Zwischen Himmel und Hölle -6- - Tatjana Kronschnabl - E-Book

Zwischen Himmel und Hölle -6- E-Book

Tatjana Kronschnabl

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Beschreibung

Reyna ist zwanzig Jahre jung, hübsch und das Kind eines Erzengels und einer Dämonin.

Mit ihren außergewöhnlichen Merkmalen, den gefärbten Schwingen und Fangzähnen, fällt sie schon seit ihrer Geburt auf, doch das hat sie nie schüchtern werden lassen, ganz im Gegenteil.

Bei einem Ausflug in die Menschenwelt muss sie feststellen, dass sie von vielen angefeindet wird, und beschließt, sich das nicht gefallen zu lassen. Doch mit ihrer arroganten und überheblichen Art kommt sie nicht weit, erst recht nicht bei Cael, einem Gefallenen, der jahrelang unter den schlimmsten Bedingungen leben musste.

Wird Reyna ihm die Augen öffnen können? Und wird es dem Gefallenen gelingen, sie auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen?

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Tatjana Kronschnabl

Zwischen Himmel und Hölle -6-

BookRix GmbH & Co. KG80331 München

Prolog

„Atlas“, begann er leise und mit gesenktem Haupt.

Die finstere Umgebung war es nicht, die ihm solche Angst einjagte, auch nicht die Schreie der armen gequälten Seelen, die im Hintergrund zu vernehmen waren. Der kleine Raum, das Büro seines Peinigers, war so erdrückend und stickig, dass er befürchtete, ab sofort unter Klaustrophobie zu leiden. Die weißen Wände des Büros eines Geschäftsmannes hätten einen sterilen Anblick bieten sollen, doch diese hier waren einfach nur versifft und beschmiert. Doch was konnte man von einer gut zweihundert Jahre alten, ehemaligen Spielhölle auch erwarten?

Die Dinge, die hier geschahen, hatten absolut nichts mit der Unschuld von weiß zutun. Ein dreckiges und kaltes grau hätte da weitaus besser gepasst. Über ihm flackerte eine nackte Glühbirne, was ihn kurz zusammenzucken ließ.

Der Stahl an seinem Körper rasselte leise und vermutlich war dieses Geräusch der Auslöser dafür, dass Atlas, der korpulente Dämon mit dickem Bauch und hässlicher Fratze, sich nun in seinem Stuhl zu ihm herumdrehte. Er begann zu zittern, trotz des riesigen Mahagoni-Schreibtisches, auf dem mehrere Bündel Geld aufgestapelt waren, der schützend zwischen ihnen stand. Doch er wusste, dass dieser gigantische Tisch kein Hindernis wäre.

Atlas hätte ihn töten können, ohne sich zu erheben. Und genau dies war es, was ihm solche Angst einjagte. Eine Tatsache, der sich auch der Dämon bewusst war und die ihn grinsen ließ.

„Cael, mein Junge, was gibt es?“

Atlas' Stimme hörte sich in Caels Ohren an wie Fingernägel, die über eine Tafel kratzten. Die durchscheinend wirkenden blassblauen Augen des Dämons waren Zeuge seiner kaltblütigen Grausamkeit und funkelten ganz amüsiert beim Anblick seines Gegenübers, der den Eindruck eines Lammes machte, welches gerade zur Schlachtbank geführt wurde.

„E-Es geht um Gina“, begann Cael nun, nachdem er vergeblich versucht hatte, dass Zittern seiner Stimme und seines Körpers unter Kontrolle zu bekommen. Hastig wandte er den Blick von Atlas ab als er sah, dass dieser bereits Verdacht schöpfte, die Augen verengte und sich leicht aus seinem Bürostuhl erhob, um sich nach vorne beugen zu können. Sein fleckiges blaues Hemd spannte sich dabei hässlich über das ganze Fett seines Oberkörpers.

Cael war nicht mehr gewillt, diesen Mann noch länger anzusehen. Er war so hässlich, dass niemand es lange aushielt sein speckiges, vor Fett glänzendes Gesicht zu betrachten, aus dem seine Froschaugen herausstarrten. Er schien nicht einmal einen Hals zu besitzen, sondern nur diese widerwärtigen Falten, die zu allem Überfluss auch noch mit dutzenden Warzen überzogen waren. Da half es auch nicht, dass sein glänzendes Haar einen krassen Kontrast dazu bildete.

Dämonen waren in der Regel sehr sinnliche Geschöpfe, weshalb sich Cael des Öfteren fragte, ob dieser Dreckskerl wohl zu hässlich und schwach für die Unterwelt gewesen und deshalb in die Welt der Menschen gekommen war. Denn hier hatte er die Kontrolle. Seine Bösartigkeit und seine Abscheulichkeit hatten ihm Macht über dutzende Gefallene verliehen, so auch über Cael, der einsah, dass er endlich antworten musste, ehe ihm ein Donnerwetter bevorstand. Doch dieses blühte ihm ohnehin...

„Was ist mit Gina?“, hatte Atlas geknurrt. Cael schluckte.

„N-Nun, du weißt ja, dass Gina in letzter Zeit sehr aufmüpfig und ungehorsam war. Naja, und wie sich nun herausgestellt hat, hat sie es geschafft zu fliehen“, erklärte er mit einer Stimme so rau, wie Schmirgelpapier. Die Glückliche, dachte er noch, da ging alles ganz schnell.

„Was?“, brüllte Atlas in einer Lautstärke, die die Wände erzittern ließ. Dabei kam er so schnell um den Schreibtisch herum, dass dies bei seinem Leibesumfang eigentlich gar nicht möglich sein sollte.

Cael versuchte noch sich wegzuducken – eine Flucht wäre zwecklos gewesen – doch es war vergeblich, Atlas packte ihn an der Gliederkette seines Halsbandes, riss ihn an sich und verpasste ihm einen so heftigen Schlag ins Gesicht, dass er Blut schmeckte. Cael kniff die Augen zu und ließ es geschehen, wohl wissend, dass er nichts daran ändern konnte und auch niemals aus diesem Albtraum entfliehen konnte. Eines Tages würde er hier sterben, aufgrund seiner Verletzungen, dessen war er sich bewusst.

Atlas prügelte brüllend und tobend auf ihn ein, während ihm langsam aber sicher die Sinne entschwanden. Doch als er am Boden lag, sich krümmend vor Schmerz und Blut hustend, ertönte plötzlich ein lautes Krachen und sein Peiniger ließ von ihm ab. Cael war nicht in der Lage Dankbarkeit darüber zu empfinden, dafür schmerzte sein Körper zu sehr. Es fühlte sich an, als würde er von Innen heraus verbrennen, als hätte man ihm jedes Organ einzeln herausgerissen.

Mit Sicherheit waren bei all den Tritten und Schlägen alte Verletzungen wieder aufgerissen.

Cael bemerkte einen wahren Tumult um sich herum und versuchte zu begreifen, was hier gerade geschah. Er sah weiße Haare, türkisblaue Augen und er hörte Elektrizität knistern.

Befehle wurden gebrüllt und irgendjemand schreite schrill, doch in Caels Ohren klingelte es nur dumpf. Mehrere Male fiel er in Ohnmacht, doch diese verflog als er warme Haut an seiner Wange spürte, die längst zertrümmert sein musste.

„Hey, Junge, wach auf“, befahl jemand barsch. Mühsam blinzelte Cael, dann blickte er in türkisblaue Augen.

„Wir holen euch alle hier 'raus, hörst du?“, sagte die hübsche Frau, dann wurde um ihn herum alles wieder schwarz.

 

 

 

Kapitel 1

 

Einige Jahre später

 

 

Reyna stieß ihren Angreifer zurück und breitete dann ihre Schwingen aus, um mehrere Meter zurückzusetzen und gelangweilt ihre manikürten Fingernägel zu betrachten.

„Ich habe keine Lust mehr“, maulte sie trotzig, dabei war das glatt gelogen. Sie sah einfach nur nicht ein, sich ihre Fingernägel zu ruinieren, die ein hübsches florales Muster zierte und dies noch keine vierundzwanzig Stunden lang.

Ilias knurrte frustriert, schon seit Jahren sauer darüber, dass die Erzengel ihn zum Aufpasser dieser verwöhnten Göre degradiert hatten.

„Dein Vater hat angeordnet...“, begann er schon, da drehte sie sich eiskalt um und wedelte ungeduldig mit der Hand.

„Mir egal was er angeordnet hat. Ich habe schon lange kein Training mehr nötig“, erwiderte sie ungeniert und ließ ihn einfach stehen. Ilias stieß ein Seufzen aus und ließ seinen Kampfstab sinken.

„So kann das nicht weitergehen. Michael und Callista müssen sich unbedingt etwas einfallen lassen“, murmelte er, während er sie noch dabei beobachtete, wie sie mit erhobenem Haupt und Flügeln davon marschierte. Gleichzeitig schimpfte Reyna vor sich hin.

