Plewna - Oskar Meding - E-Book

Plewna E-Book

Oskar Meding

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Beschreibung

Plewna' ist ein Buch, das sowohl Liebhaber historischer Romane als auch Leserinnen und Leser, die sich für politische Dramen und komplexe Figurenkonstellationen interessieren, begeistern wird. Oskar Meding versteht es meisterhaft, die historischen Ereignisse in einen mitreißenden erzählerischen Rahmen zu setzen und den Lesenden eine facettenreiche und tiefgründige Geschichte zu präsentieren. Wer auf der Suche nach einem Buch ist, das sowohl intellektuell herausfordernd als auch emotional bewegend ist, sollte 'Plewna' unbedingt lesen.

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Oskar Meding

Plewna

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Inhaltsverzeichnis

1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
23. Kapitel
24. Kapitel
25. Kapitel
26. Kapitel
27. Kapitel
28. Kapitel
29. Kapitel
30. Kapitel
31. Kapitel

1. Kapitel

Inhaltsverzeichnis

An der Kuschitza, südöstlich von Plewna in Bulgarien, einige Meilen von Gorni-Studen entfernt, das später durch das Hauptquartier des Kaisers Alexander weltbekannt werden sollte, liegt das bulgarische Dorf Muschina, ein für die Verhältnisse der dortigen Gegend wohlhabender und ziemlich stark bevölkerter Ort. Am Rande der Wiesen, welche von der Kuschitza bespült werden, ziehen sich in ziemlicher Entfernung nebeneinander liegend die Gehöfte hin, jedes einzelne von einem großen Grasplatz umgeben und mit einer dichten Hecke eingeschlossen. Die Häuser der ärmeren Bewohner sind meist nur aus Weidengeflecht zusammengesetzt und etwas in die Erde eingesenkt, so daß sie großen Körben gleichen und ein wenig an die Niederlassungen der wilden Indianer erinnern. Das Dach dieser Häuser erhebt sich kegelförmig, von Stroh oder von aufgeschichteten oder durcheinander geflochtenen Baumzweigen gebildet, und in diesen äußerst primitiven Häusern wohnen die Familien und ihre Haustiere meist friedlich beieinander. In Muschina befanden sich aber außer diesen ärmlichen Wohnungen auch größere Höfe, welche zwar ebenfalls nach der Landessitte von hohen Hecken eingeschlossen waren, aber geräumigere und festere Wohnhäuser und Stallungen enthielten, ja es gab sogar vier bis fünf steinerne Häuser, welche zwar auch nur mit Stroh gedeckt waren, doch sah man in denselben Fenster mit Glasscheiben, ein großer Luxus, da den ärmeren Bewohnern des Ortes meist nur geöltes Papier dazu diente, um das Licht durch die Fensteröffnungen einfallen zu lassen, welche dann nachts oder bei schlechtem Wetter mit Klappen von Weidengeflecht verschlossen wurden.

Das ganze Dorf, welches den Namen Muschina führte, zerfiel in zwei voneinander völlig getrennte Abteilungen, welche sich nach der christlichen und mohammedanischen Bevölkerung teilten und ungefähr eine kleine Viertelmeile auseinander lagen. Dieser türkische Teil des Dorfes war auch äußerlich von dem christlichen sehr verschieden. Man sah hier durchgängig kleine hölzerne, von Balken und Brettern erbaute Häuser mit hölzernen Dächern und in bunten Farben angemalt, und während in dem christlich-bulgarischen Teil meist ein lebhaftes, lautes Leben auf den Wiesen und Ackern und in den Gärten herrschte, lag der muselmännische Teil in tiefer Stille da; die notwendigen Arbeiten wurden von den Frauen mit den das Gesicht halb verhüllenden Schleiern und von den Kindern schweigend verrichtet, und wenn die Arbeit getan war, so zogen sich die Frauen in das Innere der Häuser zurück, während die Männer rauchend in beschaulicher Ruhe vor den Türen ihrer Häuser saßen, so daß man selten einen lauten Ton hörte, und das Dorf fast für verödet hätte halten können.

Beide Teile des Ortes hatten ihren eigenen Gottesdienst. In der Mitte des türkischen Dorfes lag eine bunt bemalte, mit einem hochragenden Minaret geschmückte Moschee, während inmitten der christlichen Niederlassungen ein breiter, viereckiger Holzbau ohne Turm und Kuppel zur Kirche eingerichtet war, neben welcher sich das kleine, saubere und von einem freundlichen Garten umgebene Haus des griechischen Popen, Vater Julian, befand. Beide Dörfer standen in keinem Verkehr miteinander. Die mißtrauische und feindliche Scheidung, welche zwischen der slawischen und türkischen Bevölkerung seit Jahrhunderten bestand, war durch die Ereignisse des letzten Jahres noch mehr verschärft worden, dennoch aber war es zwischen den Türken und Christen niemals zu ernsten Konflikten gekommen, man lebte friedlich nebeneinander, woran vielleicht die zwischen der christlichen und mohammedanischen Niederlassung liegende Entfernung das Verdienst haben mochte, und selten nur, wenn es sich durchaus nicht vermeiden ließ, notwendige Geschäfte zu erledigen, betrat ein Bewohner des einen Teiles das Gebiet des andern.

Das schönste und reichste Grundstück in dem christlichen Teil von Muschina besaß der alte Theofil Leonew, sein Haus war größer als alle anderen, es enthielt mehrere Wohnräume, hatte Fenster mit großen Scheiben und neben der Tür sogar eine Art von vorspringender Veranda mit hölzernen, buntbemalten Säulen, unter welcher im Sommer Bänke mit Polstersitzen aufgestellt wurden, ein Luxus, der das Erstaunen der ganzen Gegend erregte und den Glauben an den fabelhaften Reichtum Leonews noch mehr bestärkte. Geräumige Stallungen befanden sich neben dem Wohnhause, doch waren dieselben nicht in ihrer ganzen Ausdehnung von dem immerhin zahlreichen Viehstande des Gehöfts eingenommen, und man flüsterte sich leise zu, daß in den Räumlichkeiten, welche für die Futtervorräte und das Vieh nicht benutzt wurden, häufig kostbare Waren niedergelegt werden, welche sich der Steuer und der Zollkontrolle entzögen. Und in der Tat kamen häufig unbekannte Personen, Juden und Zigeuner mit Säcken oder bepackten Handwagen auf Leonews Hof, um dann nach einem Aufenthalt von wenigen Stunden den Ort wieder zu verlassen, ohne, daß man wußte, woher sie gekommen waren und wohin sie gingen. Leonew selbst fuhr dann von Zeit zu Zeit in einem von seinen zwei kräftigen Pferden gezogenen und mit einem leinenen Plan dicht überspannten Wagen fort und kehrte meist erst nach einer Abwesenheit von mehreren Tagen wieder zurück. Die übrige Bevölkerung hätte ihm diesen Schmuggelhandel, für welchen, wie man voraussetzte, sein Haus eine Etappe bildete, nicht verdacht, denn er schädigte durch denselben ja nur die verhaßte türkische Regierung, aber dennoch hielt man sich allgemein in scheuer Abneigung von ihm fern, denn es ruhte ein geheimnisvolles Dunkel über seinem ganzen Leben und Treiben. Man sagte, daß er größeren Grundbesitzern der Umgegend und auch Kaufleuten in den naheliegenden Städten Geld zu hohen Zinsen leihe und unerbittlich in der Eintreibung seiner schnell wachsenden Forderungen sei, so daß, wer einmal Leonews Schuldner geworden, fast immer unrettbar dem Ruin verfiel. Die türkischen Gerichte standen dabei immer auf seiner Seite, und wenn der Kaimakam oder gar der Mutessariff nach Muschina kamen, so wohnten diese türkischen Chefs des Distrikts und des Kreises stets in Leonews Hause.

Niemals wurden seine Räumlichkeiten durchsucht, niemals die Pakete und Waren, die zu ihm kamen, oder das Fuhrwerk, auf dem er dieselben fortführte, angehalten, wohl aber bemerkte man, daß die Beamten bei der Erhebung der Abgaben ganz genau über den Ertrag der Ernte eines jeden Hofes und über den Viehstand unterrichtet waren, und zwar nicht nur in Muschina selbst, sondern auch im weiten Umkreise, so daß der Verdacht immer allgemeiner wurde, Leonew diene den türkischen Behörden als Spion zur Ermittlung der Steuerkräfte der Gegend und gewähre zugleich den vorgesetzten Beamten einen Anteil an dem Gewinn aus seinen Wucher- und Schmuggelgeschäften, wodurch er die Sicherheit für seine Manipulationen und die ihm stets günstigen Richtersprüche erkaufe.

Die Bewohner von Muschina wußten, daß Leonews Vater, welcher denselben Hof, aber in weit ärmlicheren Verhältnissen, besessen, die Tochter eines jüdischen Hausierers geheiratet habe. Zwar war das Mädchen getauft, sie hatte während ihres ganzen vorwurfsfreien Lebens alle Pflichten der orthodoxen Kirche pünktlich erfüllt, aber dennoch haftete an ihrem Sohn die Abneigung, welche die slawische Bevölkerung gegen das jüdische Blut hegt, und auch dieser Umstand trug nicht wenig dazu bei, daß man sich mehr und mehr in scheuem Widerwillen von Leonew zurückzog. Er hatte vor einer Reihe von Jahren von einer seiner Reisen eine Frau mitgebracht, die niemand kannte, und von der man sagte, daß sie die Tochter eines Kaufmanns aus Tirnowa sei. Sie war schön, aber bleich und traurig gewesen, hatte selten das Haus verlassen, man hatte nur gehört, daß Leonow sie rauh, heftig und hart behandelte. Nach wenigen Jahren war sie gestorben und hatte ihrem Manne eine einzige Tochter zurückgelassen; jedenfalls mußte sie Leonew ein namhaftes Heiratsgut zugebracht haben, denn von dem Augenblick seiner Verheiratung mit der Unbekannten hatte sein stets wachsender Reichtum seinen Anfang genommen, und man flüsterte sich zu, daß jene bleiche, traurige Frau, mit welcher kaum jemand während ihres Aufenthaltes in Muschina ein Wort gesprochen hatte, wohl die Geliebte irgendeines vornehmen Herrn gewesen sein möge, der sie dann mit einer reichen Ausstattung an Leonew verheiratet habe.

