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Dr. Matthias Ennenbach gibt vielfältige und sehr konkrete Erfahrungen wider, die er in langen Jahren der buddhistischen Psychotherapie-Praxis gesammelt hat. Anschaulich und gut nachvollziehbar wird aufgezeigt, wie Menschen ihre schmerzlichen Probleme mithilfe der Buddhistischen Psychotherapie überwinden konnten. Dazu gehören konkrete Behandlungsmethoden für Ängste, Reizbarkeit, Depressionen, Trauer, Burnout, Süchte, Schmerzen, Schlafstörungen, psychosomatische Beschwerden, Essstörungen, spirituelle Krisen, Persönlichkeitsstörungen, Partnerschaftsprobleme, Co-Abhängigkeiten, Mobbing, Traumatisierungen, Isolation, Arbeitslosigkeit, Verlust und Tod und vieles mehr. Dieses Buch bietet erstmals die Möglichkeit, den therapeutischen Prozess innerhalb der Buddhistischen Psychotherapie Schritt für Schritt nachzuvollziehen und als Anleitung zur Selbsthilfe und zur professionellen Begleitung und Behandlung Hilfesuchender einzusetzen.
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Seitenzahl: 751
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Matthias Ennenbach
Konkrete Behandlungsmethodenund Anleitung zur Selbsthilfe
3. Auflage 2019
© 2012 Windpferd Verlagsgesellschaft mbH, Oberstdorf
Alle Rechte vorbehalten
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Buddhistische Psychotherapie BPT® ist eine eingetragene Marke
Umschlaggestaltung: KplusH, Agentur für Kommunikation und Design, CH-Amden
Bildquelle Cover: Tropfen: Shutterstock; Buddha: Gerhard Poschung
Illustrationen: Jennifer Jünemann – bitdifferent
Layout und Grafik: Marx Grafik und ArtWork
Lektorat: Sylvia Luetjohann
eISBN 978-3-86410-168-7
www.windpferd.de
Einleitung & Einstimmung
Teil I · Das Setting: Form und Inhalt der BPT
Kapitel 1 · Die Grundlagen
Kapitel 2 · Die ersten konkreten Schritte
Kapitel 3 · Die übergeordneten Ziele
Kapitel 4 · Der Behandlungsrahmen
Teil II · Die Behandlungsmethoden der BPT bei inneren unheilsamen Zuständen
Kapitel 5 · Die unbenannte Krankheit
Kapitel 6 · Unsere Ängste
Kapitel 7 · Unser Ärger
Kapitel 8 · Unsere Trauer und unsere Depressionen
Kapitel 9 · Unser Burnout
Kapitel 10 · Unsere Selbstwertprobleme
Kapitel 11 · Unsere Schmerzen
Kapitel 12 · Unsere Süchte
Kapitel 13 · Unsere Schlafstörungen
Kapitel 14 · Unsere psychosomatischen Beschwerden
Kapitel 15 · Unsere Essstörungen
Kapitel 16 · Unsere spirituellen Krisen, unser spiritueller Burnout
Kapitel 17 · Unsere Persönlichkeitsstörungen
Teil III · Die Behandlungsmethoden der BPT bei äußeren unheilsamen Zuständen
Kapitel 18 · Unsere Konflikte
Kapitel 19 · Unsere Probleme mit Partnerschaft und Sexualität
Kapitel 20 · Unsere Co-Abhängigkeiten
Kapitel 21 · Unser Mobbing
Kapitel 22 · Unsere Traumatisierungen
Kapitel 23 · Unsere Isolation und Einsamkeit
Kapitel 24 · Unser Verlust, Sterben und Tod
Kapitel 25 · Unsere Arbeitslosigkeit und materielle Not
Kapitel 26 · Unser Leben in einem reichen Land
Teil IV · Zusammenfügen und Intersein
Kapitel 27 · Innere und äußere Konflikte lösen und in die Befreiung treten
Anhang
Übungen bei unheilsamen inneren und äußeren Zuständen
Literatur
Über den Autor
Lange Einleitungen sind für die allermeisten von uns furchtbar. Wir wollen am liebsten den direkten Zugang, den schnellen Erfolg, möglichst sofort und einfach. Es gibt so vieles, was wir noch lesen und erfahren wollen. Die Informationsflut, der wir uns täglich stellen müssen, scheint manchmal übermächtig zu sein wie ein Tsunami, der auf uns zukommt. Viele von uns erleben einen sich stetig steigernden Druck und Zwang nach Effektivität und Geschwindigkeit. Auch wenn die Welle vielleicht jetzt in diesem Augenblick nicht so bedrohlich ist, fehlt es uns doch oft an Gelassenheit und Geduld. Beides wünschen wir uns so sehr, doch wie können wir uns diese Einstellung im Alltag erhalten?
Diese Empfindungen und Fragen kennen wir wohl alle. Sie zeigen uns, wie sehr wir unter Strom stehen. Der Stress von außen besteht spürbar, und leider setzen wir uns selbst auch noch zusätzlich unter Druck. Als Resultat davon nehmen wir dann die unterschiedlichsten Symptome und Beschwerden wahr.
Das vorliegende Buch lädt dazu ein, diese Abläufe etwas genauer zu betrachten. Wie wirken äußere Einflüsse auf uns, und wie können wir uns davon unabhängig oder zumindest unabhängiger machen? Warum reagieren wir in dieser Weise, und welche inneren Abläufe führen dann zu Problemen? Vielleicht haben wir schon verschiedene Selbsthilfe- und Heilmethoden ausprobiert, wie zum Beispiel Psychotherapie, Yoga, Meditation oder ein anderes Verfahren. Womöglich haben wir auch mit eigenen Plänen, Vorhaben und Änderungsversuchen experimentiert. Hierfür gibt es leider vielfältige Hindernisse, die wahrscheinlich auf den ersten Blick gar nicht so offensichtlich sein mögen, doch über kurz oder lang zu einer Blockade oder Stagnation führen können.
Dieses Praxisbuch liefert uns detaillierte und klar nachvollziehbare Einblicke in die relevanten Zusammenhänge. So können wir leicht erkennen, was uns blockiert und wie wir selbst eine Lösung dafür finden können. Für diese Herangehensweise nutzen wir die Erfahrungen aus der Buddhistischen Psychotherapie BPT, welche die Erkenntnisse aus den buddhistischen Lehren, Übungen und Praxisanweisungen, den Neurowissenschaften, der Psychotherapie, der Psychologie und anderen Wissenschaften nutzbar macht. Dabei gehen wir der Frage nach, wie wir heilsame Gedanken und Vorhaben möglichst leicht und erfolgreich in die Tat umsetzen und noch nicht genutzte Ressourcen aktivieren können. Die BPT sucht nämlich nicht nur Probleme zu bewältigen, sondern insbesondere auch das menschliche Potential zu fördern.
Das vorliegende Buch, dessen Fokus auf der Praxis liegt, bietet einen Überblick darüber, welche Wissensinhalte für unsere Fähigkeiten zur Problemlösung und für unsere Weiterentwicklung bedeutsam sein können. Es rundet damit die wichtigsten Wissensbereiche ab, die auch Themen des Buches Buddhistische Psychotherapie waren. Dann folgt der eigentliche Schwerpunkt dieses Buches, nämlich die Schilderung von sehr häufig auftretenden Problemen und die Beschreibung zur Umsetzung konkreter praktischer Hilfsmaßnahmen. Darin spiegeln sich die konkreten Erfahrungswerte wider, die sich aus langen Jahren der Praxis mit der Buddhistischen Psychotherapie BPT ergeben haben. Wir werden anschaulich und nachvollziehbar erfahren, wie Menschen ihre Ängste und Depressionen, ihre Trauer und ihr Gefühl eines Burnouts lindern und auflösen konnten. Neben der Verarbeitung dieser und anderer unheilsamer innerer Zustände befassen wir uns auch mit unterschiedlichen äußeren Konflikten und Problemen, wie zum Beispiel mit den Themen Partnerschaft, Mobbing, Arbeitslosigkeit, Isolation und Verlust. Dabei besteht die Möglichkeit, detaillierte Einblicke in den therapeutischen Prozess innerhalb der BPT zu erhalten und die konkreten Schritte nachzuvollziehen, die uns in die Befreiung führen. Zu diesem Zweck werden wir in diesem Praxisbuch die notwendigen Maßnahmen, Übungen und Praxisanleitungen zur Milderung und Auflösung von unheilsamen inneren und äußeren Problemen finden.
Wahrscheinlich haben wir uns schon oft gefragt, wie wir von der Theorie in die Praxis gelangen können. Das scheint für viele von uns eine sehr wesentliche Frage zu sein, da wir in der Regel über ein recht gutes Wissen darüber verfügen, was wir eigentlich tun und was wir lassen sollten; doch es gibt dann immer wieder die vielen „guten“ Gründe, die uns daran hindern.
Dieses Praxisbuch versucht ein scheinbares Paradox zu lösen: nämlich eine Anleitung für etwas zu sein, das Buddhisten mit „Verlöschen“ oder „Verwehen“ meinen, wenn sie den Begriff Nirvana verwenden. Sie wollen sich gewissermaßen auflösen, was heißt: befreien.
Auf diesem Weg bereitet uns natürlich unser Ego meist größere Probleme. Könnte das etwa bedeuten, dass wir uns in der Buddhistischen Psychotherapie BPT im Hinblick auf das Ego eher auf einen Abbauals auf einen Aufbauprozess einstellen müssen? Für Buddhisten wie für westliche Psychotherapeuten nimmt das Ego eine Schlüsselstellung ein, doch während viele Psychologen das Ego zu stärken versuchen, scheinen Buddhisten den Abbau des Ego zu praktizieren. Da hier noch viele Missverständnisse existieren, werden wir uns in diesem Buch auch mit einigen solcher scheinbaren Widersprüche beschäftigen.
Ein weiterer, oft erlebter Widerspruch besteht zum Beispiel in dem Appell, uns zu bemühen und uns auf den Weg zu machen, uns zu ändern, wobei wir gleichzeitig realisieren, dass wir das Ziel bereits in uns tragen, dass es keinen Weg gibt, dass wir nicht mehr, sondern weniger oder gar nichts tun sollten, doch unbedingt das Richtige.
