Plunderkammer - Eva Demski - E-Book

Plunderkammer E-Book

Eva Demski

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Beschreibung

Jedes Ding hat seine Geschichte ...

Ein Paar kaputte Flipflops, die viele Jahre ihre Dienste getan hatten; die Lupe aus der Erbschaft eines reichen Dichters; ein hässlicher Teakholzküchenlöffel, seit Jahren unbenutzt; eine alte Taschenuhr aus Familienbesitz; ein abgeliebter kleiner Plüschlöwe … Vergessen und scheinbar nutzlos liegen sie irgendwo in der hintersten Ecke des Schranks – doch Eva Demski lässt dieses »Museum der kleinen Dinge« lebendig werden, erzählt die Geschichten und Geheimnisse, die sich daran knüpfen, und unternimmt so eine Zeitreise der besonderen Art.

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Seitenzahl: 102

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Cover

Titel

Eva Demski

Plunderkammer

Mit Illustrationen von Nicolas Mahler

Insel Verlag

Impressum

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eBook Insel Verlag Berlin 2024

Der vorliegende Text folgt der Erstausgabe, 2024.

© Insel Verlag Anton Kippenberg GmbH & Co. KG, Berlin, 2024

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Umschlaggestaltung: Nicolas Mahler, Wien

Umschlagillustration: Nicolas Mahler, Wien

eISBN 978-3-458-78139-4

www.insel-verlag.de

Übersicht

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Informationen zum Buch

Cover

Titel

Impressum

Plunderkammer

Die Sache mit den Sachen

Aufstieg und Fall

Vom Glück auf Latschen

Diebin aus Liebe

Die Verwandlung

Auf eine Lampe

Keinen Löffel weglegen

Blicke

Ein Stein

Die Linde

Musikstille

Unzählige

Mystik: eine unreife Poesie

The Big Dipper

Ein sonderbar Ding

Spieglein

Leere mit Goldrand

Tierleben

Boah!

Erlaubnis

Vier Augen?

Flower Power

Börsennotizen

Stillgelegt

Verloren auf immer?

Informationen zum Buch

Plunderkammer

Plunderkammer

Die Sache mit den Sachen

Lang habe ich nach einem Wort gesucht, mit dem sich dieses Gefühl, diese Art von neuem Leben beschreiben ließe – Bleibefreiheit. Ich hab’s in einer Zeitung gelesen, Eva von Redecker sei gedankt – und ja – ja, das war es. Bleibefreiheit bestimmte seit einiger Zeit mein Leben. Erst allmählich habe ich gemerkt, was für ein großes Geschenk sie ist und was man mit ihr alles anfangen kann. Die Freiheit, nirgendwohin wollen zu müssen, war ein Kind der Pandemie, eine Art Bankert, viel schöner als ihre anerkannten Kinder Rücksicht und Vorsicht und Einsicht.

Besser war, man stimmte in die Klagen über die furchtbaren Beschränkungen ein: Wo ist unsere Freiheit? Damit war man aber schnell in etwas anrüchiger Gesellschaft.

In Wahrheit brachte die Bleibefreiheit große Wonnen mit sich: Man musste nichts mehr erleben, bereisen, beurteilen, dem Alter keine Abenteuer mehr abtrotzen, nicht mehr mit der Vorzeigbarkeit anderer konkurrieren. Man musste nicht mehr gesehen werden, dank ihr, der wundersamen, tausend unerwartete Erlebnisse bereithaltenden Bleibefreiheit. Während viele um ihre digitale Präsenz kämpften und die Welt sich an Pfannkuchengesichter und abirrende Blicke auf dem Bildschirm gewöhnte, kam als eine der größten Überraschungen aber die Sache mit den Sachen in mein Leben.

Dieses Empfindungsvermögen für die kleinsten Dinge und die sonderbare Unempfindlichkeit für die größten … Ich startete in ein Abenteuer, im Sinne Blaise Pascals, das wusste ich aber noch nicht.

