Phi Phi Island - Josef Haslinger - E-Book

Phi Phi Island E-Book

Josef Haslinger

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Beschreibung

Am 26. Dezember 2004 löste ein Seebeben vor der Küste der indonesischen Insel Sumatra eine Flutwelle aus. Der Tsunami tötete und verletzte Hunderttausende, machte unzählige heimatlos, zerstörte ganze Landstriche. Auch die wenige Kilometer vor der Westküste Thailands gelegene Insel Koh Phi Phi wurde von der verheerenden Naturkatastrophe schwer getroffen. Josef Haslinger und seine Familie verbrachten hier ihren Weihnachtsurlaub und hatten Glück. Sie überlebten.

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Josef Haslinger

Phi Phi Island

Ein Bericht

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Inhalt

für edith, sophie und [...]12345678910111213141516171819202122232425262728293031323334353637internet-recherchen zu emine ergaben, [...]

für edith, sophie und elias.im gedenken an die opfer derflutwelle vom 26. dezember 2004

1

ein paar monate lang war ich ziemlich sicher, dass ich dieses buch nicht schreiben würde. schon deshalb nicht, weil ich oft danach gefragt wurde: du arbeitest doch nicht etwa an einem tsunami-buch? – nein, keine angst.

oder: mensch, du hast da was erlebt, da musst du dir keine sorgen um dein nächstes buch machen.

das waren unangenehme situationen. ich wollte darüber schreiben, aber ich wollte es auch wiederum nicht. ich konnte das, was ich erlebt hatte, nicht abwägen, ich konnte es nicht von außen anschauen. es war wie ein tief in mir sitzender knoten, der sich nicht lösen ließ.

der tsunami vom 26. dezember 2004 und seine verheerenden auswirkungen blieben einige monate lang ein medienthema. ich sah die bilder, ich las die vielen augenzeugenberichte, und ich erzählte, wenn ich gefragt wurde, wie es uns ergangen war. zwar sagte ich bei jedem interview zu mir selbst: wenn die tsunami-frage kommt, solltest du gar nicht darauf eingehen. du hast überlebt. und du hast keine angehörigen verloren. warum nicht einfach froh sein und schweigen? dann kam das gespräch auf den tsunami, und ich merkte, dass ich doch auch das bedürfnis hatte, darüber zu reden.

dabei stellte sich eine merkwürdige unschärfe ein. es waren immer details, die mir in den sinn kamen, bilder, die sich in der erinnerung festgesaugt hatten, die mir aber den blick auf diese paar tage mehr trübten als schärften. die bilder gruppierten sich um zwei momente, die mit dem tsunami nur äußerlich zu tun hatten, die auch bei ganz anderen ereignissen hätten auftreten können. um den einen moment, als ich plötzlich zu wissen meinte, das werde ich nicht überleben, und um den anderen, als es danach aussah, als hätten wir unsere beiden kinder verloren.

meine erinnerung an die flutwelle war wie eine barrikade, die mir in den weg gestellt war, obwohl ich sie eigentlich hinter mir lassen wollte. es schien keinen weg um diese barrikade herum zu geben. das vergangene lag hinter mir, aber es lag zugleich auch vor mir, es umzingelte mich.

ich hatte ein schreibjahr in aussicht und begann mir gedanken über einen neuen roman zu machen. aber ich kam nicht vom fleck. ganz gleich, welche figur ich zu entwickeln versuchte, ihr hauptzweck schien zu sein, das zu erledigen, was in wirklichkeit ich selbst zu erledigen hatte. eine weile blieb ich bei dem vorsatz, nicht direkt von mir selbst zu schreiben, sondern die geschichte literarisch zu verarbeiten. als hätte es etwas anstößiges, von jenen zufällen zu berichten, die einem das leben zu nehmen schienen, und den anderen, die es einem dann doch noch ließen.

das manöver war zu durchsichtig. anstatt mich in andere figuren hineinzuversetzen, entstand in mir der wunsch, an den ort des geschehens zurückzukehren und den ablauf der katastrophe zu rekonstruieren. und so ist aus dem romanprojekt ein bericht über einen kurzen abschnitt meines eigenen lebens geworden. bald nachdem ich angefangen hatte, daran zu arbeiten, war es mir auch wieder möglich, andere texte zu schreiben.

