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Dragan van Less und Jael Nova haben die größte Gefahr überwunden, doch das nächste Abenteuer steht bereits in den Startlöchern. Was beide nicht ahnen; Dragan wird ihm alleine gegenüber treten müssen...
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Sieben lange Monate hatten sie hinter sich, in denen Gefühlsausbrüche an der Tagesordnung standen. Vorsicht hatten sie walten lassen und sich komplett von der Öffentlichkeit abgeschottet, selbst der Bruder des Fürsten hatte sie nicht sehen dürfen.
Geflucht hatte die Frau, weil sie keine Aufträge mehr ausführen konnte. Doch sie war dankbar gewesen, denn ihr Mann tat alles für sie, damit sie sich so wohl wie nur möglich fühlte.
Verstört hatte sie ihm eines Tages gebeichtet, was los war und sie hatte es zuvor selbst nicht gemerkt. Erst nach einigen Monaten wuchs ihr Bauch und zeugte vom Leben.
Angst hatte sowohl sie als auch Dragan erfasst, denn keiner von ihnen wusste, wie es ablaufen würde.
Die Schwangerschaft war verdächtig angenehm, denn es gab keine Morgenübelkeit, keine Stimmungsschwankungen und keine Fressanfälle. Es war alles wie immer, bis auf der größer werdende Bauch.
Sie hatte die Magie des Kindes in ihrem Inneren gespürt, wusste, dass es ein Drachenkind war was in ihr heranwuchs und vermutete, dass es ihr deshalb so gut ging. Doch nach bereits sieben Monaten setzten die Wehen ein. Die Frau hatte wahnsinnige Angst, selbst ihr Gefährte konnte sie nicht beruhigen, doch die Drachenmagie ihres Kindes war bei der Geburt bereits so machtvoll, dass sie nur wenig Schmerzen erdulden musste.
Fassungslos hatte die Frau ihr Kind nach nur einer Stunde in den Armen gehalten, verblüfft über das Aussehen des kleinen Mädchens. Helle, ja leuchtend grüne Augen hatten sie mit schlitzförmigen Pupillen gemustert. Von den schwarzen Härchen einmal abgesehen, hatte sie das Gefühl gehabt, in einen Spiegel zu blicken. Ihre Gesichtszüge waren fast identisch, nur die Nase und der Mund zeugten vom Vater.
Das kleine Mädchen war vollkommen ruhig, doch als ihr Vater es endlich zu fassen bekam, stieß das Drachenkind einen Laut aus, der wohl ein Brüllen sein sollte. Lachend hatte der Mann seine Frau angesehen, die bei dem Anblick der sich ihr bot sanft lächelte. Sie hatte in den sieben Monaten nicht ein einziges Mal über den Namen ihres Kindes nachgedacht, doch nun fiel es ihr geradezu in den Schoß.
„Cath“, hauchte sie und sah ihren Mann abwartend an.
„Cath?“, wiederholte er mit hochgezogenen Augenbrauen. „Bist du dir sicher?“Er wollte es ihr überlassen einen Namen auszusuchen. Er war mit Sicherheit nicht gut in solchen Dingen. Nachdem er seine Tochter einige Minuten lang stolz betrachtet hatte, reichte er sie wieder an seine Frau, die lange Zeit lang mit einem Gesichtsausdruck auf das Kind herab sah, der klar machte, dass sie etwas zu ahnen schien.
„Ja, Cath. Ein kurzer und knapper Name, für eine starke und unabhängige Frau die einmal aus ihr werden wird!“
Es war entschieden. Ihre Tochter hieße Cath van Less.
Doch das Glück währte nicht ewig...
„Cath!“
Donnernd hallte die dunkle Stimme von den Wänden wider, die die junge Frau augenblicklich in der Bewegung erstarren ließ. Dabei hatte sie gar nichts getan! Sie stand doch nur hier. Langsam drehte sie ihren Kopf zur Seite, worauf ihr Vater in ihr Blickfeld fiel.
„Vater“, sagte sie leise und entschuldigend, obwohl sie wusste, dass sie noch keinerlei Schuld traf.
„Ich habe dir schon einmal gesagt, dass du hier absolut nichts zu suchen hast“, knurrte Dragan und trat nun näher. In seinen trüben, goldenen Augen funkelte der Zorn und seine muskulöse Gestalt war voller Anspannung.
„Du wirst diesen Raum niemals betreten, hast du das verstanden?“, donnerte er. Cath zog die Schultern ein und trat sofort einige Schritte zurück.
„Jawohl, Vater“, flüsterte sie und senkte den Blick.
Der Mann schickte sie auf ihr Zimmer und die junge Frau sputete sich. Sie respektierte ihren Vater und seine Entscheidungen und tat fast immer, was er ihr sagte. Doch es würde der Tag kommen, an dem sie dieses Zimmer betrat und endlich herausfand, was sich dahinter verbarg.
Hier, in diesem Anwesen in Nevada, gab es haufenweise Zimmer in denen sie tun und lassen konnte was sie wollte, also was konnte sich so schlimmes in diesem verbergen?
Hatte ihr Vater Geheimnisse vor ihr? Kopfschüttelnd ging sie in ihr Zimmer. Er war ihr Vater, sie hatte zu respektieren, dass er das nicht wollte. Auch, wenn sie es nicht verstand.
„Ich frage mich, ob Mutter es auch verboten hätte“, sprach sie zu sich selbst und schmiss sich in ihr Bett, nachdem sie ihr Reich betreten hatte. Nachdenklich starrte sie an die blutrote Zimmerdecke. Sie konnte sich nicht mehr daran erinnern, doch ihre Mutter war gestorben, als sie sechs Jahre alt gewesen war. Alles woran sie sich noch erinnerte, war das feuerrote Haar und dieser süße Duft. Bei dem Gedanken an diese Dinge, fühlte sie sich augenblicklich geborgen.
Selbst heute, mit neunzehn Jahren, wusste sie nicht viel über ihre Mutter. Laut ihrem Onkel Ace, einem weiteren Wächter, hat sie für Drachen gearbeitet. Sie soll eine sehr mächtige Frau gewesen sein, vor der jeder Respekt und Angst hatte, genauso wie vor ihrem Vater.
Was ihren Vater, Dragan, anging, so hatte sein Leben sich wohl in eine Hölle verwandelt. Doch davon wusste Cath nichts und sie konnte es auch nicht beurteilen.
Betrübt sah Dragan seiner Tochter nach, dann machte er sich auf den Weg in sein Arbeitszimmer.
Dreizehn Jahre war es nun her, seit seine Gefährtin ihn verlassen hatte und noch immer raubte der Schmerz darüber ihm seine Sinne. Noch immer hörte er ihr neckisches Lachen so deutlich, als würde sie neben ihm stehen und ihn herausfordernd anfunkeln. Mit verzogenem Gesicht und Verbitterung erinnerte er sich an diesen einen Tag zurück...
„Ich habe den jungen Drachen aufgespürt und bin jetzt auf dem Weg zu ihm. Er lässt es wohl auf einen Kampf ankommen, aber den habe ich schnell überwältigt. Ich dürfte heute Abend wieder Zuhause sein, achte bis dahin bitte darauf, dass Cath ausreichend lernt, sie hat sich in letzter Zeit immer davor gedrückt“, grummelte Jael am anderen Ende der Leitung.
Dragan lachte leise und warf dem kleinen Mädchen, welches vor dem Kamin das Handbuch der Drachen laß, einen liebevollen Blick zu.
„Keine Sorge, sie verbringt ihre Freizeit auch so mit wertvollen Dingen“, lachte er und wurde dann ein wenig leiser. „Sei vorsichtig, hörst du?“, hauchte er, worauf es am anderen Ende ebenfalls ruhiger wurde.
„Immer. Ich liebe dich!“
Noch bevor er das erwidern konnte, hatte die Frau das Gespräch beendet. Schmunzelnd ließ Dragan das Handy in seiner Hosentasche verschwinden. So war sie, seine Gefährtin.
…
Es vergingen genau vier Stunden, dann erreichte ihn die grauenhafte Nachricht.
Dragan war gerade dabei seiner Tochter die schulterlangen, tiefschwarzen Haare zu einem Pferdeschwanz zu binden, da kam Ace in den Raum gerauscht, mit feuchten Augen und dreckverkrusteten Händen.
„Dragan!“, keuchte er, außer Atem und mit brüchiger Stimme.
Irritiert über das Auftreten und Verhalten seines Bruder, stupste der Mann seine Tochter an.
„Geh und lerne, Cath. Ich bin gleich wieder bei dir“, sagte er herrisch. Seine Tochter lächelte ihn an und wandte sich ab, dann ging sie zum anderen Ende des Raumes und schnappte sich dort wieder einmal ein Buch.
„Was gibt es?“, wollte Dragan jetzt wissen und trat an seinen Bruder heran. Dieser war aschfahl im Gesicht und beunruhigte ihn somit nur noch mehr.
„Jael“, murmelte Ace und sorgte bei Dragan für Verwirrung. Himmel, was hatte sie nun schon wieder für einen Ärger verursacht? Missmutig und ungeduldig sah er Ace an, doch dieser sah ihn einfach nur schockiert an.
