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Magisterarbeit aus dem Jahr 2004 im Fachbereich Medien / Kommunikation - Medien und Politik, Pol. Kommunikation, Note: 1.7, Technische Universität Darmstadt (Institut für Politikwissenschaft), Sprache: Deutsch, Abstract: Fragestellungen und Untersuchungsaufbau In dieser Arbeit steht das Fernsehen als audiovisuelles Medium im Mittelpunkt. Es soll untersucht werden, inwieweit es durch seine spezifische Darstellungslogik auf die politische Berichterstattung innerhalb von ‚RTL Aktuell‘ Einfluß nimmt. Dabei sind Einwirkungen aus zwei Richtungen zu beachten. Zum einen die Einflüsse von außen, zum anderen die Einflüsse von innen, die internen Bestimmungsfaktoren der Nachrichtenproduktion. Bei den äußeren Einflüssen handelt es sich um die Unterhaltungsfunktion des Fernsehens, die zunehmende (Eigen-)Inszenierung der Politik sowie die Konkurrenzsituation der Nachrichtensendungen untereinander. Die Bestimmungsfaktoren der Nachrichtenproduktion können dem synchron als innere Einflüsse angesehen werden. Dazu zählt vor allem die Nachrichtendarstellung anhand von fernsehspezifischen Arbeitskriterien, den sogenannten Nachrichtenfaktoren. Der Hintergrund dieser Betrachtung besteht darin, daß fernsehspezifische Aspekte die Komplexität politischer Zusammenhänge prägen, indem sie die Auswahl der Themen und ihre Reihenfolge festlegen. (Siehe Schicha, 1999) In der konkreten exemplarischen Überprüfung am Beispiel einer Nachrichtensendung von ‚RTL Aktuell‘ stehen diese fernsehspezifischen Aspekte in Erscheinung der Nachrichtenfaktoren im Vordergrund. Würde man zu dieser Arbeit eine Hypothese verfassen, würde sie sinngemäß lauten: Die politische Berichterstattung im privaten Fernsehen am Beispiel der Hauptnachrichtensendung ‚RTL Aktuell‘ ist geprägt durch äußere und innere Einflüsse und daher nicht frei in ihrer Darstellung. Insbesondere die Anwendung von Nachrichtenfaktoren führen zu einer Marginalisierung und Boulevardisierung der Berichterstattung. Erhärtet wird diese Vermutung durch einen zentralen Befund einer Untersuchung aus dem Jahre 1997, veröffentlicht in der Fachpublikation Media Perspektiven. Dort heißt es: „‘RTL Aktuell‘ ist die politikfernste [Nachrichtensendung].“ (In:Krüger 1997, S.256)
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…694.2.1 Aufmerksamkeitsregeln und Medienlogik als Selektionskriterien…714.2.2 Theorien der Nachrichtenselektion4.3 Nachrichtenwert und Nachrichtenfaktoren …75 …764.3.1 Entwicklung der Nachrichtenwerttheorie 4.3.2 Operationalisierung von geeigneten Nachrichtenfaktoren…80
4.4 Kontext der Nachrichtenwiedergabe bei ‚RTL Aktuell‘ …87 …874.4.1 Darstellungsformen und Gestaltungselemente…904.4.2 Die Rolle der Nachrichtensprecher/Moderatoren…924.4.3 Präsentationsweise und Sendungsablauf
5 Überprüfung der theoretischen Befunde am Beispiel
von ‚RTL Aktuell‘
5.1 Untersuchungsinstrumentarium …96 5.2 Methodisches Vorgehen …98
5.3. Sendeprotokoll ‚RTL Aktuell‘ vom 20.09.2002 …100
6 Auswertung der exemplarischen Sendung
6.1 Formale Sendungsmerkmale …103
6.2 Inhaltliche Merkmale der politischen Berichterstattung …107
7 Politik im Fernsehformat: Zusammenfassung und Ausblick
7.1 Zusammenfassung der Befunde dieser Arbeit …127
7.2 Auswirkungen der fernsehspezifischen Berichterstattung …130
7.2.1 Boulevardisierung der Berichterstattung…130
7.2.2 Von der Politikdarstellung zur Politikherstellung…136
7.2.3 Wie entwickelt sich die politischen Berichterstattung?…141
8 Quellenverzeichnis
8.1 Literatur …145
8.2 Artikel und Internet-Veröffentlichungen …152
8.3 Statistiken und Untersuchungsberichte …155 8.4 TV-Materialien …156
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„Ich habe den Eindruck, daß das politische Interesse an ausführlicher Darstellung politisch relevanter Sachverhalte zurückgetreten ist und der Unterhaltungszweck der Darstellung politischer Sachverhalte immer mehr in den Vordergrund tritt.“1
Anläßlich einer Tagung der Gesellschaft für Publizistik-und
Kommunikationswissenschaft im Februar 1997 beklagte der ehemalige CDU-Ministerpräsident Biedenkopf die Flüchtigkeit, mit der politische Themen in den Medien oft abgehandelt werden. Defizite in der journalistischen Aufbereitung sind seiner Meinung nach die Ursache dafür. Inwieweit Biedenkopf in seiner subjektiven Wahrnehmung richtig liegt, läßt sich nur schwer definitiv klären. Unbestritten gibt es aber einige Indizien und Fallbeispiele in der politischen Berichterstattung, an denen ein„Unterhaltungszweck der Darstellung“,um im Sprachjargon zu bleiben, aufgezeigt werden kann. Diesen Schritt will diese Arbeit leisten und hat sich zu diesem Zweck am Beispiel des Mediums Fernsehen die Hauptnachrichtensendung ‚RTL Aktuell‘ als exemplarischen
Untersuchungsgegenstand gewählt. In diesem Kontext wird hier davon ausgegangen, daß man terminologisch so etwas wie den Inhalt von der Erscheinungsform von Politik unterscheiden kann, auch wenn in der Praxis beides, wie im Weiteren aufgezeigt werden wird, nicht immer klar voneinander abzugrenzen ist.