Theofil Leonew war etwa vier- bis fünfundfünfzig Jahre alt; seine mittelgroße Gestalt war hager und eckig, aber ungemein kräftig und sehnig gebaut; sein leicht ergrauendes Haar war dicht und voll und kürzer geschnitten, als es sonst die Sitte des Landes mit sich brachte. Sein dunkelgebräuntes Gesicht hatte scharf markierte Züge, eine breite Stirn, eine kräftige, weit vorspringende Nase und zurückliegende, kleine, tiefschwarze Augen, deren stechende Blicke selten standhielten, wenn ihm jemand scharf ins Gesicht sah. Sein lang herabhängender Schnurrbart war noch fast ganz schwarz, ebenso seine starken, buschigen Augenbrauen. Er trug den Kopf ein wenig vorgebeugt, und trotz seines Körperbaues war sein Gang leise und schleichend, wie der einer Katze oder eines Fuchses.

Seine einzige Tochter Stjepanida war fünfzehn Jahre alt und von dem ganzen Reiz übergossen, welcher der aufbrechenden Knospe eigentümlich ist, die sich vom Kinde zur Jungfrau erschließt. Sie war hoch und schlank emporgewachsen, und trotz ihrer noch etwas unsicheren schüchternen Haltung zeigte ihr Körper das harmonische Ebenmaß der reinsten Schönheitslinien. Ihr edles Gesicht, auf welchem noch der ganze Schmelz der kindlichen Reinheit und Frische lag, begann sich zu jener sinnlich-kräftigen Schönheit der flämischen Frau zu entwickeln, ihre vollen, schwellenden, roten Lippen schienen sich durstig der Lebensfreude zu öffnen, aber auf ihrer Stirn und in ihren perlmutterglänzenden Augen mit tiefdunklen Sternen lag jene süßduftige, poetische Träumerei, welche den Töchtern des Orients einen so wundersam bestrickenden Reiz verleiht. Während ihre Lippen dem sinnlichen Leben entgegenschwellten, schienen ihre Augen unter dem Schatten der schwarzen Wimpern hervor träumend, fragend und sehnend in die fernen Wolkenfernen zu schauen. Ihr reiches, schwarzes Haar hing in breiten Flechten über den schlanken Nacken herab und umhüllte in zarten Wellenlinien ihre weiße, edle Stirn. Das malerische Kostüm des Landes, das weite, bunt ausgelegte weiße Hemd mit den aufgestreiften Ärmeln, die bunten Schürzenbänder und die glänzenden gestickten Schuhe, welche den zierlichen Fuß einschlossen, das alles trug dazu bei, die eigentümliche Schönheit des Mädchens noch reizvoller zu machen, und diese Tochter des kleinen, unbekannten bulgarischen Dorfes hätte unter den ersten und am meisten bewunderten Schönheiten der großen Welt siegreich ihren Platz behauptet.

Unter den Bauern von Muschina war seit mehreren Jahren der junge Pawjel Fjodorew der lebhafteste und unversöhnlichste Feind Theofil Leonews gewesen. Pawjel Fjodorew besaß nach Leonew den schönsten und reichsten Hof in Muschina; er hatte als einziger Sohn seinen Vater schon im Alter von zwanzig Jahren verloren und dessen Besitz angetreten. Sein Haus war geräumig und wohl eingerichtet; kräftige Pferde und Ochsen standen in seinen Ställen, seine Wiesen dehnten sich weit am Ufer des Flusses aus. Seine Stimme galt im Rat der Gemeinde, denn wenn man ihm auch vielleicht hier und da seinen Besitz beneiden mochte, so gewann er doch durch seine liebenswürdige Freundlichkeit und seine offene Heiterkeit alle Herzen, und wußte nötigenfalls auch mit kühner Entschlossenheit und gebieterischer Überlegenheit seinem Willen Nachdruck zu geben.

Pawjel Fjodorew stand in seinem sechsundzwanzigsten Jahre. Er überragte die meisten Männer des Dorfes fast um eines Kopfes Länge; seine Gestalt war breitschulterig und muskelkräftig, dabei aber doch zierlich und geschmeidig, so daß man fast glauben mochte, seine schlanken Hüften umspannen zu können. Seine breite Stirn, seine gerade vorspringende Nase mit den breit sich öffnenden Flügeln, sein frischer Mund mit den vollen Lippen und den starken, glänzenden Zähnen zeigten die Formen der slawischen Stämme in ihrer wilden Kühnheit und Kraft. Die nach der Nasenwurzel etwas schräg zusammenlaufenden Augen funkelten in dunklem Glanz voll trotzigen, feurigen Lebens. Dunkelgelocktes Haar quoll in reicher Fülle über Stirn und Nacken herab, und ein feiner, schwarzer Schnurrbart kräuselte sich auf seiner Oberlippe. Seine buntgestickte Jacke, die Weste, die weiten, bis zum Knie reichenden Beinkleider, und die geflochtenen Schuhe, das alles war von feinen Stoffen, und stets von untadelhafter Sauberkeit. Eine breite Mütze von glänzend schwarzem Schafpelz bedeckte seinen Kopf, und wenn er so stolz aufgerichtet mit leichten, elastischen Schritten durch das Dorf ging, so richteten sich wohl alle Augen der jungen, heiratsfähigen Mädchen von Muschina sehnsüchtig auf den so schönen, jungen Mann, ohne daß es jedoch einer einzigen gelungen war, in seinen Augen eine Erwiderung auf die Fragen der so beredten Augensprache zu lesen.

Pawjel Fjodorew war mit der ganzen Begeisterung seiner feurigen Seele seinem Vaterlande und seiner Kirche ergeben. Er war als Kind mit besonderer Vorliebe von dem Vater Julian erzogen worden, der sich für den feurigen, intelligenten Knaben interessierte, und, obwohl er selbst nicht gerade allzu weit in den Wissenschaften vorgeschritten war, seinem gelehrigen Zögling doch eine Bildung beibrachte, die ihn weit über die übrigen jungen Leute des Dorfes erhob. Besonders hatte er ihm erzählt von der Geschichte der großen Vergangenheit des bulgarischen Landes, von Peter und Asan, welche Bulgarien losrissen von der byzantinischen Herrschaft, von Johannes, welcher vom Papste den Königstitel erhielt, und von den heldenmütigen Kämpfen, welche das bulgarische Volk gegen die Tataren und Türken geführt, bis es endlich, von der Übermacht erdrückt, in die traurige Sklaverei geriet, unter der es noch schmachtete. Stundenlang hatte Pawjel den Erzählungen des Priesters zugehört, und immer wieder vertiefte er sich in die wenigen Bücher, welche der Alte besaß, immer neuen Haß sog er aus diesen Erzählungen und dieser Lektüre gegen die Türken ein, und immer flammender wurde seine Begeisterung für die Befreiung und Wiedergeburt seines Vaterlandes – in höchster Spannung verfolgte er die Nachrichten von den Aufständen, die ringsum gegen die türkische Herrschaft sich erhoben, und oft versuchte er seine Begeisterung, seine Wünsche und seine Hoffnungen auch in den Herzen der übrigen jungen Leute des Dorfes zu entzünden. Freilich fand er wenig Verständnis dafür; der Haß gegen die Türken war zwar allgemein, und wurde von jedem Bulgaren mit der Muttermilch eingesogen, aber ebenso groß war auch die Furcht vor der Grausamkeit, mit welcher die türkische Regierung, jede rebellische Bewegung bestrafte, und die meisten schlichen bei Pawjels flammenden Reden scheu davon.

Es war natürlich, daß das finstere, geheimnisvolle Treiben Theofil Leonews und dessen eigentümliche Beziehungen zu den verhaßten Türken bei Pawjel Fjodorew den höchsten Widerwillen erregten, und bei seiner offenen, freien, kühn herausfordernden Natur hatte er niemals Anstand genommen, diesen Widerwillen sichtbar und unverhohlen zu zeigen; während die übrigen sich von Leonew möglichst fernhielten, aber gegen denselben doch die äußeren Rücksichten beobachteten, welche sowohl sein überlegener Reichtum als sein Einfluß bei den türkischen Behörden bedingten, zeigte Pawjel bei jeder Gelegenheit auf das deutlichste seine tiefe Verachtung und seinen Haß, sobald er mit Leonew zusammentraf. Dieser haßte dafür auch seinerseits den jungen Mann auf das gründlichste; hätten seine stechenden Blicke wirklich die tückische Zauberkraft besessen, welche einzelne abergläubische Bewohner des Dorfes ihnen zuschrieben, so wäre wohl Pawjel Fjodorew nicht lange mehr so fröhlich und stolz herausfordernd an ihm vorübergegangen, und wo er es vermochte, unterließ er es nicht, dem jungen Manne Verlegenheiten und Unannehmlichkeiten zu bereiten. Bei der Steuererhebung wurde Pawjel Fjodorew ganz gewiß jedesmal um das Doppelte überschätzt, seine Vorstellungen wurden von dem Kaimakam und dem Mutessariff kurz und höhnisch zurückgewiesen, und niemand zweifelte daran, daß der Einfluß Leonews dabei tätig war, um sich für die Abneigung und Verachtung zu rächen, welche der junge Mann ihm bewies.

