Pädagogische Beziehungen für nachhaltiges Lernen - Natalie Fischer - E-Book

Pädagogische Beziehungen für nachhaltiges Lernen E-Book

Natalie Fischer

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Beschreibung

Studien zur Schulqualität zeigen: Effektive Schulen unterscheiden sich von weniger effektiven durch die Beziehungsqualität im Unterricht. Lernmotivation und -erfolg, Selbstständigkeit sowie Wohlbefinden von Schüler*innen sind u. a. davon abhängig, wie sich die Beziehung zu ihren Lehrpersonen gestaltet. Die Qualität pädagogischer Beziehungen ist somit eine Voraussetzung für zeitgemäßes, nachhaltiges Lernen. Das Buch begründet diese Annahme anhand von Forschungsbefunden und aktuell diskutierten theoretischen Ansätzen zu pädagogischen Beziehungen im Unterricht und leitet Tipps für die Unterrichtsgestaltung ab. Schließlich werden Potenziale positiver Beziehungsgestaltung vor dem Hintergrund aktueller Herausforderungen (Inklusion und Ganztagsschule) praxisorientiert diskutiert.

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Seitenzahl: 280

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Die Autorinnen

Prof. Dr. Natalie Fischer ist Diplompsychologin und seit 20 Jahren in der Lehrerbildung und Bildungsforschung tätig. Seit 2014 hat sie die Professur für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt »Soziale Beziehungen in der Schule« an der Universität Kassel inne. Ihre Forschung umfasst u. a. Evaluations- und Interventionsstudien im Zusammenhang mit (inklusiver) Ganztagsschule sowie mit der Professionalisierung von Lehrpersonen und pädagogischem Personal. Dabei stehen Zusammenhänge der Beziehungen aller an Schule Beteiligten mit der Entwicklung von Schülerinnen und Schülern in der Sekundarstufe I im Mittelpunkt.

Dr. Petra Richey hat an der Universität Tübingen Erziehungswissenschaft und Romanistik studiert und zum Thema »Lehrer-Schüler-Beziehung« promoviert. Seit 2016 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt »Soziale Beziehungen in der Schule« an der Universität Kassel. Ihre Forschung umfasst u. a. Lehrer-Schüler-Beziehung (v. a. normative Erwartungen, anerkennendes und verletzendes Verhalten von Lehrpersonen), Unterrichtsqualität und videobasierte Unterrichtsforschung.

Natalie Fischer, Petra Richey

Pädagogische Beziehungen für nachhaltiges Lernen

Eine Einführung für Studium und Unterrichtspraxis

Verlag W. Kohlhammer

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1. Auflage 2021

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-036885-9

E-Book-Formate:

pdf:        ISBN 978-3-17-036886-6

epub:     ISBN 978-3-17-036887-3

mobi:     ISBN 978-3-17-036888-0

 

Vorwort

 

 

An welche Lehrperson haben Sie besondere Erinnerungen? Da müssen die meisten Menschen nicht lange nachdenken – schnell fällt ihnen die Lehrerin ein, die das Interesse für ein bestimmtes Thema geweckt hat, der Lehrer, bei dem Mathematik zum ersten Mal Spaß gemacht hat oder aber auch die Lehrperson, wegen der man nächtelang nicht schlafen konnte und am liebsten gar nicht mehr in die Schule gegangen wäre. Auch wenn die gemeinsame Zeit mit diesen Personen kurz war und sich die Beziehung nur im Kontext der Schule abspielte, bleibt sie doch oft lange im Gedächtnis.

Die Beziehung von Schülerinnen und Schülern und ihren Lehrpersonen beeinflusst nicht nur thematische Interessen und die Einstellung zum Lernen und zur Schule allgemein, sondern kann auch die Entwicklung der Persönlichkeit sowie den Lebensweg der Schülerinnen und Schüler entscheidend (mit-)beeinflussen. Dementsprechend gibt es in der Psychologie und in der Erziehungswissenschaft schon lange Bestrebungen, die Natur dieser Beziehung zu fassen und zu beschreiben, wie pädagogische Beziehungen gestaltet sein müssen, um das Lernen der Schülerinnen und Schüler zu unterstützen. Dennoch war die Bedeutsamkeit dieses Themas lange umstritten, es bekommt jedoch in den letzten zehn Jahren zunehmend mehr Aufmerksamkeit.

Trotz aller Unterschiedlichkeit der beteiligten Personen, ihrer Präferenzen und spezifischen Bedürfnisse gibt es inzwischen aus Theorie und Forschung viele Hinweise darauf, welche Merkmale der Beziehungsgestaltung nachhaltig wirksames Lernen unterstützen können und wie Unterricht gestaltet sein sollte, um Voraussetzungen des Lernens, wie das schulische Wohlbefinden, Motivation und Interesse sowie die Selbststeuerung bei den Lernenden, aber auch die Gesundheit der Lehrenden, zu fördern. Die Intention dieses Bandes ist es, diese Erkenntnisse für (angehende) Lehrpersonen praktisch nutzbar zu machen. Er soll eine verständliche und praxisrelevante Einführung geben, die aktuell diskutierte Theorien und den zugehörigen Forschungsstand aufbereitet und anhand von Beispielen aus der Unterrichtspraxis nachvollziehbar macht. Die verwendete Literatur bietet den interessierten Leserinnen und Lesern weitere Möglichkeiten, sich vertieft und kritisch mit den jeweiligen Schwerpunkten auseinanderzusetzen. Die jeweils abgeleiteten Hinweise für die Schul- und Unterrichtspraxis können individuell zur Reflexion der eigenen Beziehungsgestaltung im Unterricht genutzt werden.

Bei der Entstehung des Buches haben neben den Autorinnen weitere Personen mitgewirkt. Wir danken unseren Testlesenden, die uns kritische und wertvolle Rückmeldungen zu Relevanz, Verständlichkeit und Nachvollziehbarkeit der Inhalte aus der Sicht von Lehramtsstudierenden und eines Oberstufenschülers gaben: Tom Fischer, Yannik Himstedt, Selime Miftari und Timo Schmitz. Für die Mitarbeit bei Korrekturen, Format und Literaturverzeichnis danken wir Ute Ochtendung und Selime Miftari. Zudem bedanken wir uns bei den Studierenden und (ehemaligen) Schülerinnen und Schülern, die uns die Beispiele für den vorliegenden Band geliefert haben.