Als das sogenannte normale Leben langsam wieder anfing, die Masken gefallen und die Konkurrenzen zurückgekehrt waren, hatte ich längst gelernt, so zu tun, als nähme ich wieder an allem teil.

Warst du dort? Hast du die gehört? Jenen gesehen? Das gelesen?

Das würde ich nachholen, gab ich zur Antwort, und an dem Abend, von dem die Rede sei, sei ich woanders gewesen. Das musste das jeweilige Gegenüber akzeptieren. Es war ja nicht dort gewesen, wo ich behauptete, Unvergessliches gehört und gesehen zu haben. Wie schade. Ja, bestimmt, man würde es nachholen.

Diese Art wundersamer Ortlosigkeit hatte die Pandemie überlebt und erwies sich nun als Sehnsuchtsziel. Gewiss nicht für viele, aber für die anderen war ja wieder gesorgt. Flughäfen voll, Tourismusbranche glücklich, alles gut.

Ohne das neue Xanadu hätte ich mich nicht jener Aufgabe unterziehen können – ja, unterziehen war das richtige Wort, obwohl ich es nicht leiden kann –, die sich mir in der menschenstummen Zeit immer deutlicher gezeigt hatte. Sie waren nicht mehr zu überhören gewesen, meine Sachen, meine alltäglichen, unscheinbaren Besitztümer, und das hatte schon lang vorher begonnen.

Sie wollten nämlich Erzählungen haben, jedes einzelne Ding, und wer sollte die schreiben, wenn nicht ich?

Wir haben dich jahrelang begleitet, jetzt sind verdammt noch mal wir dran, sagten Stein, Tasse, Kissen, Löffel, Bild, der ganze nützliche oder auch nur seelisch verwendbare Krempel, der mich umgab. Sie hatten sich in der Stille der Seuche angewöhnt, mich immer vernehmlicher aufzufordern:

Erzähl mich! Erzähl uns! Sonst bin ich tot, sonst sind wir alle tot, wenn du tot bist! Das geht nicht, das ist gemein und ungerecht! Wir möchten überleben! Das funktioniert nicht ohne Geschichten.

Ihr seid hier doch nicht im Museum, antwortete ich.

Ich kannte alle Arten von Museen. Manche begruben ihren Kram unter üppigen Erklärungstexten, in einer Art Wissenschaftlerbarocksprache, um dürftige Dingerchen wurden Wortgirlanden gewunden. In anderen Instituten hatte man ziemlich identische Gegenstände stoisch angehäuft und die sollten durch ihre bloße Menge zu den Besuchern sprechen. Tausend Pfeilspitzen! Dreihundert Tontäfelchen! Na und? Wenn du eins gesehen hast, hast du eigentlich alle gesehen.

Aber im Museum war er eben nicht, mein Kram, und ich begriff, dass offenbar auch Gegenstände Todesangst haben können. Sie gingen mir auf die Nerven mit ihrer Lebensgier und der beharrlichen Behauptung ihrer Einzigartigkeit, die eben keiner sähe, wenn ich nicht von ihr berichtete.

Das ist schließlich dein Job, schrie die Schöpfkelle.

Die hässlichste der fünf, die ich besaß. Wozu brauchte ich fünf Schöpfkellen? Ich benutzte ja nicht mal eine.

Die Sachen hörten nicht auf zu rufen, bis in meine traumleeren Nächte hinein. Sie wurden übergriffig, und die kleinsten waren oft die lautesten.

Weißt du, wie viele Steine es auf Erden gibt?, plärrte ein kleiner schwarzer Stein. Und wie viele davon hatte ein echter Troll in der Hand? Einen. Mich.

Ich verzichtete darauf, zu fragen, woher er das denn wisse mit dem Troll. Ich glaubte nicht einmal an Trolle. Es war mir klar, dass es keiner der Sachen um Geschichte ging, sondern ausschließlich um Geschichten. Und für die war ich nun mal zuständig. Mit schlechtem Gewissen erinnerte ich mich an die zaghaften oder wütenden Stimmen, die mich oft aus Sperrmüllhaufen am Weg erreicht hatten. Schnell weitergehen, nicht hinhören.