Die gesamte Bevölkerung von Muschina hatte nach dem türkischen Verwaltungsgesetz einen Mudir, den Ortsvorsteher, und dessen Beigeordneten, den Muavie, zu wählen. Der Mudir war natürlich immer ein Mitglied der türkischen Bevölkerung, aber Pawjel Fjodorew hatte schon seit mehreren Jahren seinen ganzen Ehrgeiz darein gesetzt, zum Muavie gewählt zu werden; Leonews Einfluß war es stets gelungen, diese Wahl zu hintertreiben, denn alle christlichen Bewohner von Muschina fürchteten, wenn sie Pawjel Fjodorew ihre Stimme geben würden, dafür durch erhöhte Steuern und andere Schikanen die Rache Leonews empfinden zu müssen, der bei jeder Gelegenheit die türkischen Behörden auf seiner Seite hatte.

Dem Mudir steht in jeder bulgarischen Gemeinde der Medschliß, der Verwaltungsrat, zur Seite; Leonew hatte es nun nicht hintertreiben können, daß Pawjel in den Medschliß gewählt wurde, aber er hatte für sich selbst auch eine Stelle in diesem kommunalen Verwaltungsrat erlangt, und bei allen Beratungen über die Angelegenheiten der Gemeinde standen sich die beiden Gegner schroff und erbittert gegenüber; meist ging Leonews Willen durch, da er nicht nur die Stimmen der türkischen Mitglieder, sondern auch den Druck der Macht der türkischen Behörden für sich hatte. Die gegenseitige Feindschaft stieg immer höher, und machte sich in allem Versammlungen des Medschliß durch heftige, zornige Ausfälle Pawjels und durch bittere, höhnische Erwiderungen Leonews bemerkbar. So wenig nun auch die christliche Bevölkerung aus Furcht vor der Rache der türkischen Machthaber es wagte, sich in den Gemeindeangelegenheiten offen und energisch auf Pawjels Seite zu stellen und sich der zähen, rücksichtslosen und unversöhnlichen Feindschaft Leonews auszusetzen, so gehörten doch die Sympathien aller Herzen dem kühnen und stolzen, jungen Manne, welcher so furchtlos die religiösen und nationalen Rechte der christlichen Bevölkerung vertrat, soweit dies unter der türkischen Gewaltherrschaft möglich war. Im Verkehr des täglichen Lebens schlossen sich alle an Pawjel an und zeigten Leonew feindselige Zurückhaltung und stille Verachtung, um welche sich dieser freilich um so weniger kümmerte, da er ohnehin den Verkehr mit der übrigen Bevölkerung mied und still und zurückgezogen in seinem Hause lebte, und unter den ärmeren Bauern dennoch stets Arbeiter für seine Felder und Wiesen fand, da er dieselben höher, als alle übrigen bezahlte.

Seit nun überall der Aufstand in den türkischen Provinzen sein Haupt erhoben hatte, seit die tapferen Montenegriner unter ihrem kühnen Fürsten die Heere der türkischen Paschas zersprengt hatten, und namentlich, seit immer bestimmter sich wiederholende Gerüchte von einem bevorstehenden Befreiungszug des großen, russischen Zaren gegen die Türken das Land durchzog, war der Widerwille gegen Leonew immer deutlicher hervorgetreten, immer offener zeigte man ihm allgemein den bisher aus Furcht halbverhüllten Haß, man wich ihm aus, und wagte es sogar vielfach, wenn man ihm begegnete, den Kopf abzuwenden, um ihn nicht zu grüßen.

Wunderbarerweise aber hatte sich gerade in der letzten Zeit, in welcher die Bevölkerung immer offener auf die Seite von Pawjel Fjodorew trat, das Leben des jungen Mannes selbst wesentlich verändert. Er hatte kein verletzendes, herausforderndes Wort mehr, wenn er dem alten Leonew begegnete, ja, man hatte es mit nicht geringem Erstaunen bemerkt, daß er zuweilen seinen langjährigen Feind, wenn er ihm auf der Straße begegnete, zwar mit finsterer Miene, dennoch gegrüßt hatte, obwohl Leonew seinen Gruß nur mit einem flüchtigen Kopfnicken und halb verwunderter, halb hämischer Miene kaum merkbar erwiderte. Auch in den Beratungen des Medschliß hatte er nicht mehr so zornig und heftig wie früher gegen Leonew seine Meinung verteidigt, und sich jeder kränkenden Äußerung enthalten, ja, mit noch größerer Verwunderung hatte man bemerkt, daß der junge Mann eines Tages auf seiner Wiese, welche an Leonews Besitzung grenzte, lange mit der schönen Stjepanida Theofilowna gesprochen hatte. Das Mädchen war mit einigen Mägden zum Flusse herabgekommen, um eine Schafherde zu tränken, einige der Schafe hatten sich verlaufen und waren auf die Nachbarswiese herübergegangen; Pawjel Fjodorew, der sich auf seinem Gebiet befand, hätte in früheren Zeiten darüber ohne Zweifel Streit begonnen und die Schafe gepfändet, jetzt aber hatte er seinen Knechten zu deren höchster Verwunderung befohlen, Leonews Schafe zusammenzutreiben, und die Tiere dann selbst zu der an der Grenze stehenden, ängstlich lockenden und rufenden Stjepanida zurückgeführt. Das Mädchen, das bereits vor dem harten und rücksichtslosen Zorn ihres Vaters über die begangene Unachtsamkeit zitterte, hatte Pawjel mit glücklichem Lächeln ihren Dank ausgesprochen und ihm ihre Hand gereicht, die er nicht zurückwies, sondern lange in der seinen hielt, während seine feurigen Blicke sich in die wunderbar schimmernden Augen der lieblichen Stjepanida tauchten.

Von jenem Tage an schien ein merkwürdiger Zufall über den beiden jungen Leuten zu walten. Regelmäßig zu gleicher Stunde erschien Stjepanida auf der Wiese ihres Vaters, und Pawjel auf der seinen; zwar betrat keines das Gebiet des andern, aber der schmale Grenzrain, dem sie sich unmittelbar näherten, verhinderte sie nicht, sich die Hände zu reichen, und so nahe beieinander zu stehen, daß ihre Blicke sich aus nächster Nähe begegnen konnten. Sie gingen dann wohl auf dem Grenzrain hin bis zum Flusse hinab, lange sah man sie so nebeneinander stehen, und in leisem, eifrigem Gespräch in die Wellen der Kuschitza hinabblicken, und wenn sie sich dann trennten, um nach Hause zurückzukehren, so drehten sich beide wohl oftmals wieder um, und die freundlichen Grüße, die sie sich aus der Ferne noch zusendeten, bewiesen, daß ihre Unterhaltung noch freundlicher gewesen sein mußte, als die bisherigen Beziehungen zwischen Pawjel und Leonew voraussetzen ließen.

Einzelne Bewohner von Muschina hatten wohl hier und da Pawjel Fjodorew ihre Verwunderung über die an ihm beobachtete Veränderung zu erkennen gegeben, bei solchen Fragen und Bemerkungen glitt dann eine flüchtige Röte über sein männlich schönes Gesicht, ruhig aber und mit der ihm eigenen Überlegenheit erwiderte er, daß Leonew ihm lange wegen seines Treibens verhaßt gewesen sei, daß man sich aber auch leicht in dem Menschen täuschen könne, und daß in den gegenwärtigen Zeiten, in welchen vielleicht bald der große Befreiungskampf gegen die türkische Herrschaft beginnen könne, jeder die patriotische Pflicht habe, die Glaubens- und Stammesgenossen nicht zurückzustoßen, sondern an die große Sache heranzuziehen, vergangene Feindschaften zu vergessen, und alle Kräfte gegen den gemeinsamen Feind zu vereinen. Solche Bemerkungen klangen nun ganz patriotisch, und hätten wohl auch Verständnis und Gehör gefunden, aber Leonew seinerseits zeigte durchaus keine Neigung, sich der christlichen und nationalen Sache anzuschließen, vielmehr hatte er bei jeder Gelegenheit nur hämische Bemerkungen für die Rebellen in den Provinzen, und seine Beziehungen zu den türkischen Behörden schienen nur um so inniger zu werden, je mehr überall der Befreiungsdrang sich zu regen begann. Pawjels versöhnliche Worte und das Beispiel, das er gab, fanden daher wenig Beachtung und Nachahmung, und offener als je zeigte man von Tag zu Tag dem alten Leonew die allgemeine Abneigung und Verachtung.