„Sie... hatte einen Unfall“, sagte er dann leise und so langsam, dass Dragan erst glaubte er mache einen Scherz. Schnaubend verschränkte er die Arme.
„Was denn bitte für einen Unfall?“, brummte er.
„Dieser junge Drache, den sie gejagt hat“, fuhr Ace bedacht fort. „Offenbar hat sie ihn an eine Klippe herangetrieben aber... irgendwie hat sich das Blatt gewendet und... er hat Jael bedrängt, so sehr, dass sie...“
Langsam wurde der schwarze Drache ungeduldig. Er packte seinen Bruder an den Schultern und schüttelte diesen wild.
„Nun spuck es schon aus, verdammt noch mal“, befahl er, dann wurde Ace zusehends noch blasser. Sämtlicher Glanz verschwand aus dessen Augen.
„Er wollte sie nur einschüchtern und hat einen Schritt auf sie zugemacht aber...“ Er schluckte, dann senkte er den Blick. „Sie hat sich offenbar verschätzt und einen Schritt zurück gemacht und dabei ist sie über die Kante der Klippe getreten. Der junge Drache ist in Panik geraten und ist hinterher gestürzt aber... Es war zu spät. Ihr Körper... war vollkommen zertrümmert. Ich bin sofort hin um irgendetwas zu unternehmen, aber Dragan, es war zu spät. Sie hat es nicht überlebt.“
Die Zeit blieb stehen und nichts war mehr zu vernehmen, selbst Dragans eigener Herzschlag setzte für einen Moment aus. Er wollte es nicht glauben, er konnte es auch gar nicht. Seine geliebte Frau war eine Kopfgeldjägerin, die selbst einen Drachen getötet hatte, sie wäre niemals so leichtsinnig und verschätzen tat sie sich auch nicht! Ace musste sich einfach einen Scherz mit ihm erlauben. Doch Ace hatte seine Frau genauso gern gehabt wie auch Ivan und Amir, beim Anblick der feuchten Augen seines Bruders war ihm klar, dass es die Wahrheit war.
Jael war tot und würde nicht mehr zurück kommen.
Dragan bemerkte es nicht, doch Tränen traten ihm in die Augen und liefen über. Wie in Trance sah er zu seiner Tochter hinüber, die nun aufmerksam geworden war und ihren Vater eingehend betrachtete.
„Was ist los, Papa? Ist etwas passiert?“, fragte sie mit ihrer kindlichen Stimme.
Sie ließ das Buch in ihren Händen fallen und kam zu ihm, um mit den Händen den Bund seines Hemds zu ergreifen und mit großen Augen zu ihm aufzusehen. Der Mann hielt sich die Hand vor den Mund um ein Schluchzen zu unterdrücken, die andere Hand legte er auf Caths Scheitel. Wie, zur Hölle, sollte er ihr bitte erklären, dass sie ihre Mutter nie wieder zu Gesicht bekäme? Cath vergötterte Jael schließlich!
Dragan ging schließlich in die Hocke, doch noch bevor er etwas sagen konnte, wischte das Mädchen mit ihren winzigen Händen seine Tränen fort.
„Du hast noch nie geweint, Papa“, stellte sie leise fest.
Das ließ den Mann nur noch mehr schluchzen. Er konnte sein geliebtes Mädchen doch nicht alleine großziehen.
„Cath, Liebes“, begann er sanft und bemühte sich um ein beruhigendes Lächeln. „Süße, du musst jetzt tapfer sein, hörst du? Mama kommt nicht mehr zurück, sie hatte einen Unfall.“Noch nie hatte seine Stimme so brüchig geklungen und nie würde er vergessen, wie verständnislos Cath ihn angesehen hatte. Doch dann brach sie in Tränen aus und fing an zu schreien.
„Aber Mama kann uns nicht alleine lassen!“, schrie sie all ihren Schmerz hinaus. Mit gebrochenem Herzen drückte Dragan seine Tochter an sich.
„Shh, meine Kleine. Es wird alles wieder gut!“
Es war nicht alles wieder gut geworden. Dragan hatte sich stets bemüht ein guter Vater zu sein, doch die grausame Wahrheit war, dass er sich am liebsten selbst umgebracht hätte. Alles was ihn noch auf dieser Welt hielt, war seine Tochter. Solange sie noch ein Kind war, musste er sie beschützen. Dabei bemühte er sich Cath genau so zu erziehen, wie Jael es gewollt hatte. Ständig hatte sie ihm klar gemacht, dass sie die menschlichen Seiten an ihrer Tochter erhalten wollte.
Cath war durch und durch Drache, das Temperament hatte sie von ihrem Vater, doch die Wissbegier, Stärke und ihr großes Herz, hatte sie von ihrer Mutter.Heute, mit ihren fast zwanzig Jahren, sah sie seiner Frau immer ähnlicher und genau das, machte es für Dragan nur noch unerträglicher. Ein einziges Mal hatte dieses Kind ihm gesagt, er solle sich endlich neu verlieben, doch daraufhin war er so ausgeflippt, dass Cath endlich begriffen hatte, wie es wirklich um ihren Vater stand. Jael war tatsächlich die einzige Frau, die er lieben konnte. Ihr Wappen auf seiner Brust zeugte noch heute davon.
Als Dragan ins Hier und Jetzt zurückkehrte, saß er mit schmerzender Brust hinter seinem Schreibtisch. Diese Schmerzen würden niemals aufhören. Völlig egal, wie sehr er auch versuchte sie zu verdrängen. Ein Klopfen an der Tür des Raumes ließ ihn aufmerksam werden. Die Tür war geöffnet, wodurch er sah, dass es sich um seine Tochter handelte.
„Hatte ich dich nicht auf dein Zimmer geschickt?“, murmelte er, doch Cath ließ sich dadurch nicht beeindrucken.
„Dad, kann ich mit dir reden?“, fragte sie leise und trat auch schon ein. Seufzend winkte der Mann sie an sich heran.
„Komm mal her“, befahl er.
Cath zögerte zwar erst, gehorchte aber dann und ging um den Schreibtisch herum, um vor ihn zu treten. Sie wusste gar nicht wie ihr geschah, da legte ihr Vater ihr auch schon die Hand auf den Hinterkopf und küsste ihre Stirn.
„Du bist mein Ein und Alles, Cath, und ich liebe dich. Vergiss das niemals!“, hauchte er.
„Werde ich nicht“, murmelte die junge Frau und trat dann einen Schritt zurück. Leichtfüßig setzte sie sich auf Dragans Schreibtisch, so wie auch Jael es immer gemacht hatte.
„Ich weiß du willst das eigentlich nicht hören, aber kannst du mir etwas über Mom erzählen?“, bat sie leise. Dragans Miene verhärtete sich.
„Wir haben nie über deine Mutter gesprochen, Kind. Warum willst du auf einmal damit anfangen?“, knurrte er leise.
„Ich weiß, Dad. Aber sie fehlt mir“, gestand Cath.
Daraufhin wurden Dragans Züge wieder sanfter. Er ertrug es nicht über seine tote Frau zu sprechen, doch seinem Kind zuliebe hatte er wohl keine andere Wahl. Kurz schloss er die Augen.
„Deine Mutter war eine sehr beeindruckende Frau, Cath. Sie kam aus reichem Hause und hat gegen alles und jeden rebelliert, indem sie zur Kopfgeldjägerin wurde. Und sie hat ihren Job geliebt. Sie war sehr stur und aufbrausend aber unglaublich liebevoll. Jeder hatte Respekt vor ihr und nachdem ich sie zu meiner Frau gemacht habe, konnte sie nichts und niemand mehr aufhalten. Der Grund, warum es mir immer so schwerfällt darüber zu reden ist, weil du fast so aussiehst wie sie, Liebes“, erklärte er leise. Mit geschmälerten Augen beobachtete er, wie ihre sich weiteten.
„E-Es tut mir leid“, hauchte sie, irgendwie geschockt. Sie hatte wirklich nicht gewusst, dass sie so aussah wie ihre Mutter. Aber vielleicht erklärte das die komischen Blicke von Amir und Ivan immer.
„Es muss dir nicht leid tun, Kind“, sagte ihr Vater mit einem sanften Lächeln. „Ich habe alles an dieser Frau geliebt, selbst ihre Narben. Es ist kaum zu glauben, aber du hast sogar die gleiche Figur wie sie.“Cath blinzelte perplex und sah dann an sich hinunter. Mit ihrer ausladenden Oberweite und den breiten Hüften hatte sie sich immer recht dick gefühlt und wie ein Elefant im Porzellanladen.
Ihre schmale Taille hingegen bewies das Gegenteil. Ihrem Vater schien ein Gedanke gekommen zu sein, denn plötzlich erhob er sich.
„Komm mal mit“, verlangte er und verließ den Raum.
Neugierig folgte Cath ihm. Sein Blick eben hatte erkennen lassen, wie sehr er ihre Mutter noch immer liebte. Und nun verstand sie durchaus, warum ihn das alles so quälte. Wenn sie aussah wie sie, musste er jedes Mal seine Frau sehen wenn er in das Gesicht seiner Tochter blickte.
Auf der Stelle hatte sie Mitleid mit ihm. Und trotz all seiner Verbitterung, war er ein unglaublich toller Vater. Sie würde ihm unbedingt noch einmal dafür danken müssen.
