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1000 Jahre nach dem nuklearen Holocaust in den USA haben nur wenige Menschen den Krieg und die nachfolgenden Seuchen überlebt. Ihre Nachfahren sind wieder zu "Wilden" geworden, die das weite, zum Teil noch radioaktiv verseuchte Land als Jäger durchstreifen, oder sie haben sich in kleinen befestigten Siedlungen verschanzt. Allmählich bilden sich wieder kulturelle Zentren aus; so in Pelbar, der Zitadelle am Herz-Fluss, dem ehemaligen Mississippi. Auf gefahrvollen Expeditionen beginnt man die postatomare Wildnis des amerikanischen Kontinents zu erkunden. Die Innanigan, das stolze Volk der Ostküste, sind nicht gewillt, eine Grenze zwischen ihrem Gebiet und dem der Föderation anzuerkennen. Für sie sind die Bewohner der westlichen Ebenen unzivilisierte Wilde, deren Territorialanspruch null und nichtig ist und die es auszurotten gilt, um das Land in Besitz zu nehmen. Die konservativen Kriegstreiber und die aufstrebende Rüstungsindustrie scheuen kein Mittel, um ihre Politik durchzusetzen, selbst wenn sie dabei auf die schrecklichen Waffen der "Alten" zurückgreifen müssen. Ihre Gegner in den Ebenen haben dem nur eine Waffe entgegenzusetzen: das Schwert der Geduld – und eine überlegene Diplomatie.
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Seitenzahl: 492
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Die deutsche Ausgabe von PELBAR 7: DAS SCHWERT DER GEDULDwird herausgegeben von Amigo Grafik, Teinacher Straße 72, 71634 Ludwigsburg.Herausgeber: Andreas Mergenthaler und Hardy Hellstern,
Übersetzung: Irene Holicki; verantwortlicher Redakteur und Lektorat: Markus Rohde;Lektorat: Kerstin Feuersänger und Gisela Schell;
Satz: Rowan Rüster/Amigo Grafik; Umschlag-Artwork: Martin Frei.
Printausgabe gedruckt von CPI Moravia Books s.r.o., CZ-69123 Pohorelice.
Titel der Originalausgabe:
THE PELBAR-CYCLE BOOK 7: THE SWORD OF PATIENCE (1984)Copyright © Paul O. Williams und Kerry Lynn Blau
German translation copyright © 2016, by Amigo Grafik GbR.
Print ISBN 978-3-86425-848-0 (September 2016)E-Book ISBN 978-3-86425-886-2 (September 2016)
WWW.CROSS-CULT.DE
Den Menschen von Elsah gewidmet,durch die ich die vergangenen zweiJahrzehnte meines Lebens fasziniert,abwechslungsreich und bemerkenswertaktiv verbracht habe.
Der kalte Herbstwind blies Wolken trockener Blätter am Zelteingang vorbei – wie flüchtende Soldaten, dachte der Erhabene Peydan. Er zog seinen Umhang wieder um sich, erschauderte ein wenig und blickte zu dem Beobachter der Gesetzgebenden Versammlung hinüber. »Ich glaube, wir sind weit genug vorgedrungen, Borund.«
»Das hast du schon früher gesagt. Oft genug«, erwiderte der Beobachter mit den dichten Augenbrauen. »Die Kundschafter sind niemandem begegnet. Niemandem. Es hat den Anschein, als hätten die Peshtak dieses Gebiet verlassen.«
»Oder als wollten sie uns in eine Falle locken.«
»Mit dieser Truppe? Komm, Peydan. Du hast schon mit weniger als der Hälfte Männer erfolgreiche Vorstöße durchgeführt.«
»Wir wissen nicht, was diese Herzfluss-Föderation zu bedeuten hat. Vielleicht könnten es Verbündete werden. Beobachter, das ist eine militärische Entscheidung. Ich habe das Gefühl, dass die Legislative uns in eine Katastrophe hineindrängt.«
»Ach ja. Das sagtest du schon. Aber, wenn ich es denn noch einmal wiederholen muss, unser Standpunkt ist der, dass wir, auch wenn wir es ablehnen, eine Westgrenze festzulegen, ihren lumpigen Boten so weit im Westen absetzen wollen wie möglich. Wenn man es mit Wilden zu tun hat, muss man sie als solche behandeln, man muss …«
Borund hielt inne und schaute einen Mann in brauner Kundschafteruniform an, der gerade an der Zeltklappe erschienen war. Peydan winkte ihn schweigend herein. »Ja? Kontakt gehabt?«
»Ja und nein, Erhabener«, sagte der Mann und riss dabei in flottem Gruß seinen rechten Arm hoch, mit der Handfläche nach vorne.
Peydan erwiderte den Gruß mit einem leichten Winken. »Erkläre das.«
»Wir sind bis zum Peshtakdorf Ostag gegangen, Erhabener. Es war völlig verlassen.«
»Dann sind sie geflohen!« Borund schlug sich aufs Knie.
»Sind sie geflohen?«, fragte der Erhabene und zog die Augenbrauen hoch.
»Das glauben wir nicht, Erhabener. Sie haben die Häuser und Lagerräume geleert. Nichts war mehr übrig. Sie haben jeden Knochen und jeden Stecken mitgenommen, den sie nach Westen über die Berge schleppen konnten. Und das schon vor dem letzten Regen.«
»Also vor mindestens vier Tagen. Nun, Beobachter, dann hatten wir doch Kontakt. Bist du zufrieden?«
»Kontakt? Ich sehe das kaum als Kontakt an.«
»Man verlässt seine Häuser nicht zu Anfang des Winters.
Sie wissen, dass wir hier sind. Sie haben angefangen, etwas zu unternehmen, und das mit beträchtlicher Anstrengung und mit großem Aufwand.«
»Sie sind einfach vor uns geflohen. Wir können noch weiterziehen, ehe die warme Jahreszeit zu Ende geht. Dann können wir in Eilmärschen nach Osten zurückkehren, ehe das schlechte Wetter anfängt.«
Der Erhabene schaute den Kundschafter an, der immer noch strammstand. »Ist das alles? Oder gibt es noch etwas?«
»Ich … ich weiß nicht, Erhabener. Es ist wegen des Geländes vor uns.«
»Was ist damit?«
»Dieses breite Tal macht eine Biegung nach Süden. Wenn wir weiter nach Westen vorrücken wollen, müssen wir einen hohen Bergkamm überqueren und gelangen dann in ein schmales Tal. Der nächste Kamm in nord-südlicher Richtung ist dann noch höher und felsig. Wenn wir die Berge umgehen wollen, müssen wir mindestens fünfundzwanzig Ayas nach Süden. Es …«
»Ja?«
»Man hat kein gutes Gefühl dabei. Das ist in weitem Umkreis hier der letzte Ort, den wir einigermaßen verteidigen können. Vielleicht wurde Ostag aufgegeben, um uns weiter zu locken. Der Rückzug könnte sehr schwierig werden, wenn wir einmal diesen Kamm überquert haben. Und die Spuren – in Ostag –, da waren ein paar recht merkwürdige darunter: von einem großen, schweren Tier, das zum Ziehen von Lastschlitten eingesetzt wurde – und sogar von Karren, glaube ich. Es hat seltsame Abdrücke hinterlassen, wie Mondsicheln, aber länger. Wir haben mindestens vierzehn davon ausmachen können, alle verschieden. Es ist sonderbar. Schon dass die Peshtak Karren haben sollen, ist ungewohnt genug. Alles sehr geordnet. Ich habe Ocul und Zard weiter nach vorne geschickt. Ich sagte ihnen, sie sollten vorsichtig sein.«
»Ein großes Tier, das Karren zieht?«, überlegte Borund lachend.
»Ja, mein Herr«, murmelte der Kundschafter.
Draußen ertönten kurze, tiefe Hornstöße.
»Generalalarm!«, rief Peydan, stürzte hinaus, schaute mit der Hand über den Augen nach Westen über die Lichtung, die seine Männer geschlagen hatten, und suchte blinzelnd das Gestrüpp am Flüsschen ab. Ein zweiter Kundschafter kam vom Fluss auf das Lager zugelaufen. Auf der anderen Seite des Flüsschens saßen zwei Männer auf mächtigen Tieren, so groß wie Wildrinder – Tiere mit kleinen Ohren und langen Köpfen, die sie schüttelten und herumwarfen, während die Männer warteten. Einer der Männer trug eine Stange, an der eine braune, im leichten Wind träge flappende Fahne befestigt war. Der andere, das konnte der Erhabene Peydan sogar aus dieser Entfernung sehen, war ungewöhnlich groß.
»Da hast du deinen Kontakt, Beobachter«, bemerkte der Erhabene und ging, flankiert von Wachen, dem Kundschafter entgegen. »Lass die Männer in einer Reihe aufmarschieren, Leutnant«, sagte er dann zu einem kleinen, dunklen Mann, der an seine Seite geeilt war. »Stell Flankenschutz und eine Nachhut auf!«
»Es ist Ocul«, sagte der erste Kundschafter.
Der zweite Kundschafter kam endlich heran, die sich sammelnden Soldaten machten ihm Platz, er wurde langsamer und blieb keuchend vor Peydan stehen. Müde riss er die Hand zum Gruß hoch.
»Komm erst einmal zu Atem«, sagte der Erhabene. »Was hat das nun zu bedeuten?«
»Sie haben … Zard, Erhabener. Sie sagen, sie wollen ihn ausliefern, wenn wir … ihren Boten zurückgeben.«
»Diese Schweinehunde!«, fauchte Borund.
