Platonische Ironie - Dietrich Roloff - E-Book

Platonische Ironie E-Book

Dietrich Roloff

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Beschreibung

PLATON – heutzutage, 2023, so weithin vergessen oder gänzlich unbekannt wie ein Buch mit dem Titel Platonische Ironie. Das Beispiel Theaitetos aus dem Jahr 1975, das seinem Namen zu neuem Glanz verhelfen sollte – dieser Platon war, neben oder sogar noch vor Aristoteles, dem Begründer der europäischen Naturwissenschaft, der bedeutendste Philosoph der griechischen Antike, ohne dessen Einfluss die Geistesgeschichte des Abendlandes einen anderen Verlauf genommen hätte. Zugleich war er, was man in unseren Tagen einen Großschriftsteller nennt, dessen Werke in einmaliger Weise von dem Prinzip einer indirekten Mitteilung, genannt Ironie, geprägt sind. Dieses Prinzip der Ironie hat Platon von seinem Lehrer Sokrates übernommen und dahingehend abgewandelt, dass nicht länger, wie bei der sprichwörtlichen Ironie des Sokrates, der Gesprächspartner, sondern nunmehr der Leser der platonischen Texte zur Zielscheibe der absichtlichen Täuschung wird. Diese Täuschung wiederum dient dem Zweck, den Leser dazu zu zwingen, sich das, was Platon eigentlich gemeint hat, durch eigenständige Denkarbeit selbst zu erschließen. Die anhaltende Wirkung, die Platons Texte auf die europäische Geistesgeschichte ausgeübt haben, beruht jedoch im Gegenteil darauf, dass sie für bare Münze, also wörtlich genommen worden sind, statt ihren durchgängig ironischen Charakter als Leitfaden des Verständnisses zu nutzen. DAS BUCH PLATONISCHE IRONIE. Das Beispiel Theaitetos von 1975 war als der Versuch gedacht, diesem Missstand abzuhelfen und anhand eines einzelnen Dialoges vorzuführen, wie Platon seine indirekte Mitteilung ins Werk gesetzt hat. Heute, 50 Jahre nach der Entstehung des Erstlings, unternimmt der Verfasser einen neuen Anlauf, mit einer leichter, vielleicht sogar vergnüglich lesbaren Version der Textdeutung Platons Kunstfertigkeit ins rechte Licht zu rücken.

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Rainer Binder gewidmet

ehemals einer meiner ersten Griechisch-Schüler, heute, 50 Jahre später, ein warmherzig-liebenswerter Freund

Inhalt

Längst vergessen – auf Jahre hin der Zeit voraus!

Das Dilemma eines Großschriftstellers

Wo liegt das Problem?

Sokrates und der Kunstgriff der Ironie

Platon oder Ironie als Herausforderung an den Leser

Das Dilemma aufgelöst

Zum Beleg der Dialog Theaitetos

Fiktiver Dialog – das Raffinement der Unübersichtlichkeit

Der Ironie über die Schulter geschaut – Platons Spiel mit dem Leser

Der Faden der Ariadne

Schwungvoll hinein ins AbenteuerDie leere Kammer des MinotaurusGewundener Weg hinaus – in die Aporie

Schritt für Schritt durchs Labyrinth oder ›Was ist Erkenntnis‹?

Eine unsinnige Definition und ihre erstaunlichen Konsequenzen

Die Erfindung einer ›Ontologie der Relativität‹

Beweise für die Richtigkeit der ›neuen‹ Ontologie

Protagoras setzt sich zur Wehr, scheinbar erfolgreich

Ein überraschender Einwand und seine Entkräftung

»Das darf doch alles nicht wahr sein!«

Erster Einspruch: Contra ›Jeder einzelne als das Maß aller Dinge‹

Zweiter Einspruch: Contra ›Erkenntnis ist Wahrnehmung‹

Dritter Einspruch: Nochmals contra ›Jeder einzelne als das Maß aller Dinge‹

Ausweitung des Angriffs: Contra die ›Bewegtheit des Seins‹

Die Gegenposition der ›Alles-Stillsteller‹ – auf Sankt-Nimmerlein verschoben

Das wohlverdiente Scheitern einer unsinnigen Definition

»Die zweite Definition ist auch nicht viel besser!«

›Erkenntnis ist zutreffende Vorstellung‹ – so lautet Theaitetos’ nächste Hypothese.

Exkurs zum Gegenteil: Ist irrige Vorstellung überhaupt möglich?

Auch ›Erkenntnis ist zutreffende Vorstellung‹ zum Scheitern verurteilt

Die dritte und letzte Definition – »taugt auch sie tatsächlich nichts?«

Exkurs zu der Frage: Sind auch einfachste Bestandteile erkennbar?

›Erkenntnis ist zutreffende Vorstellung samt lógos‹ ebenfalls unhaltbar

Das vordergründige Scheitern auch der dritten Definition

›Coda mit Trugschluss‹ – Eingeständnis der Aporie

»Was soll uns dieser Dialog, jenseits aller Ironie?«

Längst vergessen – auf Jahre hin der Zeit voraus!

Im Jahr 1975 hat der damalige Carl Winter Universitätsverlag Heidelberg ein Buch mit dem Titel Platonische Ironie. Das Beispiel Theaitetos veröffentlicht. Dieses Buch sollte anhand eines einzelnen Dialogs nachweisen, in welchem Ausmaß Platons Texte der mittleren und späten Periode seiner Schriftstellerei von einer spezifischen Ironie durchtränkt sind, die – anders als der Sokrates der Frühdialoge seinem jeweiligen Gesprächspartner – vielmehr dem Leser, auch dem heutigen noch, Fallen stellt, ihn auf Holzwege lockt und mit Absurditäten abspeist – all das zu dem Zweck, den Leser zu eigenständigem Denken zu zwingen, wenn er denn herausfinden will, worauf Platon eigentlich hinausgewollt hat.

Das damalige Buch ist längst vergriffen und hat so gut wie keine Spuren hinterlassen, auf die es immerhin Anspruch zu haben geglaubt hat. Denn es hatte sich zum Ziel gesetzt, einer für die Platon-Interpretation grundlegenden Einsicht zum Durchbruch zu verhelfen: dass gerade die Texte, die sich den Anschein geben, Platons eigene Lehrmeinung zu diesem oder jenem Thema vorzutragen, nicht beim Wort genommen werden dürfen. Wer das dennoch tut und nicht der Versuchung widersteht, im Wortlaut der Texte tragfähige Ergebnisse platonischen Denkens zu sehen, der verfehlt eben das, worum es Platon tatsächlich geht. Denn es ist die Eigentümlichkeit dieser Texte, dass das, was Platon ernsthaft am Herzen liegt, hinter und unter Übertreibungen, Trugschlüssen, Scheinargumenten, Auslassungen, Abschweifungen ins Überflüssige und anderen Arten von Irreführung verborgen liegt. In alldem manifestiert sich ein vielfältiges Spiel mit dem Leser, das ihn an der Nase herumführt und schlimmstenfalls regelrecht betrügt.

