Print im Abstiegskampf? - Alexander Rauschnick - E-Book

Print im Abstiegskampf? E-Book

Alexander Rauschnick

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Beschreibung

Durch den technologischen Wandel der letzten 15 Jahre haben sich Rezeptionsgewohnheiten wie auch journalistische Arbeitsweisen verändert. Das vorliegende Buch thematisiert diese Umbrüche für Österreich sowohl aus Sicht der Rezipientinnen und Rezipienten, wie auch aus Perspektive der Chefredaktionen. Ausgehend von feldtheoretischen Annahmen wird diskutiert, inwieweit tatsächlich ein Wandel der gesellschaftlichen Rolle von Journalismus zu beobachten ist, oder ob Veränderungen der journalistischen Praxis rein auf technologische und wirtschaftliche Entwicklungen zurückzuführen sind. In zwei Erhebungswellen wurden in den Jahren 2013 und 2015 801 Personen im Raum Salzburg zu ihren aktuellen Nutzungsgewohnheiten, ihrer Einstellung zum Journalismus und dessen Wandel im Rahmen mittels Face-to-Face-Surveys befragt. Ergebnisse dieser Studien zeigen, dass der internationale Trend zu Onlinenachrichten aufgrund von Kohorten-Effekten in den nächsten Jahren auch in Österreich zu tragen kommen wird. So sind aber weder jüngere noch ältere Nutzer wie Nutzerinnen bereit für Onlinenachrichten zu zahlen, alternative Einnahmequellen wie Advertorials werden kritisch gesehen. Dennoch ist das Vertrauen in klassische Medienanbieter hoch und die Rezipientinnen wünschen sich transparenten, kritischen und unabhängigen Informationsjournalismus. In Leitfadeninterviews stellen die befragten Chefredaktionen die aktuelle Situation als Herausforderung dar und geben in ihre Perspektive zum Wandlungsprozess preis. Zunehmend auftretende Finanzierungslücken sollen über thematischen Nischen, das Errichten von Pay-Walls und das Aufkommen von Nebengeschäften, abseits des klassischen Journalismus geschlossen werden. Dabei ist in der Selbstwahrnehmung der Medienanbieter und -anbieterinnen die Aufgabe des Journalismus unverändert. Sie möchten als unabhängige Berichterstatter und -statterinnen auftreten, obwohl wirtschaftliche Instabilität und Einflussversuche durch Wirtschaft und Politik dies gefährden. Zudem werden das schlechte Image des Berufsstands, sowie die Belastung durch neue Aufgaben als Problemfelder thematisiert. Während bei Rezipientinnen als auch Produzentinnen ein deckendes Problembewusstsein vorhanden ist, zeichnet sich aufgrund von sinkender Zahlungsbereitschaft und steigender Skepsis gegenüber traditionellen Medienangeboten ein negativer Trend ab. Dieser könnte langfristig zur Erosion des Printzeitungsmarkts führen, wie es bereits in anderen Ländern zu beobachten ist.

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Herausgegeben von Dimitri Prandner mit der Unterstützung und Beiträgen von Alexander Rauschnick

mit Beiträgen von Sarah Brandstätter, Jana Büchner, Jakob Lamprecht, Reiner Maislinger, Thomas Surrer, Andreas Röser & Jessica Würth

Inhaltsverzeichnis

Abstract

Vorwort

Das Medium Journalismus und das Medium des Journalismus

Handlungsspielraum und Habitus

Partizipation, Demokratie und das Internet

Soziodemographie des Internetzugangs in Österreich

Fenster zur Welt

Die digitale Revolution, ihre Kinder, und ihr Speiseplan

Journalismus in der Gegenwartsgesellschaft – Ein soziales Feld, das sein Distinktionskriterium verloren hat?

Kohäsionsverlust – Kernaufgaben und Handlungsmöglichkeiten im Feld

Machtverlust – Schwindende Kohäsion und Fremdwahrnehmung?

Bedeutungsverlust – Nur die ehemaligen InformationsdienstleisterInnen?