So standen die Dinge an einem schönen, hellen Sonntage des Aprilmonats im Jahre 1877. Die Nachmittagssonne schien warm und freundlich auf das Dorf Muschina und die saftgrünem Wiesen und die glitzernden Wellen der Kuschitza hinab, welche sich wie ein silbernes Band durch die Ebene hinschlängelten, während nach Tirnowa hin sich die Ausläufer des Balkan in dunklen Massen am Horizont abzeichneten. Auf einem freien Platz vor der Kirche waren alle Bewohner des christlichen Dorfes versammelt; der Vater Julian befand sich in ihrer Mitte. Man saß auf Steinen und Holzblöcken, die älteren Männer rauchten ihre halblangen Tschibuks und tranken dazu den aus den wilden Pflaumen gebrannten Sliwowitz, diesen bei allen slawischen Völkerschaften so beliebten, leicht nach Mandelkernen schmeckenden Branntwein. Man unterhielt sich flüsternd von den bevorstehenden Ereignissen; es waren Nachrichten gekommen, daß die Montenegriner sich wieder zum Kampfe rüsteten, und daß der große Zar bald seine gewaltigen und unwiderstehlichen Heeresmassen gegen den Balkan heranwälzen werde, um die christlichen Völker vom türkischen Joch zu befreien – die jungen Leute aber tanzten auf dem freien Platz in der Mitte nach den Klängen der zweisaitigen hölzernen Instrumente, welche der russischen Balalaika gleichen, und von zwei älteren Frauen der Gitarre ähnlich mit zwei Fingern gespielt wurden, jene bulgarischen Nationaltänze, die in ihren Wendungen und Verschlingungen an die Quadrille erinnern und pantomimisch das Werben, das schüchterne Zögern und endlich die Vereinigung von jungen Liebespaaren ausdrücken.

Auch Stjepanida Theofilowna war auf dem Platze erschienen; weit überstrahlte sie die übrigen Mädchen an edlerer und liebreizenderer Schönheit, aber dennoch hatte sie keinen Tänzer gefunden. Die Mädchen zogen sich scheu von ihr zurück, die jungen Leute machten, wenn sie an ihr vorüberschritten, höhnische und kränkende Bemerkungen, zu denen sie von ihren Tänzerinnen, welche Stjepanidas Reichtum und Schönheit beneideten, immer noch mehr gereizt wurden. Wohl hatte der Vater Julian, ein ehrwürdiger Greis mit weißem Bart, mehrfach den einen oder den andern gemahnt, das Mädchen nicht zu kränken, und sie nicht entgelten zu lassen, was ihr Vater verschuldet, unter dessen Heftigkeit und Härte sie selbst viel zu leiden hatte; die Ermahnungen des Alten waren nicht gehört worden, und immer lauter und höhnischer flüsterte man von allen Seiten kränkende und oft roh beleidigende Worte gegen die Tochter des jüdischen Türkenknechtes. Traurig und ängstlich zitternd saß die arme Stjepanida da, ihre großen Augen füllten sich mit Tränen, und mit sehnsüchtigen Blicken schaute sie nach der Straße hin, als suche sie eine Hilfe in ihrer peinlichen Verlassenheit.

Endlich schien sie das höhnische, verächtliche Lachen der Mädchen und die immer deutlicher und unmittelbarer an sie gerichteten Beleidigungen der jungen Burschen nicht mehr ertragen zu können; sie stand auf und wollte den Platz verlassen, aber als sie durch die tanzenden Paare hinschritt, umringten diese sie mit lautem Hohnlachen, man stieß sie zur Seite, man zupfte sie an ihren langen Zöpfen, und unter Spott und Hohn drehte sich die Runde der Tänzer und Tänzerinnen um sie her, so daß sie ratlos, wie Hilfe suchend, die schönen Arme erhob, während helle Tränen über ihre Wangen herabflossen.

Plötzlich aber leuchteten ihre Blicke freudig auf, ein halblauter Freudenruf erklang von ihren Lippen.

Langsam, den Kopf sinnend geneigt, kam Pawjel Fjodorew auf der Dorfstraße einhergeschritten, und trat auf den Tanzplatz. Es schien, daß Stjepanidas leiser Ruf trotz der lauten Stimmen und trotz der schwirrenden Töne der Instrumente sein Ohr erreichte, denn wie aus tiefer Träumerei aufschreckend, hob er den Kopf empor und erblickte das schöne Mädchen, das, ängstlich Hilfe suchend, ihm die Arme entgegenstreckte, in der Mitte des höhnenden Kreises. Er blieb stehen, – in einem Augenblick schien er zu begreifen, was vorging, helle Zornesröte übergoß sein Gesicht, Flammenstrahlen sprühten aus seinen Augen; seine kräftige Gestalt richtete sich noch höher und stolzer auf – im nächsten Augenblick hatte er den Kreis durchbrochen, und in die Mitte desselben tretend, faßte er die Hand Stjepanidas, die sich an seine Seite schmiegte, und halb noch scheu und ängstlich, halb in stolzer Sicherheit ihre Blicke über die verwundert umherstehenden jungen Leute und Mädchen hinschweifen ließ.

»Spielt weiter!« rief Pawjel laut und gebieterisch den beiden alten Frauen zu, welche die Musik unterbrochen hatten, »spielt weiter – laßt uns den Tanz noch einmal beginnen.«

Er trat, Stjepanidas Hand kräftig umspannend, in die Reihe, und winkte den übrigen, ihre Plätze einzunehmen.

Aber alle blickten finster zur Erde, keiner rührte sich.

»Nun,« rief Pawjel, dessen Augen drohend zu funkeln begannen, während die bläulichen Adern an seinen Schläfen anschwollen, »nun, worauf wartet ihr? Ich denke, ihr könntet doch wohl für mich den Tanz noch einmal beginnen, da ich später gekommen bin.«

Die einfache Musik ertönte wieder auf Pawjels Wink, aber die Tänzer blieben stumm, mit finster zur Erde gesenkten Blicken, auf ihren Plätzen stehen, während die Mädchen, boshaft lachend und untereinander flüsternd, nach Stjepanida hinübersahen, welche jetzt an der Seite ihres Beschützers keine Furcht mehr zu kennen schien und stolz und herausfordernd die boshaft auf sie gerichteten Blicke ihrer Nebenbuhlerinnen erwiderte. Endlich trat einer der jungen Leute vor:

»Wir wollen gern mit dir tanzen, Pawjel Fjodorew, aber du mußt eine andere Tänzerin wählen aus den Mädchen des Dorfes; hier, nimm die meine, wenn du willst – oder irgendeine andere, wir wollen dir gern unsere Rechte abtreten, da wir alle deine Freunde sind –«

»Ich tanze mit Stjepanida Theofilowna,« sagte Pawjel mit bebenden Lippen und dumpfer Stimme, »wer will mir Vorschriften über meine Wahl machen?«

Einen Augenblick trat wieder eine dumpfe, peinliche Stille ein; auch die älteren Männer waren herangetreten und umringten den Kreis der Tänzer, und die schwirrenden Töne der Musik klangen fast unheimlich in dem allgemeinen Schweigen. Endlich sagte der junge Bauer, welcher zuerst gesprochen:

»Nein, Pawjel Fjodorew, nein, die Mädchen wollen nicht mit Stjepanida tanzen – und wir auch nicht.«

»Kinder, Kinder, haltet Frieden,« mahnte sanft und freundlich der Vater Julian, »kränkt ein armes Mädchen nicht, dem ihr nichts vorwerfen könnt, das euch nichts Böses getan.«

»Wir wollen nicht,« rief der junge Bursche, »nein, wir wollen nicht!«

Und: »Wir wollen nicht, wir wollen nicht!« wiederholten die Mädchen, indem sie mit höhnischen Gebärden auf Stjepanida zeigten, »unter uns ist kein Platz für die Jüdin, mag sie drüben hingehen zu den Türken, zu den Freunden ihres Vaters!«

»Ihr wollt nicht,« rief Pawjel mit einer Stimme, die wie der fern heranrollende Donner eines aufsteigenden Wetters klang, »ihr wollt nicht – ihr nennt sie eine Jüdin, sie, die doch wie wir alle zur rechtgläubigen Kirche gehört? – Sprecht, Vater Julian, bezeugt es, daß sie an den Heiland glaubt, und ebenso fromm ist, wie eine von jenen.«

»Ja, das ist sie, das ist sie«, sagte der Geistliche, zu Stjepanida herantretend und seine Hand auf ihr Haar legend. »Frevelt nicht, meine Kinder, hört auf mein Wort, ihr tut Unrecht, schweres Unrecht!«

»Gleichviel, gleichviel,« riefen die Mädchen durcheinander, »sie ist von jüdischem Blut, wir wollen nichts mit ihr gemein haben!«

Und mutig gemacht durch ihre Tänzerinnen, wiederholten auch die jungen Burschen:

»Wir wollen nichts mit ihr gemein haben – fort mit ihr, mag sie zu den Türken gehen, im Harem der Paschas ist ihr Platz, nicht unter uns.«

Einige der Alten traten heran.

»Laß sie gehen, Pawjel Fjodorew,« sagte ein alter, weißbärtiger Bauer, »laß sie zu ihrem Vater gehen; die Jugend mag wohl zu heftig sein, aber er hat doch wohl diesen Zorn um uns verdient.«

Pawjels breite Brust hob sich unter tiefen Atemzügen, noch feuriger, noch drohender blitzten seine Augen, er legte seinen Arm um Stjepanidas Schultern und rief laut:

»Wenn ihr Vater unrecht tat, war sie schuld daran? Sie ist so rein, wie der blaue Himmel Gottes über uns, und Pawjel Fjodorew hat es noch nicht gelernt, die Unschuldigen und Schwachen preiszugeben der ungerechten Verfolgung. Sei ruhig, Stjepanida,« sagte er mit weichem Ton, voll tiefen, innigen Gefühls, indem er sich zu ihr herabbeugte, »du stehst unter meinem Schutz, und Pawjel Fjodorews Arm ist stark genug, dich gegen eine ganze Welt zu schützen. Ihr aber,« rief er dann, das Mädchen mit dem einen Arm noch fester an sich ziehend, während er den andern gebieterisch und drohend ausstreckte, »hört mich an. Diese hier, die ihr verschmäht in dem Reigen eures Tanzes, ich halte sie für wert, ihr meine Hand zu reichen zum heiligen Bündnis für das ganze Leben, vor Gott und den Menschen; und vor dem ehrwürdigen Vater Julian erkläre ich, daß ich Stjepanida Theofilowna zu meinem Weibe erkoren habe, daß ich sie liebe, ihr diene und sie ehren will, so lange mein Herz in der Brust schlägt, und daß jeder, der sie kränkt, auch mich zum Tode beleidigt.«

Starrer Schrecken zeigte sich auf allen Gesichtern bei dieser so feierlichen und so unerwarteten Erklärung.