Wir müssen dieses Spiel mit dem Leser jedoch als Einladung verstehen, als die Aufforderung, sich mit dem jeweiligen Text kritisch auseinanderzusetzen: seine Schwachstellen aufzudecken und seine Unzulässigkeiten zu korrigieren, um uns dem anzunähern, was Platon uns stattdessen hat mitteilen wollen. Denn was wir in seinen Texten vor uns haben, nennen wir es nun Betrug oder Täuschung – es steckt keine Bosheit dahinter, wie ein Kierkegaard-Zitat, leicht verkürzt, verdeutlichen mag: ›Aber eine Täuschung, das ist ja ein hässlich Ding. Darauf würde ich antworten: man lasse sich von dem Wort Täuschung nicht täuschen.

Man kann einen Mensch täuschen über das Wahre, und man kann … einen Menschen hineintäuschen in das Wahre.‹

Uns darauf einzulassen, bedeutet allerdings, von der liebgewordenen Gewohnheit Abschied zu nehmen, Platons Texte für sakrosankt zu erklären, sie nur mit staunender Verehrung zu behandeln und allenfalls noch behutsam Licht in diese oder jene Dunkelheit zu bringen. Aber kritisch mit ihnen umzuspringen – das scheint auch heute noch ganz und gar verpönt zu sein.

Hier hat das Buch des Verfassers Abhilfe schaffen wollen; stattdessen ist es, auch wegen mancherlei Mängeln der Darstellung, alsbald in Vergessenheit geraten. Andererseits hat es auch heutzutage noch, fünfzig Jahre nach seinem Entstehen, nichts von seiner ursprünglichen Brisanz verloren. Weil das für den Verfasser Anlass genug ist, nunmehr, gegen Ende seines Lebens, noch einmal mit seiner alten These an die Öffentlichkeit zu treten, hat er die Fassung von 1975 einer kritischen Prüfung unterzogen und dabei, bildlich gesprochen, die Hände über dem Kopf zusammenschlagen müssen: »Was für ein unlesbares Buch!«

Dieses beschämende Eingeständnis hat ihn genötigt, es nicht bei einer bloßen Neuauflage zu belassen, sondern die ursprüngliche Fassung des Buches gründlich zu überarbeiten, seine offenkundigen Schwächen, namentlich den durchgängigen und ausschließlichen Gebrauch griechischer Termini, zu beseitigen und einen Text zu formulieren, der sich auch für diejenigen Leser, die des Altgriechischen nicht mächtig sind, als lesbar – wenn auch nicht leicht, so doch gut lesbar – erweist. Dabei hat sich überdies herausgestellt, dass der griechische Text des Dialogs einer gründlichen Neu-Interpretation bedurft hat, die, bei dem gegebenen Abstand von 50 Jahren, zugleich auch eine inhaltliche Vertiefung einschließt. Die neue Version ist zudem so gehalten, dass das Buch nunmehr aus sich selbst heraus verständlich ist und seine Lektüre nicht länger des fortwährenden Blicks auf das Original bedarf, und sei es in einer deutschen Übersetzung.

Für das gegenwärtige Buch gilt daher: Es bietet Dasselbe noch einmal, freilich auf eine Weise, die dem Leser hilfreich entgegenkommt – dabei zugleich um so viel ausgefeilter, dass Dasselbe nicht mehr dasselbe ist. Überdies ist es mit dem Anspruch verbunden, einem nicht gerade geringen Manko, das der ursprünglichen Fassung auch heute noch anhaftet, nunmehr abgeholfen zu haben: Hatte sich Platonische Ironie. Das Beispiel Theaitetos von 1975 damit begnügt, die abschließende Aporie, in die Platons Dialog einmündet, aufzulösen, so geht der Verfasser in der neuen Version auch der viel wichtigeren Frage nach, was Platon mit seinem Text denn letztendlich gewollt hat, all den unübersehbaren Fragwürdigkeiten zum Trotz.

Stichwort Aporie: Einem aufmerksamen Leser könnte auffallen, dass der Verfasser mit der Entscheidung, seine These ausgerechnet am Beispiel des Theaitetos-Dialogs zu erläutern, seine eigene Voraussetzung außer Kraft zu setzen scheint: Dieser Dialog gibt sich gerade nicht den Anschein, Platons Lehrmeinung zum Thema Erkenntnis auszubreiten; im Gegenteil nimmt er das Grundmuster der weit zurückliegenden und zumeist aporetischen Frühdialoge wieder auf, in denen Platon seinen ehemaligen Lehrer Sokrates vornehmlich die Behauptungen zeitgenössischer Sophisten sich in umfassender Ratlosigkeit auflösen lässt. Doch wie sich herausstellen wird, ist die Aporie, in die der Theaitetos einmündet, eine nur scheinbare Aporie, absichtlich herbeigeführt und leicht als nur vermeintliche erkennbar. Außerdem bietet sich gerade der Theaitetos insofern besonders als Beleg für Platons ironischen Umgang mit dem Leser an, als er eine geradezu überreichliche Fülle an Beispielen für die Kunstgriffe enthält, mit denen Platon, um noch einmal Kierkegaard zu zitieren, seine Leser ›in die Wahrheit hineintäuscht‹.

Kunstwerk, Schelmenstück der Philosophie und Meisterliches Verwirrspiel mit dem Leser – so umschreibt der Verfasser den Titel seines neuen Buches zu seinem alten, unvermindert aktuellen Thema und hofft, mit seinen nunmehrigen, um 50 Jahre verspäteten leichter lesbaren Ausführungen endlich dem Anspruch auf vergnüglich-kritische Lektüre zu genügen, den der platonische Text erst recht an uns Heutige immer noch stellt.

Das Dilemma eines Großschriftstellers

oder die

Paradoxie, angesichts der Untauglichkeit alles Geschriebenen, sich selbst zu erläutern und zu verteidigen, gleichwohl sich veranlasst zu sehen, doch immer wieder Geschriebenes an die Öffentlichkeit zu bringen

Wo liegt das Problem?

Gegen Ende seines Dialogs Phaidros – und sozusagen in Abwertung des gesamten voraufgegangenen schriftlich fixierten Textes – lässt Platon, Stephanus-Seiten 275–278, seinen Lehrer Sokrates, der selbst nie etwas Geschriebenes von sich gegeben hat, eindringlich und spielerisch zugleich darlegen, dass das geschriebene Wort – und das gilt ganz allgemein – sich nicht selbst zu erläutern vermag, weil es dem, der es befragt, immer nur ein und dasselbe, nämlich sich selbst vorzeigt. Andererseits ist ihm die Genauigkeit, einen beliebigen Sachverhalt so restlos mitzuteilen und auf Anhieb so einsichtig zu machen, dass jedes weitere Befragen gar nicht erst nötig wäre, gleichfalls versagt. Beides zusammen aber heißt, dass alles Geschriebene nicht dazu taugt zu belehren, aus dem Stand der Unwissenheit in den des Wissens, des gesicherten, weil auf rückfragender Vergewisserung gegründeten Wissens zu versetzen; es brächte bestenfalls ein bloß vermeintliches Wissen hervor. Tatsächlichen Nutzen vermag vielmehr nur der bereits Wissende aus Geschriebenem zu ziehen: Er hat daran – so Platons überraschende Einschränkung – eine Stütze für seine Erinnerung, mehr allerdings auch nicht. Ein erstes Fazit lautet daher: Das geschriebene Wort ist untauglich zur Belehrung.