Ihr Vater führte sie in sein Schlafzimmer, in dem sie ehrlich gesagt nur sehr selten gewesen war. Das ganze Ambiente hier drinnen erdrückte sie, so auch jetzt. In Sekundenbruchteilen hatte Dragan ein Feuer im Kamin entfacht, dann ging er zum Kleiderschrank. Verblüfft beobachtete Cath, wie er daraus eine verdammt knappe Lederrüstung zog. Er reichte sie ihr und bedeutete ihr dann, sie anzuziehen. Mit skeptischem Blick kehrte Cath ihm den Rücken zu, dann zog sie sich ihr schwarzes T-Shirt über den Kopf. Hinter sich konnte sie ihren Vater murmeln hören.
„Du kommst wirklich voll und ganz nach ihr. Du besitzt genauso wenig Schamgefühl wie sie.“Cath erwiderte nichts darauf. Sie vermisste ihre Mutter wirklich, auch wenn sie sich kaum an sie erinnerte. Aber ihr ganzes Leben lang schon, fehlte ihr eine weibliche Bezugsperson.
Es dauerte nur fünf Minuten, da hatte die junge Frau sich umgezogen. Und scheiße, das Leder schmiegte sich perfekt an ihre Haut. Als sie sich umdrehte, entglitten ihrem Vater für einen kurzen Augenblick die Gesichtszüge. Dann machte er eine Geste mit der Hand.
„Vor den Spiegel mit dir“, wies er sie an.
Als Cath dem nachkam, trat der Mann hinter sie und legte ihr die Hände auf die Schultern.
„Stell dir vor, du hättest feuerrotes Haar. Dann wärst du von ihr nicht mehr zu unterscheiden“, sagte er leise.
„Dad...“, erwiderte Cath leise, doch Dragan trat vor sie und unterbrach sie, indem er ihr die Hand ans Gesicht legte.
„Ich bin sehr stolz auf dich, Cath. Aus dir ist eine unglaublich hübsche und äußerst kluge Frau geworden. Deine Mutter wäre genauso stolz auf dich. Und es tut mir leid, dass du immer meine Launen ertragen musst“, sagte er leise. Und in der Tat konnte Cath den Stolz in seinen Augen ausmachen.
„Das macht nichts, Dad. Du bist ein toller Vater, keine Sorge“, erwiderte sie, dann trat sie zurück. „Darf ich sie behalten?“, fragte sie dann und deutete auf die Rüstung. Mit glasigem Blick wandte Dragan den Blick ab.
„Nein. Aber wir lassen dir eine eigene anfertigen, versprochen.“
Cath gab sich damit zufrieden, denn sie hatte Verständnis. Sicherlich würde ihr Vater dann erst recht an seine Gefährtin denken. Während sie sich umzog, kam ihr aber ein anderer Gedanke.
„Vater?“, hauchte sie. Aufmerksam sah Dragan sie an.
„Mutter war ein Mensch, richtig? Also wie zur Hölle ist es ihr gelungen, einen Drachen zu töten?“
Sie hatte diese Geschichte durchaus schon einmal gehört, doch sie war eine Erinnerung, bei der sie immer wieder nachfragen musste. Dragan lachte leise als er die Rüstung am Ende wieder an sich nahm. Sie war warm und erinnerte ihn einmal mehr daran wie großartig es gewesen war, als Jael die Rüstung immer abgelegt und dann zu ihm ins Bett gekommen war.
„Sie hat ihn erschossen. Ohne zu zögern und eiskalt.“
Nachdenklich saß der Mann auf dem Sofa und starrte in die offenen Flammen. Nur am Rande hörte er, wie seine Tochter am Tisch in der Ecke saß und in einem Buch blätterte.
Sie laß ständig, allem voran das Handbuch der Drachen. Die heilige Drachenschrift verwehrte er ihr. So weit war sie noch nicht. Doch als er ihr das damals gesagt hatte, war der Protest deutlich in ihren Augen zu erkennen gewesen. Keine Frage, es würde der Tag kommen, an dem sie erneut danach verlangen würde. Und Dragan konnte sie nicht ewig davon abhalten, dessen war er sich bewusst.
Was ihn selbst betraf, so war er kaum noch aktiv. Er hatte sich komplett aus der Öffentlichkeit zurückgezogen und überließ es den anderen seiner Art, um neue Herrschaftsgebiete oder anderweitige Macht zu kämpfen. Er bewachte von nun an nur noch die heilige Drachenschrift und achtete darauf, dass seine Tochter keinen Unsinn anstellte. Das war's. Selbst Menschen hatte er schon seit Jahren keine mehr unter Vertrag genommen.
Sein zurückgezogenes Dasein hatte viele Drachen auflachen lassen. Für sie war das Geschehene der ultimative Beweis dafür, dass sie Recht gehabt hatten. Sich auf einen Menschen einzulassen war und blieb einfach ein riesengroßer Fehler. Doch trotz der Häme waren genauso viele Drachen auch besorgt. Dragan nicht mehr zu Gesicht zu bekommen, ließ sie das Schlimmste befürchten und so kursierte des öfteren das Gerücht, er habe sich ebenfalls von einer Klippe gestürzt.
Cath hatte dies einige Male mitbekommen und wollte sofort aufbrechen, um diese Männer und Frauen zur Rede zu stellen, doch am Ende war es ihr Onkel gewesen, der sie davon abgehalten hatte.
Dragan war sein Leben lang selbst für seinen Ruf veranwortlich gewesen, wenn dies nun seine Tochter in die Hand nehmen würde, wäre das Gelächter nur noch größer und der Schaden erst recht nicht mehr zu minimieren. Seitdem bemühte Cath sich, ihren Vater wenigstens ab und zu vor die Tür zu bekommen. Sie verlangte oft mehr von der Welt zu sehen und wusste ganz genau, dass ihr Vater sie nicht alleine ziehen lassen würde. Also war er dazu gezwungen, sie an die Orte hinzubringen die sie sehen wollte. Madagaskar hatte sie dabei ganz besonders beeindruckt.
Ihre dutzenden Notizbücher waren mittlerweile voll von Skizzen und Infos, die sie selbst zusammengetragen hatte. Dragan war stolz, keine Frage, Spaß empfand er bei ihren Ausflügen allerdings nicht. Selbst dabei fehlte ihm seine Frau. Viel zu selten hatten die beiden zusammen die Welt bereist, meistens waren sie immer alleine unterwegs gewesen.
Dragan schloss die Augen und konzentrierte sich nun auf die Schritte, die in der Ferne zu vernehmen waren. Sie waren schnell und ungleichmäßig und scheinbar handelte es sich nicht nur um eine Person. Die Schritte wurden lauter und auch Stimmengemurmel war zu vernehmen, doch egal wie sehr Dragan sich anstrengte es zu verstehen, es wurde viel zu schnell gesprochen um einzelne Worte verstehen zu können. Erst als die Personen vor dem Raum angekommen waren und scheinbar vor der Tür standen, waren einzelne Satzfetzen zu verstehen.
„Sie haben hier...“, hörte Dragan heraus, doch da wurde die schwere und hölzerne Tür des Raumes auch schon aufgerissen. Der schwarze Drache sah zur Seite und versteinerte, als er die zwei altbekannten Gesichter erkannt hatte. Die Zeit hatte auch an ihnen ihre Spuren hinterlassen und so sah Dragan in zwei faltenreiche Gesichter, die von grauen Haaren umrahmt waren. Sofort war er aufgesprungen.
„Was habt ihr hier zu suchen?“, krächzte er, kurz davor die Beherrschung zu verlieren. Bellatrix stürmte auf ihn zu und packte ihn am Kragen, um ihn wie wild zu schütteln.
„Was, zum Teufel, hast du mit unserer Tochter gemacht, du Monster!“, schrie sie mit Tränen in den Augen.
Dragan erbleichte und hielt kurz still. Niemals hätte er erwartet, dass diese Frau so reagieren könnte und ihm auch noch so nahe kam. Blitzschnell stieß er die kleine Frau von sich.
„Ich habe überhaupt nichts gemacht“, hauchte Dragan noch immer erzürnt und sah nun abwechselnd von Bellatrix zu Vincenc und wieder zurück. „Und was fällt euch überhaupt ein, hier einfach so aufzutauchen? Ich dachte ich hätte euch damals klar gemacht, dass wir euch nie wiedersehen wollen?“, knurrte er dann leise.
Nun trat der Mann ihm gegenüber einen Schritt nach vorne und es wunderte ihn kein Stück, dass auch er ihn anbrüllte.
„Dachtest du wirklich wir bleiben still sitzen, wenn wir erfahren, dass unsere Tochter tot ist?“
Nun reichte es Dragan, mit einem Schlag kehrte all die Farbe in sein Gesicht zurück und es war eine Menge rot dabei.
„Sie ist schon seit dreizehn Jahren tot, verdammt!“, schrie er seinen Frust hinaus. „Sie ist von einer Klippe gestürzt.“
Ehrlich gesagt kotzte es ihn an, dass ihre Eltern es nun erst geschafft hatten daran teilzunehmen. Doch ihre fassungslosen Gesichter machten auf der Stelle klar, dass sie es vor kurzem erst erfahren haben mussten. Bellatrix hielt sich die Hand vor den Mund, um bloß kein Schluchzen hören zu lassen.