erzählungen, die davon handeln, wie jemand in die ferne reist, es dort mit unerwarteten vorgängen zu tun bekommt, die es ungewiss machen, ob er überleben wird, heißen abenteuergeschichten. häufig sind sie in der ich-form geschrieben. wer so wie kara ben nemsi seine eigene geschichte erzählt, versichert damit von vorneherein, dass sie letztlich gut ausgehen wird. ich habe die zufallsbekanntschaft mit einer abenteuergeschichte gemacht.

der bericht in einem satz: wir sind zu viert auf der thailändischen insel koh phi phi in einem resort abgestiegen, von dem zwei tage später nur noch ein verwaltungsgebäude, der swimmingpool und das auf acht betonsäulen ruhende dach des speisepavillons übrig waren. die einhundertzehn bungalows, von denen wir zwei gemietet hatten, waren verschwunden.

im grunde ist es die geschichte vieler tsunami-überlebender, die das glück hatten, vom schlimmsten verschont worden zu sein. auch wenn sie verletzt waren und ohne geld, papiere und reisegepäck dastanden, ist ihr schaden nicht zu vergleichen mit der situation derer, die ihre angehörigen und ihr gesamtes hab und gut verloren haben. wir waren die glücklichen überlebenden. aber dieses glück hat einen bitteren geschmack. ich habe es bislang nicht genießen können. wenn ich vom tsunami erzählte, drückten sich mir lange zeit tränen in die augen.

die erinnerung daran, eine immense katastrophe nur zufällig überlebt zu haben, folgt einer eigenen logik. man kann es sich immer wieder sagen, welches glück man hatte, es kommt darüber keine genugtuung auf. es ist vor allem eine erinnerung an den schrecken.

als dieses glück erstmals für mich fassbar wurde, klammerten edith und ich uns gerade an den fassadenvorsprung eines gebäudes, an das wir angeschwemmt worden waren, und unterschieden die menschen, die sich bewegten, von denen, die sich nicht mehr bewegten. die sich, so wie wir, bewegen konnten, hielten nach angehörigen und freunden ausschau. sie nahmen die herumliegenden und die aus dem müll herausragenden toten körper wahr. sie begannen zu schreien oder zu weinen, oder sie starrten regungslos vor sich hin.

ein dreivierteljahr später bekam ich eine nachricht von magdalena, einer jungen frau, die mit ihrem freund am tag des tsunamis zufällig im selben hotel wie wir, im phi phi princess, gewohnt hatte. sie schrieb, ihr freund und sie hätten uns beim frühstück gesehen. ihr sei ein großer stein vom herzen gefallen, als sie aus den medien erfahren habe, dass die haslingers noch lebten. sie habe das bedürfnis, mit jenen menschen kontakt aufzunehmen, an die sie so viel gedacht habe, ohne sie eigentlich zu kennen.

wir trafen uns zum weihnachtsmarkt in der stadt steyr. ihr freund wollte nicht mitkommen. von anfang an, so sagte magdalena, habe er mit niemandem über das, was er erlebt hat, reden wollen, auch nicht mit ihr. er sei der festen überzeugung, die tage zwischen dem 26. dezember 2004 und dem ersten jänner 2005, dem tag, an dem sie nach österreich zurückkehrten, einfach vergessen zu können.

bei ihr, so erzählte sie, während wir glühwein tranken, sei es anders gewesen. sie habe in den ersten monaten, als der tsunami in aller munde war, selbst nicht darüber sprechen können. erst später sei das bedürfnis erwacht, davon zu erzählen, aber da interessierte es niemanden mehr. sie gehe allen mit ihrem tsunami nur noch auf die nerven.

ich sagte, wir werden einen tsunami-überlebenden-verband gründen und einander alle jahre bei der hauptversammlung die rührendsten tsunami-geschichten erzählen. wir werden tsunami-videos austauschen und die schärfsten opferbilder auf eine website stellen.

die ironie war trotz des glühweins nur mühsam aufrechtzuerhalten. wir mussten uns nicht erzählen, wie diese fremde welt, in die wir geraten waren, aussah. wir sprachen darüber, was wir taten, als das wasser kam, und wie wir uns verhielten, als es unversehens gefährlich wurde. wir redeten von den stunden danach.

