The Rising of the Shield Hero – Light Novel 08 - Kugane Maruyama - E-Book

The Rising of the Shield Hero – Light Novel 08 E-Book

Kugane Maruyama

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Beschreibung

Um die von Kyo gestohlene Macht der Geisterschildkröte zurückzuholen, wollen Naofumi und seine Verbündeten ihm in eine andere Welt folgen. Doch beim Übertritt geht etwas schief – und so findet der Held des Schildes sich schließlich eingesperrt in einem Kerker wieder! Zu allem Überfluss wurde er auch noch von seinen Gefährtinnen getrennt – einzig die ängstliche Rishia befindet sich noch an seiner Seite. Wie konnte das passieren? Und was hat es mit diesem Ort auf sich, von dem es kein Entkommen zu geben scheint?

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Inhaltsverzeichnis

Prolog: Das unendliche Labyrinth

Kapitel 1: Die Heldin der Jagdwaffen

Kapitel 2: Die Flucht

Kapitel 3: Die unbekannte Anderswelt

Kapitel 4: Der Drop-Item-Verkauf

Kapitel 5: Demonstrieren und Verkaufen

Kapitel 6: Das Ausrüstungskonzept der fremden Welt

Kapitel 7: Die Legende von den Wellen

Kapitel 8: Die Heldin der Jagdwaffen kehrt heim

Kapitel 9: Shikigami

Kapitel 10: Das Katana

Kapitel 11: Die Rettung des Himmelsmädchens

Kapitel 12: Die Humming Fairy

Kapitel 13: Die Fähigkeiten der Jagdheldin

Kapitel 14: Das Wiedersehen

Kapitel 15: Die Wahl des Katanas

Kapitel 16: Stumme Magie

Kapitel 17: Blutblumenschlag

Epilog: Alle treffen sich wieder

Prolog: Das unendliche Labyrinth

»…fumi! Herr Naofumi!«

Ich hörte eine Stimme und ein Tropfen. Jemand rüttelte an mir. Ich kam rasch zu mir.

»Uh …«

Mir war schwindlig. Ich richtete mich kopfschüttelnd auf.

»So ein Glück, du bist wach!«

Rishia kniete neben mir und sah mich besorgt an.

»W… Wo sind wir?«

»Na ja … Das weiß ich leider auch nicht …«

Ich blickte mich um. Wir befanden uns in einem kleinen Raum mit feuchten Steinwänden. Alles wirkte irgendwie düster. Wo ich gelegen hatte, war Stroh ausgebreitet: eine schäbige Schlafstatt, auf die Schnelle in einer Ecke hergerichtet. Und es gab eine Gittertür.

»Das … sieht ja nach einem Verlies aus.«

»Ojeee …«

Was war geschehen?

Ich stand auf und versuchte, meine Gedanken zu ordnen.

Die Gittertür ließ an nichts anderes als an einen Kerker denken. Aber … wie waren wir nur hierher gelangt?

Ich war gerade erst aufgewacht, und in meinem Kopf herrschte Durcheinander. Ich versuchte, mich zu beruhigen und mir ins Gedächtnis zu rufen, was passiert war.

Mein Name war Naofumi Iwatani.

Ich stammte aus Japan, wo ich meinen Otaku-Hobbys1 gefrönt und an einer Universität studiert hatte. Aus einer Laune heraus war ich in die Bibliothek gegangen und hatte dort in einem Buch namens Traktat der Waffen der vier Heiligen gele-sen … und dann hatte ich mich plötzlich in der darin beschriebenen Welt wiedergefunden – beschworen als eine der Figuren: der Held des Schildes.

Man verlangte von mir, die Welt vor einer Katastrophe zu retten, den sogenannten Wellen.

Erst war mir, als wäre ein Traum wahr geworden, doch dann wandte sich das Volk Melromarcs, das mich in diese fremde Welt gerufen hatte, mit einem Mal gegen mich: Sie behaupteten, ich hätte jemanden vergewaltigt, schikanierten mich und jagten mich ohne eine Münze davon.

Daraufhin löste ich eine Reihe von Problemen und zog jene zur Verantwortung, die sich gegen den Schildhelden verschworen hatten.

Der Verdacht der Vergewaltigung wurde aus der Welt geschafft, und die Urheber der falschen Anschuldigungen bestraft.

Eigentlich hätte ich mich zu diesem Zeitpunkt als Held den Wellen entgegenstellen können, doch … die Scherereien wollten kein Ende nehmen.

Es ging damit los, dass ich als Einziger der vier legendären Helden nicht angreifen konnte: Ich war ganz und gar aufs Verteidigen festgelegt.

Die übrigen heiligen Waffen waren das Schwert, die Lanze und der Bogen.

Die Helden, die sie führten, waren jeweils aus dem Japan einer anderen Welt beschworen worden. Manches war dort anders als in dem Japan meiner Welt. Allzu genau musste ich mich mit den Jungs aber nicht befassen.

Jedenfalls hatte jeder von ihnen ein Videospiel gespielt, dessen Welt der ähnelte, in der wir uns nun befanden.

Sie hatte tatsächlich viel mit einem Videospiel gemein. Es gab Level und Statuswerte, und die eigenen Fähigkeiten ließen sich steigern, indem man Kämpfe bestritt und Erfahrungspunkte sammelte. Magie und dergleichen gab es natürlich auch, und es streiften Monster umher, wie man sie im Japan der modernen Welt nicht zu Gesicht bekam.

Man brauchte einiges an Vorwissen, wenn man in so einer Welt kämpfen und stärker werden wollte. Aber die anderen Helden neigten zur Heimlichtuerei. Sie ließen mich links liegen und dachten gar nicht daran, ihre Informationen mit mir zu teilen.

In gewisser Weise war alles ein Missverständnis gewesen. Nachdem die falschen Anschuldigungen gegen mich widerlegt worden waren, hatten wir ein langes Gespräch geführt, bei dem ich immerhin aus ihnen herausbekommen hatte, wie sie ihre Waffen hochrüsteten. Dabei trat zutage, dass jeder von ihnen sich ausschließlich auf sein eigenes Spielwissen verließ. Sie waren von dem Gefühl berauscht, diese fremde Welt zu retten. So kannte auch jeder nur eine Methode, die Heldenwaffen stärker zu machen. Doch selbst nachdem sie die verschiedenen Hochrüstmethoden erfahren hatten, wandten sie törichterweise weiter nur die an, die sie aus ihrem eigenen Spiel kannten, und stürzten sich halbstark in die Wellenschlachten.

