Politische Schriften - Niccolò Machiavelli - E-Book

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Niccolò Machiavelli

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Beschreibung

Die vorliegende Studienausgabe enthält – neben dem ›Fürst‹ – die zentralen Kapitel der ›Discorsi‹ und der ›Geschichte von Florenz‹. Darüber hinaus wird eine Fülle von politischen Denkschriften, Berichten und Kurzbiographien vorgelegt, ergänzt durch einige wichtige Briefe. Die Einleitung des Herausgebers Herfried Münkler skizziert den politischen und biographischen Hintergrund von Machiavellis Werk. Hinweise zur Entstehungsgeschichte der Schriften sind in gesonderten Anmerkungen verzeichnet. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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Niccolò Machiavelli

Politische Schriften

Herausgegeben von Herfried Münkler

Aus dem Italienischen von Johannes Ziegler und Franz Nikolaus Baur

FISCHER Digital

Revision dieser Übersetzung von Herfried Münkler

Inhalt

VorwortEinleitung1. Die Physiognomie einer EpocheBürgerlicher Reichtum und republikanische VerfassungRenaissance und Humanismus2. Machiavellis Vita und WerkDie politische TätigkeitDie politischen SchriftenAspekte der RezeptionDer Fürst (Il principe)WidmungI. Von den Arten der Alleinherrschaft und den Mitteln, sie zu erwerbenII. Von den erblichen AlleinherrschaftenIII. Von gemischten AlleinherrschaftenIV. Warum das von Alexander eroberte Reich des Darius sich nach Alexanders Tod nicht gegen dessen Nachfolger empörteV. Wie Städte oder Alleinherrschaften zu regieren sind, die vor ihrer Eroberung unter eigenen Gesetzen gelebt habenVI. Von den neuen Alleinherrschaften, die mit eigenen Truppen und durch Tüchtigkeit erobert wurdenVII. Von den neuen Alleinherrschaften, die mit fremden Truppen und durch Glück erobert wurdenVIII. Von denen, die durch Verbrechen die Alleinherrschaft erworben habenIX. Von der Alleinherrschaft eines BürgersX. Wie die Stärke jeder Alleinherrschaft festgestellt werden kannXI. Von den geistlichen HerrschaftenXII. Von den Formen der Heeresorganisation und von SöldnernXIII. Von Hilfstruppen, gemischten und eigenen TruppenXIV. Wie sich ein Herrscher zum Heerwesen verhalten sollXV. Weshalb die Menschen und insbesondere die Herrscher gelobt und getadelt werdenXVI. Von der Freigebigkeit und der SparsamkeitXVII. Von Grausamkeit und Milde und ob es besser ist, mehr geliebt als gefürchtet zu werden oder umgekehrtXVIII. Inwieweit Herrscher ihre Versprechen halten sollenXIX. Von Verachtung und Haß, vor denen man sich hüten mußXX. Ob die Anlage von Festungen und viele andere Vorkehrungen, die oftmals von Fürsten getroffen werden, nützlich oder schädlich sindXXI. Was ein Herrscher tun sollte, um Achtung zu erwerbenXXII. Von den Mitarbeitern der FürstenXXIII. Wie Schmeichler zu meiden sindXXIV. Warum die Fürsten Italiens ihre Herrschaft verloren habenXXV. Von Fortunas Einfluß auf die Dinge dieser Welt und wie man ihr widerstehen kannXXVI. Aufruf, Italien in die Freiheit zu führen und es vor den Barbaren zu rettenDiscorsiErstes BuchVorwortZweites Buch1. Was mehr Ursache für die Größe des Reiches war, das sich die Römer eroberten: Tapferkeit oder Glück6. Wie die Römer Krieg führten10. Geld ist nicht der Nerv des Krieges, wie man gewöhnlich glaubt12. Was besser ist, wenn man fürchtet angegriffen zu werden: selber loszuschlagen oder den Krieg abzuwarten13. Aus niederem Stande gelangt man eher durch Betrug als durch Gewalt in eine hohe Position14. Oft täuscht man sich, wenn man glaubt, durch Bescheidenheit den Hochmut bezwingen zu können28. Wie gefährlich es für eine Republik oder einen Fürsten ist, Unrecht, das einem Staate oder einem einzelnen Manne zugefügt wurde, straflos zu lassen29. Das Schicksal macht die Menschen blind, wenn es nicht will, daß sie sich seinen Plänen widersetzen30. Wahrhaft mächtige Republiken und Fürsten erkaufen Bündnisse nicht durch Gold, sondern durch Tapferkeit und WaffenruhmDrittes Buch1. Damit eine Religionsgemeinschaft oder eine Republik lange bestehen kann, ist es nötig, sie häufig zu ihren Anfängen zurückzuführen2. Es ist ein Zeichen von Weisheit, wenn man sich zur richtigen Zeit töricht stellt3. Um die neu errungene Freiheit zu erhalten, ist es nötig, die Söhne des Brutus zu töten6. Von den Verschwörungen19. Ob zur Führung der Menge Güte notwendiger ist als Strafe21. Woher es kommt, daß Hannibal mit einer ganz anderen Vorgehensweise als Scipio in Italien dieselben Erfolge hatte wie dieser in Spanien22. Wie die Härte des Manlius Torquatus und die Menschlichkeit des Valerius Corvinus beiden denselben Ruhm erwarben23. Aus welchem Grund Camillus aus Rom vertrieben wurde24. Die Verlängerung des Heeresbefehls machte Rom unfrei30. Ein Bürger, der in einer Republik durch seine Autorität etwas Gutes zustande bringen will, muß vor allem die Eifersucht überwinden49. Um eine Republik frei zu erhalten, sind jeden Tag neue Vorkehrungen nötig, und wegen welcher Verdienste Quintus Fabius den Beinamen Maximus erhieltGeschichte von FlorenzVorredeErstes Buch[Politische Folgen der Glaubenskämpfe – Die Macht der Päpste in Italien – Der Aufstieg der Condottieri][Die Macht der Päpste in Italien][Der Aufstieg der Condottieri]Zweites Buch[Die Kämpfe der Guelfen und Ghibellinen in Florenz – Erneute Faktionskämpfe – Die Verschwörung der Bardi und Frescobaldi – Die Tyrannis des Herzogs von Athen][Erneute Faktionskämpfe][Die Verschwörung der Bardi und Frescobaldi][Die Tyrannis des Herzogs von Athen]Drittes Buch[Ursachen und Folgen der Faktionskämpfe – Rede eines angesehenen Florentiners über die Faktionskämpfe – Der Aufstand der Ciompi – Die Niederlage der Arti minori][Rede eines angesehenen Florentiners über die Faktionskämpfe][Der Aufstand der Ciompi][Die Niederlage der Arti minori]Viertes Buch[Freiheit und Gesetzesherrschaft – Die Errichtung der oligarchischen Herrschaft in Florenz – Die Einführung des Katasters][Die Errichtung der oligarchischen Herrschaft in Florenz][Die Einführung des Katasters]Fünftes Buch[Das Auf und Ab der Staaten – Die Florentiner Exilanten als Kriegstreiber][Die Florentiner Exilanten als Kriegstreiber]Sechstes Buch[Der Verfall des Kriegswesens unter den Condottieri – Francesco Sforzas Aufstieg zum Herzog von Mailand][Francesco Sforzas Aufstieg zum Herzog von Mailand]Siebentes Buch[Schädliche und nützliche Faktionsbildungen – Florenz nach dem Sturz der Oligarchie – Cosimo de'Medici][Florenz nach dem Sturz der Oligarchie][Cosimo de’Medici]Achtes Buch[Lorenzo de’Medici]Denkschriften, Berichte, KurzbiographienWie man die aufständische Bevölkerung des Chianatals behandeln solleDenkschrift über die Reform des Staates von Florenz[Deutschland]Bericht über DeutschlandPolitischer Zustand Deutschlands[Frankreich]Politischer Zustand Frankreichs[Cesare Borgia]Beschreibung der Art, wie der Herzog von Valentinois Vitellozzo Vitelli, Oliverotto da Fermo, den Signor Paolo Orsini und den Herzog von Gravina Orsini gefangennahm und töteteBriefe von der Gesandtschaft zu Cesare Borgia42. Brief43. Brief44. Brief45. BriefBriefe von der Gesandtschaft an die Römische Kurie3. Brief4. Brief5. Brief6. Brief7. Brief8. Brief11. Brief13. Brief14. Brief17. Brief19. Brief22. Brief26. Brief29. Brief[Papst Julius II.]Zweite Sendung an den Römischen Hof12. Brief32. Brief34. Brief37. Brief40. Brief[Charaktere florentinischer Bürger]Piero di Gino CapponiAntonio GiacominiFrancesco ValoriDas Leben des Castruccio CastracaniBriefeAn Ricciardo Bechi (8.3.1948)An eine Dame (ohne Datum, September 1512)An Francesco Vettori (10.8.1513)An Francesco Vettori (10.12.1513)An Francesco Vettori (10.6.1514)An Francesco Vettori zu Rom (ohne Datum)An Francesco Vettori zu Rom (20.12.1514)An Francesco Guicciardini (15.5.1525)An Francesco Guicciardini (2.6.1526)Undatierter Briefentwurf von Machiavellis HandAnmerkungen zur EntstehungsgeschichteDer Fürst (Il principe)DiscorsiGeschichte von FlorenzDenkschriften, Berichte, KurzbiographienWie man die aufständische Bevölkerung des Chianatals behandeln solleDenkschrift über die Reform des Staates von FlorenzBericht über DeutschlandPolitischer Zustand DeutschlandsPolitischer Zustand FrankreichsBeschreibung der Art …Zweite Sendung an den Römischen HofDas Leben des Castruccio CastracaniVerzeichnis der Abbildungen

Vorwort

Immer noch ist das Machiavelli-Bild bestimmt durch den Principe, jene kleine Schrift, die Machiavelli im Herbst 1513 in einem Zug niedergeschrieben und der er später, 1515 oder 1516, noch ein »Postskriptum« hinzugefügt hat: das 26. Kapitel mit der Überschrift »Aufruf, Italien in die Freiheit zu führen und es vor den Barbaren zu retten«. Machiavelli selbst hätte sicherlich die Discorsi, seine kritische Erörterung der Römischen Geschichte des Titus Livius, die er für die Niederschrift des Principe unterbrochen hatte, oder die Istorie Fiorentine, seine Darstellung der Florentiner Geschichte vom frühen Mittelalter bis zum Tode des Lorenzo de’Medici, an der er fünf Jahre lang gearbeitet hatte, als sein eigentliches Werk bezeichnet. Nun haben die Interpreten einer politischen Theorie selbstverständlich das Recht, bezüglich der Wertigkeit ihrer Elemente andere Gewichtungen vorzunehmen als ihr Verfasser. Gerade im Falle Machiavellis ist die Herausstellung des Principe nicht ohne guten Grund erfolgt, denn die meisten jener Aphorismen und Sentenzen, die Machiavelli als politischen Autor berühmt und berüchtigt gemacht haben, finden sich nun einmal dort. Etwas anderes als solch eine innere Gewichtung eines Werkes ist es jedoch, wenn ein Theoretiker nur noch in der verkürzten Form seines, wie die Interpreten versichern, Hauptwerkes zur Kenntnis genommen wird und seine anderen Schriften weithin unbeachtet bleiben.