Politischer Erfolg ist an die Akkumulation von Wahrnehmungen gebunden. Die Wahrnehmung von Politik in unserer Gesellschaft erfolgt hauptsächlich durch die Massenmedien. Man könnte auch sagen, moderne Politik ist primär medienvermittelte Politik. Denn die Möglichkeiten zur Eigenerfahrung von Politik durch direkte Anschauung, sei es durch den Besuch einer Parteiveranstaltung oder Wahrnehmung einer Bürgersprechstunde, sind verhältnismäßig gering. Allenfalls läßt sich dies auf kommunaler oder regionaler Ebene bewerkstelligen, auf nationaler Ebene kaum mehr. Hier übernehmen die
1In: Chill/Meyn 1998, S. 50
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Massenmedien eine wichtige Vermittlerfunktion. Luhmann hat hierzu allgemein festgestellt:„Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien.“2
Auch wenn man die These Luhmanns nicht in ihrer Gesamtheit teilen muß, so ist doch die starke Stellung der Medien im allgemeinen und bezüglich der politischen Darstellung im speziellen unstrittig.
„Das politische Geschehen wird von der Bevölkerung […] wesentlich durch den Filter des Rundfunks wahrgenommen.“3Das Fernsehen trägt in erheblichem Maße zur Herausbildung von Einstellungen und Werten bei und übernimmt somit eine herausragende Funktion im politischen Kommunikationsprozeß.„Gerade für die politische Information kommt dem Fernsehen eine dominante Rolle zu.“4Dabei hat das Fernsehen sich in seiner Struktur damit auch in seinen Programminhalten im Laufe der Jahre stetig verändert und weiterentwickelt. Bis in die achtziger Jahre hinein gab es praktisch nur öffentlich-rechtliche Fernsehanstalten (was auch durch den Frequenzmangel bedingt war) mit einem mehr oder weniger konkret definierten Informationsauftrag. In den Nachrichtensendungen wurde ausführlich über das politische Geschehen berichtet, und zwar relativ unabhängig davon, ob sich das Thema oder Ereignis besonders zur visuellen Darstellung im Fernsehen eignete. Dazu bestand auch wenig Notwendigkeit; die öffentlichen Fernsehanstalten verfügten über ein Monopolwer fernsehen wollte, mußte zusehen. Auch über Quantität und Qualität der Darstellung wurde vergleichsweise wenig diskutiert. ARD und ZDF verschaffte diese Stellung eine, auf die heutige Zeit bezogen, vergleichsweise große institutionelle Macht.