„Dreizehn Jahre“, wisperte sie. Sie konnte es genauso wenig begreifen, wie Dragan auch heute noch.
„Was ist denn hier los?“, brummte hinter ihnen nun eine junge Frauenstimme, die das Ehepaar Nova herumwirbeln ließ. Cath hatte sich aus solch lautstarken Konversationen nie etwas gemacht, denn sie war es mittlerweile gewöhnt. Beim Thema war sie allerdings stutzig und aufmerksam geworden. Wer waren diese Leute, die ihr Vater offenbar so sehr hasste?
Als Bellatrix und Vincenc die Frau sahen, entglitten ihnen erneut ihre Gesichtszüge.
„Jael“, flüsterte Vincenc und Cath hob sofort abwehrend die Hände.
„Verzeihung, aber Sie verwechseln mich mit meiner Mutter“, klärte sie auf, als Bellatrix schon auf sie zukam. Als die Blicke der beiden Menschen Dragan trafen, hätte er am liebsten die Flucht ergriffen. Wie gerne hätte er seine Tochter nun fortgeschickt, sie sollte nicht in die Nähe dieser beiden kommen, doch er wusste es war zwecklos. Er konnte ihr das nicht vorenthalten. Auch, wenn er es liebend gerne täte. Mit einem bedeutsamen Blick bedeutete er Cath an seine Seite zu treten, was sie auch sofort verstand und tat. An seiner Seite ankommend, legte ihr Vater eine Hand an ihre Schulter. Sofort spürte sie die Anspannung, die seine Muskeln beherrschte.
Was zur Hölle war hier eigentlich los?
„Das ist Cath, Jaels und meine Tochter“, stellte er sein Kind vor, ohne noch weiter mit der Wimper zu zucken. Dass Vincenc wieder lospolterte, verblüffte Dragan keineswegs. Als er also näher kam, schob er seine Tochter hinter sich.
„Erst hältst du uns den Tod unserer Tochter vor und dann auch noch unser Enkelkind? Was fällt dir eigentlich ein?“, schnauzte er.
Nun erst fiel Dragans Blick auf Cemal, der noch immer entschuldigend am Rande stand und ihn wartend ansah. Er wusste genau, was sein Untergebener wissen wollte.
„Cemal, begleite unsere Gäste hinaus. Da sie ihre Enkelin ja nun kennengelernt haben, gibt es keinen Grund ihre Anwesenheit weiter zu erdulden“, befahl er.
Cemal verneigte sich leicht und versuchte dann, die Eheleute aus dem Raum zu schaffen. Erstaunlicherweise gelang es ihm, allerdings nicht, ohne dabei von lautstarken Flüchen und Protesten begleitet zu werden. Dragan und Cath blieben zurück.
Um ehrlich zu sein war sie fassunslos und genau so sah sie ihn nun auch an.
„Warum hast du mir meine Großeltern verschwiegen?“, fauchte Cath.
Sie war verdammt wütend auf ihren Vater. Er konnte ihr doch nicht einfach einen Teil ihrer Familie vorenthalten. Erst recht nicht die Eltern ihrer Mutter.
Dragans Gestalt wurde ihr gegenüber nicht sanfter, so wie es sonst immer der Fall war, ganz im Gegenteil. Er baute sich in solch beängstigender Gestalt vor ihr auf, dass sie sich für einen Moment fragte wer denn je so lebensmüde wäre, solch einen Mann zu lieben? Wer wäre mutig genug dazu? Ihre Mutter war es...
Sie würde sich ein Beispiel an dieser Frau nehmen. Wenn sie mit Dragan umgehen konnte, dann konnte ihre Tochter das erst recht.
„Diese Menschen haben Jaels Leben zur Hölle gemacht, Cath!“, brüllte ihr Vater. „Sie haben sie misshandelt und haben ihre Tochter nie Kind sein lassen. Deine Mutter hat selbst noch als erwachsene Frau unter ihren Eltern gelitten und ich werde nicht zulassen, dass sie sich nun an dir vergreifen. Du wirst diese Menschen nie wieder sehen und auch keinen Kontakt zu ihnen aufbauen, nur damit das klar ist!“
Cath zog ein Stück die Schultern ein und senkte den Blick.
„Jawohl, Vater“, hauchte sie und beobachtete, wie der Mann knurrend aus dem Saal rauschte. Nachdenklich und eine Spur entschlossen sah seine Tochter ihm nach. Sie würde nicht auf ihn hören. Nicht dieses Mal.
Mit energischen Schritten stapfte auch sie aus dem Raum, um sich auf den Weg in ihr Zimmer zu machen. Dort angekommen hielt sie unwillkürlich erst einmal inne. Mit einem Schlag war ihr klar geworden, wie gut sie es in ihrem Leben eigentlich hatte. Sie war wohlbehütet aufgewachsen und wurde sich dessen jetzt erst bewusst.
Ihr großes Zimmer mit den dunkelroten Wänden mochte auf den ersten Blick sehr düster erscheinen, doch dies täuschte. Ein Kronleuchter vollständig aus Kristall hing von der Decke und verstreute das Licht wie ein Kaleidoskop. Unzählige Bilder und Fotos von Wasserfällen auf der ganzen Welt hingen an den Wänden, selbst ihr riesiger Kleiderschrank war voll von Skizzen und Zeichnungen. Allerdings zeigten diese Abbildungen Artefakte und Schätze, von denen man nicht einmal wusste ob diese überhaupt noch existierten, geschweige denn auch zu finden waren.
Caths Blick wanderte weiter und fand ihren Schreibtisch, auf dem das pure Chaos herrschte. Aufgeschlagene Bücher, alte Schriften und Pergamente, Dinge von Menschen erschaffen, hinter deren Geheimnisse selbst heute noch keiner gekommen war.
Ihr Blick fand ihre Bücherwand. Sie wusste nicht wie viele Bücher sie besaß und sie wusste auch nicht, wie es ihrem Vater gelungen war ihr diese auszuhändigen, denn diese Bücher und Schriften waren so alt, dass sie eigentlich in ein Museum gehörten. Als Cath sich in Bewegung setzte, ging sie an ihrem schmalen Wandregal vorbei. Auf diesem standen unzählige Flakons von hochwertigen und wertvollen Parfüms, die sie von überall auf der Welt sammelte.
Ihr Vater hasste es. Jedes Mal verzog er knurrend das Gesicht, wenn ihm einer dieser Düfte in die Nase stieg. Cath hingegen liebte es diese verschiedenen Düfte zu entschlüsseln und herauszufinden, aus welchen Bestandteilen sie denn bestanden. Sie gab nicht viel auf ihr Aussehen, band sich die Haare fast jeden Tag zu einem Pferdeschwanz zusammen und trug fast ausschließlich schwarze Klamotten. Was das anging, ließ ihr Vater ihr freie Wahl. Schon als kleines Kind hatte sie sich ihre Sachen selbst aussuchen dürfen.
Ein Lächeln stahl sich auf ihre Lippen. Ja, sie hatte es wirklich gut. Doch irgendwann musste sie auch mal ein Risiko eingehen und dieser Zeitpunkt war nun da.
Entschlossen riss sie die Kleiderschranktüren auf, dann zog sie einen Rucksack aus Leder heraus. In diesen stopfte sie wahllos ein paar T-Shirts hinein und zwei Hosen, dann machte sie kehrt und lief ins Bad, wo sie sich Zahnbürste, Haarbürste und Haargummis schnappte und auch diese im Rucksack verschwinden ließ. Als sie sich dann ihre lederne Bikerjacke überzog und schon zur Tür hinaus wollte, hielt sie jedoch noch einmal inne.
„Unterwäsche“, murmelte sie und drehte sich noch einmal um. Kopfschüttelnd packte sie auch diese ein, worauf der Rucksack schon fast nicht mehr zuging.
„Das nächste Mal plane ich so etwas besser, ehe ich Hals über Kopf los stürze."
Binnen fünf Minuten stand sie dann vor dem Anwesen, doch natürlich konnte sie nicht einfach so aufbrechen. Nicht, ohne dass ihr Vater Wind davon bekam.
„Was hast du nun schon wieder vor?“, ertönte ein Knurren hinter ihr. Cath biss die Zähne zusammen und drehte sich mit unschuldigem Blick zu Dragan um.
„Ich wollte zu Ivan und Amir. Die Luft hier ist mir zu dick“, erwiderte sie frech. Offenbar glaubte der Mann nicht daran, dass sie ihn wirklich anlügen würde, dennoch verengten sich seine Augen.
„Und seit wann verabschieden wir uns da nicht mehr?“, brummte er. Ohne seinem Blick auszuweichen und fast schon trotzig, sah Cath ihren Vater an.
„Du bist so mies drauf, da gehe ich dir lieber aus dem Weg“, sagte sie ausdruckslos.
Schnaubend wandte Dragan sich ab.
„Melde dich einfach“, grummelte er, worauf die junge Frau die Brauen hochzog. Himmel, er musste wirklich schlechte Laune haben, wenn er einfach so kehrt machte und ging. Doch sollte ihr recht sein. Umso weniger Probleme würde sie bekommen. Ohne noch weiter darüber nachzudenken machte Cath ebenfalls kehrt und verwandelte sich.