Genau dies nun ist Machiavelli widerfahren: Der Principe wurde mit Machiavelli, Machiavelli mit dem Principe identifiziert. Fast durchweg ist Machiavelli in Deutschland als Machttheoretiker und Prophet politischer Erfolgslogik rezipiert worden, selten nur als Republikaner und Verteidiger der Freiheit. Das ist – unter anderem – sicherlich auch die Folge einer auf den Principe verkürzten Rezeption Machiavellis; schon die Lektüre des Principe aus der Perspektive der Discorsi nämlich zeigt, wie sehr Machiavelli auch hier seinen politischen Idealen verpflichtet blieb. Nun hat es zunächst vor allem mit der deutschen Geschichte zu tun, wenn weniger Machiavellis Hinweise zur Gründung und Erhaltung einer Republik, sondern vielmehr seine Überlegungen zur staatlichen Einigung durch das entschlossene Handeln eines zielstrebigen Politikers auf Interesse stießen: von Fichte und Hegel bis hin zu Max Weber, Carl Schmitt und Hans Freyer. Bemerkenswert ist freilich, daß sich diese spezifisch deutsche Sicht Machiavellis (Parallelen zur deutschen weist die italienische Machiavelli-Interpretation auf, die in beiden Fällen »verspätete« nationalstaatliche Einigung dürfte einer der Gründe dafür sein), von kleinen Kreisen der Machiavelli-Forscher abgesehen, auch in den letzten Jahrzehnten kaum geändert hat. Immer noch gilt Machiavelli als Exponent kalter Machtrationalität, ist er der Inbegriff für jene politische Überzeugung, derzufolge jedes Mittel recht ist, wenn es denn zum Erfolg führt.

Daß sich diese Sicht Machiavellis hat halten können, ist offenbar auch eine Folge der verfügbaren Editionen des Machiavellischen Werks: Drei derzeit im Buchhandel verfügbaren Ausgaben des Principe steht eine Edition der Discorsi gegenüber, ergänzt durch eine erst kürzlich wieder aufgelegte Übersetzung der Istorie Fiorentine und einen kleinen Band mit Briefen Machiavellis. Die beiden großen deutschsprachigen Ausgaben des Machiavellischen Werkes, die von Johannes Ziegler besorgten Sämmtliche Werke (acht Bände, 1832–1841) und die darauf fußende, von Hanns Floerke verantwortete fünfbändige Auswahlausgabe Gesammelte Schriften (1925), sind seit langem, wenn überhaupt, dann nur noch antiquarisch verfügbar. Es war somit aus vielerlei Gründen angezeigt, eine Studienausgabe der politischen Schriften Machiavellis herauszubringen, in welcher der Principe, die Discorsi (in Auswahl) sowie die in politisch-theoretischer Hinsicht wichtigsten Stellen der Istorie Fiorentine enthalten sind, ebenso Machiavellis kleinere politische Schriften, seine Gesandtschaftsberichte sowie die wichtigsten seiner Briefe. Dabei wurde auf die Übersetzung von Johannes Ziegler und Franz Nikolaus Baur zurückgegriffen, die auch Hanns Floerke seiner Machiavelli-Ausgabe zugrundegelegt hat. Die Übersetzung von Ziegler und Baur wurde durchgesehen, einige Irrtümer wurden korrigiert, eine Reihe von Wendungen und Termini technici der Politik, die heute außer Gebrauch geraten bzw. schwer verständlich sind, wurden modernisiert. Ansonsten wurde der Stil der Übersetzung nicht angetastet, so daß der eigentümliche Reiz ihrer mitunter etwas umständlichen, um präzisen Ausdruck bemühten Sprache erhalten blieb.

 

Februar 1990

Herfried Münkler

Einleitung

1. Die Physiognomie einer Epoche

Als Niccolò Machiavelli am 3. Mai 1469 in Florenz geboren wurde, stand die Stadt augenscheinlich auf dem Höhepunkt ihrer glanzvollen Entwicklung: Lorenzo de’Medici, dem man später den Beinamen ›Il Magnifico‹, der Prächtige, gegeben hat, übernahm in diesem Jahr nach dem frühen Tod seines Vaters Piero die Macht in Florenz; die Wirtschaft der Stadt prosperierte, unter anderem auch deswegen, weil die Filialen der Medici-Bank, die in den wichtigsten europäischen Handelszentren errichtet worden waren, Aufträge orderten, Kredite gewährten und so der Florentiner Ökonomie einen wichtigen Platz im europäischen Handels- und Geldverkehr sicherten. Das kulturelle Leben der Stadt blühte: Mit Marsilio Ficino, Angelo Poliziano und Giovanni Pico della Mirandola scharte Lorenzo die bedeutendsten Köpfe des italienischen Humanismus um sich und gab ihnen mit der Florentiner Akademie, dem geistigen Zentrum des Neuplatonismus, einen institutionellen Rückhalt; Paolo Uccello, Domenico Ghirlandaio und Sandro Botticelli brachten die Florentiner Malerei, Luca della Robbia und Andrea del Verrocchio die Skulptur der Toskana zu neuem Ruhm. Vor allem aber herrschte Frieden in Italien, denn das von Lorenzos Großvater Cosimo de’Medici entworfene System des Gleichgewichts zwischen den fünf italienischen Teilstaaten, den Republiken Venedig und Florenz, dem Herzogtum Mailand, dem Königreich Neapel und dem Kirchenstaat, sorgte dafür, daß keiner dieser Staaten erwarten durfte, er könne eine politisch-militärische Hegemonie auf der Halbinsel erringen, weswegen auch kein anderer fürchten mußte, er könne politisch-militärisch unterworfen werden, und deswegen auch nicht, um dies zu verhindern, auswärtige Mächte ins Land rufen mußte.[1][*]

Als Machiavelli am 21. Juni 1527 starb, hatten sechs Wochen zuvor spanische Tercios und deutsche Landsknechte Rom erobert und dort den berüchtigten Sacco veranstaltet: Sie hatten geplündert, vergewaltigt und gemordet; Papst Clemens VII., ein Medici, war in der Engelsburg eingeschlossen und wartete auf das Friedensdiktat Kaiser Karls V. Kurz zuvor war in Florenz die Republik erneuert worden, doch diese letzte Florentiner Republik sollte nur für drei Jahre Bestand haben; dann wurde die Stadt durch kaiserliche Truppen erobert, und die Medici wurden – nunmehr als Herzöge, später Großherzöge der Toskana – restituiert. Schon lange waren die italienischen Teilstaaten keine eigenständigen politischen Faktoren mehr, und so wurde Italien nach Gutdünken des Kaisers und Maßgabe der kaiserlichen Kanzlei neu geordnet. Der Sacco di Roma und die Kaiserkrönung Karls V. durch Clemens VII. in Bologna drei Jahre später bilden die Endpunkte eines über dreißigjährigen Krieges, den die europäischen Großmächte auf italienischem Boden austrugen. Der Kampf um die Vorherrschaft in Europa, der über ein Jahrhundert später noch einmal, diesmal auf deutschem Boden, ausgetragen wurde, hatte sich aus inneritalienischen Konflikten entwickelt, aber schon bald wurden diese Auseinandersetzungen, die aus einer Doppelhochzeit zwischen dem aragonesisch-neapolitanischen Königshaus und der in Mailand regierenden Familie der Sforza erwachsen waren, überlagert von dem französisch-spanischen Konflikt um die europäische Hegemonie: 1494 war der französische König Karl VIII. in Italien eingedrungen, um das Königreich Neapel zu erobern, auf dessen Krone er Ansprüche geltend machte; dem französischen Siegeszug war schon bald die spanische Gegenintervention gefolgt, Kaiser Maximilian war von Nordosten in Italien eingedrungen, um durch die Eroberung venezianischen Territoriums etwas für seinen Titel »allzeit Mehrer des Reichs« zu tun, und Schweizer Söldner zogen im Dienste dieses oder jenes Kriegsunternehmers und gelegentlich auch auf eigene Rechnung durch Italien. Es gab kaum eine Stadt in Italien, die im Verlaufe dieser Kriege nicht das Schicksal geteilt hätte, welches Rom in den Tagen nach dem 6. Mai 1527 erlitt.