„Training hier, Training da, dann auch noch der Unterricht! Ich bin doch kein kleines Kind mehr. Nur weil Dad keine Freizeit kennt, muss er mir meine nicht kaputt machen“, fauchte sie und ließ sich auf die Brunnenmauer fallen, penibel darauf achtend, dass ihre Flügelspitzen auch ja nicht das Wasser berührten.

Verärgert erinnerte sie sich daran zurück, wie sie schon als Vierjährige bei Malea abgesetzt wurde, damit sie mit den anderen Jünglingen lernte. Doch anders als sie erwartet hatte, war ihr keinerlei Verantwortung übertragen worden. Lemy hatte einst die Kinderschar unter Kontrolle gehalten und Reyna hatte geglaubt, dass dies irgendwann ihre Aufgabe sein würde. Doch weit gefehlt.

Stattdessen hatte man sie kämpfen und trainieren lassen, damit sie für alles gewappnet war. Dabei hatte es ihre Eltern nicht das kleinste Bisschen interessiert, dass sie das überhaupt nicht wollte. Eine Sicherheitsmaßnahme hatten sie es genannt, dabei war dies ausgemachter Blödsinn!

Reyna fluchte, unerlaubterweise, weil sie Amarya nie hatte verlassen dürfen.

Michael war gnadenlos gewesen als er ihr klargemacht hatte, dass ihre Ausbildung und Erziehung ausschließlich in Amarya stattfinden würde. Umso wütender machte es sie, dass ihre Eltern selbst ein Leben unter den Menschen führten.

Anfangs fand ihr Leben aufgrund ihrer Tochter wieder in Amarya statt, doch als sie langsam älter geworden war, waren sie nach Manhattan zurückgekehrt. Doch scheinbar war sie noch lange nicht alt genug, um mit ihnen mitzugehen. Wütend erinnerte sie sich an die Worte ihrer Mutter zurück.

„Wenn du erwachsen bist, kannst du meinetwegen in die große, weite und gefährliche Welt hinausstiefeln, aber solange du von diesen pubertären Hormonen geleitet wirst, gehst du nirgendwo hin!“

Reyna drehte sich um und blickte ins Wasser des Brunnens, um ihr Spiegelbild unter die Lupe zu nehmen. Ihre Mutter übertrieb maßlos! Sie tat ja so, als wäre ihre Tochter größenwahnsinnig!

Aus der Pubertät war sie längst heraus. Gewittergraue und wachsam funkelnde Augen blickten ihr entgegen, wenn auch ziemlich zornig in diesem Moment. Die filligranen Gesichtszüge mit dem vollen Mund und der leicht spitzen Kinnpartie, welche von schwarzen Haaren umrahmt wurden, muteten längst nicht mehr kindlich an. Ihr blickte eine junge Frau entgegen, die mittlerweile zwanzig Jahre alt war und endlos lang gebüffelt hatte, um ihren Eltern zu beweisen, was sie wirklich konnte. Nur, dass es ihnen nicht reichte. Das Gesicht verziehend wandte sie ihren Blick ab, denn die Worte ihres Vaters klangen ihr noch all zu deutlich in den Ohren.

„Viel zu wissen und klug zu sein mag alles andere als schlecht sein, aber darauf allein kommt es nicht an, Reyna. Ebenso wenig wie aufs Kämpfen. Wenn du das begriffen hast, reden wir weiter.“

Worauf denn dann?, hatte sie sich gefragt und bis heute hatte sie keine Antwort darauf. Schließlich hatten ihre Eltern ihre Erziehung genau darauf ausgelegt. Das Wissen, die Stärke und... Ja, was nur war die dritte Eigenschaft, die ihr Vater wohl gemeint haben könnte?

 

Michael und Calli kamen gerade erst mit Azrael und mit Vanita in Amarya an, da tauchte auch schon Ilias auf, der heute mal wieder schlechte Laune zu haben schien. Und Michael ahnte schon, woran dies lag, ebenso wie Az und Vanita, die schon begann dreckig zu grinsen. Empört über diese Schadenfreude fragte Calli Ilias, was los war.

„Eure Tochter“, begann der eigentliche Botenengel grantig. „Es wird Zeit, dass ihr euch ihretwegen etwas einfallen lasst.“

Michael und seine Frau tauschten einen betrübten und gleichermaßen genervten Blick aus, ehe sie wissen wollten, was denn diesmal vorgefallen sei. Ilias war so gereizt, dass sogar ein Nerv an seinem Kiefer zuckte als er antwortete: „Sie hat das Training nach nur zehn Minuten eigenständig beendet. Aus Faulheit, wohlgemerkt. Und dein Befehl ging ihr so ziemlich am Arsch vorbei.“

Sein Blick richtete sich auf Michael, der bei Ilias' ungewohnter Ausdrucksweise sogar die Brauen hochzog. Der Babysitter fuhr fort.

„Sie hält das Training für unnötig und übertrieben und setzt sich momentan häufiger als sonst über die Regeln hinweg. Bei allem Respekt, ich weiß, dass sie als eure Tochter einen besonderen Status genießt, aber ich glaube, genau darin liegt das Problem. Ihr solltet sie so langsam auf den Boden der Tatsachen zurückholen.“

Jeder andere Engel, der sich diese Respektlosigkeit erlaubt hätte, wäre nun von Michael geschlagen worden. Nicht so Ilias. Er war zu einem Vertrauten geworden, dem der Erzengel und seine Gefährtin das Wohl ihres Kindes schon früh in die Hände gelegt hatten.

Ilias hatte einen anderen Blickwinkel auf das Geschehen und in den vergangenen Jahren immer Recht behalten. Und so mussten sie der Tatsache ins Auge sehen: Ihre Tochter war zu oft eine verzogene Göre und hatte nichts von dem begriffen, was ihre Eltern ihr hatten klar machen wollen. Genervt rieb Calli sich die Stirn.

„Kann dieses Kind sich nicht einmal ganz gesittet verhalten?“, murmelte sie, worauf ihr Mann doch tatsächlich anfing zu lachen.

„Du bist ihre Mutter, hast du da wirklich geglaubt, sie wird ein ruhiges und schüchternes Mädchen?“, stichelte er und knuffte sie liebevoll in die Seite. Ein Anblick, der sich ihnen allen nur selten bot. Calli schüttelte bedauernd den Kopf, musste am Ende aber doch grinsen.

Tatsächlich erinnerte Reyna sie viel zu sehr an sich selbst und dies gefiel ihr nicht immer. Callista war viel zu oft viel zu impulsiv und chaotisch und sie hatte wirklich gehofft, dass gerade diese Eigenschaften nicht so heftig bei ihrer Tochter ausfallen würden. Leider schien Reyna eine noch konzentriertere Form ihrer Selbst zu sein, denn sie war nicht nur leidenschaftlich und sprunghaft, sondern auch genauso überheblich wie ihr Vater. Seine Demut hatte sich erst entwickelt, als er Calli kennengelernt hatte, doch so etwas gab es bei Reyna nicht. Zumindest vorerst nicht, wenn sie nicht endlich etwas unternahmen.

„Ihr solltet euch eine Strafe für sie ausdenken“, mischte sich Vanita ein, die nicht die geringste Ahnung von Kindererziehung hatte und es mit Sicherheit auch nicht haben wollte. Michael brummte.

„Wir können sie nicht andauernd bestrafen, wenn sie etwas dummes anstellt, das frustriert sie am Ende nur noch mehr. So versteht sie auch nicht, was wir von ihr wollen“, lehnte er Vanitas Vorschlag streng ab. Calli wirkte unterdessen ziemlich nachdenklich.

„Nein, es muss etwas anderes sein. Und ich habe da auch schon eine Idee“, murmelte sie, womit sie sämtliche Aufmerksamkeit der vier hatte.

„Erlauben wir ihr, mit unter die Menschen zu kommen. Vielleicht wird ihr auf diese Weise endlich bewusst, wie gut sie es hier eigentlich hat.“

Michael wirkte so entsetzt, wie zu dem Zeitpunkt, als sie ihm ihre Schwangerschaft verkündet hatte.

„Hast du den Verstand verloren? Sie wird nur Ärger machen und ehe wir uns versehen, tauchen Zadkiel und Reagan bei uns auf.

Was glaubst du eigentlich wie sehr die beiden uns fertig machen, wenn sie herausfinden, dass wir der Grund für das angerichtete Chaos sind?“, knurrte er, was Azrael und Vanita in lautes Gelächter ausbrechen ließ.

Zadkiel und Reagan hatten es erfolgreich geschafft, ein Großteil der Menschenwelt zu kontrollieren. Keinem Dämon oder Gefallenen wurde es gestattet, Ärger zu verursachen und wenn sie herausfanden, dass doch jemand Dreck am stecken hatte, war derjenige des Todes.