Als Ivan den schlanken und grauen Drachen am Himmel entdeckte, blieb er stehen. Cath hatte noch nie ohne Ankündigung in Seattle vorbeigeschaut, war etwas passiert?
Als auch die Menschen Cath entdeckt hatten sahen sie zwar kurz dabei zu, wie sie durch die engen Straßen navigierte, dann gingen sie aber wieder ihrem Alltag nach. Dragans Familie war in den Metropolen bereits ziemlich bekannt, es störte sich also kein Mensch mehr an einem Drachen, der mal zufällig in der Stadt war.
Als die Drachenfrau gelandet war und sich vor Ivan verwandelt hatte, hielt sie kurz inne. Dieser Mann sah, zusammen mit seinem Bruder, jedes Mal anders aus wenn sie hier war. Der muskelbepackte Mann mit nur einem Arm hatte bereits ergrauendes Haar und dieses Mal noch dunklere und tiefere Ringe unter den Augen. Statt einer Rüstung trug er heute nur Shirt und Jeans, was ein ungewohnter Anblick für Cath war.
„Hallo, Ivan“, grüßte sie mit einem strahlenden Lächeln und zog den Kopfgeldjäger in eine Umarmung. Statt ebenfalls zu grüßen, zog Ivan die Brauen hoch.
„Kleines, was machst du hier?“, fragte er irritiert.
Seufzend trat Cath zurück. Dieser Mann wurde zusammen mit Amir seinem Vater immer ähnlicher und strenger. Auf einmal überkamen sie deshalb Zweifel an ihrem Vorhaben. Die Augen verdrehend strich sie sich eine Strähne ihrer schwarzen hüftlangen Haare zurück.
„Ich brauch 'ne Pause von meinem Vater. Und habe ein mehr oder weniger großes Anliegen. Kannst du, wenn er sich hier meldet, sagen, dass alles in Ordnung ist und ich brav bin?“
Ivan bedeutete ihr das Gebäude der Organisation zu betreten und setzte erst im Inneren zu einer Antwort an.
„Das kommt darauf an. Was hast du vor?“
Cath wog für ein paar Sekunden die Situation ab. Sollte sie ihrem Freund die Wahrheit sagen oder die Situation verharmlosen und gar schön reden? Mit ernstem Gesicht und erhobenem Kinn antwortete sie darauf.
„Meine Großeltern waren vor ein paar Stunden bei uns. Ich will wissen, wer diese Leute sind. Dad hat mir den Kontakt verboten, aber das ist die Chance mehr über Mom zu erfahren.“
Ivan schwieg erst. Caths Entschlossenheit zeugte von ihrer Herkunft und er war im ersten Augenblick stolz zu sehen, was aus Jaels kleinem Mädchen geworden war, allerdings...
„Wenn das so ist, muss ich deinem Vater Recht geben. Bellatrix und Vincenc sind der Abschaum unserer Gesellschaft. Ich und mein Bruder wussten damals nicht auch nur im Ansatz, was deine Mutter bereits alles durchgemacht hat, als sie zu uns kam. Erst nach weit mehr über zehn Jahren haben wir einen Teil davon erfahren. Und überhaupt, haben dein Vater und wir dir nicht schon genug über deine Mutter erzählt?“
Cath war enttäuscht. Sie hätte nicht mit solch einer Reaktion von ihm gerechnet, war er doch sonst immer so locker. Mit einem leisen Fauchen wandte sie den Blick von Ivan ab.
„Ich weiß, dass ich ihr aus dem Gesicht geschnitten bin, sie eine starke Kopfgeldjägerin war und scheinbar eine hartes Leben hatte. Das ist dann aber auch schon alles“, regte sie sich auf.
Seufzend bedeutete der Mann ihr, ihm zu folgen. Sie war zwar schon neunzehn Jahre alt, aber noch lange nicht erwachsen. Ein Wunder, dass sie noch nie in Gefahr geraten war. Das hatte man wohl Dragan zu verdanken.
„Ich gebe dir Deckung und werde dich nicht verpfeifen, sollte dein Vater sich melden. Aber solltest du durch deine Großeltern in Schwierigkeiten geraten, brauchst du von mir keine Hilfe erwarten, hast du verstanden?“, murmelte er leise, was dadurch nicht weniger bedrohlich klang.
„Danke“, antwortete Cath, wenn auch nur halbherzig.
Sie fragte sich wo Ivan sie hinführte, bis sie vor einer gesicherten Tür im sechsundachtzigsten Stock standen. Noch bevor Ivan klopfen konnte, öffnete die Tür sich und der Mann verschwand wieder im Gang. Cath sah ihm verdutzt nach. Er ließ sie einfach so alleine? Kopfschüttelnd trat sie in das Büro, wo Dubois hinter seinem Schreibtisch aufsah. Für einen Moment weiteten sich die Augen des hager gewordenen Mannes.
„Cath?“, hauchte er. Er hatte das Drachenmädchen nun schon seit gut fünf Jahren nicht mehr gesehen, aufgrund seiner ganzen Arbeit, und als er sie das letzte Mal gesehen hatte, war sie noch nicht einmal in der Pubertät gewesen. Cath nickte mit einem schwachen Lächeln auf den Zügen, worauf der Mann sich erhob und seinen Tisch umrundete.
„Kind, was siehst du deiner Mutter ähnlich“, fuhr er fort und begutachtete sie von oben bis unten. So langsam konnte sie es nicht mehr hören.
„Ich weiß“, antwortete sie leise. Das ist dann aber auch schon alles, was ich weiß., fügte sie genervt in Gedanken an.
Dubois sah kränklich aus und so ganz anders, als Cath ihn in Erinnerung hatte. Wie wichtig war Zeit auf dieser Welt eigentlich? Der Mann gab ihr ein Zeichen, dass sie Platz nehmen sollte, was sie auch tat.
„Wie kann ich dir helfen?“, wollte Dubois wissen, nachdem auch er Platz genommen hatte. Cath setzte ein ernstes Gesicht auf und ermahnte sich, sich bloß nicht wie ein Kind aufzuführen. Dubois würde sonst ebenfalls nur Verbote aussprechen.
„Ich bin hier, weil ich mehr über meine Mutter herausfinden will. Ich hatte gehofft Sie könnten mir sagen, wo ich meine Großeltern finde?“
Dubois zog die Brauen hoch. Wie, zur Hölle, kam dieses Kind auf Bellatrix und Vincenc? Dragan würde sie niemals miteinander bekannt machen, eher fror die Hölle zu. Seine Miene verhärtete sich, als er sich zurücklehnte.
„Erst einmal kannst du mich ruhig duzen, Liebes. Und nein, ich kann dir nicht sagen wo du deine Großeltern findest. Das Anwesen in dem sie früher gelebt haben steht leer, weil sie pleite gegangen sind. Ich kann dir zwar die Anschrift geben, dass war es dann aber auch schon. Und ein gut gemeinter Rat von mir, halt dich von ihnen fern. Was deine Mutter angeht, da kann ich dir vielleicht wirklich helfen.“
Neugierig beobachtete Cath, wie der Mann sich umdrehte und nach einem silbernen Aktenschrank griff. Er zog einer dessen Schubladen auf und zog eine dicke Mappe heraus, die er ihr dann auf den Tisch knallte. Das Foto, welches auf der Vorderseite der Mappe mit einer Büroklammer fixiert worden war, machte Cath einen Augenblick stutzig. Sie wusste zwar wie ihre Mutter ausgesehen hatte, ein Foto hatte sie aber nie zu Gesicht bekommen. Bis jetzt.
Zögernd griff sie nach der Mappe. Das war die atemberaubendste Frau, die sie je gesehen hatte. War das wirklich Jael Nova? Ihre üppigen Locken waren in der Tat feuerrot und ihre Haut war fast schneeweiß. Ihre katzenhaften grünen Augen stachen in ihrem Gesicht ebenso hervor, wie ihr Schmollmund. Ihre Figur kam Cath tatsächlich bekannt vor, doch es gab Unterschiede. Deutlich sah man die Muskeln unter der blassen Haut dieser Frau lauern und alles an ihr wirkte so unglaublich elegant und filligran.
„Darf ich es behalten?“, hörte Cath sich selbst flüstern. Dubois schmunzelte. Sah ganz so aus, als wäre sie beeindruckt.
„Natürlich“, erwiderte er.
Cath starrte weiterhin auf das Foto. Ihre Mutter trug auf dem Bild die gleiche Rüstung, die sie selbst noch anprobiert hatte. Und an ihrer Mutter sah sie tausend mal besser aus. Wie eine zweite Haut schmiegte sie sich an die Kurven ihrer Mutter und machte aus ihr eine Kriegerin, die aus einem Film hätte stammen können. Überall an ihrem Körper waren Waffen befestigt. Messer, Dolche, Schwerter, Pistolen. Und verdammt, Cath konnte verstehen warum ihr Vater sie so toll gefunden haben musste. Sie schien einfach pefekt zu ihm zu passen.
„Nimm ruhig die ganze Akte. In ihr findest du auch die Adresse ihres Elternhauses“, hörte sie nun Dubois sagen.