Dieses Phänomen scheinbarer Widersprüche kennen wir auch aus anderen Wissenschaften. Physiker nennen es Komplementarität. Es bezeichnet die Einheit aus zwei völlig entgegengesetzten und zum Teil sogar unvereinbaren Polen. Die Erkenntnis, dass zum Beispiel ein Atomteilchen sowohl die Eigenschaften und das Verhalten von Masse und zugleich von Energie besitzt, hat die Wissenschaftler lange verstört. Es ist entweder Energie oder Materie, aber beides gleichzeitig schien völlig absurd zu sein. Kann ein Gegenstand gleichzeitig heiß und kalt sein? Eigentlich nicht. Und doch ist es für uns sehr lohnenswert, diese Gegebenheiten genauer zu ergründen, wenn wir uns zum Beispiel auf einen Weg machen sollen, dessen Ziel bereits in uns vorhanden ist. Wir realisieren die Parallelität der Notwendigkeiten, uns einerseits auf unserem Weg zu bemühen und uns andererseits ganz im Hier und Jetzt zu verankern und alles zu stoppen: Nicht-Tun und Bemühen. Es gibt keinen Weg, doch wir müssen ihn gehen. Wir werden in diesem Buch noch genauer erfahren, wie wir diese Weisheit zu unserer Grundhaltung machen können, und gleichzeitig lernen, die vielen konkreten Handlungsanweisungen und Verantwortlichkeiten umzusetzen.
In der BPT existiert die klare Vorstellung, dass wir alle betroffen sind. Wenn wir akut leiden, besteht zwar ein noch dringenderer Handlungsbedarf, doch auch wenn es uns momentan recht gut geht oder gut zu gehen scheint, haben wir ebenfalls einen Weg vor uns, den wir für unsere persönliche Weiterentwicklung dringend nutzen sollten.
Zweifellos ist der persönliche und insbesondere auch der spirituelle Weg eines Menschen immer individuell und einzigartig. Daher könnte es auch eine ziemlich irrsinnige Idee sein, ein Buch über solche Prozesse schreiben zu wollen, die sich eigentlich jeder exakten Beschreibung entziehen. Da wir jedoch sowohl einzigartig sind, wie unsere DNS oder unsere Fingerabdrücke, aber gleichzeitig als Menschen auch sehr ähnlich funktionieren, viele gemeinsame Merkmale und Bedürfnisse aufweisen, ist es durchaus möglich, Prinzipien zu beschreiben, die für uns alle gültig und wirksam sind. Das wird sogar noch deutlicher, wenn wir durch die über 2000 Jahre alten buddhistischen Texte erkennen, dass die damaligen Menschen auch über viele Generationen hinweg und in einem völlig anderen Kulturkreis mit sehr ähnlichen Problemen zu kämpfen hatten wie wir modernen Zivilisationsmenschen. Schon damals, über 2000 Jahre vor Sigmund Freud, war Buddhisten bekannt, dass wir Menschen sehr unbewusst reagieren, dass wir uns oft an Widerständen aufreiben und in Begehrlichkeiten verstricken. Genau wie damals wollen sich auch heute Menschen von inneren und äußeren Zwängen befreien und suchen dafür entsprechende Hilfen. Dieses Wissen hat unserer Kultur lange als eine wichtige Quelle der Erkenntnis gedient. Heute scheint es sehr lohnenswert, diese Quelle noch gezielter zu nutzen und natürlich auch zu würdigen.
Der buddhistische Weg bedeutet eine Verknüpfung von Lehre und Praxis. Neben der Vermittlung der buddhistischen Lehre, der Wissensinhalte der Buddhistischen Psychotherapie BPT und der Heranführung an die Übungen werden vor allem auch die konkreten Vorgehensweisen bei den verschiedensten inneren und äußeren Problemen transparent gemacht und hoffentlich auch solche Fragen beantwortet wie: Worin besteht der Beistand der BPT? Was ist konkret zu tun, wenn wir uns zum Beispiel von unseren Ängsten, unserer Wut, unserer Trauer, von Sorgen, Burnout, Trennungsschmerz, Kummer, Problemen mit Mobbing, Süchten oder psychosomatischen Beschwerden befreien wollen? Können wir uns vorstellen, dass es möglich sein soll, tatsächlich grundlegende Konflikte aufzulösen? Ist es denkbar, unsere Ängste, den Ärger und die Trauer wirklich zu überwinden? Zur Beantwortung dieser Fragen werden uns die buddhistischen Lehren sowie die Praxisübungen des Buddhismus und der Buddhistischen Psychotherapie BPT wichtige Hinweise liefern können.
Viele Psychotherapeuten, auch viele andere Behandler und sonstige Interessierte erkennen in der Zusammenführung von Buddhismus und Psychotherapie eine sehr heilsame und wirkungsvolle ganzheitliche Behandlungsform. Bereits seit vielen Jahren arbeiten zahllose Behandler mit einem buddhistischen oder anderen spirituellen Hintergrund. Ihre dadurch gewonnenen Erfahrungswerte sind für Hilfe suchende Menschen sehr kostbar.
In dem Buch Buddhistische Psychotherapie wurden die Konzepte einer solchen Synthese aus Buddhismus und Psychotherapie strukturiert dargestellt und die wesentlichen theoretischen und zum Teil auch schon die praktischen Methoden der Buddhistischen Psychotherapie BPT in 22 Grundlagen zusammengefasst vorgestellt. Dieser letzte Aspekt der praktischen Methoden wird hier nun vertieft und konzentriert dargestellt. Aufgrund der interessanten Diskussionen, die das erste Buch Buddhistische Psychotherapie auslöste, und der häufigen Fragen nach den konkreten Möglichkeiten der Umsetzung sowie auch der Fragen, wie dieser Ansatz möglichst gut vermittelbar sei, ist dieses Praxisbuch entstanden.
Wir werden die verschiedenen Methoden der Vermittlung, insbesondere aber die Praxis- und Übungsmethoden unter die Lupe nehmen und mit vielen Beispielen angereichert darstellen. Auf diese Weise werden wir uns einigen wichtigen Fragen annähern: Wie können wir Menschen, die noch wenig Zugang zur Psychotherapie und auch kaum Kenntnisse über den Buddhismus haben, diese Behandlungsform näherbringen? Welche konkreten Übungen haben sich als besonders hilfreich erwiesen? Wir werden uns auch detaillierter anschauen, wie wir Menschen mit spezifischen Problemen ganz konkrete Hilfsmaßnahmen aus der BPT anbieten können.
Man kann vom Buddhismus vieles lernen,auch ohne Buddhist zu sein.
– DALAI LAMA XIV. –
Die Menschen, die in die Buddhistische Psychotherapie BPT kommen, sind ebenso vielfältig wie ihre Sorgen und Nöte. Vielleicht sollten wir uns darauf besinnen, dass Buddha seine Lehren zwar auch Adligen, Beamten und gut gebildeten Soldaten näherbringen konnte, doch ebenso den einfachen Arbeitern, Hirten und Tagelöhnern. Von den buddhistischen Lehren und Praxisübungen fühlen sich die unterschiedlichsten Menschen angesprochen, hier scheint etwas Universelles und für alle Zutreffendes angeregt und aktiviert zu werden. Im Laufe der Jahre kamen Menschen aus den unterschiedlichsten Regionen der Welt in die BPT: deutschstämmige Menschen aus verschiedenen Bundesländern, Menschen, deren Wurzeln in anderen europäischen Ländern liegen, und auch Menschen aus Nordafrika und mehreren russischen Regionen. Dementsprechend kommen hier Menschen zusammen, die einen sehr unterschiedlichen kulturellen und religiösen Hintergrund mitbringen.
Die Interessierten erkennen recht schnell, dass die Buddhistische Psychotherapie BPT keine Religion zu vermitteln sucht oder gar missionarischen Eifer entwickelt. Ein Aspekt, der von den Menschen, wenn sie die BPT kennenlernen, als sehr angenehm empfunden wird, ist der verbindende Gedanke, das Erkennen und insbesondere das Erfahren der Verbundenheit miteinander. Die Erfahrung, dass trotz der großen Unterschiede, die an der Oberfläche durchaus existieren, gewissermaßen darunter- oder darüberliegend sehr viele Gemeinsamkeiten zwischen uns Menschen bestehen, zeigt erfahrungsgemäß schon eine heilsame Wirkung. Wir erkennen schnell, dass wir alle immer wieder leiden, dass wir alle oft ärgerlich, ängstlich oder traurig werden und dass wir ebenso alle danach streben, nicht mehr zu leiden und ein glückliches Leben zu führen.
Über viele Jahre hinweg hat sich die Erfahrung bestätigt, dass nicht die jeweilige Problematik – also die Themen und das Ausmaß der psychischen, sozialen und psychosomatischen Beschwerden – entscheidend ist. Es ist auch nicht von wesentlicher Bedeutung, mit welchem persönlichen Hintergrund, wie zum Beispiel Bildung, Sozialstatus, Beruf, Religionszugehörigkeit, Familienstand, Alter oder Geschlecht, Menschen in die buddhistische Psychotherapie kommen. Es ist immer wieder spannend zu erleben, wie schnell interessierte Menschen einen guten Zugang dazu finden. Daher können wir jeden Interessierten in der BPT willkommen heißen. Das entscheidende Kriterium ist die individuelle Motivation. Die BPT ist eigentlich fast jedem zu empfehlen, nur der Nutzen daraus misst sich an dem, was jeder selbst einzusetzen bereit ist. Anders als bei vielen Therapieformen beinhaltet das Konzept nicht nur ein Einzelgespräch pro Woche. Unser Behandlungs-Setting sieht neben diesem Einzelgespräch pro Woche auch ein bis zwei Gruppensitzungen vor, zum Beispiel Gesprächs- und Meditationsgruppen. Des Weiteren werden neben der täglichen Meditation noch zusätzlich individuelle Übungen zusammengestellt, die der Hilfesuchende regelmäßig, oft mehrmals täglich, ausführen sollte. Je nach Hintergrund werden Texte besprochen oder als Literaturtipp zum Selbststudium gegeben.
Es lassen sich hier zwei große Gruppen von Enttäuschungen benennen: Bei der ersten Gruppe handelt es sich hoffentlich um zahlreiche Ent-Täuschungen. Wenn wir uns mit der buddhistischen Lehre und den Inhalten der BPT beschäftigen, sie im Dialog mit den Therapeuten ergründen, dann werden wir eine Vielzahl von Täuschungen und Selbsttäuschungen feststellen müssen. Ein großer Schwerpunkt bei der Herangehensweise beinhaltet die Befreiung von Täuschungen. Wir werden darauf noch näher eingehen.