Daraus folgt, weiterhin laut Phaidros 275–278, dass jeder Verständige sich dort, wo er belehren will, zumal wenn es dabei um die Vermittlung philosophischer Einsichten geht, auf die mündliche Belehrung, das wechselseitige Gespräch beschränkt. Schriftliches hingegen wird er entweder nur als Hilfsmittel gegen das Vergessen oder aber als nicht ernst gemeint verfassen: bloß zum Spiel und zum Vergnügen. Und zwar die Erinnerungshilfe, wie Platon ausdrücklich vermerkt, außer für sich selbst auch für jeden anderen, der aus Eigenem heraus zur gleichen Einsicht gelangt ist, das Spielen/Scherzen hingegen, das nichts als Spiel und Scherz sein will, angeblich – so Platons erstaunliche Formulierung – nur für sich selbst allein. Und bei dieser Schriftstellerei des Spieles halber wird, ja muss der Verständige, dem anderen Manko alles Geschriebenen gemäß: dass es dem Missverständnis, gar dem böswilligen, sich hilflos ausgeliefert sieht, sein Eigentliches, das, womit es ihm Ernst ist, für sich behalten; er wird deshalb nur Beiläufiges, Randständiges, kurz, ausschließlich Unwesentliches vorführen, und auch dies nicht, um zu belehren, sondern allein in der unernsten Absicht auf ergötzlichen und obendrein nur eigenen (!) Zeitvertreib. Ein zweites Fazit lautet dementsprechend: Alles Geschriebene, zumindest, soweit es der Feder des Verständigen entstammt, trägt weithin das Gepräge des bloßen Spiels, der paidiá.

Doch dieses zweite Fazit ist, anders als das erste, keineswegs logisch korrekt, wie auch die einzelnen Sätze, aus denen es angeblich sich ergibt, untereinander im Widerspruch stehen: Zum einen ist nicht einzusehen, warum Geschriebenes zwar als Erinnerungshilfe, nicht aber ebenso als Spiel auch für die anderen Wissenden zugänglich und partizipierbar sein sollte. Zum anderen wird unterschlagen, dass seine Funktion als Erinnerungshilfe und sein Spiel-Charakter, so wie bisher als bloßer Zeitvertreib beschrieben, letztlich unvereinbar sind. Denn als Gedächtnisstütze ist das Geschriebene ja nur dann von Nutzen, wenn auch und gerade das Eigentliche, und sei’s bloß im Umriss oder in der Andeutung, darin eingeht – eine Erinnerungshilfe, die sich ganz aufs Belanglose zurückzieht, wäre sinnlos. Andererseits darf eine schriftlich verfasste Erinnerungshilfe, wenn schon der anderen möglichen Nutznießer wegen an die Öffentlichkeit gebracht, um das Risiko der Missdeutung wenigstens herabzumindern, auch nicht mehr als eben bloß eine Andeutung des Wesentlichen sein (die freilich dem Wissenden, und nur dem Wissenden, vollauf genügt). Dabei ist der Spiel-Charakter des Geschriebenen, soweit bis jetzt ersichtlich, allein in der Beschränkung aufs Belanglose begründet (und wäre insofern durch die bloße Einbeziehung des Eigentlichen aufgehoben) sowie in dem Verzicht aufs Belehren, genauer aufs Belehren-Wollen. Weil aber diesbezüglich Beides, Beschränkung aufs Belanglose und Verzicht aufs Belehren-Wollen, bislang uneingeschränkt gelten soll und folglich auch der Spiel-Charakter ein uneingeschränkter sein muss, kann nicht, wie es im zweiten Fazit mittels eines ›weithin‹ geschieht, von vielfachemSpielen/Scherzen die Rede sein – von einem Spiel-Charakter, der dem Geschriebenen nur hier und dort eignet, statt es ganz und gar zu durchdringen.

Das führt zu der Schlussfolgerung, dass das vielfacheSpielen/Scherzen des zweiten Fazits – dem im Übrigen als Gegenstück lediglich das Fehlen einer durchgängigen Ernsthaftigkeit sich zuordnet – schon rein logisch gesehen gerade nicht den völligen Verzicht aufs Wesentliche und damit auch auf jegliches Belehren bedeuten kann: Das vielfacheSpielen/ Scherzen muss vielmehr mit dem Eigentlichen, das jedoch nur andeutungsweise vorkommen darf, zusammen ein Ganzes bilden.

Und dieser neue, erst noch zu bestimmende Spiel-Charakter ist daher auch nicht länger mit der Funktion des Geschriebenen als Erinnerungshilfe unvereinbar: Der geschriebene Text vermag, obwohl vom Spielen/Scherzen durchtränkt, weil und insofern er auch die Andeutung des Eigentlichen enthält, durchaus auch den übrigen Wissenden als Gedächtnisstütze zu dienen. Ja noch mehr: Ein solcher Text muss für denjenigen, der, freilich aus eigener Kraft, dem Stand des Wissenden erst noch zustrebt, bezüglich des bereits Erreichten dankenswerte Bestätigung und im Hinblick auf das noch Fehlende hilfreicher Hinweis sein; gehört doch, wer derart selbständig unterwegs ist, mit Platons 7. Brief gesprochen, zu denjenigen, die nur eines geringen Fingerzeigs bedürfen. Und mit dieser Funktion des Hinweisens, die derjenigen der bloßen Erinnerungshilfe gegenüber zweifellos das größere Gewicht besitzt, ist dem Geschriebenen zugleich, all seinem vielfachenSpielen/Scherzen zum Trotz, die Möglichkeit des Belehrens zurückgegeben, allerdings nur eines indirekten und gleichsam widerrufenen wie auch rein selektiven, das allein auf einige Auserwählte abzielt. Dem vielfachenSpielen/ Scherzen aber fällt dabei unter anderem auch die Aufgabe zu, das Wesentliche sogar noch in seiner bloßen Andeutung vor den Unberufenen zu verbergen, es so zu verzerren und zu entstellen, dass seine Mitteilung für die Unberufenen wertlos ist: Dem ansonsten immer noch ungeklärten Spielen/Scherzen eignet somit auch das Moment des Betrugs: Der Unberufene gelangt zu dem falschen Glauben, in der wörtlichen Gestalt des Textes das Wesentliche selbst, mag es auch nur umrisshaft angedeutet sein, in Händen zu halten, während er doch in Wahrheit nur dessen verzerrte Spiegelung besitzt. Und in dieser Eigenschaft als Betrug muss das vielfacheSpielen/Scherzen, dem im Übrigen alles das angehört, was nicht Andeutung des Wesentlichen ist, auch noch diese Andeutung überlagern, ja durchsetzen: Spiel und Ernst stehen nicht, als einander ausschließend, nebeneinander, sie verschmelzen vielmehr.