Gegenposition – Werte als Grundlage

1. Der österreichische Printmarkt im Umbruch?

1.1. Veränderungen in der Mediennutzung?

1.2. Ist der Journalismus in der Krise?

2. Methodisches Vorgehen

2.1. Die Publikumsperspektive – Quantitative Erhebungen im Raum Salzburg Stadt

2.1.1. Fragebögen für die Erhebungen aus 2012/2013 und 2015

2.1.2. Soziodemographie - Die Stichproben der quantitativen Erhebungen

2.1.3. Mediennutzung als Ausgangspunkt

2.2. Chefredakteure und Wandel - qualitative Leitfadeninterviews

2.2.1. Leitfaden – Inhalte und Vorgehensweise

2.2.2. Auswahlmethode

3. Lügenpresse, Schminktutorials und der arme Reporter? – Die Umbrüche im Journalismus aus der Sicht des Publikums

4. Journalismus – ein Alltagsbegriff zwischen normativem Anspruch und öffentlicher Wahrnehmung

4.1. Journalismus – Aufgaben und Rollen innerhalb der Gesellschaft

4.2. JournalistInnen – öffentliche Ansichten über das Berufsfeld

4.3. Das journalistische Feld

4.4. Von Habitus, Illusio und Doxa – Zum Verstehen der Journalistischen Handlungsmöglichkeiten

4.5. Was ist nun Journalismus?

5. Transparenz, Glaubwürdigkeit und Vertrauen als Qualitätskriterien

5.1. Qualitätsmanagement in Österreich – der Grund für eine Glaubwürdigkeitskrise?

5.2. Die Glaubwürdigkeitsdebatte aus Sicht der österreichischer Tageszeitungen

5.3. Die Glaubwürdigkeitsdebatte aus Sicht der RezipientInnen

6. Einfluss von Politik und Wirtschaft auf Medien

6.1. Wahrgenommene Einflüsse durch Gesetze und Förderungen

6.2. Wahrgenommener Einfluss durch das politische Feld

6.3. Wahrgenommene Einflüsse durch persönliche Freundschaften und Naheverhältnisse

6.4. Wahrnehmung des Einflusses der Wirtschaft (in Form von Werbung und Inseraten)

6.5. Wahrgenommener Einfluss der Public Relations

6.6. Wahrgenommener Einfluss durch Besitzverhältnisse

6.7. Eine paradoxe Einstellung zu den Medien?

7. Die Rolle der Online-News

7.1. Verbreitungsformen und Rezeptionsgewohnheiten

7.2. Wandel für den Journalismus

7.3. Herausforderung für das Geschäftsmodell

7.4. Wandel bei den NutzerInnen

8. Ein ‚Special-Interest-Boom‘ durch das World Wide Web?

8.1. Special vs. General

8.2. Die Vielfalt von Special-Interest

8.3. Special Interest im Internet

8.4. Wie weit geht Online-Journalismus?

8.5. Monetarisierung der Inhalte

9. Chefredaktionen? Denn sie wissen nicht was zu tun

10. Wer verdient wie mit Medien in Österreich

10.1. Wer mit Medien in Österreich Geld verdient

10.2. Wie wird mit Medien in Österreich Geld verdient?

10.3. Wie bewerten RezpientInnen die Erwerbsstruktur der österreichischen Medienlandschaft?

10.4. Wie bewerten ChefredakteurInnen die Erwerbsstruktur der österreichischen Medienlandschaft?

10.5. Advertorials: Fluch oder Segen?

11. Special-Interest-Journalismus in Tageszeitungen

11.1. Special-Interest zwischen Werbung und Public Relations

11.2. Special-Interest-Journalismus in Österreich?

12.Wie Medienmacher Einflüsse auf den Journalismus sehen

13. Reflexionen über den Beruf – Chefredakteure über den Journalismus

13.1. JournalistInnen im sich wandelnden Journalismus

13.2. Journalistisches Selbstverständnis

13.3. Berufswahlmotive im Wandel der Zeit

13.4. Anforderungen der Industrie und Ansprüche der JournalistInnen

13.5. Wachsender Druck

13.6. Einfluss der Digitalisierung

13.7. Unzufriedenheit im Arbeitsalltag und Familienvereinbarkeit

14. Schlussbemerkungen

15. Literatur

16. Anhang - Erhebungsinstrumente

16.1. Fragebogen aus 2015

16.2. Fragebogen aus 2012/2013

16.3. Leitfaden aus 2016

Abstract

Durch den technologischen Wandel der letzten 15 Jahre haben sich Rezeptionsgewohnheiten wie auch journalistische Arbeitsweisen verändert. Das vorliegende Buch thematisiert diese Umbrüche für Österreich sowohl aus Sicht der Rezipientinnen und Rezipienten, wie auch aus Perspektive der Chefredaktionen. Ausgehend von feldtheoretischen Annahmen wird diskutiert, inwieweit tatsächlich ein Wandel der gesellschaftlichen Rolle von Journalismus zu beobachten ist, oder ob Veränderungen der journalistischen Praxis rein auf technologische und wirtschaftliche Entwicklungen zurückzuführen sind.