Die Mädchen steckten hämisch lachend die Köpfe zusammen, die Alten traten erschrocken zurück, und selbst der Vater Julian erhob in mahnend abwehrender Bewegung die Hände.

Stjepanida ruhte zitternd in Pawjels Arm, ihr Gesicht war mit Purpur übergossen, ihre Augen senkten sich zu Boden, aber ein süßes und liebliches Lächeln spielte um ihre Lippen.

»Ihr habt es gehört,« rief Pawjel, noch lauter seine Stimme erhebend, »und nun, Stjepanida Theofilowna, frage ich dich hier unter Gottes blauem Himmel und vor dem Antlitz des ehrwürdigen Vaters Julian, willst du mir deine Hand reichen zum heiligen Bunde für das ganze Leben – willst du dich unter meinen Schutz stellen in guten und bösen Tagen und mir treu sein bis zum Tode, wie ich es dir gelobe bei der heiligen Dreieinigkeit?«

Jetzt schlug Stjepanida ihre Augen auf; unter den noch tränenfeuchten Wimpern leuchteten ihre Blicke voll seligen Entzückens zu ihm empor, und indem sie seine auf ihrer Schulter ruhende Hand ergriff und an ihre Lippen führte, hauchte sie leise:

»Ich will es, mein Geliebter, mein Beschützer, mein Herr.«

»Unmöglich, unmöglich,« riefen alle ringsumher, »es kann nicht sein, Pawjel Fjodorew, du bist verblendet, bezaubert, du vergißt, wer du bist, und wer sie ist!«

»Ich vergesse nichts,« sagte Pawjel stolz und kalt, »ihr habt mein Wort gehört, und ihr wißt, was ihr der Erwählten Pawjel Fjodorews schuldig seid. Wehe dem,« rief er, mit furchtbar drohenden Blicken im Kreise umherschauend, »der sie mit einer Miene, mit dem Hauch eines Wortes kränkt! Und nun, Stjepanida, komm, ich will mit dir vor deinen Vater treten und um dich werben, wie sich's gebührt – du, über deren Haupt die reinen Engel Gottes schweben, sollst das Pfand des Friedens sein nach langem Hader.«

Er zog seinen Arm von ihren Schultern zurück, faßte ihre Hand und ging stolzen und festen Schrittes durch den sich vor seinen flammenden Blicken öffnenden Kreis auf der Straße dahin nach Leonews Hause.

Fast die ganze Versammlung folgte den beiden in einiger Entfernung, denn jeder war begierig, die Entwicklung dieses Ereignisses zu sehen; auch der Vater Julian schloß sich dem Zuge an, um, was auch immer geschehen möge, bereit zu sein, zu Frieden, Eintracht und Versöhnung zu mahnen.

2. Kapitel

Inhaltsverzeichnis

In einiger Entfernung von Leonews Hause blieb die Menge, unter welcher sich die alte, lang gewohnte Scheu vor dem einflußreichen Freunde der türkischen Behörden bei der Annäherung an sein Gehöft wieder zu regen begann, flüsternd stehen. Der ganze Vorgang hatte sich so plötzlich vollzogen, daß man jetzt erst darüber nachzudenken anfing, und den meisten wurde es allmählich klar, daß man nicht nur der armen Stjepanida unrecht getan, sondern sich noch mehr gegen Pawjel Fjodorew unverzeihlich vergangen habe, der stets ein so treuer Freund und ein so kühner Verfechter der Rechte des Volkes gegen die türkische Willkür gewesen war, und wäre es noch Zeit gewesen, so hätte man gern die vorschnelle und unüberlegte Kränkung wieder gutgemacht – aber schon war Pawjel, ohne sich nur noch einmal umzusehen, immer Stjepanida an der Hand führend, in das Haus eingetreten, in das er noch niemals vorher seinen Fuß gesetzt hatte.

Stjepanida öffnete eine unmittelbar neben dem Eingänge befindliche Tür, und führte Pawjel in das Zimmer ihres Vaters. Dies war ein großer Raum, vor dessen Fenster von innen feste Eisengitter angebracht waren, die man von außen durch die etwas trübe angelaufenen Scheiben nicht bemerken konnte. Ringsumher an den Wänden standen große, eichene Schränke mit eisernen Beschlägen und mächtigen Riegeln und Vorhängeschlössern; einer dieser Schränke war halb geöffnet, und man sah in demselben kleinere, ebenfalls verschlossene Kisten und eine Anzahl von übereinandergehäuften großen Büchern. Einige dieser Bücher waren herausgenommen und lagen aufgeschlagen auf einem großen, eichenen Tisch, der in der Mitte des Zimmers stand, und vor welchem Theofil Leonew saß, über die Bücher gebückt und emsig die auf den Seiten derselben verzeichneten Zahlenreihen prüfend und miteinander vergleichend.

Leonew trug die Unterkleider des bulgarischen Kostüms, sein Rock von dunkelbraunem Tuch aber näherte sich in seinem Schnitt mehr der städtischen Mode, so daß man ihn, wie er so hinter seinem Tische dasaß, weniger für einen Bauern, als für einen städtischen Kaufmann hätte halten können, der mit scharf berechnendem Blick die Bilanz seiner Unternehmungen zieht.

Er hob beim Geräusch der geöffneten Tür den Kopf von seinen Büchern auf und blieb einen Augenblick in sprachlosem Erstaunen sitzen, als er seinen Feind in das Zimmer treten sah – dann aber verzog sich sein Gesicht zu einem feindlich höhnischen Ausdruck, schnell klappte er seine Bücher zu, als fürchte er, daß ein fremder Blick auf dieselben fallen könne, dann erhob er sich von seinem Stuhl und sah Pawjel mit lauernden, tückischen Blicken an, einem in seiner Höhle angegriffenen Raubtier ähnlich.

Stjepanida hatte sich in dem Augenblick, als sie das Zimmer ihres Vaters betrat, von Pawjels Hand losgemacht und war hinausgeeilt; im nächsten Augenblick aber schon kehrte sie wieder zurück, ehe noch Pawjel den Tisch erreicht hatte, hinter welchem Leonew, die Hand auf seine Bücher gestützt, stand. Sie trug auf einem irdenen Teller ein Stück Brot und ein Salzfaß, das sie Pawjel darbot. Dieser aß eine Brotkrume, nachdem er sie in das Salz getaucht, und sagte dann, indem er ganz nahe an den Tisch herantrat, mit ernster, voller Stimme, in welcher noch die Aufregung von der eben vorhergegangenen Szene nachklang:

»Fürchte nicht, Theofil Leonew, daß ich in feindlicher Absicht zu dir gekommen bin – du siehst, ich habe Salz und Brot in deinem Hause gegessen; alles, was dein ist, ist mir heilig, als wäre es mein eigen.«

»Ich fürchte mich nicht«, erwiderte Leonew mit rauher Stimme und bitterem, höhnischem Lachen, »vor niemand, und vor dir am wenigsten, Pawjel Fjodorew. Und was mein ist, wird mein bleiben auch ohne deinen guten Willen.«

Schüchtern, mit bittenden Blicken, näherte sich Stjepanida ihrem Vater, und bot ihm den Teller mit Salz und Brot.

»Fort damit,« rief Leonew, indem er den Teller so heftig zurückstieß, daß er zur Erde fiel und in Scherben zerbrach, »was soll das, ich bin nicht gesonnen, mit jenem da Gastfreundschaft zu halten, und wenn er wider meinen Willen mein Haus betreten hat, so wird er wohltun, so schnell als möglich dahin wieder zu gehen, woher er gekommen ist!«

Ganz erschrocken und totenbleich schwankte Stjepanida zurück, dann beugte sie sich auf die Erde nieder, um mit ängstlicher Sorgfalt das weithin verstreute Salz mit den Händen wieder zusammenzuscharren: denn verschüttetes Salz bedeutet nach slawischem Glauben schweres Unglück, und ihr Herz schnürte sich bei dem Gedanken zusammen, daß ihr Vater, der doch über ihr Schicksal zu bestimmen hatte, das Zeichen der Gastfreundschaft mit Pawjel zurückwies.