Machiavellis politische Theorie ist unter dem Eindruck dieser Kriege, Überfälle und Plünderungen entstanden, überlagert und verstärkt durch die Beobachtung eines allmählichen, aber augenscheinlich unaufhaltsamen wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Niedergangs von Florenz. Als 1494 die Medici erstmals aus der Stadt vertrieben wurden, oder exakter: der zwei Jahre zuvor nach dem Tode des Lorenzo de’Medici seinem Vater in der Herrschaft über die Stadt gefolgte Piero de’Medici die Stadt fluchtartig verließ, stand die Medici-Bank kurz vor dem finanziellen Zusammenbruch; die Finanzlage der Stadt war überaus angespannt und blieb dies auch während der folgenden Jahre; die innere Machtverteilung zwischen den aristokratischen Familien und den mittleren Schichten der Stadt ließ sich nicht mehr ausbalancieren, so daß es nicht gelang, die neu errichtete Republik für längere Zeit zu konsolidieren; der außenpolitische Handlungsspielraum von Florenz schrumpfte zusehends, insofern man sich, wollte man politisch fortexistieren, für eine der beiden Mächte, die Italien beherrschten, Frankreich oder Spanien, als Bündnispartner und Anlehnungsmacht entscheiden mußte. Der kulturelle Glanz, den Florenz zuvor ausgestrahlt hatte, schwand dahin, und die bedeutendsten Künstler, die hier gearbeitet hatten, unter ihnen Leonardo da Vinci und Michelangelo Buonarotti, verließen die Stadt, da ihnen die Arbeitsbedingungen andernorts besser und lukrativer erschienen.[2]

Machiavellis politische Theorie mitsamt den daraus abgeleiteten Handlungsanweisungen kann nicht angemessen begriffen werden ohne Berücksichtigung dieser Krisen. In ihren Voraussetzungen wie in ihren Konsequenzen ist sie eine Theorie der Krise und des mitunter an Verzweiflung grenzenden Versuchs der Krisenbewältigung. Die Omnipräsenz der Krise erst verlieh dieser Theorie ihre schneidende Schärfe und ihre Bitterkeit. Aber diese Krise ist vielgestaltig, in ihr sind mehrere Krisenschichten übereinander gelagert, so daß jede monokausale Erklärung zu kurz greift: Da sind zunächst die ökonomische, die soziale und die politische Krise von Florenz, da ist sodann die Krise des humanistischen Menschenbildes, worin dem Menschen weitgehende sittliche Autonomie zugesprochen worden war, und da ist nicht zuletzt die Krise eines im christlichen Glauben begründeten Vertrauens in den Gang der Geschichte. So ist der Mensch bei Machiavelli auf sich allein gestellt. Er allein muß ohne jede göttliche Hilfe und ohne jede Hilfestellung der Geschichte die ihm übertragenen Aufgaben bewältigen, aber er ist gleichzeitig von seiner sittlichen Ausstattung her dieser Aufgabe kaum gewachsen. Das ist der Ausgangspunkt von Machiavellis politischer Theorie.

Bürgerlicher Reichtum und republikanische Verfassung

Der Reichtum, zu dem Florenz seit dem 13. Jahrhundert gekommen war, beruhte vor allem auf drei Säulen: auf der Produktion feinster Wollentuche in der Arnostadt, organisiert durch die Arte della Lana; auf dem Handel mit Wollentuchen, die von der Arte di Calimala in ganz Europa vertrieben wurden, und nicht zuletzt auf dem Bankgeschäft, das freilich häufig mit dem Handel von Wollentuchen verbunden war. Im Unterschied zu den anderen großen Handelsstädten des späten Mittelalters beruhte der Reichtum der Florentiner nicht auf dem Seehandel oder dem Transport seltener und wertvoller Güter über große Entfernungen, sondern auf der Entwicklung und Verfügbarmachung grundlegender Neuerungen in der Organisation des Handels: So wurden statt der nur für die Dauer einer Handelsreise bestehenden Geschäftspartnerschaften nunmehr Sozietäten gebildet, die infolge der Zusammenfassung mehrerer Kapitalien ein deutlich größeres Geschäftsvolumen und damit größere Dispositionsspielräume hatten; mit der Einführung des Wechsels und der Entstehung eines über ganz Europa ausgedehnten Filialsystems der Florentiner Banken wurde es möglich, Geld von einem Ort an einen anderen zu transferieren, ohne daß man sich auf den aufwendigen und gefährlichen Transport von Münzen einlassen mußte; immer seltener begleiteten die Kaufleute ihre Schiffe und Karawanen persönlich, sondern begannen damit, ihre Geschäfte vom Kontor aus zu überwachen; durch die Entwicklung der Seeversicherung konnten die Risiken der Seefahrt unter Zwischenschaltung einer Bank diversifiziert werden, so daß es nicht länger erforderlich war, zwecks Risikominderung eine Warenladung auf mehrere Schiffe zu verteilen; schließlich wurde eine geordnete Buchführung, das Kontokorrent, entwickelt, die mit Hilfe der getrennten Kolumnen von »Soll« und »Haben« eine ständige Kontrolle der Geschäftsentwicklung ermöglichte. Die Folge dieser revolutionären Neuerungen im europäischen Handel war, daß das Geld immer stärker zum zentralen Medium des Wirtschaftslebens wurde.

Es waren vor allem die Florentiner Großkaufleute und Bankiers, die mit ihren Methoden die europäische Wirtschaft revolutionierten und aus der Verfügbarmachung ihrer Serviceleistungen gewaltige Gewinne zogen. Dabei kam ihnen der Umstand zugute, daß sich der von ihnen weitgehend kontrollierte Rat der Stadt im Jahre 1252 entschlossen hatte, eine Münze von 3,5 g Goldgewicht, den fiorino d’oro, zu prägen, wobei sie auf jeden Prägegewinn, resultierend aus der Differenz zwischen Nominalwert der Münze und Realwert seines Edelmetallgehalts, verzichteten und so ein in ganz Europa anerkanntes Verkehrsgeld schufen. Florenz wurde so zum führenden Kapitalumschlagplatz in Europa.

Die rasante Entwicklung des Handelskapitalismus führte in Florenz nun dazu, daß sich die während des 12. und noch zu Beginn des 13. Jahrhunderts relativ homogene Schicht des Bürgertums sozial differenzierte: Einige wurden in kurzer Zeit sehr reich, andere verarmten schnell. Nicht nur in Florenz, sondern in allen oberitalienischen Handelsstädten kam es zu einer sozialen Differenzierung der Bürgerschaft, wie sie in den Handwerkerstädten Deutschlands gänzlich undenkbar war. Dieser Differenzierungsprozeß wurde in Florenz noch dadurch intensiviert, daß die dritte Säule des Reichtums, die Wollentuchproduktion, ein Protoproletariat hervorbrachte, wie es dies, vielleicht von den flämischen Tucherstädten abgesehen, sonst in Europa nicht gab. »Die Werkstätten der Wollenzunft«, so Giovanni Villani zu Beginn des Jahres 1339 in seiner Cronaca, »waren zweihundert oder mehr, und sie machten 70000–80000 Tuche, die 1200000 Goldfloren Wert hatten. Gut ein Drittel dieses Betrages blieb als Arbeitslohn an Ort und Stelle ohne den Gewinn der Wollindustriellen, und es lebten davon mehr als 30000 Personen. Freilich finden wir, daß dreißig Jahre zuvor etwa dreihundert Werkstätten bestanden, die im Jahr mehr als 100000 Tuche machten, aber diese Tuche waren gröber und hatten nur den halben Wert, weil damals nicht die Wolle aus England verwandt wurde und man sie nicht zu bearbeiten verstand.«

Villanis Beschreibung zeigt, daß in Florenz die Tuche nicht von selbständigen kleinen Handwerkern, sondern im Verlagssystem produziert wurden, bei dem eine Reihe von Großverlegern, zumeist Großkaufleute, den Produktionsprozeß kontrollierte: angefangen bei den formell selbständigen, faktisch jedoch abhängigen Handwerkern bis zur Masse jener Tagelöhner, die jeden Morgen aufs neue ihre Arbeitskraft in der Erwartung feilboten, daß einer der fattori sie brauchen werde. Florenz war eine, verglichen mit den deutschen Städten, überaus reiche Stadt, aber der Reichtum war extrem unterschiedlich verteilt, so daß es in Florenz wohl mehr Reichtum, aber auch mehr krasse Armut gab als in den deutschen Handwerkerstädten des Mittelalters. Niccolò Machiavelli ist, als er zu Beginn des 16. Jahrhunderts den Süden des Deutschen Reiches bereiste, dieser Unterschied sofort aufgefallen, und er hat in seinen Berichten und Denkschriften (abgedruckt S. 358ff.) die relative Armut und Egalität der deutschen Städte seinen Landsleuten als kritischen Spiegel vorgehalten.

Mehr als der Handel mit Tuchen war das Bankgeschäft, insbesondere die Kreditvergabe, mit hohen Risiken behaftet, zumal dann, wenn Fürsten und Könige Kreditnehmer waren, weil sie verschiedentlich die Rückzahlung ihrer Verbindlichkeiten einstellten oder diese gar annullierten und die Florentiner Bankiers nur wenig Möglichkeiten besaßen, die Fürsten und Könige zur Fortsetzung ihrer Zahlungen zu zwingen – außer wenn sie bei ihnen um neue Kredite nachsuchten. So brachen im Frühjahr 1346, einem der Katastrophenjahre der Florentiner Wirtschaft, die drei größten Bankhäuser der Stadt, die Bardi, Peruzzi und Acciaiuoli, zusammen, nachdem eine Reihe von fürstlichen Großschuldnern ihre Zahlungsunfähigkeit erklärt hatte. Immer wieder ist das Wirtschaftsleben der Stadt durch solche Zusammenbrüche erschüttert worden, und das förderte in den führenden Geschäftskreisen eine erhöhte Sensibilität für die Chancen wie Risiken des Handelskapitalismus. Fortuna, virtù und ragione, Begriffe, die auch in Machiavellis politischer Theorie von zentraler Bedeutung sind, avancierten zu Schlüsselbegriffen der Kaufmannsmentalität: Der Mensch war zwar in der Lage, durch entschlossenes Zupacken und rationales Kalkül sein Schicksal selbst zu gestalten, aber es blieb ein ebenso unwägbares wie unfaßbares Risiko zurück, das man im Bild der antiken Gottheit Fortuna zu veranschaulichen suchte.[3]