Kassel, Mai 2021Natalie Fischer & Petra Richey

 

Inhaltsverzeichnis

 

Vorwort

 

I        Voraussetzungen und Ziele schulischen Lernens

1       Nachhaltiges Lernen als Ziel schulischer Bildung

 

1.1   Nachhaltiges Lernen und die gemäßigt konstruktivistische Perspektive

1.2   Nachhaltiges Lernen für das Leben nach der Schule

1.3   Voraussetzungen und Ziele nachhaltigen Lernens

1.4   Lernumgebungen für nachhaltiges Lernen

II      Bedingungen und Wirkungen pädagogischer Beziehungen

2       Pädagogische Beziehungen in Schule und Unterricht

 

2.1   Begriffsbestimmung

2.2   Rahmenbedingungen pädagogischer Beziehungen in der Schule

2.3   Pädagogische Beziehungen als Merkmale guten Unterrichts

2.4   Pädagogische Beziehungen und Lehrerbelastung

III    Beziehungsgestaltung als Voraussetzung nachhaltigen Lernens im Unterricht: Theorien und Forschungsergebnisse

3      Erwartungen von Lehrpersonen und Beziehungsgestaltung

 

3.1   Normative Erwartungen

3.2   Antizipatorische Erwartungen: Pygmalion und Golem

3.3   Stör- und Fehlerquellen bei der Personen- wahrnehmung

3.4   Ergebnisse der Schul- und Unterrichtsforschung

3.5   Schlussfolgerungen für die Schul- und Unterrichts- praxis

4       Humanistisch orientierte Grundlagen der Beziehungsgestaltung

 

4.1   Grundannahmen humanistischer Psychologie und Pädagogik

4.2   Die Lernenden im Zentrum: Personenzentrierte Ansätze

4.3   Drei Grundbedürfnisse: Die Bedeutung der Selbst- bestimmungstheorie für pädagogische Beziehungen

4.4   Ergebnisse der Schul- und Unterrichtsforschung

4.5   Schlussfolgerungen für die Schul- und Unterrichts- praxis

5       Anerkennungstheoretische Grundlagen der Beziehungsgestaltung

 

5.1   Anerkennung in pädagogischen Beziehungen

5.2   Missachtung in pädagogischen Beziehungen

5.3   Ergebnisse der Schul- und Unterrichtsforschung

5.4   Schlussfolgerungen für die Schul- und Unterrichtspraxis

6       Vertrauenstheoretische Grundlagen der Beziehungsgestaltung

 

6.1   Vertrauen im Kontext Schule

6.2   Personales Vertrauen in pädagogischen Beziehungen: Die differentielle Vertrauenstheorie

6.3   Ergebnisse der Schul- und Unterrichtsforschung

6.4   Schlussfolgerungen für die Schul- und Unterrichts- praxis

IV     Pädagogische Beziehungen und Schulorganisation

7       Pädagogische Beziehungen und Inklusion

 

7.1   Inklusive Schulen

7.2   Inklusion und nachhaltiges Lernen

7.3   Beziehungsgestaltung in inklusiven Schulen

7.4   Ergebnisse der Schul- und Unterrichtsforschung

7.5   Hinweise für die Beziehungsgestaltung in inklusiven Schulen

8       Pädagogische Beziehungen in Ganztagsschulen

 

8.1   Organisation von Ganztagsschulen in Deutschland

8.2   Potenziale der Ganztagsschule

8.3   Ergebnisse der Schul- und Unterrichtsforschung

8.4   Hinweise für die beziehungsförderliche Gestaltung von Ganztagsschulen

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

 

Literaturverzeichnis

 

 

 

 

I

Voraussetzungen und Ziele schulischen Lernens

 

Die Qualität von Lernumgebungen kann immer nur in Bezug auf bestimmte Ziele beurteilt werden. Die Gestaltung eines positiven Beziehungsklimas im Unterricht steht im Dienste des Bildungs- und Erziehungsauftrags der Schule und der Vorbereitung der Schülerinnen und Schüler auf das Leben nach der Schule. Im ersten Kapitel des vorliegenden Bandes wird daher zunächst das nachhaltige Lernen als Ziel schulischer Bildung eingeführt. Dabei wird ausgehend von einer gemäßigt konstruktivistischen Perspektive dargestellt, welche Merkmale der Lernumgebung nachhaltiges Lernen unterstützen (Kap. 1.1) und welche relevanten Kompetenzen in Bezug auf lebenslanges Lernen, Studier- und Ausbildungsfähigkeit dabei erworben werden können (Kap. 1.2). Schließlich wird, basierend auf dem Prozessmodell selbstregulierten Lernens, die Bedeutung von Motivation, Lernstrategien, Emotionen und schulischem Wohlbefinden in konstruktivistischen Lernsettings thematisiert. Diese Merkmale stellen gleichzeitig Ziele und Voraussetzungen nachhaltigen Lernens dar (Kap. 1.3). Zuletzt werden didaktische Hinweise zur Realisierung von Lernumgebungen für nachhaltiges Lernen gegeben (Kap. 1.4).

 

 

 

1

Nachhaltiges Lernen als Ziel schulischer Bildung

1.1       Nachhaltiges Lernen und die gemäßigt konstruktivistische Perspektive

Bereits im alten Rom wurde kritisiert, dass die Schulbildung eher lebensfern sei. »Non vitae sed scholae discimus« (Nicht für das Leben, sondern für die Schule lernen wir; Briefe an Lucilius 106, 12). So formulierte es Seneca im ersten Jahrhundert nach Christus als Kritik an den Philosophenschulen dieser Zeit (Bartels, 2006). Fast 2000 Jahre später findet sich eine ähnliche Kritik bei Gruber, Mandl und Renkl (2000). Schulisches und hochschulisches Lernen führe zu trägem Wissen, welches für die Lösung komplexer, alltagsnaher Probleme nicht zu gebrauchen sei. Es bestehe also eine Kluft zwischen Wissen und Handeln.

Im Sprachgebrauch hat sich die Umkehrung von Senecas Satz »Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir« durchgesetzt und wird häufig ins Feld geführt, wenn sich Schülerinnen und Schüler über ihr Pensum beschweren, den Sinn des Lernens in Frage stellen, negative Emotionen mit dem Lernen verbinden oder oberflächliche Lernstrategien anwenden, die nur darauf ausgelegt sind, den Lernstoff bei der nächsten Klassenarbeit abrufen zu können (sogenanntes Bulimie-Lernen). Dahinter steckt der Wunsch, die Schülerinnen und Schüler mögen das Gelernte dauerhaft behalten und anwenden können – kurz: Das Lernen soll nachhaltig sein.

