich sie nicht beschützen konnte.«
Als Held des Schildes musste ich eigentlich immer darüber nachdenken, wie ich Opfer vermeiden konnte. Aber am Ende hatte es dennoch viele gegeben.
»Aber nicht doch … Es war ihr eigener Wunsch. Und so weit ich weiß, sind von denen, die mit ins Innere vorgedrungen sind, dank Euch alle dem Tode entronnen.«
»Es freut mich, das zu hören.«
»Unsere Nachbarreiche haben ebenfalls erheblichen Schaden erlitten, und es wird lange dauern, alles wieder aufzubauen.«
»Tatsächlich?«
»Um ehrlich zu sein, wird es nun auch ein wenig schwerer sein, Euch zu unterstützen, Herr Iwatani.«
Das musste ich wohl akzeptieren. Und hätten sie mich nach dieser Verwüstung immer noch umfänglich unterstützten können, hätte ich mir Gedanken machen müssen, woher das Geld kommt.
»Wir tun, was wir können, aber verglichen mit dem, was eigentlich vorgesehen war …«
»Klar, das versteh ich. Wir überlegen uns selbst, wie wir an Geld kommen.«
Vielmehr sollten wir unsererseits etwas zum Wiederaufbau beisteuern. Ob ich einmal die Idee ansprechen sollte, über die ich nachgedacht hatte?
»Ihr könnt uns allerdings auch anders unterstützen als mit Geld.«
»Wenn es in dieser Situation kein Geld sein müsste, würde uns das in der Tat sehr helfen.«
Es gab ein gewisses Problem. Er war mir schmerzlich bewusst geworden, als ich das Bündnisheer mitgenommen hatte, aber auch davor hatte ich mir schon den Kopf darüber zerbrochen.
»Du könntest uns stattdessen ein Lehen geben. Ginge das?«
Ich hatte mir angeschaut, wie Kizuna und die anderen lebten, und das hatte mich zum Nachdenken angeregt, wie man die Wellen wohl am effektivsten anging. Zugleich hatte ich mich jedoch gefragt, wie ich Raphtalia am besten meine Dankbarkeit zeigen konnte. Angenommen in dieser Welt kehrte einmal Frieden ein, dann wäre ich bestimmt nicht so blöd hierzubleiben. Ich würde in meine eigene Welt zurückkehren, ohne zu zögern. Aber was würde dann aus Raphtalia? Dies war ihre Welt. Hier gehörte sie hin. Ich musste ihr einen Ort schaffen, an dem sie, die an mich geglaubt hatte und mit mir durch Freud und Leid gegangen war, bis an ihr Lebensende glücklich leben konnte.
»Ein Lehen? Das wäre kein Problem, aber dürfte ich Euch nach dem Grund fragen? Bitte verzeiht meine Unhöflichkeit, aber bis jetzt hatte ich den Eindruck, dass Ihr solchen Dingen gleichgültig gegenübersteht.«
Nun, dann wollte ich ihr geradeheraus den Grund nennen.
»Die Heldin aus der Welt jenseits der Wellen hat ihre Gefährten so gut ausgebildet, dass sie sich den Wellen auch allein stellen können. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass wir das hier auch brauchen.«
Schlussendlich waren wir diejenigen gewesen, die die Geisterschildkröte besiegt hatten. Aber ich konnte nur verteidigen und brauchte eben doch viel mehr Gefährten.
»Herr Iwatani, ich verstehe Euren Gedanken.«
»Ohne die Bündnisarmee hätten wir gegen die Geisterschildkröte verloren, so viel steht fest. Aber ich sag’s mal ganz deutlich: Gegen die Wellen hätten die Soldaten es in ihrer gegenwärtigen Verfassung schwer – sie sind zu schwach.«
Die Ritter machten mürrische Geräusche. Sie waren stolz und hörten so etwas gar nicht gern.
»Wir haben einfach insgesamt zu wenig Kampfkraft. Höchstwahrscheinlich werden uns noch Ungeheuer weit mächtiger als die Geisterschildkröte begegnen. Deswegen hab ich darüber nachgedacht, eine Privatarmee aufzubauen, um uns gegen die Wellen zu wappnen … Natürlich brauchen wir Geld. Und als Grundlage dafür hätte ich gern ein eigenes Territorium.«
»Nun verstehe ich Euren Gedanken gänzlich, Herr Iwatani. Wir sind ohnehin verpflichtet, Euch unsere Anerkennung zu zeigen, insofern ist das eine wunderbare Gelegenheit.«
Die Königin schloss ihren Fächer und holte eine Karte hervor.