»Haben sie ihn verletzt?«
»Nein. Sie haben uns zu essen gegeben. Mit uns geredet. Haben mich auf … dem Pferd – diesem Tier da – zurückgebracht.«
»Wie viele?«
»Das weiß ich nicht, Erhabener. Ich habe etwa hundert gesehen, und etwa dreißig von diesen Pferden. Eine gemischte Gruppe. Die meisten sind keine Peshtak. Sie nennen sich die Herzfluss-Föderation. Die … da drüben … haben gesagt, sie möchten mit dir sprechen.«
»Bitte sie her!«
»Sie sagen, du sollst deine Männer ganz ins Lager zurückziehen und nahe am Fluss einen Tisch aufstellen lassen. Dann wollen sie kommen.«
»Zweifellos in Bogenschussweite vom Gestrüpp auf der anderen Seite«, sagte Borund.
»Misch dich nicht ein, Beobachter! Ocul, sag mir, was du davon hältst!«
»Ich glaube, sie werden uns nicht angreifen, Erhabener, wenn wir vorsichtig sind. Sie behaupten fest, dass sie nur den Boten zurückhaben wollen. Sie haben den vergitterten Karren gesehen. Das gefällt ihnen nicht. Sie sagten …«
»Ja?«
»Nur … Wilde und Verrückte würden sich so benehmen, Erhabener.«
»Zweifache Schweinehunde!«, brüllte Borund. »Was sind sie denn – diese Kindsräuber, Mordbrenner, Diebsgesindel – dass sie so etwas sagen dürfen!«
Peydan warf ihm einen schnellen Blick zu. »Der Große. Was ist das für einer?«
»Sein Name ist Arey. Er ist ein berittener Shumaigardist in der Herzfluss-Föderation. Er hat eine eben erst verheilte Armwunde. Sagte, er habe sie sich an der Portage am Bittermeer geholt, wo sie mit den Tantal gekämpft haben.«
»Wo ist diese Portage am Bittermeer?«
»Das weiß ich nicht, Erhabener. Er sagt, die Peshtak hätten mithilfe der Pelbar Ginesh zerstört. Er sagt, die Peshtak hätten sich ihrer Föderation angeschlossen und sprechen jetzt sogar mit den Coo.«
»Schlangen. Sie können sie gerne alle behalten.«
»Ja, Beobachter. Aber wir kommen auch ohne deine Gehässigkeiten aus. Was ist mit dem zweiten Mann?«
»Das ist ein Sentani aus einem Ort namens Koorb. Er ist noch jung. Sein Name ist Igna. Seine Mutter war eine Pelbar, aber mit Shumaivorfahren.«
»Mischlingsbrut«, murmelte Borund.
Peydan dachte nach und klopfte sich dabei mit seinem Stock ans Bein. »Und die Fahne?«
»Die Fahne des Herzflusses. Braun, Erhabener. Mit einem Herzen im Zentrum, das durch Streifen in Abschnitte unterteilt wird, einen für jede Gesellschaft.«
»Wie viele Abschnitte sind es?«
»Sieben. Es werden vielleicht bald mehr.«
Peydan wandte ihm den Rücken zu und ließ seinen Blick über das Lager schweifen. Es war kein guter Platz, nicht einmal, wenn man mehr als achthundert Mann hatte. Er drehte sich wieder um. »Sag ihnen, wir werden mit ihnen sprechen, Ocul! Leutnant, bring einen Tisch und vier Stühle! Borund, du kannst mitkommen, aber das Reden übernehme ich! Das ist eine militärische Angelegenheit.«
»Wohl kaum. Das ist ein Grenzstreit.«
Peydan seufzte. »Ich glaube, ich komme mit denen besser zurecht als mit dir, Borund.«
»Ich werde deine Bemerkung der Gesetzgebenden Versammlung melden.«
»Vorausgesetzt, dass wir hier jemals wieder rauskommen.«
Mit einiger Verzögerung brachten mehrere Innaniganisoldaten den Holztisch und die Stühle und stellten sie auf. Peydan nutzte die Zeit, um seinen Wachenkreis zu verstärken und dafür zu sorgen, dass seine Männer bereit waren. Endlich schritten er und Beobachter Borund, gefolgt von einem jungen Adjutanten, langsam durch niedriges Gestrüpp und Gras auf den Tisch zu. Während der ganzen Zeit saßen die beiden Reiter gelassen auf ihren Pferden und warteten.
Erst als die beiden Innanigani sich gesetzt hatten, trieben die Reiter ihre Pferde durch den steinigen Fluss und das Ufer hinauf bis zum Tisch. Arey, der große Shumai, saß ab und reichte Igna, dem Fahnenträger, seine Zügel. Dann drehte er sich um und ging auf den Tisch zu. Der Griff seiner in der Scheide steckenden Axt schlug beim Gehen leicht gegen sein Bein.
Der Erhabene spürte, wie sich ihm die Haare sträubten, als der Shumai ohne zu lächeln herankam und sich ihm ruhig gegenüber setzte. Er war kräftig gebaut, hellblond, hatte starke Muskeln und durchdringende, blaue Augen. Sein rötlicher Bart stand kraus und drahtig, aber sauber gestutzt ab.
Arey lächelte leicht. »Es war nicht nötig, unseren Boten so tief ins Peshtakgebiet zu bringen«, sagte er, während er sich die Hände rieb. »Er hätte sicher auch alleine gehen können.«
»Es ist nirgends festgelegt, dass das hier Peshtakgebiet ist«, sagte Borund. »Wir haben dem jedenfalls nicht zugestimmt. Bisher wurde keine Westgrenze gezogen.«
Der Erhabene Peydan warf ihm einen schnellen Blick zu. »Unser Kundschafter sagte mir, dass du ein Shumai bist. Mit Namen Arey? Ich bin der Erhabene Peydan, Kommandant dieser Verteidigungseinheit, und vertrete das Militär der drei Städte im Osten, insbesondere von Innanigan. Das ist Borund, der dieser Einheit zugewiesene Beobachter der Gesetzgebenden Versammlung. Wir sind nicht ermächtigt, Grenzabkommen zu schließen. Wir …«
»Seid ihr denn ermächtigt, diplomatische Abgesandte zurückzubringen, die wie Verbrecher behandelt wurden?«
»Den alten Peshtak? Natürlich. Wir werden ihn ausliefern. Aber du musst zugeben, dass es mehr den üblichen Gepflogenheiten entspräche, wenn wir wüssten, mit welcher Gruppe wir es zu tun haben. Könntest du uns das mitteilen?«
»Die Botschaft, die er überbrachte, enthielt doch sicher die grundlegenden Informationen. Du sprichst mit dem Einsatzkommandanten einer gemischten Verteidigungstruppe, die aufgestellt wurde, nachdem wir von eurem Zug nach Westen ins Territorium der Föderation erfahren hatten. Euer Beobachter kann sagen, was er will, aber dieses Gebiet wird seit Generationen von den Peshtak genutzt. Trotz der Einfälle der Innanigani. Ihr seid nie hiergeblieben. Die Peshtak schon, soviel ich weiß. Wir möchten gerne wissen …«
»Willst du uns glauben machen, Kommandant, dass ihr von so weit erst hergekommen seid, nachdem sich unsere kleine Gruppe für diesen Marsch nach Westen sammelte? Dass euch diese Information weit nach Westen zugetragen wurde und euch hierher führte? Ich glaube, unser Kommen hat damit nichts zu tun, ihr müsst schon seit einiger Zeit geplant haben, diese feindlichen Elemente zusammenzuführen.«
Arey lächelte offen. »Ihr könnt glauben, was ihr wollt. Ich spreche mit euch, weil ich einen letzten Versuch machen will, Feindseligkeiten zu vermeiden. Ihr könnt nicht mehr viel weiter gehen, ohne Ostag zu erreichen. Die Peshtak glauben, dass ihr es niederbrennen wollt. Das würden wir natürlich als feindseligen Akt betrachten. Wir könnten das nicht einfach zulassen, ohne darauf zu reagieren.«
»Wessen Leben willst du denn retten?«, fragte Borund.
Areys Gesicht wurde für einen Augenblick hart, aber dann lächelte er wieder, mit einem eisigen Funkeln in den Augen. »Vielleicht eures. Vielleicht meines. Vielleicht auch beide. Schau! Es gibt einen einfachen Ausweg. Ihr übergebt uns den Boten, in gutem Zustand, und wir geben euch Zard zurück. Wir wollen nicht, dass jemand zu Schaden kommt. Dann könnt ihr für diesen Winter nach Hause zurückkehren, und wir bringen der Föderation eure Antwort.«
»Und wenn es keine Antwort gibt?«, fragte Peydan.
»Keine Antwort? Es muss doch offensichtlich eine geben. Zwei Völker müssen eine Grenze haben. Es gibt genug leeres Land. Kein Anlass zum Streit. Wir brauchen uns nur zu einigen.«
»Und was ist, wenn wir die Grenze hier ziehen?«, fragte Borund und betrachtete dabei seine sauber geschnittenen Fingernägel.
Arey zögerte lange, schaute hinauf zu einem kreisenden Falken und sagte ruhig: »Du willst also wissen, ob wir um das ganze Gebiet zwischen hier und Tremai oder zwischen hier und dem Leynap kämpfen würden? Das kann ich nicht sagen. Wir müssten uns beraten. Es wäre wirklich kostspielig für euch, es zu halten. Aber für uns wäre es auch kein großes Vergnügen, darum zu kämpfen. Ich glaube nicht, dass ich den Kampf führen würde. Ich habe im Westen eine Familie. Man würde wohl eine größere Truppe schicken, könnte ich mir vorstellen. Die Föderation will einfach, dass Ordnung herrscht. Aber dazu besteht nicht viel Hoffnung, wenn ich sehe, wie ihr unseren Boten in einen Käfig gesperrt habt. Eine Chance gibt es jedoch. Meine Shumaiseele sagt, wir sollten mit Gebrüll hier hereinstürmen und eure Truppe in Stücke reißen, aber die Föderation ist – etwas sanfter.«
»Was zweifellos klüger ist. Diese Truppe könnten hundert Wilde nicht einmal ankratzen«, bemerkte Borund.