Der einstige Erzengel und seine Frau waren zu einem genauso mächtigen Gespann geworden, wie es auch Samael und Camael waren. Zad und Reagan ließen sich so gut wie nie blicken, doch wenn, dann gab es heftigen Ärger, der auch vor dem Kader nicht Halt machte.

Calli wirkte unnachgiebig, als sie nun zu ihrem Gefährten aufblickte.

„Wenn dieser Fall eintritt, wird Reyna die Verantwortung ganz alleine tragen müssen. Wir werden ihr klarmachen, was sie erwartet, wenn sie sich nicht an die Gesetze hält. Und wir werden mit Reagan und Zad reden und ihnen sagen, dass sie Reyna ruhig genauer im Auge behalten dürfen. Sie werden ihr nichts antun, aber sie werden ihr die Flausen notfalls austreiben“, verteidigte sie ihren Einfall.

Michael wirkte alles andere als überzeugt. Zadkiel würde ihrer Tochter vielleicht nichts antun, aber Regan? Sie konnte die Engel noch immer nicht ausstehen, auch wenn sie sich ihres Mannes wegen wirklich zusammenriss. Selbst Vanita hielt diese Idee für riskant, wie sie nun offenbarte.

„Hältst du das für klug? Die Menschen sind unberechenbar, um Reagan mache ich mir da eher weniger Sorgen“, gestand sie, wobei Erinnerungen wach wurden. Mit Schrecken fiel ihr wieder ein, dass es so harmlos erscheinende Menschen gewesen waren, die Azrael niedergeschossen hatten und für seinen vernarbten Flügel verantwortlich waren. Zu ihrem Erstaunen war es ausgerechnet Ilias, der darauf antwortete: „Ich bin dafür. Reyna tönt doch immer so laut herum, dass sie schon lange kein Training mehr braucht. Also bitte, wollen doch mal sehen, wie lange sie sich das einreden kann.“

Alle Blicke richteten sich auf Michael, der diese Idee absegnen musste. Er wusste, dass es keiner von ihnen böse meinte, sie alle wollten schließlich nur das beste für Reyna. Und am besten wäre es für sie, wenn sie endlich verstand, worauf es im Leben wirklich ankam.

„Na schön, meinetwegen. Reden wir mit ihr.“

 

Nachdenklich ließ Reyna den Blick durch ihr kleines Reich schweifen. Waldgrüne Wände und schwere Holzmöbel dominierten das kleine Zimmer, welches ihr längst nicht mehr genügte.

Sie durfte eine Schmuck- und Parfümsammlung ihr Eigen nennen, ebenso wie die kostbaren glitzernden Rosen, die sie selbst gezüchtet hatte, und doch reichte es nicht. Auch der Kleiderschrank, der aus allen Nähten zu platzen drohte, kam nicht annähernd dem nahe, was sie haben wollte. Die schweren Nachschlagewerke in ihrem Bücherregal waren zum lernen notwendig, aber entbehrlich für sie. Außer die, über Botanik. Wenigstens in der Welt der Natur und Pflanzen kam sie ihrem Wunsch ein kleines Stückchen näher.

Nämlich frei zu sein.

Die tiefgrünen Wände in diesem Raum gaben ihr Hoffnung und vermittelten ihr das Gefühl, mitten in einem Wald zu sitzen, weit weg von Amarya, ihren Eltern und all diesen lächerlichen Regeln. Sie fühlte sich gefangen und dies, obwohl Amarya ein nahezu endloses Reich war.

Reyna ließ sich auf ihr Bett plumpsen, nachdem sie sich einen hübschen zartrosefarbenen Glasflakon geschnappt hatte. So stark wie sie war, sollte sie auch einflussreich sein, doch das war sie nicht. Sie träumte davon, eines Tages ein Teil des Kaders zu sein, doch solange da ihre Eltern waren, würde dies nie geschehen. Und bis sie ihr endlich diese verdammten Ketten abnahmen, konnte sie nur an all ihren Parfüms riechen und sich in entfernte Länder und Kulturen träumen.

Sie wurde aus den Gedanken gerissen als plötzlich jemand an ihrer Zimmertür klopfte. Reyna machte sich nicht die Mühe darauf zu antworten, in der Hoffnung dieser Jemand würde denken sie sei nicht da und wieder verschwinden, doch leider tat Ilias ihr diesen Gefallen nicht.

Ohne zu zögern und völlig ungerührt betrat er ihr Zimmer.

„Deine Eltern verlangen nach dir“, verkündete er.

Reyna verdrehte die Augen und erhob sich nur sehr langsam.

„Wow, und dafür haben sie sich extra hierher bemüht? Welch Ehre“, fauchte sie leise.

Ilias presste die Lippen zusammen als er das hörte und musste sich arg zusammenreißen, um ihr keinen Schlag auf den Hinterkopf zu verpassen. War es ihr selbst nicht langsam peinlich, sich so trotzig zu verhalten?

Ilias führte sie in den Thronsaal, wobei die junge Frau langsam und lustlos hinter ihm her trottete.

„Geht das auch ein wenig schneller?“, konnte er es sich nicht verkneifen zu sagen.

Als Reyna ihm daraufhin den Mittelfinger zeigte, wäre es beinahe um seine Selbstbeherrschung geschehen, doch zum Glück betraten sie gerade den Saal des Kaders, wodurch Michael und Callista ihre respektlose Geste ganz genau gesehen hatten. Sehr gut, dann musste Ilias ja hoffentlich nichts weiter dazu sagen.

„Reyna“, begann Michael da auch schon tadelnd. Mit versteinerter Miene kam sie vor ihren Eltern zum stehen, die heute die einzigen im Saal waren. Unauffällig zog Ilias sich zurück, dann fuhr Michael auch schon fort.

„Warum beendest du das Training ohne meine Erlaubnis?“Reyna verzog das Gesicht.

„Ilias, diese verdammte Petze“, murmelte sie, was nicht ungehört blieb.

„Ilias hält sich wenigstens an seine Befehle“, mischte Callista sich ein und winkte Reyna noch näher an sich heran. Ihre Tochter kam dem zwar nach, doch das Misstrauen hatte sie eindeutig von ihrem Vater.

„Liebes, warum dieses Theater?“, setzte Calli sanft und mütterlich fort. „Glaubst du, wir wollen dich mit dem Training bestrafen?“

Reyna ballte die Hände zu Fäusten, ehe sie kraftlos die Schultern sinken ließ.

„Nein“, erwiderte sie leise. „Aber versteht ihr das nicht? Ich bin jetzt alt genug, ich habe dieses Training nicht mehr nötig.“

Calli verzog voller Liebe das Gesicht und streckte die Hand aus, um damit über die Wange ihrer Tochter zu streichen. Reyna wollte sich dieser Berührung entziehen, ließ es aber bleiben, weil sie ihre Mutter damit nur unnötig verletzt hätte. Callista verstand, worum es ihrem Mädchen ging.

„Ich verstehe dich, Reyna. Du bist nicht mehr das kleine Mädchen von damals und möchtest für voll genommen werden“, begann sie zärtlich, was Reyna dazu brachte, ihren Blick hoffnungsvoll zu erwidern. Doch sie hätte wissen müssen, dass dieses Hochgefühl nur all zu schnell wieder nachlassen würde.

„Aber zu glauben, dass du dieses Training nicht mehr nötig hast, ist kindlicher Leichtsinn und nichts, als pure Selbstüberschätzung.

Die Soldaten müssen jeden Tag trainieren und selbst dein Vater und ich tun alles, um nicht aus der Übung zu kommen. Begreifst du das?“

Reyna blinzelte mehrmals, nicht wissend, was sie darauf antworten sollte. Was sollte das? Worauf wollte ihre Mutter überhaupt hinaus? Noch bevor sie es verhindern konnte, schwappte ihr Temperament über. Sie wich zurück und sah, wie das angedeutete Lächeln ihrer Mutter verrutschte.

„Dann habt ihr mich also nur hierher bestellt, weil ihr mir die Leviten lesen wollt? Ihr habt überhaupt nicht vor, etwas an der Situation zu verändern, nicht wahr? Ich soll also genauso abliefern, wie zuvor?“, fauchte sie.

Callista hatte sich vorgelehnt, weil sie sich erheben wollte, sackte aber erschöpft zurück und richtete ihren Blick wieder auf ihren Gatten.

„Hast du nicht ein Wort verstanden von dem, was deine Mutter gesagt hat?“, grollte dieser leise, ganz der Erzengel. Reyna atmete tief ein und wollte ruhig bleiben, trat dann aber mit einem Fuß auf, wie ein kleines Kind, welches sie eigentlich gar nicht mehr sein wollte.