»Ein Lehen in der Nähe der Schlossstadt wäre wohl am besten. Schwebt Euch schon ein bestimmter Ort vor?«
»Der hier.«
Ohne zu zögern, zeigte ich auf das Gebiet entlang der Küste, nahe des Hafens, von dem aus wir nach Cal Mira übergesetzt hatten.
»Aber …«, setzte Raphtalia an, hielt sich jedoch sofort zurück.
»Hm … In dem Gebiet ist Eclair Seaetto gerade Statthalterin.«
»Eclair, hm? Die macht ja auch alles Mögliche.«
»Seaetto gehört ebenfalls zu den Regionen, die ich beim Wiederaufbau unterstützen wollte. Berichten zufolge sieht es dort im Augenblick … nicht allzu rosig aus.
»Ach, nein?«
Seaetto war von der allerersten Welle schwer getroffen worden, noch ehe man mich beschworen hatte. Ich war schon mehrmals dort durchgekommen. Es war eine verlassene Gegend, in der sich eine verwaiste Ruine an die nächste reihte. Selbst Pflanzen schienen dort nicht zu gedeihen, was vielleicht an der Welle lag. Es war sicher schwierig, dieses Gebiet wiederaufzubauen. Und auch die letzte Katastrophe war gerade einmal zweieinhalb Wochen her.
»Ich würde euch lieber ein anderes Gebiet anbieten. Diese Gegend wurde von der ersten Welle verwüstet, und es gibt dort nur noch Ruinen.«
»Ich will mein Lehen sowieso selbst kultivieren. Beim Wiederaufbau kann ich alles so machen, wie es mir gefällt, anders als an einem Ort in Schlossnähe, wo schon alles fertig ist. Mir passt das ganz gut.«
»Na schön. Doch wenn Ihr ein eigenes Lehen bekommt, werde ich Euch auch in einen angemessenen Stand erheben müssen, meint Ihr nicht?«
»Wenn die Wellen vorbei sind, will ich eh wieder nach Hause. Es reicht also, wenn es für eine Generation ist. Hinterher kannst du es auch Eclair zurückgeben. Ach, nee … Sie kann meinetwegen auch gleich Statthalterin bleiben. Hauptsache, ich kann da machen, was ich will.«
Eclair war ja keine Unbekannte. Außerdem war sie grundehrlich und hatte bereits den klaren Willen gezeigt, sich mit den Subhumanoiden gutzustellen. Das würde schon laufen.
»Das geht nicht, Herr Iwatani! Ihr dürft Eure Leistung nicht so unterbewerten. Wenn wir Euch nicht angemessen belohnen, könnte das andere Reiche gegen Melromarc aufbringen.«
Jetzt hatte ich mir einen Tadel eingehandelt.
»Ich werde euch den Titel eines Grafen verleihen.«
»Oha …«
Mein Schild hatte »Graf« übersetzt. Aber bekam ich somit nicht das Vererbungsrecht?
Vor längerer Zeit hatte ich begeistert Adelsmanga gelesen. Über Grafen wusste ich Bescheid. Wenngleich solche Geschichten nicht im Mittelalter spielten, sondern in jüngerer Zeit. Herzog, Markgraf, Graf, Vizegraf und Baron – das waren die gemeinhin bekannten fünf Adelstitel, vom ranghöchsten abwärts. Im Allgemeinen gab es abstammungs- und gebietsbezogene Titel. In meiner Welt, etwa in Europa, waren Adelstitel ans Territorium geknüpft. Wer diese Gebiete regierte, gehörte zum Adel. Adelige mit mehreren Lehen hatten deswegen auch mehrere Titel. Zudem verfügte jeder, der einen dieser Adelstitel führte, über mindestens zehntausend Morgen Land. Ob das alles hier genauso war, wusste ich natürlich nicht.