Darauf antwortete Arey mit einem schweigenden, funkelnden Lächeln, dann mit einem tiefen, kehligen Lachen. Peydan sträubten sich die Nackenhaare, und ein kleiner Schauder trippelte mit flinken kalten Füßen sein Rückgrat hinunter.
»Borund kann nicht für uns sprechen, Shumai. Er ist Beobachter, auch wenn er manchmal glaubt, dass er mit dem Mund beobachten muss. Aber im Grunde stimmt, was er sagt. Ich bin Soldat, wie … du in gewissem Sinne auch. Ich sehe durchaus ein, dass es sinnvoll ist, die Männer auszutauschen. Wir werden das jedoch nicht so auffassen, dass wir damit hier unsere Westgrenze anerkennen. Die Gesetzgebende Versammlung hat sich geweigert, sich auf so etwas einzulassen.«
»Ich habe nichts dagegen, Innanigani. Ihr seht zweifellos ein, dass die Föderation daraufhin einfach eine Grenze ziehen und euch mitteilen wird, wo sie verläuft. Dann werdet ihr euch mit ihrer Sicht der Angelegenheit auseinandersetzen müssen.«
Der Erhabene Peydan zog die Augenbrauen hoch. »Wir sind durchaus fähig, uns damit auseinanderzusetzen, wenn es so weit ist.« Eine leichte Schärfe hatte sich in seine Stimme eingeschlichen.
»Ich wünschte, du wüsstest, was du da sagst«, gab Arey zurück. »Ich habe mich ein ganzes Jahr lang mit fehlgeleiteten Angreifern herumgeschlagen, und das reicht mir. Es macht keinen Spaß, Menschen zu begraben – nicht einmal, wenn es Feinde sind.«
»Die Tantal? Der Kundschafter sagt, ihr hattet einen Zusammenstoß mit den Tantal?«
»Ja. Einen Zusammenstoß. Im Herzfluss-Gebiet, am Bittermeer.«
»Und ihr habt sie geschlagen? Mit großen Verlusten?«
»Ja. Wir haben sie geschlagen. Mit einigen Verlusten. Verluste gibt es immer, nicht wahr? Aber sie waren diejenigen, die teuer bezahlen mussten.«
»Ihr habt diese Tiere eingesetzt?« Peydan beschrieb mit dem Zeigefinger einen Kreis.
»Sie haben eine gewisse Rolle gespielt. Aber keine so bedeutende.« Arey verschränkte die Finger hinter dem Kopf und lehnte sich zurück.
»Und du willst uns sagen, dass ihr die ganze Strecke in diesem Jahr auf diesen Tieren zurückgelegt habt?«
»Nein. Natürlich nicht. Aber gekommen sind wir. Wir sind hier.« Wieder zeigte Arey sein hartes, funkelndes Lächeln.
»Das ergibt keinen Sinn«, sagte Borund.
»Wenn ich Stel wäre, würde ich sagen, du musst mir schon zugestehen, ein bisschen Mystifikation zu betreiben, aber da ich nicht er bin, sage ich nur, dass ich hier bin. Also. Es geht jetzt um den Austausch der Männer, nicht wahr? Aber da gibt es noch etwas. Wenn wir den Austausch hier vornehmen, möchten wir, dass ihr danach kehrtmacht und nach Hause zurückmarschiert.«
»Wir sind hier durchaus zu Hause«, sagte Borund mit einem tiefen Lachen.
»Ist man da zu Hause, wo man stirbt? Auf jeden Fall möchten wir gerne, dass ihr keinen Versuch unternehmt, Ostag zu verbrennen. Es wäre beschwerlich, es wieder aufzubauen.«
»Für euch.«
Arey schaute die beiden lange an. »Für euch auch«, murmelte er.
»Dann habt ihr vor, es zu verteidigen?«
»Wir haben vor, das Niederbrennen kostspielig zu machen.«
»Aber nicht unmöglich.«
Arey runzelte leicht die Stirn. »Nein. Ich könnte mir denken, dass ihr es schafft. Ich weiß, dass ich es könnte, wenn ich eine Truppe von achthundert Mann mit Bogen und Schwertern hätte, auch wenn sie hauptsächlich aus Stadtleuten besteht, die schon jetzt fußlahm und schlecht ernährt sind. Obwohl ihr schon genügend Kranke habt und nicht für den Winterkampf ausgerüstet seid. Natürlich …«
»Natürlich was?«
»Liegt es nicht in eurem Hinterland.«
»Nein. Aber ziemlich nahe dran.«
Arey starrte ihn an. »Tja«, sagte er und klatschte sich mit den Händen auf die Schenkel. »Seid ihr dann wenigstens zum Austausch bereit?«
»Bringt den Kundschafter ans Flussufer. Wir bringen den Peshtak. Dann nehmen wir den Austausch hier vor. Einverstanden?«
»Einverstanden«, sagte Arey, dann stand er abrupt auf, drehte sich um, nahm seine Zügel und stieg auf, alles mit einer einzigen, flinken, fließenden Bewegung. Er und sein Fahnenträger trieben ihre Pferde ein Stück weit rückwärts auf den Fluss zu, dann wendeten sie und trabten durch das Wasser in das Gestrüpp auf der anderen Seite. Das Letzte, was Peydan sah, war die auf und ab hüpfende Spitze der Fahnenstange im dichten Gebüsch.
»Dieser flohverseuchte Bastard«, sagte Borund. »So ein dreister Wilder. Willst du ihm den Peshtak geben? Einfach so?« Er schnippte mit den Fingern.
»Ich weiß es nicht. Sie wären auf jeden Fall wütend, wenn sie sähen, in welchem Zustand er ist. Man hat ihn nicht gut behandelt. Aber ich frage mich doch.«
»Du fragst dich? Was jetzt?«
»Er hat uns praktisch herausgefordert, Ostag zu verbrennen.«
»Ich dachte, er hätte gesagt, du sollst es nicht tun.«
»Natürlich. Will er damit sagen, dass sie das als Grenze verteidigen würden? Wir sollten es natürlich nicht tun. Damit hat er recht. Es liegt nicht in unserem Hinterland. Er kennt die Stärke unserer Truppe und ihre Bewaffnung. Er weiß, in welchem Zustand die Leute sind. Er hat uns nicht wirklich herausgefordert. Ich glaube, er hat es so gemeint.«
»Was hat er gemeint?«
»Er meinte, dass er keinen Kampf will. Und ich glaube, er hat uns gewarnt.«
»Dann ist er schwach. Hat sich verraten. Wir hätten sie beide erschießen sollen. Möglich wäre es gewesen. Die Männer waren in Schussweite.«
»Wir sind an dem Gestrüpp da drüben genauso nahe dran. Ich bin sicher, dass sie dort Männer postiert haben. Auch jetzt noch.«
Borund hob in plötzlicher Panik die Hände, dann fasste er sich wieder. »Sie sind fort. Wir ziehen uns am besten zurück. Schnell!«
»Nicht nötig. Sie wollen den Peshtak.«
»Trotzdem …«
Der Erhabene Peydan schritt langsam zu seinem Wachenkreis zurück und gab Befehl, den Peshtak zu holen und die Stühle und den Tisch wegzutragen. Dann blieb er stehen und klopfte sich mit einem Stock gegen sein Bein.
»Was hast du jetzt vor?«, wollte Borund wissen.
»Ich weiß es nicht. Wir müssen überlegen. Leutnant, formiere die besten Bogenschützen auf weite Distanz! Ich meine wirklich die besten. Sie müssen in der Lage sein, die Feinde zwischen uns herauszuschießen, wenn nötig.« Er schickte die Männer mit einer Handbewegung fort. »Trotzdem, die Sache gefällt mir nicht. Sie haben sich den Platz ausgesucht. Es wird schwierig sein, sie hereinzulegen.«
»Du musst es tun. Wir müssen an unseren Namen und unseren Stolz denken. Wir können nicht einer Bande von Gesindel weichen.«
»Dieser Arey. Ich würde ihn … kaum als Gesindel bezeichnen. Er ist … ein bisschen schwierig einzuschätzen. Ich glaube, er hat eindeutig etwas vor.«
Wie als Antwort flog aus dem fernen Gestrüpp in hohem Bogen ein langer Pfeil heraus und bohrte sich etwa fünfzehn Armlängen vor dem Wachenkreis in den Boden. An dem Pfeil war ein Zettel befestigt. Ein Soldat holte ihn und brachte ihn Peydan, der ihn entrollte und las. »Ihr braucht eure Bogenschützen nicht neu aufzustellen. Dies ist ein Austausch, kein Kampf. Es steht euch natürlich frei, euer Einverständnis abzuleugnen. Aber ihr werdet dabei verlieren.«
»Verfluchtes Pack!«, fauchte Borund.
Peydan seufzte. »Holt den Peshtak! Es hilft alles nichts.«
»Wenn du es wagst …«, begann Borund.
»Ich wage es. Sie haben die Lage in der Hand. Und Zard nützt uns jetzt mehr als der alte Mann. Außerdem können wir aus der Sache vielleicht immer noch Nutzen ziehen. Du, Leutnant, hol zwei Männer mit einer Bahre! Die sollen den Peshtak dorthin tragen, wo der Tisch war. Setzt ihn ab und kommt dann schnell zurück! Danach werden wir weitersehen. Bogenschützen, ihr achtet genau auf meine Befehle! Tut nichts, was den Kundschafter Zard in Gefahr bringen könnte!«
Die Innanigani taten wie befohlen. Der grauhaarige alte Mann warf sich unruhig auf der Bahre hin und her, als sie ihn im Laufschritt hinaustrugen. Aber sobald sie sich der vereinbarten Stelle näherten, trabte ein Trupp von fünf Reitern aus dem Dickicht, kam spritzend durch den Fluss und erstieg das Ufer. Sie trugen etwas zwischen sich. Die verängstigten Bahrenträger zuckten zusammen und ließen den alten Boten versehentlich zu Boden plumpsen. Als sie sich umdrehten, um nach ihm zu sehen, wurden sie durch die anstürmenden Reiter zur Seite gestoßen.