„Doch, ich...“, setzte sie an, schüttelte irritiert den Kopf und ließ dann die Schultern hängen. „Es tut mir leid. Ich weiß, ich bin nicht einfach und ich bin mir bewusst, dass ihr alles für meine Sicherheit tun wollt, aber versucht mich zu verstehen, nur ein winziges Bisschen. Ich will hier 'raus! Ich habe es satt zu lernen, ich habe das Training satt und all diese gottverdammten Regeln. Ich will...“

„Gehen“, flüsterte Calli mit geschlossenen Augen. Michael erhob sich, damit die Situation nicht unnötig in die Länge gezogen wurde und seine Frau nicht noch mehr leiden musste. Es fiel ihr ohnehin schon schwer genug, auch wenn es ja eigentlich ihre Idee gewesen war

„Hör zu, Reyna“, donnerte Michael, schärfer als beabsichtigt. Instinktiv duckte die junge Frau sich. Sie wusste ganz genau, wann sie ihrem Vater gehorchen musste oder wann sie einen Regelverstoß riskieren konnte.

„So kann es nicht weitergehen, dein Verhalten ist in letzter Zeit immer extremer geworden. Deine Mutter und ich haben beschlossen, dich in die Welt der Menschen zu schicken, damit du endlich begreifst, wie glücklich du dich hier in Amarya schätzen kannst...“

Michael hatte noch gar nicht zu Ende gesprochen, da warf sich seine Tochter ihm jubelnd in die Arme.

„Was? Wirklich? Oh, danke, danke, danke!“, rief sie überglücklich, die Arme um seinen Hals schlingend und ihn auf die Wange küssend. Michael und Calli wechselten einen besorgten Blick miteinander. Der Erzengel legte seine Hände auf Reynas Schultern, um sie entschieden zurückzuschieben und warnend anzusehen.

„Du hörst mir nicht zu, Kind!“, grollte er, was sie dann doch inne halten ließ. „Es gibt Bedingungen, Reyna. Du wirst die erste Woche ausschließlich in Manhattan bleiben. Du wirst überwacht und auf der Stelle nach Amarya zurückgebracht, wenn du dir einen Fehler erlaubst. Du sollst dich nicht amüsieren, sondern dir vor Augen halten, dass es eine Strafe ist! Hast du das verstanden?“

Mit großen Augen sah sein Mädchen zu ihm auf, das Gesicht voller Gefühl.

„Wie könnte ich dies für eine Strafe halten?“, flüsterte sie. „Dad, ihr gebt mit endlich die Chance zu beweisen, dass...“

Michael brachte sie zum schweigen, indem er ihr einen Finger auf die Lippen legte.

„Reyna!“, drohte er. Diese Diskussion könnte noch ewig so weitergehen, wäre da nicht Callista, die an sie herangetreten war und ihrem Mann die Hand auf den Arm legte.

„Lass“, bat sie und sah dann Reyna an. „Geh dich fertig machen, wir nehmen dich mit.“

Das ließ die junge Frau sich nicht zweimal sagen. Freudenstrahlend machte sie kehrt und verließ den Saal. Fassungslos und vor lauter Frust knurrend starrte Michael auf Callista herab.

„Sie hat es einfach nicht verstanden, Calli!“, schnautzte er ungehalten, sauer über die dreiste Ignoranz seines eigenen Kindes. In einer beruhigenden Geste streichelte Calli ihm über die muskulöse Brust.

„Reg dich nicht auf“, begann sie sanft und lehnte sich an ihn. „Sie ist jung und grün hinter den Ohren, sobald sie ein paar Stunden unter den Menschen war, wird sie es begreifen.“

Michael schloss seine Frau in die Arme, unglaublich dankbar dafür, sie überhaupt gefunden zu haben. Sie wusste ganz genau, wann sie seine Grobheit mir ihrem Sanftmut ausgleichen musste, auch wenn sie selbst ein unglaublicher Sturkopf war.

„Ich fürchte, es wird länger als nur ein paar Stunden dauern“, grummelte Michael, dann fasste er ihr Kinn und küsste sie.

 

 

 

Kapitel 2

 

Cael ließ den Blick schweifen.

Der strahlende Sonnenschein und wolkenlose blaue Himmel gefiel ihm nicht, denn er passte nicht zu seinen gemischten Gefühlen, die in seinem Inneren tobten. Das Hochhaus vor ihm ragte schattenspendend in den Himmel auf und weckte böse Erinnerungen in ihm.

Doch er war dagegen gewappnet, empfand es schließlich auch, wann immer er in den Spiegel blickte.

Er war seit damals, seit er aus diesem Albtraum befreit worden war, schon nicht mehr in London gewesen und fragte sich, was die Herrin der Menschenwelt deshalb wohl von ihm wollen könnte. Sie hatte Navaeh geschickt, die Cael überbracht hatte, in den nächsten zwei Tagen zu erscheinen.

Und auch wenn es ihm nicht gefiel, er stand tief in ihrer Schuld und gehorchte. Sein Herz schlug ein klein wenig schneller als er den Tower nun mit entschlossenen Schritten betrat und in der Lobby auf eine Blondine traf, die gerade dem Anschein nach direkt von einem Schöhnheitswettbewerb kam, zumindest wenn man ihr makelloses Erscheinungsbild betrachtete, welches aus wallenden blonden Haaren, funkelnden blauen Augen und perfekter Haut bestand.

An einem massiven Empfang sitzend sah sie auf, die Miene nicht unbedingt freundlich.

„Ah, Cael, da bist du ja“, grüßte sie, womit sie ihn nur unnötig verwirrte. Als er bei ihr ankam, lächelte sie entschuldigend.

„Verzeihung, du kennst mich ja gar nicht. Ich bin Hadley. Navaeh hat mir schon gesagt, dass du kommst. Mit dem Aufzug kommst du in den dreißigsten Stock, die Herrin wartet dort.“

Cael machte sich nicht die Mühe, darauf zu antworten, er war ja schließlich nicht hier, um Freundschaften zu schließen. Er nickte bloß und setzte sich dann wieder in Bewegung, wobei er kurz den Blick schweifen ließ.

Es war ein schickes Gebäude, unglaublich modern, mit grauen Granitfliesen am Boden, die leicht zu funkeln und glitzern schienen.

Direkt in der Mitte der großen Lobby befand sich der Empfang, auf dem zwei abstrakte Skulpturen standen, ganz offenbar aus Stein gehauen und im Sockel jeweils mit einem verschnörkelten Z verziert, was so einige Fragen aufwarf.

Links und rechts vom Empfang, nicht weit von den Wänden entfernt, waren kleine Sitzgruppen zu finden, bestehend aus kleinen Beistelltischen aus Glas, kleinen ledernen Sesseln und sogar runden Teppichen, die das ganze nicht so kühl wirken ließen.

Von der Decke hingen mehrere kleine Lüster, die auf den ein oder anderen vielleicht ein wenig zu edel wirkten, obwohl sie das Bild optimal abrundeten. Ebenso wie die vielen Bilder an der Wand, alle in gedeckten Farben und fast schon ein wenig beruhigend. Schräg links, hinter dem Empfang, war dann schließlich der Aufzug zu finden, schräg rechts hingegen das Treppenhaus.

Cael betrat just in diesem Moment die Aufzugkabine, welche mit grauem Teppich ausgelegt und komplett verspiegelt worden war.

Während er auf den Knopf mit der Nummer dreißig drückte und die Türen geräuschlos zuglitten, war er beinahe schon dazu gezwungen einen Blick in den Spiegel zu werfen.

Karamellfarbene Augen starrten ihm ausdruckslos entgegen und wanderten weiter, über die ein wenig zu lange Nase, den schmalen Mund und die schmale Kieferpartie. Seine zerzausten, schwarzbraunen Haare fielen ihm bis ans Kinn, verdeckten fast seine gesamte Stirn und auch seine Augen, wenn er einige Strähnen nicht zur Seite oder über sein Nasenbein schob.

Seine langen Haare, hinter denen seine Augen immer mal wieder glühend hindurch brannten, lenkten wunderbar von all den hässlichen Narben ab, die sich über seinen Körper zogen. Eine davon direkt über seine Kehle, einmal rundherum.

Anfangs waren hochgeschlossene Shirts und Kragen seine besten Freunde gewesen, doch irgendwann war er es leid gewesen.

Sollten die Leute ihn halt anstarren, seine Albträume konnte dies auch nicht in Schach halten.

Das leise „Pling“ des Aufzugs riss Cael aus den Gedanken und zwang ihn dazu, sich wieder in Bewegung zu setzen. Er trat hinaus auf einen kühl wirkenden Flur mit ebenfalls graußem Fußboden und weißen Wänden, der nicht wirklich zum verweilen einlud. Eilig lief er hindurch, bis er an der einzig vorhandenen Tür ankam und zweimal an diese anklopfte.

„Herein“, hörte man es gedämpft aus dem Inneren. Cael zögerte noch einen Moment, dann schluckte er und trat ein.