Sie nahm es kaum wahr, doch sie bedankte sich mehrmals bei dem Kopf der Organisation und hetzte dann aus dem Büro. Sie wusste nicht wo sie hin sollte, wusste nur, dass sie in Ruhe diese Akte durchgehen wollte. Nach einer Viertelstunde fand sie sich in einem Café wieder, in dem kaum etwas los war und sie definitiv ihre Ruhe hatte. Man beachtete sie fast gar nicht, auch nicht, als sie in der hintersten Ecke des Lokals verschwand und dann in der Mappe in ihrer Hand versank.
Jael Nova, geboren in Seattle
Erste und einzige Tochter des Nova-Unternehmens
Blutgruppe 0 negativ
1,67m groß, von natur blond und grünäugig
Der Oranisation beigetreten mit fünfzehn, zum damaligen Zeitpunkt gefühlskalt und
keinerlei Erfahrung im Umgang mit sozialen Kontakten
Verliert schnell die Beherrschung, besitzt aber eine brilliante Auffassungsgabe
Ausgebildet und spezialisiert auf den Nahkampf mit Waffen aller Art
Schmerzresistent bis zur Ohnmachtsgrenze
Geschätztes Vermögen: Circa zwei Millionen US Dollar
Mit über zweihundert erfolgreich ausgeführten Aufträgen Stufe fünf in der Organisation
Bereits diese Datenmenge musste Cath erst einmal verarbeiten. Alle schwärmten immer so von ihrer Mutter, dabei machte es den Anschein, als wäre sie damals alles andere als umgänglich gewesen.
Waren ihre Großeltern also möglicherweise einfach nur mit ihrer Tochter überfordert gewesen?Die Drachenfrau überflog die Zeilen erneut. Sie war beeindruckt als sie erneut las, dass ihre Mutter beim Eintritt in die Organisation erst fünfzehn Jahre alt gewesen war. Wie konnte ein junges Mädchen in dem Alter denn schon töten?Cath erschauerte als sie begann, sich mit ihrer Mutter zu vergleichen. Ihr Vater hatte sie schon in jungen Jahren das Kämpfen gelehrt und egal wie tollpatschig sie sich am Anfang dabei auch angestellt hatte, mittlerweile war sie verdammt gut. Ehrlich gesagt hielt sie von körperlichen Auseinandersetzungen aber nicht viel. Ihre Mutter mochte eine ausgezeichnete Jägerin gewesen sein und ihr Vater ein grausamer Herrscher, sie selbst hatte von dieser Natur aber nichts abbekommen. Sie setzte da lieber auf ihren Verstand.
Kurz fragte sie sich, ob ihr Vater Recht hatte und ihre Mutter wirklich stolz auf sie gewesen wäre. Immerhin hatte sie im Gegensatz zu ihrer Mutter noch nicht sonderlich viel erreicht in ihren jungen Jahren.
Kopfschüttelnd ging Cath die Akte weiter durch. Ob ihre Mutter stolz war oder nicht spielte keine Rolle, sie war tot...
Die junge Frau hielt geschockt inne als sie sah, dass sämtliche Verletzungen die diese Frau in ihrer Laufbahn davongetragen hatte, dokumentiert worden waren. Dutzende Fotos von Schussverletzungen fielen ihr in den Schoß, ebenso wie Fleisch- und Stichwunden und zerfetzte Haut- und Gewebeschichten. Auf der Rückseite der Fotos waren Datum und Geschehen notiert, ebenso wie ein Satz, der überall zu lesen war.
„Gab während der Behandlung keinen Ton von sich.“Cath zog die Brauen hoch. Diese Wunden sahen alle so scheußlich ekelerregend aus, es war unmöglich, dass eine zierliche Menschenfrau da keinen Schmerzenslaut von sich gab.
„War sie wirklich ein Mensch?“, murmelte sie.
Eine halbe Stunde später klappte Cath die Mappe erschöpft zu. Es machte den Eindruck, als wäre diese Frau nur ein Forschungsobjekt gewesen. Dinge über ihre Menschlichkeit oder Persönlichkeit waren in diesem Dokument nicht zu finden. Die ehemalige Anschrift ihrer Großeltern allerdings schon, also stopfte sie auch die Mappe entschlossen in ihren Rucksack und verließ das Café, ohne etwas gegessen oder getrunken zu haben. Die Adresse stammte aus einem Viertel, in dem die wirklich ganz, ganz reichen wohnten. Also wie kam es, dass Cath noch nie etwas von diesem Nova-Unternehmen gehört hatte? Sie dachte einen Augenblick darüber nach, bis ihr wieder einfiel was Dubois vorhin zu ihr gesagt hatte. Offenbar waren ihre Großeltern pleite gegangen. Aber das Vermögen ihrer Mutter hatte sich noch auf gut zwei Millionen Dollar belaufen, also wie war das möglich?
Cath machte sich zu Fuß auf den Weg ins Reichenviertel der Stadt, das würde weniger Aufsehen erregen. Allerdings war sie den gut eine Stunde dauernden Fußmarsch nicht gewöhnt und so merkte sie erneut, wie verwöhnt sie eigentlich war. Auf dem Weg durch die Stadt lief sie plötzlich Amir in die Arme. Himmel, waren denn alle Kopfgeldjäger heute in Zivil unterwegs?
„Cath, welch Überraschung“, begrüßte der Mann sie, jedoch weitaus freudiger als sein Bruder vor wenigen Stunden. „Was machst du hier?“, wollte der Blinde wissen.
Erneut fragte Cath sich, warum dieser Mann so gezeichnet war. Nie hatte man ihr etwas darüber erzählen wollen, wieso nur?
„Ich bin auf den Spuren meiner Mutter. Mir ist vorhin etwas gegeben worden und es hat mich sehr beeindruckt“, gestand sie leise.
Amir neigte den Kopf und Cath wusste sofort, was diese Geste zu bedeuten hate.
„Ein Foto“, erklärte sie also, worauf sich etwas in Amirs Gesicht tat. Ein Ausdruck nahe der Bestürzung war zu erkennen als er anfing nach seiner Geldbörse zu kramen. Gespannt darauf was er vorhatte, verfolgte Cath seine Bewegungen mit Reptilaugen. Nach einigen Minuten drückte er ihr ebenfalls drei Fotos in die Hand.
„Dragan und Ivan konnten es nicht ertragen diese Bilder zu sehen, ich habe sie also aufbewahrt, auch wenn ich sie selbst nicht sehen kann“, erklärte er traurig.
Cath stockte der Atem. Auf dem ersten Foto war ihre Mutter mit einem fast wehmütigen Lächeln zu sehen. Sie trug ein atemberaubendes Kleid, welches sie wie eine Königin aussehen ließ. An ihrer Seite standen Amir und Ivan und auch noch zwei weitere Männer, die den erst genannten ziemlich ähnlich sahen.
„Wer sind diese beiden anderen Männer?“, wollte sie vorsichtig wissen. Daraufhin trübte sich Amirs Stimmung nur noch mehr.
„Das sind Gero und Enver, unsere Brüder. Aufgrund eines tragischen Vorfalls, sind die beiden um's Leben gekommen. Das war, lange bevor auch deine Mutter verstorben ist“, erklärte er, ebenso leise wie sie gefragt hatte. Cath senkte den Blick.
„Das tut mir leid, ich wollte keine alten Wunden aufreißen.“
Während Amir schwieg, betrachtete Cath auch die anderen beiden Fotos. Das zweite zeigte ihre Mutter mit eiskaltem Blick, die immer noch mit demselben Kleid eine Treppe hinunterstieg. Ihre Tochter hätte gut verstanden wenn in dem Moment alle Angst vor ihr gehabt hatten. Denn sie sah wirklich furchteinflößend aus, trotz des atemberaubenden Looks.
Das letzte Foto zeigte ihre Eltern zusammen, wie sie eng umschlungen tanzten und scheiße, so glücklich hatte Cath ihren Vater im ganzen Leben noch nicht gesehen. Dann dämmerte es ihr.
„Das war ihr Bündnis, nicht wahr?“, flüsterte sie.
Ihr Vater hatte ihr vor einigen Jahren mal das ganze Ritual erklärt, sein Wappen auf seiner Brust hatte er ihr jedoch nie zeigen wollen. Amir nickte nun.
„Ja. Deine Mutter hatte wahnsinnige Angst davor sich an diesen Mann zu binden, aber sie war nie glücklicher in ihrem Leben.“
Cath atmete langsam ein und aus, sie konnte gar nicht in Worte fassen, was ihr gerade alles durch den Kopf ging.
„Meine Mutter hatte Angst?“, hakte sie dann nach.
Nach allem was Cath gehört und gelesen hatte, war Angst das Letzte, woran sie gedacht hätte wenn es um diese Frau ging. Lächelnd erkundigte Amir sich, in welche Richtung Cath musste, weshalb er am Ende mit ihr ging und dabei einen Teil der Vergangenheit offenlegte.
„Deine Mutter hat es immer abgestritten, aber die Gefühle deinem Vater gegenüber waren schon früh da. Der Gedanke sich für den Rest ihres Lebens an einen Mann und noch dazu an einen Drachen zu binden, hat ihr tatsächlich eine scheiß Angst eingejagt. Sie hatte nie vor sich auf deinen Vater einzulassen, aber er hat nicht locker gelassen.“
Zu hören, dass ihre Mutter durchaus Angst gefühlt hatte, beruhigte Cath im Nachhinein denn das ließ sie weitaus menschlicher erscheinen. Plötzlich hörte sie Amir neben sich fluchen.
