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Alessia wird vom Pech verfolgt: Ihr Ex-Freund hat ihr Fotos von seinem ersten Kind geschickt; sie kann die Miete für ihre Wohnung kaum noch aufbringen, und beruflich ist es auch schon mal besser gelaufen. Am liebsten würde sie alles hinter sich lassen und abhauen. Da kommt es ihr gerade recht, als ihre Tante Nelly sie bittet, für drei Monate in ihr Haus zu ziehen und ihre Tiere zu versorgen. Obwohl Alessia große Angst vor der riesigen Hündin Kitty hat, die sich irrtümlich für einen Rehpinscher hält, sagt sie zu. Mit an Bord ist ebenfalls Ben, ein charismatischer Musiker mit den schönsten Augen der Welt. Mit seiner offenen, positiven Art tut er Alessia einfach nur gut und sie beginnt, einiges in ihrem Leben zu überdenken. Und dann gibt es da noch den prickelnden Zeitvertreib von Nelly, den Alessia und Ben zu allem Überfluss fortführen sollen. Nicht nur deshalb wird es mitten in der Pampa plötzlich richtig aufregend ...
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Inhaltsverzeichnis
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Epilog
Impressum
Tina Keller
Prickeln in der Pampa
Humorvoller Liebesroman
Die Bilder über den Kapitelüberschriften wurden mit
Ressourcen von Freepik.com erstellt.
Alessia wird vom Pech verfolgt: Ihr Ex-Freund hat ihr Fotos von seinem ersten Kind geschickt; sie kann die Miete für ihre Wohnung kaum noch aufbringen, und beruflich ist es auch schon mal besser gelaufen. Am liebsten würde sie alles hinter sich lassen und abhauen.
Da kommt es ihr gerade recht, als ihre Tante Nelly sie bittet, für drei Monate in ihr Haus zu ziehen und ihre Tiere zu versorgen. Obwohl Alessia große Angst vor der riesigen Hündin Kitty hat, die sich irrtümlich für einen Rehpinscher hält, sagt sie zu.
Mit an Bord ist ebenfalls Ben, ein charismatischer Musiker mit den schönsten Augen der Welt. Mit seiner offenen, positiven Art tut er Alessia einfach nur gut und sie beginnt, einiges in ihrem Leben zu überdenken.
Und dann gibt es da noch den prickelnden Zeitvertreib von Nelly, den Alessia und Ben zu allem Überfluss fortführen sollen. Nicht nur deshalb wird es mitten in der Pampa plötzlich richtig aufregend ...
Ich starre auf die Mail und bin wie betäubt. Muss dieser Idiot, der mal mein Freund war, mir unbedingt das neueste Highlight seines Lebens mitteilen? Warum glaubt er eigentlich, dass es mich interessiert?
Liebe Alessia, ich möchte dich darüber informieren, dass ich Vater einer bezaubernden Tochter geworden bin. Ich bin der glücklichste Mensch auf der Welt. Von ganzem Herzen wünsche ich dir, dass du auch einmal so glücklich wirst. Gerade jetzt merke ich erst so richtig, was bei uns alles gefehlt hat. Alles Gute für dich, Markus.
Ich schnappe nach Luft. Geht es noch demütigender?
Gerade jetzt merke ich erst so richtig, was bei uns alles gefehlt hat.
Diese erniedrigenden Worte sind schon schlimm genug, aber das Schlimmste sind die Fotos, die er an die Mail angehängt hat. Eine zuckersüß in die Kamera lächelnde Familie schaut mich an – seine Frau Carla, ein grinsendes, pausbäckiges Baby – und natürlich er, Markus höchstselbst.
Das ist das Deprimierendste für mich: Markus strahlt so, wie er in all den Jahren mit mir kein einziges Mal gestrahlt hat. Er sieht aus, als sei er erleuchtet und mit sich und der Welt komplett im Reinen. Es ist kaum zu ertragen.