Er betrat ein großes Büro, viel gemütlicher als erwartet. Braune Wände, ein riesiger Perserteppich und Möbel aus schwerem Holz, alles zusammen eine Kombination, die an den Orient erinnerte.

Der gewaltige Schreibtisch an der riesigen Glasfront des Raumes ließ Bilder in Cael aufkommen, an die er eigentlich nicht mehr hatte denken wollen. Zum Glück wurde seine Aufmerksamkeit auf die Frau gelenkt, die hinter jenem Schreibtisch saß und gerade einige Bögen Papier zur Seite legte.

„Ah, Cael, da bist du ja“, grüßte die Frau mit den violetten Haaren und deutete auf das kleine Sofa zu ihrer Linken. „Bitte setz dich.“

Cael war nicht wohl dabei als er ihrer Bitte – oder ihrem Befehl – nachkam und sich in die abgenutzten braunen Polster sinken ließ.

Gleichzeitig erhob Reagan sich aus ihrem Sessel, um den Platz zu wechseln. Direkt vor dem Sofa, durch einen Holztisch getrennt, stand ein Hocker, auf dem sie sich elegant niederließ.

„Wir haben uns lange nicht mehr gesehen, erzähl, wie geht es dir?“, begann die Dämonin eine unverfängliche Plauderei, nach der ihm eigentlich so gar nicht zumute war. In einer scheinbar lockeren und entspannten Bewegung zog Cael die Schultern hoch.

„Ganz okay, schätze ich. Ist bloß schwieriger als gedacht, unter den Menschen Fuß zu fassen“, antwortete er, was sowohl wahr, als auch gelogen war. Wie gut konnte es einem Gefallenen schon gehen, wenn dieser nicht einmal ein richtiges Zuhause besaß? Reagan nahm den Mann ein wenig genauer in Augenschein.

Seine raue und kratzige Stimme war vor Jahren so in Mitleidenschaft gezogen worden, dass sie wohl niemals wieder normal klingen würde. Wie viele Kleinkinder waren wohl schon vor ihm davongerannt, als sie ihn gehört hatten? Cael war mit seinen einen Meter fünfundneunzig eine beeindruckende Gestalt, erst recht wenn man seine Muskeln und seine gold-braune Haut bedachte, wodurch er so aussah, als wäre er die menschliche Form eines schwarzen Panthers. Doch dies war nicht immer so gewesen.

Reagan und Zadkiel waren vor einigen Jahren auf seltsame Aktivitäten am Rande Londons gestoßen und hatten herausgefunden, dass sich ein Dämon namens Atlas einen illegalen Händlerring aufgebaut hatte und Gefallene wie Haustiere hielt. Reagan hatte bis heute nicht herausfinden können, was all die Männer und Frauen hatten durchmachen müssen.

Einem Mädchen namens Gina war damals die Flucht gelungen, auf diesem Wege hatte Reagan erst von der ganzen Sache erfahren.

Auch Caels damaliger Zustand hatte Bände gesprochen, so wie zur heutigen Zeit seine Narben. Aus ihm mochte ein stattlicher Mann geworden sein, doch er war nach wie vor gebrochen und sie hatte den Unterton in seiner Stimme ganz genau vernommen.

„Ach ja?“, erwiderte sie nun gespielt neugierig und schlug ein Bein über das andere. „Inwiefern? Hast du Gina und die anderen aus den Augen verloren?“

Reagan war davon ausgegangen, dass all die Opfer in Kontakt bleiben würden, weil sie ja niemand anderen hatten. Ein Aufblitzen in

Caels geheimnisvollen Augen ließ sie aufmerksam werden.

„So würde ich es nicht nennen. Wir haben alle gemeinsam beschlossen, getrennte Wege zu gehen. Jeder von uns hatte andere Vorstellungen davon, wo er in Zukunft leben möchte“, berichtete er, gegen seinen Willen.

Er mochte es nicht, sich mit anderen zu unterhalten, zu viel Angst hatte er, etwas falsches oder gar zu viel zu sagen. Man durfte das nicht falsch verstehen, Cael war eigentlich sehr direkt und unverschämt ehrlich, doch genau da lag das Problem. Die wenigsten vertrugen die Wahrheit, so auch die Erzengel, kurz vor seinem Fall...

„Und welche Vorstellung hattest du für dein Leben?“, hakte Reagan unnachgiebig nach, was Cael laut und voller Inbrunst knurren ließ. Ein Laut, zu dem seine zerschundene Kehle uneingeschränkt fähig war. Es war ein so ehrlicher und wilder Laut, dass die Dämonin beschwichtigend und mit dem Ansatz eines Lächelns in den Mundwinkeln die Hände hob.

„Schon gut, du musst es mir nicht verraten“, sagte sie. „Solange du nicht negativ auffällst, spielt es keine Rolle wer du bist und was du tust. Deswegen habe ich dich auch gar nicht hergebeten. Ich habe dich hierher zitiert, weil ich eine Aufgabe für dich habe.“

Cael kniff die Augen zusammen, während sein Körper regelrecht unter Strom gesetzt wurde.

„Dafür, dass ihr mich gerettet habt, soll ich für euch arbeiten? Ist es das?“, spieh er, auch wenn dies eigentlich die falsche Reaktion war. Keine Frage, er war zutiefst dankbar dafür, von ihnen gerettet worden zu sein, aber es war ja nicht so, als hätte er sie darum gebeten!

Beim Gedanken daran, erneut die Drecksarbeit für jemanden erledigen zu müssen, wurde ihm speiübel. Sein Puls verdoppelte sich und ihm brach der kalte Schweiß aus.

„Nein“, sagte sie da plötzlich, süffisant grinsend. „Hör mir erst einmal zu. In den nächsten Tagen wird eine junge Frau in der Welt der Menschen auftauchen, die einiges zu lernen hat, allem voran, wie es hier in dieser Welt wirklich zugeht. Ich will, dass du sie im Auge behältst und dafür sorgst, dass sie keinen Unsinn anstellt. Wie du das machst ist mir egal, ihr darf nur nichts geschehen.“Cael schnaubte.

„Warum, zum Teufel, sollte ich den Aufpasser dieser Göre spielen?“, gab er misstrauisch zurück. Reagan grinste breit und zückte etwas, das sich als schwarze Kreditkarte entpuppte.

„Gib auf sie Acht und ich besorge dir das Leben unter den Menschen, welches du schon immer wolltest“, raunte sie verheißungsvoll, dann legte sie die Karte vor ihm auf den Tisch. Abwechselnd sah Cael vom Tisch zu Reagan. Er könnte sich genauso gut auch auf einen Deal mit dem Teufel einlassen, es hätte vermutlich die gleichen, katastrophalen Auswirkungen.

Die Geschehnisse der letzten Jahre hatten gezeigt, dass Reagan es völlig ernst meinte und auch absolut keine Hintergedanken besaß. Sie wollte Ordnung in dieser Welt und all ihre Schäfchen im Trockenen wissen, miese Tricks und Hinterhalte konnte sie sich da nicht erlauben. Und dennoch zögerte Cael.

Er hatte in seinem Leben schon viel verloren. Seine Liebe, seine Heimat, seine Freiheit... Wollte er da nun auch das letzte Bisschen seiner Selbst aufgeben, damit er endlich das bekam, was er wollte?Zitternd streckte er die Hand aus.

„Wie heißt sie?“, wollte er wissen. Reagan grinste, der Ball geriet ins Rollen...

 

Auf dem Dach des Steinway Towers stehend, breitete Reyna freudenstrahlend die Schwingen aus, um den Wind einzufangen. Sie konnte es kaum glauben, sie befand sich tatsächlich mitten in einer der größten Metropolen der Welt!

Wenige Meter hinter ihr hielt Michael sich mit kräftigen Flügelschlägen in der Luft, seine Tochter nicht aus den Augen lassend.

Selbst der feine und lästige Sprühregen hatte sie nicht davon abhalten können hier hinauf zu fliegen und die Stadt zu überblicken.

Reynas Begeisterung war so ansteckend, dass auch der Erzengel für einen winzig kleinen Augenblick lächeln musste, doch der Moment war nur all zu schnell wieder vorbei.

Michael hatte Angst um seine Tochter, denn Calli und er mussten ihrer Arbeit nachgehen und konnten somit nicht rund um die Uhr an ihrer Seite sein. Diese Stadt war gefährlich und Reyna war sich dessen nicht auch nur ansatzweise bewusst.

„Reyna, es wird Zeit“, drängte Michael nun. Zu seiner Verblüffung gehorchte seine Tochter ohne Wenn und Aber und nutzte einen Windstoß, um sich an seine Seite treiben zu lassen. Sie konnte es kaum erwarten, sich in diese Menschenmassen zu stürzen und hätte voller Aufregung wie ein Flummi durch die Gegend hüpfen können.

„Wohin gehen wir?“, fragte sie neugierig, während sie sich vom Wind tragen ließen, über den Central Park, hin zur Upper East Side, wo Michael und Calli lebten und es sich so manches mal auch ziemlich gut gehen ließen.