Nachhaltiges Lernen wird hier im Sinne des »Lernens für das Leben« verstanden (z. B. Schüßler, 2004). Im Gegensatz zu trägem Wissen soll das Gelernte …

1.  dauerhaft wirksam (gespeichert und abrufbar),

2.  über verschiedene Kontexte hinweg nutz- und transferierbar,

3.  lebensnah und zukunftsrelevant sein.

Auch das angewendete Lernverhalten selbst soll nachhaltig wirksam sein. Der Erwerb nachhaltigen Wissens steht daher auch immer im Dienste des Erwerbs von weiteren Kompetenzen (Stadelmann, 2017). Nachhaltiges Lernen sollte also auch

4.  die Bereitschaft und Befähigung zu lebenslangem Lernen fördern.

Nachhaltiges Lernen weist somit Bezüge zu verschiedenen lerntheoretischen psychologischen und pädagogischen Konzepten auf.

Die Grundannahmen beruhen auf dem Informationsverarbeitungsansatz des Lernens und dem Mehrspeichermodell des Gedächtnisses. Nachhaltig ist Wissen dann, wenn es (1) den Langzeitspeicher erreicht und (2) in vielfältigen Situationen abrufbar ist. Aus der Forschung in diesem Kontext ist auch bekannt, dass der Aufbau von Wissen sich kumuliert, d. h., dass der Wissenserwerb bei vorhandenem Vorwissen erleichtert wird (lebenslanges Lernen). Gleichzeitig wird hier die Bedeutung von Lernstrategien und Motivation für den Wissensaufbau betont (Hasselhorn & Gold, 2017), diese Komponenten sind ebenfalls Voraussetzungen des lebenslangen Lernens (4).

Hinsichtlich der zu lernenden zukunftsrelevanten und lebensnahen Inhalte (3) lassen sich Bezüge zum Literacy-Konzept herstellen, welches den Bildungsstandards der KMK sowie den internationalen Leistungsvergleichen in den PISA-Studien zugrunde liegt (Köller, 2018). Literacy (Grundbildung in Bezug auf verschiedene Domänen wie z. B. Lesen und Schreiben) beinhaltet Basisqualifikationen, die soziale und kulturelle Teilhabe sowie lebenslanges Lernen ermöglichen.

Bei der Gestaltung von Lernumgebungen für nachhaltiges (fachbezogenes) Lernen gilt es also, die Förderung weiterer Kompetenzen mit einzuplanen. Didaktisch wird dabei eine konstruktivistische Perspektive auf das Lernen zugrunde gelegt (Abb. 1.1).

Abb. 1.1: Elemente nachhaltigen Lernens und konstruktivistischer Lernumgebungen

Der Ausgangspunkt ist, dass Wissen individuell und sozial (gemeinsam mit anderen) (ko-)konstruiert und erweitert wird. Das Lernen erfolgt also einerseits selbstgesteuert, andererseits kooperativ. Wichtig ist, dass die Lernenden sich aktiv mit dem Gegenstand auseinandersetzen. Dabei werden Ansätze situierten Lernens zugrunde gelegt. Lernen findet demnach in konkreten Situationen im sozialen Raum statt und ist an bestimmte Verwendungskontexte gebunden (Reinmann & Mandl, 2006). Daher sollten Aufgabenstellungen möglichst alltagsnah erfolgen. Lernende sollen ihr Wissen anhand authentischer Probleme konstruieren. Die Wissenskonstruktionen werden mit situationsspezifischen Eindrücken und Gegebenheiten verknüpft, daher ist es wichtig, Transfer sowie (durch Austausch und Diskussion) die Auseinandersetzung mit multiplen Perspektiven gezielt einzuplanen. Die Lehrperson begleitet bei der Konstruktion von Wissen und hebt immer wieder Verbindungen von Wissen und Handeln hervor.

Die kognitive Meisterlehre als Methode situierten Lernens

Eine Methode situierten Lernens, die einen Kompromiss zwischen Selbst- und Fremdsteuerung (durch die Lehrperson) darstellt, ist die sogenannte kognitive Meisterlehre, in der Schülerinnen und Schüler als Novizen und die Lehrpersonen als Expertinnen bzw. Experten angesehen werden. Anhand von alltagsnahen Problemen modelliert die Lehrperson den Weg zur Lösung und die Lernenden ahmen dies zunächst nach. Selbstständiges Problemlösen wird durch schrittweisen Rückzug der Lehrenden aus dem Geschehen ermöglicht. Dieses Prinzip wird auch beim reziproken Lehren genutzt, bei dem die Schülerinnen und Schüler abwechselnd die Lehrendenrolle übernehmen und kooperativ lernen. Diese Methode ist nach den Daten aus Hatties (2009) Synthese von Metaanalysen unter den Top Ten der wirksamen Lehrmethoden (Hasselhorn & Gold, 2017).

Diese Art des Lehrens erfordert einerseits die Abgabe von Verantwortung für den Lernprozess an die Lernenden, andererseits eine gute Strukturierung durch die Lehrperson im Sinne einer »Balance zwischen Instruktion und Konstruktion« (Reinmann & Mandl, 2006, S. 639). Gerade für leistungsschwächere Schülerinnen und Schüler ist ein hoher Strukturierungs- und Lenkungsgrad wichtig für positive Effekte konstruktivistischer Lernumgebungen. Daher wird in Bezug auf die Vermeidung von trägem Wissen von einer »gemäßigt konstruktivistischen Position« gesprochen (ebd., S. 637). Neben den Grundprinzipien Aktivität, Selbststeuerung, Konstruktion, Situiertheit und sozialer Bezug wird die Rolle von Emotionen und Motivation für das nachhaltige Lernen betont. Fähigkeiten zum selbstgesteuerten und kooperativen Lernen sowie Motivation und positive Emotionen beim Lernen sind somit gleichzeitig Voraussetzung und Ziel nachhaltigen Lernens (Kap. 1.3).