Ihre langsam und fast unbewußt erwachte und erwachsene Liebe, welche vielleicht ohne den heutigen Vorfall noch lange halb träumend in ihrem Herzen geschlummert haben würde, war plötzlich zu klarem Bewußtsein und flammender Leidenschaft aufgelodert, als der schöne, stolze Mann dem verachtenden Spott der Menge gegenüber seinen schützenden Arm um sie schlang, da, als er, wie einer plötzlichen Eingebung folgend, seine Liebe zu ihr offen vor aller Welt bekannte, war es auch ihr mit der Schnelligkeit des Blitzes klar geworden, daß sie zu ihm gehöre mit ihrem ganzen Wesen, daß sie nur an seiner Seite leben könne und daß die Trennung von ihm ihr den Tod bringen müsse. Im ersten Rausch des seligen Glücks hatte sie in seinem Arm und an seiner Hand nur die Wonne des Augenblicks gefühlt; er schien ihr so mächtig, so gewaltig, so alles beherrschend, daß sie ihr Schicksal für entschieden hielt, sobald er das Wort seines Willens gesprochen. In freudiger Zuversicht war sie glücklich an seiner Seite nach dem väterlichen Hause zurückgekehrt – der Anblick ihres Vaters aber, vor dem sie von Jugend auf zu zittern gewohnt war, der unversöhnliche Haß, den sie in seinen Augen las, erinnerte sie nun plötzlich in jähem Schreck daran, welch eine Kluft sich zwischen ihnen öffnete, und als ihr Vater das Salz zurückwies, als das heilige Zeichen der Gastfreundschaft und des häuslichen Friedens auf den Boden in den Staub fiel, da zuckte ihr Herz zusammen in schneidendem Weh, sie kniete vor den Scherben des Tellers, welche ihr wie die Trümmer ihres Glückes und ihrer Hoffnungen vorkamen, und blickte angstvoll zu ihrem Vater auf, der so bittere, feindliche Worte sprach.

Pawjel aber hatte diese Worte ruhig angehört; er, der sonst so heftig, aufbrausend, jede Beleidigung zurückgab, neigte den Kopf und warf Stjepanida einen innig liebevollen Blick zu, als wolle er ihr die beruhigende Versicherung geben, daß er sich zu keiner heftigen Erwiderung hinreißen lassen werde.

»Vielleicht hast du recht, Theofil Leonew,« sagte er, »mich so unfreundlich zu empfangen, wie du es tust, denn ich bin dir oft feindlich entgegengetreten, und habe dir Böses getan, wo ich konnte. Wohl mag es unrecht von mir gewesen sein – man soll ja nicht nach dem Scheine urteilen, und ich mag mich durch einen falschen Schein haben bestimmen lassen, dich für einen Feind unseres Glaubens und unseres Landes zu halten – ich hätte vielleicht längst zu dir kommen sollen, und manches würde sich aufgeklärt haben, das dich nur immer mehr verbitterte. Doch ich mache meinen Fehler gut. Wenn zwei Menschen sich feindlich gegenüberstehen, so haben wohl immer beide etwas schuld daran – laß uns die Vergangenheit vergessen, ich biete dir Versöhnung und Freundschaft; wir gehen wohl ernsten Zeiten entgegen, in denen es not tun wird, daß alle zusammenstehen und gemeinsam der Not und Gefahr die Stirn bieten.«

»Und du verlangst,« sagte Leonew immer in demselben feindlich höhnischen Ton, »daß ich deinen Worten trauen soll? Nein,« rief er, indem noch wilderer Haß aus seinen Blicken sprühte, – »nein, ich traue deiner Freundschaft nicht, und ich will sie nicht! Ich fürchte die Zukunft nicht, mag sie bringen, was sie will, und ich bin allein stark genug, um jeder Gefahr zu trotzen. Sieh du, wo du bleibst und wie du deinen Kopf rettest, wenn die Rebellion auch hier ihr Haupt erhebt, ich weiß, wohin ich mich zu wenden, und wo ich Schutz zu suchen habe. Man nennt mich den Juden, ich weiß es wohl, wegen des Blutes meiner Mutter, nun denn, eines habe ich mit jenem Blute in mich aufgenommen, das ist die Dankbarkeit gegen meine Freunde, und den Haß gegen meine Feinde; mein bitterster Feind aber bist du, und wer mich gekränkt und beleidigt hat, der wird meine Rache fühlen, früher oder später. Hüte dich, auch über dich wird meine Hand kommen, wie über alle die heimtückischen Feiglinge hier, die mit Grimm im Herzen vor mir gekrochen sind, so lange sie mich fürchteten. Geh hinaus, unter meinem Dache ist kein Platz für dich!«

»Theofil Leonew,« sagte Pawjel Fjodorew mit sanftem, fast bittendem Tone, »du glaubst nicht, daß ich dir aus aufrichtigem Herzen die Hand zur Versöhnung biete, und doch hättest du dich wohl überzeugen können, auch als ich dein Feind war, daß ich nicht zu heucheln und zu lügen verstehe und daß meine Lippen nur sprechen, was mein Herz fühlt. So höre denn, ich will dir beweisen, daß ich es treu und aufrichtig meine. Sieh hier Stjepanida, deine Tochter, dein einziges Kind – ich liebe sie – ich bitte dich um ihre Hand, sie soll an meiner Seite durchs Leben gehen, in meinem Hause soll dir der Ehrenplatz offen stehen, der dem Vater meines Weibes gebührt – glaubst du nun, daß ich es aufrichtig meine, wenn ich dir Versöhnung und Freundschaft biete? Laß uns zusammenstehen, laß mich die Stütze deines Alters sein, kehre zurück zum Volk, zu dem du gehörst, das dir seine Arme öffnet und dich ehren und lieben wird. Dafür stehe ich dir, und wehe dem, der Theofil Leonew, den Vater meines Weibes, beleidigen würde!«

Er hob Stjepanida vom Boden auf, und während das junge Mädchen sich zitternd an seine Seite schmiegte, streckte er die offene Hand über den Tisch hin, Leonew entgegen.

Dieser aber rief hohnlachend:

»Ah, wie freundlich, wie gütig du bist, Pawjel Fjodorew – ja, ja, man weiß es wohl, daß Theofil Leonew durch Fleiß und Arbeit seinen Besitz vermehrt und manchen Piaster erworben und erspart hat, da möchte es dir wohl gefallen, meine Erbschaft als Heiratsgut zu gewinnen und eine Frau dazu, die mehr wert ist, als alle eure Weiber zusammen! Aber die Rechnung ist zu plump, mein kluger Pawjel, meine Tochter da ist zu gut für einen Bauer wie du und, bei Gott, nicht für dich habe ich gearbeitet und gespart, und nichts soll es dir helfen, wenn du mit heuchlerischer List das verblendete Kind dort betörst hast. Fort von ihm, Stjepanida!« rief er heftig. »Ich sehe wohl, es ist Zeit, daß ich dich aus dem elenden Dorfe hier fortschaffe; ich war töricht, daß ich dich so lange hier ließ.«

Bebend und schluchzend wollte Stjepanida sich mit flehend ausgestreckten Armen ihrem Vater nähern, Pawjel aber schlang den Arm um sie und zog sie fester an sich, die Röte eines edlen Unwillens färbte sein Gesicht.

»Ich bedauere dich, Theofil Leonew,« sagte er, »wenn du in deinem Leben gelernt hast, von den Menschen so niedrig zu denken – mir aber tust du unrecht. Du weißt es, daß Gott mir der irdischen Güter mehr gegeben, als ich bedarf, und nicht um der Schätze willen, die du erworben haben magst, hat sich mein Herz deiner Tochter zugewendet; nur sie allein liebe ich, und du magst frei über alles verfügen, was du besitzest, du magst dir einen Erben suchen, wo du willst, ich werde kein Wort dagegen sprechen, ich verlange nichts von dir für die, welcher alles gehören wird, was ich habe – gib mir Stjepanida. Und kannst du den Groll nicht vergessen, kannst du mein Freund nicht sein, so laß wenigstens die Feindschaft ruhen, und überlaß der Fügung des Himmels und der Zeit die Versöhnung, zu der ich stets mit offenem Herzen bereit sein werde.«

»Nein,« rief Leonew, wild und heftig den Kopf schüttelnd, »nein, und tausendmal nein – und wenn ich nichts besäße, und wenn du noch tausendmal reicher wärest, ich würde lieber bettelnd das Land durchziehen, als mein Blut mit dem deinen verbinden. Geh also, jedes Wort ist vergeblich; du hättest früher daran denken sollen, daß man Theofil Leonew nicht ungestraft beleidigt und daß ich nicht der Mann bin, um wie ein Hund beim ersten freundlichen Wort die Mißhandlung zu vergessen.«

Schluchzend bedeckte Stjepanida das Gesicht mit den Händen. Pawjel stand bleich und finster mit zusammengepreßten Lippen und schwer atmender Brust da, seine ganze Natur bäumte sich zum Kampfe gegen den Widerstand auf, der seiner Liebe entgegentrat, und doch war es ihm selbst in diesem Augenblick erregter Leidenschaft klar, daß dieser Widerstand durch Gewalt nicht zu besiegen sei, denn das Recht des Vaters über seine Tochter war nach der Sitte des Volkes und dem Gesetz der Kirche heilig und unantastbar, und die ganze Macht der türkischen Regierung würde, so wenig sie sich auch sonst um die Volksrechte kümmerte, in diesem Falle sich wider ihn auf Leonews Seite stellen. Er fühlte sich ohnmächtig dem zähen Willen seines unversöhnlichen Feindes gegenüber und tief gedemütigt, daß die Hand der Versöhnung, die er bot, so höhnisch zurückgewiesen wurde; hätte es sich um irgendeinen anderen Gegenstand gehandelt, so würde er sich trotzig abgewendet und Leonew durch ein schneidendes Wort voll bitterer Verachtung niedergeschmettert haben – aber er blickte auf Stjepanida, ein unnennbares Weh durchzuckte sein Herz bei dem Gedanken, daß er sich von ihr trennen und sie einem ungewissen Schicksal überlassen sollte. Die Liebe überwand seinen Stolz, – er beugte das Haupt, um noch einmal ein bittendes Wort zu sprechen, da hörte man laute Stimmen draußen, die Hufschläge von mehreren Pferden klangen von der Straße her und hielten vor dem Hause an.