Zu den ökonomischen Risiken kamen die sozialen Gegensätze hinzu, die immer wieder zu tiefgreifenden politischen Konflikten in Florenz führten: Die Großkaufleute und Bankiers, durch Heiraten inzwischen mit dem alten Stadtadel versippt und verschwägert, wollten die Stadt allein beherrschen, waren dazu jedoch – im Unterschied zu Venedig – auf Dauer nicht in der Lage; das Bündnis mit den mittleren Schichten war labil, weil diese größere Macht haben wollten, als ihnen die Optimaten zubilligten, und verschiedentlich betrat auch die Stadtarmut, vor allem die Arbeiter der Wollentuchindustrie, die politische Bühne, um ihren Anspruch auf politische Mitsprache anzumelden. Dies war der Fall im Jahre 1378, als es den Wollentucharbeitern durch einen Aufstand, den Tumulto dei Ciompi, gelang, die Errichtung von drei neuen Zünften durchzusetzen, die ihnen politische Mitsprache und sozialen Schutz gewährleisten sollten. Machiavelli hat in jener Rede, die er einen der Ciompiführer in seiner Geschichte von Florenz halten läßt (abgedruckt S. 308ff.), die politischen Antriebe dieses Aufstandes nachzuzeichnen versucht, dabei hat er jedoch die rationale Handlungslogik der oberen Schichten in das Handeln von Menschen hineinprojiziert, die vor allem unter religiösen Parolen in den Kampf eingetreten waren: Ihr Ziel war, sich als popolo di Dio organisieren zu dürfen, während Machiavelli aus ihrem Anführer einen nach Machtkalkül agierenden Revolutionär gemacht hat. Überhaupt traten die sozialen Auseinandersetzungen in Florenz nur in den seltensten Fällen als solche hervor; zumeist waren sie überlagert von Machtkämpfen der großen Familien gegeneinander, von Faktionskämpfen, in denen die einzelnen Faktionen immer wieder auch bei den mittleren und unteren Schichten der Stadt Unterstützung suchten. Gerade der Aufstieg der Medici ist mit Hilfe der mittleren und unteren Schichten erfolgt.[4]

Machiavelli hat den gesellschaftlichen Differenzierungsprozeß in Florenz direkt und indirekt kritisiert und ihn dafür verantwortlich gemacht, daß es weder zu einer dauerhaften Sicherung der Republik nach innen noch zu einer kraftvollen Machtentfaltung nach außen gekommen ist – im Unterschied zu Rom, das für ihn auch hier Maß und Vorbild war. Sein politisches Ideal war die Gemeinschaft tendenziell egalitärer Bürger, wie er sie aus den Texten der antiken Autoren, vor allem der römischen Historiker, herauslas, und solch bürgerliche Egalität (und relative Armut) war ihm die Bestandsgarantie dafür, daß die virtù, die bürgerliche Tugend, weiterhin das Denken und Handeln der Menschen bestimmte. Das positive Urteil Machiavellis über die deutschen Städte steht auch in diesem Zusammenhang.

Im Verlauf des 15. Jahrhunderts haben sich die sozialen Unterschiede in Florenz eher verstärkt als abgemildert. Dabei kam es vor allem zu einer Differenzierung unter den Optimaten, in deren Verlauf die Medici eine Reihe anderer Familien von sich abhängig machten und mit ihrer Hilfe sowie der Unterstützung der mittleren Schichten von 1434 an informell die faktische Herrschaft in der Stadt ausübten. Von innen heraus wurden nunmehr jene republikanischen Institutionen ausgehöhlt und zerstört, auf denen fast zweihundert Jahre lang die Florentiner Republik beruht hatte. 1293 hatte sich Florenz nach jahrzehntelangen Auseinandersetzungen zwischen den Anhängern des Kaisers und des Papstes, zwischen Ghibellinen und Guelfen, wie sie in Italien hießen, eine Verfassung gegeben: »Da die Freiheit«, so heißt es in diesen Ordinamenti di giustizia, »aus der der Wille entstammt, nicht von fremdem Ermessen abhängen kann, sondern auf Selbstbestimmung beruhen muß, da die persönliche Freiheit aus dem Naturrechte stammt, demselben, das auch die Völker von Bedrückung schützt, ihre Rechte hütet und erhöht, sind wir willens, sie zu erhalten und zu mehren.« Dieser am Ende des 13. Jahrhunderts formulierte Verfassungsgrundsatz zeigt, in welchem Maße sich das politische Denken in Florenz bereits von der mittelalterlichen Vorstellung einer gottgegebenen Ordnung entfernt hatte, um sich statt dessen auf die Prinzipien individueller Freiheit zu stützen, die zu schützen und zu bewahren zur Aufgabe der politischen Ordnung erklärt wird. Jacob Burckhardt hat darum in Die Kultur der Renaissance in Italien Florenz als den »ersten modernen Staat der Welt« bezeichnet, und tatsächlich hat hier die Idee der rationalen Konstruierbarkeit der Verfassung in einem Ausmaße Anwendung gefunden, wie dies sonst in Europa erst seit der Französischen Revolution der Fall gewesen ist. Der ökonomischen Fortgeschrittenheit von Florenz entsprach also eine vergleichbare Fortgeschrittenheit seiner politischen Verfassung.

Gleichwohl war Florenz alles andere als eine Demokratie im modernen Sinne: Das Wahlrecht zum Priorenamt, der wichtigsten der politischen Institutionen, besaßen nur Mitglieder der 21Arti, der Zünfte der Stadt, wodurch sowohl der alte Adel, dem der Zutritt zu den Zünften weitgehend verwehrt war, als auch das niedere Volk, der popolo minuto, von der politischen Macht ausgeschlossen waren. Zugleich wurde darauf geachtet, daß nicht nur alle Zünfte, sondern auch alle Stadtteile im Priorat, der Signoria, vertreten waren. Die weitgehend paritätische Machtverteilung diente dazu, das reiche Bürgertum, den popolo grasso, möglichst umfassend an der Macht zu beteiligen, damit keine Gruppe, keine Familie und kein Stadtteil fürchten mußte, politisch marginalisiert zu werden, und darum auf Umsturz sann. Dennoch gelang es diesem integrierenden Verfassungskompromiß nicht, die politischen Verhältnisse in Florenz dauerhaft zu stabilisieren. Nach dem Ciompi-Aufstand von 1378, dem Versuch der unteren Schichten, politischen Einfluß zu gewinnen, um so die eigene soziale Situation zu verbessern, kam es sehr bald zu einem politischen Umschwung, in dessen Verlauf nicht nur die dem popolo minuto gemachten Konzessionen wieder zurückgenommen, sondern auch die mittleren Schichten von der Macht verdrängt wurden. Von 1383 bis 1434 wurde Florenz von einer kleinen Gruppe von Optimaten regiert, aus der Rinaldo degli Albizzi, Palla Strozzi und Niccolò da Uzzano herausragten.

Innerhalb dieser Gruppierung spielten die Medici keine Rolle, weswegen sie im Bündnis mit den mittleren Schichten auf Umsturz sannen. Der erfolgte 1434, als es Cosimo de’Medici, der kurz zuvor aus Florenz verbannt worden war, durch geschickte Finanzoperationen von Venedig aus gelang, seine innenpolitischen Gegner derart in finanzielle Bedrängnis zu bringen, daß sie ihn nach Florenz zurückrufen mußten. Cosimos Rückkehr nach Florenz wurde zum Triumphzug, und wiewohl er auf jede formelle Änderung der Verfassung verzichtete, war er bis zu seinem Tode informelles Oberhaupt der Stadt. Doch auch wenn Cosimo die republikanische Ordnung von Florenz nicht antastete, so hat seine fast dreißigjährige Herrschaft diese Ordnung doch innerlich ausgehöhlt: Immer mehr verloren Zünfte und Nachbarschaften ihre Funktion als Medien politischer Integration und degenerierten zu republikanischen Fassaden für die faktisch bei einem Manne liegende Herrschaft. Cosimo konnte die republikanische Ordnung in Florenz darum fortbestehen lassen, weil es in der Stadt genügend Familien gab, die ihm wirtschaftlich und finanziell so verbunden waren, daß ein Wink genügte, um seinen Willen durchzusetzen, und wo dies einmal nicht der Fall war, da verfügte Cosimo über das Mittel der Steuereinschätzung. 1427 nämlich war in Florenz der Catasto, eine Mischung aus Einkommen- und Vermögensteuer, eingeführt worden, die ein probates Machtmittel in den Händen der Regierenden war. Von Cosimo de’Medici jedenfalls sagte man, er habe seine Gegner nicht mit dem Dolch, sondern mit der Steuereinschätzung erledigt.[5]

Unter Cosimos Enkel Lorenzo wurde die Herrschaft der Medici drückender, zumal Lorenzo nach der Pazzi-Verschwörung (einem von einer der führenden Familien mit Wissen der päpstlichen Kurie organisierten Attentat, dem sein Bruder Giuliano zum Opfer fiel und er selbst nur mit knapper Not entging) seine Macht durch eine Veränderung der Florentiner Verfassung auch formell stärker abzusichern suchte. Der 1480 installierte »Rat der Siebzig«, fast ausschließlich mit Anhängern der Medici besetzt, wurde zum neuen Machtzentrum in Florenz. 1480, so wird man darum sagen können, wurde die Republik auch formell durch die Herrschaft eines Mannes abgelöst, durch eine Tyrannis, wie die Gegner der Medici sagten.