Bleibt noch, bevor der Begriff des Spielens/Scherzens näher bestimmt wird, die Frage zu beantworten, wieweit denn nun Platon das, was er im Phaidros vorträgt, von sich selbst aussagt, und zwar zunächst auf der Ebene dessen, was wörtlich dasteht, und sodann im Sinne dessen, was eigentlich gemeint ist: Dass Platon sich auch selbst zu jenen Verständigen rechnet, die um die grundsätzlichen Mängel des geschriebenen Wortes wissen, liegt auf der Hand; dass er, dies vorausgesetzt, seine Dialoge nicht als Erinnerungshilfe nur für sich selbst verfasst hat, zeigt deren Veröffentlichung; dass er ihnen andererseits, wenn sie denn schon von vornherein der Öffentlichkeit zugedacht sind, angesichts der zweifachen Ohnmacht alles Geschriebenen weder die Aufgabe eines direkten Belehrens zumutet noch ihnen das, womit es ihm Ernst ist, sein Eigentliches also, offen aufgebürdet hat, leuchtet ebenfalls ein. Dass die platonischen Dialoge demgemäß, wenn tatsächlich lediglich als Spielen/Scherzen im Sinne eben dieses doppelten Verzichts (auf direktes Belehren wie auf die offene Darlegung des Eigentlichen) entworfen, aufgrund der Unvereinbarkeit ihres Charakters als eines bloßen Spiels hier und ihrer Funktion als Erinnerungshilfe dort auch noch als verlässliche Gedächtnisstütze für die übrigen Wisssenden ausscheiden, folgt sodann zwangsläufig; und dass sie als solch bloßes Spiel nicht nur zu Platons eigenem Zeitvertreib geschrieben sind, belegt abermals ihre Veröffentlichung.

Demgegenüber nun das vielfache Spielen/Scherzen: Dass sich Platon bei der Antithese: ›hier der Tor, der dem Geschriebenen große Zuverlässigkeit und Klarheit beimisst und ihm daher sein Bestes anvertraut, und dort der Einsichtige, der dieses Beste vielmehr dem wechselseitigen Gespräch vorbehält, dem Geschriebenen jedoch die Unvermeidbarkeit eines vielfachen Spielens/Scherzens sowie die Unangemessenheit einer großen Ernsthaftigkeit zugesteht‹, wiederum den Verständigen zuzählt, steht außer Zweifel, so dass die Bestimmung des Geschriebenen als von vielfachem Spielen/Scherzen durchwirkt und einer großen Ernsthaftigkeit unwert auch und gerade, wenn nicht sogar ausschließlich den platonischen Dialogen gilt, und das mit allen Konsequenzen: Sie entbehren nicht ganz des Wesentlichen, doch enthalten sie davon eben nur die eine oder andere Andeutung; sie zielen damit auf einige Auserwählte, denen solcher Fingerzeig vollauf genügt; und das Spiel, das ansonsten aus der Ausbreitung von Belanglosem besteht, dient unter anderem auch dazu, das Wesentliche noch in seiner Andeutung vor den Unberufenen zu verbergen. Und für diese letzte Funktion des Spiels ist gerade Phaidros 275–278 ein deutliches Beispiel: Wenn Platon hier den Spiel-Charakter seiner eigenen Dialoge offenlegt, so geschieht das mittels einer vordergründigen und in sich unstimmigen Darstellung, die das, was eigentlich gemeint ist, zugleich verhüllt und somit auch selbst von jenem Spielen/Scherzen erfüllt ist, das sie mehr andeutet als beschreibt.

Diese Anwendung der Spielen/Scherzen-Passage auf Platons eigenes Werk sieht sich im Übrigen durch Platon selbst bestätigt, und zwar insofern auch sonst in den Dialogen einzelne Teile oder gar das Ganze als bloßes Spiel hingestellt werden. So setzt Platon eben im Phaidros konsequenterweise und doch nur scheinbar konsequent die gesamte Erörterung des Dialogs nachträglich zu einem Spielen/Scherzen herab, nur scheinbar konsequent deshalb, weil doch für den Sokrates des Dialogs keinerlei Anlass besteht, das, was er soeben über die geschriebene Rede ausgeführt hat, auch auf sein mündliches Gespräch mit Phaidros zu beziehen (278b7); so werden im Philebos ein anscheinend wichtiger Beweisgang wiederum nachträglich für pures Spielen/Scherzen ausgegeben (30e6 f.) und im Parmenides der gesamte zweite Teil von vornherein als ein freilich mühseliges Spiel eingeführt (137b2); so wird sowohl im Phaidros (265c8 f.) wie im Politikos (268d8 f.) der jeweilige Mythos bloßes Spiel genannt, und wird im Timaios (59d1 f.), in der Politeia (536c1) und in den Nomoi (685a7 f., 769a1 f.) sogar der gesamte Dialog ausdrücklich zu einem Spielen/Scherzen herabgestuft: Allemal hat Platon damit, so unterschiedlich die einzelnen Fälle auch sein mögen, die Bedeutung des jeweils gerade Dargelegten oder erst noch zu Entwickelnden herabmindern wollen – als sei das alles nicht weiter ernst zu nehmen, als sei da nichts, was Gewicht hat, nichts, was Gültigkeit beanspruchen könnte.

Doch in keinem der genannten Fälle ist die Behauptung eines Spielens/Scherzens, was ja durchaus denkbar wäre, falsche Selbstbezichtigung oder bloßes Understatement; stets entsprechen ihr vielmehr tatsächliche einschlägige Momente, hat sie also den Wert eines zutreffenden Hinweises. Und zwar beruht zumindest beim Phaidros, bei der Politeia und den Nomoi der so enthüllte Spielen/Scherzen-Charakter wenigstens zum Teil auch darauf, dass sich hier weniger Wichtiges, ja Unwichtiges auf Kosten des Wichtigen breitmacht und andererseits das Eigentliche nur in nahezu verschwindender Andeutung auftritt. Indessen, derart auf das Nebeneinander von allzu viel Minderem und möglichst wenig Wertvollem beschränkt, reicht der Begriff des bloßen Spiels ja nicht einmal für die Phaidros-Passage selbst aus – hat sich doch dort bereits die weitere Funktion des Spielens/Scherzens herausgestellt, das Eigentliche auch noch in seiner Andeutung zu verbergen. Und solchermaßen um die Bestimmung des Verhüllens erweitert – wobei dann freilich die wuchernde Fülle des Nebensächlichen mit zur Verhüllung dazugehört – trifft die Spielen/Scherzen-Aussage nicht nur auf Phaidros, Politeia und Nomoi, sondern ebenso auch auf den zweiten Teil des Parmenides wie auf die beiden Mythen zu, die sowohl im Phaidros wie im Politikos als etwas Eigenständiges auftreten. Nur bleibt dabei die – obendrein jeweils andere – Weise des Verhüllens nach wie vor ungeklärt. Und noch im Timaios und analog im Philebos, wo das Verdikt bloßen Spielens und Scherzens aus dem minderen ontologischen Rang des Gegenstandes zu resultieren scheint – allerdings ist auch diese Angabe ihrerseits wieder des Spielens/Scherzens verdächtig – lassen sich der Wildwuchs des Beiläufigen und die Verhüllung des Eigentlichen noch in seiner minimalen Andeutung als zusätzliche, wenn nicht sogar einzige Grundlage für die Behauptung bloßen Spielens/Scherzens nachweisen: Allemal kehrt somit als identisches Merkmal die Verhüllung wieder, die überdies aufgrund der Phaidros-Analyse als die entscheidende Bestimmung des Spielens/Scherzens feststeht. Dazu jedoch, auch noch die Art und Weise solcher Verhüllung deutlich zu machen, reichen die Hinweise aufs Spielen/ Scherzen in diesem Dialog nicht aus.