„Zu uns nach Hause“, erwiderte der Erzengel nun, über den rauschenden Wind hinweg. „Deine Mutter wartet schon. Du wirst solange im Gästezimmer unterkommen, bis wir uns überlegt haben, ob wir dir etwas eigenes suchen sollen.“Überrascht sah Reyna ihren Vater an. Das würden sie unmöglich erlauben, schließlich hätten sie somit nur noch weniger Kontrolle über sie. Und ging es nicht genau darum? Sie unter Kontrolle zu halten?

Weil Reyna nicht antwortete, sondern ihn einfach nur anstarrte, sah Michael sich dazu gezwungen noch mehr zu sagen. Er räusperte sich.

„Eines solltest du wissen, Liebes. Es gefällt mir nicht, dich unter den Menschen zu wissen und ich wünschte, es wäre nicht nötig. Aber bitte versprich mir, dass du dich benehmen wirst.“

Reyna schluckte, ehe sie nickte.

„Versprochen“, flüsterte sie, wohl wissend, dass ihr Vater es gehört hatte. Doch dem zerriss es das Herz zu wissen, dass die Versprechen seiner Tochter nicht immer etwas wert waren. Einst hatte sie versprochen immer ein liebes und artiges Mädchen zu sein, aber die Gene ihrer Mutter hatten sich einfach durchgesetzt.

Ungesehen von den Menschen setzten Michael und Reyna auf einem Balkon zur Landung an, welcher geradewegs in ein riesiges Apartment führte, in dem Calli und ihr Mann lebten und welches Reyna unverzüglich ins Staunen versetzte. Ihr offenbarte sich eine vertraute und intime Welt ihrer Eltern, von der sie nicht auch nur den Hauch einer Ahnung gehabt hatte. Sämtliche Wände des Apartments waren verglast und boten einen atemberaubenden Rundumblick auf Manhattan. Alles war großzügig geschnitten und liebevoll eingerichtet.

Callista und Michael hatten sich ihr eigenes kleines Paradies erschaffen und Reyna verspürte einen seltsamen Stich bei dem Gedanken daran, dass ihre Kindheit trotzdem nicht hier stattgefunden hatte. Der Vorwurf lag ihr schon auf der Zunge, doch sie schluckte als sie in das Gesicht ihrer Mutter blickte.

Nahezu unbemerkt fasste diese sich ans Herz als sie in das strahlende Gesicht ihrer Tochter sah, deren Wangen von ihrem Flug ganz gerötet waren. Calli liebte ihre Tochter über alles und freute sich, sie endlich in ihrem richtigen Heim stehen zu haben, auch wenn die Umstände nicht die besten waren. Sie erkannte, wie viel Zeit vergangen war und wie groß ihr Mädchen geworden war und dies ließ die Gefühle überquellen.

„Ach, Reyna“, murmelte sie und ging zu ihr, um sie fest in die Arme zu nehmen und sie gar nicht mehr loszulassen.

„Mom!“, presste Reyna hervor, hilfesuchend zu ihrem Vater blickend, doch dessen Lachen machte ihr klar, dass sie von ihm keine Hilfe zu erwarten hatte. Am Ende gab Reyna sich geschlagen und schlang die Arme um ihre Mutter.

„Es freut mich hier zu sein, Mom. Bitte zeig mir alles“, sagte sie leise. Das ließ Callista sich nicht zweimal sagen, sie fasste Reyna an der Hand und zog sie mit.

 

 

 

 

Kapitel 3

 

Voller Tatendrang, aber dennoch unschlüssig hatte Reyna beschlossen, die Stadt zu Fuß zu erkunden. Es hatte noch einige Bedingungen mehr für sie gegeben, so zum Beispiel das Smartphone, welches ihr Callista in die Hand gedrückt hatte, mit der strikten Anweisung sich sofort zu melden, sollte sie in Schwierigkeiten geraten. Selbst jetzt noch konnte Reyna darüber nur die Augen verdrehen. Sie war halb Engel, halb Dämonin, dass jemand wie sie in Schwierigkeiten geriet, war nicht nur unwahrscheinlich, sondern nahezu unmöglich.

New York war die Stadt der Menschen, was sollte hier schon groß geschehen?

Reyna grinste breit, als ihr der Stadtwind um die Nase wehte. Abgase, Kaffeeduft und ein schwacher Hauch von Donuts und Bagels, der ihr sogleich Lust auf Gebäck aller Art machte. Das Geld, welches Callista und Michael ihr gegeben hatten reichte noch lange nicht aus, für eine ausgedehnte Shoppingtour, doch ein gutes Essen wäre auf jeden Fall drin.

Reyna wusste jedoch von vorneherein, dass sie sich nicht so schnell für etwas würde entscheiden können. Ihre Sinne waren regelrecht überflutet, von all den Menschenmassen, dem geschäftigen Treiben auf den Gehsteigen und dem Chaos auf den Straßen.

Die Lautstärke um sie herum ließ ihre Ohren regelrecht klingeln, doch selbst die Tatsache, dass sie ständig von irgendjemandem angerempelt wurde, ließ Reyna grinsen.

Diese Stadt war nicht auch nur ansatzweise mit Amarya zu vergleichen! Es gab so vieles zu entdecken, dass sie wohl mehr als nur eine Woche brauchen würde. Beim Anblick der hohen Gebäude mit Bars, Drugstores und Cofféshops kam in ihr der Wunsch auf, sich tatsächlich ein eigenes kleines Apartment zu suchen, doch ganz so einfach würde das wohl nicht werden.

Ihre Eltern mochten mittlerweile vielleicht viel Geld besitzen, doch das galt nicht für sie. Wenn sie ihren Eltern wirklich etwas beweisen wollte, musste sie selbst an Geld herankommen und dies funktionierte in dieser Welt nur, wenn sie sich Arbeit suchte. Gut, es gab auch andere Methoden sich Geld zu beschaffen, doch die waren zum Großteil illegal und wenn Calli und Michael davon erfuhren, würden sie sie umbringen und auf der Stelle in Amarya einsperren.

Leise Selbstzweifel regten sich in Reyna, als ihr hin und wieder Dämonen und Gefallene über den Weg liefen, die bei ihrem Anblick zu tuscheln begannen. In ihrer Position war es vermutlich unter ihrer Würde, sich wie ein Mensch zu benehmen und zu arbeiten und wenn sie das doch unbedingt tun wollte, würde sie sich eine Aufgabe suchen müssen, die mit Amarya und den Engeln zutun hatte.

Reyna verteilte böse Blicke, als leise Beleidigungen ihr Ohr erreichten.

„Dreckiges Halbblut“, war nur eine davon. Dadurch bekam ihre gute Laune einen heftigen Dämpfer verpasst.

„Was ist euer Problem?“, fauchte sie in die Richtung einer kleinen Gruppe Halbstarker, ganz offensichtlich Dämonen, die nichts besseres zutun hatten, als ihr hinterher zu laufen und ihr Beleidigungen hinterher zu rufen.

„Was bist du für ein Vieh?“, grunzte einer von ihnen, als er bei ihrer Reaktion Fangzähne hatte aufblitzen sehen. Reyna rollte mit den Augen, konnte es sich aber nicht verkneifen zu fauchen: „Was auch immer ich bin, ich bin die Stärkere. Also verzieht euch!“

Wer wäre sie, wenn sie so etwas einfach ignorieren würde?

Man, was für ein Spinner, dachte sie, als die Kerle dreckig lachten und sich über ihre Antwort auch noch lustig machten. Einer von ihnen, klein und ziemlich unnütz wirkend, schnaubte verärgert.

„Man, die hält sich wohl für was besseres. Die Flügel dienen bestimmt nur zur Deko“, konnte sie ihn murmeln hören.

Weil Reyna klug genug war, keine Prügelei auf offener Straße anzufangen, betrat sie unverhofft und spontan ein kleines Café, in dem unglaublich viel zutun war. Sie betrat eine zuckersüße und rosafarbene Welt, in der der Geruch nach Muffins ihr Lust auf etwas Süßes verschaffte und sie somit abzulenken vermochte. Ein kleiner Schokokuchen war jetzt genau das Richtige, um ihre strapazierten Nerven zu beruhigen.

Sie stellte sich brav in die lange Schlange und dachte dabei über das nach, was gerade geschehen war. Ein kurzer Blick über die Schulter versicherte ihr, dass die Typen ihr nicht gefolgt waren. Was stimmte denn mit denen nicht?

Engel, die sich unter den Menschen bewegten, waren längst zur Normalität geworden. Na gut, die blauen Spitzen ihrer samtigen Federn entsprachen nicht der Norm, ebenso wenig wie ihre spitzen Fänge, aber heutzutage war doch nichts mehr unmöglich.