magdalena hatte sich das sprunggelenk gebrochen. ihr freund nahm sie auf den rücken und trug sie durch die trümmerlandschaft. sie stießen auf einen mann, der unter der schulter ein weit auseinanderklaffendes loch hatte, durch das man in den brustraum hineinschauen konnte. das ist eines der ganz wenigen bilder, die ihr vom ort des geschehens in erinnerung geblieben sind. später, als sie einen bergweg hinaufgetragen wurde, waren sie schon eine gruppe von etwa zehn personen, darunter ein franzose, dem am rechten fuß die zehen fehlten. entlang des weges standen bungalows. einer schien unbewohnt zu sein. sie brachen ihn auf und quartierten sich ein. doch der bungalow stand nicht leer. es fanden sich darin die habseligkeiten anderer urlauber, die nicht mehr zurückkamen. am nächsten tag wurde magdalena von ihrem freund erneut durch die müllhalden getragen, bis zum tennisplatz vor dem cabana-hotel, wo ein hubschrauber gelandet war. an bord dieses hubschraubers war ein reporter von epa, der european pressphoto agency. er fotografierte einen mann, der sich mit einer frau auf dem rücken einen weg durch eine landschaft aus müllbergen bahnt. dieses foto erschien einen tag später in einer österreichischen tageszeitung. magdalenas eltern wussten, dass ihre tochter lebt, noch bevor sie kontakt mit ihnen aufnehmen konnte.

unsere verwandten durchwachten die nacht vor deutschen fernsehsendern – dem österreichischen fernsehen schien das ausmaß der katastrophe noch nicht bewusst zu sein – und schrieben verzweifelt sms und e-mails, die nicht beantwortet wurden. es gab einen moment der beruhigung, als an der hotline des österreichischen außenministeriums, wo junge präsenzdiener aushalfen, zu erfahren war, koh phi phi sei nicht von der flutwelle betroffen. die stimmung schlug ins schiere gegenteil um, als einer meiner brüder, der selbst schon öfter in thailand gewesen war, im internet die lage unseres hotels recherchierte und dabei auf die information stieß, dass es völlig zerstört worden sei. bevor wir eine möglichkeit fanden, anzurufen, war das ausmaß der hoffnungslosigkeit unter unseren verwandten so groß geworden, dass sie ernsthaft darüber redeten, wo unsere leichen zu bestatten wären, sollten sie jemals überführt werden. bis dann der anruf kam, der bei so vielen anderen ausblieb.

wir konnten die insel nicht verlassen, wir wollten aber auch nicht mit den toten zusammenleben. und so verbrachten viele, die sich bewegen konnten, ihre zeit damit, tote und lebende zu trennen und getrennt zu halten. als das große gericht zu ende war, fand sich die hälfte der gäste des phi phi princess auf der seite der lebenden. der rest gehörte zu denen, deren körper zur seite geschafft und zugedeckt wurden. wir überlebenden von koh phi phi waren eine zufällige auslese. in unserem hotel standen die chancen fünfzig zu fünfzig. doch das große gericht hatte keinen gerechtigkeitssinn. wir waren zu viert gekommen und sind zu viert wieder abgereist.

2

etwa vierzig kilometer von krabi und phuket entfernt liegen koh phi phi don und koh phi phi leh, zwei kleine inseln, die im internationalen sprachgebrauch phi phi islands genannt werden. es gibt noch vier weitere phi-phi-inseln, die es zu keiner internationalen bekanntheit gebracht haben, die aber von tauchern durchaus geschätzt werden. bewohnt ist nur phi phi don. die nachbarinsel phi phi leh, auf der der aussteigerfilm mit leonardo dicaprio, the beach, gedreht wurde, kann von phi phi don in zwanzig minuten mit ausflugsbooten erreicht werden. diese beiden inseln mit ihren schroffen kalksteinklippen, weißen sandstränden und kristallklaren lagunen sind zum thailändischen getaway für reiselustige jugendliche aus aller welt geworden.

die touristische infrastruktur mit resorts, reiseagenturen, tauchschulen und allem, was jugendlichen urlaubern verkauft werden kann, ist auf koh phi phi don konzentriert, und dort wiederum auf den umkreis der engsten stelle der insel, an der sich zwei gegenüberliegende sandstrände so nahe kommen, dass sie fast ineinander übergehen. links und rechts von dieser landbrücke beginnt der dschungel, und darüber ragen steile felsen auf.

auf der südlichen der beiden buchten, der ton-saibucht, wurde eine betonmole gebaut, damit auch größere last- und ausflugsschiffe anlegen konnten. die nördliche lohdalum-bucht war vor allem ein großer badestrand mit hotel-bungalows, bars und restaurants. genau in der mitte dieser doppelbucht, an der niedrigsten und engsten stelle der insel, dort, wo sich die beiden strände am nächsten waren, lag das exquisiteste der resorts, das phi phi princess. hier und im benachbarten cabana-hotel waren die jugendlichen durchmischt mit älteren herrschaften, die das bedürfnis hatten, zumindest noch zaungäste der jugendkultur zu sein.