Die zweite Gruppe der Enttäuschungen betrifft die Abgleichung zwischen den Erwartungen und der pragmatischen Realität. Nicht wenige Hilfesuchende kommen zur BPT mit sehr hohen Erwartungen und entweder der mehr oder weniger bewussten Vorstellung von einer schnellen buddhistischen Blitzheilung oder der Vorstellung, dass die buddhistischen Übungen etwas Magisch-Wirksames mit ihnen machen.
Ich habe euch den Weg gezeigt, der zur Befreiung führt,doch ihr müsst erkennen,dass die Befreiung selbst nur von euch abhängt.
– BUDDHA –
Im sich anschließenden Teil I des Buches werden die Rahmenbedingungen der BPT und die Übungsaspekte beschrieben, zu denen die Hilfesuchenden eingeladen werden. Da diese relativ umfangreich ausfallen, wird jedem neuen Teilnehmer schnell klar, dass es keine Abkürzungen gibt. Es gilt also, ein geduldiges Training umzusetzen.
Wer sich mit Kindern beschäftigt, die zum Beispiel anfangen, lesen zu lernen, der merkt, wie mühsam es sein kann, sich neue Inhalte anzueignen. Wahrscheinlich werden wir in solchen Situationen feststellen können, dass wir uns an diesen Aneignungsprozess nur noch wenig erinnern. Wenn wir eine Fähigkeit erlernt haben, erscheint sie uns spielerisch einfach, doch der Weg dorthin kann durchaus etwas Geduld und insbesondere regelmäßige Übung verlangen.
Die Loslösung vom Leid erfordert bewusste Anstrengung.
– DALAI LAMA XIV. –
Was tun Buddhisten eigentlich konkret, wenn sich unheilsame Emotionen regen? Werden Buddhisten überhaupt noch wütend, traurig, ängstlich, oder verfallen sie eventuell gar nicht mehr in Depressionen, in Sehnsüchte oder den Zwang zu Grübeleien? Schaffen sie es wirklich, sich zu befreien? Gelingen alle ihre Beziehungen? Wie viel ist Mythos und Legende und wie viel ist tatsächlich Realität?
An dieser Stelle soll unterstrichen werden, dass wir uns in diesem Buch mit unserem Leben als Laien, also außerhalb von Klöstern, als Nicht-Mönche und Nicht-Nonnen, beschäftigen. Was tun buddhistische Laien konkret, wenn sie Wut, Trauer oder Angst verspüren? Wie sieht ein wütender, trauriger oder ängstlicher Buddhist aus? Wir werden uns einige hilfreiche Strategien „abschauen“, analysieren und konkrete Übungsanleitungen kennenlernen.
In dem Buch Buddhistische Psychotherapie wurden umfassend alle wesentlichen Aspekte der BPT beschrieben, deren Form und Inhalt sowie alle dazu nötigen buddhistischen Lehren. Das Nachfolgebuch Befreit – Verbunden thematisierte die Möglichkeit, als Liebespaar nach den buddhistischen Lehren zu leben und sich mit gegenseitiger Unterstützung zu befreien. Das vorliegende Buch konzentriert sich auf unsere verschiedenen inneren und äußeren Probleme und bietet konkrete Selbsthilfe, Handlungs- und Behandlungsmöglichkeiten.
Die Unterscheidung zwischen inneren Problemen, wie zum Beispiel Ängste und Depressionen, und äußeren Problemen, wie zum Beispiel Arbeitslosigkeit oder Mobbing, dient lediglich der besseren Überschaubarkeit. Natürlich können wir eine Vielzahl unserer Probleme, wenn wir sie detaillierter betrachten, nicht mehr eindeutig nur äußeren oder nur inneren Ursachen zuordnen. Oftmals erleben wir Verstrickungen und ein teilweise undefinierbares Gemisch aus Gefühlen, körperlichen Reaktionen und Symptomen, sozialen Konflikten und Problemen mit unserem Umfeld. Dabei ist häufig schwer festzustellen, ob zuerst die körperlichen, die psychischen oder die sozialen Probleme entstanden sind. Leide ich zum Beispiel, weil ich in einer schwierigen Situation bin, oder trägt mein spezielles Verhalten dazu bei, dass die Situation so ist, wie sie ist? Erzeugt mein gestresster Körper die belastenden Emotionen oder ist es umgekehrt? Wir werden uns mit diesen Abläufen noch genauer beschäftigen und sie gewissermaßen in Zeitlupe und unter dem Mikroskop betrachten. Diese Analysen dienen allerdings nicht einer detektivischen Ursachenforschung oder gar Schuldzuweisung, sondern einer Erhellung der sich anschließenden heilsamen nächsten Schritte und Übungen.
Jedes der in diesem Praxisbuch bearbeiteten Themen stellt sicherlich ein eigenes kleines Universum an Details und persönlichen Besonderheiten dar, auf die wir hier nur mit eher allgemeingültigen Maßnahmen eingehen können. Die individuellen Aspekte können im Rahmen dieses Buches daher nur beispielhaft beschrieben werden. Sie finden ihren Platz im Behandlungsalltag der Therapeuten und Therapien.
Mit jedem der Themen Angst, Wut, Trauer, Depressionen, Burnout, Mobbing, Schmerzen, Süchte, um nur einige zu nennen, lassen sich viele Bücher füllen. Dementsprechend musste hier eine Auswahl getroffen werden, die einen Eindruck von der Herangehensweise und Umsetzung der Methoden der BPT vermittelt, doch keineswegs als erschöpfend und vollständig beschrieben werden kann.
Zusätzlich muss betont werden, dass die Milderung und Auflösung von Problemen zwar sehr wichtig ist, doch nur eine Facette der BPT darstellt. Die Möglichkeiten dieser Therapieform sind erheblich vielschichtiger. Der buddhistische Einfluss zeigt sich zum Beispiel darin, dass wir eben nicht nur Negatives mindern und auflösen, sondern aktiv auch das Heilsame fördern und stabilisieren möchten.
Eine konkrete Auswirkung dieses Konzeptes bedeutet, dass diese Behandlungsform nicht nur geeignet ist, wenn es uns schlecht geht, sondern sie kann auch oder vielleicht sogar gerade in einer momentan guten Phase sehr sinnvoll genutzt werden. Wir betreiben sozusagen Vorsorge und bemühen uns um Weiterentwicklung – hin zur Befreiung. Und diesen Weg können wir natürlich dann etwas leichter beschreiten, wenn unser Leidensgepäck nicht so schwer wiegt.
Wenn wir eine gute Prise Salz in ein kleines Glas mit Wasser geben, dann wird das ganze Wasser sofort seinen Geschmack ändern. Wenn wir die gleiche Menge Salz in einen Fluss geben, dann wird sich dadurch recht wenig ändern.
Diesem Bild folgend, versuchen wir aus unseren noch kleinen und oft eingeschlossenen, sehr unfreien und abhängigen Persönlichkeitsanteilen einen unabhängigeren und befreiteren Fluss zu machen. Diese Zusammenhänge sollten bedacht werden, wenn wir uns mit den konkreten Themen dieses Praxisbuches befassen. Das Ziel einer umfassenden Befreiung wird angestrebt und dazu durch die effektive Kombination aus buddhistischen und psychotherapeutischen Methoden angeregt.
Die kurz aufgelisteten verschiedenen Facetten der inneren und äußeren unheilsamen Zustände erscheinen auf den ersten Blick sehr unterschiedlich und scheinbar völlig unabhängig voneinander. Oder gibt es einen Zusammenhang zwischen Ärger, Süchten, Trennungen, unserem Umgang mit Zeitdruck, Mobbing oder Schmerzen?
Tatsächlich gibt es zwischen allen Themen dieses Buches eine Verbindung und einen gemeinsamen Nenner: unsere geistige Verfassung. Diese entscheidet hauptsächlich darüber, wie wir unsere Erlebnisse und Erfahrungen bewerten und interpretieren. Welche Bedeutung hat es, wenn es regnet? Ist dann alles grau und traurig, oder freuen wir uns, dass die Natur getränkt wird? Wenn ein Hund bellt, ist das ärgerlich, bedrohlich, putzig, natürlich oder einfach nur belanglos? Welche Bedeutung geben wir unseren störenden Körpersignalen, wie zum Beispiel Schmerzempfindungen? Wollen wir sie nur beseitigen, oder nutzen wir sie als wichtige Hinweise und Signale? Wieso bewerten wir die Welt genauso, wie wir es üblicherweise zu tun pflegen?
Wahrscheinlich gibt es mittlerweile bei uns schon feste Muster, nach denen wir uns, unsere Mitmenschen und unsere Umwelt gewissermaßen einrastern und nach festen Kategorien in Schubladen stecken. Jede Erfahrung wird sogleich festgelegt und häufig auf unheilsame Weise fixiert. Wir müssen diesen Prozess sehr achtsam einbremsen, da er sehr schnell und oft automatisiert nach alten Erfahrungsmustern und Bewertungsmaßstäben in uns abläuft. Ob wir wollen oder nicht, wir bewerten alles um uns herum in Sekundenbruchteilen und reagieren dann emotional darauf. Hier liegt eine große Quelle für unseren selbst gemachten Stress und Druck und auch für das Leiden anderer. Gleichzeitig sind hier auch oft nicht genutzte, heilsame Ressourcen vorhanden, denn die Macht unserer geistigen Qualitäten wird noch kaum ausreichend gewürdigt, sondern zum Beispiel im Rahmen der Placebo-Thematik abgewertet.
Der Umgang mit unseren emotionalen und verstandesorientierten Reaktionen und deren Einordnung ist für uns von besonderer Bedeutung. Während wir im Westen von einer relativ klaren, zumindest sprachlichen Trennung zwischen Verstand und Gefühl ausgehen, meinen die buddhistischen Texte, wenn sie von Geisteszuständen sprechen, eine Einheit aus Emotion und Verstand.