Und das Resultat?

Ich, der alle ihre Techniken einsetzte, lief ihnen rasch den Rang ab.

Auf diese Weise entkam ich immer wieder kritischen Situationen.

Wir erlebten die verschiedensten Abenteuer und mussten schließlich gegen die Geisterschildkröte kämpfen. Dieses gewaltige Fabelwesen hatte die Aufgabe, diese Welt zu retten, wenngleich mit anderen Mitteln als die Helden: Es erforderte zahllose Opfer.

Die drei Jungs forderten sie zum Kampf heraus, unterlagen und waren fortan verschollen.

Also blieb alles an mir hängen. Zusammen mit meinen Gefährtinnen stellte ich mich der Geisterschildkröte entgegen, und wir erreichten, dass sie ihre Aktivitäten vorerst einstellte.

Anschließend begaben wir uns auf die Suche nach den Helden. Wir wollten sie aufspüren und beschützen. Dabei stellte sich jedoch heraus, dass wir das Problem mit der Geisterschildkröte noch nicht gelöst hatten.

Als sie das erste Mal aufgetaucht war, war mir eine Frau in einem Umhang erschienen. Sie hatte mich angefleht, sie zu besiegen. Ihr Name war Horai Ost und sie war die menschliche Erscheinungsform der Seele der Geisterschildkröte. Sie war ihre Vorhut, verkörperte jedoch zugleich ihren wahren Willen.

Das wusste ich zunächst alles nicht. Und als ich Ost ausfragen wollte, war sie auch schon wieder verschwunden. Deshalb konnten wir auch erst spät geeignete Gegenmaßnahmen treffen.

Dann erschien sie zum zweiten Mal und berichtete, dass die Geisterschildkröte noch lebte, obwohl wir ihr den Kopf weggeschossen hatten und sie eigentlich hätte tot sein müssen.

Ost ersuchte uns, die Schildkröte zu erschlagen.

Deren eigentliche Aufgabe war es, mithilfe der Seelen von Lebewesen eine Barriere zu errichten, die die Welt vor den Wellen schützte. Nun jedoch hatte jemand die Kontrolle über sie erlangt, und sie konnte ihre Aufgabe nicht mehr erfüllen. Deswegen sollten wir sie nun rasch bezwingen.

Danach reihte sich ein Kampf an den nächsten.

Zusammen mit Ost forderten wir die Geisterschildkröte heraus und es gelang uns schließlich, in ihr Inneres vorzudringen.

Wir hatten im Vorfeld recherchiert, wie sie zu besiegen sei, und probierten nun Verschiedenes aus, etwa ihren Kopf und ihr Herz zugleich zu zerstören oder ihr Herz mit einem magischen Bann zu belegen. Doch letzten Endes brachte es alles nichts.

Mit Osts Hilfe gelangten wir aber zum Kern der Geisterschildkröte. Und dort trafen wir auf den, der sie kontrollierte. Es war ein Wissenschaftlertyp namens Kyo Ethnina.

Außerdem fanden wir in der Kernkammer die drei verschollenen Helden. Erbärmlicherweise hatten sie sich von der Geisterschildkröte besiegen und von Kyo gefangen nehmen lassen.

Kyo setzte uns zu, indem er uns starke Schildkrötengehilfen auf den Hals hetzte.

Mitten im Kampf kamen uns Glass und ihre Leute zu Hilfe geeilt und kämpften an unserer Seite.

Glass waren wir bei der zweiten Welle begegnet. Sie hatte menschliche Gestalt und war aus dem Riss gekommen, um gegen uns zu kämpfen. Eigentlich war sie also unsere Feindin.

Dieser Kyo war offenbar der Träger einer Vasallenwaffe aus Glass’ Welt: der Träger des Buchs.

Glass und ihren Gefährten zufolge war es ihnen nicht erlaubt, das Schutztier einer fremden Welt an sich zu reißen und es dort herumwüten zu lassen. Daher kooperierten wir also zeitweilig und kämpften gemeinsam gegen Kyo. Er konnte jedoch heftige Attacken wirken, da er den Kern der Geisterschildkröte unter seiner Kontrolle hatte. Er verwendete die Energie, die sie gesammelt hatte, und trieb uns immer mehr in die Enge. Überdies hatte er einen mächtigen Schutzschild, sodass wir dachten, wir würden verlieren. Doch dann brach glücklicherweise Rishia wütend über Kyos böse Taten mit einer Attacke durch seine Barriere. Und Ost nutzte seine Schwäche aus, indem sie eine verborgene Kraft meines Schilds aktivierte und mir so eine Trumpfkarte verschaffte: den Spirit Tortoise Heart Shield.

Er verfügte über die Spezialsonderfunktion Energy Blast. Nun konnte ich die Superattacke anwenden, die die Geisterschildkröte so oft auf mich abgefeuert hatte.

Ich schoss diesen Energiestrahl auf Osts Wunsch hin auf den Kern der Geisterschildkröte ab, und so gelang es mir, ihn zu zerstören.

Kyo begriff, dass er ohne den Kern im Nachteil war. Er erzeugte ein Portal in Glass’ Welt und entkam.

Wir hatten dem Wüten der Geisterschildkröte ein Ende gesetzt, zahlten jedoch einen hohen Preis. Ost hatte mich gebeten, den Kern zu zerstören, obwohl sie gewusst hatte, dass es ihren Tod bedeutete. Und ich hatte ihr den Wunsch erfüllt.

Die Schildkröte zu besiegen, hatte unter normalen Umständen wohl einen anderen Effekt: Ihre Energie wurde freigesetzt, und es kam zu keiner weiteren Welle, bis das nächste Schutztier erwachte.

Das hätte uns etwas Zeit verschafft. Doch Kyo hatte diese Energie geraubt.