phi phi island war vor dem tsunami der angesagteste platz thailands am andamanischen meer. von dezember bis märz war jeder bungalow und jedes hotelzimmer mit meist jugendlichen touristen gefüllt. diese nur knapp über dem meeresniveau liegende landenge war vollgestopft mit hotels, restaurants, souvenirgeschäften, bars, tauchschulen, garküchen, internetcafés, kletterschulen, banken und massagesalons. mit den massen strömte auch das geld nach phi phi island und wurde dort unter tausende von menschen im dienstleistungssektor verteilt, die meisten von ihnen thailänder. aber es gab auch viele kellner, barkeeper und tauchlehrer, die aus den kalten ländern stammten und auf phi phi island ein neues, oder oft auch ihr erstes richtiges, leben begonnen hatten. die einen waren freaks, die in den verschiedensten formen von abendunterhaltung ihr auskommen fanden, andere waren naturanbeter, die der reiz der insel nicht mehr losgelassen hatte, wieder andere waren in dem prosperierenden zweig der tauchunternehmen tätig, der auf phi phi island im großen und ganzen noch in der hand sportbegeisterter kleinunternehmer war. in der nacht trafen sie sich in den benachbarten bars und tanzclubs, in der hippies bar, bei carlito’s oder in der reggae bar, um den turnieren der feuerkünstler zuzusehen, im fernsehen fußball zu schauen, zu tanzen und whisky mit cola zu trinken. aus welchen teilen der welt die menschen hier auch zusammenströmten, sie benahmen sich, als wären sie eine familie. phi phi island war eine partymetropole, ein rausch von jugendlichkeit.

naturschützer haben seit jahren diesen schmalen landstreifen von koh phi phi don als beispiel der zerstörung einer intakten ökologie gebrandmarkt. die insel drohte ihren wasservorrat aufzubrauchen. die thailändische regierung stellte die phi-phi-inseln 1983 unter naturschutz. für phi phi leh kam das gesetz gerade rechtzeitig. so blieb sie bis heute unbewohnt, wenngleich sie wegen der traumhaften lagune und der weit verzweigten höhlen zu einem begehrten ausflugsziel geworden ist. die höhlen, ein labyrinth aus hunderten von gängen und bis zu achtzig meter hohen räumen, sind mit einer dicken guano-schicht bedeckt. die bewohner sind fledermäuse und seglerschwalben. jahr für jahr versteigert die thailändische regierung die erntekonzession für die schwalbennester. die konzessionäre wiederum stellen teams zusammen, oft sind es ganze familien, die in waghalsigen höhen auf gerüsten aus bambusstangen und lianen die vogelnester von den stalaktiten holen. die nester werden eingeweicht, ausgewaschen und als besondere delikatesse nach china verkauft. die speichelfäden, mit denen die vögel den dung zusammenkleben, werden in hühnerbrühe oder kokosmilch gekocht. sie gelten als besonders heilkräftig und stärken angeblich das immunsystem. für ein kilogramm dieser fäden werden in hongkong zweitausend us-dollars bezahlt.

auf der nordseite der insel gibt es die sogenannte wikingerhöhle mit alten felsmalereien, deren herkunft der wissenschaft bis heute rätsel aufgibt. detailreich und deutlich sind elefanten, segelboote und dschunken abgebildet, aber es ist unwahrscheinlich, dass diese gemälde, wie die überlieferung behauptet, tatsächlich von weißen männern aus dem norden stammen.

den touristen ist nunmehr das betreten der höhlen untersagt. dafür tummeln sich in der maya-bucht so viele ausflugsboote und schnorchler, dass die filmkulisse von the beach mittlerweile auch in natura wie eine kulisse wirkt. mit der paradiesischen idylle war es vorbei, sobald die hauptdarsteller des films abreisten und stattdessen das publikum sich breitzumachen begann. trotz der vielen besucher strahlt die insel mit ihren roten felsen, den tief eingeschnittenen buchten, den korallenriffen und feinsten weißen sandstränden einen besonderen zauber aus. für phi phi leh kam der gesetzliche schutz gerade rechtzeitig. doch für phi phi don kam er zu spät.