Das hat sich in den zurückliegenden Jahren grundlegend verändert. Basierend auf dem Rundfunkstaatsvertrag von 1987 wurden die Weichen für das duale Rundfunksystem gestellt, welches seitdem durch das Nebeneinander von öffentlich-rechtlichem, aus Gebühren finanziertem, und privatem,
werbefinanziertem Rundfunk gekennzeichnet ist.5Die quantitative Vielfalt der Sender wurde durch diese Entwicklung verstärkt und schwächte insofern die
2Mit dieser für ihn zentralen Aussage beginnt Luhmann sein Buch ‚Die Realität der
Massenmedien‘. In: Luhmann 1996, S. 9
3In: Pöttker 1991, S. 98
4In: Schmitz 1995, S. 176
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Dominanz von ARD und ZDF. Die einstigen Monopolisten finden sich heute auf einem heiß umkämpften Fernsehmarkt wieder. Genauer gesagt auf zwei Märkten: dem Vertriebsmarkt und dem Werbemarkt.6Auf dem Vertriebsmarkt konkurrieren die Sender um die Aufmerksamkeit der Rezipienten - sprich Einschaltquoten. Auf dem Werbemarkt bieten die Anstalten eben diese Aufmerksamkeit ihrer Zuseher für Werbeeinschaltungen an und werden dafür mit Werbeeinnahmen bezahlt. Auch die öffentlich-rechtlichen Sender buhlen so um die Gunst des Publikums, denn in Zeiten harter Konkurrenz und sinkender Erträge reichen die Rundfunkgebühren als alleinige Einnahmequelle nicht mehr aus. Und immer stetiger nimmt der Druck auf die Medienunternehmen, was Fernsehanstalten faktisch sind, zu, sich noch stärker oder alleinig an den Präferenzen ihrer Konsumenten, oftmals pauschal auch als ‚Massengeschmack‘ tituliert, zu orientieren.
Einen Hinweis darauf, wie diese Präferenzen aussehen, geben die Daten der kontinuierlichen Fernsehforschung. Sie vermeldete im Laufe der Jahre eine Verschiebung in den Marktanteilen, das heißt, in den durchschnittlichen Einschaltquoten, zugunsten privater Anbieter.7Die starke Erlebnis- und Unterhaltungsorientierung, durch die das privat-kommerzielle Fernsehen Zuschauer anlockt, spiegelt sich folgerichtig im Programm wider, und die entsprechenden Auswirkungen gehen auch am politischen Informationsangebot nicht vorbei. Denn auch Informationssendungen müssen sich sogenannten Quotenvorgaben stellen. Für die Sendungsmacher heißt dies, ihre Inhalte möglichst publikumsattraktiv zu gestalten. Reichweite, Unabhängigkeit und Geschwindigkeit in der massenmedialen Politikdarstellung haben sich mit dem Eintritt der Privaten erhöht. Verbunden mit der fortschreitenden Entwicklung und Ausdifferenzierung des elektronischen Mediums Fernsehen führt dies zu einer Tendenz der Live-Berichte und Echtzeit-Angebote und somit zu einer stark ereignis- und sensationsorientieren Berichterstattungspraxis. Meyer verdeutlicht dies mit einem auf den ersten Blick abstrakten erscheinenden Vergleich:
5Diese Trennung ist inzwischen nicht mehr so strikt wie früher. Auch die meisten öffentlich-
rechtlichen Sender finanzieren sich zumindest teilweise über Werbeeinnahmen.
6Siehe Altmeppen 1996, S. 268 f.
7Hintergründe zur Erhebung der Sender-Marktanteile in Deutschland sind zu finden auf der
Homepage der Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung (AGF) [http://www.agf.de], einem
Zusammenschluß von ARD, ProSiebenSat.1 Media, RTL und ZDF zur gemeinsamen
Fernsehzuschauerforschung in Deutschland.
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„[…] eines jedenfalls haben selbst [die] scheinbar so weit auseinander liegende Pole ‚Big Brother‘ und ‚Tagesschau‘ ganz sicher gemeinsam: Was als authentisch erscheint, ist meist durch und durch inszeniert.“8
Am Ausgangspunkt der Überlegungen steht die Annahme, daß sich ein privatkommerzieller Fernsehsender durch die Art und Weise seiner
Politikberichterstattung ein spezifisches Politikbild zeichnet.9Ursächlich dafür im harten Wettbewerb der Nachrichtensendungen untereinander ist vor allem das Bedienen der eigenen Zuschauerklientel sowie die vordergründig kommerzielle Programmausrichtung.10Drei Fixpunkte bilden so den Orientierungsrahmen für die Wahl des Untersuchungsgegenstands:
1. Nachrichtensendung: Die Entscheidung für eine Nachrichtensendung als Untersuchungsgegenstand und damit dem Vorzug gegenüber vergleichbaren Angeboten politischer Informationsvermittlung wurde getroffen, weil, wenn überhaupt, nur hier eine möglichst umfassende Wiedergabe der (tatsächlichen) politischen Geschehnisse, also der politischen Nachrichtenlage, erwartet werden darf. Diese Voraussetzung erfüllt in der Regel nur eine tägliche Nachrichtensendung. Bei den nicht täglich ausgestrahlte Sendungen mit politischen Inhalten handelt es sich in der Regel um keine Nachrichtensendungen, sondern um (Polit-)Magazine oder politische Talks. Diese Sendeformate haben von ihrem inneren Grundaufbau ein völlig anderes Wesen. Sie liefern in der Regel keine tagesaktuelle Berichterstattung. Das Einbringen solcher oder ähnlicher journalistischer Darstellungsformen in eine Nachrichtenanalyse würde jedoch das Gesamtergebnis verfälschen. Folgerichtig konzentriert sich diese Arbeit auf die wichtigste Nachrichtensendung eines Anbieters. In der quotenstärksten Sendezeit im Abendprogramm (Primetime) wird diese als Hauptnachrichtensendung oder auch Abendnachrichten bezeichnet.