Ich merke, wie sich ein Kloß in meinem Hals bildet und mir Tränen in die Augen steigen. Diese Carla kann ihn offensichtlich so glücklich machen, wie ich es niemals konnte. Irgendetwas muss sie an sich haben, das ich nie hatte. So etwas Ähnliches hat er auch gesagt, als er sich Hals über Kopf in sie verliebt hatte. Dass sie einfach das gewisse Etwas hatte, das er bei mir nie gefunden hat. Dass sie ihn vom ersten Moment an in ihren Bann gezogen hat und er sofort wusste, dass sie die Frau seines Lebens war. Da war es egal, dass wir seit sechs Jahren ein Paar waren. Er hat mit mir Schluss gemacht, als er Carla zwei Wochen kannte. Und jetzt, nicht mal anderthalb Jahre später, haben sie ihr erstes Kind. Bei mir hingegen wollte Markus vom Thema Nachwuchs nie etwas wissen.
Ich wische mir über die Augen. Anderthalb Jahre nach der Trennung sollte ich über ihn weg sein, oder? Aber so etwas wie diese Mail triggert mich immer noch. Zumal ich – im Gegensatz zu ihm – nicht in der beneidenswerten Lage bin, die Liebe meines Lebens gefunden zu haben. Darum ärgert mich sein Satz Von ganzem Herzen wünsche ich dir, dass du auch einmal so glücklich wirst ganz besonders. Für mich hört sich das keineswegs so an, als würde er mir wirklich alles Gute wünschen. Nein, er will mir nur den Seitenhieb verpassen, dass ich sowieso niemals glücklich sein werde. Und vielleicht hat er damit sogar recht.
Ich hole tief Luft und klicke die Mail weg, obwohl ich weiß, dass das nicht viel nützen wird. In meinen Gedanken und in meinem Herzen wird sie sicher noch viele Male aufploppen.
Um mich noch ein bisschen mehr zu frustrieren, rufe ich meine Verkaufszahlen ab. Ich bin Autorin und veröffentliche meine Bücher im Self Publishing bei Amazon. Das hat viele Jahre lang hervorragend funktioniert und ich habe eine Menge Geld verdient. Doch seit einem Jahr sind die Zahlen so stark gesunken, dass mir regelmäßig schlecht wird, wenn ich sie mir ansehe. Ich verstehe nicht, was da passiert ist und schon gar nicht weiß ich, was ich dagegen tun soll.
Es ist nicht sehr erheiternd, wenn zuerst der Partner abhaut und man beruflich eine Niederlage nach der nächsten einstecken muss. Ich weiß nicht, was mir sonst noch zu meinem Unglück fehlt.
Ein paar Minuten später weiß ich es. Ich halte einen Brief in den Händen, in dem mir mein Vermieter mitteilt, dass er alle Wohnungen aufwendig sanieren will, um sie danach zum doppelten Preis zu vermieten. Ich kann mir aussuchen, ob ich die Wohnung danach zu einem absolut horrenden Preis weiterhin mieten möchte – oder ob ich sie fluchtartig verlasse. Während der Zeit der Renovierung müsste ich sowieso woanders wohnen. Kurz gesagt: Er schmeißt mich raus. Ich weiß nicht, ob das rechtens ist, aber da ich sowieso ständig Ärger mit ihm habe, will ich auch gar nicht hierbleiben. Die Frage ist nur, wie und wo ich in Berlin eine bezahlbare Wohnung finden soll. Das ist schon lange völlig unmöglich geworden.
Erneut kommen mir die Tränen und ich verfluche mich dafür, aber ich kann einfach nicht mehr. Es ist mir alles zu viel. Da ist niemand, der mich in den Arm nimmt und auffängt. Ich bin ganz allein. Na ja, nicht ganz.
Mit einem Hechtsprung landet Filou, mein weißes Kaninchen mit den Pharao-Augen, auf der Couch und schnuppert eifrig an mir herum. Dann macht er Männchen und blickt mich auffordernd an. Sofort geht die Sonne in meinem Herzen auf. Egal, was auch passiert – sobald ich diesen kleinen, niedlichen Kerl ansehe, geht es mir sofort besser. Er ist das süßeste Kaninchen auf der Welt.
„Ja, Schnucki, natürlich kriegst du deine Erbsenflocken“, beruhige ich ihn und greife nach der silbernen Dose, die griffbereit auf dem Beistelltisch steht. Filou kann es nicht mehr abwarten und springt auf meinen Laptop. Eifslfeitzskdfditjeges erscheint auf dem Bildschirm und ich muss lachen. Filou der Lektor.