Immerhin bleibt als Ergebnis der Spielen/Scherzen-Passage Phaidros 275–278 festzuhalten: Das geschriebene Wort taugt nicht dazu, andere zu belehren, weil es kein Sich-Vergewissern durch Rückfragen und infolgedessen kein gesichertes Wissen zulässt. Zugleich darf wegen der Gefahr möglichen Missverständnisses, ja der böswilligen Entstellung sogar für diejenigen, denen schon der bloße Hinweis genügte, nicht alles, namentlich nicht das Entscheidende offen ausgebreitet werden. Daher muss sich alles Geschriebene entweder ganz aufs Unwesentliche oder allenfalls, wenn das Eigentliche dennoch einbezogen werden soll, auf wenige Andeutungen desselben beschränken und muss es obendrein dieses Wenige gleichsam gleich wieder zurücknehmen: in der Verhüllung durch Spiel und Scherz.

Dazu passt, dass Platon seinen Sokrates den Passus Phaidros 275–278 mit der Bemerkung abschließen lässt, ›es sei ja nun hinreichend Scherz und Spielerei betrieben‹. Denn diese rückblickende Verharmlosung bedeutet keineswegs, dass damit dem zuvor Gesagten die Gültigkeit aufgekündigt wird. Vielmehr ist dieser – nur scheinbare – Widerruf (der zugleich der Widerruf jener bereits erwähnten Abwertung wäre, die der Passus selbst gegenüber dem voraufgegangenen schriftlich fixierten Dialog darstellt) nur konsequent. Kann Platon doch keinesfalls in der für ihn als Schriftsteller zentralen Frage direkter oder indirekter Mitteilung, wenn er sich denn für Letztere entschieden hat, bei bis dahin durchgehaltener Verhüllung plötzlich die Maske der Ironie fallen lassen und durch Hinwendung zu der Direktheit offenen Belehrens die von ihm selbst skizzierte Ausgangslage für null und nichtig erklären. Die Bemerkung, ›es sei ja nun hinreichend Scherz und Spielerei betrieben‹, ist somit ihrerseits Spielerei, bloße paidiá, die dazu dient, dem gesamten Passus jeden Schein von Ernsthaftigkeit zu nehmen und die angestrebte Verhüllung auf die Spitze zu treiben.

Sokrates und der Kunstgriff der Ironie

Im 1. Buch der Politeia ist von der gewohnten (und jedermann bekannten) Ironie des Sokrates die Rede. Es geschieht das in Erwiderung auf eine jener auch sonst geläufigen Äußerungen, in denen Sokrates – der Sokrates der platonischen Dialoge, mithin der Sokrates Platons – seine eigenen Fähigkeiten herunterspielt (hier seine Unfähigkeit behauptet, ein bestimmtes Problem zu lösen) und zugleich seinen Widerpart, dessen Position er in Wahrheit für unannehmbar hält, zum Sachverständigen oder, damit gleichbedeutend, zum kompetenten Fachmann erhebt – zur unfehlbaren Autorität, die ihm, dem unbedarften Sokrates, nicht Schelte, sondern Belehrung schuldet. Diese Einschätzung wird ihm diesmal offen als Ironie vorgehalten, als die ihm eigene Verstellung, die obendrein stets nur das eine Ziel verfolgt, sich unter dem durchsichtigen Vorwand der eigenen Unfähigkeit und der überlegenen Kompetenz seines Gegenübers der Nötigung zu entziehen, nun auch seinerseits, statt immer nur die anderen auszufragen, einmal die eigene Sicht der Dinge kundzutun (Politeia 336e2–337a7).

Das Symposion erweitert die für den platonischen Sokrates typische Ironie zu einem Doppel-Phänomen: Sokrates als der hingerissene Liebhaber wohlgestalteter Jünglinge, während er in Wahrheit von der Schönheit des Leibes gering denkt, und Sokrates als der schlechthin Unwissende, während er in Wahrheit einen Schatz an kostbarstem Wissen in sich birgt (Symp. 216d2–217a5). Zwar wird dabei lediglich das Urteil des Alkibiades wiedergegeben, der jedoch bezüglich dessen, was er hier im Auftrage Platons zur Verherrlichung des gemeinsamen Lehrers vorträgt, ein unverdächtiger Zeuge ist. Und wieder ist mit der Ironie des Sokrates die bewusste Verstellung gemeint, diesmal freilich eine zweifache: So närrisch verliebt, wie Sokrates sich gibt, ist er gerade nicht, im Gegenteil, und auch die Unwissenheit, auf die er sich immer wieder beruft, sich immer wieder zurückzieht, ist bloß vorgetäuscht. Und wieder verfolgt die Verstellung einen bestimmten Zweck: Hier ist es der Umgang mit den Schönen, den sich Sokrates mit dem Anschein übertriebener Verliebtheit erschmeicheln möchte, und dort der Effekt, sich der doch gewiss berechtigten Forderung entziehen zu können, auch seinerseits Rede und Antwort zu stehen. Dauerhaften Erfolg aber hat eine solche Verstellung nur dann, wenn sie, wie Alkibiades für Sokrates mit Nachdruck bekräftigt, ausnahmslos und ständig durchgehalten wird.

In der Apologie ist es Sokrates selbst (der platonische Sokrates, versteht sich), der von der allbekannten Ironie des Sokrates spricht, allerdings nur, um für dieses eine Mal ihr Fehlen, mit anderen Worten, um die Aufrichtigkeit seiner Worte zu betonen – dem entspricht, dass Platon ihn hier, in der Ausnahmesituation des bevorstehenden Todes, auch sein Prinzip des ›Ich weiß, dass ich nichts weiß‹ in aller Öffentlichkeit durchbrechen lässt (Apol. 29b6 f.) Und zwar unterstellt Sokrates seinen Richtern, sie möchten den unumstößlichen Grund seiner Weigerung, seine Mitbürger fortan ungeschoren zu lassen, fälschlich für eine Ausgeburt seiner gewohnten Ironie halten: bloß vorgetäuscht, eine wahrheitswidrige Angabe, anstelle der üblichen Selbstverkleinerung diesmal ein Abstecher ins Großsprecherische, um dem eigenen Tun die Weihe einer höheren, von den Göttern auferlegten Notwendigkeit zu verleihen, doch – und das ist das entscheidende Merkmal – um nichts weniger falsch (37e5–38a1). Und das, was Sokrates selbst hier ausdrücklich abstreitet, seinen Zuhörern aber aufgrund ihrer bisherigen Erfahrung mit ihm als naheliegend erscheinen muss: die ungebrochene Fortführung seiner gewohnten Verstellung – sie besteht diesmal darin, dass er, wie schon bei den vorigen Beispielen seiner Ironie, wider besseres Wissen die Unwahrheit sagt und mit seinem vorgeblichen Widerruf aller Verstellung die geheime Absicht unterschlägt, sich dem Todesurteil unter dem Schein seiner Abwendung de facto gar nicht entziehen zu wollen.