Ost hatte daraufhin ihren Einfluss geltend gemacht: Das nächste Geistertier würde vorerst nicht erwachen, und die Welt würde zu den regulären Wellen zurückkehren.

Wir beschlossen, Glass und ihre Kameraden in ihre Welt zu begleiten, um gemeinsam mit ihnen Jagd auf Kyo zu machen. Er hatte schließlich das ganze Unheil über diese Welt gebracht. Um die drei kampfunfähigen Helden sollte sich unterdessen Melromarc kümmern.

Aber nun … saßen wir aus irgendeinem Grund in diesem Verlies.

»Wo sind Raphtalia und die anderen?!«

»Das weiß ich nicht. Ich bin aufgewacht und hab festgestellt, dass wir in dieser Zelle sind – nur wir beide.«

Nun … Dann würden wir wohl als Erstes die Lage sondieren müssen.

»Hm?«

Ich blickte auf mein Handgelenk hinunter, zu dem Schild, der gerade angewählt war.

Wie seltsam … Ehe ich das Bewusstsein verloren hatte, hatte ich noch den Spirit Tortoise Heart Shield benutzt, doch nun trug ich irgendeinen nutzlosen Schild, an den ich mich nicht erinnerte. Er ähnelte dem Small Shield von ganz zu Anfang.

Beginner’s Small Shield

Fähigkeit nicht freigeschaltet … Ausrüstungsbonus: Verteidigungskraft 3

Was war das denn? Plötzlich trug ich einen mir völlig unbekannten Schild?

Ich versuchte, zu meinem stärksten Schild zu wechseln, doch es erschien lediglich eine Meldung.

Bedingungen zum Umwandeln nicht erfüllt.

Nanu? Was war passiert?

Ich rief das Waffenbuch auf, um der Problematik nachzugehen. Der Schildbaum erschien vor meinen Augen, aber aus irgendeinem Grund waren beinahe alle Icons grau hinterlegt.

»W… Was ist hier denn los?!«

Ich konnte die meisten meiner Schilde nicht mehr benutzen!

»A… Also …«

Rishia hob zaghaft die Hand. Es wirkte, als würde sie sich entschuldigen wollen. Ich hatte ein ganz ungutes Gefühl und wollte gar nicht fragen, aber ich musste mich der Realität stellen. Mir schwante auch bereits, was das Problem sein könnte.

»Ich trau mich kaum zu fragen, aber … Was?«

»Ich habe mir meinen Status angesehen, und mein Level ist auf 1 gesunken …«

Oh nein. Genau das hatte ich befürchtet, und ich hatte den Nagel auf den Kopf getroffen.

Rishia hätte eigentlich Level 68 sein müssen. Und nun war sie wieder Level 1.

Die Drachensanduhren hatten die Funktion, die Level zurückzusetzen. War dies womöglich passiert, während wir bewusstlos gewesen waren?

Mit einem mulmigen Gefühl warf ich einen Blick in meinen eigenen Status.

Naofumi Iwatani

Klasse: Held des Schildes aus einer anderen Welt, Level 1

Ausrüstung: Beginner’s Small Shield (legendäre Waffe) Typ 2

»Neeeeeeeeeeeeeeein!«

»Uwäääääääh!!«

Als Rishia mich schreien hörte, schrie sie automatisch mit.

Mann, ich war auch wieder auf Level 1!

All die Mühe für nichts – das konnte doch nicht wahr sein! Jetzt mussten wir höllisch aufpassen, sonst war es aus mit uns. Eine Katastrophe!

Bei der Gelegenheit sah ich mir auch einmal die Party-Einträge an und stellte fest, dass da ebenfalls etwas nicht stimmte. Die Namen von Raphtalia und den anderen waren verschwunden.

1 Ein Otaku ist ein Nerd.

Nur Rishias Name war noch da, sonst keiner.

Und was war mit den Sklaven- und Monstersiegeln?

Ein Sklavensiegel war ein magisches Zeichen, mit dem man jemanden unterwerfen konnte. Tat der Sklave nicht, was man befahl, erwartete ihn eine Strafe.

Raphtalia war einmal für kurze Zeit nicht mehr meine Sklavin gewesen, hatte sich aber erneut in meine Hände begeben, weil sie mein Vertrauen hatte gewinnen wollen und ich außer einem Sklaven niemandem getraut hätte.

Ich hatte das Mädchen ziemlich zu Anfang gekauft, nachdem man mich verleumdet und ich alles Vertrauen in andere Menschen verloren hatte.

Raphtalia gehörte zur Spezies der Subhumanoiden und hatte die Ohren und den Schwanz eines Waschbären – offenbar eine Unterart.

Äußerlich wirkte sie wie eine Achtzehnjährige, aber zeitlich betrachtet war sie noch ein Kind. Wenn Subhumanoide hochlevelten, veränderten sie sich körperlich rapide, sodass sie den Kämpfen besser gewachsen waren.

Raphtalia hatte kastanienbraunes Haar, einen zarten Teint und ein so hübsches Gesicht, dass der Lanzenheld Motoyasu, der nur nach Äußerlichkeiten ging, sie in seiner Rangliste der Schönheiten aufführte.

Ich als eingefleischter Otaku fand, sie stand den Schönheiten, die einem so in Animes oder Videospielen begegneten, in nichts nach.

Sie war geschickt mit dem Schwert, vermutlich weil ich ihr gleich zu Anfang eins gegeben hatte. Da ich nicht kämpfen konnte, erledigte sie für mich die Gegner.

Raphtalia besaß einen ernsthaften Charakter und wenn ich irgendwelchen Blödsinn erzählte, wies sie mich zurecht.

Sie stammte aus einem Dorf, das der ersten Welle zum Opfer gefallen war. Somit war ihr Schicksal in besonderem Maß mit diesen Katastrophen verknüpft. Sie hatte ihre Heimat und ihre Familie verloren, war Sklavenfängern in die Hände gefallen und hatte Schlimmes durchgemacht, bis ich sie gekauft hatte. Seither war das Mädchen eine Mitstreiterin, auf die ich mich verlassen konnte.

Ihr Sklavensiegel benutzte ich so gut wie gar nicht, aber ich konnte darüber herausfinden, wo sie sich aufhielt. Das wollte ich gleich einmal ausprobieren … Huch?