1.2       Nachhaltiges Lernen für das Leben nach der Schule

Nachhaltiges Lernen sollte Schülerinnen und Schüler also optimal auf das Leben nach der Schule vorbereiten und umfasst vielfältige Inhalte. Im Folgenden soll die Perspektive auf die zu lernenden Kompetenzen, Fähigkeiten und Fertigkeiten erweitert und mit dem Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule sowie den Anforderungen an Ausbildungs- und Studierfähigkeit in Verbindung gebracht werden.

Der Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule, der in den Schulgesetzen der Bundesländer verankert ist, ist in allen Ländern auf soziale und demokratische Werte sowie die Förderung eigenständigen Handelns ausgerichtet. Diese Ziele, die außerhalb der Vermittlung von Fachwissen liegen, werden von Eltern und Lehrpersonen übereinstimmend als wichtig, jedoch in der Schule als wenig umgesetzt, angesehen (Drahmann et al., 2018). Unterscheidet man, wie die Schulqualitätsforschung, zwischen fachspezifischen und bereichsübergreifenden Wirkungen von Schule, so erfolgt nach Ansicht der Befragten in der Schule eine Konzentration auf die fachliche Förderung. Für Lehrpersonen stehen bei der Unterrichtsplanung häufig die in einem Schul(halb)jahr zu vermittelnden fachlichen Kompetenzen und curricularen Inhalte im Vordergrund. Dabei kann es allerdings nicht das Ziel sein, träges und nur kurzfristig abrufbares Wissen zu vermitteln (Kap. 1.1).

So sieht z. B. das Hessische Kultusministerium (HKM) insbesondere die Vermittlung von Selbstständigkeit und Schlüsselqualifikationen als wichtige Qualitätsmerkmale von Schule und Unterricht an:

»Der globale Wandel und die damit verbundenen Umbrüche erfordern heute von zukünftigen Erwachsenen eine ständige Neuorientierung in komplexer werdenden Lebenssituationen, um handlungsfähig zu sein. Zur Bewältigung dieser Herausforderungen sind Lernformen nötig, die Selbstständigkeit und entsprechende Kompetenzen fördern. Die Beherrschung von ›Schlüsselqualifikationen‹ wird im Beruf vorausgesetzt« (Brömer et al., 2013, S. 38).

Im Folgenden wird darauf eingegangen, was man sich unter Schlüsselqualifikationen vorstellen kann, dabei werden zunächst die Schlüsselkompetenzen der OECD in den Blick genommen und schließlich die für Studium und Berufsausbildung benötigten Qualifikationen.

Als Schlüsselkompetenzen werden häufig Sozialkompetenz, Selbstkompetenz, Methodenkompetenz und Sach- (bzw. Fach-)Kompetenz unterschieden. Solche Kompetenzen ermöglichen es, mit komplexen Anforderungen der Umwelt und der Gesellschaft umzugehen und ein erfolgreiches Leben zu führen. Es gibt zahlreiche Listen und Aufzählungen von Schlüsselkompetenzen, die hier nicht umfassend behandelt werden sollen. Die OECD (2005) fasst Schlüsselkompetenzen unter drei Oberkategorien zusammen, die sich überschneiden und ergänzen (Abb. 1.2). Jeder einzelne Bereich beinhaltet sehr unterschiedliche Kompetenzen. Unter die Interaktive Anwendung von Medien und Mitteln fallen z. B. so unterschiedliche Dinge wie sprachliche, mathematische und Lesekompetenzen sowie die interaktive Anwendung von Informationstechnologien.

Abb. 1.2: Schlüsselkompetenzen der OECD (2005; eigene Darstellung)

Nachhaltige fachbezogene Lernprozesse fördern (und erfordern) immer auch zukunftsrelevante Schlüsselkompetenzen. Dies leitet direkt zu der Frage nach den Schlüsselqualifikationen über, die Schulabgängerinnen und -abgänger aufweisen sollten, um eine Berufsausbildung oder ein Studium erfolgreich absolvieren zu können.

In Bezug auf die Ausbildungsfähigkeit legt die Bundesagentur für Arbeit (BfA, 2009) einen Kriterienkatalog zur Ausbildungsreife vor, anhand dessen Schulabgängerinnen und Schulabgänger überprüfen können, inwieweit sie die nötigen Kenntnisse und Fähigkeiten besitzen. Diese sind in schulische Basiskenntnisse, psychologische Leistungsmerkmale sowie psychologische Merkmale des Arbeitsverhaltens und der Persönlichkeit unterteilt (Tab. 1.1). Daneben gibt es noch die Kategorien Physische Merkmale (altersgerechter Entwicklungsstand und gesundheitliche Voraussetzungen) und Berufswahlreife (Selbsteinschätzungs- und Informationskompetenz). Die Merkmale der Ausbildungsreife weisen einen großen Überschneidungsbereich mit den OECD-Schlüsselkompetenzen auf (Abb. 1.2).

Interessant ist nun die Frage, wie die Ausbildungsbetriebe die verschiedenen Kompetenzen gewichten. Eine regelmäßige Befragung an mehr als 10.000 Ausbildungsunternehmen durch die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) zeigt seit Jahren, dass gerade die Merkmale des Arbeitsverhaltens und der Persönlichkeit (Tab. 1.1) für die Betriebe von Bedeutung sind:

»Immer mehr Unternehmen erkennen: Fachlich Versäumtes kann durch Nachhilfe ausgeglichen werden. Sozialkompetenzen lassen sich hingegen nicht so leicht nachholen. Dies schlägt sich auf die Eignungsfeststellung von künftigen Azubis nieder« (DIHK, 2019, S. 10).

Tab. 1.1: Merkmale der Ausbildungsreife aus dem Kriterienkatalog der BfA (2009)

Schulische BasiskenntnissePsychologische LeistungsmerkmalePsychologische Merkmale des Arbeitsverhaltens und der Persönlichkeit

Aber auch für ein erfolgreiches Studium werden u. a. soziale Kompetenzen benötigt. Dies ergab z. B. eine Studie der Universität Hamburg, in der Studierende und Dozierende befragt wurden, welche Anforderungen sich im ersten Studienjahr stellen (Abb. 1.3; vgl. Schultes et al., 2016). Studierfähigkeit lässt sich demnach als die Fähigkeit, mit inhaltlichen, personalen, sozialen und organisatorischen Anforderungen im Studium umzugehen, beschreiben (Schultes et al., 2016). Der Ausbildungsmarkt genauso wie die Universität erwarten von den ehemaligen Schülerinnen und Schülern neben fachlichen Kenntnissen also auch bereichsübergreifende (Schlüssel-)Kompetenzen.