Die beiden ersten beugten sich hinunter, packten den Alten bei den Armen und rissen ihn hoch, wobei er vor Schmerz und Angst aufschrie, dann ließ der rechte Mann los, sodass ihn der linke vor sich über den Sattel werfen konnte, beide wendeten und rasten mit wilden, trillernden Schreien durch das Gestrüpp davon.
Die beiden anderen Männer schleppten den von Kopf bis Fuß gefesselten Kundschafter zwischen sich. Neben den Bahrenträgern ließen sie ihn fallen und folgten den anderen Reitern.
Der fünfte Mann, der Fahnenträger, hatte schon gewendet, als Borund schrie: »Schießt! Schießt auf die Bastarde!«
»Nein!«, rief Peydan, aber die Bogenschützen zogen schnell und ließen die Sehnen los. Als Antwort kam von Westen her aus den Büschen eine Serie von Blitzen und Detonationen. Acht Bogenschützen und Borund stürzten zu Boden.
Ein Pfeil war dem Fahnenträger in die Seite gedrungen, gerade als er den Fluss erreichte. Er schrie auf und schwankte, sein Pferd rannte spritzend durchs Wasser, zwei weitere Reiter brachen aus dem Gestrüpp, und einer packte die Fahne, der zweite den Reiter, schließlich traten sie in einem Durcheinander von Wasser und Tieren den Rückzug an.
Nun schossen die Bogenschützen am südlichen Wachenkreis und holten den Mann mit der Fahne aus dem Sattel, aber er klammerte sich an den Steigbügel und ließ sich aus dem Fluss heraus und ins Gebüsch ziehen. Die Fahne schleifte er hinterher, sie verfing sich in den Büschen und zerriss.
»Halt!«, schrie der Erhabene Peydan. »Zurück! Jetzt seht euch das an, ihr weißbäuchigen Aasfresser! Alle Leutnants! Befolgt die Befehle! Sofort!«
Als die Innanigani zurückzuweichen begannen, wurde von Süden her aus dem Gestrüpp ein Befehl gerufen, und sie sahen undeutlich, wie sich dort Gestalten bewegten. Dann war ein Geheul zu hören wie das der Reiter, und als es abbrach, blitzte und krachte es wieder aus dem Gebüsch, und mehr als ein Dutzend Bogenschützen stürzten. Der südliche Wachenkreis löste sich auf, die Leute rannten davon, bis die Offiziere sie mit Schlägen vorwärts trieben und ihnen befahlen, sich einzugraben, und da erklang wieder das Geheul, und auch das Krachen und Blitzen setzte von Neuem ein. Weitere Männer fielen schreiend zu Boden, die glücklicheren konnten sich ihre Wunden halten. Dann war aus dem Gebüsch und dem Wald nur noch wenig zu hören, obwohl die Innanigani aus der Ferne Rufe vernahmen.
»Nun, Borund, so viel zur Klugheit des Beobachters der Gesetzgebenden Versammlung«, bemerkte Peydan und starrte auf den Beobachter hinunter, dem zwei Männer das Hosenbein vom blutenden Oberschenkel schnitten.
Borund schrie auf, dann sagte er: »Leutnant. Leutnant Eplay! Zeig dem Erhabenen deine Befehle!«
Der schmächtige Leutnant griff in seine Seitentasche und überreichte Peydan ein zusammengefaltetes, versiegeltes Dokument. Der Erhabene zerbrach das Siegel, öffnete das Dokument und las es mit gerunzelter Stirn. »Nun«, sagte er. »So ist es also, wie? Ich bin meines Postens enthoben, sobald Borund es verlangt.« Er drehte sich seufzend um, klopfte sich mit seinem Stock gegen das Bein und fügte hinzu: »Schön, Leutnant Eplay. Du hast das Kommando. Du und Borund, ihr könnt die Truppe befehligen. Ich – ich habe wohl etwas dergleichen vorausgesehen, Borund, so, wie du dich ständig eingemischt hast. Nicht einmal als Verwundeter gibst du deine unglaubliche Dummheit auf. Sieh dir meine Männer an! Die Föderation hat eine kanonenähnliche Waffe, die wir nicht besitzen. Sieh dir doch dein eigenes Bein an! Und jetzt …«
»Kommandant Eplay«, murmelte Borund, »übernimm jetzt! Bezeige dem Erhabenen den schuldigen Respekt, aber isoliere ihn! Und sorge dafür, dass ich ärztliche Hilfe bekomme. Bitte.« Er hielt inne, zitterte und ächzte wegen der Schmerzen in seinem Bein, dann fügte er hinzu: »Jetzt ist es klar.«
»Was ist jetzt klar, Beobachter?«
»Wir müssen dieses Ostag verbrennen und dann nach Osten marschieren. Schnell.«
Eplay starrte ihn an. »Ostag verbrennen? Nach allem, was wir soeben erlebt haben?« Dann schluckte er. »Ja, mein Herr. Ich verstehe.« Sein Blick schweifte über die Szene. Dann drehte er sich um, ging hastig weg und rief dabei den Boten des Feldwebels Befehle zu.
»Hör zu, Peydan!«, sagte Borund und wälzte sich herum. Aber er sprach nicht weiter, denn er sah, dass der Erhabene fort war.
Den Angaben der Kundschafter folgend führte Leutnant Eplay seine Truppe lange vor Tagesanbruch weg, er ließ alle Vorräte einpacken und ein neues Lager auf einem steinigen, leicht zu verteidigenden Berg zwei Ayas westlich des alten Platzes errichten. Dann erstieg die Haupttruppe den Bergkamm und marschierte im Eiltempo auf Ostag zu. Sie trafen auf keinerlei Widerstand.
Die Dämmerung brach grau herein, mit ihr kamen die ersten Schneeflocken dieses Winters, und ein leiser Wind stöhnte hohl durch die kahlen Äste. Als sie am späten Vormittag in ein kleines Flusstal hinauskamen, lagen abgeerntete Felder vor ihnen und dahinter die niedrigen Hausdächer von Ostag. Das ganze Gebiet schien verlassen, vereinzelte Krähen auf den Häusern und auf der Straße verstärkten diesen Eindruck noch.
»Wir sind bis zu dieser Baumreihe gegangen«, sagte Ocul. »Nachdem wir das ganze Gebiet abgesucht hatten, Kommandant, schnitten sie uns mit den Tieren – den Pferden – den Weg ab, und dann nahmen uns die Männer in den Wäldern gefangen, als wir auf sie zuliefen. Sie hatten sich zwischen den Bäumen versteckt.«
»Ihr seid auf sie zugelaufen. Ich frage mich, ob wir das jetzt vielleicht auch tun?«
»Möglich.«
»Aber wir haben eine Armee. Mit so vielen Leuten könnten wir mit denen fertigwerden, die wir gesehen haben. Hier gibt es kein Unterholz. Wir haben fast siebenhundert Mann. Nach hinten scheint bis zur Nachschubwache alles frei zu sein, und die ist leicht zu schützen. Außerdem hat Borund darauf bestanden.«
»Es kann immer noch sein, dass Borund an seiner Wunde stirbt, Kommandant.«
»Das würde nichts ändern. Es sind noch zwei Leute von der Gesetzgebenden Versammlung hier. Die Kontrolle des Militärs durch die Gesetzgeber ist bei uns althergebrachte Tradition.« Eplay schüttelte den Kopf.
»Aber das ist noch nie so weit gegangen, dass man uns die Strategie diktierte, Kommandant.«
»Schluss damit! Du und Zard, ihr geht voraus, wenn wir hinuntermarschieren. Keine Angst! Wir sind ganz dicht hinter euch. Seid vorsichtig! Wir wollen die Sache schnell und sicher erledigen. Nur verbrennen und wieder abziehen. Noch vor Einbruch der Nacht sind wir wieder im Hauptlager.«
Ocul schaute ihn an, sagte aber nichts, dann gab er Zard mit dem Kopf ein Zeichen und trabte das Tal hinunter. Die ganze Truppe folgte ihnen in langsamem Trab über die Felder zum Dorf und verteilte sich hinter den Häusern und Lagergebäuden und auf der Hauptstraße. Dann traten sie Türen ein und stürmten mit schussbereiten Waffen in die Gebäude, fanden aber alles verlassen. Auf Befehle der Leutnants und Unterführer hin setzten sie die Gebäude in Brand, zogen sich auf die Straße zurück und marschierten dann auf dem Weg ab, den sie gekommen waren, während das Dorf in Flammen aufging und grauer Rauch und Funkensäulen in die kalte Luft aufstiegen.
Die ganze Operation dauerte weniger als zwanzig Sonnenbreiten. Der reibungslose Ablauf versetzte die Innaniganitruppe in Hochstimmung und Erleichterung, verursachte aber auch große Nervosität.
»Dann war es also ein Bluff!«, bemerkte Eplay zu einem Leutnant, als sie in schnellem Rückzug wieder zwischen die Bäume traten. »Borund hatte recht. Wir hätten das Dorf sogar besetzen können.«
»Nicht genügend Vorräte, um …«
Eine schwere Erschütterung und das Aufbrüllen einer Explosion schnitten dem Leutnant das Wort ab, vor ihnen flogen Erde, Männer und Waffen in die Luft. Die Offiziere rannten auf die schreienden Männer und die herabfallenden Trümmer zu. Neben dem Weg hatte sich ein langer, dampfender Graben aufgetan, und die ganze Gegend war mit beißenden Rauchwolken verhüllt, überall lagen gestürzte und zerrissene Männer. Andere stolperten betäubt und mit Schmutz bedeckt herum.