Im Gorgias schließlich bezichtigen sich Kallikles und Sokrates wechselseitig der Ironie. Beide verwenden dabei den Begriff Ironie gerade so, wie sie auch die Sache Ironie jeweils selbst praktizieren würden: Kallikles, für seine Person alles andere als ein Ironiker im Sinne des Sokrates, bezieht sich mit seinem an Sokrates gerichteten Vorwurf lediglich auf eine scherzhaft-übertriebene Äußerung seines Gegenübers, während Sokrates, als Meister der Verstellung, dem Kallikles genau das unterstellt, was allenfalls er selbst zu tun imstande wäre – unter dem glaubhaften Anschein der Aufrichtigkeit und Ernsthaftigkeit den anderen in ein Gespinst aus Falschem einzuhüllen. Und zwar läuft Sokrates’ Unterstellung darauf hinaus, dass Kallikles mit seiner großen Rede über Nutzen und Nachteil der Philosophie vorsätzlich etwas anderes gesagt habe, als er tatsächlich für zutreffend, vorteilhaft, angemessen, kurz für richtig halte – dass er also nicht das, was er in Wahrheit denke, sondern eine nur vorgetäuschte Ansicht geäußert und damit Sokrates bewusst in die Irre geführt oder das doch wenigstens beabsichtigt habe (Gorgias 489d7–e3).

Ironie im Sinne des Sokrates – das macht dieses indirekte Eingeständnis aus Sokrates’, des platonischen Sokrates’ eigenem Munde deutlich – liegt demnach auch dann vor, wenn einer lediglich wider sein tatsächliches Dafürhalten redet, also dies sein Dafürhalten hinter anderslautenden oder gar gegenteiligen Aussagen verbirgt. Und diese Verstellung will mehr, als nur das eigene Urteil vorenthalten; sie will zugleich den anderen irreführen, will ihn dazu verleiten, sich seinerseits ein falsches Urteil zu bilden, falsch zumindest in den Augen des Ironikers.

Aufs Ganze gesehen besteht die Ironie des Sokrates also darin, dass er entweder wider besseres Wissen spricht – dass er dort, wo er die Wahrheit weiß, insbesondere bei Äußerungen über die eigene Person, wissentlich Unzutreffendes behauptet, und dort, wo es sich um Werturteile und ähnliches handelt, möglicherweise das Falsche, nämlich etwas anderes sagt, als er tatsächlich für wahr hält. Alles das geschieht unter dem Anschein des Ernstes und in der unausgesprochenen Absicht, seine Gesprächspartner hinters Licht zu führen, und zwar zunächst und vor allem bezüglich seiner eigenen Person – sie hier mittels einer falschen Einschätzung ihres Gegenübers zu einem für ihn selbst vorteilhaften Verhalten zu bewegen, zu dem sie sich schwerlich verstünden, wenn sie die Wahrheit wüssten: So sollen sie vornehmlich – dies die Funktion der vorgetäuschten Unwissenheit – darauf verzichten, ihn auch seinerseits ins Verhör zu nehmen, und sich vielmehr darein fügen, immer nur selbst von Sokrates ausgefragt zu werden. Sokratische Ironie ist daher, als Verstellung und Irreführung zugleich, eine Form des Betrugs: Indem sie das Wahre (oder das für wahr Gehaltene) vorenthält, zwingt sie dazu, sich mit dem Falschen einzurichten.

Demgegenüber nun die Bedeutungsvielfalt des Doppel-Wortes Spielen/Scherzen: Sie reicht (1) von der unernsten und meistens auch unnützen Tätigkeit, der man sich in der Muße zum Vergnügen, zum bloßen Zeitvertreib hingibt, die aber darüber hinaus dem erwachsenen Mann in seiner Würde und seinen Pflichten nicht ansteht (Spielen/Scherzen I, zu belegen durch Menexenos 236c8 f., Phaidros 276d5 ff., Nomoi 685a6 ff.), über (2) den Scherz, die nicht ernst gemeinte Äußerung, die durch ihr Unmaß sei’s der Übertreibung sei’s des Understatement eben dies, dass sie nur zum Spaß gesagt ist, deutlich anzeigt (Spielen/ Scherzen II, zu belegen durch Theaitetos 168c6 f., mittelbar auch durch Phaidros 234d7 f., wo ein Musterbeispiel sokratischer Ironie lediglich als Scherz verstanden wird, und Philebos 28c2 ff., wo ein ursprünglich ernst Gemeintes durch Widerruf dieses Ernstes nachträglich als bloße Übertreibung hingestellt wird), bis (3) zu einem Spielen/Scherzen, das durch Vorspiegelung des Unzutreffenden täuschen, ja betrügen will, indem es dazu verleitet, Falsches für wahr zu halten – ein Spielen/Scherzen III, dessen Bestimmung sich durch Phaidros 262d2 bestätigt sieht, wo im Zusammenhang von Betrügen offen von einer Irreführung der Zuhörer mittels eines ›mit Worten Scherzens‹ gesprochen wird. Dieses betrügerische Spielen/ Scherzen liegt in der Apologie 20d4 ff. vor, deutlich als Gegensatz zur wahrheitsgemäßen Aussage markiert: unter dem Anschein des Ernsthaften bloß Erlogenes vorzutragen und die Zuhörer wissentlich Falsches glauben machen zu wollen; und ähnlich Protagoras 336d2 ff.: Spielen/Scherzen als der Versuch, den anderen durch die Behauptung der Unwahrheit (hier durch das genaue Gegenteil dessen, was tatsächlich der Fall ist) zu einer Fehleinschätzung (und zwar der Person dessen, der da spielt und scherzt) und mittels ihrer zu einer Verhaltensweise zu veranlassen, die ohne solche Täuschung nicht zu erreichen wäre (vgl. 334c8– d5). Ansonsten aber erscheint das Spielen/Scherzen III als ein ›mit dem anderen sein Spiel Treiben‹, ihm in voller Absicht das Falsche darbieten, in der Erwartung, dass er darauf hereinfällt, es sich zu eigen macht und so in die Irre geht – ›mit dem anderen sein Spiel Treiben‹ als Versuch der Irreführung und des Betrugs. So im Hippias maior (300d2–4.): wissentlich Unzutreffendes behaupten und damit den anderen zu einer in Wahrheit unhaltbaren Annahme verleiten; so im Menon (79a7 ff.): durch absichtliche Äußerung von logisch Unzulässigem den anderen hintergehen wollen – vielleicht merkt er’s ja nicht und gibt sich mit einem Ergebnis zufrieden, das gar keines ist; und so auch im Gorgias: Zwar, wenn Kallikles 499b4 ff. angesichts der Widersprüche, in die er sich plötzlich verwickelt sieht, sein Einverständnis mit dem bisher Erreichten dadurch widerruft, dass er seinen Anteil daran nachträglich für bloßen Scherz ausgibt, so meint das ein Scherzen im Sinne von Spielen/Scherzen II; wenn jedoch Sokrates ihn daraufhin 500b6 f. ermahnt, nicht fürderhin ›sein Spiel mit ihm zu treiben‹ und seiner eigenen Überzeugung Zuwiderlaufendes beizusteuern, so ist unversehens aus dem Spielen/Scherzen II ein Spielen/Scherzen III geworden: vorsätzlich gegen das eigene Dafürhalten reden, den anderen mit Antworten abspeisen, die der Antwortende selbst für falsch hält, und ihn auf diese Weise sich in Schlussfolgerungen verrennen lassen, die in den Augen dessen, das da spielt und scherzt, zwangsläufig wertlos sind. Auch dies also ein Irreführen und Betrügen, ein eindeutiger Fall von Spielen/Scherzen III, und wieder als ›mit jemandem sein Spiel treiben‹ formuliert.