Filou schnappt sich fünf seiner geliebten Erbsenflocken und verspeist sie in Rekordgeschwindigkeit gleich auf meinem Bauch sitzend. Ich muss so lachen, dass mein Bauch sich bewegt und Filou darauf hin und her wackelt. Das irritiert ihn aber nicht im Geringsten und er bettelt um mehr.
„Das Zeug ist eigentlich für geschwächte Kaninchen, die aufgepäppelt werden müssen“, erkläre ich ihm. „Du gehörst nicht zu dieser Sorte. Du hast Energie für zehn und brauchst das nicht.“
Filou ist da anderer Meinung. Energie kann man schließlich nie genug haben.
Anklagend steht Maja vor dem Sofa und wackelt aufgeregt mit ihren Öhrchen. Sie traut sich zwar nicht auf das Sofa, möchte aber auch etwas von den Leckerbissen haben. Ich halte ihr ein paar hin, die sie vorsichtig ins Mäulchen nimmt. Filou ist da anders. Er ist so gierig, dass er mir fast in den Finger beißt vor lauter Ungeduld. Ehrlich, dieses Kaninchen erinnert mich an einen Junkie auf Entzug.
Als das Telefon klingelt, läuft Angsthase Maja erschrocken unter den Tisch, während Filou sich nicht beirren lässt und seinen Kopf kurzerhand in die Dose steckt.
„Du kleine verfressene Maus“, sage ich zärtlich und streiche über sein samtiges Fell. „Willst du ans Telefon gehen oder soll ich?“
Doch Filou möchte nicht telefonieren, sondern fressen. Ich werfe einen Blick auf das Display und erkenne die Nummer meiner Tante Nelly, die Schwester meiner Mutter. Ich mag sie wahnsinnig gern, aber Nelly ist immer so beschäftigt, dass ich sie nur alle Jubeljahre sehe.
„Hallo, Nelly!“, rufe ich. „Das ist ja eine Überraschung! Wie geht es dir?“
„Gut wie immer“, lacht Nelly fröhlich.
Im Gegensatz zu meiner ewig meckernden Mutter hat sie stets gute Laune. Man kann kaum glauben, dass die beiden bei denselben Eltern aufgewachsen sind.
„Und wie sieht es bei dir aus?“
Ich erzähle ihr von Markus‘ Mail und dass es nicht einfacher geworden ist als Self Publisher.
„Das tut mir leid“, sagt Nelly mitfühlend. „Du hast so ein großes Talent, Alessia. Ich finde deine Bücher super und mir macht es immer großen Spaß, sie zu lesen. Warum läuft es denn nicht mehr so gut? Es lief doch all die Jahre geradezu fantastisch. Was ist passiert?“
„Wenn ich das nur wüsste“, seufze ich. „Ich habe keine Ahnung. Fakt ist, dass ich nur noch einen Bruchteil dessen verdiene, was ich mal verdient habe. Im Grunde müsste ich alle zwei bis drei Wochen ein neues Buch raushauen, wenn es finanziell reichen soll. Aber das kann und will ich nicht. Was sollen die Bücher denn für eine Qualität haben, wenn sie wie am Fließband geschrieben werden? Dabei kann doch gar nichts Vernünftiges herauskommen. Aber es gibt Kolleginnen, die machen das tatsächlich. Die finanzielle Not ist groß.“
„Du liebe Güte.“ Ich kann förmlich sehen, wie Nelly den Kopf schüttelt. „Alle zwei bis drei Wochen ein neues Buch – das ist doch Wahnsinn. Wo soll man all die Ideen hernehmen? Das muss ja ein irrer Druck sein, unter dem ihr alle steht.“
„Allerdings“, seufze ich und denke daran, wie froh und unbeschwert mein Leben noch bis vor zwei Jahren war. Jedes Buch schoss automatisch in die Top 20 und lief wie von selbst. Das motivierte mich dermaßen, dass ich wie im Fieber schrieb. Die Geschichten flossen nur so aus mir heraus. Doch jetzt, wo ich mit jedem neuen Buch einmal mehr frustriert bin, ist mir die Motivation gänzlich abhanden gekommen. Genau das macht es so schwer.