die insel war längst zu einem touristenhype geworden. die regierung verfügte einen baustopp und plante, einen teil des landes von den hotelbesitzern zurückzukaufen, um zumindest an einer stelle einen ›natürlichen‹ korridor zwischen den beiden buchten aufrechtzuerhalten. doch die expandierende partygesellschaft von phi phi island wollte sich von der regierung am festland nicht dreinreden lassen. auf phi phi don brauchte niemand eine regierung. hier entwickelte sich das leben aus der eigenen dynamik heraus. der baustopp wurde einfach nicht beachtet. die baracken entlang des nutzwasserreservoirs waren gefüllt mit bauarbeitern aus dem norden thailands. alle zeichen standen weiter auf geschäftsexpansion.

beachtet hingegen wurden die strengen naturschutzauflagen. sie fanden sogar große zustimmung. die riffe vor phi phi island gehörten zu den schönsten der welt. die korallengärten reichten bis zu fünfundzwanzig meter in die tiefe und boten lebensraum für an die tausend arten von tieren, darunter auch leopardenhaie, rochen und thunfische. die tauchlehrer von phi phi island machten den schutz dieser farbenprächtigen unterwasserwelt zu ihrer ehrensache. und sie waren erfolgreich damit. die zerstörung der riffe durch die anker achtloser freizeitsegler war zu ende. aber dann hat die natur sie zerstört.

seit dem tsunami am 26. dezember 2004 ist ein heer von tauchern aus aller welt damit beschäftigt, die korallenriffe von den trümmern freizuräumen, die die zweite welle dort abgeladen hat. mehr als dreihundert tonnen schutt, von kleinen metallteilen bis zu ganzen hausdächern, wurden stück für stück mit bloßer hand oder mit lifting bags aus dem meer geholt. die taucher stießen dabei immer wieder auch auf menschliche überreste.

koordiniert werden die freiwilligen tauchteams von andrew hewett und seinem phi phi recovery dive camp, das sich der mühevollen aufgabe widmet, abgebrochene korallen, deren polypen noch leben, einzusammeln und unter wasser in gitterflächen einzupflanzen. auf diese weise wird ein künstliches riff aufgebaut, das irgendwann mit dem natürlichen zusammenwachsen soll.

ein jahr nach dem tsunami fotografierte ich ein schild, das neben dem cabana-hotel an einer mangrove angebracht war. return to paradise, stand darauf. davor waren, in reih und glied, gut vierzig leere liegestühle aufgestellt. das cabana-hotel war noch nicht wieder eröffnet. mittlerweile werden auf den liegestühlen wohl badetücher, illustrierte und sonnenschutzmittel liegen. das hotel, dessen erdgeschoss zur gänze verwüstet worden war, hat sein paradiesisches leben wieder aufgenommen.

3

eigentlich wollten wir wieder nach jamaika fahren, wo wir schon zweimal gewesen waren. es war anfang august, als edith und ich uns vornahmen, einen weihnachtsurlaub im süden zu planen. unsere kinder, sophie und elias, würden dann in der maturaklasse sein. wer weiß, dachten wir, vielleicht ist es die letzte gelegenheit für einen gemeinsamen urlaub, weil sie im jahr darauf gar nicht mehr zu hause wohnen, oder es ist ihnen dann die lust auf familienurlaube vergangen, und sie wollen lieber mit ihren freunden wegfahren. der weihnachtsurlaub sollte für unsere kinder eine art vorgezogenes maturageschenk sein, jedenfalls eine angenehme erholungspause auf dem weg zur matura. ich war schon drauf und dran, wieder ein resort auf jamaika zu buchen, da waren wir zum abendessen im haus von sophies freundin dominika eingeladen, und unsere pläne änderten sich.

dominika war mit ihrer schwester und ihren eltern im februar für zwei wochen in thailand gewesen, und zwar auf phi phi island. die erste woche, so erzählte dominikas mutter, hätten sie in einem teuren hotel verbracht, die zweite woche in einer hütte an einem einsamen strand. sie schwärmte von beiden wochen. zuerst eine woche luxus, dann eine woche leben in der natur. von österreich aus hätten sie nur die erste woche gebucht. auf phi phi island seien sie dann einfach mit dem boot die küste entlang gefahren bis zu dieser einsamen bucht, und es sei zufällig auch eine hütte frei gewesen. der hippie, dem die hütten gehörten, habe sie jeden tag mit einem herrlichen frühstück verwöhnt, tagsüber sei er herumgelegen und habe mit seiner dreijährigen tochter gespielt, am abend habe er ein feuer angezündet, fische gegrillt und sein zeug geraucht. die erste woche sei schön, aber die zweite sei richtig entspannend gewesen. dominikas mutter hatte noch ein feuerzeug, auf dem die adresse dieses hippie-resorts, wie sie es nannte, aufgedruckt war. dieses feuerzeug gab sie mir.