1494, zwei Jahre nach Lorenzos frühem Tod und der Machtübernahme seines Sohnes Piero, brach die Herrschaft der Medici zusammen: Piero hatte sich durch ungeschicktes, eigenwilliges Auftreten in wenigen Monaten die Unterstützung der führenden Familien verscherzt, und als er nun auch noch gegenüber dem mit einem mächtigen Heer heranziehenden französischen König Karl VIII. lavierte und Unsicherheit zeigte, kam es in der Stadt zum Aufstand. Nach Pieros überstürzter Flucht wurde der Dominikanermönch Girolamo Savonarola, der seit Jahren in der Stadt Bußpredigten gehalten und zur moralischen Umkehr aufgerufen hatte, zum informellen Machthaber. Savonarola ging es um eine moralische Erneuerung der Stadt, die er, politisch gestützt auf die mittleren Schichten, mit Hilfe einer Sittenreform zu verwirklichen suchte. Savonarola predigte gegen den Reichtum und forderte statt dessen Armut, Demut und Bescheidenheit. Auch Savonarola bezog also gegen die starke soziale Differenzierung in der Stadt Stellung, aber er kritisierte sie – im Unterscheid zu Machiavelli – nicht aus politischen, sondern aus moralischen Gründen.[6] Anders formuliert: Niccolò Machiavelli, dessen politische Karriere 1498, nach Sturz und Hinrichtung Savonarolas, begann, knüpfte in vieler Hinsicht an dessen Reformideen an, gab ihnen jedoch eine stärker politische Färbung und ersetzte die christlich-moralischen Leitideen Savonarolas durch das Ideal der antiken Republiken.

Renaissance und Humanismus

Als die »Entdeckung der Welt und des Menschen« hat Jacob Burckhardt im Anschluß an Jules Michelet die Renaissance bezeichnet, und er wollte damit zum Ausdruck bringen, daß von nun an nicht länger die metaphysischen Entstehungsgründe der Welt, sondern deren vorfindliche Gestalt und kausale Gesetzmäßigkeit die Aufmerksamkeit der Menschen auf sich zog, und mehr als das Wesen des Menschen dessen individuelle Besonderheit Beachtung und Interesse fand. Davon zeugen u.a. auch Machiavellis eindringliche Charakterisierungen der politisch Handelnden. In diesem Sinne markiert die Renaissance kultur- und wissenschaftsgeschichtlich einen tiefgreifenden Epochenschnitt, der in seinen langfristigen Folgen durchaus mit den skizzierten Brüchen im wirtschaftlichen und politischen Leben der oberitalienischen Handelsstädte vergleichbar ist.

Dieser tiefgreifende Mentalitätswandel in der Sicht von Mensch und Welt kann nicht separiert werden von den politischen und ökonomischen Modernisierungsschüben, die seit dem Ausgang des 13. Jahrhunderts das Leben in den oberitalienischen Städten verändert haben. Alle vier Faktoren, Wirtschaft, Politik, Kultur und die Entwicklung der Naturwissenschaft, haben sich gegenseitig beeinflußt und verstärkt. Machiavellis politische Theorie fußt gleichermaßen auf ihnen: Sie ist zutiefst durchdrungen von jener kalkulierenden Rationalität, wie sie sich zunächst im ökonomischen Bereich entwickelt hat; sie ist undenkbar ohne die Idee der Konstruierbarkeit einer politischen Ordnung; sie ist durchzogen von der Vorstellung, politische Ereignisse seien nicht nur aus der Individualität der Agierenden heraus erklärbar, sondern aus der Kenntnis dieser Individualität ließen sich auch deren politische Entscheidungen prognostizieren; und sie ist in Aufbau wie Argumentation geprägt von der Idee, durch empirische Kenntnisse lasse sich ein Problem eher bewältigen als durch metaphysische Prinzipien. Mithin am deutlichsten zeigt sich der neue Geist der Renaissance im Wandel der Naturauffassung: An die Stelle der Vorstellung von einer entelechetischen Bestimmtheit der Materie, wie sie sich im Gefolge der aristotelischen Naturphilosophie verbreitet hatte, tritt eine Betrachtung der Materie, die allein auf die Erkenntnis ihrer mechanischen Kausalität aus ist. Der Natur wird nicht mehr zugebilligt, sie trage Zwecke in sich, sondern sie wird gefaßt als ein Ensemble von Ursachen, die bestimmte Wirkungen zur Folge haben. Nicht länger lagen somit die Zwecke in der Sache und konnten dort qua philosophische Betrachtung aufgefunden, sondern sie mußten durch menschliches Denken und Handeln von außen an die Gegenstände herangetragen werden; so trat an die Stelle der naturimmanenten Zweckorientierung, wie sie sich in der christlicharistotelischen Weltsicht des Hoch- und Spätmittelalters herausgebildet hatte, der Mensch als ein nach seinem Gutdünken Zwecke setzendes Lebewesen. Nicht länger konnte die Natur also bestimmt werden als die Grenze des Menschen, sondern sie galt nunmehr als Grundlage und Gegenstand menschlicher Selbststeigerung und Selbstüberwindung. So kam es nicht von ungefähr, daß die Renaissance zur Epoche der großen Abenteurer und Entdeckungsreisenden wurde, in deren Verlauf die Welt auch in einem anderen Sinne, als Burckhardt gemeint hat, entdeckt worden ist.

»Also sprach Gott zu Adam«, heißt es in Giovanni Pico della Mirandolas 1486 verfaßtem Gedicht De digninate hominis: »Ich habe dich weder als himmlisches noch als irdisches, weder als sterbliches noch als unsterbliches Lebewesen geschaffen, damit du dich selber nach deinem eigenen Ratschluß bildest und dein eigner Schöpfer seist hinsichtlich der Gestalt, die du am liebsten annehmen willst. Du kannst herabsinken zu den niedersten Lebewesen, aber du kannst dich aus eigenem Entschluß auch hinaufarbeiten zu den Himmlischen.« Dieses stolze Selbstbewußtsein vieler Renaissancemenschen, dieses Allmachtsgefühl, wurde freilich begleitet von einer allgegenwärtigen Todesangst, die dem Menschen die Nichtigkeit seines Tuns vor Augen führte und ihn darauf zurückverwies, er müsse vor allem für das Heil seiner Seele Sorge tragen. Die tiefe Erschütterung, die Savonarolas Bußpredigten in Florenz auslösten, als viele jener Dichter und Philosophen, die kurz zuvor noch im Umkreis Lorenzo de’Medicis ganz dem Diesseits zugewandt waren, sich in Bußübungen ergingen, um das Heil ihrer Seele zu retten (Giovanni Pico della Mirandola war einer von ihnen), wird verständlich vor diesem Hintergrund. Gerade das neue Allmachtsgefühl der Menschen verlieh der Drohung des Todes eine Schärfe und Unerbittlichkeit, die ihr zuvor nicht zugekommen war. Machiavelli hat sich solchen Konversionen trotzig entgegengestellt und gerade unter ihrem Eindruck um so entschlossener an seinen politischen Idealen festgehalten: Daß jemand sein Vaterland mehr geliebt habe als das Heil seiner Seele, ist eine der höchsten Auszeichnungen, die er zu vergeben hat.

Dem Telosschwund in der Naturbetrachtung entspricht die Entsakralisierung, die Säkularisation der Geschichte: An die Stelle einer Geschichtsbetrachtung, welche die Abfolge der Ereignisse beherrscht sah von Gottes gütigem wie gerechten Wirken, für welche die providentia Dei den Gang der Geschichte bestimmte und lenkte, tritt eine Sicht der Geschichte, in der die Abfolge der Ereignisse ein innerweltlich zu erklärendes Phänomen ist: Die individuelle Psyche der Handelnden und die kollektive Mentalität eines Volkes sind danach ausschlaggebend, während von Gott kaum noch die Rede ist. An seine Stelle tritt, wo diese nicht durch die menschliche Vernunft eingenommen werden kann, die Gestalt der Fortuna, Symbol dessen, daß zwischen Intention und Wirkung menschlichen Handelns eine Kluft bleibt, die durch noch so präzises Kalkül nicht geschlossen werden kann. Dennoch kommt dem rationalen Kalkül in dieser neuen Sicht von Geschichte und Politik eine schwerlich zu unterschätzende Bedeutung bei: Es ist neben der virtù, Entschlußkraft und Tugendhaftigkeit, das wichtigste Medium, durch das der Mensch Einfluß auf den Gang der Geschichte hat. Einen dementsprechenden Funktionswandel erlebt die Historiographie: Nicht länger ist sie eine Sammlung von Erbaulichkeiten und eine Demonstration göttlicher Sorge, sondern sie wird zur pragmatischen Geschichtsschreibung, zu einer Sammlung von Ereignissen, aus denen die politisch Handelnden lernen können und die ihnen als vorbildhaftes oder abschreckendes Beispiel dienen sollen.[7]

Was sich in der kontrastierenden Darstellung als ein schroffer Übergang ausnimmt, ist in Wirklichkeit freilich ein sich über Jahrhunderte erstreckender Transformationsprozeß gewesen, bei dem zumeist beide Sehweisen der Welt und der Geschichte nebeneinanderstanden und sich im jeweiligen Bewußtsein der Menschen mehr oder weniger gut miteinander verbanden. So war auch im Florenz der Renaissance die neue Sichtweise im wesentlichen auf eine kleine Schicht von Bankiers, Kaufleuten und Intellektuellen beschränkt, während die Masse der mittleren und unteren Schichten in ihrer traditionellen Frömmigkeit verharrte. Savonarola etwa hat sich bei seinem Versuch einer Sittenreform in Florenz auf sie gestützt und ihren politischen Vorstellungen Ausdruck verliehen. Machiavelli war sich dieser Mentalitäts- und Bewußtseinsspaltung der zeitgenössischen Gesellschaft bewußt, und vieles, was sich in seinen Schriften wie nackter Zynismus ausnimmt, war nichts anderes als die Beachtung dieses »cultural lag«, das natürlich bei einem Theoretiker, der auf »das Volk« setzte, eine größere Bedeutung besaß als bei jenen, für die »das Volk« nur als eine zu beherrschende Größe existierte.