In zwei Erhebungswellen wurden in den Jahren 2013 und 2015 801 Personen im Raum Salzburg zu ihren aktuellen Nutzungsgewohnheiten, ihrer Einstellung zum Journalismus und dessen Wandel im Rahmen mittels Face-to-Face-Surveys befragt. Ergebnisse dieser Studien zeigen, dass der internationale Trend zu Onlinenachrichten aufgrund von Kohorten-Effekten in den nächsten Jahren auch in Österreich zu tragen kommen wird. So sind aber weder jüngere noch ältere Nutzer wie Nutzerinnen bereit für Onlinenachrichten zu zahlen, alternative Einnahmequellen wie Advertorials werden kritisch gesehen. Dennoch ist das Vertrauen in klassische Medienanbieter hoch und die Rezipientinnen wünschen sich transparenten, kritischen und unabhängigen Informationsjournalismus.

In Leitfadeninterviews stellen die befragten Chefredaktionen die aktuelle Situation als Herausforderung dar und geben in ihre Perspektive zum Wandlungsprozess preis. Zunehmend auftretende Finanzierungslücken sollen über thematischen Nischen, das Errichten von Pay-Walls und das Aufkommen von Nebengeschäften, abseits des klassischen Journalismus geschlossen werden. Dabei ist in der Selbstwahrnehmung der Medienanbieter und - anbieterinnen die Aufgabe des Journalismus unverändert. Sie möchten als unabhängige Berichterstatter und -statterinnen auftreten, obwohl wirtschaftliche Instabilität und Einflussversuche durch Wirtschaft und Politik dies gefährden. Zudem werden das schlechte Image des Berufsstands, sowie die Belastung durch neue Aufgaben als Problemfelder thematisiert.

Während bei Rezipientinnen als auch Produzentinnen ein deckendes Problembewusstsein vorhanden ist, zeichnet sich aufgrund von sinkender Zahlungsbereitschaft und steigender Skepsis gegenüber traditionellen Medienangeboten ein negativer Trend ab. Dieser könnte langfristig zur Erosion des Printzeitungsmarkts führen, wie es bereits in anderen Ländern zu beobachten ist.

Vorwort

24/7 online mit dem Mobiltelefon, Peer-to-Peer Austausch statt Einwegkommunikation und soziale Netzwerke statt Hauptabendnachrichten. Nicht nur haben sich die Möglichkeiten zum Medienkonsum im letzten Jahrzehnt vervielfacht, sondern es haben sich auch Nutzungsgewohnheiten verändert. Die damit einhergehenden Umbrüche lassen sich verkürzt mit dem vielzitierten Satz, „If the news is that important, it will find me“1 zusammenfassen.

Man will sich anscheinend nicht mehr mittels Nachrichtenmedien über die Geschehnisse rund um die Welt informieren. Vielmehr wird davon ausgegangen, dass die wichtigsten Informationen über Geschehnisse in der Welt einen sowieso erreichen. Am besten von der besten Freundin als Erfahrungsbericht präsentiert und nicht von unbekannten JournalistInnen in der Redaktion aufbereitet.

Trotz aller Polemik weist der Kern dieser Aussage auf eine wichtige Frage hin: Wie informieren sich GesellschaftsteilnehmerInnen über aktuelles Geschehen? Welche Rolle spielt dabei die Einrichtung des Journalismus, die über Jahrhunderte die Informationsfunktion in der Gesellschaft innehatte?

Diese durchaus relevanten Punkte haben sieben Masterstudierende 2015 und 2016 im Rahmen eines kommunikationswissenschaftlichen Forschungsprojekts als Ziel für ihre Arbeit identifiziert. Das hier vorliegende Buch ist das Ergebnis ihrer umfangreichen Arbeit, bei der ich sie unterstützend, aber nicht lenkend begleitet habe.

Von der Aufarbeitung von Theorie, über die Identifizierung von relevanten Problemfeldern, hin zur Erhebung und Auswertung haben die Studierenden in 18 Monate die Rolle von Journalismus in der Gegenwartsgesellschaft diskutiert und analysiert. Frustrierende Momente in der Erhebungsphase, überraschende Ergebnisse in der Auswertung und Zähneknirschen beim Lesen der Rückmeldungen aus dem Reviewverfahren waren Begleiterscheinungen und Teil der Erfahrungen, die diese Zeit mitgeprägt haben.