»Bildet einen Wachenkreis!«, schrie Eplay. »Helfer! Hierher! Hierher!«
Allmählich kam Ordnung in das Durcheinander. Die Innanigani hatten siebzehn Mann verloren, vier weitere waren kampfunfähig.
»Das ist eine Tantaltechnik, Kommandant«, bemerkte einer der Leutnants. »Versteckte Sprengsätze. Wir hätten die Kanone mitnehmen sollen.«
»Über diesen Berg? Da wären wir immer noch unterwegs. Formiert euch jetzt. Wir sind aufgehalten worden. Wir müssen weg von hier. Es ist immer noch Zeit …«
Vor ihnen krachten scharfe Explosionen, wie beim letzten Kampf, an einer bogenförmigen Linie entlang aus den Bäumen heraus. Die Offiziere bildeten eine Verteidigungsfront, dann rückten sie mit Bogenschützen an der Spitze vor. Sie fanden niemanden. Die Truppe hatte weitere sechs Mann verloren.
»Kommandant«, sagte Ocul. »Wir müssen weiter, wenn wir heute noch zurückkommen wollen. Ich glaube …«
»Ja?«
»Das deutet darauf hin, dass sie das vorgeschobene Lager angreifen wollen. Wie Peydan es für möglich gehalten hat.«
»Die Lage ist gut, und es sind fast hundert Mann zur Verteidigung dort. Du kennst das Terrain besser als jeder von uns. Was schlägst du vor?«
»Nichts. Wir haben den besten Weg genommen. Wir müssen …«
Wieder krachte eine Salve von Süden her, noch mehr Männer stürzten. Diesmal sahen sie die Feinde, wie sie durch die Bäume zurückliefen.
»Die Wilden haben eine furchtbare Waffe«, bemerkte ein Leutnant zu Eplay, während sie einen Verwundeten untersuchten. »Sieht so aus, als wäre es eine kleine Ausgabe unserer Kanone.«
»So etwas hatte man schon läuten hören. Von den Tantal. Wir arbeiten gerade jetzt daran. Es ist eine Waffe aus alter Zeit. Im Museum steht eine. Schon bald werden wir bessere haben.« Er seufzte. »Aber jetzt …«
»Wir müssen uns eben, verdammt noch mal, durchkämpfen!«
»Richtig. Die einzige Möglichkeit. Na, dann mal los!«
Es war ein alptraumhafter Tag für die Innanigani. Noch sechsmal gerieten sie in das Gewehrfeuer der Leute vom Herzfluss, und jedes Mal verloren sie weitere Männer. Erst lange nach Einbruch der Dunkelheit erreichten sie den Felshang, wo das vorgeschobene Lager errichtet worden war. Lange ehe sie dort ankamen, rochen sie den dichten Rauch. Das Lager war überrannt und zerstört worden. Alle Vorräte, die Kanone samt Munition, Zelte und Nahrungsmittel hatten die Feinde erbeutet oder verbrannt. Die toten Innanigani lagen aufgereiht da – neunundsechzig insgesamt. Neben ihnen lagen elf Verwundete in ihren Decken, fünf Mann hatten die Feinde zurückgelassen, damit sie sich um diese kümmerten.
Sie waren sehr ernüchtert. Es war ein harter Kampf gewesen, erklärten sie, aber die Westländer waren hinter Holzschilden vorgerückt, die sie fast völlig schützten, und hatten mit ihren Explosionswaffen daneben herausgeschossen. Schließlich war es Mann gegen Mann gegangen, und die Innanigani hatten gut gekämpft. Aber es hatte nichts genützt.
Zum Schluss hatte sich Peydan, der das Kommando übernommen hatte, als der Kampf begann, ergeben. Die Westländer hatten Peydan, den verwundeten Borund und vier Männer gefangen genommen, die ihn tragen mussten. Sie hatten die Verwundeten versorgt und die Toten eingesammelt. Dann hatten sie Karren gebracht und ihre Toten und die meisten Vorräte weggeschafft; den Rest hatten sie verbrannt. Ein Mann sagte, mindestens dreißig Feinde seien getötet worden, einschließlich neun der blonden Reiter, die mit begeisterter Hingabe gekämpft hatten. Die anderen waren meist Peshtak gewesen, glaubte er.
Eplay befahl, die Toten ins Hauptlager zu bringen und zu begraben. Dann gab er Anweisung, den Wachenkreis zu verstärken und tiefer einzugraben. Da es ziemlich heftig zu schneien begonnen hatte, ordnete er einen großen, bewachten Trupp dazu ab, am Fluss Tannen zu fällen und Unterstände zu bauen, da sie alle Zelte verloren hatten. Diese Arbeit zog sich über einen großen Teil der Nacht hin.
Sobald ein großer Unterstand für die Offiziere aufgestellt worden war, berief er eine Versammlung ein. Die Männer saßen im Kreis um ein qualmendes Feuer auf dem kalten Boden. Alle wirkten erschöpft und verbissen.
»Ich brauche euch nicht zu sagen, wie schlimm unsere Lage ist«, begann Eplay. »Wir müssen von jeglichen Vorräten einhundertvierzig Ayas entfernt sein. Wenn wir auf die Jagd gehen, sind wir in Gefahr. Wir werden jede Nacht Unterstände bauen müssen. Die Männer haben keine Decken. Wenn der Feind entschlossen genug vorgeht, könnten wir die ganze Truppe verlieren.«
»Nein, Kommandant«, meldete sich ein Mann zu Wort. »Wir sind zwar sehr schlimm dran, aber so schlimm nun auch wieder nicht. Das Nachschublager wurde nur von etwa zweihundert Mann angegriffen.«
»Wir dachten, sie hätten nur etwas über hundert. Vielleicht haben sie noch mehr zurückgehalten. Oder sie bekommen noch Verstärkung. Borund behandelte sie mit Geringschätzung. Ich glaube, das können wir uns nicht leisten. Sie haben Pferde, die Explosivwaffen und die versteckten Sprengsätze. Wir haben gesehen, dass sie klug vorgehen und sich nicht scheuen, zu kämpfen. Außerdem …«
Die Männer schauten ihn im flackernden Feuerschein abwartend an. Dann sagte einer: »Außerdem befinden wir uns auf ihrem Gebiet. Sie haben uns gewarnt, und wir haben die Waffenruhe gebrochen.«
»Das ist alles nicht festgelegt«, zischte ein anderer.
»Du kannst dich dazu stellen, wie du willst«, sagte Eplay. »Festgelegt ist es vielleicht nicht, dass das ihr Gebiet ist. Aber wir haben einen Austausch vereinbart und dann mit Pfeilen auf die Männer geschossen, die ihn durchführen wollten. Auf Borunds Befehl. Das ist eine Tatsache.«
»Sie sind Wilde«, sagte der zweite Mann.
»Aber wir haben uns wie Wilde benommen«, gab der erste zurück und löste damit bei den anderen eine Welle der Empörung aus.
»Schluss damit! Wir sollten das alles gut sein lassen. Wir müssen entscheiden, was nun zu tun ist. Wirklich gute Lösungen gibt es nicht. Aber wir können die schlechten minimieren. Die schlechten sind Verhungern, Erfrieren, Krankwerden …«
»Und die Feinde anzugreifen.«
»So schlecht wäre das vielleicht gar nicht. Wir könnten sie schlagen.«
Wieder diskutierten die Offiziere alle auf einmal, wenn auch leise. Eplay klatschte in die Hände und verlangte Ruhe. »Ich würde lieber angreifen, wenn wir uns die Bedingungen besser aussuchen könnten. Und was wollen wir jetzt wegen der Verpflegung unternehmen?«
Die Männer saßen schweigend da. »Fischen«, sagte schließlich einer. »Nach Osten marschieren, bis wir auf einen Fluss treffen, und dann fischen.«
»Zu weit. Der nächste ist der Cwanto, nördlich von Tremai.«
»Die Kundschafter müssen auf die Jagd gehen. Wir schicken ein paar Leute mit.«
»Der Feind wird sie abschießen.«
»Niemand hat behauptet, dass es eine Ferienreise wird.«
»Einige schon.«
»Das kannst du dir sonst wohin stecken.«
»Willst du es versuchen?«
»Schluss!« Eplay hob die Hände. »Wir sollten ihnen den Kampf nicht abnehmen. Morgen früh schicken wir die Kundschafter aus. Am Vormittag zieht die gesamte Truppe nach Osten. Am Spätnachmittag errichten wir ein neues Hauptlager. Fragt die Männer! Es muss hier Nahrungsmittel geben, die wir plündern könnten, wenn wir es herausbekommen. Und jetzt wollen wir den Rest der Nacht zum Schlafen nutzen. Keine Fragen mehr. Auf!«
Die Männer blieben noch eine Zeit lang am Feuer. Dann ging einer, die anderen rafften sich auf, und bis auf einen folgten ihm alle. Der, der geblieben war, blinzelte Kommandant Eplay an. »Tatsache ist, Kommandant, dass Peydan die ganze Zeit recht hatte und Borund, dieses Arschloch, uns in diesen Schlamassel gebracht hat. Das wissen die Männer. Sie wissen auch, dass du Borunds Mann bist. Du musst kühn und entschlossen handeln. Sonst geht die Macht direkt ins Herz der Gesetzgebenden Versammlung über.«
»Klemm dir das sonst wohin, Sharitan. Meinst du, ich weiß das nicht? Im Augenblick kümmert mich die Gesetzgebende Versammlung nicht allzu viel. Wir haben fast einhundertfünfzig Mann verloren, und noch mehr sind verwundet. Ich muss diese Männer hier hinausbringen.«
»Hör zu, Kommandant! Ich habe eine Idee. Sie könnte funktionieren. Sie ist kühn, könnte aber auch zu einer neuen Katastrophe führen. Aber vielleicht bringt sie die Wende.«
Eplay setzte sich auf und seufzte müde. »Lass hören, Sharitan! Schlafen kann ich sowieso nicht.«
Der Erhabene Peydan versuchte zu schlafen, aber es gelang ihm nicht. Obwohl er eine Decke unter sich und einen Pelzmantel über sich hatte, lag er auf dem Boden nicht bequem. Seine Wunden waren nicht schwer, aber lästig, und es wurde fast Morgen, ehe ein schweigsamer Sentanijäger kam, um sie zu verbinden. Der Wilde war ein alter, leicht o-beiniger Mann, fast kahl, mit buschigen weißen Augenbrauen.