Dieses Spielen/Scherzen III wird nun innerhalb des Symposion in einem Atemzug mit einer dem Sokrates eigentümlichen Ironie genannt: Dessen Verstellung, sich als ausnahmslos unwissend bzw. in jeden schönen Jüngling verliebt zu geben, um dadurch eine entsprechende Einschätzung seiner eigenen Person und mittels ihrer ein bestimmtes Verhalten ihm selbst gegenüber, nämlich Nachgiebigkeit und Willfährigkeit, zu provozieren, erscheint dort gleichermaßen als ›sich ironisch geben‹ wie als ›mit den Menschen sein Spiel treiben‹.

Das besagt zwar zunächst nur, dass die sokratische Ironie ein Spielen/Scherzen III darstellt; weil aber, wie aus dessen Bestimmung als ›Behauptung des Unzutreffenden zum Zwecke der Irreführung und des Betrugs‹ ersichtlich, das Spielen/Scherzen III mit der sokratischen Ironie inhaltlich zusammenfällt, ja geradezu als deren Definition gelten kann, trifft auch umgekehrt zu, dass alles Spielen/Scherzen III einen Fall des für Sokrates typischen ›sich ironisch Gebens‹ bedeutet.

Und in der Tat, während die beiden anderen Arten des Spielens/Scherzens zwar auch von Sokrates aussagbar, doch durchaus nichts typisch Sokratisches sind, ist das Spielen/ Scherzen III eben dies: dem Sokrates, dem der Dialoge, eigentümlich, allein bei ihm anzutreffen, von ihm allein rechtens aussagbar. Dem widerspricht keineswegs, dass an drei Belegstellen für Spielen/Scherzen III (Hippias maior 300d2–4., Menon 79a7, Gorgias 500b6 f.) genau andersherum Sokrates seinerseits den Vorwurf, ›mit dem anderen sein Spiel zu treiben‹, gegen seinen jeweiligen Gesprächspartner erhebt. Denn weder ist der Sophist Hippias durchtrieben genug, das zu tun, was Sokrates ihm da unterstellt; er meint vielmehr das, was Sokrates zu seinem Vorwurf veranlasst, ganz ernst und aufrichtig, und nur Sokrates, der das für falsch hält, vermutet dahinter, von sich selbst auf den anderen schließend, vorsätzliche Täuschung. Noch hat Menon durch seine unzulässige Zustimmung zu einem falschen Ergebnis Sokrates bewusst irreführen wollen; im Gegenteil hat er gar nicht bemerkt, dass dies sein Einverständnis logisch Unzulässiges impliziert, sondern ganz naiv und in gutem Glauben Ja gesagt; und wieder ist es allein Sokrates, der von sich auf sein Gegenüber schließt und dieses Einverständnis des Spielens/Scherzens III verdächtigt. Und schließlich hat auch Kallikles im Gorgias das, was fortan zu unterlassen Sokrates ihn auffordert, gerade nicht getan: Seine Antworten, die er nachträglich als bloßes Spielen/Scherzen widerrufen möchte, waren an Ort und Stelle durchaus ernst und aufrichtig gemeint; und wenn er sich schon einmal unter dem Zwang der Argumentation des Sokrates wider sein Dafürhalten äußern musste, dann hat er das auch deutlich durchblicken lassen (vgl. 495a5–9). Ja, er war bislang so wenig imstande, auch nur das auszuführen, was er nachträglich von sich behauptet, nämlich bloß im Scherz zu reden (Spielen/Scherzen II), dass er sich immer wieder hat in die Enge treiben lassen und seinem Ärger darüber Luft gemacht hat (vgl. 497a6 ff., 498d1). Genauso muss es die Möglichkeiten eines Kallikles übersteigen, ein Spielen/Scherzen III durchzuhalten; und mag es auch für Sokrates naheliegen, sich, nachdem ja Kallikles zuvor das Stichwort Spielen/ Scherzen selbst gegeben hat, ein solches Spielen/Scherzen III zu verbitten, so ist doch der Verdacht, dem eine solche Äußerung entspringt, was Kallikles betrifft, völlig unbegründet und allenfalls insofern berechtigt, als Sokrates sein eigenes Verhalten stets vor Augen hat. Kurz, in allen drei Fällen sind es nicht die jeweils Angesprochenen, die sich eines Spielens/ Scherzens III befleißigen; vielmehr gilt, dass Sokrates es ihnen lediglich unterstellt, dabei von sich selbst auf die anderen schließt und ihnen zugleich etwas zuschreibt, dessen sie gar nicht fähig sind und das tatsächlich zu leisten er allein vermag. Ja, noch im Phaidros ist es eben Sokrates, der die allgemeine Theorie kunstvoller Täuschung entwickelt und dabei von einem Spielen/Scherzen spricht: Zwar könnte er sich dabei bezüglich Irreführung und Betrug auf das Vorbild der Sophisten berufen, doch die haben ihre Fähigkeit, jedermann alles glauben zu machen, als eine wichtige und ernsthafte Sache betrieben, während die erklärtermaßen spielerische Handhabung des Irreführens die Eigentümlichkeit eines Sokrates darstellt. Auch in diesem Fall spricht also Sokrates von sich selbst her, und zwar insofern es sein ganz persönliches Verhalten ist, das er hier zu einem allgemein geübten überhöht. Nach allem darf daher für gesichert gelten, dass ebenso, wie Sokrates’ ›sich ironisch Geben‹ stets ein Spielen/Scherzen III ist, es sich umgekehrt beim ›mit einem anderen sein Spiel Treiben‹ zwecks Irreführung und Betrug stets um die Ironie des Sokrates handelt.

Dieses ironische Spielen/Scherzen III ist nun weder vom Begriff noch von seinem Urheber her darauf beschränkt, dass sich jemand – wie der Protagoras-Dialog, das 1. Buch der Politeia und das Symposion für Sokrates belegen – als vergesslich, unfähig, schlechthin unwissend oder in jeden hübschen Jüngling verliebt ausgibt. Es verwirklicht sich vielmehr – und das in Übereinstimmung mit den Vorwürfen, die Sokrates gegen Hippias, Menon und Kallikles erhebt – ebenso in einer Argumentationsweise, wie sie als Vorbild des platonischen bereits der historische Sokrates seinen jeweiligen Gesprächspartnern gegenüber an den Tag gelegt haben mag und wie sie uns am Zuverlässigsten in der Spiegelung der Frühdialoge Platons entgegen tritt (etwa in den beiden Hippias-Dialogen oder im Protagoras): mit Hilfe von logischen Ungenauigkeiten und Unzulässigkeiten, mit der unmerklichen Bedeutungsveränderung eines Begriffs, mit Doppeldeutigkeiten, Trugschlüssen und ähnlichem den Gegner zu verwirren oder in die Enge zu treiben, so dass er sich in Widersprüchen verfängt – ein deutlich betrügerisches Vorgehen, ganz und gar vorsätzliche Irreführung. Und so zu verfahren ist, laut seinem Selbstzeugnis in der Apologie, gerade für Sokrates nichts als konsequent: Wenn er seine Aufgabe darin sieht, die ›Kundigen‹ aller Art – und das sind für ihn immer nur vermeintlich ›Kundige‹ – ihrer Unwissenheit und Inkompetenz zu überführen, so bieten sich ihm drei Möglichkeiten: Entweder könnte Sokrates dem angeblichen Wissen seines jeweiligen Gesprächspartners sein eigenes, tatsächliches Wissen entgegensetzen und den anderen durch überlegenen Gegenbeweis zugleich widerlegen und bloßstellen – das widerspräche jedoch dem angenommenen Schein, selbst unwissend zu sein, und setzte, da Sokrates sich ja getraut, jegliche Autorität anzugreifen, auf seiner eigenen Seite ein allumfassendes Wissen und damit etwas Unmögliches voraus.