Nicht alle Humanisten freilich sahen in politischem Engagement den höchsten Zweck des Lebens, und so kam es schon bald zu einer Spaltung in zwei Gruppen, deren eine im Anschluß an den von Hans Baron geprägten Begriff des »civic humanism« als Bürger-Humanisten bezeichnet werden können; ihnen stehen die Literaten-Humanisten gegenüber, die statt des Gemeinwesens Bildung, Literatur und Philosophie als höchsten Zweck und Bestimmung ansahen. Eine Frage, die schon in der politischen Philosophie des Aristoteles offengeblieben war, die Frage nämlich, welche Lebensweise erstrebenswerter sei, bios politikos oder bios theoretikos, das der Gemeinschaft oder das der Philosophie gewidmete Leben, stand hier erneut im Mittelpunkt der Auffassungsunterschiede: Setzten die Literaten-Humanisten, an ihrer Spitze Francesco Petrarca, auf die vita contemplativa, das ganz der Philosophie gewidmete Leben, so stellten die Bürger-Humanisten sich in den Dienst der Gemeinschaft, etwa als Kanzler der Republik Florenz, ein Amt, in dem von Coluccio Salutati bis Adriano Adriani, dem Vorgesetzten Machiavellis, die angesehensten Gelehrten aufeinander folgten.

Zum Gegensatz zwischen Bürger- und Literaten-Humanisten gehörte auch eine grundlegend verschiedene politische Erwartungshaltung: Erwarteten die Literaten-Humanisten von der politischen Gemeinschaft Sicherheit und Schutz, um sich ungestört der vita contemplativa widmen zu können, wobei es ihnen zumeist gleichgültig war, wenn ein Tyrann im klassischen Sinne an der Spitze der Gemeinschaft stand, so wollten sich die Bürger-Humanisten politisch engagieren und an der Machtausübung partizipieren (vita activa). Hier hat jener fundamentale Unterschied im Begriff der Freiheit seinen Ursprung, der das politische Denken bis heute bestimmt: War für die Literaten-Humanisten Freiheit gleichbedeutend mit Ruhe, Sicherheit und Ordnung, so hieß Freiheit für die Bürger-Humanisten vor allem politische Partizipation. Niccolò Machiavelli hat sich entschieden zum partizipatorischen Freiheitsideal bekannt. So hat er, eine der großen Debatten der Epoche aufgreifend, Brutus als Helden und Befreier gefeiert, Caesar dagegen als Verbrecher und Feind des Vaterlandes verurteilt – eine Bewertung, die bei den Literaten-Humanisten genau umgekehrt erfolgte.[8]

2. Machiavellis Vita und Werk

Die politische Tätigkeit

Bis zum Sommer 1498 ist über Machiavellis Leben wenig bekannt; sicher ist nur, daß sein Vater, der als Jurist und Kämmerer in verschiedenen mittelitalienischen Städten tätig war, für eine sorgfältige Ausbildung seines Sohnes in lateinischer Grammatik Sorge trug. Im Sommer 1498 wird Machiavelli, inzwischen 29 Jahre alt, nach dem Sturz Savonarolas und der Entfernung seiner Anhängerschaft aus allen politischen Ämtern zunächst zum Sekretär der Zweiten Kanzlei und schon bald darauf zum Sekretär des Rats der Zehn gewählt. War er als Sekretär der Zweiten Kanzlei mit der Ausfertigung von Schriftstücken der inneren Verwaltung beschäftigt, so hatte er sich als Sekretär des Rats der Zehn vorwiegend um Fragen der Außen- und Verteidigungspolitik zu kümmern. Vor allem in dieser Funktion besaß Machiavelli politische Macht, denn während die zehn Mitglieder des Rats einem permanenten Rotationsverfahren unterlagen, war der Sekretär für längere Zeit bestellt. Er kannte die Zusammenhänge und wußte um die Vorgeschichte der zu behandelnden Probleme. Machiavelli hat beide Ämter vierzehn Jahre lang innegehabt.[9]

In seiner Eigenschaft als Sekretär des Rats der Zehn nahm Machiavelli – zumeist freilich nicht als offizieller Botschafter der Republik, sondern in einer formell untergeordneten Funktion; faktisch jedoch hatte er die Verhandlungen zu führen und der Signoria zu berichten – an mehreren Gesandtschaften teil, die ihn unter anderem an den französischen Königshof, zu Kaiser Maximilian, an die römische Kurie und auch zu Cesare Borgia führten. Cesare Borgia hatte mit Hilfe seines Vaters, Papst Alexanders VI., die Herrschaft in der Romagna an sich gerissen und drohte nun, im Herbst 1502, mit seinen Truppen in Florentiner Gebiet einzufallen, wenn die Republik nicht verschiedene seiner Forderungen erfülle. Niccolò Machiavelli, der sich inzwischen den Ruf eines aufmerksamen Beobachters, geschickten Verhandlers und umsichtigen Taktierers erworben hatte und der das persönliche Vertrauen des zum Gonfaloniere, zum Staatsoberhaupt, gewählten Piero Soderini besaß, wurde zu Cesare Borgia gesandt, um ihn zu beschwichtigen. Konkrete Zusagen konnte und durfte er jedoch nicht machen. In Cesare Borgias Feldlager angekommen, stellte Machiavelli fest, daß der Papstsohn inzwischen andere Probleme hatte: Seine Feldhauptleute hatten ihm den Gehorsam aufgekündigt, und Cesare war so gleichsam über Nacht entwaffnet worden. Mehrere Wochen, unterbrochen durch einen kurzen Aufenthalt in Florenz, beobachtete Machiavelli nun, wie der Herzog die Lage zu meistern suchte, wie er um Bündnisse warb, Angebote machte, verhandelte – und schließlich in einem überraschenden Schlag seine aufrührerischen Obristen in Sinigaglia in die Falle lockte und sie ermorden ließ. Machiavelli hat in seinen fast täglich erstellten Berichten an die Florentiner Signoria (auszugsweise abgedruckt S. 380ff.) Cesares undurchsichtiges Verhalten zu deuten versucht, hat Prognosen abgegeben und Erwartungen geäußert, in denen er den Ausgang, den die Ereignisse schließlich nahmen, relativ präzise vorausgesagt hat.

Ganz offensichtlich ist Machiavelli von Cesares Handeln beeindruckt gewesen. Dabei haben sicherlich seine Florentiner Erfahrungen, wo ebenfalls viel taktiert, aber nur selten entschlossen gehandelt wurde, eine Rolle gespielt: Machiavelli glaubte, in Cesare Borgia den Prototyp des Politikers gefunden zu haben, der in der Lage war, die Umstände zu beherrschen, anstatt von den Umständen beherrscht zu werden. Genau dies, so glaubte er, war in Florenz wie in Italien überhaupt dringend vonnöten, wenn die gegenwärtig verheerende Lage geändert werden sollte. Bei der Niederschrift des Principe mehr als zehn Jahre nach den Ereignissen in Sinigaglia hat Machiavelli an einigen Schlüsselstellen seiner Argumentation Cesares Handeln, vor allem die Kombination von Taktieren und Zuschlagen, als vorbildlich hingestellt. Um die Bedeutung dieser Passagen adäquat beurteilen zu können, muß man sich zunächst die Ausgangsfrage des Principe vor Augen halten. Wie ist es möglich, eine mit Glück (Fortuna) erworbene Herrschaft zu behaupten und auf Dauer zu festigen? Cesares Aufstieg zum Herzog der Romagna war in Machiavellis Augen ein solcher Glücksfall: die moralische und finanzielle Protektion des päpstlichen Vaters; sodann die militärische Unterstützung des französischen Königs, der in Cesare einen starken Verbündeten in Italien aufzubauen suchte, weil er davon ausging, der Papstsohn, der auf die französische Unterstützung angewiesen war, werde ein sicherer Verbündeter sein; weiterhin die Schwächung von Mailand und Florenz, die Cesares Expansionspolitik keinen rechten Widerstand entgegensetzen konnten – das Zusammentreffen all dieser Umstände war ein Glücksfall, und es kam alles darauf an, daß sich Cesare nunmehr vom Glück unabhängig machte, um im Falle eines plötzlichen Umschlags auch aus eigener Kraft, durch eigene virtù, bestehen zu können. Die Überrumpelung und Ermordung seiner Condottieri und den gleichzeitigen Versuch, in der Romagna eine eigene Miliz auszuheben, sah Machiavelli als den ersten Versuch Cesares an, sich politisch auf eigene Beine zu stellen. Genau dies war auch die Forderung, mit der sich Machiavellis neuer Fürst konfrontiert sah, wenn er die ihm von Machiavelli zugedachte Aufgabe, in Italien die Macht zu übernehmen und die Eindringlinge daraus zu vertreiben, bewältigen wollte. Daß Cesare Borgia im Principe zu einem politischen Vorbild avancierte, war eine Folge der vergleichbaren Ausgangssituationen, denen sich er ebenso wie Machiavellis neuer Fürst gegenübersahen.[10] Dabei hat sich Machiavelli jedoch nicht an der Person des Papstsohnes orientiert, sondern allein an seinem Handeln gegenüber den abtrünnigen Obristen. Als Cesare einige Zeit später, nach dem Tod seines Vaters, nämlich in die Wahl des Giuliano della Rovere zum Papst (Julius II.) einwilligte und anschließend von diesem Papst hingehalten und getäuscht wurde, da hat Machiavelli, der zu dieser Zeit als Florentiner Gesandter in Rom weilte, den Niedergang und Sturz Cesares der Florentiner Signoria in eben demselben Ton berichtet, in dem er sie etwa ein halbes Jahr zuvor über die Vorgänge in Sinigaglia informiert hatte.