Abb. 1.3: Komponenten der Studierfähigkeit

Nun bedeutet das nicht, dass fachliches Lernen (Sachkompetenz) unwichtig wäre. Denn »[n]ur indem bereichsspezifische Kompetenzen (Expertisen) aufgebaut werden, können auch bereichsübergreifende Kompetenzen aufgebaut werden, die diesen Namen verdienen« (Hasselhorn & Gold, 2017, S. 142). Die genannten Anforderungen sprechen allerdings dafür, in der Schule das nachhaltige Lernen zu unterstützen, bei dem bereichsübergreifende Kompetenzen in der Auseinandersetzung mit fachlichen Inhalten gefördert werden.

1.3       Voraussetzungen und Ziele nachhaltigen Lernens

Hasselhorn und Gold (2017) unterscheiden unter den bereichsübergreifenden Schlüsselkompetenzen kognitive (z. B. Lernstrategien), motivationale (z. B. Lernfreude) und volitionale (z. B. Selbstkontrolle) Kompetenzen. Im Folgenden soll dargelegt werden, welche Rolle Motivation, Lernstrategien, Emotionen und schulisches Wohlbefinden für den selbstregulierten Lernprozess spielen. Es wird davon ausgegangen, dass die Lernenden ihren Lernprozess selbst initiieren, planen, überwachen und bewerten. Damit wird der konstruktivistischen Sichtweise einer aktiven selbstgesteuerten Konstruktion von Wissen Rechnung getragen (Kap. 1.1).

Nach dem Prozessmodell des selbstregulierten Lernens von Schmitz und Schmidt (2007, S. 12; Abb. 1.4) beginnt der Lernprozess in der präaktionalen Phase mit der Handlungsplanung (u. a. Planung des Strategieeinsatzes) und Lernvorbereitung.

Abb. 1.4: Gemäßigt konstruktivistische Sichtweise auf selbstreguliertes nachhaltiges Lernen

Diese Planung wird in der aktionalen Phase umgesetzt (Lernqualität) und führt zum Lernergebnis. In der postaktionalen Phase werden schließlich der Lernprozess und das Ergebnis vom Lernenden selbst bewertet und mit der Planung abgeglichen. Da der Lernprozess als Zyklus betrachtet wird, also die jeweilige Bewertung sich auf zukünftiges Lernen auswirkt, entwickeln sich die in jeder Phase aktiven Strategien und weiteren bereichsübergreifenden Kompetenzen beim fachlichen Lernen weiter, womit die Voraussetzungen für lebenslanges Lernen geschaffen und erweitert werden.

Verbindet man dies mit der gemäßigt konstruktivistischen Sichtweise von nachhaltigem Lernen, so erfolgt die Selbstregulation nicht nur in Abhängigkeit von der Lernaufgabe sowie dem Kontext bzw. der Lernsituation (situiert), sondern auch im sozialen Raum (ko-konstruktiv bzw. kooperativ). Die Lehrperson begleitet und unterstützt, je nach Leistungsniveau und weiteren Merkmalen der Lernenden, mit mehr oder weniger Lenkung und Strukturierung (Abb. 1.4).

In den verschiedenen Phasen des Prozessmodells werden Motivation, Emotionen und Lernstrategien auf verschiedene Weise wirksam und weiterentwickelt.

1.3.1     Motivation

Eine häufig genutzte Definition beschreibt Motivation als »aktivierende Ausrichtung des momentanen Lebensvollzugs auf einen positiv bewerteten Zielzustand« (Rheinberg & Vollmeyer, 2012, S. 15). Dies macht deutlich, dass eine positive Bewertung des Lerngegenstandes, aber auch des Lernens an sich wichtig ist, um Lernprozesse anzuregen. Im Prozessmodell selbstregulierten Lernens (Abb. 1.4) bestimmt Motivation die Lernvorbereitung und Planung in der präaktionalen Phase. Gleichzeitig wird die Motivation für zukünftiges Lernen durch das Lernergebnis und die Bewertung des Lernprozesses in der postaktionalen Phase beeinflusst. Eine generell hoch ausgeprägte Motivation zu lernen kann als Voraussetzung für lebenslanges Lernen verstanden werden und ist somit ein Ziel nachhaltiger Lernprozesse im Unterricht.

Hier kann ein direkter Bezug zum Konzept der motivationalen Orientierungen hergestellt werden. Ein Fokus der Lernenden auf die Erweiterung des eigenen Wissens und eigener Fähigkeiten wird als Lernzielorientierung bezeichnet. Diese kann man von der Leistungszielorientierung abgrenzen, bei der es Lernenden hauptsächlich darum geht, sekundäre, externe Ziele zu erreichen (z. B. eine gute Bewertung; Dweck, 1986). Motivationale Orientierungen sind insbesondere im 21. Jahrhundert vielfach erforscht und immer weiter ausdifferenziert worden.1 Eine Lernzielorientierung der Schülerinnen und Schüler basiert auf der Annahme, dass es grundsätzlich möglich ist, seine eigenen Fähigkeiten zu verbessern, z. B. durch Anstrengung, Lernstrategien oder Unterstützung anderer. Dies wird in der aktuellen Literatur auch als growth mindset bezeichnet (Dweck, 2017). Ein fixed mindset ist dagegen die Annahme, dass Fähigkeiten eher unveränderbar (angeboren) sind. Insgesamt zeigen sich die Vorteile eines growth mindsets und einer Lernzielorientierung für nachhaltiges Lernen recht deutlich, denn sie hängen mit Interesse, Engagement, Lernfreude und tieferer Verarbeitung von Lerninhalten zusammen (zusf. Covington, 2000; Fischer, 2006).