»Ich denke dabei an die Zukunft, Herr Iwatani. Es könnte ja sein, dass Ihr einmal Nachkommen habt. Wenn zum Beispiel Melty Kinder bekäme …«
»Daraus wird nichts.«
Wollte die mich so dringend mit Melty verkuppeln? Sie war doch noch so jung! Auf Zehnjährige war ich ganz bestimmt nicht scharf.
»Wartet bitte: Wir müssen eine Zeremonie durchführen, bei der Euch der Titel verliehen wird.«
»Was für ein Aufwand …«
»Das mag sein, aber wir müssen Eure Leistung in angemessener Form entlohnen, sonst leidet das Ansehen der Krone.«
Es stimmte schon: Kyo hatte so schlimmen Schaden angerichtet, dass es unangemessen wäre, wenn man den Helden, der ihn besiegt hatte, mit Geld abspeiste.
»Der Held des Schildes, an den die Subhumanoiden glauben, wünscht sich nun also Seaetto, jenes Gebiet, das dafür berühmt war, selbst im Reich Melromarc keine Subhumanoiden zu diskriminieren. Schon Eclairs Vater war sehr beliebt, und ich habe stets auf ihn bauen können.«
Diese Königin … Sie schien ganz genau zu verstehen, was ich vorhatte. Mehrmals wanderte ihr Blick zu Raphtalia hinüber.
»Das wird eine gute Außenwirkung haben. Dafür Sorge zu tragen, überlasse ich Euch.«
»Versprich dir bloß nicht zu viel.«
Die Königin ließ mich ein zeremonielles Schwert halten.
Ich befürchtete erst, dass der Schild es abweisen würde, aber solang ich keine Angriffsabsichten verfolgte, schien es wohl kein Problem darzustellen. Ich sollte das Schwert ziehen, es der Königin überreichen, sie würde es nacheinander über meine Schultern halten, und dann hätte ich offiziell meinen Titel.
»Naofumi Iwatani, dem Helden des Schildes, wird nun ein Titel zuerkannt!«
Die Schlosssoldaten ringsum bliesen in trompetenartige Instrumente. Ich trat von der Tür aus würdevoll auf die Königin zu, die auf ihrem Thron saß. Dort angekommen, senkte ich affektiert das Haupt, zog das Schwert an meiner Seite und reichte es der Königin. Sie nahm es entgegen und hielt es über meine Schultern.
»Auf Beschluss der Krone sollt Ihr für Eure Verdienste den Titel eines Grafen bekommen.«
Dann gab die Königin mir das Schwert zurück.
»Tja, ich hab noch einiges vor.«
Ich steckte das Schwert wieder in die Scheide und erhob mich.
»Das wäre es gewesen. Gern hätte ich diese Zeremonie in größerem Stil abgehalten, aber …«
»Muss nicht sein.«
»Das dachte ich mir schon, daher habe ich die verkürzte Form gewählt. Erlaubt mir jedoch, es dem Volk zu verkünden.«
»Meinetwegen.«
Mich beschlich das Gefühl, ich würde von jetzt an nicht mehr einfach so in der Schlossstadt herumspazieren können.
Wo war überhaupt der Drecksack? Es erschien mir wie eine Ewigkeit, dass ich ihn zuletzt gesehen hatte. Er war doch sicher auch hier?
Drecksack war der Ehemann der Königin und er übernahm nur stellvertretend die Rolle des Regenten. Ursprünglich hatte er anders geheißen, aber als Strafe für seine Verbrechen hatte er diesen Namen annehmen müssen: Er hatte zu denen gehört, die mich aus religiösen Gründen mit falschen Anschuldigungen belastet hatten.
Oh, da war er ja! Und er starrte verärgert in meine Richtung. Er verkniff sich jedoch einen Kommentar – vielleicht weil die Königin ihn so anfunkelte? Doch dann sah ich genauer hin und stellte fest, dass er ein Halsband trug.
»…!«
Ah, gerade hatte er versucht, etwas zu sagen, und nun fasste er sich ans Halsband, das sich zusammenzuziehen schien. Das war ja zum Lachen! Also tat ich es auch. Ich lachte ihn aus.
»…!!«
Er sah stinksauer aus. Doch als er versuchte zu brüllen, zog sich das Halsband nur noch straffer und brachte ihn zum Schweigen. Hach, zum Schießen!
»Herr Naofumi!«, sagte Raphtalia in mahnendem Tonfall.