wenn wir nach koh phi phi wollten, sagte am nächsten tag die frau, bei der ich schon viele reisen gebucht hatte, müssten wir uns mit der reservierung beeilen. weihnachten sei hauptreisezeit, und auf phi phi island könne es da mit der unterkunft schnell knapp werden. zwar nahm ich auch noch einen prospekt über jamaika mit nach hause. aber als sich herausstellte, dass die reise nach thailand wesentlich billiger war als die nach jamaika, war die sache eigentlich entschieden. wir buchten das phi phi princess, das beste bungalow-resort, das in diesem prospekt angeboten wurde. ich wollte gleich beide wochen buchen, elias sah das anders. er wolle nicht beide wochen im luxushotel verbringen. er wolle in der zweiten woche, so wie dominika, in einer einfachen hütte, möglichst ebenfalls in einem hippie-resort, wohnen. wir ließen uns überreden und buchten nur eine woche im phi phi princess.

in den folgenden monaten schrieb ich mehrere e-mails an die adresse, die auf dem feuerzeug angegeben war, ohne je antwort zu bekommen. inzwischen begann ich das feuerzeug auch für seinen eigentlichen zweck zu verwenden. als ich nach zwei monaten vom hippie-resort noch immer keine antwort hatte, beschloss ich, einen brief zu schicken. doch das ging nicht mehr. durch die benutzung hatte ich vom feuerzeug die adresse abgeschabt. und auch dominikas mutter hatte sie nirgendwo aufgeschrieben. sie sagte, das resort sei leicht zu finden. sie seien einfach mit dem boot nach links die bucht hinausgefahren. zuerst sei da ein langer strand, long beach, dann fahre man um die ecke, und da komme dann bald diese kleine beschauliche bucht. sie sei nur mit dem boot erreichbar. sie denke, dass wir auf solchen entlegenen plätzen auch zu weihnachten eine unterkunft finden würden. auch meine brüder stefan und andreas sagten, wir sollten uns wegen der unterkunft keine unnötigen gedanken machen. das sei dort alles ganz einfach. freilich waren meine brüder als rucksacktouristen unterwegs gewesen, und ich hatte das rucksackreisen schon lange aufgegeben.

4

am 23. dezember holten wir sophie vom wiedner gymnasium ab und anschließend elias vom borg 3, einem oberstufenrealgymnasium im bezirk landstraße, um gleich weiter zum flughafen zu fahren. auf dem weg dorthin kippte die Stimmung. edith fragte elias, welche note er auf die mathematikarbeit bekommen habe, und elias musste zugeben, dass es ein nicht genügend war. er hatte uns hoch und heilig versprochen gehabt, dieses mal gründlich zu lernen. seit monaten war einmal die woche eine nachhilfelehrerin gekommen.

edith sagte, dass er nun in thailand jeden tag mathe üben müsse. elias verwahrte sich dagegen. edith sagte, du verpatzt uns die weihnachtsferien, und elias sagte, die schule sei ihm egal. und so ging das immer weiter, bis elias, als wir schon am abfluggate saßen, plötzlich verschwunden war. sophie ging ihn suchen und brachte ihn nach einer weile zurück. er war nur auf der toilette gewesen. wir beschlossen, das thema schule für die nächsten zwei wochen tabu zu erklären. das mathematikheft reiste allerdings nach thailand mit.

früh am morgen des 24. dezember landeten wir in bangkok. wir mussten mit dem bus zu einem anderen terminal fahren. es dauerte eine weile, bis wir herausgefunden hatten, wo dieser bus abfuhr. auf dem weg dorthin trafen wir eine familie, die etwas verloren wirkte und mit unverkennbarem wiener akzent darüber klagte, dass hier keine auskunft zu kriegen sei. auch sie wollte nach phuket weiterfliegen.

vor dem inlandsterminal standen in der warmen, nach benzin stinkenden morgenluft die übermüdeten raucher. es waren vor allem österreichische und deutsche jugendliche. einige von ihnen gönnten sich ein erstes thailändisches bier. oder vielleicht war es auch nur die fortsetzung einer beschäftigung, der sie schon im flugzeug nachgegangen waren.