Unsere emotionalen Grunderfahrungen liefern uns leider oftmals keine eindeutigen, sondern sogar regelrecht unklare und falsche Bewertungsmaßstäbe: Beispielsweise hauen wir uns mit einem Hammer auf den Daumen und empfinden dabei natürlich heftige Schmerzen. Wir lernen also, dass Emotionen, wie zum Beispiel Schmerzen, reaktiv auftreten. Wir sind sozusagen das Opfer und erleiden verschiedene unangenehme Emotionen. Jemand schreit uns an und wir reagieren beispielsweise wütend, ängstlich oder traurig darauf. Der andere ist schuld daran, dass wir uns schlecht fühlen. So vieles ist in unserer Welt unsicher, doch unsere Emotionen äußern sich oft in Form von schnellen und deutlich spürbaren Reaktionen; das schafft ein trügerisches Gefühl der Sicherheit und wird häufig entscheidend für unser Unglück und Leiden.
Dieser Sachverhalt wird in vielen westlich orientierten Therapiemethoden anders gehandhabt als in der Buddhistischen Psychotherapie BPT. Während wahrscheinlich viele westlich ausgebildete Therapeuten und Therapeutinnen ihren Klienten vermitteln werden: Vertraue deinen Gefühlen, werden buddhistische Psychotherapeuten einen deutlich anderen Standpunkt vertreten. Unsere Emotionen sind, ebenso wie unsere Verstandestätigkeiten, häufig trügerisch und daher müssen wir uns diese oft unreflektiert ablaufenden Prozesse sehr genau anschauen.
Wir erleben zum Beispiel intensive Gefühle, wie Angst, weil ein großer Hund auf uns zugelaufen kommt, oder Wut, die in uns hochkocht, weil wir uns ungerecht behandelt fühlen, oder wir werden ungeduldig, weil jemand viel zu langsam mit dem Auto vor uns fährt. In solchen Situationen und bei vielen anderen Alltagserfahrungen sind wir uns zumeist sicher, dass unsere Gefühle von außen verursacht wurden. Wäre die Welt nur ein bisschen gerechter oder wären die Menschen nur aufmerksamer, solidarischer, cleverer, eben „bessere“ Menschen, dann hätten wir auch nicht den Ärger mit unseren unangenehmen Gefühlen. Mit dieser Thematik werden wir uns im Rahmen der Buddhistischen Psychotherapie BPT sehr detailliert und kritisch auseinandersetzen. Die von uns scheinbar konstatierte Einheit aus Emotionen und Verstandestätigkeiten ist nämlich keineswegs eine feste Einheit, sondern eine Art momentane Zusammenballung. Dieses Konstrukt wirkt zeitweise recht stabil, da sich unser Verstand sofort damit befasst, sich meistens damit identifiziert und dann gern recht lange damit beschäftigt. Ohne Geistestraining laufen diese spannenden inneren Prozesse schnell und unbewusst ab. Hier werden gewissermaßen die Ketten unserer Unfreiheit geschmiedet, und diese Mechanismen müssen von uns achtsam ergründet und transformiert werden.
Kann und darf ein anderer Mensch daran mitwirken und darüber entscheiden, ob unser Blutdruck drastisch ansteigt, unsere Magensäure schmerzhaft spürbar wird, unsere Muskeln sich verkrampfen, Adrenalin unseren Verstand einnebelt und aus uns wahlweise ein wütender Kampfhund, ein Trauerkloß oder ein Angsthase wird? Oder erlernen wir, wie wir uns die verschiedenen Situationen mit etwas mehr Distanz anschauen und selbstbewusst entscheiden, wie wir reagieren?
Die für uns bedeutsame Frage ist die nach unseren Einflussmöglichkeiten und den Überlegungen, wie wir uns inmitten emotionaler Verstrickungen und Abhängigkeiten befreien können. Das übergeordnete Ziel unserer gesamten Bemühungen besteht in unserer Befreiung. Wir befreien uns natürlich nicht von unseren Emotionen, sondern von unseren emotionalen Abhängigkeiten. Wir befreien uns also innerhalb oder inmitten unserer Emotionen, doch wir schneiden sie nicht ab.
Um diesen Weg gehen zu können, benötigen wir einige grundlegende Erklärungen. Wir werden daher erfahren, wie unsere Gefühle überhaupt entstehen und wie wir sie steuern, mäßigen, verändern und umwandeln können.
Ein zentraler Aspekt der buddhistischen Lehre und Praxis ist die Konzentration auf unsere Selbstverantwortlichkeit. Dies ist ein ganz entscheidender Punkt, denn schließlich wollen wir doch etwas Heilsames bewirken. Das bedeutet, dass wir unsere Selbstverantwortung und auch unsere Selbstwirksamkeit erkennen, verinnerlichen und verwirklichen.
Sicherlich benötigen wir viele schmerzliche Kreisläufe, bis wir erahnen und dann hoffentlich gewahr werden, dass wir für uns und unsere Emotionen selbst verantwortlich sind. Vorher heißt es noch: Ich fühle mich so schlecht – wegen meinem Freund, meiner Frau, meinem Chef, meinem Nachbarn, dem Wetter, der Gesellschaft oder einem anderen der vielen von außen kommenden Faktoren. Es ist ein manchmal bitteres, dann aber auch befreiendes Erkennen, das den Blick nach innen lenkt, unsere Sicht klärt und uns unsere Selbstverantwortung verdeutlicht.
Diese Thematik ist auch von Bedeutung, wenn wir Entscheidungen treffen müssen. Wir müssen, wir sollen und wir können uns sehr häufig entscheiden. Das wirft grundlegende Probleme auf. Welche Entscheidung ist bloß die richtige? Leider reagieren wir hier in der Regel zu schnell oder hadern und grübeln wenig effektiv, oftmals mit einem Gefühl der Hilflosigkeit oder Verwirrung. Nicht selten spüren wir eine emotionale Reaktion und geben ihr einfach nach. Jemand sagt etwas, das uns vielleicht verärgert; wir erleben mit dem Ärger auch körperliche Anspannungen und reagieren sofort. Entweder wir „explodieren“, zum Beispiel mit Gegenwehr, Schimpfen, Abwertungen oder Kampf, oder wir „implodieren“, ziehen uns beleidigt zurück, grübeln, haben Selbstzweifel und klagen uns selbst an. Die dann geführten inneren Monologe sind meist wenig hilfreich. Wir werden hier noch genauer betrachten, wie schnell wir uns zum Beispiel in einer Opfer- oder Kämpferrolle wiederfinden und uns dann selbst gefangen nehmen. Sicherlich gibt es auch viele Situationen, in denen wir eine schnelle und gute Lösung herbeiführen, doch es gibt auch ebenso viele Situationen, die uns vor eine schwere Wahl stellen – Situationen, in denen uns nicht sofort klar ist, was „das Richtige“ für uns und andere ist. Auch diese Entscheidungsprozesse werden wir uns in diesem Buch noch genauer anschauen.
Es gibt so viele äußere Verhaltensregeln, Gesetze und Verbote in unserer Gesellschaft, aber welchen inneren eigenen Regeln folgen wir eigentlich? Haben wir uns schon einmal damit auseinandergesetzt, was unsere eigenen Regeln sind? Oder leben wir vielleicht sehr stark nach den Regeln anderer Menschen? Im beruflichen Umfeld müssen wir uns meistens stärker den Regeln anderer anpassen als zum Beispiel im privaten Bereich. Oder richten wir uns auch hier nach den Regeln anderer? Verzichten wir oft „um des lieben Friedens willen“ auf unsere eigenen Belange zugunsten der Harmonie? Kurzfristig sorgen wir sicherlich für Ruhe und Zufriedenheit, zumindest bei unseren Mitmenschen, doch wie sieht es damit mittel- oder langfristig für uns selbst aus?
Hier müssen wir als achtsame Wesen einen Mittleren Weg finden. Natürlich ist es unser Ziel, unser Ego zu überwinden und uns selbst nicht mehr ganz so wichtig zu nehmen. Allerdings werden wir noch genauer darauf eingehen, wie wichtig es ist, erst einmal ein gutes Gefühl und Gespür für uns selbst zu entwickeln, bevor wir uns daran machen können, unser Ego zurückzunehmen beziehungsweise dessen wahren Charakter einer Hilfskonstruktion zu erkennen. Bis es aber so weit ist, kann es erst einmal recht wichtig sein, dass wir herausfinden, wo wir stehen, wie der Status quo aussieht, worin unsere eigenen Bedürfnisse bestehen und wie unsere eigenen Regeln aussehen können. Vielleicht können wir einmal einige konkrete Alltagsregeln für uns selbst formulieren. Es hat sich oft als sehr lohnenswert erwiesen, diese in Form einer Liste aufzuschreiben.
Doch vielleicht gibt es auch noch grundsätzlichere Regeln, die wir für uns formulieren können. Wollen oder können wir stehlen oder etwas nehmen, das uns nicht gegeben wurde? Nein? Was passiert, wenn uns die Verkäuferin zu viel Wechselgeld herausgibt? Stimmen die Angaben für das Finanzamt wirklich immer genau? Was wäre, wenn unsere Familie hungern müsste?
Wollen oder können wir lügen? Nein? Reden wir nie abfällig über andere? Keine kleinen oder mittelgroßen Notlügen? Wir müssen immer achtsam abwägen, welchen Motiven wir folgen. Vielleicht ist eine kleine Notlüge manchmal besser als die „reine Wahrheit“, um einen Menschen nicht zu verletzen, und wahrscheinlich kann sie ebenso angebracht sein, damit wir selbst nicht verletzt werden. Die Vermeidung von Lügen kann durchaus selbstsüchtig sein. Wir sprechen dann vielleicht eine brutale und verletzende Wahrheit aus. Nur deshalb, damit wir ein gutes Gefühl behalten, nehmen wir in Kauf, dass dafür womöglich jemand anders leidet. Sicherlich gibt es hier viele schwierige Gratwanderungen.
Wollen wir uns regelmäßig betäuben? Nein? Wie sieht denn unser Konsum von Nikotin, Alkohol, Beruhigungsmitteln, Haschisch, Kokain oder anderen Drogen aus? Gibt es eine andere Form von Konsum oder unheilsamen Gewohnheiten, die unseren Geist eintrüben?
Wollen oder können wir uns in Beziehungen so verhalten, dass niemand verletzt wird? Das Buch Befreit – Verbunden widmet sich ausführlich dieser Fragestellung.
Eine der grundsätzlichsten Fragen lautet: Wollen oder können wir töten? Nein? Aber leben wir vegetarisch? Wie reagieren wir, wenn wir oder unsere Familie massiv bedroht würden? Welchen Kriterien unterliegen Ausnahmen, die wir womöglich machen würden?