Förderung der Lernzielorientierung im Unterricht

Unterricht, der die Entwicklung einer Lernzielorientierung und eines growth mindset bei Schülerinnen und Schülern unterstützen soll, zeichnet sich durch die Abgabe von Verantwortung für den Lernprozess an die Lernenden aus. Aufgaben sollen motivierend, herausfordernd und lebensnah sein. Belohnungen sind grundsätzlich für alle Mitglieder der Klasse möglich, da auch Ideen, eigenständiges Arbeiten, Neugier und die Setzung realistischer Ziele positiv bewertet werden. Dabei steht der individuelle Lernfortschritt im Fokus (individuelle Bezugsnormen) und Lern- und Selbstmanagementstrategien sollten stetig angewendet und weiterentwickelt werden. Lernzielorientierte Lernumgebungen sind weiter durch ein positives Fehlerklima sowie vielfältige Lehrmethoden und Aufgabenstellungen gekennzeichnet. Es wird empfohlen, einen Wechsel von Einzel- und Kleingruppenarbeit in flexiblen Gruppierungen vorzunehmen (Wentzel & Brophy, 2014).

Tatsächlich ergeben sich große Überschneidungen der Prinzipien nachhaltigen Lernens (Kap. 1.1; 1.4) mit den Empfehlungen für ein Lernklima, das geeignet ist, eine Lernzielorientierung und ein growth mindset zu unterstützen. Ein solcher Unterricht kann sowohl den subjektiven Wert, den ein Lernender einem Schulfach beimisst, als auch die Erwartung, in diesem Fach gut abschneiden zu können (Selbstwirksamkeitserwartung), beeinflussen (Fischer & Rustemeyer, 2007).

Nach dem erweiterten Erwartungs-Wert-Modell spielen diese beiden Komponenten eine wichtige Rolle für die Motivation, eine (Lern-)Handlung aufzunehmen (Wigfield & Eccles, 2000). Der subjektive Wert setzt sich aus dem Anreiz der Aufgabenausführung (Interesse und erwartete positive Gefühle bei der Aufgabenausführung), der wahrgenommenen Nützlichkeit (für die Erreichung eigener kurz- und langfristiger Ziele) und persönlichen Wichtigkeit (z. B. des Faches, der Schule, guten Abschneidens) zusammen. Diese werden ins Verhältnis zu den mit der Aufgabe verbundenen Kosten (z. B. negative emotionale Zustände beim Lernen, verpasste Möglichkeiten, aufzuwendende Anstrengung) gesetzt.

Schülerinnen und Schüler sollten also positive Zustände beim Lernen erleben und positive Folgen wahrnehmen. Dies kann zu (gegenstandsbezogenem) Interesse führen (Krapp, 2005) und die Lernmotivation allgemein steigern. Die Nützlichkeit und persönliche Wichtigkeit des Lernstoffes kann beim nachhaltigen Lernen durch alltagsnahe, lebensweltbezogene Aufgaben, die Einplanung von Transfer und das explizite Einüben von Lerntechniken verdeutlicht werden.

1.3.2     Lernstrategien

Der Erfolg gemäßigt konstruktivistischer Lernumgebungen ist in großem Maße abhängig von selbstgesteuerten Lernaktivitäten der Schülerinnen und Schüler, die ihrerseits gelernt werden müssen. Daher ist die Vermittlung und Einübung von Lernstrategien ein Element nachhaltigen Lernens. Hier spielen kognitive und metakognitive Lernstrategien ebenso eine Rolle wie motivationale, volitionale (willensmäßige) und organisationale Stützstrategien (Hasselhorn & Gold, 2017).

Kognitive Lernstrategien werden klassisch in Wiederholungs-, Organisations- und Elaborationsstrategien oder mnemonische, strukturierende und generative Strategien unterteilt. Dabei dienen mnemonische Techniken dem Behalten von Informationen im Arbeitsspeicher (z. B. durch Wiederholen), um die Übertragung in das Langzeitgedächtnis zu erleichtern. Bei strukturierenden Strategien geht es darum, den Lernstoff sinnvoll zu organisieren und aufeinander zu beziehen (z. B. durch Kategorienbildung), um durch die Zusammenfassung der Inhalte weniger Kapazität im Arbeitsgedächtnis für das Lernen zu benötigen. Generative Techniken schließlich sind elaborativ, d. h. der Lernstoff wird mit weiteren Wissensbeständen verknüpft und angereichert. Diese Formen verlangen und erzeugen das tiefste Verständnis des zu Lernenden und das Wissen wird über einen längeren Zeitraum gespeichert (ebd.). Es hat sich gezeigt, dass Tiefenverarbeitungsstrategien (strukturierende und generative Techniken) eher bei hoher Lernzielorientierung (Kap. 1.3.1) angewendet werden, während eine Leistungszielorientierung mit Oberflächenstrategien (Wiederholen) verbunden ist (Covington, 2000).

Metakognitive Strategien beziehen sich auf das Wissen über eigene Lern- und Verstehensprozesse. Sie beinhalten die Reflexion über das eigene Lernen sowie strategische Aktivitäten zur Steuerung des Lernprozesses (z. B. die Auswahl und Anwendung der zum Inhalt und zum Lernenden passenden Lernstrategie). Um selbstgesteuert zu lernen, werden Wissen über die Anforderungen der Aufgabe, passende Lernstrategien und das eigene spezifische Vorwissen genauso benötigt wie Erfahrungen in Bezug auf das eigene Lernen und dafür förderliche Bedingungen.

Motivationale und volitionale Stützstrategien unterstützen die Selbstregulation. Während sich die Motivation (Kap. 1.3.1) vor allen Dingen auf die Auswahl und Einschätzung des Lernziels in der präaktionalen Phase (Abb. 1.4) sowie die Bewertung des Lernerfolgs in der postaktionalen Phase bezieht, werden während der aktionalen Phase volitionale Strategien wirksam, die bei der Ausführung des Lernens unterstützen. Es geht also darum, den Lernwillen aufrechtzuerhalten und (auch bei auftauchenden Hindernissen oder Ablenkungen) diszipliniert bei der Sache zu bleiben. In diesem Sinne kann Volition als Handlungskontrolle verstanden werden. Durch volitionale Prozesse wird der Lernprozess in allen Phasen kontrolliert, der Einsatz kognitiver und metakognitiver Strategien genauso wie motivationale und emotionale Lagen (Hasselhorn & Gold, 2017). Organisationale Stützstrategien beziehen sich auf die Rahmenbedingungen des Lernens, z. B. die Ausstattung des Arbeitsplatzes mit Materialien und den Schutz vor Ablenkungen.

Die genannten Strategien haben erheblichen Einfluss auf die effektive Nutzung von Lern- und Selbstregulationsstrategien, wichtig ist aber auch das emotionale Erleben im Lernprozess.