„Verdammt, schon so spät. Ich muss los, Cath, wir sehen uns, ja?“
Amir war so schnell, dass die junge Frau nichts mehr darauf erwidern konnte, sondern lediglich still zum Abschied winkte. Dabei vergaß sie völlig, dass er es ja nicht einmal sehen konnte. Woher wusste er dann eigentlich, wie spät es war?
Nicht weiter darüber nachdenkend ging Cath weiter. Sie konnte einfach nicht aufhören, die Bilder in ihrer Hand anzustarren.
„Ich fass es einfach nicht. Unsere Tochter hat die Brut eines Drachen ausgetragen. Schon schlimm genug, dass sie dieses Monster geheiratet hat, nein, dann bringt sie auch noch eine dieser Bestien zur Welt.“
Bellatrix war völlig außer sich. Und Cath nun auch, denn sie konnte nicht glauben was sie da hörte. Sollte ihr Vater wirklich Recht behalten haben? Waren diese Menschen wirklich so grauenhaft?
Ein kleiner verborgener Teil, nämlich das kleine unschuldige Mädchen, hoffte, dass ihr Opa sie vielleicht in Schutz nehmen würde. Doch so war es nicht. Stattdessen sagte Vincenc etwas gänzlich anderes.
„Beruhige dich doch, Liebes. Warten wir doch erst einmal ab, vielleicht kann uns unsere Enkelin ja ganz behilflich sein?“
Cath zog die schmalen Brauen hoch. Sein Tonfall gefiel ihr gar nicht. Die Drachenfrau wusste noch immer nicht, was sie von dieser Situation halten sollte. Vor dem pompösen Anwesen der Familie Nova angekommen hatte sie tatsächlich feststellen müssen, dass es leer stand. Doch sie hatte Glück im Unglück gehabt. Ein Nachbar, der sie bemerkt hatte, sprach sie an und gab ihr schon nach wenigen Minuten die neue Adresse. Seit gut zehn Minuten befand sie sich nun am anderen Ende der Stadt, im wohl heruntergekommensten Wohnviertel, welches die Stadt Seattle zu bieten hatte. Das Haus in dem sie sich befand war so zerfallen, dass nur eine Familie hier lebte. Und zwar Familie Nova. Die Türen in diesem Haus schlossen nicht richtig, dies zusammen mit ihrem Gehör machte es Cath einfach.
„Du glaubst doch nicht etwa wirklich, dass dieser Mann uns noch einmal in ihre Nähe kommen lassen wird“, kam es nun von Bellatrix zurück, doch Vincenc blieb keine Gelegenheit mehr um darauf zu antworten. Mit einem lauten Räuspern trat Cath hinter der Steinwand, hinter der sie gelauscht hatte, hervor. Als die beiden sie entdeckt hatten, zeigten sie nicht den Ansatz einer Regung. Cath hatte eigentlich damit gerechnet, dass sie zumindest blass werden würden, doch alles was sie taten war sie anzustarren.
„Es tut mir leid, dass mein Vater so die Beherrschung verloren hat. Aber er kommt bis heute nicht mit dem Tod meiner Mutter klar“, versuchte Cath mit einem gezwungenen Lächeln das Eis zu brechen. Vincenc war es, der darauf antwortete und seine Antwort fiel anders aus, als gedacht.
Die Falten auf seiner Stirn wurden noch tiefer als er sie runzelte.
„Das ist kein Grund für sein Verhalten, mein Fräulein. Wir hätten es gerne damals schon erfahren, dass unsere Tochter tot ist. Und von dir hätten wir auch gerne gewusst.“
Cath wog die Situation ab. Es war wohl besser, sie achtete ganz genau auf ihre Reaktionen. Langsam deutete sie schließlich ein respektvolles Nicken an.
„Ich kann mich nur wiederholen, es tut mir außerordentlich leid. Ich kann Ihren Ärger verstehen, denn es geht mir gerade nicht anders. Ich kann einfach nicht glauben, dass mein Vater mir meine Großeltern verschwiegen hat. Spricht etwas dagegen, wenn wir uns ein bisschen besser kennenlernen?“
Erstaunt zogen Vincenc und Bellatrix die Brauen hoch. Mit solchen Umgangsformen hatten sie gewiss nicht gerechnet. Eigentlich wären sie nun vorsichtig gewesen, es stand ihnen schließlich immer noch ein Drache gegenüber. Doch sie war noch ein Kind, wie gefährlich konnte sie da schon sein? Bellatrix fasste sich ein Herz und trat näher an die junge Frau heran, um ihr die Hand auf die Schulter zu legen.
„Komm, mein Kind. Trinken wir einen Tee.“
Neugierig versuchte er die leisen Wortfetzen zu verstehen, doch trotz seiner guten Ohren gelang es ihm einfach nicht. So ein Mist aber auch, warum war er nicht einfach Zuhause geblieben? Schon klar, seine beschissene Neugier war Schuld daran. Und sein Vater, dessen widerlicher Zorn auf die Menschen auf ihn übergegangen war. Er war in Seattle, dem Reich seines Vaters, als Mensch unterwegs gewesen und hatte dabei zufällig diese Drachenfrau gesehen, die vor dem Gebäude der Organisation gelandet war und sich verwandelt hatte. Das Gesicht der noch äußerst jungen Frau, kam ihm dabei von irgendwoher bekannt vor. Als er dann den bekannten Kopfgeldjäger gesehen hatte war ihm klar geworden, dass es sich bei dem Mädchen um die Tochter dieser berühmten Kopfgeldjägerin handelte. Der Vater dieses Mädchens war also niemand geringeres, als einer der wohl mächtigsten Drachen überhaupt, Dragan van Less.
Kopfschüttelnd war er ihr gefolgt. Nicht zu fassen, dass auch Dragans Tochter etwas für Menschen übrig zu haben schien. Dabei schienen die Menschen sie zu kennen und keinerlei Angst vor ihr zu haben. Sehr ungewöhnlich, gab es Drachenkinder doch nur sehr selten.
Er selbst war eines dieser seltenen Kinder. Gut, mit seinen sechsundzwanzig Jahren gewiss kein Kind mehr, aber immer noch ein Spross für all die anderen Drachen. Allerdings gab es zwischen den beiden Drachenkindern einen gehörigen Unterschied. Im Gegensatz zu ihm stammte Cath van Less aus einer intakten Familie. Sie hatte ihre Mutter nach ein paar Jahren zwar verloren und das tat ihm irgendwo auch leid, doch er selbst hatte nie eine Mutter gehabt. Genau genommen war er nur ein Unfall. Die Drachenfrau die ihn gebar, hatte ihn nach der Geburt dem Mann in die Hände gedrückt, mit der Begründung, dass sie sich eher selbst umbringen würde anstatt ein Kind großzuziehen. Maras, sein Vater, hatte ihn zwar bei sich aufgenommen, allerdings nur halbherzig großgezogen. Bis heute war nicht bekannt, dass Maras Vater geworden war und auch hatte er keinen Kontakt mehr zu seinem Sohn. Alles was von ihrer Verbindung zeugte, war das Geld welches er von Maras bekam. Damit schlug er sich bis heute über die Runden.
Kopfschüttelnd kehrte der Mann ins Hier und Jetzt zurück. Seine nicht vorhandene Vater-Sohn-Beziehung war ihm egal. Es hätte schlimmer sein können. Im Gegensatz zu den van Less Brüdern hatte er seine Eltern nicht auf dem Gewissen...
Spaßeshalber war er vor einer Stunde Dragans Tochter gefolgt. Sie war zwar unglaublich hübsch, das musste er schon zugeben, allerdings sah sie auch ein wenig naiv aus. Er fragte sich, was sie hier unter den Menschen wollte und war ihr, um sich die Langeweile zu vertreiben, einfach gefolgt.
Nun lauschte er ihrem Gespräch bei einer Tasse Tee.
„Erzähl mir von meiner Mutter“, bat Cath leise. „Ich war sechs Jahre alt als sie gestorben ist, ich glaube dem dadurch entstandenen Trauma habe ich es zu verdanken, dass ich mich nicht mehr an sie erinnern kann.“
Bellatrix saß ihr mit einer Tasse Tee in den Händen gegenüber, still schweigend. Vincenc saß ein wenig Abseits, an einem hölzernen und wackelnden Tisch. Plötzlich brach die alte Frau mit einem Seufzen die Stille.