Wie lang ich die meinen wohl schon ignoriert hatte, als das Leben noch auf allen Instrumenten spielte, damals, vor dem Stillstand?

Müßig, darüber nachzudenken, müßig auch, zu zählen, die Zinken, Zipfel, Pinselstriche, Holzgriffe und Behältnisse, die alle ihre eigenen Geschichten haben wollten.

Bücher waren nicht dabei, schöne Dinge auch nicht. Die einen hatten ihre eigene Stimme, die anderen ruhten in sich selbst. Sie brauchten mich nicht zum Überleben.

Ein paar von euch, sagte ich zu einem antiken Henkel, dem der Krug fehlte. Ein paar Sachen. Mal sehen, wer wirklich was zu erzählen hat. Alle schaffe ich auf keinen Fall. Strengt euch an! Und keinesfalls alle auf einmal!

Aufstieg und Fall

Er ist eins, aber in zwei Teilen. Seit Jahren stecken die in einer Tüte, auf dass sie irgendwann mal wieder zusammenkommen können. Es handelt sich um die Bruchstücke eines Tellers, Zwiebelmuster, ordentlich mit den Schwertern untendrauf, zum Wegschmeißen zu schade.

Die Scherben sprechen leise, aber vernehmlich, ihre Stimmen sind kaum zu unterscheiden.

Uns trifft es doch als Erstes, wenn du hinüber bist. Wer soll uns denn aufheben, wenn ausgemistet wird?

Interessant. Nach all den Jahren als Trümmerteile empfinden sie sich immer noch als Einheit. Wie bei Familien. Ich verzichte darauf, ihnen zu sagen, dass sich ihre Zusammenführung längst nicht mehr lohnt. Es ist auch schon wieder Jahre her, dass ich im verrufensten Viertel unserer Stadt einen Porzellanheiler ausfindig gemacht hatte, einen Libanesen. Sogar Museen ließen bei ihm arbeiten. Er saß im Vorhof der Hölle, dem Bahnhofsviertel. Sein sauberes Kabuff voll ordentlich sortierter Bruchstücke lag inmitten von Dreck, Spritzen und Hoffnungslosigkeit. Da saß der Meister und fügte Zerstörtes so zusammen, dass es wieder unverletzt aussah. Mit Recht verlangte er dafür sehr viel Geld.

Sorry, das ist er mir nicht wert, sagte ich damals zu ihm. Ich habe noch Dutzende heile von denen, meine Familie dachte mal, sie seien kostbar.

Das ist immer Ansichtssache, sagte der Libanese.

Danach vergaß ich die Scherben in ihrer Tüte wieder, und wenn sie damals nach mir gerufen haben sollten, waren sie viel zu leise. Es gab so viel Wichtigeres im Leben als einen zerbrochenen Teller. Ganz andere Sachen zerbrachen, um die man sich kümmern musste. Wahrscheinlich habe ich die Trümmer nur aufgehoben, weil die Bruchkanten sauber waren, nicht gesplittert. Wenn man sie aneinanderhielt, sah man gar nichts. Das hatte ich aber schon lang nicht mehr gemacht, und nun brachte er sich wieder in Erinnerung, der Blauweiße in zwei Teilen.

Indessen stand seine unversehrte Verwandtschaft stumm bei mir im Schrank und wartete vergebens auf einen Auftritt. Der letzte war sehr lang her, ich erinnerte mich kaum noch. Sie hofften auf große Braten und viele Kinder am Tisch, auf soßenfleckige Tischtücher, Weihnachtsbäume und satte Seufzer. Alle mit dem berühmten Muster wollten drankommen, auch riesige Platten und Teile, deren Verwendungszweck keiner mehr kannte. Dinger mit zwei Henkeln und durchbrochene Schalen, breite Schaufeln mit Holzgriffen, tausend Schüsselchen für untergegangenes Leben. Die Bühne dafür gab es nicht mehr, das Stück auch nicht. Nur noch die Requisiten, offenbar war der Verunglückte der Einzige von ihnen, den ich hören konnte.