Außer Reichweite des Sklavensiegels.

Das war wohl nichts. Besser ich sah gleich auch bei Filo nach …

Mit dem Geld, das ich nach der ersten Wellenschlacht bekommen hatte, hatte ich im Geschäft des Sklavenhändlers an einem Gewinnspiel teilgenommen. Ich hatte ein Ei erstanden, und aus dem war schließlich Filo geschlüpft. Sie war ein Filolial. Ein Monster, das gern Kutschen zog.

Filolials … Wie ließ sich das am besten erklären? Sie Es waren große Vogelmonster. Sie ähnelten Straußen, waren aber etwas robuster.

Filo gehörte jedoch einer höherrangigen, königlichen Art an – vielleicht auch eher einer Abart. Sie war eine Filolial-Königin. Diese Monster waren so etwas wie die Bosse unter den Filolials.

Sie hatte ein dichtes Gefieder und vom Körperbau her lag sie irgendwo zwischen Eule und Pinguin. Ihre Grundfarbe war Weiß, doch hier und da mischte sich ein wenig Rosa hinein.

Zudem konnte sie die Gestalt eines Menschen annehmen. Dann hatte sie langes, blondes Haar und runde, blaue Augen, die unschuldig wirkten. Ein argloses, gutgläubiges Mädchen, etwa zehn Jahre alt, mit Flügeln auf dem Rücken. Ihr Haar war seidig, ihre Hautfarbe genauso strahlend wie Raphtalias. Ein hübsches Gesicht hatte sie ebenfalls.

Um es kurz zu machen: Das Mädchen sah buchstäblich wie ein Engel aus.

Filo trug ein weißes Kleidchen mit einer blauen Schleife als besonderen Akzent.

Ihre Waffen waren Klauen. In ihrer Menschenform trug sie sie an den Fingern, in ihrer Monsterform an den Füßen. Somit änderte sich je nach Situation ihre Kampfweise.

Allein von der Kampfkraft her war sie wohl stärker als Raphtalia, und mit ihrer Hilfe war ich schon vielen Gefahren entronnen.

Als ich nun ihr Monstersiegel aufrief, bekam ich allerdings die gleiche Meldung wie bei Raphtalia angezeigt. Nicht einmal die grobe Richtung ihrer Aufenthaltsorte konnte ich bestimmen.

Jetzt hatte ich nur noch Rishia …

Ursprünglich war sie die Gefährtin des Bogenhelden Itsuki gewesen, aber dann hatte er ihr einen Diebstahl angehängt und sie davongejagt. Leider war sie bei Weitem nicht so fähig im Kampf wie die anderen.

Sie trug ihr Haar geflochten und war eher der Typ Stubenhocker und Leseratte. So hatte sie mir bisher auch in erster Linie mit ihrem Wissen genützt. Mir gegenüber hatte sie jedoch den Wunsch geäußert, eine starke Kämpferin werden zu wollen.

Itsuki hatte sie aus einer fürchterlichen Lage befreit. Voller Bewunderung für ihren tapferen Ritter hatte sie sich ihm angeschlossen. Dieses Verhältnis war jedoch in tausend Scherben gegangen.

Wie zuvor mich hatte man auch sie mit falschen Anschuldigungen belastet und verstoßen. Denn in Wahrheit hatte Itsuki nur seinen Ärger an ihr ausgelassen. Bei einer Welle hatte sie sich nämlich mehr hervorgetan als er und war dafür gelobt worden, und das hatte ihm wohl nicht geschmeckt.

In Sachen Schönheit hielt auch sie mit Raphtalia mit und hatte es auf die Schönheiten-Rangliste des Schürzenjägers Motoyasu geschafft.

Alter und Äußeres passten nicht zusammen – aber das war ja bei all meinen Gefährtinnen der Fall. Auf den ersten Blick mochte man sie auf vierzehn schätzen, aber nach eigener Aussage war sie schon siebzehn.

Zusammengefasst wirkte sie etwas kindlich und war im Kampf kaum zu gebrauchen.

Im Augenblick gab sie ein recht … merkwürdiges Bild ab: Sie trug ein Kostüm, das Filos Monsterform nachempfunden war. Sie mochte Kostüme, sagte sie, weil dann niemand mitbekam, wenn sie weinte …

Wir alle waren in einer Kampfkunst unterwiesen worden: dem Stil der Unvergleichlichen Veränderung. Unsere Lehrmeisterin, eine großartige alte Schachtel, hatte Rishia überraschenderweise als Jahrhunderttalent bezeichnet. Und ja, gelegentlich wurde sie dem Lob gerecht und legte einen ganz netten Angriff hin. Gerade erst waren wir dank ihr einer Notlage entkommen. Aber normalerweise war sie nicht besonders stark.

Mann, saßen wir in der Tinte! Wenn das hier ein Kerker war, dann mussten wir Gefangene sein. Hatte dieser Kyo uns etwa hier eingesperrt? Das wäre entsetzlich!

»Lasst uns hier raaaus!«, rief ich, die Hände an den Gitterstäben.

Es war eine völlig neue Erfahrung für mich, in einem Kerker festzusitzen – allerdings keine, die mich mit Begeisterung erfüllte. Ehrlich gesagt wollte ich hier einfach nur raus.

In der Zeit, die ich in der fremden Welt verbracht hatte, hatte ich mich durchaus nicht immer an die Regeln gehalten, das war mir schon klar, aber … Knast? Meine Unschuld war doch bewiesen worden!

Nun … Dies war eine andere Welt. Vielleicht hatten wir bloß Pech gehabt? Hatte jemand uns bewusstlos gefunden und erst einmal in diese Zelle gesteckt?

Wie auch immer. Ich mochte zwar nur Level 1 sein, aber ich würde mich schon zur Wehr setzen!

Vielleicht konnte ich mit meiner Handwerkskunst, die ich durchs Anfertigen von Accessoires verfeinert hatte, irgendwie das Schloss der Kerkertür öffnen?

Doch als ich mit diesem Gedanken an den Gitterstäben rüttelte, schwang plötzlich quietschend die Tür auf – ganz mühelos.

»Nanu?«

»Oje …«

Anscheinend war nicht abgeschlossen gewesen.