Lauschend streckte Leonew den Kopf vor, – ein Lächeln boshaften Triumphes flog über sein Gesicht. Im nächsten Augenblick wurde die Tür des Zimmers schnell geöffnet, und ein großer, hagerer, breitschulteriger Mann, den roten Fez auf dem Kopfe, in einem blauen, zugeknöpften Rocke mit Goldstreifen am Kragen, hohen Stiefeln an den Füßen und einen Säbel an der Seite, trat, sich unter dem Türpfosten leicht bückend, ein. Das dunkelgelbliche Gesicht dieses Mannes hatte scharfe und harte Züge, ein dichter, schwarzer Bart bedeckte seine Wangen und sein Kinn und ließ, wenn er den Mund zum Sprechen öffnete, nur die weißen Zähne sehen, welche lang und spitz unter den schmalen Lippen hervorragten; Hochmut und tückische Bosheit blitzten aus seinen kleinen, schwarzen, stechenden Augen, über welchen dichte Brauen sich bis zur Nasenwurzel zusammenzogen. Durch die geöffnete Tür sah man draußen vor dem Hause mehrere türkische Gendarmen mit Pferden.

Der Eingetretene warf einen schnellen, prüfenden Blick auf die im Zimmer befindlichen Personen, er schien betroffen, als er Pawjel Fjodorew hier erblickte, und es zuckte wie gehässige Schadenfreude über sein Gesicht.

Leonew kam schnell in demütig gebückter Haltung hinter seinem Tische hervor und rief:

»Glücklich ist mein Haus, daß der weise, tapfere und gerechte Achmed Uga, der hohe Kaimakam von Selwi, seine Schwelle betritt! Euer Eingang sei gesegnet, hoher Herr, gebietet über Euern demütigen Diener Theofil Leonew und alles, was er besitzt.«

Der Kaimakam neigte herablassend den Kopf. Pawjel Fjodorew begrüßte den türkischen Beamten mit stolzer und kühler Zurückhaltung; Stjepanida stand mit über der Brust gekreuzten Armen in sich zusammengesunken und leise weinend hinter ihrem Vater.

»Gott selbst führt Euch her,« fuhr Leonew fort, »um mir den Schutz Eurer Macht und Gerechtigkeit zuzuwenden. Pawjel Fjodorew hier, dessen trotzigen Sinn Ihr kennt, und der nur widerwillig der Regierung des erhabenen Padischah seine Steuern bezahlt, wie Ihr oft gesehen habt, ist wider meinen Willen bei mir eingedrungen, um mich zu schmähen und zu kränken. Mehrmals schon habe ich ihn aufgefordert, mein Haus zu verlassen, aber er trotzt meinem Willen, weil er jünger und stärker ist und weil das tückische Volk da draußen zu ihm steht, das mich haßt, weil ich auf Ordnung halte und Recht und ein treuer Untertan bin des großen und erhabenen Padischahs. Schützt mich vor ihm, hoher Herr, und befreit mein Haus von seiner verhaßten Gegenwart!«

»Ja, ja,« sagte Achmed Aga, indem seine Hand sich um den Griff seines Säbels spannte, »ich weiß es wohl, es lebt ein aufrührerischer Geist in diesem Volke, und es tut not, daß sie die Strenge fühlen, nachdem die milde, väterliche Hand der Regierung sie so lange verwöhnte. Ich werde das alles untersuchen, denn ich will einige Tage hierbleiben, um die neue Steuer zu erheben, welche der Padischah befohlen. Der freche Moskowiter zieht seine Truppen an den Grenzen des Reiches zusammen; bald soll ihr Blut die Erde düngen, unsere tapferen Soldaten werden sie niedermähen wie reife Garben, und die Pflicht aller guten Untertanen ist es, beizutragen zur Verpflegung der Heere des Padischahs. Darum ist eine Kopfsteuer ausgeschrieben, die jeder nach seinem Vermögen mit Freuden bezahlen wird, und ich bin hier, um die Schätzung vorzunehmen. – Ich weiß,« fuhr er zu Leonew gewendet fort, »daß du mir wie immer die Gastfreundschaft deines Hauses gern gewähren wirst.«

»Eine glückliche Sonne bescheint mein Dach,« sagte Leonew sich tief verneigend, »da ich gewürdigt bin, Euch zu beherbergen, hoher Herr.«

Achmed Aga warf einen hämischen Blick auf Pawjel Fjodorew und sagte:

»Der Padischah braucht auch Soldaten, um seine Heere zu verstärken, damit um so sicherer die nichtswürdigen Moskowiter zerschmettert werden; er hat befohlen, daß die kräftigsten und tüchtigsten Leute für den Dienst im Heere ausgehoben werden sollen. Es ist eine große Gnade, daß auch den Ungläubigen gestattet wird, die Waffen zu tragen und durch den Dienst für das Reich ihr sündhaftes Leben zu reinigen; denn wenn sie fallen im heiligen Kampfe, so wird der Prophet sich vielleicht ihrer erbarmen und für sie bei Allah bitten, daß sie in dem untersten Himmel der Gläubigen Aufnahme finden. Ich werde die Auswahl treffen,« fuhr er fort, »und hier Pawjel Fjodorew scheint mir vor allem tüchtig zum Dienst zu sein; ich werde ihn abliefern zum Regiment in Selwi, da mag er zeigen, ob sein trotziger Mut vor den Moskowitern standhält.«

Pawjel fuhr zusammen, helle Glut flammte in seinem Gesicht auf.

»Das ist wider das Recht, Herr«, rief er. »Ich habe pünktlich meinen Haradsch bezahlt und bin frei vom Dienst.«

»Es handelt sich nicht um den Haradsch,« erwiderte Achmed lachend, »der Padischah braucht Soldaten und hat befohlen, sie auszuheben, und wenn den Ungläubigen die Ehre zuteil wird, in die Reihen des ruhmvollen Heeres zu treten, so sollen sie dankbar sein für solche Gnade, und nur die Verräter werden sich ihrer Pflicht entziehen.«

»Ich habe meine Pflicht erfüllt wie jeder andere,« sagte Pawjel knirschend, »aber das dulde ich nicht, niemand kann mich zwingen, Soldat zu sein. Der Medschliß soll zusammentreten, wir werden uns an den Wesir, an den Padischah selbst wenden, um unser Recht zu fordern, denn es ist unmöglich, daß der Padischah einen solchen Befehl gegeben habe.«

»Wollt Ihr mich lehren,« rief Achmed Aga drohend, »was der Padischah in seiner Weisheit befohlen hat? – Nehmt Euch in acht, ich kenne Euch, Euer Maß ist voll! Und wenn der aufrührerische Geist sein Haupt zu erheben wagt, so werde ich den ganzen Medschliß in Ketten nach Selwi schicken, damit er lernt, was seine Pflicht ist. Morgen werde ich die Schätzung halten und meine Auswahl unter den Männern des Dorfes treffen – du weißt, was du zu tun hast, mache, daß du fortkommst, und halte dich bereit, mir zu folgen.«

Pawjels Lippen zuckten, seine Hände ballten sich – einen Augenblick schien er bereit, sich auf den Türken zu stürzen, aber er begriff, daß gewaltsamer Widerstand in diesem Augenblick nichts nützen könne, sondern ihn nur sicherer verderben müsse, nur gemeinschaftliches Handeln aller konnte die Gefahr des drohenden Rechtsbruches abwenden. Er unterdrückte die Drohung, die auf seinen Lippen schwebte, und wendete sich, um das Zimmer zu verlassen.

»Ich habe noch eine Bitte an Euch, hoher Herr,« sagte Leonew mit einem tückischen Seitenblick auf Pawjel, »die meine Tochter Stjepanida betrifft.«

Pawjel, der schon die Türschwelle erreicht hatte, blieb unruhig lauschend stehen.

»Ihr hattet früher die Gnade, hoher Herr,« fuhr Leonew fort, »mir zu versprechen, daß Ihr meine Tochter, wenn sie der Kindheit entwachsen sein würde, in Euer Haus aufnehmen wolltet, um Eure Diener anzuleiten und zu beaufsichtigen. Ich glaube, sie wird nun solchem Amte vorzustehen wissen, und wenn sie auch nicht Eures Glaubens ist, doch Eurem Hause nützlich sein. Die Zeiten sind unruhig, mich führen meine Geschäfte häufig vom Hause fort, und darum bitte ich Euch, nehmt sie jetzt mit Euch, damit ich sie sicher unter Eurem mächtigen Schutze weiß.«

Stjepanida stieß einen Angstruf aus und erhob flehend die Hände; sie blickte voll starren Entsetzens auf den Türken, der sie prüfend betrachtete.