Die buddhistischen Lehren stellen uns direkt vor die Wahl: Folgen wir dem ewigen Rad des Leidens, den sich stetig wiederholenden Ärgernissen, Ängsten und der Trauer? Wollen wir wie ein Roboter nur vorgefertigte Reaktionen und alte Muster abspulen? Sollen andere Menschen darüber entscheiden, wie wir uns fühlen und wie wir reagieren? Oder wollen wir das alles nicht? Können wir selbst entscheiden, wie wir uns fühlen und wie wir uns verhalten? Können wir unsere Selbststeuerung verbessern? Mit genau diesen Themen, Herausforderungen und Aufgaben werden wir uns in diesem Praxisbuch befassen.
Diese Beschreibungen verdeutlichen, dass wir alle von diesen sich ständig wiederholenden Problemen betroffen sind und deshalb unausweichlich auch immer wieder leiden. In diesem Punkt unterscheiden sich buddhistische Sichtweisen recht deutlich von westlichen „Krankheitsphilosophien“ und sogenannten epidemiologischen Statistiken, die zu verdeutlichen suchen, dass lediglich ein gewisser Prozentsatz der Bevölkerung krank ist oder das Risiko aufweist, krank zu werden. Während also westliche Wissenschaftler die Menschheit in Kranke und Gesunde einteilen, verstehen Buddhisten die Menschheit als ein Ganzes: Es besteht für uns Menschen keine Chance, Leiden zu umgehen. Wir werden schmerzhaft geboren, werden unausweichlich krank, wir werden älter und gebrechlicher und wissen, dass wir sterben werden. Das Gleiche passiert mit denen, die wir lieben. Dazu kommen unzählige weitere Leidensfaktoren: Trennungen, Verluste, Unfälle, Kriege und eine unüberschaubare Vielzahl alltäglicher Probleme. Daher ist die Schlussfolgerung naheliegend, dass wir als Menschen unausweichlich immer wieder mit Problemen und sich daraus ergebendem Leiden konfrontiert werden. Dann können wir entweder stereotypen Leidensreaktionen und damit unseren alten Mustern folgen, oder wir entwickeln uns weiter, um aus den immer wieder gleichen Kreisläufen auszusteigen.
Wir werden bei den einzelnen Themen dieses Buches auch recht gut erkennen können, dass es keine klaren Zuweisungen von guten und schlechten Zuständen geben kann. Vorschnell meinen wir, dass es nur das scheinbar böse Problem gibt, das einfach nur beseitigt werden soll. Manchmal erkennen wir bei näherer Betrachtung aber auch „das Gute im Bösen“. Vielleicht können sich nach und nach schlechte Lebensphasen oder negative Situationen zu wichtigen Erfahrungen weiterentwickeln, wenn wir dies zulassen. Für unsere Weiterentwicklung können uns schmerzliche Leidenserfahrungen manchmal tatsächlich helfen, da diese in ihrer Intensität einfach nicht mehr von uns ignoriert werden können. In ihnen steckt eine unumgängliche Aufforderung, die wir bei geringfügigeren Leidenserfahrungen nur allzu oft zu übergehen versuchen. Es ist auch zu beachten, dass aus guten Erfahrungen, die wir unachtsam und vielleicht übermäßig handhaben, unheilsame Entwicklungen entstehen können.
Eine Vielzahl von unangenehmen körperlichen Symptomen kennen und deuten wir als „Sprache“ unseres Körpers (Soma). In diesem Zusammenhang können wir recht interessante Erfahrungen machen und Einblicke in das Miteinander von Psyche und Körper gewinnen. Beispielsweise stellen wir fest, dass unser Verstand uns auf der psychischen Seite manchmal sehr unter Druck setzt. Er funktioniert wie ein strenger Oberlehrer oder Chef, der uns anweist: „Erst muss dieses oder jenes noch erledigt werden, erst danach ist eine Pause zulässig. Los, ein bisschen geht noch. Erst die Arbeit, dann das Vergnügen!“
Unser Körper scheint da wesentlich „vernünftiger“ zu sein als unser Verstand. Er meldet uns ganz unabhängig von den Pflichten und Notwendigkeiten, dass eine Grenze erreicht oder sogar schon überschritten worden ist. Dafür stehen ihm sehr viele Warnzeichen zur Verfügung: die unterschiedlichsten Schmerzsignale oder auch starkes Schwitzen, Schlafstörungen, Herzklopfen, Magen-Darm-Probleme, Übelkeit, Schwindel, um nur einige zu nennen. Es sind Signale, die wir achtsam zur Kenntnis nehmen sollten.
Leider achten wir zu wenig und zu wenig feinfühlig auf diese Signale, denn in der Regel nehmen wir sie nur wahr, wenn der innere Pegel schon fast die 100-Prozent-Marke erreicht hat. Doch spüren wir auch, wenn der innere Pegel erst bei 50 oder nur bei 25 Prozent angekommen ist? Wenn wir mehr Achtsamkeit darauf verwenden würden, hätten wir wesentlich mehr Einflussmöglichkeiten, da unsere Handlungs- und Reaktionsmöglichkeiten bei einem 50-Prozent-Pegel natürlich deutlich vielfältiger sind als bei einem 100-Prozent-Pegel.
Die Inhalte dieses Buches konzentrieren sich zwar auf konkrete Maßnahmen beim Auftreten von spezifischen Problemen, doch trotzdem handelt es sich nicht um ein psychotherapeutisches Nachschlagewerk in Form einer simplen Reparaturanleitung. Anders als bei einer normalen Reparaturanleitung ist es hier unumgänglich, den Bauplan, die verschiedenen Funktionsweisen und die all diesen Abläufen zugrunde liegende Weisheit zu erforschen. Die Prinzipien des Erkennens und Verstehens sind ebenso wichtig wie die folgenden Schritte der Verinnerlichung und dann insbesondere auch der praktischen Umsetzung und Verwirklichung. Unter Einbeziehung dieser Notwendigkeiten werden wir in diesem Praxisbuch konkrete Maßnahmen zur Bewältigung der verschiedensten Problemsituationen formuliert und anschaulich beschrieben finden.
Wenn Ängste auftreten, wenn uns Depressionen quälen, wenn die Wurt hochkocht oder wir unseren unheilsamen Gewohnheiten ausgeliefert zu sein scheinen, benötigen wir alternative Strategien, um aus alten Leidensmustern aussteigen zu können. Ebenso werden unsere zwischenmenschlichen Konflikte und Abhängigkeiten unter die Lupe genommen und konkrete alternative Verhaltens- und Reaktionsmöglichkeiten beschrieben.
Neben den vielen großen Problemen gibt es natürlich noch unendlich viele weitere schmerzliche Problemkonstellationen. Erfreulicherweise können wir manches zusammenfassen und Übungen kennenlernen, die bei etlichen, auch sehr unterschiedlichen Problemen hilfreich für uns sein können. Allerdings werden wir hier keine „Zauberformeln“ finden, die uns magische Abkürzungen anbieten. Das Ziel ist eine Steigerung unserer eigenen Einflussmöglichkeiten und eine achtsame Selbststeuerung in Richtung Befreiung.
Für die praktische Arbeit besteht eine Vielzahl von guten Erfahrungswerten aus den buddhistischen Traditionen und der Behandlungspraxis der BPT, auf die wir zurückgreifen können. Wir müssen in der Behandlung und für unsere Heilung nicht jedes Mal „das Rad neu erfinden“. Die BPT kann neben den Erfahrungen aus einer langen Tradition der Psychotherapie noch zusätzlich aus der wesentlich älteren und umfassenderen Quelle des Buddhismus und dessen Behandlungs- und Praxismethoden schöpfen.
Offenkundig sind dieser eher literarischen Herangehensweise auch Grenzen gesetzt. Jede menschliche Problematik ist so einzigartig wie das jeweilige Individuum selbst. Dieser Tatsache muss im Rahmen einer Beratung oder Therapie natürlich Rechnung getragen werden. Andererseits bestehen nicht nur zwischen der buddhistischen und der psychotherapeutischen Tradition, sondern auch zwischen den einzelnen Individuen viele Gemeinsamkeiten und sich häufig wiederholende Grundmuster. So hat es oft eine entlastende Wirkung zu merken, dass wir mit unseren kleinen und großen Problemen nicht allein sind. Solange wir diese Muster im Hinblick auf unser Verhalten nicht verstehen, aufdecken und transformieren, werden wir nie eine freie Wahl haben, sondern immer nur einem Muster folgen.
Es dürfte sicherlich eine ganze Reihe von Psychotherapeuten geben, die sich sehr unwohl fühlen, wenn ihre Klienten, Patienten oder Hilfesuchenden sie mit der Frage konfrontieren: „Was soll ich denn jetzt tun? Sie kennen nun mein Problem, Sie sind der Fachmann/die Fachfrau, also sagen Sie mir bitte, was ich jetzt konkret tun soll.“ Häufig wird diese Frage einfach nur zurückgegeben: „Was würden Sie denn jetzt gerne tun?“
Diese Spiegelung kann oft durchaus sinnvoll sein, damit beim Gegenüber eine hilfreiche Selbstwahrnehmung, eine Introspektion und auch innere Suchstrategien angeregt werden.
Nicht selten werden solche Fragen wie „Was soll ich tun?“ vom Therapeuten jedoch als Ausdruck von Passivität oder als passive Hilfeappelle fehlinterpretiert. Viele Behandler hören hier oftmals die Botschaft heraus: „Ich selbst will oder kann keine Entscheidung treffen, mir fällt nichts ein, bitte lieber Therapeut/liebe Therapeutin, machen Sie das für mich.“
Hier liegt eine Quelle für zahlreiche Missverständnisse. So gehen viele Therapeuten davon aus, dass Hilfe suchende Menschen sehr viel Geduld mitbringen und sich im Grunde nur einen Zuhörer wünschen. Etliche Behandler nehmen an, dass Menschen, die sich an sie wenden, durch einen heilsamen Rahmen im therapeutischen Kontakt sozusagen automatisch gesunden. Offenbar scheint es hier jedoch sehr unterschiedliche Bedürfnisse zu geben: Während viele Menschen tatsächlich von einer wohlwollenden Atmosphäre mit wertschätzender Kommunikation profitieren, erwarten nicht wenige Hilfesuchende nach ihrer Problemdarstellung eine möglichst rasch nachvollziehbare konkrete „Reparaturanleitung“. Vielleicht werden wir uns als Behandler mithilfe dieses Buches ein wenig klarer darüber, wie und in welcher Form wir konkrete Hilfsangebote, Übungsanleitungen und eventuell auch Lösungshilfen direkt anbieten oder auch vorgeben können.