Was für einen Sinn hatte es dann, uns in diese Zelle zu stecken?

Egal, Hauptsache draußen.

»Verschwinden wir erst mal von hier und erkunden die Gegend. Vielleicht finden wir ja Raphtalia, Glass und die anderen.«

»O… Okay!«

Eilig verließen wir unsere Zelle und sahen uns in dem feuchten Steinbau um. In der Nachbarzelle war allerhand gemacht worden, damit es sich dort angenehmer leben ließ. Da stand ein großes Bett, es gab ein Sofa, außerdem Säcke – offenbar voller Lebensmittel – und eine Kochstelle. Hatte etwa jemand diese Zelle zu einem Wohnraum umgebaut?

Raphtalia und die anderen schienen nicht hier zu sein.

»Raphtaliaaa!«, rief ich.»Filooo! Sagt was, falls ihr da seid!«

Ich bekam keine Antwort. Zumindest schienen sie nicht in Hörweite zu sein.

»Okay, ich geh voran. Du folgst mir und hältst bitte auch die Augen offen. Ich muss mich jetzt auf dich verlassen können.«

»I… Ich geb mir Mühe«, stammelte sie.

Ach, Mann … Jetzt war ich gleich doppelt so unruhig.

»Hm …«

Wir begegneten niemandem in dem feuchten Gemäuer. War der Kerker völlig verwaist? Wenn man so durch fremde Gänge irrte, bekam man schnell das Gefühl, in einem Labyrinth zu sein. Irgendwie eigenartig. Es hätte mich nicht gewundert, wenn wir auf Monster gestoßen wären, aber vorerst blieb uns dies zum Glück erspart. Wir folgten den Wegen und suchten alles flüchtig ab … Und dann endete plötzlich der Gang vor uns, und wir standen vor einem merkwürdigen bogenförmigen Tor. Statt einer Tür befand sich dort jedoch so etwas wie eine Membran, die in allen Regenbogenfarben schillerte, waberte und blubberte.

»W… Was ist das?«

»Keine Ahnung.«

In den Games, die ich kannte, hatte man über solche Tore andere Orte erreichen können. Aber seit ich in diese Welt gekommen war, hatte ich noch nichts Derartiges gesehen.

»Angst zu haben, bringt uns jedenfalls nicht weiter. Gehen wir durch.«

»Ojeee …«

»Wovor fürchtest du dich? Komm schon!«

Rishia stand zitternd und zaudernd vor dem Torbogen. Ich packte sie an der Hand, zog sie hinter mir her unter dem Bogen hindurch – und mir stockte der Atem.

»Wa…«

Blauer Himmel und eine Sonne, die heiß auf uns herabschien. Dazu ein weißer Sandstrand und dahinter das Meer …

Als ich mich umwandte, war da noch immer das Tor.

»Uwäääh! Was ist denn jetzt passiert?«

»Woher soll ich das wissen?«

Es musste sich um einen mysteriösen Ort handeln, an dem man zwischen Räumen hin und her springen konnte.

»Brauchst jedenfalls nicht gleich so einen Schreck zu kriegen.«

Auf der dem Meer abgewandten Seite jenseits des Sandstreifens lagen Wiesen und dichter Wald. Vorerst blieb uns wohl nichts anderes übrig, als uns auf die Wiesen zu wagen.

Noch immer kein Lebenszeichen von Raphtalia und den anderen. Wie sollten wir so diesen Kyo zur Rechenschaft ziehen? Wir hatten keine Zeit, mussten uns beeilen.

»Ich weiß, du hast Panik, aber was willst du sonst machen? Auf eine Rettung warten, die vielleicht nie kommt?«

»Ojeee …«

Ich mochte es gar nicht, mich von anderen abhängig zu machen. Damals, als ich verfolgt und mittellos davongejagt worden war, hatten zwar ein paar Leute an mich geglaubt, doch keiner von ihnen hatte meine Unschuld beweisen können. Ich hatte selbst aktiv werden müssen. Und so wollte ich auch jetzt lieber meine Freiheit mit eigenen Händen zurückerobern, statt nur abzuwarten

»Ja doch, ich komm ja schon. Bitte lass mich nicht zurück!«

Also begaben wir uns ins Grasland.

Bald bemerkten wir, dass sich uns fremdartige, feindselige Lebewesen näherten.

Ich wusste nicht, was für ein Ort das hier war, aber das zugrunde liegende Gefüge der Welt schien sich nicht verändert zu haben. Es sah so aus, als könnte ich weiterhin im Kampf meine Statusmagie und Ähnliches anwenden.

Die meisten Schilde konnte ich gerade nicht anwählen, wahrscheinlich weil mein Level zurückgesetzt war. Ich konnte mich also nicht allein auf die Werte meines Schildes verlassen.

Es waren jedoch weiterhin all die Fertigkeiten und Statusmodifikationen in Kraft, die ich zuvor freigespielt hatte. Ich musste also weit stärker sein, als man es auf Level 1 normalerweise war.

Überdies wirkte nach wie vor Itsukis Hochrüstmethode: All die Monstermaterialien, die ich in meinen Schild eingespeist hatte, um meine Statuswerte zu steigern, waren noch da. Auch dies erhöhte meine Werte.

Das bedeutete … Na ja, gegen Monster mit niedrigem Level würde ich mich vermutlich behaupten können.

Im dichten Gras sah ich etwas Weißliches und Kantiges. Ich fokussierte meinen Blick und entzifferte den Namen.

Weißer Karton

An so ein Monster konnte ich mich nicht erinnern.

Und schon stürzte es sich auf mich.

Ich riss die Arme hoch und packte es.

Es war etwa so groß wie mein Kopf. Ein viereckiger weißer … Pappkarton?

Dass ich ihn festhielt, gefiel ihm wohl nicht. Plötzlich klaffte vor mir so etwas wie ein Maul auf und schnappte nach mir. Glücklicherweise richtete der Biss keinen Schaden an.

Dieses Monster kannte ich zwar nicht, ich erinnerte mich aber an ähnliche.