Ein Peshtakjunge kniete nieder und hielt die flackernde Lampe, während er arbeitete. Den Mund hielt er die ganze Zeit fest geschlossen und die Mundwinkel nach unten gezogen. Als er beinahe fertig war, kam ein junger Mann in einer braunen Jacke und beugte sich zu ihm hinunter.
»Mokil«, flüsterte er, als traue er seiner Stimme nicht.
Der Alte schloss die Augen, ließ den Kopf hängen und sagte: »Nein, nein.«
»Es tut mir leid«, entgegnete der Mann. »Soll ich weitermachen?«
»Nein.«
»Ich warte auf dich.«
»Warte nicht! Es sind zu viele zu versorgen.«
»Gut. Atou wird uns bei Kräften halten.« Er berührte den Alten leicht an der Schulter.
»Wie auch immer.«
Der junge Mann stand auf und verschwand im Dunkeln, seine Schritte waren auf den gefrorenen Blättern kaum zu hören. Mokil drehte sich um und sah ihm für einen Augenblick nach, seine Hände, mit denen er die braunen Binden hielt, zitterten. Dann wandte er sich wieder seiner Aufgabe zu.
Als er fertig war, schaute er zu Borund hinüber, der im Fieber lag und dessen Bein angeschwollen war. Dann stand er auf und drehte sich um.
»Willst du ihm nicht helfen?«, fragte der Erhabene.
Mokil wandte sich wieder um, kam zurück und hockte sich neben den Erhabenen. »Ich war dabei«, sagte er mit heiserer Stimme. »Ich sah, wie Igna bei dem Gefangenenaustausch die Fahne hielt. Ich sah, wie dieser Kerl dort den Befehl gab. Ich sah, wie der Pfeil Igna traf, und half, ihn hierher zu tragen. Jetzt erfahre ich, dass er gerade gestorben ist. Das hätte nicht geschehen müssen. Nichts von alledem. Dieses stinkende Stück Scheiße hat es angezettelt, genauso, wie man im Herbst ein Präriefeuer entfacht und zusieht, wie es vor dem Wind her rast und alles zerstört. Nein. Ich werde ihm nicht helfen. Ganz gleich, was mit ihm geschieht; selbst wenn er elend verreckt, wird er nur einen winzigen Bruchteil der Schmerzen empfinden, die er verursacht hat. Bei unserem Volk. Bei deinem. Mit euch ist es wieder genauso wie mit den Tantal. Und ihr werdet das gleiche Schicksal erleiden.«
»So handeln zivilisierte Menschen nicht.«
»Du nennst es also zivilisiert, einen Waffenstillstand zu brechen?« Mokil hockte lange Zeit schweigend da. »Als ich viel jünger war«, begann er mit gedankenverlorener Stimme, »führte ich eine Sternenbande auf die Winterjagd. Einer meiner Männer verletzte sich am Bein. Durch ungewöhnliche Ereignisse wurde er nach Nordwall, einer Pelbarstadt, gebracht und dort gesund gepflegt. Wir waren damals Feinde, aber eigentlich ohne vernünftigen Grund. Wir waren uns einfach fremd, zu verschieden. Es war so üblich. Er lernte eine Pelbarfrau kennen. Sie heißt Ursa, eine blonde Frau mit Shumaivorfahren, die man als Baby dort zurückgelassen hatte. Im Frühling wurden Winnt und Ursa in Nordwall getraut, die ganze Sternenbande war dabei und ganz Nordwall. Ehe die Feier zu Ende war, kamen einige Shumai. Es wurde nicht gekämpft. Einer von ihnen kannte Jestak, den Pelbar. Einem anderen … hatten Ursa und Winnt geholfen.
Am nächsten Morgen fuhren wir in unseren Booten fort. Ich war immer überzeugt, dass Igna in dieser Hochzeitsnacht gezeugt wurde, das erste Kind eines neuen Friedens. Mit ihm begann die Umgestaltung des ganzen Herzfluss-Tales. Igna. Er hatte die Augen seiner Mutter. Wie sollen wir es ihr sagen?«
»Er hat sich in Gefahr begeben, wie alle anderen auch.«
»Er trug die Fahne. Er war unbewaffnet. Dieser … – nun, wenn die zwei Sternenbanden von Koorb kommen, wird Winnt dabei sein. Er hat nach dem Gesetz der Sentani ein Recht, einen Anspruch auf das Leben von diesem Kerl hier.«
»Nein«, murmelte Borund. »Ich wurde im Krieg gefangen genommen.«
»Igna war Fahnenträger und wurde im Frieden getötet. Darum geht es doch.«
»Ihr werdet merken, dass es nicht ratsam ist, Gefangene grausam zu behandeln«, sagte Peydan. »Wir sind nicht hilflos.«
»Sobald es hell wird, zeige ich dir den alten Peshtakboten, den ihr uns zurückgegeben habt. Bei euch ist Grausamkeit gegenüber Gefangenen offenbar etwas Normales. Du warst der Kommandant.«
»Ich hatte strenge Befehle. Du weißt doch, dass ich abgelöst wurde.«
»Von diesem hier, dem mörderischen Wolf, der das Rudel anführt?«
»Es ist eine politische Angelegenheit. Wir haben das Recht, uns zu verteidigen.«
»Und das tut ihr, indem ihr Ostag niederbrennt? Tief im Gebiet der Herzfluss-Föderation? Hm.«
»Wir erkennen nichts dergleichen an. In dieser Gegend hat sich das Peshtakgesindel festgesetzt. Eindringlinge. Gesetzlose Mörder. Die die Ernte verbrennen und Hinterhalte legen.«
Unvermittelt stand Mokil auf. Ohne ein weiteres Wort nickte er dem Peshtakjungen zu, und sie gingen.
Nach Tagesanbruch trabten zwei Männer auf Pferden ins Lager und saßen ab. Peydan sah sie miteinander sprechen und gestikulieren. Er beobachtete, wie Arey, der große Shumai mit dem Arm in der Schlinge, zu ihnen hinhinkte. Andere sammelten sich. Da war etwas im Gange. Ein großer Sentani blies einen lang gezogenen, klagenden Ruf auf einem Kuhhorn, dann eine Reihe einzelner Töne, die von Hornsignalen jenseits einer Anhöhe erwidert wurden.
Peydan seufzte und fröstelte. Er schaute zu Borund hinüber, der in düstere Gedanken versunken schien und Schweißperlen auf der Stirn hatte. »Was glaubst du, was das ist?«, fragte der Erhabene.
»Unsere Leute. Unsere Leute kommen und holen uns!«, stieß der Beobachter keuchend hervor.
Über die Anhöhe kamen Shumaireiter, der Atem von Menschen und Tieren zog in Wolken hinterher, als sie verschwanden. Der Erhabene begann zu zählen, aber nun ritten die Gruppen im Trab vorbei nach Norden. Er sah bestimmt mehr als hundert. Alle hatten diese Explosivwaffe – bis auf Arey, dessen Axt auf seinem Bein lag. Irgendwie fühlte sich Peydan unaussprechlich müde. Er wusste, dass er gute Männer hatte, aber auch diese Männer hier waren gut. Es würde noch mehr Tote geben. Die ganze Expedition konnte aufgerieben werden, selbst wenn seine Innanigani standhielten und tapfer kämpften. Er dachte über die Worte des alten Mannes nach – des Sentani mit Namen Mokil.
Eine Gruppe von Peshtak folgte den Reitern in flottem Tempo, und danach kam eine gemischte Gruppe aus Sentani und jenen anderen in den braunen Mänteln – das mussten Pelbar sein. Das ganze Lager begann sich zu leeren bis auf die Wachen und jene, die die Verwundeten pflegten.
Peydan lag unbequem und ohne Essen bis zum späten Vormittag da, dann hörte er wieder eine Folge einzelner Horntöne, und eine große Sentanibande trabte, sichtlich müde von einem langen Lauf, ins Lager. Aber sie entfernten sich gruppenweise und errichteten einen Kreis von kleineren Lagern. Peydan sah Mokil, den alten Mann, mit einem großen, schlanken Mann sprechen und in seine Richtung deuten.
Der Mann zögerte, dann kam er auf die beiden Gefangenen zu. Peydan wälzte sich auf dem Boden herum und zerrte an seinen Fesseln, und als der Mann näher kam, überfiel ihn ein sonderbares Entsetzen, schlimmer als tags zuvor bei seiner Gefangennahme. Der Mann trat auf sie zu, blickte den Wächter an, nickte, schaute auf die beiden hinunter und ließ seine Augen von einem zum anderen schnellen.
»Du musst Winnt sein«, sagte Peydan, so ruhig er konnte. Der Mann antwortete nicht. Borund regte sich stöhnend. Winnt drehte sich um und starrte ihn lange an. Dann wandte er sich ab und ging weg, kehrte aber bald mit einer Schale warmen Wassers und mit Verbandszeug wieder.