„Außerdem muss ich hier wegziehen, aber es gibt in Berlin keine bezahlbaren Wohnungen“, klage ich Nelly mein Leid. „Die Nachbarn über mir laufen den ganzen Tag offenbar mit Holzschuhen auf dem Parkett herum. Das macht mich ganz verrückt. Ich kann mich überhaupt nicht konzentrieren. Ich brauche Ruhe zum Schreiben, aber das ist in diesem Irrenhaus nicht möglich.“
Nelly lacht. „Genau deshalb bin ich aufs Land gezogen. Mir war das alles zu stressig. Es gibt zwar auch in Berlin Bezirke, wo es ruhig ist, aber die Mieten dort sind unerschwinglich. Ein Haus am Wannsee können sich nur Millionäre leisten.“
„So ist es“, seufze ich. „Ich wollte sowieso ausziehen, aber jetzt werde ich förmlich dazu gezwungen. Mein Vermieter will die Wohnungen aufwendig renovieren lassen und danach sollen sie das Doppelte kosten.“
„Das kann er aber nicht einfach so machen“, wendet Nelly ein. „Da würde ich mich mal auf den Weg zum Mieterschutzbund machen.“
Ich schüttele den Kopf, obwohl Nelly das nicht sehen kann.
„Nein, ich will weg hier“, beharre ich. „Das wollte ich schon vorher – und jetzt muss ich es. Die Frage bleibt trotzdem, wo ich eine bezahlbare Wohnung finden soll.“
„Also, ich hätte da was“, sagt Nelly munter. „Zwar nicht in Berlin, aber nur eine Autostunde entfernt. Und es kostet dich keinen Cent.“
„Da bin ich aber mal gespannt“, erwidere ich.
„Also, es ist folgendermaßen: Ich trete demnächst eine dreimonatige Weltreise mit dem Schiff an und suche jemanden, der sich in dieser Zeit um mein Haus kümmert.“
„Du machst eine Weltreise?“, wiederhole ich überrascht. „Echt jetzt?“
„Echt jetzt“, bestätigt Nelly lachend. „Das war schon immer mein Traum, und mit Mitte 60 sollte man sich seine Träume endlich erfüllen. Zumal ich nun auch die passende, charmante Reisebegleitung gefunden habe. Er heißt Konstantin, ist zehn Jahre jünger als ich und ein echter Weltenbummler. Wir können es kaum noch erwarten. Wir fahren nach Rio de Janeiro, Buenos Aires, Tahiti, Sydney, Melbourne, Kapstadt, um nur einige Anlegeplätze zu nennen.“
„Das ist ja fantastisch“, erwidere ich beeindruckt. „Da siehst du wirklich mal was von der Welt. Ich finde es super, dass du dir diesen Traum erfüllst. Du hast so oft darüber gesprochen.“
„Manchmal dauert es eben eine Weile, bis man seine Träume in die Tat umsetzen kann“, sagt Nelly vergnügt. „Aber jetzt ist es endlich so weit. Und wenn du mir sagst, dass du Ruhe brauchst, dann passt das perfekt. Denn Ruhe hast du hier mehr als genug. Und in den drei Monaten, wo ich weg bin, kannst du dich ganz ohne Stress nach einer Wohnung in Berlin umsehen. Aber vielleicht gefällt es dir auch so gut auf dem Land, dass du dir spontan ein Haus in Mecklenburg mietest und hierbleibst.“
„Das kann ich mir zwar nicht vorstellen, aber wer weiß“, gebe ich zurück.
Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, irgendwo anders zu wohnen als in Berlin. Berlin ist seit 20 Jahren die Stadt, in der ich unbedingt leben wollte. Und ich habe diese Entscheidung keinen Augenblick lang bereut. Auf dem platten Land würde ich mich bestimmt nicht wohlfühlen. Für eine Zeitlang ist das sicher wunderbar, aber nicht dauerhaft. Dafür bin ich nicht der Typ. Andererseits hat Nelly das auch immer gesagt – und jetzt wohnt sie schon seit etlichen Jahren in der Pampa und ist dort richtig glücklich.
„Spann dich erstmal ein bisschen aus“, rät Nelly mir. „Hier ticken die Uhren anders und alles geht langsamer vonstatten. Das wird dir guttun.“
„Das glaube ich auch“, erwidere ich und sehe mich schon vor Nellys Kamin rumlümmeln. Ich brauche nur noch einen Diener, der mir ab und zu einen Glühwein oder eine heiße Schokolade reicht.