8In: Meyer 2001, S. 11
9Siehe Jarren 1998, S. 89
10Vgl. mit den Ausführen in ‚2.3 Nutzungsverhalten und Sichtweisen zu Informationsangeboten‘.
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2. Privater Programmanbieter: Die Untersuchung soll anhand einer
Nachrichtensendung eines Privatsenders erfolgen, da überprüft werden soll, inwieweit im privat-kommerziellen Fernsehen exogene und endogene Faktoren Einfluß auf die politische Berichterstattung nehmen.
RTL11ist quotentechnisch der erfolgreichste Programmanbieter der letzten Jahre in Deutschland. Der Luxemburger Senders ist seit 1993 Marktführer was den Zuschaueranteil betrifft.12Das heißt, es wurde als Auswahlkriterium der Sender gewählt, der am häufigsten eingeschaltet wird. Es ist allerdings nicht davon auszugehen, daß die Wertschätzung auf das gesamte RTL-Programmspektrum zutrifft, zumal politische Inhalte nur ein Angebot unter vielen darstellen und erfahrungsgemäß nicht zu den Beliebtesten gehören. Dennoch oder auch gerade deshalb muß berücksichtigt werden, daß die hohe Grundakzeptanz eines Senders auch die kritische Distanz zu seinen Informationssendungen nachhaltig beeinflussen könnte. Den konkreten praktischen Bezug findet diese Arbeit also in der Fokussierung auf die Hauptnachrichtensendung ‚RTL Aktuell‘. Für ‚RTL Aktuell‘ spricht zudem, daß es die meist gesehene Nachrichtensendung im privaten Fernsehen ist.13
In dieser Arbeit steht das Fernsehen als audiovisuelles Medium im Mittelpunkt. Es soll untersucht werden, inwieweit es durch seine spezifische Darstellungslogik auf die politische Berichterstattung innerhalb von ‚RTL Aktuell‘ Einfluß nimmt. Dabei sind Einwirkungen aus zwei Richtungen zu beachten. Zum einen die Einflüsse von außen, zum anderen die Einflüsse von innen, die internen Bestimmungsfaktoren der Nachrichtenproduktion.
11RTL ist ein Kürzel und steht als solches für ‚Radio Television Luxemburg‘.
12Die Marktführerschaft drückt den höchsten Sehzeitanteil des eigenen Programms am gesamten
Fernsehkonsum zum Meßzeitpunkt aus. Bei RTL waren dies im Jahr 2001 durchschnittlich 26
Min./Tag. In den zwischenzeitlich erhobenen Daten zum Monats- oder Halbjahresende liegen
mitunter auch andere Sender an der Spitze der Erhebung. Mit Ausnahme von 1998 lag RTL im
Zeitraum von 1994 bis 2001 am Jahresende immer vor einem der beiden öffentlich-rechtlichen
Anstalten. Vgl. „Entwicklung der TV-Marktanteile 1990 - 2001, Zuschauer gesamt“, in: IP-
Deutschland [http://www.ip-deutschland.de/pages/422.html]
13Hinter der 'Tagesschau' und der 'heue'-Sendung ist ‚RTL Aktuell‘ die am dritthäufigsten
eingeschaltete Hauptnachrichtensendung insgesamt. Darauf wird nochmals in Abschnitt ‚3.3
Fernsehnachrichten im Wettbewerb‘ gesondert hingewiesen.
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Bei den äußeren Einflüssen handelt es sich um die Unterhaltungsfunktion des Fernsehens, die zunehmende (Eigen-)Inszenierung der Politik sowie die Konkurrenzsituation der Nachrichtensendungen untereinander. Die
Bestimmungsfaktoren der Nachrichtenproduktion können dem synchron als innere Einflüsse angesehen werden. Dazu zählt vor allem die Nachrichtendarstellung anhand von fernsehspezifischen Arbeitskriterien, den sogenannten Nachrichtenfaktoren. Der Hintergrund dieser Betrachtung besteht darin, daß fernsehspezifische Aspekte die Komplexität politischer Zusammenhänge prägen, indem sie die Auswahl der Themen und ihre Reihenfolge festlegen.14In der konkreten exemplarischen Überprüfung am Beispiel einer Nachrichtensendung von ‚RTL Aktuell‘ stehen diese fernsehspezifischen Aspekte in Erscheinung der Nachrichtenfaktoren im Vordergrund.