Dieses Buch ist auch als ein Sebsthilfebuch zu lesen. Sicherlich gibt es viele Situationen, die wir eigenständig oder mit ein wenig Unterstützung selbst bewältigen können und für die wir auch individuelle Lösungen finden müssen. Als Behandler, Interessierte oder Hilfesuchende können wir dieses Buch aber auch dafür nutzen, um verschiedene Überlegungen nachzuvollziehen und in Form von Übungen umzusetzen. Es kann sehr fruchtbar sein, wenn wir bereits gut erprobte Maßnahmen zur eigenständigen Prüfung erhalten. Diese können wir nach erfolgreicher eigener Erfahrung dann für uns selbst nutzbar machen. Es wäre unsinnig, nicht von den Erfahrungen unserer Vorgänger zu profitieren. Diese hilfreiche Weitergabe soll durch die folgenden Ausführungen unterstützt werden.
Wir werden hier zwar sehr viele, aber natürlich längst nicht alle möglichen Probleme erörtern können. Die Auswahl ist jedoch so getroffen, dass wir von einzelnen Beschreibungen durchaus auch Schlussfolgerungen für andere Problembereiche ableiten können. Die Vorgehensweise bleibt durchgängig praxisorientiert. Bei Buddha findet sich die Beschreibung, dass ein Soldatenarzt bei einem Krieger, der von einem Giftpfeil getroffen wurde, auch nicht zuerst danach forschen wird, woher der Pfeil kam, wer ihn abschoss, wo der Schütze geboren wurde, was der Schütze am Morgen gefrühstückt hatte etc. Der Arzt kümmert sich um die Wunde und versucht, eine Verschlimmerung zu verhindern und die Heilung zu fördern. Er weiß, wie Wunden im Allgemeinen entstehen und behandelt werden. Erst im weiteren Verlauf werden dann spezielle und individuelle Aspekte der Verwundung mit einbezogen. Erst wenn der betroffene Mensch wieder stabil ist, kann der Arzt mit ihm weiter daran arbeiten, sich besser zu schützen und Vorsorge zu betreiben.
Dieses Praxisbuch ist in vier Bereiche gegliedert. Zuerst beschäftigen wir uns mit den allgemeinen, grundsätzlichen und elementaren Notwenigkeiten, die wir für unseren Weg benötigen. In diesen Eingangskapiteln sind viele Erklärungen und auch schon etliche der grundlegenden praktischen Übungen enthalten, die wir generell, also unabhängig von bestimmten spezifischen Problemen, nutzen können. Darüber hinaus werden wir uns in diesem Teil I sowohl mit den übergeordneten Zielen als auch mit den Rahmenbedingungen der BPT und den dafür notwendigen buddhistischen Lehren beschäftigen. Dieser Themenbereich wird hier zwar in den wichtigsten Punkten dargestellt, doch bleibt die Beschreibung relativ kurz, da der Schwerpunkt dieses Buches sich auf die konkreten und praktischen Handlungsmethoden konzentriert. Eine detailliertere Beschreibung der Hintergründe ist in dem Buch Buddhistische Psychotherapie zu finden. Darüber hinaus sind in Teil I Hinweise darauf enthalten, was wir selbst als Therapeuten beachten sollten und wie wir anderen Menschen einen Zugang zu diesem Therapieansatz vermitteln und erleichtern können.
Erst nachdem wir die allgemeinen Grundlagen kennengelernt haben, unsere persönlichen Ziele genau benennen und den Kurs ungefähr festlegen können, werden wir uns den weiteren spezielleren praktischen Aspekten zuwenden, nämlich den konkreten Beschreibungen von Methoden der Buddhistischen Psychotherapie BPT bei inneren (Teil II) und äußeren (Teil III) unheilsamen Zuständen.
Teil IV ist eine Verdichtung, in der wir die wesentlichen Bestandteile finden, die wir für eine konkrete Umsetzung unseres Wissens benötigen, um in die Befreiung einzutreten.
Zur besseren Verdeutlichung werden in diesem Praxisbuch viele Bilder und Symbole genutzt. Im Allgemeinen können wir neue Informationen wesentlich besser verstehen und uns einprägen, wenn wir dafür auch erklärende Bilder angeboten bekommen. Die verwendeten Bilder sind wie Skizzen zu verstehen; sie dienen hauptsächlich dazu, die Beschreibungen leichter verständlich zu machen. Die benutzten Abbildungen sind daher so vereinfacht, dass wir die Zusammenhänge schnell erfassen können. Dadurch entsprechen sie allerdings keinen exakten Darstellungen von medizinisch-physiologischen Abläufen und bieten auch keine Erklärungen an. Es sollen damit Botschaften vermittelt werden, keine neuropsychologischen Fakten. Das bedeutet, dass wir zwar recht genau lokalisieren können, wo im Gehirn beispielsweise Sprache und Erinnerung vermittelt werden, doch wie aus simplen chemischen Substanzen plus kleiner elektrischer Impulse unsere Wahrnehmung entsteht, wird damit keinesfalls erklärt.
Neurologische Bilder und Darstellungen von unserem Gehirn wirken auf eine gewisse Weise recht verführerisch, da sie zu vermitteln scheinen, dass wir schnell und einfach ein wirkliches Verständnis von unseren nervlichen Tätigkeiten entwickeln können. Das ist aber ein Trugschluss. Die Abläufe in unserem Gehirn und insbesondere deren Resultate sind nach wie vor ein Mysterium. Neurowissenschaftler können zwar beschreiben, dass die Nervenzellen geladene Natrium- und Kaliumteilchen austauschen; sie können diese Vorgänge auch messen und lokalisieren, sogar mit bestimmten Verhaltens-, Denk- und Empfindungsweisen in Zusammenhang bringen. Doch wir sollten diese Leistungen nicht mit einem wirklichen Verstehen verwechseln, denn wie aus einer „simplen“ elektrischen Ladung in unserem Kopf die Welt und unsere Bewusstheit entstehen, kann kein Neurowissenschaftler ursächlich erklären. Hier wären Erklärungsmodelle nötig, die über simple mechanische Ursache/Wirkungs-Konzepte hinausgehen. Diese Einschränkungen müssen wir uns bewusst machen, wenn wir uns mit den Skizzen dieses Buches auseinandersetzen.
Eine weitere Einschränkung bezieht sich auf die Reichhaltigkeit der einzelnen Themen. Dieses Praxisbuch soll eine repräsentative Themenauswahl bieten. Um den Umfang noch einigermaßen überschaubar zu halten, mussten die Themen nicht nur ausgewählt, sondern auch entsprechend gestrafft werden. Wir finden hier also einen soliden Überblick, doch auf eine erschöpfende Bearbeitung, wie sie in der Buddhistischen Psychothetrapie BPT stattfindet, musste hier zugunsten eines guten Überblicks verzichtet werden. Daher dokumentiert dieses Buch nur einen begrenzten Ausschnitt aus der BPT – dies umso mehr, da hier lediglich die praktischen Lösungsansätze für die unheilsamen Aspekte erörtert werden. Neben diesen Themen ist jedoch in der BPT ein ebenso umfangreiches wie intensives Training der heilsamen Ressourcen vorgesehen. Folglich kann dieses Buch gewissermaßen nur die eine Hälfte bieten, doch natürlich ergeben sich heilsame Wirkmechanismen bereits aus der Abschwächung der unheilsamen Anteile in uns. Es wäre also ein sehr spannendes Unterfangen, in einer weiteren Arbeit explizit zu beschreiben, wie wir praktisch heilsame Zustände entwickeln können, wie zum Beispiel Liebe, Freude, Mitgefühl, Güte, Glück, Zufriedenheit, Humor, Gelassenheit, Heiterkeit, Zugewandtheit, Motivation, Mut, Zuversicht, Optimismus, Lebensfreude, Hilfsbereitschaft, Verständnis, Freundlichkeit, Freigebigkeit, Großzügigkeit, Kreativität, Höflichkeit, Harmonie, Friedfertigkeit, Gewaltlosigkeit, Liebesfähigkeit, um nur eine Auswahl zu nennen.
Neben den vielen praktischen Übungen sind auch wichtige Erkenntnishilfen und Erklärungen in dieses Buch integriert.
Der Buddhismus ist eine Lehre, die davon ausgeht, dass wir uns durch ein richtiges und vollständiges Erkennen grundsätzlich transformieren können. Um diesen über viele Generationen hinweg gut erprobten Prozess zu intensivieren und fest zu etablieren, wird er hier mit verschiedenen konkreten Übungsanleitungen unterstützt, so dass wir durch eigene Erfahrungen ein gesichertes Erkennen, Verinnerlichen und auch Verwirklichen erreichen können.
Der Übergang von der Theorie zur Praxis ist ein sehr bedeutsamer Schritt, den wir unbedingt mit der richtigen und für uns passenden Geschwindigkeit umsetzen müssen. Auch dazu möchte dieses Buch einen kleinen Beitrag leisten.
Buddha machte unmissverständlich klar,dass die Arbeit mit dem Geist viel Zeit und Einsatzerfordert.
– DALAI LAMA XIV. –
Zu beachten ist bitte, dass dieses Buch zwar sowohl als Hilfe- als auch als Selbsthilfebuch konzipiert wurde, bei einem spürbar hohen Leidensdruck allerdings immer ein Fachmann/eine Fachfrau aufgesucht werden sollte.
Ein ausdrücklicher Dank geht an die Menschen, die zugestimmt haben, dass ihre Erfahrungen im Ringen um Linderung und Heilung hier als Beispiele abgedruckt werden dürfen.