1.3.3     Emotionen

Emotionen besitzen für Lernprozesse und die Informationsverarbeitung insgesamt einen hohen Stellenwert. Sie steuern bereits, worauf wir unsere Aufmerksamkeit lenken, beeinflussen die Motivation und spielen beim Speichern und Abrufen von Informationen sowie bei der Bewertung des Lernprozesses eine Rolle.

Während negative Emotionen wie Angst, Scham oder Langeweile mit reduzierter Aufmerksamkeit und Gedächtniskapazität einhergehen, fördern positive aufgabenbezogene Emotionen wie Lernfreude, Stolz oder Neugierde die Aufmerksamkeit und die Motivation, sich mit einer Aufgabe auseinanderzusetzen (Pekrun, 2018)2. Gerade für nachhaltiges Lernen sind positive Emotionen wichtig, denn Lernfreude und Begeisterung unterstützen die wirksame Anwendung von Tiefenverarbeitungsstrategien (Elaboration und Organisation; Kap. 1.3.2) und kritisches Denken (Pekrun, 2018).

Am deutlichsten wird der Einfluss negativer Emotionen auf das Lernen im Zusammenhang mit Angst. So kann eine stark ausgeprägte Prüfungsangst dazu führen, dass in der Prüfungssituation vorhandenes Wissen nicht mehr abgerufen werden kann. Solche Misserfolge können wiederum in höherer Prüfungsangst resultieren, die Gedächtniskapazitäten bindet und das weitere Lernen behindert. Das Erleben von Misserfolgen ist dabei oft mit einem niedrigeren Selbstkonzept verbunden und beeinträchtigt schließlich die Lernmotivation.

Verwirrung dagegen ist eine negative Emotion, die unter Umständen das Lernen fördern kann. Kognitive Konflikte oder überraschende Einstiege in ein Thema können Interesse und Motivation steigern. Im Zusammenhang mit nachhaltigem Lernen wird auch auf Irritationen im Lernprozess, die emotional aufgeladen sind, hingewiesen (Schüßler, 2004). Dabei ist es jedoch wichtig, dass die Irritation sich auf den Lerngegenstand bezieht und nicht auf die Lernsituation oder die eigene Person. Letzteres führt dazu, dass zwar die (unangenehm empfundene) Situation, nicht aber der Lernstoff erinnert wird. Bei Irritationen in Bezug auf den Lerngegenstand hingegen entsteht zunächst der Wunsch, diese aufzulösen, was zu höherer Anstrengung und Persistenz führen kann. Dies wirkt nur dann nachhaltig, wenn die Irritation im Laufe des Lernprozesses reduziert wird, damit sich nicht etwa negative deaktivierende Emotionen, wie Hoffnungslosigkeit oder Langeweile, einstellen (Pekrun, 2018). Insgesamt ist ein positives akademisches Selbstkonzept eine Bedingung dafür, auch Emotionen wie Verwirrung und Scham positiv nutzen zu können. Daher kommt der Förderung von Selbstwirksamkeit und Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten ein hoher Stellenwert zu.

In diesem Zusammenhang sei auf die Bedeutung eines positiven Fehlerklimas im Unterricht verwiesen. Die aktive Auseinandersetzung mit Fehlern führt nicht nur zum Aufbau negativen Wissens (»wissen, was eine Sache nicht ist«; Oser & Spychiger, 2005, S. 11), sondern unterstützt auch die Wissenskonstruktion und das entdeckende Lernen (Pekrun, 2018). Gleichzeitig kann durch die Auseinandersetzung mit eigenen Fehlern wichtiges metakognitives Wissen aufgebaut werden (Chott, 2006; Kap. 1.3.2). Emotionen spielen für die Wirksamkeit des Lernens aus Fehlern eine wichtige Rolle.

Die Auseinandersetzung mit Fehlern in einem positiven Lernklima verlangt eine klare Trennung von Lernprozess und Bewertung (Chott, 2006). Während Fehler im Lernprozess als Lernchancen zu sehen sind, werden sie in der Klassenarbeit negativ bewertet. Um das Lernpotenzial von Fehlern im Unterricht zu nutzen, ist es notwendig, dass Lern- und Leistungssituation nicht vermischt werden. Auch ein positives Beziehungsklima in der Klasse ist eine Voraussetzung für das Lernen aus Fehlern.

Emotionen und das Fehlerklima

Fehler sind mit Emotionen verbunden. Dies gilt sowohl für Lernende als auch für Lehrende. Letztere sind häufig bestrebt, den Unterrichtsstoff möglichst schnell und reibungslos abzuhandeln, was dazu führen kann, dass Fehler im Unterrichtsgespräch übergangen werden oder Anlass für Bloßstellungen im Unterrichtsgeschehen sind und schwächere Lernende gar nicht erst einbezogen werden (Kap. 5.2). Für Lernende sind Fehler häufig mit Angst und Scham besetzt, wodurch die Fehlervermeidung beim Lernen im Vordergrund steht und dieses schließlich behindert (Chott, 2006).

In Bezug auf die Scham unterscheiden Oser und Spychiger (2005, S. 74 f.) in diesem Zusammenhang zwischen produktiven versus destruktiven »Beschämern«. Produktiv ist Scham über einen Fehler, die sich bei der Person selbst einstellt und dazu führt, dass sie durch Erinnerung an diese negative Emotion den Fehler in ähnlichen Lernsituationen nicht noch einmal machen wird. Destruktiv hingegen ist Scham, die durch einen unangemessenen Umgang mit Fehlern seitens anderer Personen hervorgerufen wird. So führen z. B. Zorn oder Zynismus einer Lehrperson und das Bloßstellen von Lernenden zu einer emotionalen Lage, die die Informationsverarbeitung erschwert bzw. verhindert und Vermeidungsverhalten in Bezug auf ähnliche (Lern-)Situationen auslöst (Kap. 5.3.3).

Da Emotionen im Lernprozess stark mit erlebten Erfolgen bzw. Misserfolgen zusammenhängen, empfiehlt es sich für positive Lernerlebnisse und die Förderung von Lernfreude und Motivation für lebenslanges Lernen, allen Schülerinnen und Schülern Erfolgserlebnisse zu ermöglichen (Pekrun, 2018). Dies kann z. B. durch einen Fokus auf die Erweiterung der eigenen Kompetenzen im Unterricht (Lernzielorientierung; Kap. 1.3.1) anstelle einer Wettbewerbsorientierung mit starkem Fokus auf sozialen Bezugsnormen (Leistungszielorientierung) erfolgen.