»Die sind ja wie die Ballonmonster. Rishia, hast du die schon mal gesehen?«

»Was? N… Nein, noch nie. Nicht mal in Büchern oder so.«

Selbst die gebildete Rishia wusste nichts darüber? Dieser Ort war mir immer weniger geheuer. Wenn es um Wissen ging, war Rishia vertrauenswürdiger als jeder andere.

»Ist jedenfalls ’n kleiner Fisch. Ich halt ihn fest, mach du ihn fertig.«

»O… Okay!«

Sie stach mit ihrem Schwert nach dem Pappkarton. Er knirschte, wurde platt gedrückt und bekam X-Augen. Reglos lag er da.

Komisches Wesen.

Es hatte genau wie die Monster in Open-World-Games reagiert.

Na ja, aber das war bei den Ballons eigentlich genauso gewesen.

15 EXP erhalten.

Es war nicht besonders stark gewesen, brachte aber viel mehr Erfahrungspunkte als ein Ballonmonster.

»Der hat mir ein bisschen Mühe bereitet.«

»Liegt wohl eher an deiner Stärke.«

Selbst wenn ihr Level stieg, blieb sie so schwach wie am Anfang. Wenngleich ihre Werte im Verhältnis zu ihrem Level immer noch hoch waren.

Vielleicht waren die Pappkartons doch stärker als die Ballons.

Ich ließ meinen Schild das besiegte Monster aufsaugen. Wie damals bei dem orangefarbenen Ballon, dem ersten Monster, das ich besiegt hatte, bekam ich einen Schild mit Statusbezug.

Bedingungen erfüllt für: Beginner’s Small White Shield

Beginner’s Small White Shield

Fähigkeit nicht freigeschaltet … Ausrüstungsbonus: Verteidigungskraft 2

Ja, der Schild war zweifellos vom selben Kaliber wie der, den ich damals von dem Ballon bekommen hatte. Die Verteidigungskraft und seine sonstigen Werte waren nur unmerklich höher. Auch das war wieder genau wie damals.

»So machen wir erst mal weiter: Ich halt sie fest, und du stichst sie ab.«

»Einverstan… Ups!«

Hoppla, sie war hingefallen.

Was war wohl gefährlicher: Allein mit diesem tollpatschigen Mädchen auf Monsterjagd zu gehen oder mit der kleinen Raphtalia von früher?

Nun, während dieser Hochlevel-Auszeit hatte ich immerhin Gelegenheit, ein paar unbekannte Pflanzen zu sammeln, die wie Heilkräuter aussahen. Ich fand reichlich von der Art, wie es sie auch in der Welt gab, aus der wir gekommen waren. So kam ich auch zu der hiesigen Entsprechung des Leaf Shield.

Der Name bezog sich jedoch auf die Blätter eines Baums – dabei hatte ich gar kein Laub gesammelt. Vielleicht waren die Eigenschaften ähnlich … Die Fertigkeiten, die der Schild brachte, hatte ich bereits, daher kam er stattdessen mit Statusboni.

Wir hatten mittlerweile auch noch gegen stärkere Monster als den Pappkarton gekämpft. Mir fiel auf, dass kaum eines einen englischen Namen hatten. Es hoppelten auch Monster wie unsere Pillenhasen herum, die hier jedoch Kopfkaninchen hießen.

Die ganzen Monster brachten auch ein wenig mehr Erfahrungspunkte. Nachdem wir einige Stunden auf den Wiesen gekämpft hatten, war ich bis Level 9 aufgestiegen und Rishia sogar bis Level 16. Während wir fleißig Monster zerlegten und die erbeuteten Items durchschauten, gingen mehrere Stunden ins Land.

Allmählich konnte ich immer mehr meiner bisher erkämpften Schilde wieder verwenden … Allerdings größtenteils nicht die mit der Bezeichnung »Shield« am Ende – es war, als wären ihnen die Zähne gezogen worden. Was war wohl die Ursache dafür? Den Soul Eater Shield und den Chimera Viper Shield konnte ich bestimmt auch nicht nutzen.

»Bin … ich … geschafft.« Schwer atmend schleppte sich Rishia hinter mir her.

»Ruhen wir uns ein bisschen aus.«

Hier gab es unerwartet viele Monster … Aber das lag bestimmt an diesem seltsamen Ort.

Wir setzten uns hin und machten eine Pause.

Ich hatte auch ganz schön Durst … Wir hatten keine Feldflaschen dabei. Irgendwo würden wir uns Trinkwasser beschaffen müssen.

Aus Gewohnheit hatte ich die ganze Zeit Kräuter gesammelt, die nun einigen Platz beanspruchten.

Mörser und anderes Präparierwerkzeug hatte ich natürlich auch nicht dabei. Mir blieb nichts anderes übrig, als die entsprechenden Schildfunktionen zu verwenden. Ich speiste also meine Stoffe in den Schild ein und ließ ihn eine mir bekannte Mixtur mischen.

Glücklicherweise schien das auch mit diesen mir fremden Pflanzen zu funktionieren.

Schwierig wurde es bei der Zubereitung mir noch unbekannter Arzneien. Einem Forscher, der die Wirkung unbekannter Kräuter untersucht, wäre wahrscheinlich das Herz aufgegangen, aber so groß war meine Liebe leider nicht.

»Das mit dem Kämpfen klappt ja ganz gut, oder?«, sagte Rishia, wahrscheinlich hielt sie mein grüblerisches Schweigen nicht mehr aus.

»Stimmt. Es hilft, dass die Monster nicht so stark sind.«

»Ich bin auch etwas stärker geworden, oder?«

Ich äußerte mich nicht dazu. Sollte ich ihr sagen, dass sich ihre Werte nicht signifikant erhöht hatten, obwohl sie mittlerweile über Level 15 war?

Während ich nach einer Antwort suchte, drang ein Plätschern in mein Bewusstsein. Gab es hier einen Fluss? Nun, ein Meer gab es ja ebenfalls, warum also nicht?

Ich war ohnehin gerade durstig. Es konnte wohl nicht schaden, mal nachzuschauen. Also zeigte ich in die Richtung, aus der das Geräusch kam.

Rishia verstand, was ich vorhatte, und nickte. Klar, sie hatte bestimmt auch Durst.