Matthias Ennenbach
Weilheim 2011
Bevor an einem Gebäude Veränderungen vorgenommen werden können, ist eine Analyse des Fundamentes unumgänglich. Sehr ähnliche Prinzipien sind zu beachten, wenn wir selbst oder mit fremder Hilfe Veränderungen an uns vornehmen wollen. Allerdings reicht es nicht aus, dass ein Fachmann unser Fundament begutachtet, sondern wir müssen selbst verstehen, auf welchen Grundlagen wir auf- oder umbauen können. Diesen Vorgang können wir uns hier in diesem Buch anschauen. Das gibt uns dann eine sichere Basis und ein gutes Verständnis, um alle auf uns zukommenden Anforderungen bewältigen zu können. Natürlich ist die Unterstützung von einer Fachfrau/einem Fachmann in jedem Falle hilfreich, doch bei der Buddhistischen Psychotherapie BPT liegt der Schwerpunkt bei der Selbstverantwortlichkeit.
Es existieren viele verschiedene Visionen darüber, wie wir uns weiterentwickeln können. Zahlreiche Menschen, auch Buddhisten und Yogis, stehen der Psychotherapie eher skeptisch gegenüber. Einige fragen sich, welche Wirkungen mit dieser Vorgehensweise überhaupt erzielt werden können. Darüber hinaus sind Buddhisten und Yogis auch deshalb skeptisch, weil sie davon ausgehen, dass die alten Praxismethoden bereits völlig ausreichend sind. Andererseits gehen auch die meisten Psychotherapeuten einer bestimmten Schule davon aus, dass ihre Methode die wirkungsvollste sei.
Unter Einbeziehung dieser Erkenntnisse werden hier Erfahrungen beschrieben, die verdeutlichen können, dass die Buddhistische Psychotherapie BPT für leidende Menschen ebenso wie für solche, die sich aus einer stabilen Situation heraus weiterentwickeln möchten, eine gut erprobte, hilfreiche Methode sein kann. Diese ist auch vor und während der unterschiedlichsten spirituellen Praktiken recht konstruktiv nutzbar. Wenn wir merken, dass wir mit unseren Übungen nicht weiterkommen, bietet dieses Buch zahlreiche Anregungen und konkrete Erklärungs- und Hilfsangebote.
Nehmt nichts von dem, was ich euch lehre, einfach aus Glauben oder aus Respekt von mir an, sondern überprüft es selber, als ob ihr Gold kauftet … So, wie ihr Gold durch Brennen, Schneiden und Reiben prüfen würdet, prüft der Kluge auch meine Unterweisungen. Unterzieht meine Lehren einer gründlichen Überprüfung, nehmt sie nicht einfach guten Glaubens an.
– BUDDHA –
Für unser Wohlergehen und den heilsamen Einfluss, den wir auch auf andere ausüben wollen, finden wir in der Buddhistischen Psychotherapie BPT eine Kombination aus den westlichen Geistes- und Naturwissenschaften und der über 2500 Jahre alten buddhistischen „Therapiemethode“, die ihren Ursprung in Nordindien hatte. Wenn wir uns diesen Sachverhalt vergegenwärtigen, erscheint es logisch und sinnvoll zu sein, erst einmal zu klären, was diese antike asiatische Methode mit unserem modernen Leben des 21. Jahrhunderts zu tun haben könnte. Liegen diese Welten nicht gar zu weit auseinander?
Unsere Grundthese lautet: Der Buddhismus besitzt einen internationalen und universellen, das bedeutet kulturübergreifenden und zeitlosen Charakter. Wir verstehen den Buddhismus in diesem Zusammenhang in erster Linie als eine Wissenschaft des Geistes mit einem sehr gut erprobten praktischen Übungsrepertoire.
Man könnte den Buddhismus vielmehr alseine Wissenschaft des Geistesund einen Weg zur Transformation bezeichnen.
– MATTHIEU RICARD –
Die buddhistischen Lehren sind keine Religion,sondern eine Wissenschaft des Geistes.
– DALAI LAMA XIV. –
Dieses Praxisbuch möchte genau diese Thematik transparent und anschaulich nachvollziehbar darstellen, so dass möglichst viele Menschen von den gut erprobten praktischen Erfahrungen der buddhistischen Lehre profitieren können.
Viele von uns hatten den ersten Kontakt mit dem Buddhismus über Bücher oder Hörbücher. Es existieren Tausende buddhistischer Fachbücher, die uns zum Teil mit sehr detaillierten Informationen versorgen. In den verschiedenen buddhistischen Lehrrichtungen finden wir reichhaltige Differenzierungen buddhistischer Ausdrucksformen. Der Theravada- oder Hinayana-Buddhismus und der Mahayana-Buddhismus, dem auch Zen und Vajrayana zugeordnet werden, sind die großen buddhistischen Traditionen. Der japanische Zen-Buddhismus und auch der tibetische Vajrayana-Buddhismus sind für viele Menschen im Westen mittlerweile zu bekannten Begriffen geworden. Es gibt darüber hinaus aber noch weitere buddhistische Schulen, unter anderem die Reines-Land-Schule, die Nichiren-Schule und die Theravada-Waldtradition. Unter all diesen Formen existieren wiederum sehr viele verschiedene Unterformen mit unterschiedlichen Übertragungslinien wie auch Unterschieden je nach Land und Kultur, in denen sich der Buddhismus einwurzelte und eine jeweils spezifische Ausprägung annahm. Diese Vielfalt kennen wir natürlich auch von anderen Religionen, spirituellen Traditionen, Philosophien und weiteren Kulturgütern, welche Jahrhunderte oder gar Jahrtausende überdauerten.
Zusätzlich zu dieser Vielfalt werden wir in der buddhistischen Literatur mit den verschiedensten, für uns exotischen Begriffen konfrontiert, wie zum Beispiel Buddha, Bodhi, Bodhichitta, Bodhisattva, Dharma, Duhkha, Karma, Koan, Lama, Maitreya, Mandala, Mara, Mudra, Nirodha, Nirvana, Rinpoche, Shakyamuni, Samadhi, Sangha, Samsara, Sesshin, Sutra, Tantra, Tulku, Vipassana, um wiederum nur eine Auswahl zu nennen. Wie wichtig ist es, diese vielfältigen Begriffe zu kennen? Müssen wir für unseren Weg Sanskrit, Pali oder die tibetische Sprache lernen?
Eine der grundlegenden buddhistischen Sichtweisen betrifft unsere wechselseitige Abhängigkeit, sie wird mit dem Begriff Pratitya-Samutpada umschrieben. Sicherlich ist es unumgänglich, dass wir uns mit dem abhängigen Entstehen aller Dinge um uns herum und dem Verständnis unserer gegenseitigen Abhängigkeit beschäftigen, worauf dieser Begriff verweist. Aber mag es nicht manch einem unsinnig erscheinen, dann diesen Begriff dafür zu verwenden? Das mögliche Problem damit ist recht bedeutsam, weil die verschiedenen Begriffe natürlich spezifische Sichtweisen symbolisch zum Ausdruck bringen. Diese Sichtweisen kennenzulernen ist unumgänglich, doch könnte der jeweilige Begriff dazu nicht vielleicht in einer für uns leichter zugänglichen Form gewählt werden? Möglicherweise fühlen sich aber viele von uns gerade von dem Exotisch-Fremden wie magisch angezogen. Vielleicht spüren wir, wenn wir diese fremdartigen Sanskrit-Begriffe benutzen, einen Interpretationsspielraum, ein Fehlen von Festlegung und eine Öffnung, die uns eine gewisse Denkfreiheit lässt. Leider wirkt sich dieser Aspekt oftmals jedoch auf Kosten eines tieferen Verständnisses aus.
Auf einen Exkurs zu den relevanten Sanskrit-Begriffen wird an dieser Stelle verzichtet. Wozu hier angeregt werden soll, ist die achtsame Ergründung dessen, worauf die jeweiligen Begriffe verweisen. Es ist lohnenswert, wenn wir zentrale Begriffe kritisch hinterfragen, am besten gemeinsam mit einem erfahrenen Fachmann, und dann für uns passende und stimmige Ausdrucksformen finden. Damit verringern wir auch die Gefahr, uns zu verirren.
Da die Gewahrwerdung unseres ruhigen und klaren Geistes eines der Hauptanliegen buddhistischer Übungen darstellt, wollen wir uns nun exemplarisch den Begriff Geist anschauen. Dieser Begriff wird oft missverständlich mit unserer Verstandestätigkeit gleichgesetzt. Wir werden hier aber die Unterschiede zwischen Geist und Verstand kennenlernen.
Der englische Begriff Mind eröffnet wieder andere Bereiche, und der buddhistische Begriff Chitta meint immer die Verbindung zwischen Kopf, Herz und Bauch. Beispielhaft für diese Begriffsproblematik soll hier die Frage erörtert werden, wie die scheinbar widersprüchlichen Appelle von No Mind und Mindfulness zusammenpassen.
Beide Prinzipien, der No-mind-Zustand ebenso wie der Mindfulness-Zustand, sind für den Buddhismus sehr wichtige Geistesverfassungen, die es anzustreben gilt. Soll der Mind denn nun ausgelöscht und zu einem No-mind-Zustand werden, oder soll er durch Mindfulness zur vollen Entfaltung gebracht werden? Die damit einhergehende Begriffsverwirrung kommt zustande, weil sich ein und derselbe Begriff Mind hier auf zwei sehr unterschiedliche Inhalte bezieht.
No Mind verweist eigentlich auf den Augenblick, in dem unser Verstand zur Ruhe kommt. Es sollte vielleicht besser No Intellect heißen, also im Grunde mit „keine Verstandestätigkeit“ übersetzt werden. Durch ein gezieltes Training bezähmen wir unseren ungezügelten Verstand; es entsteht eine innere Stille in uns, so dass wir nun etwas wahrnehmen können, das zutage tritt, wenn unser Verstand zur Ruhe kommt. Diese für uns oft neue Qualität nennen wir Geist. No Mind bedeutet also nicht, den Geist ausschalten zu wollen.
Der Begriff Mindfulness wird zumeist mit „Achtsamkeit“ übersetzt und meint die volle Gewahrwerdung unseres Geistes und – damit verbunden – auch des unmittelbaren Hier und Jetzt. Dies ist gleichzeitig auch eine Definition von Achtsamkeit, denn es zeigt uns, dass wir ebenso wenig „mal eben“ achtsam sein können, wie wir „mal eben“ unseren Verstand zügeln und anhalten können, um dann unserer geistigen Qualitäten gewahr zu werden. No Mind und Mindfulness sind entscheidende Achtsamkeitsprozesse, auf die wir uns hinbewegen können, wenn wir die buddhistischen Lehren erkennen, verinnerlichen und dann verwirklichen. Demnach bedeuten zwei scheinbar widersprüchliche Begriffe eigentlich denselben Zustand, nämlich die Mäßigung unseres überaktiven Verstandes, um unseren Geist in Stille wahrnehmen zu können. Es handelt sich um einen – zumal für Ungeübte – recht anspruchsvollen mentalen Zustand, der anfangs noch sehr instabil bleibt und regelmäßige Pflege und ein geduldiges Bemühen erfordert.