Sie schien das Halsband nicht bemerkt zu haben.
»Ach, wie witzig. Guck doch mal, da!«
»Nun … Das sieht dir mal wieder ähnlich.«
Jetzt hatte ich sie wieder verärgert.
»Ach ja, Herr Iwatani. Ihr hattet doch darum ersucht, mit den Helden der sieben Sterne zu sprechen?«
»Hm? Ja, aber …«
Die Königin warf Drecksack einen bedeutungsvollen Blick zu. Dann führten ihn die Ritter vor mich und drückten ihn mit Gewalt auf die Knie hinunter.
»Sprechen wir einmal über einen ganz bestimmten Sternhelden.«
Schön, aber wieso schleppten die deswegen den Drecksack an?
»Er war einmal ein vortrefflicher Mensch. Damals nannte er sich Lucius. In der Vergangenheit hatte Schildwelt die Weltherrschaft ins Auge gefasst. Lucius ist ihnen geradeheraus entgegengetreten. Mehr als zwanzig Jahre ist das her. Mit seinem Wagemut hat er Melromarc und noch viele andere Reiche gerettet.«
»Also ein ziemlich hochgeschätzter Typ.«
Wenn das schon zwanzig Jahre her war, musste er ja entsprechend alt sein. Unter denen, die ich so kannte, wären vielleicht die alte Schachtel, der Sklavenhändler oder der Schmuckverkäufer im entsprechenden Alter. Die letzteren beiden kamen wohl nicht infrage, aber bei der alten Schachtel konnte ich es mir gut vorstellen. Nachdem ich ihr damals meine Medizin verabreicht hatte, hatte sie ein erstaunliches Comeback hingelegt und war bei der Welle wie wild auf die Monster losgegangen. Aber irgendetwas an der Sache hier kam mir merkwürdig vor.
»Die Leute sprachen ihn nicht als Helden des Stabs an, sondern nannten ihn einen weisen, klugen König, aus Furcht vor seiner Kriegslist.«
»…!!«
Der Drecksack vor mir wehrte sich ja ganz schön heftig. Hm … Ein weiser, kluger König also? Da hatten sie ja einen super Kerl auf dem Thron gehabt. Und wenn er so schlau gewesen sein soll … Ich warf einen Blick zu Rishia hinüber.
»Geht es um deinen Vater?«
»Ojeeeeeeeee!«
Sie schüttelte heftig den Kopf. Dann wohl nicht.
»Rishia, weißt du von so jemandem?«
»Äh … Ja. Seine Majestät unseres Reichs dort … Er ist der Träger des Sternenstabs.«
»Hä?«
Verblüfft zeigte ich auf Drecksack, der vor mir herumzappelte.
»Ihm verdanken wir, dass es Melromarc und die anderen Reiche heute noch gibt.«
Ach was! Dieser dämliche, törichte, machtgeile Klotz sollte einer der Sternhelden sein? Unmöglich! Außerdem hatte ich ihn noch nie einen Stab tragen sehen.
Weiser, kluger König? Von wegen! Sicher hatten sie ignoranter, dummer König sagen wollen!
»Rishia, du erzählst gute Witze.«
»!«
Wutschnaubend starrte Drecksack mich an.
»Das war kein Witz … Dass er sich uns so zeigt, ist sicher eine Taktik. Papa und Mama haben oft gesagt, solang wir unseren König haben, herrscht Frieden in Melromarc.«
»Siehste, und deswegen sind dein Papa und deine Mama auch so tief gefallen.«
»Ojeee …«
»Herr Naofumi!«, mahnte Raphtalia.
Wieso? Stimmte doch.
Wenn ich das richtig verstand, sollte Drecksack also eine Art berühmter Stratege sein. So etwas kannte ich auch aus meiner eigenen Welt. Selbst wenn der vermeintliche Superstratege etwas Blödes machte, hielten sich seine Feinde vorsichtshalber zurück, denn es könnte ja eine Falle sein …
Blödsinn.
»Ich hab’s!« Ich zeigte provokant mit dem Finger auf ihn. »Das Original sitzt bestimmt woanders, und der hier ist nur ein Double.«
Als ich das sagte, riss sein Geduldsfaden. Er ballte die Faust und schlug nach mir.