Würde man zu dieser Arbeit eine Hypothese verfassen, würde sie sinngemäß lauten: Die politische Berichterstattung im privaten Fernsehen am Beispiel der Hauptnachrichtensendung ‚RTL Aktuell‘ ist geprägt durch äußere und innere Einflüsse und daher nicht frei in ihrer Darstellung. Insbesondere die Anwendung von Nachrichtenfaktoren führen zu einer Marginalisierung und Boulevardisierung der Berichterstattung. Erhärtet wird diese Vermutung durch einen zentralen Befund einer Untersuchung aus dem Jahre 1997, veröffentlicht in der Fachpublikation Media Perspektiven. Dort heißt es:„‘RTL Aktuell‘ ist die politikfernste [Nachrichtensendung].“15
Aus den bisherigen Ausführungen hervorgehend orientiert sich die gewünschte Erkenntnis dieser Arbeit an der Leitfrage, wie die Nachrichtensendung eines privaten Fernsehsenders, verdeutlicht in der exemplarischen Betrachtung an ‚RTL Aktuell‘, die von ihr aufgegriffenen politischen Ereignisse bzw. Themen darstellt. Der Verständlichkeit und besseren Operationalisierung wegen ist die Leitfrage nachfolgend aufgeschlüsselt in zwei Teilfragen und untergliederten Aspekten. Sie sollen primär einen Orientierungsrahmen vorgeben, der Auskunft darüber gibt, auf welche Fragen dieser Arbeit in ihren Kapiteln und Abschnitten eingehen bzw. welche erwünschten Erkenntnisse sie liefern soll. Die Vorgehensweise besteht also nicht darin, die Fragen im Einzelnen der Reihe nach abzuarbeiten.
14Siehe Schicha 1999
15In: Krüger 1997, S. 256
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Inwelchem übergeordneten Kontext bewegt sich die Nachrichtenproduktion eines privaten Programmanbieters?
•Welche Einflüsse von außen wirken auf die Berichterstattung?
•Welche inneren Faktoren bestimmen die Nachrichtenproduktion?
•Muß politische Berichterstattung ähnlich attraktiv sein wie die sonstige Unterhaltungsorientierung im Programm eines Leitmediums - mit entsprechenden Konsequenzen für Präsentation, Aufbereitung und Dramaturgie, also der Darstellung des Ereignisses bzw. des Themas? Wiewirken sich die äußeren Einflüsse und inneren Faktoren am konkreten Beispiel von ‚RTL Aktuell‘ aus?
•In welcher Wertigkeit (Plazierung innerhalb der Sendung, Beitragslänge, etc.) werden die einzelnen Politikthemen behandelt?
•Inwieweit beeinflussen Nachrichtenfaktoren Inhalte und erzeugen so ein inszeniertes Nachrichtenprodukt, d.h., ein vorgefertigtes Bild von Politik?
‚RTL Aktuell‘ wird täglich im Zeitfenster um 18.45 Uhr ausgestrahlt. Das Datenmaterial zur Beantwortung insbesondere der letzten Teilfrage liefert die Auswertung der exemplarischen Sendung vom 20.09.2002, die nach dem Zufallsprinzip ausgewählt wurde. Als Bewertungsansatz für die gesammelte Datenlage dient eine Untersuchung auf inhaltsanalytischer Basis, orientiert an denen im weiteren Verlauf zu formulierenden Kriterien. Die Konzentration liegt dabei, dem Charakter des Mediums Fernsehen entsprechend, vor allem auf den visuellen und textlichen Bestandteilen der Sendungen.
Wichtig: Trotz eines exemplarisch-analytischen Teils stellt diese Ausarbeitung
keine empirische Nachrichtenanalyse im strengeren Sinne dar. Vielmehr versucht sie in einem umfassenden Überblick zu belegen, welchen weitreichenden Hintergründen, Zusammenhängen und Einflüssen die politischen
Fernsehberichterstattung unterliegt. So gesehen bilden die Kapitel zwei bis vier nicht alleinig eine theoretischen Vorarbeit für die exemplarische Betrachtung ab Kapitel fünf, sondern tragen durch die gewonnenen Ergebnisse bereits in maßgeblichem Umfang an den sich ergebenden Schlußfolgerungen bei. Insgesamt betrachtet bezieht diese Arbeit ihre Erkenntnisse also aus den Ausführungen diverser Wissenschaftler und Autoren, aus der exemplarischen Untersuchung sowie den aus beiden Teilen sich ergebenden Schlüssen.