Nur um zwei kurze Textstücke ergänzt, stellt das Buch die alleinige Leistung von Studierenden dar, die als solche wahrgenommen und rezipiert werden sollten. Aber auch relevante und für die Kommunikationswissenschaft wichtige Ergebnisse zu Tage gefördert hat.

1  Vermutlich erstmals zitiert von Brian Stelter in: The New York Times, 27. 3. 2008. [http://www.nytimes.com/2008/03/27/us/politics/27voters.html]; 01.09.2016

Kommunikationssoziologische Beiträge zum Thema

Das Medium Journalismus und das Medium des Journalismus

Ein Beitrag von Alexander Rauschnick

“In a broadcast society, there were gatekeepers, the editors, and they controlled the flows of information. Along came the Internet and it swept them out of the way, and it allowed all of us to connect together, and it was awesome. But that’s not actually what’s happening right now.”

Internetaktivist Eli Pariser, 2011 (zitiert nach Lotan 2014)

„Man wird die CD kaufen müssen, weil man einfach nicht seinen Computer auf die Schulter nehmen kann und zum Strand gehen kann, um die Musik dort zu hören.“ Die Rockband Green Day im Interview zum Thema illegale Downloads, 2000 (laut.de 2000)

Die Frage nach der Zukunft des Journalismus ist auch die Frage nach der Zukunft des dominanten Mediums des Journalismus: Das klassische Vermarktungsmodell gedruckter Zeitungen und Zeitschriften hat sich durch die Popularisierung des Internets in einschneidender Weise verändert. Die konkreten Folgen für das Geschäft des Journalismus und die JournalistInnen selbst sind in diesem Buch detailliert erfasst. Vorab sei jedoch der Blick auf die Gegenseite im doppelten Sinne gerichtet: Was bedeutet diese Veränderung für den gesellschaftlichen Kontext, in dem Journalismus stattfindet; das Zwischenspiel von Sender und Empfänger?

Auch wenn häufig zu lesen ist, dass sich die Leute heute ihre Informationen im Internet holen, bedarf eine soziologisch ergiebige Analyse einer differenzierteren Herangehensweise.2 Die vielfältigen Möglichkeiten des Internets werden in höchst unterschiedlichem Maße - im konstruktivistischen Sinne wortwörtlich - wahrgenommen. Dieser Umstand ist weder regionsspezifisch noch neu, und wird unter dem Begriff der digitalen Kluft in unterschiedlichen Erklärungszusammenhängen betrachtet (für einen Überblick siehe Sassi 2005). Eine Variante der digitalen Kluft fokussiert den Umstand, dass formaler Zugang (also: „Internetanschluss vorhanden“) alleine noch wenig aussagt, da die tatsächlichen Nutzungsstile entscheidend sind, wenn es darum geht, sich infolge der Internetnutzung Behauptungsvorteile zu sichern. Eine entsprechend differenzierende Betrachtung verlangt eine profunde Tiefe bei der Erhebung relevanter Daten, was zwar aufwändig und kostspielig, für gewisse Fragestellungen aber unabdingbar ist. Gerade vor dem Hintergrund dessen, dass das Internet inzwischen für eine erfolgreiche Positionierung in Bezug auf viele Lebensbereiche wichtig geworden ist – Karriere, Soziales (Freunde oder [potentielle] Partner), Konsum (etwa von lokal nicht verfügbaren Gütern), zivilgesellschaftliche Organisation (etwa von Veranstaltungen), Wahrnehmung der Bürgerrechte (durch die Möglichkeit der selbsttätigen Recherche)… - ergeben sich aus unterschiedlichen Nutzungsstilen auch extradigitale Unterschiede, die von erheblicher (zivil)gesellschaftlicher Relevanz sind, etwa, was die Optionen und Zugänge zur gesellschaftlichen Teilhabe angeht. Das Ausmaß der Stratifikation des Zugangs tangiert also auch demokratische Belange, und, wie sich zeigen wird, das gerade für Journalismus so relevante Spannungsfeld von Privatheit und Öffentlichkeit.