»Oh nein«, sagte die Königin. »Icicle Prison.«
»?!«
Er wurde in einen Käfig aus Eis gesperrt und starrte die Königin an.
»Oder er ist längst tot, und Drecksack ist bloß sein Ersatz.«
»Nein, nein«, sagte die Königin.»Was Fräulein Rishia sagt, entspricht der Wahrheit. Stimmt’s, Drecksack?«
»!«
»Ach ja, mit deinem Halsband kannst du ja nicht reden. Herr Iwatani, habt Ihr Euch nie gefragt, warum ich Bitch zur Sklavin gemacht habe, ihn jedoch nicht?«
Nun da sie es sagte … Ich hatte angenommen, sie hätte ihn verschont, weil er relativ schnell aufgegeben hatte, aber ein bisschen lasch war mir die Strafe schon vorgekommen.
»Ihr wisst es sicher bereits, aber weder die vier Heiligen noch die Sternhelden können versklavt werden.«
»Ah … Das heißt, weil es keinen Weg gab, ihn zum Sklaven zu machen, hast du ihn mit dem Halsband zum Schweigen gebracht … Und das hält?«
»Nun, wenn er es zerstören wollte, würde er es leicht schaffen. Er macht’s nur nicht, weil er genau weiß, was ihm dann blüht.«
Sie hatte es kaum gesagt, da riss Drecksack sich das Halsband ab.
»Ich ertrage das nicht länger. Schiiiiiiiiiild!«
Er war also immer noch so ein Schreihals.
»Dieses eine Mal werde ich darüber hinwegsehen«, sagte die Königin.»Also, Aultclay … Hoppla, ich meine natürlich Drecksack. Setze Herrn Iwatani über die Hochrüstmethoden deines Stabes in Kenntnis.«
»Das kannst du nicht von mir verlangen! Ich … Ich akzeptiere das nicht! Du gibst dem Schild den Titel eines Grafen? Das werde ich auf keinen Fall billigen!«
»Was soll ich nur mit ihm machen? Ihr müsst mir vergeben, dass ich ihn mit dem Leben davonkommen lasse.«
Die Königin holte aus und verpasste ihm eine Ohrfeige.
Ich Schuft freute mich zwar ein wenig, aber realistisch gesehen würde es wohl schwierig werden, die Hochrüstmethoden aus ihm herauszupressen. Da ginge es schneller, ihn umzubringen und zu warten, bis sich ein neuer Träger für die Waffe fand. Aber die Königin wollte offenbar, dass ich mich nachsichtig zeigte. Knifflig.
»Königin, setze alle erdenklichen Foltertechniken ein. Welchen Wert hat das Leben eines Helden, der keine Lust hat, für den Weltfrieden zu kämpfen? Gar keinen.«
»Was sagst du … Mmmpf?!«
Die Königin hatte ein Zeichen gegeben, dass man ihm etwas in den Mund stopfen sollte.
»Na schön.«
»Als Stichtag …«
Ich wollte gerade eine Galgenfrist setzen, da fiel mir die Königin ins Wort.
»Ein weiteres Problem betrifft meine Tochter Bitch.«
Hm? Hatte es in der Sache etwa eine Entwicklung gegeben? Die Hochrüstmethoden waren zwar auch wichtig, aber wenn es um Bitch ging, war das etwas anderes. Ein wenig kam es mir so vor, als hätte sie mich ablenken wollen … Aber ich konnte das Thema ja bei der nächsten Gelegenheit wieder ansprechen.
»Demzufolge, was Herr Kitamura sagte, nachdem er wieder zur Besinnung gekommen war, ist sie höchstwahrscheinlich noch am Leben.«
»Da bin ich ganz sicher. Dann findet sie schnell und fangt sie ein.«
Von Kyo hatten wir erfahren, dass Motoyasu im Angesicht der Geisterschildkröte alle Gefährtinnen ausgerissen waren. Zweifellos lebte das Miststück noch.
»Wie Ihr wünscht.«
Wobei man nicht wusste, ob sie zu Motoyasu zurückkehren würde. Und sie war vor dem Feind geflohen. Stand darauf nicht die Todesstrafe?
»Zuerst müssen wir mit dem Mädchen sprechen. Möglicherweise nimmt es ja für Euch eine erfreuliche Wendung …«
»