Er kniete neben Borund nieder, zog die Felle zurück und legte die Wunde in seinem Bein frei, die schwarz und entzündet war. Borund wand sich auf dem Boden und schrie.
»Mokil!«, rief Winnt.
Der Alte humpelte mit grimmiger, zweifelnder Miene heran, dann hielt er Borund ohne ein Wort an den Schultern fest und legte sich mit seinem ganzen Gewicht auf ihn. Der Beobachter kreischte vor Schmerz, während Winnt seine Wunde behandelte, sie aufschnitt, badete und verband. Dann überprüfte Winnt die Stricke, mit denen er gefesselt war, und deckte ihn wieder zu.
»Schweinsgedärm!«, fauchte ihn Borund keuchend an. »Wenn du mich umbringen willst, dann mach schon! Los! Ich habe keine Angst vor dreckigen Peshtak!«
»Schnauze, Borund!«, sagte Peydan.
Winnt setzte sich nur auf die Fersen und schaute auf den Beobachter hinunter. Dann warf er einen schnellen Blick zu Peydan herüber. Irgendwie trafen sich ihre Blicke, und sie fixierten sich einen Augenblick lang. »Ich …«, begann Peydan, fand sich aber nicht in der Lage, weiterzusprechen.
Winnt erhob sich, wandte den beiden den Rücken zu und blieb lange bewegungslos stehen. Dann schritt er durch die trockenen Blätter davon. Es hatte wieder zu schneien begonnen, und große Flocken trieben im kalten Wind schräg herab. Weit im Norden hörte man schwach das Krachen der Explosivwaffen. Winnt ging, ohne zu zögern oder sich umzudrehen, auf seine Spitzenbande zu, und der Wind drückte seinen Pelzkragen flach.
An diesem Morgen hatte Eplay lange vor Tagesanbruch seine erschöpften Offiziere im Hauptlager zusammengerufen. Sie kauerten um ein Feuer, das seine Männer mit einem hastig zusammengebauten Windschutz aus Tannenreisig umgeben hatten. »Die Lage ist folgende. Wir haben einen langen, entbehrungsreichen Marsch vor uns, wenn wir uns jetzt auf den Heimweg machen. Dann ist dieser ganze verdammte Feldzug verloren. Vielleicht raubt uns der Hunger mehr Menschen als vorher die Wilden. Nun, Ocul sagt, es gibt noch ein Peshtakdorf, Turnat heißt es, ungefähr siebenunddreißig Ayas nördlich von hier, genau dieses Tal hinauf, das sich ein wenig nach Osten wendet.
Die Feinde sind nach Süden gezogen. Wir wissen, dass sie ziemlich angeschlagen sind. Wir glauben, dass sie gar nicht so zahlreich waren. Sie haben nicht unsere ganze Truppe angegriffen, sondern uns dazu verleitet, uns aufzuteilen.
Jetzt möchte ich sie gerne noch einmal aufteilen, aber zu einem ganz bestimmten Zweck. Wenn die Hälfte der Truppe unseren Feinden nach Süden folgt, können wir sie angreifen und dort festhalten. Wenn die andere Hälfte einen Gewaltmarsch nach Norden macht, können wir dieses Turnat überfallen und uns die Wintervorräte holen. Danach können wir uns wieder vereinigen und nach Hause ziehen. Nun?«
Nach einem Schweigen meinte ein Unterführer, ein älterer Mann mit einem Saum grauer Haare um seinen Kahlkopf: »Die Männer sind fast am Ende, Kommandant. Müde und hungrig. Ich weiß nicht recht …« Damit verstummte er.
Ein zweiter Mann stand auf. »Leutnant?«, fragte Eplay.
»Ich weiß nicht. Wenn wir alle in Gewaltmärschen genauso weit nach Osten gingen, ließen sie uns vielleicht ziehen. Wir haben sie praktisch zum Kampf mit uns gezwungen. Aber wenn wir in diesem Turnat wirklich Vorräte bekommen können …« Auch er sprach nicht weiter.
»Wir könnten ihrem Sieg die Spitze abbrechen«, sagte ein anderer Leutnant.
»Vielleicht«, meinte ein zweiter Unterführer. »Aber was ist, wenn nicht?«
»Dann brennen wir in jedem Fall noch ein Dorf nieder. Wir sind zu viele. Das können sie nicht verhindern.«
»Und wenn sie wissen, wie man mit der Kanone umgeht? Ein Jammer, dass wir die verloren haben.«
»Sie haben diese Pferde. Sie können die Peshtak warnen.«
»Nicht wenn wir uns teilen und sie angreifen. Nicht wenn wir jetzt gleich losziehen.«
»Das setzt verdammt viel voraus«, murmelte der alte Unterführer. »Ich habe verflucht viele Sommer gegen die Peshkies gekämpft, aber so waren sie noch nie. Das ist zu viel. Wir könnten die ganze Truppe verlieren.«
»Richtig«, sagte Eplay. »Diese Möglichkeit besteht in jedem Fall. Es tut mir leid, dass ich so wenig Begeisterung für das entdecke, was getan werden muss. Aber wenn ich mich schon nicht auf euren Enthusiasmus stützen kann, so kann ich vielleicht doch darauf zählen, dass ihr die Befehle befolgt.«
»Natürlich«, sagte der alte Unterführer. »Wir tun, verdammt noch mal, unser Bestes, mein Herr.«
»Gut. Das habe ich erwartet. So, Leutnants. Ihr bleibt noch ein wenig hier! Unterführer, ihr formiert die Männer!«
Vor dem Morgengrauen hatte der südliche Teil der Innaniganitruppe die Kundschafter vom Herzfluss angegriffen, und alle Peshtakjäger schwärmten fächerförmig aus, um den nördlichen Zugang zum Lager zu bewachen. Die Innanigani kämpften sich voran und erreichten einen Grat, ehe die Gegenseite sie mit verstreuten Gewehrschüssen zum Halten zwang. Sie rückten jedoch langsam weiter vor, gaben sich gegenseitig Deckung, nutzten dazu auch die Bäume, bewegten sich mit großer Vorsicht, bewachten ihre Flanken und die Nachhut und setzten ihre mehr als vierhundert Mann so ein, dass sie für die Westländer schwer zu bewältigen waren.
Während Arey im Südosten oben auf dem Kamm auf seinem Pferd saß, spürte er leichte Schauer sein Rückgrat hinunterlaufen. »Ich habe kein gutes Gefühl bei der Sache, Garet«, murmelte er dem jungen Gardehauptmann der Pelbar zu, der neben ihm ritt. »Ich verstehe nicht … Warum tun sie das? Sie können nichts dabei gewinnen, nur noch mehr Tote. Sind es diese beiden – Peydan und der andere, das Schandmaul –, die sie so dringend haben wollen?«
Garet sagte nichts. Er wusste, dass der Shumai Ruhe brauchte, damit sich seine Vermutungen sammeln und zu einem Seil der Erkenntnis verflechten konnten.
»Garet«, sagte Arey schließlich. »Nimm vier Reiter und schicke vier auf der anderen Seite herum! Bleibt weit zurück! Ich möchte wissen, wie viele von ihnen hier sind. Seid vorsichtig.«
Garet schaute ihn an, nickte, trieb sein Pferd an und ritt davon.
»Seid vorsichtig«, rief Arey ihm nach. »Wir wollen einen Bericht, keinen Kampf. Vermeidet einen Kampf!« Er schaute stirnrunzelnd hinter Garet her. Er hatte den Pelbar mit den Kundschaftern mitgeschickt, weil er hoffte, dass seine Anwesenheit helfen würde, die ungestümen Shumaireiter davon abzuhalten, sich in ein Scharmützel zu stürzen. Sie waren wütend wegen der Verluste des Vortages. Zu viele davon waren Shumaireiter, die sich kreischend und schreiend den steinigen Abhang zum vorgeschobenen Lager hinauf geplagt hatten, nur um in die einzige Salve aus der Innaniganikanone zu geraten, zu der es gekommen war, ehe man die Kanoniere beim Nachladen weggeschossen hatte.
Arey ging alle taktischen Möglichkeiten durch, die die Innanigani vielleicht verfolgen mochten. Seine Kundschafter hatten nur sehr unvollständige Berichte nach hinten geschickt. Einige waren noch immer draußen und inzwischen überfällig. Er war froh, dass die beiden Sternenbanden der Sentani eingetroffen waren. Sie waren auch nicht erschöpfter, als es der Feind sein musste – und sie hatten zu essen gehabt.
Wieder mussten sich Arey und sein Kommandoposten vor den anrückenden Ostländern zurückziehen. Er gab Anweisung, das Basislager abzubrechen und es weiter nach Süden zu verlegen.
Im Norden hörte er Schüsse und schickte zwei Reiter aus, die nachsehen sollten, was los war. Sie sandten einen langen, heulenden Hilferuf zurück, und sieben weitere Reiter machten sich auf den Weg zu ihnen. Vor sich sahen sie ein gestürztes Pferd mit Pfeilen im Leib, unter dem um sich schlagenden Tier lag ein Shumaireiter. Als die Innanigani von Westen her vorrückten, schwenkten die Reiter nach Osten aus, wendeten ihre Tiere mit Sporenstichen und jagten mit schussbereiten Gewehren an einem Peshtakkundschafter vorbei auf die Ostländer zu; dann senkten sie die Gewehre und riefen um weitere Verstärkung nach hinten. Ein Mann wurde mit einem Pfeil vom Pferd geholt. Ein zweites Pferd stürzte. Die anderen fünf Reiter zielten und schossen. Einer sprang ab, gab seinem Pferd einen Klaps und versuchte, das gestürzte Tier anzuheben, während der Mann darunter ächzte und zappelte. Ein Pfeil fuhr ihm durch den Ärmel, ein zweiter durch das Bein. Er kauerte sich kurz hinter das Pferd, richtete sich auf, um noch einen Schuss anzubringen, und sah, dass eine Reihe von Männern auf ihn zukam.