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Im dem Einleitungsteil sich anschließenden zweiten Kapitel dieser Ausarbeitung wird eingangs der gesellschaftliche Bedeutungshintergrund des Mediums Fernsehen durch die ihm zentral zugeschriebenen Begriffe ‚Leitmedium‘ (2.1) und ‚Politikvermittlung‘ (2.2) charakterisiert und präzisiert. Unter Verwendung von öffentlich zugänglichem Datenmaterial aus der kontinuierlichen Fernsehforschung sowie publizierten Untersuchungsberichten soll das Fernsehen in Bezug auf seinen Stellenwert als Medium der politischen Informationsvermittlung eingeordnet werden. Das Nutzungsverhalten und die Sichtweisen der großen Rezipientengruppen (2.3) bilden die Basis hierfür. Die Fokussierung auf die grundsätzliche Bedeutung von Nachrichtensendungen für eine breite Öffentlichkeit (2.4) bildet die Überleitung zu dem Hauptgegenstand der Untersuchung.
Mit dem nachfolgenden Kapitel beginnt die Beschäftigung mit den Determinanten der Programmleistung. Es stellt sich zunächst die Frage, welchen generellen Einflüssen die Politikdarstellung in den Fernsehnachrichten unterliegt. In der Vergangenheit haben sich verschiedene Autoren mit dieser Frage beschäftigt. Ihnen ging es primär nicht nur darum, die Faktoren zu benennen, sondern diese auch zu strukturieren. Dabei wurden leicht differierende Begrifflichkeiten verwendet, die letztendlich jedoch das Gleiche meinen.
Östgaard schlägt eine Unterteilung in endogene („factorsinherent in the news process“)17und exogene Faktoren (politische und ökonomische Einflüsse) vor. Dem ähnlich differenzieren Kleppinger bzw. Flegel/Chaffee in intrinsische und extrinsische Faktoren.18Auch wenn auf der Mikroebene unterschiedliche Benennungen vorliegen, so sind sich die Autoren in der prinzipiellen Betrachtung einig. Daher wird dieser Unterteilung hier gefolgt. Im Rahmen einer Ausdifferenzierung wird eine getrennte Behandlung vorgenommen.
16In Klammern sind die jeweiligen Abschnitte der inhaltlichen Erörterungen genannt.
17In: Schulz 1997, S. 57
18Intrinsisch bedeutet, die Nachrichtenfaktoren sind im Prozeß der Nachrichtenproduktion selbst
angelegt. Extrinsisch sind dagegen Einflüsse, die von außen kommen und daher für die
Nachrichtenproduktion im Vergleich zu den intrinsischen Faktoren weniger wesentlich sind. Siehe
Schulz 1997, S. 57 f.
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So sind die im dritten Kapitel formulierten Einflüsse synchron den exogenen bzw.
extrinsischen Faktoren. Beispielhaft für einen exogenen Faktor ist die keineswegs passive Rolle der Politik in der Berichterstattung. Mediale Eigeninszenierungen sowie das Anpassen an die spezifischen Fernsehgesetzmäßigkeiten stehen dabei im Vordergrund. Aber auch der Wandel des Fernsehen hin zu einem Unterhaltungsmedium, in dem häufiger nach Zerstreuung und Entspannung als nach politischen Informationen gesucht wird, ist ein wesentlicher exogener Faktor. Nicht zuletzt nimmt auch die stetige Konkurrenzsituation verschiedener Nachrichtensendungen untereinander und die daraus resultierende
Wettbewerbssituation Einfluß auf die Anbieter. Die drei wesentlichen Einflüsse, die von außerhalb auf das Medium einwirken, sind also dieUnterhaltungsfunktion (3.1)
diemedialen Anpassungs- und (Eigen-)Inszenierungsprozesse der Politik im Verhältnis zu den Medien (3.2)
dieWettbewerbssituation mit konkurrierenden Nachrichtensendungen (3.3)
Eine Ausführung dieser Aspekte ist deshalb von Relevanz, da die wachsenden Steuerungsversuche durch die Politik für das Fernsehen bzw. die zunehmende Beeinflussung der politischen Berichterstattung durch die Unterhaltungslogik des Mediums nicht ohne Konsequenzen für die Darstellung von Politik im Fernsehen bleiben (können).