Es war nicht so, dass sie sich diskriminiert fühlte, bloß hatte sie nicht mit solch einer Feindseligkeit gerechnet. Es war nicht nur diese Truppe von Dummköpfen gewesen, wann immer ein Dämon ihren Weg gekreuzt hatte, war ihr ein feindseliger Blick gefolgt. Selbst die Gefallenen schienen über ihr Auftauchen nicht erfreut zu sein, was sie ehrlich gesagt ziemlich seltsam fand. Waren sie neidisch?

Eifersüchtig darauf, dass sie so hübsche Schwingen besaß und ihr ein hoher Posten inne wohnte?

„Miss?“

Reyna zuckte zusammen, denn sie war an die erste Stelle der Schlange angekommen und hatte nun einen freien Blick auf eine zwei Meter lange gläserne Auslage, in der Teilchen und Kuchen zu finden waren, die sie nicht einmal betiteln konnte.

Die Bedienung, eine junge Frau in ihrem Alter, sah sie erwartungsvoll und mit hochgezogenen Brauen an und dies sogar ziemlich unfreundlich. Reyna wurde klar, dass sie den ganzen Betrieb aufhielt und stammelte deshalb: „Oh, ich... Ich hätte bitte gerne einen Devils Cake und äh...“

Sie blickte auf die große Tafel über der Bedienung.

„Und einen Jasmintee.“

Sie hatte keine Ahnung was ein Frappucchino oder Moccha sein sollte und entschied sich deshalb für Tee, den sie kannte, doch irgendetwas schien sie damit falsch gemacht zu haben, denn die junge Frau hinter der Theke verdrehte die Augen und murmelte etwas, das sie nicht verstand.

Reyna war so schockiert von diesem Verhalten, dass sie sie einfach nur fassungslos und feindselig anstarren konnte.

„Sie sollten sich einen anderen Job suchen, ihre Unverschämtheit ist schlecht fürs Geschäft“, konnte sie es sich nicht verkneifen zu sagen, als die Frau ihr den Tee hinstellte und ihr das Stück Kuchen reichte. Zumindest wollte sie das, denn als sie Reynas Spruch hörte, schien eine Sicherung bei ihr durchzubrennen, denn sie krallte sich die Teetasse und holte mit Schwung aus. Gerade noch rechtzeitig wich Reyna zur Seite aus, was zur Folge hatte, dass der siedend heiße Inhalt der Tasse ihren Hintermann traf, und zwar genau ins Gesicht. Dann brach regelrechtes Chaos aus.

Reyna wich schockiert zurück, während der Mann, scheinbar ein Banker, anfing vor Schmerz zu brüllen und mit seinen Händen das Gesicht verdeckte. Die Leute, die hinter ihm standen, versuchten vergeblich ihm zu helfen, gleichzeitig geriet die Bedienung in Panik.

Sie versuchte zu verschwinden als ein Mann hinter dem Tresen auftauchte, der scheinbar ihr Vorgesetzter war. Reyna wusste, dass es falsch war, doch ungesehen in all dem Chaos, verließ sie eiligen Schrittes den Laden. Der arme Mann!

Nur weil sie nicht die Klappe halten konnte, war die Bedienung so ausgeflippt. Auf der Straße angekommen blickte sie von links nach rechts, dann lief sie eilig weiter. So begeistert sie anfangs auch gewesen war, nun fühlte sie sich fehl am Platz und alles andere als willkommen. Waren hier denn alle so unfreundlich?

Der Tag neigte sich langsam dem Ende zu und es wurde allmählich dunkel, dennoch entschied sie sich dazu, noch nicht nach Hause zu gehen. Sie wollte der Stadt und den Menschen noch eine Chance geben.

 

„Worauf habe ich mich da nur eingelassen?“, knurrte Cael leise, während er nach der Kreditkarte in seiner Hosentasche griff und diese umfasste. Gleichzeitig beobachtete er, wie die junge Schönheit von einer Gruppe Dämonen verfolgt wurde und anschließend ein Café betrat, aus der sie kurze Zeit später auch schon wieder heraus kam und dies ziemlich gehetzt wirkend. Cael war klar, dass sie etwas angestellt haben musste und wartete noch einen kurzen Moment, ehe er ihr folgte und dabei einen Blick in das Café warf, in dem gerade so einiges los war.

Reagan hatte Recht gehabt, dieses Mädchen konnte nur Ärger machen. Ganz so verwunderlich war das aber nicht. Beim Spazierengehen durch die Stadt hatte auch Cael ganz genau bemerkt, wie wenig willkommen sie hier war. Die Dämonen beschimpften sie und die Gefallenen hielten sie für hochnäsig und arrogant. Cael ehrlich gesagt auch. Reyna, so glaubte er war ihr Name, wollte sich dies nicht gefallen lassen und reagierte feindselig und vielleicht hatte sie nicht einmal eine andere Wahl. Sie konnte kein wehrloses Opfer sein, sonst würden auch Callista und Michael ihren guten Ruf verlieren.

Der hatte bereits einiges eingebüßt, denn ihr Kind war nichts weiter als ein Mischling. Sie fiel auf und dies war ein echtes Problem, wie Cael klar wurde, als er jene Gruppe Dämonen bemerkte, die ihr auch vorhin schon gefolgt war. Sie hatten ihr aufgelauert und verfolgten sie zielstrebig bis in eine Seitenstraße.

Cael stieß ein ungehaltenes Fluchen aus. Dieses verdammte Kind! War sie wirklich so blöd in der Dämmerung in eine Straße einzubiegen, in der sie ganz alleine war? Hatte sie denn kein Gespür für die Gefahr? Sie musste doch längst gemerkt haben, dass sie verfolgt wurde!

Cael beeilte sich, weil die Gruppe aus seinem Blickfeld verschwunden war, musste sich aber unbedingt etwas einfallen lassen. Bevor er die Seitenstraße betrat blickte er sich um und vergewisserte sich, dass es keine Augenzeugen gab. Er hatte Glück, wirklich niemand war in der Nähe, also betrat er die Gasse.

Ganz hinten, wo es eine Biegung nach links gab, standen die Dämonen und das Mädchen, weshalb sie ihn nicht bemerkten. Dies bot ihm die Chance eine Feuertreppe hochzuklettern, die sich an der rechten Hausfassade befand. Das hier fehlende Licht ermöglichte es ihm, von Balkon zu Balkon zu klettern und das Gespräch unter ihm zu belauschen.

„Ihr fangt an, mir wirklich auf die Nerven zu gehen“, fauchte das Mädchen mit einer ungewöhnlich melodischen Stimme. Sie konnte mit Sicherheit gut singen, dachte er nachdenklich.

Cael konnte nicht ganz hören was die Dämonen ihr darauf antworteten, denn sie sprachen zu undeutlich. Was er jedoch nur all zu genau mitbekam, war die Gewaltbereitschaft. Die leider auch von diesem törichten Mädchen ausging, verdammt noch mal!

Die Luft war so aufgeladen, dass er das Kribbeln sogar auf seiner eigenen Haut fühlen konnte. Er glaubte, dass die Dämonen den ersten Schritt machen würden, weil sie so auf Ärger aus waren, doch zu Caels Ärgernis und Verblüffung schien es Reyna zu werden.

Ihre Körperhaltung veränderte sich, sie legte die hübschen Schwingen eng an den Körper an und ihre Augen, die in der Dunkelheit glühten, verdunkelten sich und noch bevor sie zum Angriff übergehen konnte, beschloss Cael seinen Posten aufzugeben und einzuschreiten. Er sprang so vom Balkon, dass er genau hinter Reyna landete und sie an sich reißen konnte, gerade dann, als sie einen Satz nach vorne machen wollte.

Panik durchzuckte sie, doch sie reagierte blitzschnell und begann bereits sich zu wehren. Sie wollte lautstark losbrüllen, da packte Cael sie fester und presste ihr die Hand auf den Mund.

„Still!“, zischte er und es funktionierte. Seine ungewöhnlich raue Stimme ließ Reyna wirklich inne halten, jagte ihr sogar einen Schauer über den Rücken.

Die Dämonen hatten keine Ahnung was hier eigentlich los war und traten sogleich einige Schritte zurück. Und als sie sahen, welch unheimlichen Blick ihnen dieser Kerl zuwarf, drehten sie sogar ganz um. Sie taten so, als wäre überhaupt nichts geschehen, rissen in einer unnatürlichen Lautstärke Witze und verschwanden schließlich um die Ecke.

Es wurde still in der Seitenstraße und nun endlich ließ Cael das Mädchen los, sodass sie herumwirbeln und ihn anfauchen konnte.

„Was soll das? Wer bist du?“

Eine gefühlte Ewigkeit lang starrten die beiden sich einfach nur an, nicht wissend, was sie von dem jeweils anderen halten sollten.

Cael schluckte bei der Erkenntnis, wie hübsch die Kleine war.