„Deine Mutter war schon als Kind sehr schwierig, Liebes. Sie war immer unser einziges Kind, es war also unabdingbar, dass sie in die Fußstapfen meines Mannes tritt und unseren Konzern übernimmt. Leider wollte sie nie einsehen, wie wichtig das ist. Alles haben wir probiert aber nichts hat geholfen. Sie hatte immer alles, was sie wollte und dennoch hat sie sich irgendwann aus dem Staub gemacht. Indem sie das Töten angefangen hat, hat sie unseren Ruf ruiniert. Danach ging es für uns nur noch abwärts. Wir haben immer versucht Kontakt zu unserer Tochter aufzunehmen, aber sie hat uns immer auflaufen lassen. Familie hat ihr nie etwas bedeutet. Wir haben sie jahrelang nicht gesehen und nun ist sie tot.“
Bellatrix Stimme verlor sich in einem leisen Schluchzen, wogegen Cath schwieg. Sie musste diese Informationen erst einmal verarbeiten. Sie traute diesen Leuten hier keinesfalls und glaubte ihnen auch diese Geschichte nicht so ganz. Hätte ihr Vater nicht so überschäumend reagiert, wäre sie aber wohl auf alles hereingefallen. Cath konnte verstehen, warum ihre Mutter damals abgehauen war. Sie selbst hätte sich solch einen Willen auch nicht aufzwingen lassen wollen. Nach jahrelanger Unterdrückung wollte Jael vermutlich einfach nur frei sein und hatte sich deshalb aus dem Staub gemacht. Und Cath hatte sofort herausgehört, worum es hier wirklich ging. Anscheind war das Geld der beste Freund des Menschen. Und der manipulativste. Cath beschloss, gute Miene zum bösen Spiel zu machen und nippte an ihrem Darjeeling.
„Ihr müsst furchtbar sauer auf sie gewesen sein. Es ist bei eurem ehemaligen Lebensstil sehr undankbar, einfach so abzuhauen“, bemerkte sie leise.
Ihr entging nicht der Blick, den die beiden Alten miteinander wechselten. Mit solch einer Antwort hatten sie offenbar nicht gerechnet, aber scheinbar stieß sie auf Wohlwollen.
Bestürzt legte Bellatrix sich die Hand auf die Brust.
„Liebes, du glaubst ja gar nicht wie sehr sie uns damit verletzt hat“, hauchte sie und fast hätte Cath ihr die Nummer abgekauft. Unbeirrt fuhr ihre Großmutter fort.
„Wir haben immer alles für sie gegeben und sie dankt es uns mit ihrem Verschwinden. Weißt du eigentlich wie hart es damals war, ein Kind großzuziehen?“
Um Caths Mundwinkel herum zuckte es, doch sie ließ es verschwinden noch bevor es jemand hätte bemerken können.
„Nein, das weiß ich natürlich nicht“, sagte sie leise und zeigte sich aufmerksam, als sich nun erstmals wieder Vincenc zu Wort meldete und an den Küchentisch herantrat, an dem sie saßen.
„Verzeih, Cath, aber wir müssen uns wohl bei dir entschuldigen. Es hat den Anschein, als wärst du doch gar nicht so übel. Allerdings wirst du sicher verstehen, dass wir für deinen Vater dennoch nicht viel übrig haben.“
Rasch überdachte Cath die ganze Situation. Bellatrix und Vincenc waren ihr mit dieser heuchlerischen Art alles andere als sympathisch, dies allein war Grund genug für sie, ihnen gehörig die Meinung zu geigen. Allerdings ging es hier noch immer um ihre Mutter, über die sie unbedingt noch mehr erfahren wollte. Da sie sich aber ziemlich sicher war, dass die beiden schon längst keinen Gedanken mehr an ihre Tochter verschwendeten, entschied die junge Frau sich für die erste Option und knallte ihre Teetasse mit solcher Wucht auf den Tisch, dass sie auf der Stelle zersprang.
„Freut mich zu hören, dass ihr mich mögt, aber ich muss euch enttäuschen, es beruht nicht auf Gegenseitigkeit. Was sagt ihr dazu, dass Jael nur abgehauen ist, weil sie jahrelang von euch missachtet und misshandelt wurde?“Ihr eiskalter Tonfall und ihr ausdrucksloses Gesicht ließen Bellatrix in gespielter Bestürzung nach Luft schnappen.
„Was fällt dir eigentlich ein? Nur uns hat unsere Tochter es eigentlich zu verdanken, dass sie so bekannt war“, fauchte sie.
Caths Herz zog sich immer mehr und mehr zusammen. Waren sie denn kein bisschen Stolz auf den Erfolg ihrer Tochter? Nicht nur weil sie so berühmt war, sondern auch, weil sie einen tollen Mann gefunden hatte, mit dem sie eine Familie gegründet hatte?
„Vielleicht war meine Mutter durch euch mit ihrem Namen bekannt“, schnitt Caths Stimme eisig durch den kleinen Raum. „Aber ihren Erfolg hat sie sich zusammen mit ihrem Leben mit eigenen Händen aufgebaut. Ihr tut hier einen auf scheinheilig, dabei habt ihr meiner Mutter unvorstellbares angetan.“
Erst breitete sich eine Eiseskälte in dem Raum aus, dann unheilvolle Stille.
„Raus“, flüsterte Bellatrix dann und deutete mit ausgestrecktem Arm auf die Tür, die nur noch halb an einer Angel hing. Als Cath sich im ersten Augenblick keinen Millimeter rührte, sprang die Frau schreiend auf.
„Raus mit dir, habe ich gesagt!“, schrie sie erneut und stapfte klischeehaft mit dem Fuß auf. Provokant und natürlich mit purer Absicht, erhob Cath sich betont langsam.
„Wenn ihr noch ein schlechtes Wort über meine Mutter verliert und noch ein einziges Mal bei meinem Vater aufaucht, dann schwöre ich euch, werde ich euch das Leben zur Hölle machen“, drohte sie leise. Vincenc und seine Frau wurden blass und beinahe hätte Cath gegrinst. Sie alle hatten Recht, von diesen beiden Menschen hielt sie sich besser fern. Die unheimliche Aura um sie herum hätte ihr eigentlich vorher schon eine Warnung sein sollen. Noch während die junge Frau kehrt machte, drang plötzlich ein Knacken von Holzbalken an ihre Ohren, weshalb sie kurz inne hielt. Komisch, das schien nicht aus diesem Raum zu kommen. Nicht weiter darüber nachdenkend ging Cath weiter. Dieses Gemäuer war so alt und zerfallen, mit Sicherheit war es auch noch einsturzgefährdet. Doch das konnte ihr egal sein. Ab sofort hatte sie nichts mehr mit ihren Großeltern zutun. Als sie um die Ecke bog und das Treppenhaus betrat, drang ihr aber ein fremder Geruch in die Nase. Perplex blieb sie stehen, dann sah sie sich um. Es roch nicht nach altem Holz und Stein oder moosig, wie es zu dieser Ruine gepasst hätte, sondern weitaus komplexer. Cath brauchte einen Augenblick, um alle Noten herauszufiltern. Es war ein männlicher Duft, der sie umhüllte. Sehr frisch und leicht. Sofort musste sie an all die rauschenden Wasserfälle denken. Doch da war noch eine salzige Unternote, irgendwie würzig. Zum Schluss war da noch etwas sehr herbes, doch sie konnte es nicht zuordnen. Eigentlich hätte Cath beunruhigt sein sollen, da ja offensichtlich jemand hier war. Doch der Geruch hatte zur Folge, dass sie sich augenblicklich entspannte.
Mit vollem Kopf beschloss Cath, sich auf den Weg nach Hause zu machen. Das war zu viel für einen Tag.
Die graue Drachenfrau hatte noch keine fünf Kilometer hinter sich gelassen, da drang plötzlich wieder dieser seltsam beruhigende Duft von Wassermassen an ihre Sinne.
Sie schlug einmal kräftig mit ihren Flügeln, dann ließ sie sich mit dem Wind treiben und hielt Ausschau nach der Quelle des Geruchs. Was sie nicht ahnte: Der Begleiter war gut einen Kilometer über ihr.
…
Neugierig neigte er seine Schnauze, um den vergleichsweise filligranen Drachenkörper unter sich zu betrachten. Die dunkelgraue Drachenfrau war sehr schlank und hatte einen athletischen Körperbau, doch der stachelige Schwanz und die spitzen Hörner machten klar, dass sie immer noch eine Bestie war. Ihre Drachengestalt erinnerte sehr an ihren Vater, doch anhand ihres zarten Körperbaus sah man, dass sie eine Frau war.
Ihre hellen leuchtend grünen Augen stachen aus dem ganzen grau heraus und ließen ihn kurz die Luft anhalten. Noch nie hatte er solch klare Augen gesehen und trotz ihres jungen Alters war ein Ausdruck in ihnen zu sehen, der ihn beeindruckte. Es machte den Eindruck, als stände nichts als Wissen und somit Macht in ihnen. Mit einem Schnauben, welches einem Lachen gleichkam, ging er in den Sinkflug und tauchte neben ihr auf. Er wartete auf ein Zeichen oder eine andere erschrockene Reaktion, doch im ersten Augenblick geschah nichts, außer dass sich ihre Nüstern kurz blähten. Als ihr Blick dann seinen traf, hätte er beinahe vergessen mit den Flügeln zu schlagen. Etwas neugieriges, aber auch herausforderndes lag in ihrem Blick und zwang ihn somit dazu, zu handeln. Er schlug einmal kurz und kräftig mit den Flügeln und stürzte hinab. Dann begann das Schauspiel.
Mit großen Augen verfolgte Cath das Geschehen. Dieser frische und beruhigende Duft hatte es zwar angekündigt, doch der bläulich-weiße Drache war dennoch wie aus dem Nichts neben ihr aufgetaucht.