1.3.4     Schulisches Wohlbefinden

Es sollte klargeworden sein: Nachhaltiges Lernen erfordert eine Atmosphäre, in der sich die Beteiligten wohlfühlen. Schulisches Wohlbefinden kann als eine »grundsätzlich positive Haltung gegenüber der Schule und den mit ihr verbundenen Themen und Tätigkeiten« (Hascher, 2004, S. 16) verstanden werden und beinhaltet sowohl kognitive als auch emotionale Anteile. Drei Funktionen des schulischen Wohlbefindens begründen, dass es nicht nur Lernvoraussetzung, sondern auch ein eigenständiges Ziel von Schule ist (Hascher & Hagenauer, 2011; Beispiel 1.1):

♦  Indikationsfunktion: Es zeigt die erfolgreiche Bewältigung der schulischen Anforderungen und die Beziehungsqualität in der Schule an.

♦  Bildungsfunktion: Es ist die Grundlage für Lernerfolg.

♦  Präventionsfunktion: Es ist eine Ressource für den Umgang mit der Schule.

Beispiel 1.1

Jonathan fühlt sich in der Schule wohl, er ist zufrieden mit seinen Lernergebnissen, hat viele Freunde dort und kommt gut mit den Lehrpersonen aus (Indikationsfunktion). Seine grundlegend positive Haltung zur Schule nimmt er auch mit in den Unterricht, was das Lernen begünstigt (Bildungsfunktion). Als er letztens in seinem Lieblingsfach mal schlecht abgeschnitten hat, konnte er gut damit umgehen und auch Konflikte auf dem Schulhof kann er erfolgreich meistern (Präventionsfunktion).

Schulisches Wohlbefinden wird von Merkmalen der Schülerinnen und Schüler selbst (z. B. Selbstwirksamkeit) und des Unterrichts beeinflusst (Hascher, 2004). Hier sind besonders Herausforderung, Aktivität, Partizipation und individuelle Bezugsnormen zu nennen. Vor allem aber sind positiv erlebte Interaktionen mit Mitschülerinnen und -schülern sowie den Erwachsenen in der Schule wichtige Voraussetzungen für schulisches Wohlbefinden (Hascher & Hagenauer, 2011).

1.4       Lernumgebungen für nachhaltiges Lernen

Insgesamt wurden in diesem Kapitel die benötigten Kompetenzen der Lernenden sowie Unterrichtsvoraussetzungen für nachhaltiges Lernen betrachtet. Stadelmann (2017) beschreibt die Möglichkeiten des Lehrens und Unterrichtens in diesem Zusammenhang wie folgt:

»Bedeutung, Wissen, Verhaltensweisen, Fähigkeiten, Fertigkeiten können nicht von der Lehrperson auf die Schülerinnen und Schüler übertragen werden. […] Wissen und Verhalten werden nicht passiv erworben, sondern in jedem Individuum aktiv konstruiert. Lehrpersonen haben keinen direkten Zugriff auf das Lernen der Schülerinnen und Schüler; sie können ›nur‹ Umgebungen schaffen, Unterlagen bereitstellen, emotionelle Zugänge ermöglichen, stimulieren, alles mit dem Ziel, dass Schülerinnen und Schüler selbst aktiv werden und individuell ihr Wissen und Verhalten konstruieren« (Stadelmann, 2017, S. 11).

Die Prinzipien nachhaltigen Lernens greift Arnold (2012) in seinem Konzept der Ermöglichungsdidaktik auf. Die Methoden entsprechen den bereits dargestellten Prinzipien nachhaltigen Lernens und einem konstruktivistisch orientierten Unterricht (Kap. 1.1). Das Modell ist für die Erwachsenenbildung konzipiert, eignet sich aber auch dafür, nachhaltiges Lernen in der Schule zu unterstützen. Noack und Mortag (2012) thematisieren nachhaltiges Lernen im Zusammenhang mit kompetenzorientiertem Unterricht, in dem kognitive Fähigkeiten sowie motivationale, soziale und volitionale Bereitschaften vermittelt werden sollen, »um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können« (Weinert, 2014, S. 27 f.; Kap. 1.2). Verbindet man diese Perspektiven, so lassen sich die folgenden Hinweise für die Gestaltung von Lernumgebungen ableiten (siehe auch Stadelmann, 2017).

Um selbstgesteuert zu lernen und Wissen zu konstruieren, müssen Lernende Verantwortung für den eigenen Lernprozess übernehmen (können). Daher gilt es, kognitive und metakognitive Lernstrategien sowie Stützstrategien, aber auch den Umgang mit Materialien und Medien gezielt einzuüben und zu reflektieren (Kap. 1.3.2). Auch das begleitete Üben gehört zum nachhaltigen Lernen. Die explizite (Mit-)Vermittlung von Arbeitstechniken unterstützt u. a. den Transfer. Schließlich können die Schülerinnen und Schüler mehr und mehr Möglichkeiten zur Mitgestaltung der Lernprozesse und -wege nutzen (schrittweise Öffnung von Unterricht). Dazu gehört auch die eigenständige Überprüfung von Lösungswegen. Die Lehrperson übernimmt mehr und mehr eine beratende und begleitende Rolle und ist zuständig für eine klare Strukturierung des Unterrichts.

Aktivierend ist Lernen, wenn konkrete Arbeitsaufträge an authentischen und lebensweltnahen Problemen bearbeitet werden können. Lernende sollten über die Relevanz und Nützlichkeit der Aufgabe aufgeklärt werden. Gleichzeitig werden herausfordernde kognitive Lernziele anvisiert, die Motivation steigern und Aktivität sowie entdeckendes Lernen ermöglichen. Das Lernen knüpft an das Vorwissen der Lernenden an. Es erlaubt die Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand und mit unterschiedlichen Perspektiven darauf. Individualisiertes Lernen zum Ausgleich unterschiedlicher Lernvoraussetzungen spielt neben kooperativen Lernmethoden eine wichtige Rolle für nachhaltiges Lernen. Dabei ist ein Fokus auf die individuelle Entwicklung hilfreich (individuelle Bezugsnormen bei der Beurteilung des Lernerfolgs).

Situiertes