Handlungsspielraum und Habitus

„Niemand ist mehr Sklave, als der sich für frei hält, ohne es zu sein.“

Schriftsteller Johann Wolfgang von Goethe, 1809 (Goethe 1809)

„Es ist der Habitus, der das Habitat macht.“

Soziologe und Sozialphilosoph Pierre Bourdieu, 1991 (zitiert nach Löw 2001: 32)

Da der Zugang zu Informationen aus dem Netz nicht über den Umweg der traditionellen Gatekeeper der Zeitungen, welche eine Vorauswahl aus den mannigfaltigen täglichen Ereignissen treffen, erfolgt, sondern ein nahezu endloses Meer an ansteuerbaren Websites existiert, besteht eine der genuinen Besonderheiten des Internets darin, dass dort eine „Jagd“ nach den entsprechenden Neuigkeiten sowohl möglich als auch geboten ist (vgl. Levinson 1999: 91): Der weniger gefilterte Informationsfluss, ohne zentrale Quelle oder Autorität (vgl. ebd.: 83), bedingt, dass diese aktive Suche – im Gegensatz zur passiven Rezeption – die zentrale Besonderheit des genuin digitalen Informationsbezugs ist. Just jener Modus der Mediennutzung ist jedoch äußert ungleich verteilt, und bei weitem nicht der standardmäßig milieuübergreifend anzunehmende: Die Verwendung des Internets als „Berieselungsmedium“, als sinnbildlicher Fernseher mit mehr Kanälen, ist durchaus möglich und auch verbreitet (siehe etwa van Deursen / van Dijk 2014; van Deursen / van Dijk 2010).

Mit dem Vokabular Bourdieus gesprochen wird der externe Gatekeeper der Redaktionen und Verleger durch den internalisieren Gatekeeper des Habitus ersetzt. Bourdieus Habituskonzept besagt, dass Individuen einen Habitus entwickeln, welcher die angesichts der in der Prägungsphase verfügbaren Kapitalien (ökonomische, kulturelle, soziale) ideale Handhabe und Strategie umfasst, wie man die Welt wahrnimmt und mit ihr verfährt (vgl. Bourdieu 1983). Bereits die Wahrnehmung der verfügbaren, denkbaren Optionen ist durch den Habitus gesteuert, er legt das „Denkbare und das Undenkbare“ fest (Bourdieu 2000: 97, in der englischen Quelle „the thinkable and the unthinkable“, eigene Übersetzung). Der Zugang zu Optionen, welche formal universell verfügbar sind, gestaltet sich daher praktisch höchst ungleich, da das, was immanenter Bestandteil des tatsächlichen Strategie- und Handlungs-repertoires ist, schwankt. Ein kontrahabituelles Handeln löst gar körperliches Unbehagen aus - Bourdieu vergleicht die Schwierigkeit, inkorporiertes Verhalten zu überwinden damit, in peinlichen Situationen nicht unterbinden zu können, rot anzulaufen (ebd.: 172).

Gerade vor dem Hintergrund dessen, dass sich im Umfeld der digitalen Technologien zahlreiche neue Optionen aufgetan haben, ist diese Starrheit des Habitus folgenreich. Faktisch sind unterschiedliche Habiti mitnichten als hierarchisch äquivalent anzusehen, da einige besondere Nähe (und besonderen Zugang) zu dem legitimen Geschmack und dessen Manifestationen bedeuten (vgl. Bourdieu 1987, via Taubert 2006: 206). Selbst diejenigen, die andere Präferenzen aufweisen, wissen um den Umstand, dass bestimmte Geschmäcker „hochwertiger“ sind als andere - etwa klassische Musik im Vergleich zu Schlager. Doch dieses Bewusstsein für die Einstufung der eigenen Position resultiert in dem Konzept der „deserving poor“ (Bourdieu 2000: 79), welche sich „zurecht“ selbst am unteren Ende der Hierarchie wiederfinden. Jene aktive Mediennutzung, das aktive Suchen und selbsttätige Filtern von Informationen, weist enge Bezüge zum akademischen Habitus auf. Krajewski 1997 (69f) argumentiert gar, dass der hermeneutische Zugang zu Texten im Internet exakt das wissenschaftliche Lesen von Texten spiegele.