Er schoss einen nieder, bekam einen Pfeil durch den Hals, schlug gurgelnd um sich und blieb dann halb über dem Shumai unter dem Pferd reglos liegen. Der Reiter darunter konnte nicht freikommen, aber er griff nach dem Gewehr des Toten und lud es neu. Die anderen Shumai waren abgestiegen und stürzten in Deckung, wobei sie ihre Gewehre abfeuerten, sooft sie konnten. Aber jetzt kam die Reihe der Ostländer im Laufschritt heran. Als einer an dem gestürzten Pferd vorbeirannte und sich dann umdrehte, schoss ihn der eingeklemmte Shumai mitten in den Leib. Ein anderer Ostländer sprang über das Pferd, kniete nieder und stach wiederholt auf den Shumai ein. Ein weiterer Shumai erschoss den Mann, aber sie mussten zurückweichen, und einer ging zwischen den Bäumen zu Boden. Neue Reiter erschienen über ihnen auf dem Abhang, aber die Innanigani blieben auf einen Schrei hin stehen, festigten ihre Kampflinie und gruben sich ein.
Einer kroch nach vorne und griff nach den beiden Gewehren, dann drehte er sich um und wollte sie den Abhang hinunterstoßen, aber da erwischte ihn ein Shumaischuss im Rücken, und er schleuderte sie zu Boden. Ein anderer Unterführer krabbelte heran, holte die Waffen und raste, zwischen den Bäumen Haken schlagend, den Abhang hinunter.
Arey ritt auf den Shumaireiter zu, der den Peshtak hinter sich aufs Pferd genommen hatte. Sie legten kurz die Handflächen aneinander, und Arey saß ab, um mit dem Peshtak zu sprechen.
Immer noch keuchend stieß der Mann heraus: »Das ist nur … die Hälfte von ihnen. Die übrigen … marschieren nach Norden. Auf Turnat zu.«
»Was ist Turnat?«
»Ein Dorf. Wie Ostag.«
»Wie weit?«
»Fünfundvierzig Ayas … von hier.«
»Wie weit sind sie schon?«
»Sie sind früh aufgebrochen. Müssen schon zwanzig oder fünfundzwanzig Ayas weit nach Norden gegangen sein. Von hier aus.«
»Hat jemand die Dorfbewohner gewarnt?«
»Nein. Ich glaube nicht. Ich war alleine. Bin hierhergekommen.«
Arey stand eine Zeit lang schweigend da. »Das war es also.« Er winkte einem Shumai. »Ruf die Reiter her!«, sagte er, und als der Mann sein gekrümmtes Kuhhorn herauszog, wandte sich Arey an den Peshtak. »Kannst du auf einem Pferd reiten?«
»Hab’s noch nie getan.«
»Zum Lernen ist jetzt keine Zeit. Du musst einfach. Meine Männer werden dir helfen. Ich weiß nicht, ob wir es rechtzeitig schaffen. Morgen wirst du einen wunden Hintern haben – sofern du noch am Leben bist.« Er drehte sich um und kam noch einmal zurück. »Was werden deine Leute in Turnat tun, wenn sie kommen?«
»Kämpfen. Aber sie sind nur wenige. Dort gibt es nur Landwirtschaft und Jagd.«
»Dann sind die Innanigani auf Vorräte aus. Würden deine Leute ihr eigenes Dorf verbrennen?«
Der Mann runzelte die Stirn. »Nein. Niemals.«
»Und wenn wir es täten?«
Der Mann machte ein zorniges Gesicht. Er schaute zu Boden.
»Es liegt bei ihnen. Eine Schande, all die Arbeit zu vernichten. Aber sie den Innanigani zu überlassen, ist noch schlimmer. Wenn wir ihnen Nahrungsmittel vorenthalten können, sind sie bald am Ende. Ich habe schon ein Drittel der Reiter verloren – einer solchen Truppe können wir nicht standhalten. Aber wir können sie hindern, ihr Ziel zu erreichen.«
Ein Reiter galoppierte heran. »Arey, wir sollten besser noch weiter zurück. Sie kommen.«
Arey stieg auf und hob den Peshtak hinter sich aufs Pferd. Er wendete den großen Falben und drückte ihm die Fersen in die Seiten, während er dem Mann mit dem Horn zuschrie: »Rufe die Sternenbanden zusammen, sie sollen eine Linie bilden! Während du das tust, besorgst du auch ein paar Ladungen. Auf jeden Fall fünf Pakete. Ich möchte, dass alle bis auf zehn Reiter mitkommen. Gib diesem Mann das Pferd von Elson. Wir brauchen ein zusätzliches Polster – für das Pferd«, warf er über die Schulter zurück. Der Peshtak lachte.
Arey ritt mit einem Mann, der mit Hornsignalen die Sternenbanden zusammenrief, nach Süden. »Ich glaube, das werden die Innanigani teuer bezahlen«, sagte Arey. »Wegen Igna. Reite voraus! Sag den Banden, sie sollen sich trichterförmig an den seitlichen Graten aufstellen! Sie sollen sie einschließen. Wir brauchen zwei Kampflinien, in der vorderen müssen Bogenschützen sein, die können dann langsam zu den Gewehrschützen zurückweichen, wenn die Innanigani vorrücken. Dann decken wir sie ein. Wir müssen vorsichtig sein. Vielleicht kommen sie nicht in Scharen. Vielleicht wollen sie uns nur festhalten und sich dann allmählich absetzen. Wenn es so ist, sollten die Männer an den Flanken vorrücken und dranbleiben. Wie ein sich bewegendes U. Sie sollen nach Offizieren suchen und sie sich, wenn es geht, herausgreifen.«
Der Mann grinste und raste voraus, während er weiterhin Hornsignale blies. Arey drehte sich um, um zu sehen, was sich hinter ihm abspielte. Er spürte, wie die Erregung des Kampfes über sein Rückgrat huschte. Schon hatten sich die Reiter nach Norden gewandt, auf Turnat zu. Er hoffte, sie würden den Feind in ausreichend großem Bogen umgehen. Er hoffte auch, sie würden Garets Leute mitnehmen. Die Innaniganitruppe hatte einen großen Vorsprung. Es sah schlecht aus für Turnat – und für sie alle. Am schlechtesten, sagte sich Arey, aber für die Innanigani.
Eplay nahm das Gewehr und drehte es in seinen Händen hin und her. »Hm, Leutnant. Gut gemacht. Sie haben Gießereien und können gut mit Stahl umgehen. Wir werden das mitnehmen und …«
Eine schwere Detonation aus dem Süden ließ ihn aufschrecken. »Die Kanone«, sagte Ocul. »Wenn wir einen Massenangriff machen, können wir sie vielleicht zurückerobern.« Er schaute Eplay an, und der nickte. Dann stürmte er in Richtung auf das Krachen davon, aber er war nicht mehr als etwa zweihundert Armlängen weit gekommen, als er sich drehte, stolperte und stürzte.
»Schweine!«, stieß Eplay hervor. »Jetzt hört euch diese Waffen an. Wir haben keine Chance, dazwischenzugehen und die Kanone zu erobern. Sie müssen jetzt mehr Männer haben. Unterführer, blas zum langsamen Rückzug! Langsam. Vergiss das nicht. Langsam!«
Ein untersetzter Mann mit beginnender Glatze hob ein gedrehtes Horn an den Mund und blies einen langen, klagenden Ton. Er wurde weiter vorne von vier Stellen her erwidert und schien dann in den Hornsignalen der Sentanifußsoldaten unterzugehen, all das wurde akzentuiert durch ferne Schreie und scharfes Gewehrfeuer. Eplay stellte sich auf einen umgestürzten Baumstamm und blickte mit der Hand über den Augen nach vorne. Seine Männer trabten in einer sich schließenden Schlinge auf ihn zu, die Offiziere versuchten, sie zurückzuhalten.
»Blas zum Stehenbleiben!«, brüllte Eplay.
Der Unterführer gab die Signale, aber als er sich umwandte, sah er, dass Eplay über den Stamm gefallen war und dass in seinem linken Auge ein langer Pfeil steckte. Der Mann schrie auf und rannte zu ihm, sah aber sofort, dass es keinen Sinn mehr hatte. »Leutnant!«, brüllte er.
Der Offizier drehte sich um und schnappte nach Luft.
»Übernehmen, mein Herr.«
Der junge Mann schaute ihn zu Tode erschrocken an. »Ich?«
»Ja, du. Du bist der Rangnächste. Du kannst jetzt nicht kneifen. Komm schon, Mann, halt dein Hirn in deinem Schädel fest!«
Der Leutnant würgte und schluckte. »Gut. Blas noch einmal zum Stehenbleiben, dann zum langsamen Rückzug! Hinauf zu diesem Grat!«
»Dort steht jetzt dieses Gesindel, Leutnant.«
»Dann werden wir ihn denen wieder abnehmen, Unterführer. Und jetzt blas!«
Der Unterführer gehorchte, aber die Männer kamen weiter näher.
»Blas noch einmal! Blas ständig weiter! Wenn sie dicht genug herangekommen sind, werden sie schon stehen bleiben.«
Der Unterführer starrte ihn an. Dann hob er wieder das Horn und blies. Die Männer wurden langsamer, die Offiziere und Unterführer schrien auf sie ein, und der Leutnant schaute mit der Hand über den Augen nach allen Seiten. Ein Langbogenpfeil fuhr ihm durch die Hose und bohrte sich in seine Wade. Geistesabwesend brach er ihn ab. Dann hob er seinen Stab und zeigte damit auf etwas.