auf dem flughafen von phuket warteten wir lange auf unsere koffer. wir nahmen es mit humor, schließlich war es nicht das erste mal, dass wir vergeblich auf unsere koffer warteten. das hieß, zu einem speziellen schalter zu gehen und dort das aussehen der koffer anhand von musterbildern zu identifizieren. es hieß leider auch, sich zu erinnern, was in welchem koffer verpackt war, was im detail nicht gelingen würde, aber einigermaßen würden wir die liste schon zusammenkriegen. auch die familie aus wien, der wir in bangkok den weg zum inlandsterminal gezeigt hatten, stand unter denen, die zusahen, wie ein koffer und zwei taschen immer wieder auf dem band vorbeikamen, ohne dass jemand sich ihrer angenommen hätte. wahrscheinlich gehören die dorthin, sagte der wiener, wo gerade unser gepäck sinnlos im kreis fährt.

als es schon aussichtslos war, dass unser gepäck noch kommen würde, wandten wir uns an einen flughafenangestellten. er schickte uns in eine andere halle, und dort stand unser gepäck an der wand entlang aufgereiht. es war am falschen band abgeladen worden.

auf dem parkplatz wartete ein kleinbus mit einem fahrer und einer reiseführerin auf uns. wir waren die einzigen passagiere. unterwegs unterhielten wir uns mit der reiseführerin. sie sagte, die weißen schauen alle gleich aus. sie tue sich schwer, sie auseinanderzuhalten.

bis zur abfahrt des schiffes nach koh phi phi dauerte es noch vier stunden. der bus brachte uns zu einem reisebüro, vor dem es eine terrasse mit tisch und stühlen gab. dort ließen wir uns nieder, direkt an einer verkehrsreichen straße. es fuhren vor allem mopeds vorbei, auf denen bis zu vier personen saßen. manche hatten einen beiwagen mit sitzbänken, auf denen weitere vier personen platz fanden.

die toilette lag in einem abstellraum hinter dem reisebüro. um dorthin zu gelangen, musste man im reisebüro zunächst die schuhe ausziehen. der abstellraum war aber so dreckig, dass es geboten war, die schuhe mitzunehmen und dort wieder anzuziehen. das warten war uns zu mühsam, und so beschlossen wir, einen spaziergang zu machen.

kaum hatten wir uns erhoben, blieb ein kleines taxi mit offener plattform neben uns stehen. es war im grunde ein umgebauter lieferwagen mit abgesägtem dach. wir dankten höflich, doch der fahrer blieb hartnäckig. er fuhr im schritttempo neben uns her und fragte uns alle augenblicke, was unser ziel sei. dass wir nur herumgehen wollten, war ihm als antwort nicht ausreichend. und so fragte ich ihn schließlich, ob es hier in der nähe einen markt gebe. damit hatte er uns. er gewährte uns alle paar minuten einen weiteren preisnachlass, bis wir schließlich einstiegen, weil der fahrpreis schon lächerlich gering war.

er brachte uns zu einem markt in der nähe, der, wie sich schnell herausstellte, mit seinen schmuck-, souvenir- und textilgeschäften vor allem auf touristen ausgerichtet war. der einheimische markt lag dahinter. auf dem weg dorthin stand plötzlich erneut der taxifahrer neben uns und fragte, was wir nun zu tun gedächten. etwas trinken, sagten wir, und der taxifahrer bot an, uns in ein restaurant zu bringen. wir lehnten ab, was ihn nicht daran hinderte, weiter neben uns herzufahren. wir kamen zu einem restaurant mit einer terrasse. als wir drauf und dran waren, uns dort hinzusetzen, sprang der taxifaher aus seinem wagen und sagte, wir sollten hier nicht hineingehen, das sei ein muslimisches restaurant, hier gebe es keinen alkohol. er werde uns zu einem besseren restaurant bringen. wir baten ihn, uns nun endlich in ruhe zu lassen. er stieg in sein auto. wir blieben stehen und deuteten, er möge weiterfahren, bis er schließlich auch fuhr. wir gingen dann doch nicht in das muslimische restaurant, weil dort nur männer waren. stattdessen setzten wir uns am einheimischen markt in eine der offenen garküchen, einem verschlag aus holz und wellblech, in dem die familie, der sie gehörte, auch wohnte. wir kauften dosengetränke.