In diesem Kontext wird das Thema bzw. das Ereignis, über das berichtet wird, nicht als äußerer Einflußfaktor in dem gleichen Zusammenhang betrachtet, wie dies für die anderen thematisierten Einflüsse gilt. Unbestritten wirkt ein Ereignis bzw. ein Thema von außen auf das Nachrichtenangebot ein, indem es sich beispielsweise durch seine Wichtigkeit aufdrängt. Allerdings ist selbst dann die Art der Darstellung des Ereignisses bzw. des Themas als Nachricht (darum geht es in dieser Arbeit) vielmehr als das durch die äußeren und inneren Einflüsse der Nachrichtenproduktion entstandene Resultat der Berichterstattung zu sehen. Darüber hinaus muß bedacht werden, daß alles, was Nachrichtensendungen in jeglicher Weise vermelden, als Information, also als Nachricht oder Meldung zu betrachten ist. Verbreitet eine Nachrichtensendung keinerlei Informationen, so ist sie keine Nachrichtensendung mehr. Folglich gibt es keine Nachrichtensendung ohne Nachricht - die Nachricht ist somit eine Konstante. Dies gilt nicht in gleichem Maße für die Einflußfaktoren, gleichgültig ob es sich um äußere oder
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innere Einflußfaktoren handelt. Sie sind abhängig von gesellschaftlichen und temporären Veränderungen und damit variabel.
Die unmittelbaren Bestimmungsfaktoren, die in stärkerem Maße für das für das Produkt ‚Nachrichtensendung‘ verantwortlich sind, werden im vierten Kapitel thematisiert. Es handelt sich hierbei den Definitionen folgend um die endogenen bzw. intrinsischen Faktoren, die innerhalb des Mediums Fernsehen angesiedelt sind. Im Einzelnen sind dies
die Auswahl- und Darstellungsmechanismen anhand der fernsehspezifischen Arbeitskriterien, den Nachrichtenfaktoren (4.2 sowie 4.3)die telegene Präsentation mit ihren Darstellungsformen und Gestaltungselementen (4.4)
Das Verhältnis von äußeren und inneren Faktoren kann am treffendsten folgendermaßen charakterisiert werden: Die inneren Bestimmungsfaktoren verarbeiten die von außen kommenden Einflüsse anhand der Nachrichtenfaktoren, die eine Art fernsehspezifisches Muster vorgeben.In diesem Kontext setzt sich dieses Kapitel daher auch zu Beginn mit dem grundlegenden Verhältnis von Ereignis und Nachricht (4.1) auseinander.
Das fünfte Kapitel bereitet die Analyse der konkreten ‚RTL Aktuell‘-Ausgabe vom 20.09.2002 vor, indem es die spezifischen Aspekte zur Anwendung eines geeigneten Untersuchungsinstrumentarium erläutert (5.1), die genauen formalen und inhaltlichen Merkmale der Betrachtung festlegt (5.2) sowie das Sendeprotokoll der exemplarisch zu betrachtenden Sendung (5.3) vorlegt.
Das sechste Kapitel wertet die Daten des Sendeprotokolls auf ihre formalen Merkmale hin aus (6.1). Die Analyse der inhaltlichen Merkmale der Politikberichterstattung erfolgt anhand einer tabellarischen Auflistung (6.2). Anschließend werden die gewonnenen Befunde strukturiert dargestellt und unter Überschriften thematisch zusammengefaßt.
Zu Beginn des abschließenden siebenten Kapitels erfolgt eine Zusammenfassung aller bisherigen Ergebnisse dieser Arbeit (7.1). Die Bewertung dieser Erkenntnisse unter den Gesichtspunkten einer zunehmenden Boulevardisierung
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sowie das Zeihen weitgehenderer Schlüsse und Auswirkungen für die Darstellung von Politik im Fernsehen über die vorliegenden Erkenntnisse hinaus ist Bestandteil des letzten Abschnittes (7.2) dieser Arbeit.
Mit Blick auf die Fragestellung ist es notwendig zu definieren, was genau in die Betrachtung eingeht und was unberücksichtigt bleiben muß. Denn in allen Nachrichtensendungen, insbesondere in ‚RTL Aktuell‘, werden nicht ausschließlich politische Themen zu Meldungen verarbeitet. Ganz im Gegenteil: In jüngster Zeit nehmen Katastrophenmeldungen nicht nur innerhalb des Nachrichtenangebots zu, sondern werden auch verstärkt zum Thema von Extra-und Sondersendungen im Anschluß an die eigentlichen Nachrichten.19Woran dies liegt, ob schlicht eine Zunahme an Unglücken und Naturkatastrophen stattfindet und/oder ein genereller Bedeutungsverlust der Politik eingetreten ist, läßt sich im Rahmen dieser Arbeit nicht überprüfen. Eindeutig ist jedoch, daß dies zu Lasten von politischen Themen geschieht.