Wir folgten dem Plätschern und gelangten ans Ufer eines Flusses. In einiger Ferne sah ich eine hölzerne Brücke, die sich darüber spannte. Ich hatte keinen Schimmer, wo wir waren.

Ich warf einen kritischen Blick ins Wasser und versuchte abzuschätzen, ob man es trinken konnte, ohne es vorher abzukochen. Es sah ganz okay aus. Ich schöpfte es mit den Händen und befeuchtete meine Kehle.

»Puh …«

Rishia trank ebenfalls und wirkte erleichtert.

Wir hatten uns doch ziemlich weit von der Küste entfernt. Ich dachte daran zurück, wie oft wir in Melromarcs Flüssen unter freiem Himmel geschlafen hatten.

Das Kämpfen klappte bisher ganz gut, aber ich wurde meine Unruhe nicht los. Im Augenblick war ich nicht besonders stark. Nicht nur war ich komplett zurückgestuft worden, ich konnte auch die meisten meiner Schilde nicht anwählen – ein Desaster. Jederzeit konnte irgendwas passieren. Wie sollte man sich da entspannen?

Sollte ich mehr Schilde freispielen und hochrüsten? Ich wusste ja nicht, ob die Einschränkungen bloß mit dem zurückgesetzten Level zusammenhingen oder ob es noch andere Faktoren gab. Deswegen konnte ich schwer einschätzen, ob es eine gute Idee war, einfach so mit dem Hochrüsten loszulegen. Bekam ich relativ bald einen guten Schild, dann wären es verschenkte Ressourcen. Gar nicht hochzurüsten, konnte jedoch gefährlich sein.

Während ich noch grübelte, spritzte plötzlich Wasser hoch und ein Monster erschien in unserer Nähe.

»Ein Kappa?«

Tatsächlich! Das Monster war grün wie ein Frosch, mit einem Schildkrötenpanzer auf dem Rücken, einem Kopf, der wie ein Teller eingedellt war, und Schwimmhäuten zwischen Zehen und Fingern. Vom Körperbau her ähnelte er einem Menschen. Wie viele der Geister auf alten Darstellungen ging er auf zwei Beinen.

»Quak!«

Es schien uns feindlich gesinnt zu sein.

Von seinem Äußeren her konnte ich schwer einschätzen, ob es als Monster zu kategorisieren war oder eher als Subhumanoid oder Bestienmensch, wie es sie in der Welt gab, in die ich beschworen worden war.

Mein Schild hatte doch eine Übersetzungsfunktion. Wenn wir es mit einem verstandesbegabten Gegenüber zu tun hatten, müsste seine Sprache eigentlich übertragen werden. Sollte ich das probieren?

Doch dann schwoll plötzlich der Hals des Kappas an, und ich wusste, dass er sich zum Angriff bereit machte.

»Air Strike Shield!«

Ein hoch konzentrierter Wasserstrahl schoss auf uns zu, prallte jedoch an dem Schild ab, den ich zwischen dem Kappa und uns entstehen ließ.

Der Schild wurde allerdings sofort zerschlagen, was bestimmt an meiner momentanen Schwäche lag.

Vernünftig hochgerüstet hatte ich noch nicht … und der Kappa schien recht stark zu sein.

Nun, wenn er uns ans Leder wollte, spielte es wohl keine Rolle, ob er ein Mensch oder ein Monster war. Während er tief Luft holte, um den nächsten Schuss vorzubereiten, stürmte ich auf ihn zu.

»Quak!«

Er hackte mit seinen Klauen nach mir. Sie prallten an meinem Schild ab, aber da kam auch schon der nächste Arm angeschossen.

»Second Shield!«

Ein zweiter Schild erschien, und seine Klauen knallten dagegen. Sofort rannte ich um ihn herum und nahm ihn in einen Klammergriff.

»Rishia!«

»Uwah?!«

Ach, Rishia … Das alles geschah zu plötzlich, sie war überfordert.

»Mach schnell!«

»J… Jawohl!«

»Quak!«

Wieder schwoll dem Kappa der Hals. Diesmal hatte er es auf Rishia abgesehen – aber das wusste ich zu verhindern! Gewaltsam riss ich ihn herum, und der Schuss verfehlte sein Ziel.

Der Kappa zappelte heftig, konnte sich aber nicht aus meinem Griff befreien.

»Was eierst du da rum? Mach schon!«

»Ojeeee!«

Rishia stach dem Kappa ihr Schwert in den Bauch, doch er war zäher als erwartet. Es sah nicht so aus, als würde er demnächst draufgehen.

»Ich, der Held des Schildes, als Quelle deiner Macht, befehle dir: Ergründe das Wesen der Überlieferung und unterstütze sie mit all deiner Kraft! – Aura, Stufe zwei!«

Als ich meinen Unterstützungszauber auf Rishia anwandte, sank meine Magie rapide. Lieber hätte ich ohne den Zauber gewonnen, aber Rishia war offenbar schon wieder an ihrer Grenze angekommen.

Plötzlich hörte ich hinter mir ein Schlitzgeräusch. Ein Schmerz durchzuckte mich. Ich keuchte.

Noch ein Kappa?

Ich wirbelte herum, und tatsächlich: Da war ein zweiter, und von seinen Krallen troff mein Blut.

Tat das weh … Die waren ganz schön stark!

»Rishia! Schnell, mach ihn alle!«

»I… Ich will ja, aber die sind steinhart. Ich komm überhaupt nicht durch!«

Entschlossen stieß sie mit ihrem Schwert nach dem Kappa in meinem Griff, aber die Klinge glitt ab, als wäre seine Brust glitschig. Und das, obwohl ich Rishia extra gestärkt hatte. Waren wir etwa auf übermächtige Gegner gestoßen?

Autsch … Wieder und wieder zerkratzte mir der Kappa den Rücken.

Verdammt! Vor Schmerz begann sich bereits mein Haltegriff zu lockern.

»M… Mach schnell! Ich kann ihn nicht mehr halten! Wenns nicht geht, hau ab!«

Gegen solche Gegner gewannen wir doch nie im Leben. Nur würden wir überhaupt vor ihnen weglaufen können? Die Wasserstrahlen schienen ziemlich kräftig zu sein, und wenn wir davonrannten, könnten sie uns von hinten treffen.