Als Sekretär des für Militärfragen zuständigen Rates der Zehn war Machiavelli auch mit einem Problem befaßt, das im Jahre 1494 bei der Flucht der Medici, den anschließenden Wirren in Florenz und dem Durchzug des französischen Heeres durch die Toskana entstanden war: der Rückeroberung des damals von Florenz abgefallenen Pisa, das nach Jahrhunderten politischer Selbständigkeit zu Beginn des 15. Jahrhunderts unter Florentiner Oberherrschaft geraten war. Die anfänglichen Versuche, Pisa mit Hilfe von Söldnern, die in Italien am Ende des 15. Jahrhunderts in großer Zahl zur Verfügung standen, zurückzuerobern, hatten keinen Erfolg: Die angeworbenen Truppen kosteten Geld, unternahmen jedoch keine ernstliche Anstrengung, Pisa zu erstürmen. So geriet Florenz immer mehr in eine schwere Finanzkrise, ohne daß den immensen Ausgaben irgendeine Gegenleistung gegenübergestanden hätte – ein Problem, das sich über kurz oder lang zu einer schwerwiegenden Bedrohung der bestehenden politischen Ordnung in Florenz auswachsen mußte. In dieser Situation entwickelte Machiavelli den Plan, im Florentiner Gebiet eine Miliz auszuheben, sie nach römischem Vorbild zu exerzieren und mit ihr Pisa zu erobern. Gegen erheblichen inneren Widerstand gelang es Machiavelli schließlich, seinen Plan in den Grundzügen zu realisieren; im Sommer 1509 mußte Pisa dann kapitulieren. Machiavelli stand auf dem Zenit seiner politischen Karriere.[11]

Dem Gipfelpunkt folgte der Sturz. Im Verlaufe des Jahres 1512 hatte sich die politische Lage für die Republik Florenz dramatisch verschlechtert: Frankreich, der Hauptverbündete der Republik, war militärisch in schwere Bedrängnis geraten, die Florentiner hatten verabsäumt, sich bei Spanien politisch rückzuversichern, und so gelang es den seit achtzehn Jahren aus Florenz verbannten Medici, spanische Hilfe für ihren Plan zu erlangen, die Republik zu stürzen und die Stadt erneut unter ihre Herrschaft zu bringen. Vor den anrückenden spanischen Truppen versagte die Miliz, und im Spätsommer 1512 mußte Florenz kapitulieren. Der Gonfaloniere Soderini floh, Machiavelli wurde seiner Ämter enthoben und, nachdem er unter den – falschen – Verdacht geraten war, an einer Verschwörung gegen die Medici beteiligt zu sein, aus der Stadt verbannt.

Die politischen Schriften

Es war die Verbannung, die erzwungene politische Untätigkeit, die Machiavelli zum politischen Autor werden ließ. In seinem Landgut Sant’ Andrea in Percussina nahe Florenz entstanden die Discorsi und der Principe, jene beiden Bücher, die Machiavelli berühmt gemacht haben. Schreiben wurde für Machiavelli zum Ersatzhandeln. Von den Schalthebeln der Macht entfernt, trieb er nunmehr Politik, indem er seine Erfahrungen, die er als Florentiner Staatssekretär gemacht hatte, anhand der Schriften römischer Historiker überprüfte und nach Möglichkeiten der Verallgemeinerung suchte, um daraus Ratschläge und Handlungsanweisungen für die Politik abzuleiten. Neben dem Principe und den Discorsi sind als drittes großes Werk Machiavellis die Istorie Florentine zu nennen, seine Geschichte von Florenz, an der er zwischen 1520 und 1525 im Auftrag von Kardinal Giulio de’Medici, dem späteren Papst Clemens VII., gearbeitet hat. Sind die Discorsi vor allem Polybios und Livius verpflichtet, den Historikern des Aufstiegs der römischen Republik, so ist die Geschichte von Florenz stärker durch Thukydides und Sallust beeinflußt, den Historikern des Niedergangs und des Verfalls.[12] Schon durch die Wahl seiner historischen Vorbilder hat Machiavelli den Stadtgeschichten des Leonardo Bruni (Historiarum Florentinarum libri XII) und des Poggio Bracciolini (Historiarum Florentini Populi libri VIII) widersprochen, die ihre optimistischen Darstellungen der Geschichte von Florenz vor allem auf der kulturellen Blüte der Stadt begründet hatten. Kulturelle Blüte, so dagegen Machiavellis wiederholt geäußerte Überzeugung, sei kein Indiz des Aufstiegs, sondern ein Zeichen drohenden politischen Niedergangs: »Es haben daher die Klugen beobachtet«, schreibt er in der Geschichte von Florenz (abgedruckt S. 318), »daß die Wissenschaften nach den Waffen kommen und daß in den Ländern und Republiken die Feldherrn vor den Philosophen entstehen. Wenn gute, geordnete Waffen Siege erzeugt haben und die Siege Ruhm, so kann die Kraft kriegerischer Gemüter durch keinen ehrenvolleren Müßiggang verdorben werden als durch den der Wissenschaften.«

Machiavellis Distanzierung von einer Geschichtsschreibung, welche die Entwicklung von Literatur und Philosophie, Kunst und Musik zum Gradmesser des politischen Aufstiegs macht, ist zugleich eine Distanzierung gegenüber einer der wichtigsten propagandistischen Parolen der Medici: daß nämlich in der Zeit ihrer Regierung, insbesondere in der des Lorenzo de’Medici, Florenz eine beispiellose kulturelle Blüte erlebt habe, die sich nunmehr mit einer neuerlichen Stabilisierung der Medici-Herrschaft wiederholen könne. Einer solchen Legitimation von Herrschaft ist Machiavelli energisch entgegengetreten, indem er kulturellen Glanz als Indikator politischen Niedergangs bezeichnet hat. Machiavellis kritische Distanz gegenüber allen Versuchen der Desavouierung republikanischer Selbstregierung durch den Verweis auf die eher unter despotischer, zumindest jedoch autoritärer Regierung mögliche kulturelle Blüte ist ein deutlicher Hinweis darauf, daß er, auch wenn er seine Geschichte von Florenz im Auftrag und Solde des Giulio de’Medici verfaßt hat, keineswegs zu einem politischen Parteigänger der Medici geworden und auch nicht gewillt war, seinem Auftraggeber nach dem Munde zu reden oder zu schreiben. Zugleich ist die kritische Beurteilung der kulturellen Entwicklung, gerade in der dezidierten Form, in der sie sich bei Machiavelli findet, eine Kritik an jenem Literaten-Humanismus, für den die Entfaltung des kulturellen Lebens Ziel und Zweck der Geschichte war. »Dies Jahrhundert«, so hatte Marsilio Ficino geschrieben, »ist ein Goldenes Zeitalter, das seinen Glanz über die so lange verdunkelten freien Künste ausstrahlt – über Grammatik, Dichtkunst und Beredsamkeit, Malerei, Baukunst und Bildhauerei, Musik und den Gesang zur alten orphischen Lyra, die alle in Florenz in Blüte stehen.« Das war aus dem Munde Ficinos auch eine Ovation an die Medici, deren Regierung solch ein Goldenes Zeitalter möglich gemacht hatte. Für Ficino stand dabei ganz außer Frage, daß die Politik der Kultur zu dienen hatte, denn allein im kulturellen, nicht im politischen Leben konnte der Mensch seine wahre Erfüllung finden. Demgemäß auch hat Ficino Lorenzo de’Medici ermahnt, nicht so viel Zeit auf die Staatsgeschäfte zu verwenden: »Stelle bitte den eitlen Sorgen, den überflüssigen Spielen, den nicht notwendigen Staatsgeschäften das sokratische Wort entgegen: Geht weg, ihr verrückten Feinde, geht weg, sobald wie möglich, ihr Übel meiner Seele! – Diese stehlen dich nämlich allmählich dir selbst.« Der Bürger-Humanismus, in dessen Tradition Machiavelli steht, hatte andere Wertungen: Die politische Gemeinschaft stand hier nicht im Dienste eines übergeordneten Zieles, sondern war, insofern sie eine auf Freiheit begründete Gemeinschaft war, selbst das höchste Ziel. Dieses Ziel nun, so der durchgängige Tenor in Machiavellis Geschichte von Florenz, war nicht zuletzt bedroht durch den Fortschritt von Kultur und Wissenschaft, zu dem Florenz in den letzten Jahrzehnten, ja Jahrhunderten, so entscheidend beigetragen hatte.[13]

Niccolò Machiavelli (1469–1527)Die Terracottabüste, die heute im Museum des Palazzo Vecchio in Florenz steht und von einem unbekannten Meister des 16. Jahrhunderts stammt, zeigt Machiavelli als einen alten Mann mit müden Zügen – vielleicht nicht unbedingt einen Gescheiterten, sicherlich aber einen Resignierten. Als republikanischer Politiker war Machiavelli 1512 bei der Rückkehr der Medici nach Florenz seiner Ämter enthoben worden, als politischer Theoretiker und Berater fand er – zu seinen Lebzeiten – wenig Beachtung und Resonanz: ein gescheiterter Politiker, bestenfalls ein politisierender Intellektueller, dessen Hinweise und Ratschläge, wie er meinte, ungehört blieben: »Die Neutralität«, schrieb er an Vettori, »die ich von vielen billigen zu hören glaube, kann mir nicht gefallen. Ich erinnere mich nicht, daß sie weder in den Begebenheiten, die ich gesehen, noch in denen, die ich gelesen habe, jemals gut gewesen wäre, vielmehr ist sie immer verderblich gewesen, weil man gewiß verliert.« Als Papst Clemens einige Jahre später im Sinne dieses Vorschlags seine Neutralitätspolitik aufgab und gegen Karl V. Partei ergriff, wurde Rom durch deutsche Landsknechte und spanische Tercios erobert und geplündert. – Wenige Wochen später ist Machiavelli gestorben, sicherlich auch an den Folgen dieser neuerlichen Enttäuschungen.

Es ist diese beständige Bedrohung des politischen Gemeinwesens durch Niedergang und Verfall, die sämtliche politischen Schriften Machiavellis wie ein roter Faden durchzieht: in den Discorsi, die als Kommentar zu den ersten zehn Büchern der römischen Geschichte des Titus Livius angelegt sind, durch die immer wiederkehrende Frage, auf welche Weise und mit welchen Mitteln es den Römern gelungen sei, dem Niedergang ihrer Stadt, der doch mit quasi naturgesetzlicher Notwendigkeit drohte, so lange zu entgehen, und im Principe in der variierten Forderung, der neue Fürst müsse, solange er sich auf Fortunas Glücksrad noch in der Aufwärtsbewegung befinde, sich von der Gunst der Fortuna unabhängig machen, damit er nicht in den Abgrund mitgerissen werde, wenn das Rad seinen höchsten Punkt erreicht habe und jede weitere Drehung zur Abwärtsbewegung werde. In den Discorsi hat Machiavelli vor allem auf die Idee einer moralischen Erneuerung gesetzt, auf die Wiederherstellung der ursprünglichen virtù eines Volkes durch die Rückführung seiner politischen Ordnung zu den Anfängen, und er hat diese generelle Forderung ergänzt durch die Feststellung, es sei gerade der – in Grenzen ausgetragene – innere Konflikt zwischen Adel und Volk in Rom gewesen, der die Stadt vor dem Niedergang bewahrte, indem er zur Regeneration in Permanenz zwang. Man kann diese Überlegungen Machiavellis interpretieren als frühe Vorläuferschaft einer pluralistischen Parteientheorie.