Dennoch ist der Versuch einer Beschränkung auf rein politische Themen als Untersuchungsgegenstand nicht so eindeutig möglich, wie man es vermuten könnte. Die Problematik besteht darin, daß schwer zu definieren ist, wo in einer Nachricht politische Bezüge aufhören und andere Themenbereiche anfangen. In dieser Arbeit wird Politik als Überbegriff verwendet. Inhaltlich vereint er:
- die Entscheidungen von politischen Akteuren (Personen / Parteien / Verbände)
- das Geschehen innerhalb bzw. zwischen den politischen Parteien
- das öffentliche (mediale) Auftreten von Personen
Mit der Fokussierung und Einordnung von Nachrichten auf vier traditionelle Politikfelder (Deutsche Innenpolitik, Deutsche Außenpolitik, Transnationale Politik sowie Innenpolitik anderer Staaten) soll zudem der Versuch einer thematischen Eingrenzung vorgenommen werden. Es ist zu erwarten, daß während des Betrachtungszeitraums vor allem die Geschehnisse im Zusammenhang mit der Bundestagswahl die Berichterstattung wesentlich beeinflussen werden.
19Bestes Beispiel sind die über einen langen Zeitraum ausgestrahlten täglichen Sondersendungen
zur Hochwasserkatastrophe in Ostdeutschland.
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Die Einordnung dieser Arbeit in ein konkretes wissenschaftliches Forschungs-oder Teilgebiet innerhalb der Medienwissenschaft ist nicht unmittelbar möglich. Am ehesten kommt dafür die Nachrichtenforschung, eine vergleichsweise noch junge Disziplin, in Frage. Studien zur Nachrichtenproduktion bilden neben den Untersuchungen zu Rezeption und Wirkung von Nachrichten und der Erforschung von Nachrichteninhalten die drei wesentlichen Standbeine der
Nachrichtenforschung. Auch wenn zur Vermittlung von Hintergründen auch Daten aus der kontinuierlichen Fernsehforschung, die vor allem Auskünfte über das Nutzungsverhalten und Einstellungen von Zuschauern geben, herangezogen werden, ist die Frage nach der Wirkung von Nachrichten nicht primärer Gegenstand der hiesigen Betrachtung. Im ihrem Kern befaßt sich diese Arbeit mit den an bestimmten Kriterien orientierten Nachrichteninhalten und läßt dazu auch ebenso Aspekte der Nachrichtenproduktion in die Untersuchung mit einfließen. Dadurch ergibt sich unausweichlich ein Betrachtungswinkel, der oftmals die Motive und Sichtweisen der Nachrichtenmacher, also des Senders oder der Sendung, in besonderem Maße hervorhebt.20
In dieser Ausarbeitung werden die Inhalte politischer Nachrichtenbeiträge nur auf ihre Darstellungsformen und Präsentationsweisen hin untersucht. Eine möglicherweise damit einher gehende oder gesondert auftretende ideologische oder politische Tendenz innerhalb der Berichterstattung ist nicht Bestandteil der Arbeit.
20Dies wird jedoch nicht als Schwäche dieser Arbeit verstanden. Es soll an dieser Stelle lediglich
zur Präzisierung und zur Vermeidung von eventuellen Unklarheiten erwähnt werden.
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Anmerkungen zur Arbeit:
Im Verweis auf vorherige oder nachfolgende Ausführungen wird hier von Kapiteln und Abschnitten gesprochen. ‚Kapitel‘ meint die großen Themenblöcke, ‚Abschnitte‘ bezieht sich auf die Aufgliederung, also die Unterpunkte, innerhalb der Kapitel. Im Rahmen einer inhaltlichen Vertiefung einer Thematik wird zuweilen innerhalb eines Abschnittes auch noch weiter in ‚Unterabschnitte‘ untergliedert.
In diese Arbeit werden Informationen aus insgesamt fünf verschiedenen Medien (Literatur, Zeitschrift, Zeitung, Fernsehen und Internet) eingebracht und verarbeitet. In den Fußnoten wird auf eine vertiefende Textstelle oder Informationsquelle, deren Urspring nicht zitiert wird, mit ‚Vgl.‘ verwiesen. Der Autor wird dabei sowohl im Text als auch in der Fußnote erwähnt. Ist der Autor im Primärtext als Urheber nicht gekennzeichnet, so erfolgt der Verweis auf seinen Namen innerhalb der Fußnote mit ‚Siehe‘. Fehlen im Zusammenhang mit der Quellenangabe eines Zitats die dazugehörigen Seitenzahlen in der Fußnote, so liegt dies daran, daß das entsprechende Zitat aus dem Internet entnommen wurde, in dem der Aufbau nicht der Untergliederung in Seitenzahlen unterliegt.