Plötzlich steckten wir so richtig in der Klemme. Das hier entwickelte sich gerade zum Super-GAU. Würden wir etwa an diesem Ort … unser Ende finden? Aufgeben würde ich ganz bestimmt nicht. Fieberhaft dachte ich nach. Es musste doch einen Weg geben.

Doch da stieg ein dritter Kappa aus dem Fluss und näherte sich uns, um uns den Weg abzuschneiden.

»O… Ojeeeeeee!«

Mist … War es das jetzt? Ein Fluchtversuch war nun völlig aussichtslos.

Doch in dem Moment wurde dem Kappa, der gerade auf Rishia zulief, der Kopf von den Schultern geschlagen.

»Hä?«

»Blutblumenschlag!«

Ich hörte eine fremde Stimme, etwas blitzte auf – und dann fielen kurz hintereinander der Kappa hinter mir und der in meinem Griff in Stücken zu Boden.

W… Was war passiert?

Ich glaubte, ich hatte gerade eine höchst erstaunliche Kampfkunst zu Gesicht bekommen.

War das ein Skill gewesen?

Skills waren Techniken wie mein Air Strike Shield, die nur Helden mit ihren besonderen Kräften anwenden konnten. Glass und ihre Leute beherrschten allerdings ebenfalls welche, ganz so einfach war die Sache also doch wieder nicht.

Da es zudem noch Magie und gewöhnliche Kampftechniken gab, konnte ich schwer sagen, ob das gerade ein Skill gewesen war oder etwas anderes.

»Geht’s euch gut?«

Als Erstes sah ich ihre unerschrockenen dunkelbraunen Augen. Ihre Haut sah so aus wie meine … Na ja, es war keine Männerhaut, sondern Menschenhaut. Ihr Teint wirkte gesund, ihre Wangen waren leicht gerötet.

Wie alt mochte sie sein? Zwölf oder dreizehn Jahre? Sie war so groß wie ein Mädchen im späten Grundschulalter, oder eines, das gerade die Aufnahmeprüfung für die Mittelstufe geschafft hatte. Von der Mimik und der Ausstrahlung her wirkte sie jedoch älter.

Den oberen Teil ihrer Haare hatte sie zu zwei kleinen Zöpfen hochgebunden, und ihr Erscheinungsbild stand im Kontrast zu der Entschlossenheit in ihrem Blick. Um ihre Schultern hing ein etwas abgewetzter Haori2, und darunter trug sie ein gotisches Kleid.

Ihre Brüste waren klein, das sah man trotz der lockeren Kleidung.

Oder war das ein Junge? Aber dann wären die Zöpfe doch arg komisch, und das Gesicht wirkte eigentlich auch weich und feminin und hatte so gar nichts Männliches an sich.

Und was hing da an ihrer Hüfte? Ein Stab oder … Nein, eine Angelrute.

Sie hatte ein ziemlich hübsches Gesicht und wirkte durchaus weiblich, auch wenn sie ein wenig eigenwillig rüberkam. Sie hatte die Ausstrahlung eines … burschikosen Mädchens, wenn man so wollte. Dessen Alter schwer zu bestimmen war.

Irgendwie wirkte sie japanisch. Oder bildete ich mir das ein?

»Da passt man kurz mal nicht auf und schon seid ihr weg. Dass ihr es so weit geschafft habt … Ihr hättet sterben können!«

Unsere Feindin schien sie nicht zu sein, aber war sie eine Freundin? Unklar.

Es kam schließlich oft genug vor, dass sich Leute als Verbündete ausgaben, um einem im entscheidenden Moment in den Rücken zu fallen.

Ich ließ mir Wundsalbe ausgeben und wandte sie auf meine Verletzungen an – mit meiner Magie war ja gerade nicht viel los. Bereits beim Auftragen spürte ich, wie die Heilwirkung einsetzte. In solchen Momenten war ich wirklich froh, in einer anderen Welt zu sein. In meiner Heimat wären solche Wunden nur langsam geheilt.

»Als ich gesehen hab, wie ihr vom Himmel gefallen seid, bin ich los, um euch zu beschützen.«

»Wer bist du?«

Natürlich war es gut gewesen, dass sie plötzlich hier erschienen war und unsere Gegner erledigt hatte, aber wir mussten vorsichtig sein. Wenn jemand ungefragt so etwas für einen tat, war ein wenig Misstrauen schon angebracht.

»Traust du mir etwa nicht?«

»Wundert dich das? Wir wachen in einem Kerker auf, schaffen es hinaus, geraten in einen aussichtslosen Kampf, und ausgerechnet dann taucht plötzlich eine Retterin in der Not auf? Das riecht nach Kalkül.«

»Ach so …« Sie kratzte sich am Kopf. »Ja, ich kann schon verstehen, dass du so denkst.«

Wer war sie? War sie vielleicht diejenige, die unsere Level zurückgesetzt hatte?

Ich war nervös. Wir blieben wachsam und hielten uns kampfbereit.

2 über dem Kimono getragener knielanger Überwurf mit angeschnittenen Ärmeln

»Vielleicht stellen wir uns erst mal vor. Jetzt sind wir uns schon begegnet, da können wir uns auch ein bisschen unterhalten.«

»Na, dann mach du doch mal den Anfang.«

»Hm, na schön … Dann ich zuerst. Mein Name ist Kizuna Kazayama, und ich gehöre zu den vier heiligen Helden. Ich bin die Heldin der Jagdwaffen.«

»Äh … Was?«

Was hatte sie gerade gesagt? Heldin der Jagdwaffen? Die vier heiligen Waffen waren doch Schwert, Lanze, Bogen und Schild, oder nicht?

»So, ich hab mich vorgestellt – jetzt seid ihr dran!«, sagte sie, als ich sie nur verdattert anstarrte.

»Ich heiße Naofumi Iwatani«, begann ich. Am besten schauten wir erst einmal, wie sie reagierte.»Ich bin auch einer der vier Helden: der Held des Schildes.«

»Hä?«

Offenbar war sie so verdutzt wie ich. Bestimmt hatte ich gerade das gleiche Gesicht gemacht wie sie jetzt.

»Was ist denn?«

»