„Natürlich macht es ein bisschen Arbeit, all die Tiere zu versorgen“, erwähnt Nelly wie nebenbei. „Die kann ich selbstverständlich nicht auf die Kreuzfahrt mitnehmen. Sieben Katzen, drei Hunde, Schafe, Hühner, Enten … was man so auf dem Land eben hält. Du bist doch tierlieb, oder?“
„Ja, schon“, stottere ich. „Aber … ähm … du nimmst mich jetzt auf den Arm, oder? Du hast doch gar keine Tiere.“
„Ich hatte keine Tiere“, berichtigt Nelly mich. „Als ich hierher gezogen bin, war ich allein. Aber nach und nach kamen immer mehr Tiere hinzu und ich muss sagen, ich genieße es sehr. Es ist wunderbar, mit den Katzen im Bett zu schlafen und morgens von einem Hund begrüßt zu werden, der dir mit der Zunge übers Gesicht leckt. Naja, gut, das ist sicher nicht jedermanns Sache, aber mir gefällt es. Auch die Enten und Hühner und Schafe sind zuckersüß. Ich bin mir sicher, du wirst es lieben. Du hast doch auch Tiere, oder?“
„Zwei Kaninchen“, antworte ich etwas überfordert. „Das ist schon ein bisschen was anderes als dein Zoo. Wie viele Tiere sind es denn insgesamt?“
„Genau weiß ich das nicht“, entgegnet Nelly heiter. „Ich schätze, zwischen 50 und 60.“
Ich schließe kurz die Augen und sehe meine Erholung davoneilen. Ich soll 50 oder 60 Tiere betreuen? Natürlich bin ich tierlieb. Sehr sogar. Aber ich habe keine Ahnung von Enten, Hühnern und Schafen. Klar habe ich schon mal welche gesehen, aber das war es auch.
„Ehrlich gesagt weiß ich nicht, ob ich mir das zutraue“, mache ich einen halben Rückzieher. Von faul mit einer heißen Schokolade am Kamin rumhängen kann ja wohl keine Rede mehr sein.
„Was ist, wenn eines der Tiere krank wird? Oder gleich mehrere? Ich wüsste gar nicht, was ich dann machen soll.“
„Das werde ich dir schon erklären“, beruhigt Nelly mich. „Enten und Hühner kannst du sowieso nicht zum Tierarzt schleppen. Die regen sich so auf, dass sie das nicht überleben. Da muss man der Natur ihren Gang lassen und kann leider nichts machen.“
„Hört sich ja super an“, murmele ich.
Ich soll dabei zusehen, wie ein Tier nach dem anderen das Zeitliche segnet und nichts dagegen unternehmen? Meint Nelly das im Ernst?
„Mit den Hunden und Katzen ist das natürlich etwas anderes“, fährt Nelly fort. „Da habe ich einen wirklich sehr guten Tierarzt, der mich schon viele Jahre lang kennt. Aber meine Tiere sind kerngesund. Ich war schon seit Ewigkeiten nicht mehr mit ihnen beim Arzt.“
„Also, ich weiß nicht …“
Meine Stimme wird immer dünner. So eine große Verantwortung möchte ich mir eigentlich nicht aufhalsen.
„Wenn dir das zu viel ist, kann ich gerne Verstärkung anfordern“, gibt Nelly nicht auf.
„Was genau meinst du damit?“, erkundige ich mich misstrauisch.
„Es ist einfacher, wenn du nicht ganz allein die Verantwortung übernehmen musst“, trifft Nelly ins Schwarze. „Ich könnte dir jemanden zur Verfügung stellen. Benedikt, der Sohn eines Bekannten, der auch in Berlin lebt. Er wollte schon immer ein paar Wochen hier wohnen, weil er das Landleben ganz toll findet.“
„Aber dann kann er das doch übernehmen“, will ich mich geschickt aus der Affäre ziehen. „Wenn er das so toll findet, brauchst du mich doch gar nicht.“
Nelly seufzt auf.