Das ist besser als Aktien, das Zwiebelmuster!, sagten drei Generationen von Frauen aus meiner Familie, wenn sie ihren wachsenden Geschirrbestand begutachteten. Sie wussten durchaus, was Wertzuwachs bedeutete, im Bürgertum, dieser gefährdeten Heimat, war das nicht nur Männersache. Die Männer waren fürs Geld zuständig, aber was war schon Geld? Es ging um die Sachen, die man dafür bekam. Und ihren Wert, der wachsen und wachsen sollte.

Die muss es billig hergeben! Sie braucht das Geld!, sagte meine Großmutter.

Gemeint waren die geretteten Bestände einer Kusine aus dem Osten, jenem legendären Osten, aus dem damals alle rauswollten, mit möglichst vielen von ihren Sachen. Auf der zerbrechlichen Basis von Meissener Porzellan wurden neue Existenzen errichtet. Und bei uns wuchs die Zahl der Teile. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass irgendein Stück zerbrochen wäre.

Jetzt lagen die Tellerscherben seit Jahren in ihrer Tüte, ohne dass ich mich erinnern konnte, wie mir das passiert war. Es schien mir lange Zeit unwichtig. Den tiefen Fall ihrer blau-weißen Aktien, nicht nur des einen Tellers, hat meine Mutter nicht mehr erlebt. Sie hätte jeden Glauben verloren, wenn sie mitbekommen hätte, dass das wertvolle Zeug, diesen gehüteten, vermehrten, weitervererbten Schatz niemand mehr haben wollte, Schwerter hin oder her. Und dass es keinen mehr interessierte, ob an irgendeiner Stelle auf der Unterseite ein Pünktchen zu sehen oder die Glasur verwaschen war. Auf Flohmärkten bevölkerten Heerscharen von Porzellanenem die Tapetentische und wurden abends mürrisch und fast vollzählig wieder eingepackt. Wert? Das war einmal.

Wenn ein Stück beim Einpacken runterfiel? Ein Teller, zum Beispiel? Umso besser. Brauchte man ihn nicht wieder mitzunehmen in diese Welt, die nie mehr die seine sein würde. Nur Alte trauerten, man sah bei Nachlassverkäufen ihre fassungslosen Gesichter.

Wäre ich eine Künstlerin, hätte ich meinem zerbrochenen Teller seine unzähligen Verwandten hinterherzertrümmert und ein Objekt daraus gemacht, vielleicht auf den Spuren des verehrten Kaputtfürsten Ai Weiwei. Das war ich aber nicht, auch wenn die Welt schon länger so aussah, als sei es die beste Möglichkeit, wenigen Trümmern viele folgen zu lassen, überall, immer mehr.

Das interessierte die zwei aus der Tüte aber nicht.

Lass dir endlich was einfallen, sagten sie, sonst kommst du vor ein Scherbengericht.

Ich dachte wieder an den heilmachenden Libanesen im verlorenen Stadtviertel, und plötzlich fiel mir ein Wort aus Kindertagen wieder ein: Glasscherbenviertel. So wurden verrufene Gegenden genannt. Vielleicht hatte der Trümmerdoktor sich deswegen in all dem Dreck und Elend niedergelassen, um die Würde des Kaputten hochzuhalten.

Ich habe da eine Idee, sagte ich zum gefallenen Meissener Teller, zur gefallenen Aktie meiner Mutter, zu all dem Gefallenen.

Es gibt eine Klebetechnik, da macht man Gold zwischen die Bruchkanten. Man klebt die Brüche golden. Man vergoldet die Wunden. Dadurch sieht man sie und sie sind doch weg. Nicht verschwunden. Sie sind das wirklich Wertvolle.

Klingt nach einer guten Idee, sagten die Tellertrümmer nach einer Weile etwas herablassend.

Ich wusste nicht, ob der Libanese diese Technik auch beherrschte. Wahrscheinlich. Dann dachte ich an seine Preise und seufzte.

Vom Glück auf Latschen