Man wird Machiavellis politische Theorie und die aus ihr abgeleiteten Ratschläge zu politischem Handeln nur dann wirklich begreifen können, wenn man sich zunächst auf Machiavellis Geschichtstheorie einläßt, derzufolge der Fluß der Zeit nicht das Medium des Fortschritts, der Evolution, der Aufwärtsentwicklung ist, sondern das von Verfall und Niedergang, von Zerstörung und Korruption. Politisches Handeln, so Machiavelli, kann sich also nicht darauf verlassen, der Fortgang der Geschichte werde dem angestrebten Ziele näherführen, sondern Zeit und Geschichte stehen fast immer im Gegensatz zu dem angestrebten Ziel. Es macht die Schärfe und Unerbittlichkeit vieler von Machiavellis politischen Ratschlägen aus, daß sie von der Geschichte keine Rückendeckung erwarten, sondern ihr frontal gegenübertreten. So ist in Machiavellis Sicht Reform nicht zu verstehen als Fortentwicklung, als Anpassung an veränderte, neue Zustände, sondern sie bedeutet – etymologisch übrigens korrekt – schlichtweg Rückführung zu Früherem, Wiederherstellung dessen, was ursprünglich gewesen ist. Politisches Handeln ist für Machiavelli darum zumeist gleichbedeutend mit dem Anhalten, zumindest Verlangsamen des Verlaufs der Zeit, und nur selten läuft für Machiavelli Politik auf eine Beschleunigung des Zeitlaufs hinaus. Gleichwohl ist sich Machiavelli darüber im klaren gewesen, daß es Situationen gab, in denen eine Rückführung zu den Anfängen nicht mehr möglich, ein Anhalten oder Verlangsamen der Geschichte nicht mehr sinnvoll war, weil dies nur auf eine Perpetuierung der Krise hinausgelaufen wäre. Machiavelli war – und darin zeigt sich der politische Praktiker, der er auch in der Rolle eines Theoretikers der Politik geblieben ist – flexibel genug, für diesen Fall nicht auf der Einhaltung einer in anderen Fällen wohl erfolgversprechenden, hier aber wenig aussichtsreichen Rezeptur zu bestehen. Hatten die politischen Verhältnisse erst einmal einen bestimmten Tiefpunkt erreicht oder war dieser zumindest absehbar, so forderte Machiavelli die Akzelerierung der Geschichte. Exakt diese Aufgabe hat er in seinem Principe dem neuen Fürsten zugedacht: Mit allen nur denkbaren Mitteln sollte er dafür Sorge tragen, daß die Krise so schnell wie möglich durchschritten werde, damit das Gemeinwesen einen neuerlichen Aufstieg nehmen könne. Dabei sind dem neuen Fürsten nahezu alle Mittel erlaubt: Er darf, wie einst Romulus, alle mißliebigen Konkurrenten aus dem Wege räumen, selbst wenn es sich dabei um den eigenen Bruder handelt, er darf lügen und sich verstellen, betrügen und notfalls sogar töten, aber dies alles nur in dem Maße, wie es der Erhaltung und Stabilisierung des neuen Staates zuträglich ist. Eines freilich darf der Fürst nicht: Er darf keine hereditäre Alleinherrschaft begründen, sondern soll spätestens mit seinem Tode die Herrschaft in die Hände des Volkes zurückgehen lassen, weil allein eine Republik in der Lage ist, auf Dauer nicht nur politische Freiheit zu sichern, sondern auch die Stabilität des Gemeinwesens zu garantieren.

Es ist dieser geschichtstheoretische Rahmen, der den Zusammenhang und die innere Stimmigkeit scheinbar widersprüchlicher Ratschläge und Empfehlungen Machiavellis sicherstellt. Nach Maßgabe dieser Geschichtstheorie hat Machiavelli Politik unter bemerkenswert technizistischen Gesichtspunkten analysiert: Mehr als moralisch verwerfliches hat er politisch ineffizientes oder gar falsches Handeln kritisiert und verurteilt, und man kann ihn mit einem gewissen Recht als den geistigen Vater jenes Satzes bezeichnen, wonach Irrtum und Versehen die der Politik eigentümliche Form des Verbrechens seien. Doch diese technizistische Analyse der Politik ist für Machiavelli nicht das letzte Wort seiner Politikbetrachtung, sondern eher deren Ausgangspunkt: Ziel ist und bleibt immer die Erhaltung, Stabilisierung und womöglich sogar Vergrößerung des Gemeinwesens, dem ein Politiker jeweils verpflichtet ist.

In all diesen Überlegungen ist Machiavelli eher ein traditioneller Politiktheoretiker und keineswegs der Vertreter einer grundsätzlich neuen Auffassung des Politischen. Mochte er auch die klassische Lehre von den vier Kardinaltugenden prudentia (Klugheit), iustitia (Gerechtigkeit), fortitudo (Seelenstärke) und temperantia (Mäßigung, Selbstbeherrschung) eigenwillig uminterpretiert haben, indem er politische Klugheit im Bilde eines Politikers veranschaulichte, der es gleichermaßen verstand, Löwe und Fuchs, stark und listig zu sein, indem er die Forderung nach Gerechtigkeit auf deren bloßen Anschein reduzierte und, nachdem er Seelenstärke erst einmal auf Stärke reduziert hatte, darunter vor allem die Aufstellung eigener Truppen verstand (Mäßigung war für ihn eine nur gelegentlich hilfreiche Tugend), so verblieb er doch weitgehend im Rahmen der traditionellen Fürstenspiegel, auch wenn er sie durch den Inhalt seiner Vorschläge und Forderungen eher persiflierte als fortsetzte.[14] Das grundsätzlich Neue an Machiavellis politischer Theorie ist dagegen seine prinzipielle Rechtfertigung einer technizistischen Politikbetrachtung sowie eine pessimistische Anthropologie, die bei ihm erstmals zu einer diesseitig begründeten Legitimation des Staates avancierte.

Der Technizismus seiner Politikanalyse zeigt sich nicht zuletzt in der Bedeutung, die Machiavelli den jeweiligen politischen, sozialen und ökonomischen Umständen beimißt, wenn bestimmt werden soll, welches Handeln das richtige ist. Was in dem einen Fall, so Machiavellis These, richtig war und zum Erfolg führte, kann in einem anderen Fall ganz falsch sein und einen Politiker mitsamt dem von ihm regierten Staat ins Verderben stürzen. Es kommt also darauf an, sich den jeweiligen Umständen möglichst gut anzupassen, um Erfolg zu haben. Machiavelli hat damit die Bedeutung, die moralische Normen mit universellem Gültigkeitsanspruch für sich in der Politik beanspruchen können, deutlich relativiert; statt dessen hat er gefordert, politisches Handeln müsse sich mehr als an allgemeinen Normen an den jeweiligen Umständen als Voraussetzung des Erfolgs orientieren. So wurde in seiner politischen Theorie die scholastische bzw. humanistische Ethik aufgelöst in eine Technik erfolgsorientierten, situationsbetonten politischen Handelns. Dieser Wandel findet seinen stilgeschichtlichen Ausdruck darin, daß an die Stelle der für die Fürstenspiegel charakteristischen deduktiven Ableitungen nunmehr die aphoristische Betrachtung politischer Situationen tritt, aufgebaut in knappen, zumeist antithetisch strukturierten Sentenzen. Gipfelten die humanistischen Traktate fast immer in einem Sowohl – Als auch, mit dem die Forderung begründet wurde, man solle zwischen den Extremen einen Mittelweg einschlagen, so enden Machiavellis aphoristisch-antithetische Argumentationen fast immer in einem schroffen Entweder – Oder. Machiavelli drängt auf Entscheidungen, und er stellt das humanistische Sowohl – Als auch unter den Verdacht, bloße Rationalisierung von Entscheidungsunfähigkeit zu sein. Eine Entscheidung, so der vielfach variierte Tenor von Machiavellis politischen Überlegungen, müsse getroffen werden, und der Versuch, dieser Entscheidung durch die Propagierung des Mittelweges zu entgehen, sei nur ein Aufschub, der fast immer ins Verderben führe, weil so der geeignete Augenblick des Handelns verpaßt werde. Es steht außer Frage, daß diese Politiktheorie in einem Kult der Entscheidung, einer Ästhetisierung der Dezision enden konnte, bei der dann die Frage, wofür und wogegen die Entscheidung getroffen wurde, nur noch von untergeordneter Bedeutung war angesichts der Forderung, daß überhaupt eine Entscheidung getroffen wurde. Bei Machiavelli selbst jedoch hat sich der Entscheidungsimperativ nicht zu einem Dezisionsästhetizismus steigern können, weil die Entscheidungen immer der Machiavellischen Leitidee der Erhaltung und Stabilisierung des Gemeinwesens untergeordnet blieben. An die Stelle der scholastischen oder humanistischen Ethik trat bei Machiavelli in letzter Instanz also nicht die Technizität des Politischen, sondern der Imperativ staatlicher Selbstbehauptung. Zwar taucht der Begriff der Staatsraison bei Machiavelli noch nicht explizit auf, doch ist die darin verbegrifflichte Überzeugung, daß die Erhaltung des Staates dessen oberstes Ziel zu sein habe und bei der Verfolgung dieses Zieles alle Mittel und Methoden nach Maßgabe ihrer Zweckmäßigkeit eingesetzt werden dürften, in Machiavellis Denken der Sache nach bereits erkennbar.