„Ganz allein kann er das nicht übernehmen“, erklärt sie. „Ben ist Musiker und hat ständig irgendwelche Auftritte. Das bedeutet, dass er oft über Nacht nicht da ist. Und das geht natürlich nicht. Die Hunde zerlegen mir das ganze Haus, wenn sie allein sind. Aber er könnte zumindest zeitweise hier wohnen. Was hältst du davon?“
„Ich soll mit einem fremden Mann in deinem Haus wohnen?“ Meine Stimme ist plötzlich ganz schrill geworden. „Aber ich kenne ihn doch überhaupt nicht! Und mit dem soll ich dann ganz eng zusammenleben?“
„Ganz eng ist relativ“, lacht Nelly. „Das Haus hat 200 Quadratmeter. Da kann man sich gut aus dem Weg gehen. Wenn alle Stricke reißen, kann einer von euch im Nebengelass wohnen. Ben ist wirklich in Ordnung. Vielleicht hast du Angst, wenn du allein in dem großen Haus bist und fühlst dich mit all den Tieren überfordert. Ben kennt sich generell gut mit Tieren aus und insbesondere mit meinen. Er hat schon ein paar Mal auf sie aufgepasst, wenn ich kurzzeitig verreist war. Aber es ist wichtig, dass Tag und Nacht jemand hier ist – und das kann Ben nicht leisten. Darum dachte ich an dich. Oder an euch.“
Ich stöhne auf. Nellys Angebot hat sich zuerst so gut angehört, aber ich hätte mir schon denken können, dass es einen Haken gibt. Und dieser Haken heißt Ben. Ich habe nicht die geringste Lust, mit einem fremden Typen zusammen in einem Haus zu wohnen.
Nein, das kommt überhaupt nicht in Frage.
Ein paar Tage später bin ich auf dem Weg nach Schafstetten – da ist wohl der Name Programm. Ansehen kann ich mir das Ganze schließlich mal. Nelly hat gesagt, dass ich zu nichts verpflichtet bin. Ich kann mir alles anschauen und dann verkünden, dass ich kein Interesse habe. Allerdings hätte ich in diesem Fall zugegebenermaßen ein schlechtes Gewissen, weil Nelly jemanden braucht, der ihre Tiere betreut. Und ich möchte das im Grunde auch gerne machen. Nur weiß ich eben nicht, ob ich mir das zutraue.
Der Zug hält auf einem Gleis mitten in der Pampa. So etwas wie einen Bahnhof gibt es selbstverständlich nicht. Immerhin gibt es eine Schranke, die jetzt geschlossen ist. Und vor dieser Schranke steht ein knallgelbes Auto, aus dem fröhlich meine Tante Nelly winkt.
„Ich bin wie immer spät dran“, schreit sie. „Warte kurz auf mich, ich bin in einer Minute da.“
Natürlich werde ich auf sie sie warten. Was für eine Alternative habe ich?
Ich schlurfe ein paar Meter weiter und werde fast von Nelly über den Haufen gefahren. Mit quietschenden Reifen kommt sie wenige Zentimeter von mir zum Stehen und steigt vergnügt aus.
„Hallo, meine Liebe, wie schön, dich zu sehen“, begrüßt sie mich überschwänglich und reißt mich in ihre Arme.
Wie immer trägt sie bunte Klamotten und hat ihre langen, roten Haare hochgesteckt. Sie strahlt mich an und unwillkürlich muss ich zurücklächeln. Es ist unmöglich, in Nellys Gegenwart schlechte Laune zu haben.
„Herzlich willkommen in Schafstetten, die Stätte für Schafe, haha. Ich bin mir sicher, es wird dir hier gefallen.“
„Bestimmt“, antworte ich wenig überzeugt.
Ich bin zwar auf dem Land groß geworden, konnte aber mit 18 nicht schnell genug wegkommen und bin für ein Jahr als Au Pair Girl nach London gegangen. Eigentlich wollte ich nach Los Angeles, aber das hat nicht geklappt, was mir heute noch leid tut. Und ich glaube, Schafstetten ist kein würdiger Ersatz für Los Angeles. Jedenfalls sieht das hier nicht so aus. Sicher, der Schnee lässt alles schön und friedlich aussehen, aber wenn er weggeschmolzen ist, ist dieses Nest bestimmt trostlos und grau.
„Du wirst die Ruhe lieben“, verspricht Nelly mir und ich frage mich, ob man bei so vielen Tieren tatsächlich seine Ruhe hat. Irgendjemand bellt, miaut, schnattert, blökt oder kräht garantiert immer herum.
„Es ist eine ganz andere Welt“, schwärmt Nelly mit glänzenden Augen.
„Das glaube ich“, erwidere ich, und ich glaube es wirklich. Allerdings weiß ich nicht, ob ich mich in dieser Welt zurechtfinden werde.