ich suchte mir auf meinem plan den rückweg heraus. es war eine sandstraße, in der eine gärtnerei auf die andere folgte. die im eingangsbereich stehenden gewächse trugen eine dicke staubschicht auf den blättern. außer uns waren in der mittagshitze nur noch ein paar mopedfahrer und streunende hunde unterwegs. das t-shirt klebte an meinem körper, und ich begann mich nach dem taxifahrer zu sehnen. als wir die asphaltierte straße erreichten, die zu unserem reisebüro führte, kamen wir an einem größeren elektrogeschäft vorbei, dessen tür die aufschrift airconditioned trug. wir taten dann eine viertelstunde lang so, als würden wir uns für kühlschränke, toaster und fernsehgeräte interessieren.

auf der terrasse des reisebüros hatten mittlerweile ein etwa sechzigjähriger mann mit schütterem haar und eine schlanke frau, die vielleicht seine tochter war, platz genommen. sie sprachen französisch. wenn sie nicht miteinander redeten, las die frau in einem buch, und der mann blätterte im thailand-führer von michelin. er trug eine goldkette um den hals und hatte eine rolex am arm. die frau wirkte sehr selbstbewusst. sie trug einen langen rock und einen auffällig großen sonnenhut. dann ging der mann fort. während ich mit elias steckschach spielte, kam edith mit der frau ins gespräch. sie hieß emine und stammte aus der französischen schweiz. sie legte das buch zur seite, es war ein buch über diäten. der mann kam zurück, und die frage, ob tochter oder freundin, klärte sich von selbst. er hatte eine schale mit ananasstücken mitgebracht und gab emine einen kuss. später ging er noch einmal fort, um getränke und ein nudelgericht zu holen.

wir kamen auch mit ihm ins gespräch. er hieß claude. die beiden waren, so wie wir, auf dem weg nach koh phi phi. es stellte sich heraus, dass sie zufällig auch im princess wohnten. sie hatten viel gepäck, darunter zwei große koffer. das beruhigte uns. vor der abreise hatten wir noch überlegt, ob wir nicht ausnahmsweise einmal rucksäcke nehmen sollten, weil die vier koffer bei der schiffsfahrt unhandlich sein könnten. aber dann kam bei jedem von uns so viel gepäck zusammen, dass an rucksäcke nicht mehr zu denken war.

vom reisebüro wurden wir mit einem kleinbus zum hafen gebracht. die straße führte an einer endlosen reihe von wellblechhütten vorbei, hinter denen ein mit primitiven holzstegen überbauter abwasserkanal lag, den man selbst im bus noch riechen konnte. am hafen herrschte hochbetrieb. der andrang von schiffen war so groß, dass an jeder anlegestelle vier bis fünf von ihnen nebeneinander vertäut wurden. um zu unserem fährschiff zu gelangen, mussten wir zuerst drei andere schiffe überqueren. emine und claude nahmen auf dem obersten deck platz, wir gingen hinunter in den klimatisierten passagierraum. von dort führte rechts und links je eine tür zum bugdeck hinaus. dieses deck war vor allem mit jungen menschen bevölkert, die neben ihren rucksäcken saßen oder in der sonne lagen.

kaum hatte das schiff abgelegt, schliefen in den bequemen stühlen des passagierraums die ersten menschen ein, auch elias und sophie. ich ging mit der filmkamera aufs deck hinaus und filmte den ans fenster gelehnten kopf von elias mit den darübergestülpten hörern seines mp3-players. er war es gewohnt, mit musik im ohr einzuschlafen. und am tiefsten schlief er zur schaukelbewegung von schiffen. als er noch ein kleinkind war, hatte er einmal im motorraum eines schiffes geschlafen. das laute hämmern des dieselaggregats hatte ihn nicht gestört.

am horizont begannen sich die ersten inseln abzuzeichnen, wir gingen aufs deck hinaus. edith und sophie setzten sich an den bug und ließen die fuße hinabbaumeln. später kam auch elias nach. ich filmte sie, und dann mit einem schwenk auch die anderen passagiere. ich ging noch einmal hinein und filmte auch dort die passagiere. einen korpulenten mann mit brauner haut, der in seinem stuhl eingeschlafen war, zoomte ich heran und hielt sein gesicht ein paar sekunden lang im close-up fest. ich weiß nicht, was mich bewog, dieses bewegungslos schlafende gesicht so ausführlich zu filmen. er reiste offenbar allein, denn die plätze neben ihm waren frei geblieben.