Wir sehen an diesem Beispiel, dass die verschiedenen buddhistischen Begriffe, von denen wir hier einige wenige exemplarisch aufgelistet finden, oft einen tiefgründigen und vieldeutigen Erklärungshintergrund haben, dessen Bedeutungsnuancen sich aus den diversen Übersetzungen oft nicht leicht ableiten und verstehen lassen. Es ist sehr wichtig, dass wir uns hier um ein möglichst tiefes Verständnis bemühen, um dann für unsere westliche Kultur eine eigene Ausdrucksform entstehen zu lassen.
Unsere westlichen religiösen und geisteswissenschaftlichen Traditionen sind durch die Reformation und die Aufklärung geprägt. Es war ein furchtbarer Kampf, der unter anderem dazu führte, dass in den Kirchen nicht mehr die für viele Menschen unverständliche lateinische Sprache verwendet wird. Durch simple Übersetzungsarbeit ist uns ein eigener Zugang ermöglicht worden. Das war und ist eine sehr bedeutsame kulturelle Leistung, die von unseren Vorfahren bitter erkämpft wurde.
Die Bedeutung einer allgemein verständlichen Sprache ist sehr wertvoll und gar nicht zu überschätzen. Wir sollten also bei Begriffen bleiben, zu denen wir einen guten Zugang haben. Das schließt natürlich keinesfalls aus, dass für bestimmte neue Sichtweisen nicht auch ein neuer Begriff hilfreicher sein könnte. Der Appell lautet nicht, dass wir uns an einer bestimmten Form festhalten sollen. Alles verändert sich stetig und unaufhaltsam. Das ist die wahre Natur aller Dinge, und eine solche Veränderung spiegelt sich natürlich auch in der Entwicklung unserer Sprache wider.
Das Anliegen der Buddhistischen Psychotherapie BPT besteht zum einen in dem Wunsch, für die buddhistischen Lehren eigene und daher „kultur-kompatible“ Begriffe für den westlichen Geist zu finden, so dass der Zugang für möglichst viele Menschen erleichtert wird. Ein weiterer Wunsch besteht darin, dass wir uns nicht von der umfangreichen Begriffsvielfalt der buddhistischen Lehren verunsichern lassen. Wir dürfen an den Begriffen nicht anhaften und zu lange dabei verweilen. Es macht wenig Sinn, alle Texte zu ergründen, jedes Detail zu analysieren und jeden Begriff hin und her zu wenden. Hier lauert die Gefahr, dass wir uns im Begriffsdschungel der Lehren verirren. Wir dürfen unser eigentliches Ziel nicht aus den Augen verlieren. Welches Ziel? Unsere Befreiung!
Es gibt Fährschiffe, Schoner, Frachter, Passagierschiffe, schnittige Motorjachten und elegante Segelschiffe, üble rostige „Seelenverkäufer“, Rennboote und schwere Fregatten. Wenn wir durch einen Frachthafen gehen, erleben wir eine andere Atmosphäre als beim Besuch eines Jachtclubs. Viele von uns würden wohl gerne einmal Miami Vice spielen und mit einem schicken Bötchen in tropischen Gewässern herumschippern oder in Florida mit einer Jacht losbrausen.
Aber trauen wir uns das auch zu? Das sieht oft leichter aus, als es tatsächlich ist. Und wenn wir auf offener See einen Orkan erleben, dann bereuen wir zutiefst unseren Schritt auf die wankenden Planken.
Zu jedem Schiff gibt es ein ganzes Universum an Zubehör und technischen Details. Wie wichtig ist es für uns, ein Fachmann für den Kosmos „Boote“ zu werden? Denken wir daran, dass Buddha sagte, die Lehre sei nur ein Floß, das uns ans andere Ufer, also zur Befreiung bringen solle; dort angekommen, sei das Floß überflüssig geworden. Es lohnt daher nicht, zu viel Konzentration auf das Floß zu verwenden. Wer sein Leben mit der Ausschmückung seines „Floßes“ verbringt, verliert das Ziel aus den Augen.
Dieses Floß-Beispiel ist für unseren Praxiseinstieg recht hilfreich. Wir müssen die Lehre so weit verstehen, dass wir die Chance für einen eigenen Zugang finden und den Eindruck haben, dass es uns eine Weile tragen kann. Dann kommt der besondere Augenblick, in dem wir unser Vertrauen so weit gefestigt haben, dass wir den festen Boden unserer alten Überzeugungen, Gewohnheiten und Kreisläufe verlassen und wirklich „an Bord“ gehen.
Nun aber warten schon die ersten Unwägbarkeiten auf uns. Das Floß-Beispiel beginnt irreführend zu werden. Das Kunststück, das von uns erwartet wird, ist das mühelose Engagement. Zwar ist eigentlich alles okay, doch wir müssen etwas tun. Wir wollen und müssen weiterkommen, es ist unmöglich stillzustehen, alles verändert sich kontinuierlich. Und doch ist das Ziel immer schon genau hier und jetzt da! Auch das angestrebte andere Ufer der Befreiung suggeriert einen Ort der Befreiung. Allerdings ist die Befreiung ein Zustand und kein Ort, also höchst flüchtig.
Wir werden die zum Teil recht verwirrenden Herangehensweisen noch genauer betrachten. Der Appell, der hier vermittelt werden möchte, ist die Anregung zu Einfachheit, zu Schlichtheit, dem Ende der Anstrengung, der Zügelung unserer Verstandestätigkeiten; eine Rückbesinnung auf die ursprüngliche Einfachheit der buddhistischen Lehre vor 2500 Jahren, die für die gebildeten ebenso wie die einfachen Menschen der damaligen Zeit leicht verständlich war.
Häufig verwirren uns andere Menschen mit Fragen nach den differenziertesten Details der Lehre. Dabei sind die buddhistischen Grundideen so simpel: Bleibe auf dem Mittleren Weg, nutze deine Erkenntnisse für dich und alle anderen. Noch etwas konkreter können dir die Vier Edlen Wahrheiten dabei helfen. Sie sagen, dass wir unser Leiden mit allen anderen teilen, doch dass wir es lindern und auch auflösen können. Dafür müssen wir uns selbst besser kennenlernen und unsere Widerstände und Anhaftungen ergründen und nach und nach aufgeben. Die Grundideen sind also sehr einfach und gut verständlich.
Der Appell an uns, das ursprüngliche Ziel der Befreiung nicht aus den Augen zu verlieren, hat eine sehr hohe Bedeutung und wird leider in Europa oft übersehen, auch wenn es um Themen wie Aufklärung, Reformation und Freiheit von monarchischen Strukturen geht. Wir sprechen schnell von unseren Leistungen und Erfolgen, durch die es uns gelungen sei, uns von den unterschiedlichsten äußeren Hindernissen und Problemen, wie zum Beispiel Monarchien oder fundamentalistischen christlichen Kirchenfürsten, zu befreien. Wahrscheinlich sind wir aber auf halbem Wege stecken geblieben und haben vergessen, dass wir uns nicht nur als Gesamtgesellschaft zu befreien haben, sondern unbedingt auch als Individuen. An genau dieser Stelle kann uns die universelle Schulungstradition des Buddhismus vielleicht weiterhelfen.
Das bisher Gesagte sollte zur eigenen Orientierung und Standortbestimmung beitragen. Wenn wir unser Wissen jedoch an andere weitergeben möchten, scheint es meist sinnvoller zu sein, nicht mit zu vielen theoretischen Details zu beginnen.
„Du bist willkommen, du bist nicht allein, es gibt Hilfe. Momentan meinst du vielleicht noch, dass dein Schicksal einzigartig ist und du dich alleine fühlst, aber es geht vielen Menschen sehr ähnlich wie dir.“
Vielleicht fühlen wir uns von diesen Worten angesprochen, wenn wir Hilfe suchen. Eine erste Hilfsmöglichkeit besteht darin, dass wir differenzieren lernen zwischen unseren ganz persönlichen individuellen und den universellen Problemen, die wir mit allen anderen Menschen teilen.
Wenn wir Hilfe suchen, weil wir leiden, ist es wenig hilfreich, wenn wir zu hören bekommen, alle Probleme seien nur Illusion. Ebenso verhält es sich, wenn Menschen Rat und Hilfe bei uns suchen; auch dann ist es wenig ratsam, ihnen vermitteln zu wollen, unser Ego sei doch ohnehin nur eine Illusion und eigentlich sollten wir nur immer fleißig loslassen üben. Ebenso unsinnig ist es, jeden Menschen, der aktuell leidet, sofort auf ein Meditationskissen zu verfrachten.
Wilhelm D. ist 52 Jahre alt. Er schildert, dass er sich selbst im Spiegel nicht mehr erkenne. „Ich weiß gar nicht mehr, wer mir da entgegenschaut. Ich spüre mich selbst gar nicht mehr, irgendwie bin ich mir selbst fremd geworden. Mein Gefühl für mich selbst ist fast erloschen. Ich habe an nichts mehr Freude, mich interessiert nichts mehr. Alles ist mir zu viel. Am liebsten würde ich mich vergraben.“
Natürlich wäre es völlig unangebracht, Wilhelm zu gratulieren und ihm zu erklären, dass er nun richtig sehe: Es gebe tatsächlich kein festes Selbst und mit seinem Gefühl liege er nun genau richtig.
Auch in der BPT ist vor einer ernst gemeinten Maßnahme stets eine fachkundige Einschätzung unumgänglich. Viele Menschen beginnen ihre spirituelle Praxis und merken schon nach den ersten schnellen Erfolgen, dass es nicht so recht „weitergeht“. Oft werden hier wichtige Grundvoraussetzungen übergangen. In vielen spirituellen Traditionen fehlt eine fachlich fundierte Analyse der Ausgangssituation und – damit verbunden – eine kritische individuelle Beratung über die notwendigen konkreten Übungen zur Sicherung des eigenen Fundamentes.