Oder Sokrates bedient sich der Methode, sein Gegenüber lediglich auszufragen – dann können Fangfragen, die den anderen hereinlegen sollen, entweder abermals eigener Sachkenntnis entspringen und den anderen eben dadurch, dass sie auf fundiertem Wissen beruhen, des Mangels an solchem Wissen überführen, was indessen aus den nämlichen Gründen entfällt wie das zuvor genannte Verfahren der Gegendarlegung. Oder aber – und das ist die Methode, deren sich Sokrates tatsächlich bedient, weil sie weder Sachkenntnis seinerseits verlangt noch mit dem Grundsatz eigener Unwissenheit kollidiert – der Fragende verlegt sich auf unlautere Mittel und führt in dem Frage- und-Antwort-Spiel des Gesprächs, bei dem der andere als Antwortender mit in den Gedankengang hineingezogen wird, eine Argumentation vor, die mit Doppeldeutigkeiten und Verwechslungen, mit falschen Prämissen und falschen Analogien arbeitet und den vermeintlich ›Kundigen‹ ausschließlich dadurch entlarvt, dass er auf all das hereinfällt: Indem er sich in Widersprüche verwickeln und zu absurden Resultaten nötigen und sich schließlich sogar ein vollständiges Scheitern aufzwingen lässt, bekundet der vermeintlich ›Kundige‹ seine Inkompetenz, seinen Mangel an wirklicher Kenntnis der jeweils erörterten Sache (wobei es auf ein Eingeständnis des Scheiterns nicht weiter ankommt, vielmehr der Eindruck ausreicht, den das Scheitern selbst auf die übrigen Zuhörer gemacht hat) – denn von einem sachkundigen Manne darf erwartet werden, dass er Unzulässiges durchschaut und sich nicht von Machenschaften à la Sokrates betrügen lässt. So hat denn das Spielen/Scherzen III, soweit es in vorsätzlich fragwürdiger Argumentation besteht, für Sokrates den doppelten Vorteil, in besonderem Maße effektiv, nämlich bloßstellend zu sein, und zugleich dem zweiten Bestandteil des Spielens/Scherzens III, der Vortäuschung eigener Unwissenheit, sich zwangslos einzufügen. Aber auch umgekehrt ergänzen die beiden Formen des ironischen Spiels einander aufs Beste: Die eigene Unwissenheit schützt Sokrates namentlich deshalb vor, weil sie verhindert, dass die anderen den Spieß umdrehen und genauso auch ihn selbst ausfragen (wäre doch ein solches Unterfangen von vornerein aussichtslos, da es ja aus Sokrates gerade nichts herauszufragen gibt), weil er also im Schutze seines ›Ich weiß, dass ich nichts weiß‹ sein Geschäft des Ausfragens und Bloßstellens am ehesten ungestört betreiben kann. Das Spielen/Scherzen III bildet daher mit seinen zweierlei Erscheinungsformen ein in sich Ganzes.

Und dieses typisch sokratische Spielen/Scherzen, mit den anderen sein Spiel zu treiben und sie in die Irre zu führen, das ist eben das vielfache Spielen/Scherzen, wie es im Phaidros 275–278 für alles Geschriebene, insbesondere für Platons eigene Dialoge behauptet, aber kaum näher bestimmt wird. Denn jenes vielfache Spielen/Scherzen, das scheinbar in zwei verschiedene Arten auseinanderfällt (einmal die Darstellung des weniger Wichtigen, ja Unwichtigen, zum anderen die Überlagerung und Verhüllung dessen, was vom Eigentlichen dennoch angedeutet wird), ist auch als das Spiel der Belanglosigkeiten gerade das nicht, was es im Phaidros zu sein vorgibt, nämlich kein bloßes Spiel des unnützen Tuns allein zum Zeitvertreib, mithin kein Spielen/Scherzen I; vielmehr ist es, insofern die Ausbreitung des Unwesentlichen über den weitaus größeren Teil eines Dialogs von der Andeutung des Eigentlichen ablenkt, vielleicht sogar ganz darüber hinwegtäuscht, auch noch als das bloße Spiel der Belanglosigkeiten in die Funktion des anderen Teils des vielfachen Spielens/Scherzens mit aufgenommen – die möglichst wirksame Verhüllung des Eigentlichen, das gleichwohl vorkommt. Indem nämlich das Unwichtige, sich vordrängend, sich als das Wichtigere ausgibt und dazu verleitet, das tatsächlich Wichtige zu übersehen und den Gehalt des Dialogs am falschen Ort zu suchen, ist die Darstellung des Unwichtigen nicht weniger Maßnahme zur Täuschung der Unberufenen als jenes Spielen/Scherzen, das schließlich auch noch das Bisschen Andeutung des Wichtigen überlagert, ja durchdringt, und das seinerseits, der Absicht auf Mitteilung des Eigentlichen genau entgegengesetzt, dieses Eigentliche vielmehr vor den Unberufenen verbirgt, sie von der Mitteilung des Eigentlichen ausschließt und obendrein insofern betrügt, als es sie zu der irrtümlichen Annahme verleitet, sie besäßen das Eigentliche, während sie es doch gerade nicht besitzen.

Es liegt also in Wahrheit nur ein einziges Spielen/Scherzen vor, und zwar ein Spielen/ Scherzen, das durchaus kein bloßes Spiel ist, sondern – wie aus den Stichworten Täuschung und Betrug ersichtlich – auf Irreführung abzielt und daher ein Spiel im Sinne der Redewendung: ›mit jemandem sein Spiel treiben‹ bedeutet. Das aber heißt: Das sokratische Spielen/Scherzen III, das Spiel als Irreführung, passt genau in jene Leerstelle, die das Spielen/Scherzen im Phaidros 275–278 darstellt, und umgekehrt muss das Spielen/Scherzen des Phaidros eben als ein Spielen/Scherzen III bestimmt werden. Und es besagt desweiteren: Jenes Spielen/Scherzen, das laut Phaidros jeden schriftlichen Text, zumindest soweit er der Feder eines Verständigen entstammt, und daher namentlich Platons eigene Dialoge durchzieht – dieses Spiel ist stets, mal mehr, mal weniger, ein ironisches Spiel nach dem Vorbild der Ironie des Sokrates. Und nur in diesem Sinne soll im Folgenden von Spiel die Rede sein.

Und noch etwas bleibt festzuhalten: Wenn auch für Platons eigenes Spielen/Scherzen à la Phaidros 275–278 offenkundig Sokrates mit seiner Ironie Pate gestanden hat, so erscheint doch das, was Platon da übernommen hat, zugleich in erweiterter und verwandelter Gestalt: Das sokratische Spielen/Scherzen III