Pawjel war totenbleich. Er drückte seine geballte Hand auf sein Herz, als wollte er dessen ungestüme Schläge zurückdrängen, und rief:

»Das ist unmöglich – unmöglich, Theofil Leonew, du darfst deine Tochter nicht von dir stoßen, du darfst ein christliches Mädchen nicht in ein türkisches Haus geben.«

»Ich darf nicht?« zischte Leonew, – »willst du die Gesetze geben darüber, was ein Vater mit seinem Kinde darf? Und ist ein christliches Mädchen nicht ehrenvoll und sicher aufgehoben im Hause des hohen Kaimakam, des Wächters der Gesetze, durch welche der erhabene Padischah den Untertanen jeden Glaubens gleichen Schutz und gleiches Recht verheißt? – Ihr hört, es, hoher Herr, er frevelt gegen die weise und gerechte Regierung.«

»Nun,« sagte Achmed Aga mit höhnischem Achselzucken, »er wird den Gehorsam lernen, wenn er erst im Regimente steht – hinaus, sage ich dir,« rief er, drohend die Hand gegen Pawjel erhebend, »ich will deine trotzigen Worte nicht gehört haben; aber bei Gott, wenn du noch ein Wort sprichst, so lasse ich dich in Ketten schließen und heute noch nach Selwi abführen!«

Einen Augenblick noch stand Pawjel mit schwer arbeitender Brust da, dann trat er schnell zu dem jungen Mädchen hin, dessen Blicke angstvoll flehend auf ihm ruhten, schloß sie in seine Arme, küßte sie auf die Stirn und rief:

»Vertraue auf mich, Stjepanida, noch lebt Gott, er wird uns schützen.«

Leonew wollte sich auf ihn stürzen, um Stjepanida aus seinen Armen zu reißen, aber Pawjel stieß ihn zurück und eilte, die Tür des Zimmers hinter sich schließend, aus dem Hause.

»Der Unverschämte,« sagte Achmed Aga, »ich sollte ihn durch die Gendarmen festhalten lassen – aber er entgeht uns nicht, ich werde ihn meinem Freunde Suleiman Bey, der das Regiment in Selwi kommandiert, empfehlen«, fügte er höhnisch hinzu; »wir brauchen christliche Freiwillige, damit die hohen Wesire in Stambul den Fremden beweisen können, wie freudig alle Untertanen für das Reich in den Kampf ziehen.«

»O mein Vater, mein Vater,« rief Stjepanida, indem sie sich zu Leonews Füßen niederwarf und seine Hand an ihre Lippen drückte, »verstoß mich nicht aus deinem Hause, sende mich nicht nach Selwi, ich beschwöre dich bei der Barmherzigkeit Gottes!«

»Verstoßen!« sagte Leonew rauh, – »törichte Närrin, was sprichst du von verstoßen! Es ist eine Ehre und ein Glück für dich, wenn du im Hause des hohen Kaimakam, meines weisen und gerechten Beschützers Achmed Aga, Aufnahme findest. Dort wirst du sicher sein vor den Zudringlichkeiten dieser tölpelhaften, trotzigen Bauern – kein Wort weiter – fort in deine Kammer! Ich selbst werde dich nach Selwi bringen, sobald der hohe Kaimakam dorthin zurückkehrt.«

»Fürchte dich nicht, mein Kind,« sagte Achmed Aga, indem er Stjepanidas Kinn emporhob und sie mit kalten, prüfenden Blicken betrachtete, wie ein Kaufmann die Ware mustert, »es wird dir bei mir an nichts fehlen. Du sollst meine Sklaven beaufsichtigen und meinen Haushalt führen, und du wirst in der Stadt mehr sehen und lernen als hier in dem öden, abgelegenen Dorfe.«

»Verzeiht ihre Torheit, Herr,« sagte Leonew, – »das wird sich geben, sie hat noch nie mein Haus verlassen, und selbst das Vieh«, fügte er mit rohem Lachen hinzu, »sträubt sich ja, wenn es aus dem Stall gehen soll, in dem es geboren wurde. – Jetzt fort!« rief er, Stjepanida heftig zurückstoßend, »ich habe keine Zeit, mich weiter mit deinen Albernheiten zu beschäftigen. Sage den Mägden, daß sie für die braven Gendarmen draußen sorgen, und sende uns hierher das Beste, was es im Hause gibt; der hohe Kaimakam wird müde und hungrig von der Reise sein und freundlich annehmen, was sein demütiger Diener ihm zur Erquickung zu bieten vermag.«

Stjepanida stand auf. Düstere Verzweiflung lag auf ihren Zügen, zugleich aber blitzte aus ihren großen, sonst so träumerisch schmachtenden Augen ein Strahl kühnen, entschlossenen Mutes aus; ohne ein Wort weiter zu sprechen, ging sie, dem Befehle ihres Vaters folgend, hinaus.

»Das Mädchen ist wirklich schön,« sagte Achmed Aga, indem er sich mit zufriedener Miene die Hände rieb, »und der erhabene Pascha wird entzückt sein, wenn ich sie ihm in seinen Harem bringe, vielleicht wird er sie gar würdig finden, sie dem großen Padischah, den Allah segnen und erhalten möge, zu senden, und ich werde nicht verfehlen, ihm zu sagen, daß sie dein Geschenk ist, Theofil Leonew, das wird dir mächtigen Schutz in allen deinen Unternehmungen bringen.«

»Ich danke Euch, Herr, ich danke Euch«, sagte Leonew. »Ich weiß ja, daß Ihr immer meiner gedenkt, und wenn Stjepanida Gnade findet vor den Augen des erhabenen Paschas, so werdet Ihr nicht vergessen zu sagen, daß sie meine Tochter ist und daß ich sie mit Freuden dem ruhmreichen, weisen und gerechten Vertreter des Padischahs, unseres Gebieters, übergebe. Es ist ja auch ihr Glück, denn wie kann ich, ein vielbeschäftigter Mann, ein Mädchen hüten; sie würde Torheiten begehen und sich selbst ins Elend, mich aber tausendfach in Sorgen und Verdruß stürzen. Auch will ich nicht hierbleiben,« fuhr er fort, »diese Bauern werden mit jedem Tage frecher und unverschämter, und wenn ihr trotziger Geist sie bis zur rebellischen Auflehnung treiben sollte, so wird wohl«, fügte er mit entsetzlichem Lachen hinzu, »hier wenig übrigbleiben, um Geschäfte zu machen. Ich möchte mit dem, was ich erworben, nach Stambul gehen, um dort ein Geschäft zu begründen, das mir vielleicht in einem Tage hundertfach den Gewinn abwirft, den ich hier, kaum in einem ganzen Jahre zusammenbringe; dazu müßt Ihr mir helfen, hoher Herr, und wenn der erhabene Pascha Wohlgefallen an Stjepanida findet, so werdet Ihr wohl von ihm einen Geleitbrief für mich an die großen Wesire in Stambul erlangen können, damit ich dort die Erlaubnis erhalte, mich niederzulassen und mein Geschäft zu betreiben – Ihr wißt, daß ich ein dankbarer Mann bin und daß ich gern von allem, was ich erwerbe, den schuldigen Anteil zu den Füßen meines großmütigen Beschützers und Wohltäters niederlegen werde.«

»Wir wollen sehen – wir wollen sehen, was sich tun läßt,« sagte Achmed Aga, indem er sich mit zufriedenem Lächeln die Hände rieb, »wenn Stjepanida Gnade findet vor den Augen des Paschas, daß er dir seinen Schutz gewähren wird. Ich weiß ja,« fuhr er mit einem eigentümlich durchdringenden Blick fort, »daß du die Dankbarkeit nicht vergessen wirst, wenn dir das Glück in Stambul günstig sein sollte, denn du bist ein kluger Mann und weißt wohl, daß die Undankbarkeit keinen Bestand hat und daß die Hand, welche schützt und erhöht, auch schlagen und zu Boden werfen kann.«

»Ihr kennt mich, Herr, Ihr, kennt mich,« sagte Leonew eifrig, »und niemals werdet Ihr bereuen, mir Euren Schutz gewährt zu haben. Doch jetzt, wenn es Euch gefällig ist, kommt hinüber und stärkt Euch an dem, was mein armes Haus Euch bieten kann.«

Er verschloß sorgfältig seine Schränke und führte, ehrerbietig gebückt voranschreitend, den Kaimakam über den Flur nach dem gegenüberliegenden Wohnzimmer des Hauses, wo bereits ein Nachtmahl bereitet stand.

Der eichene Tisch war, ein großer, Luxus für ein bulgarisches Dorf, mit einem weißen Leinentuch bedeckt. Auf demselben standen Teller von seinem Porzellan, welche Leonew für festliche Gelegenheiten von seinen Handelszügen aus den benachbarten Städten mitgebracht hatte. Geräucherte Schinken, Würste, kaltes Hammelfleisch, frisch gebackene Eierkuchen und marinierte Fische aus der Kuschitza bedeckten auf großen Schüsseln die Tafel. Achmed Aga ließ einen wohlgefälligen Blick über die zwar einfachen, aber lockenden Dinge schweifen, welche seinem durch den Ritt geschärften Appetit doppelt verlockend erschienen.

»Höre, Theofil Leonew,« sagte Achmed Aga, indem er auf einem mit Polstern bedeckten Diwan vor der Tafel Platz nahm, »meine Kräfte sind erschöpft von der Arbeit im Dienste des Padischahs, und mein Arzt hat mir geraten, von den stärkenden Getränken Gebrauch zu machen, welche die Franken aus den Beeren des Weinstocks zu bereiten verstehen, und in solchen Fällen erlaubt ja das Gesetz der heiligen Bücher, von diesem Getränk der Ungläubigen zu genießen.«

»Ich eile, Herr, ich eile,« rief Leonew, »das Beste, was ich besitze, soll sogleich für Euch bereitstehen.«

»Vergiß auch nicht,« rief ihm Achmed Aga zu, als er schon die Schwelle erreicht hatte, »jenen schäumenden Sorbet mitzubringen, welcher kühlt und belebt und so angenehm die Zunge kitzelt.«

»Seid unbesorgt, Herr, seid unbesorgt,« rief Leonew, geschäftig davoneilend, »Ihr sollt zufrieden sein.«