Filligrane Gesichtszüge, riesige sturmgraue Augen und volle Lippen, die ihn auf den irrsinnigen Gedanken brachten, sie küssen zu wollen. Er riss den Blick von ihrem Mund los und betrachtete stattdessen ihr tiefschwarzes Haar, welches ihr glatt bis zum Po floss.

Jene Strähnen, die ihr Gesicht umschmeicheln sollten, mussten mit einer Klammer am Hinterkopf festgesteckt worden sein.

Caels Blick glitt über ihren schlanken Hals hin zu ihren Schultern, die aufgrund ihres schulterfreien schwarzen Pullis freilagen und bestaunte ihre Schlüsselbeine, die deutlich machten, welch zarten Körperbau sie besaß. Gar nicht zart hingegen war ihr C-Körbchen, sondern eher... perfekt. Ebenso wie ihre winzige Taille, die genau richtig gerundeten Hüften und die langen schlanken Beine, die in engen Jeans steckten und in schwarzen Sneakers endeten.

Sie hätte ein Model sein können, wären da nicht die gewaltigen Schwingen in ihrem Rücken, die angriffslustig gefächert waren und somit nur noch mehr von der blauen Färbung erkennen ließen. Die Feindseligkeit in ihren betörenden Augen und die Fänge, die sie gerade fauchend entblößte, passten so gar nicht in dieses perfekte Bild.

„Dein Schatten“, antwortete Cael nun auf ihre Frage und er wusste: Er konnte sie nicht leiden.

 

Reyna fühlte sich wie in einem schlechten Film. Erst wurde sie von allen beleidigt, dann hatte man sie verfolgt. Die Menschen behandelten sie unfreundlich und Dämonen lauerten ihr auf und legten es auf eine Prügelei an. Und als ob das nicht genügen würde, wurde sie nun auch noch von einem unheimlichen Typen angegriffen, der ihr auf den ersten Blick wohl aus der Patsche hatte helfen wollen. Seine seltsame Antwort ließ sie jedoch vermuten, dass er einfach nur ein durchgeknallter Psycho war, der nichts besseres zutun hatte, als sich nachts in den Gassen dieser Stadt herumzutreiben. Ein Obdachloser also?

Angewidert von diesem Gedanken betrachtete Reyna ihn von oben bis unten. Eigentlich war er eine sehr beeindruckende Gestalt.

Groß, beinahe so riesig wie ihr Vater, mit breiten Schultern, muskulöser Brust und Armen, doppelt so breit wie ihre Schenkel. Seine schwarzbraunen Haare und die stark gebräunte Haut deuteten auf südländische Abstammung hin, wäre da nicht die Tatsache, dass dieser Mann ein Gefallener war. Die karamellfarbenen Augen glühten zu sehr, um menschlich zu sein.

Reyna presste die Lippen zusammen als ihr durch den Kopf ging, wie hübsch sie ihn fand, dabei war er keine klassische Schönheit.

Seine Haare waren zu lang und verdeckten seine atemberaubenden Augen wahrscheinlich viel zu oft. Und seine Nase war ein klein wenig zu lang. Dafür empfand sie seinen schmalen Mund und die eigensinnige Kieferpartie umso sinnlicher.

Alles andere als sinnlich oder gar schön, waren die Narben, die sie entdeckte. An seinen Armen und allem voran an seinem Hals.

Reyna stockte der Atem, starrte unsicher die raue Haut an, die sich einmal rundherum ziehen musste, da sie unter seinen Haaren verschwand. Sie verstärkte den Eindruck eines gefährlichen Raubtiers ebenso, wie das schwarze enganliegende T-Shirt und die Jeans.

Wer, zur Hölle, war dieser Kerl? Ihr lag eine böse Erwiderung auf der Zunge, doch sie blieb still.

Ihr Schatten? Was sollte das bedeuten?

„Ich verschwinde“, stieß sie aus und wirbelte herum, um sich schleunigst aus dem Staub zu machen. Besser, sie fand nicht heraus wer dieser Mann war, dessen Stimme so unheimlich war, wie sein ganzes Erscheinungsbild. Ihre Eltern hatten Recht gehabt, irgendwie geriet sie immer in Schwierigkeiten.

„Schön hier geblieben, Prinzessin!“, ertönte es da plötzlich hinter ihr. Der Typ schnappte sich ihren Arm und riss so heftig daran, dass sie ein empörtes „Au!“ ausstieß, ehe sie gegen ihn prallte, und zwar genau gegen seine steinharte Brust. Sie wollte sich losreißen, hatte aber keine Chance bei seinen starken Armen, die sie an der Taille umschlangen. Er störte sich nicht einmal an ihren Fausthieben, die alles andere als schwach waren.

„Was soll das? Nimm deine dreckigen Pfoten weg, du ungehobelter Mistkerl!“, fauchte sie aufgebracht, doch es brachte nicht das geringste. Ein einziger geschickter Griff genügte und er hatte sie fixiert. Erschrocken und mit aufgerissenen Augen starrte sie ihn an, nicht sicher ob sie anfangen sollte zu schreien oder ihm ihre Fänge ins Fleisch schlagen sollte. Niemand durfte sie so behandeln, nur damit das klar war!

„Zuerst hörst du mir zu, du verzogene Göre“, kam es leise zurück, was Reyna nach Luft schnappen ließ. Er würde ihr nichts tun, denn sonst hätte er es schon längst getan, nicht wahr?

„Wie kannst du nur so dumm sein und um diese Uhrzeit in eine Gasse wie diese verschwinden? Hast du den Verstand verloren?“

Reyna hörte zwar, was er da sagte, konnte sich aber kaum darauf konzentrieren, zu sehr wurde sie davon abgelenkt, so an ihn gepresst zu sein. Die Wärme, die von ihm ausging, sorgte dafür, dass ihr der Schweiß ausbrach, da half es auch nicht, dass es in der Gasse mittlerweile recht kühl geworden war. Selbst durch ihre Kleidung hindurch konnte sie spüren, wie hart die Muskeln dieses Mannes waren. Das Gefühl ihrer Brüste, die gegen ihn gedrückt wurden, ließ sie schlucken.

Reyna versuchte sich zu bewegen, irgendwie frei zu kommen, doch dies hatte nur zur Folge, dass sie sich an ihm rieb und die Kleidung unangenehm auf ihrer Haut scheuerte, dies widerrum trieb ihr die Schamesröte ins Gesicht. Ihre Ohren und Wangen glühten und sie fühlte es nur all zu genau. Als ihr dann auch noch sein Geruch in die Nase stieg, hatte sie ihren Körper schlussendlich gar nicht mehr unter Kontrolle.

Er roch... ganz wunderbar! Da war kein Aftershave oder Parfüm, nur ein Hauch von etwas erdigem und... Leder.

„Du hörst dich genauso an, wie mein Vater“, fauchte sie dann auf einmal und schaffte es endlich, sich von ihm loszureißen. Der Mann, dessen Namen sie noch immer nicht kannte, ließ es geschehen und starrte sie feindselig an, was sie nur noch mehr auf die Palme brachte und offengestanden auch ein wenig seltsam fand. Er kannte sie nicht einmal und dennoch schien er sie nicht leiden zu können. Was stimmte denn mit den Leuten hier, in Manhattan, nicht?

Er antwortete ihr nicht einmal und aus diesem Grund stemmte sie die Hände in die Hüften und musterte ihn abfällig.

„Wie heißt du?“, wollte sie patzig wissen. Lange starrte er sie einfach nur an, den Blick auf ihre Fänge gerichtet, die beim sprechen ganz deutlich zu sehen waren. Sie fragte sich, was ihm wohl durch den Kopf ging, doch in seinem Gesicht war nicht die geringste Regung zu erkennen, bloß dieses böse Funkeln in seinen nahezu goldenen Augen.

„Das ist nicht von Belang“, knurrte er. „Und nun geh nach Hause, ehe ich dich persönlich bei deinen Eltern absetze und ihnen alles erzähle.“

Und da endlich dämmerte ihr, wer genau dieser Mann war und was „dein Schatten“ bedeuten sollte. Voller Misstrauen und mit zusammengekniffenen Augen trat Reyna sogleich einen Schritt zurück.

„Du bist mein Wachhund“, stellte sie fest. Beängstigenderweise reagierte der Kerl aber kaum darauf, er starrte sie einfach nur weiter an. Reyna fragte sich, aus welcher Gasse sie ihn aufgesammelt hatten und was sie ihm hatten bieten müssen, damit er diesen Job wirklich übernahm.

„Hm“, machte Reyna und wandte sich wieder um. Nun, wo sie wusste wer genau da auf sie aufpasste, konnte sie ihre Erkundungstour ja fortsetzen. Andererseits sah dieser Typ nicht so aus, als würde er Scherze machen, also ging sie doch lieber nach Hause, ehe ihre Eltern wirklich von ihm erfuhren, was heute alles geschehen war...