Die Sitze von Nellys kleinem Auto sind voller Tierhaare. Außerdem liegen überall Kauknochen und ähnlich hübsche Accessoires herum. Hoffentlich sieht Nellys Haus nicht genauso aus.
Wir fahren nur wenige Minuten, bis meine Tante anhält. Erstaunt steige ich aus. Das rote Haus mit den weißen Säulen ist riesig und ich kann kaum glauben, dass Nelly es allein bewohnt. Sie hat dieses Haus vor einem Jahr gekauft und ich sehe es heute zum ersten Mal. Vorher hat sie in einem Nachbarort gelebt.
„Das Grundstück ist 8.000 Quadratmeter groß“, berichtet Nelly stolz. „Du musst aufpassen, dass du dich nicht verläufst.“
Das ist ja irre. Da muss man zum Joggen nicht mal das eigene Grundstück verlassen.
„Da drüben auf der Koppel sind die Schafe.“
Nelly macht eine Handbewegung nach rechts. Tatsächlich, dort stehen sie an einem Futtertrog mit Heu und blöken uns zur Begrüßung laut zu.
„Die Schafe sehen ganz weihnachtlich aus“, finde ich. „Die Heuraufe sieht aus wie eine Krippe. Was für ein schönes Bild.“
Es wirkt so ruhig und friedlich und ich muss sofort ein Foto machen.
„Die Schafe müssen morgens und abends gefüttert werden“, instruiert Nelly mich. „Dafür gibt es sogenannte Schafpellets. Ansonsten fressen sie Gras und jetzt im Winter Heu, das ihr in die Heuraufe füllen müsst. Birnen und Äpfel fressen sie auch sowie getrocknetes Brot. Das muss ganz trocken und hart sein. Und natürlich müsst ihr sie morgens aus dem Stall rauslassen und abends wieder einsperren. Schließlich gibt es hier Füchse. Wenn es dunkel wird oder noch nicht hell ist, ist es sonst gefährlich.“
„Gehen sie freiwillig zurück in den Stall?“, erkundige ich mich.
„Meistens schon“, behauptet Nelly. „Wenn nicht, musst du sie mit den Pellets locken Danach sind sie ganz verrückt. Aber es klappt eigentlich immer ohne größere Probleme.“
Ich muss sagen, das Wort eigentlich stört mich ein bisschen. Ich sehe mich schon schweißgebadet hinter dem Schafsbock mit den Hörnern herlaufen, der mir immerzu entwischt. Ehrlich gesagt schaffe ich es manchmal nicht mal, Maya aus dem Wohnzimmer zu entfernen. Da meine Kaninchen dazu neigen, manchmal auf die Couch zu pinkeln, müssen sie nachts mit dem Rest der Wohnung vorliebnehmen. Maja gefällt das jedoch überhaupt nicht. Wenn sie das Wohnzimmer verlassen soll, läuft sie bis zur Tür, um dann plötzlich umzudrehen und ins Wohnzimmer zurückzulaufen. Ich habe schon Stunden mit sinnlosen Versuchen verbracht und sie schließlich doch im Wohnzimmer gelassen. Irgendwann gibt man einfach auf. Aber bei den Schafen kann ich das nicht machen, denn es ist gefährlich. Da muss ich mich durchsetzen. Aber ehrlich gesagt bezweifele ich, dass ich mich gegenüber einem gehörnten Schafsbock durchsetzen kann, wenn mir das nicht mal bei einem Zwergkaninchen gelingt. Aber das werde ich Nelly jetzt ganz bestimmt nicht auf die Nase binden.
Erschrocken zucke ich zusammen, als lautes Gebell ertönt.
„Das sind Balou, Finn und Kitty“, verkündet Nelly fröhlich. „Sie warten schon auf uns und freuen sich, dass du kommst.“
„Ach, haben sie das gesagt?“, erwidere ich albern.
Nelly lacht. „Sie sind immer ganz aufgeregt, wenn wir Besuch bekommen. Du musst keine Angst haben. Es sind absolut friedfertige Tiere. Aber sie sind sehr ungestüm und zeigen ihre Euphorie und Liebe sehr deutlich.“
Als Nelly das Tor zum Garten öffnet, weiß ich, was sie meint. Drei Monster kommen auf mich zugeschossen und werfen mich fast zu Boden.