Partizipation, Demokratie und das Internet

„Die Digitalisierung der Wirtschaft schreitet mit Riesenschritten voran und sichert jenen Wettbewerbsvorteile, die sich an die Spitze der Entwicklung setzen.“

„Der Standard“ zu den Befunden der Wifo-Studie zum Thema Digitalisierung, 2016 (Strobl 2016)

„Einschluß und Ausschluß muß (…) nicht über Verbot oder physische Gewalt organisiert werden, sondern geschieht über Selbstausschluß durch Habituspräferenzen.“

Soziologin Martina Löw, 2001 (Löw 2001: 215)

Wie bereits angesprochen schwanken die Folgen, die sich aus den jeweiligen Nutzungsstilen ergeben, und die Möglichkeiten, die eigene Position zu stärken (vgl. van Deursen / van Dijk 2014: 512, Bezugnahme auf Helsper / Galacz 2009). Der dominante Modus der Kommunikation im Digitalen ist noch immer das Schriftliche. Schriftlicher Ausdruck korreliert stark mit der Fähigkeit, Informationen strukturieren (vgl. Eichmann 2000: p. 258) und reflektieren (vgl. Wehner 1997: 134, Bezugnahme auf Boeckmann 1994: 163ff.) zu können, und ist damit Grundvoraussetzungen digitaler Literarität (vgl. McLuhan / Powers 1995: pp. 90f, Bezugnahme auf Jaques Elluls: Propaganda). Bildung und akademischer Habitus begünstigen die eigene Position im Digitalen also auf mehreren Ebenen. Vor diesem Hintergrund gilt auch im Digitalen, dass der Habitus entscheidet, wer dominiert und wer dominiert wird (vgl. Bourdieu 2000: pp. 166f) - oder wie es Castells formuliert: „die Welt von Multimedia (wird) von zwei unterschiedlichen Bevölkerungen bewohnt werden (...): den Interagierenden und den Interagierten“ (Castells 2001: 424, via: Zillien 2006: 96).

Gerade der subtile, unmerkliche Charakter des Ausschlusses qua Habitus ist es, der vor dem Hintergrund der Verheißung des weltweiten, allumspannenden Informationsnetzes kritische Implikationen bedingt: Im Internet nicht vernommene Stimmen existieren nicht, oder werden – so der Subtext - legitimerweise nicht vernommen, da sie auf dem schrankenlosen Marktplatz der Ideen nicht bestehen konnten. Dieser Ausschluss erfolgt nicht nur durch unsichtbare Mechanismen, sondern er macht auch die ausgeschlossenen Personen selbst unsichtbar: Während man gesellschaftlich gescheiterte Individuen im Stadtbild wahrnimmt, leuchten von der Teilhabe der digitalen Welt ausgeschlossene Personen im Internet gar nicht erst auf. Wer nicht imstande ist, eine Identitätskonstruktion gemäß den zeitgemäßen Anforderungen vorzunehmen, wird zur „Unperson“ ( McLuhan / Powers 1995: p. 151). Die alles andere als triviale Frage hierbei ist, was „öffentlicher Raum“, gerade im Hinblick auf seine bürgerschaftlich-integrative und demokratische Funktion, im 21. Jahrhundert ist.

Doch die weit verbreitetere, noch unmerklichere, da quasi-naturalisierte Form in welcher Habitus im Internet selbstgesetzten Ausschluss bedingt (vgl. hierzu auch Löw 2001: 2015), ist dem Umstand geschuldet, dass die Auswahl der im Internet abgerufenen Inhalte persönlich getroffen wird, und das Angebot bei weitem jenes der Fernsehkanäle oder Zeitungen überschreitet. Ergo ist eine Aktivität im Internet ohne inhaltliche Schnittmenge zu anderen ebenfalls sehr engagierten InternetnutzerInnen problemlos denkbar. Abgesehen davon, dass man in allererster Linie seine typischen Interessenpunkte ansteuert, helfen Algorithmen dabei, gemäß des eigenen Nutzungsverhaltens als besonders relevant erachtete Inhalte bevorzugt zu listen – diese werden etwa von Suchmaschinen zuerst aufgeführt, oder in sozialen Netzwerken bevorzugt angezeigt. Im Ergebnis ist die Kommunikation im Internet damit aber gerade nicht schrankenlos, insofern sie hochgradig selektiert stattfindet – weit mehr als dies in klassischen Medien, wo die anderen Ressorts und Inhalte zumindest wahrgenommen, wenn auch nicht zwingend genutzt, werden. Die Folge ist ein unmerklicher Rückzug in eine mit den eigenen Interessen und Ansichten kongruente Sphäre, genannt filter-bubble (vgl. Lotan 2014). Diese Blasen sorgen für genuin unterschiedliche Auffassungen von Realität, jedoch jeweils perzipiert als geschöpft aus schrankenlos, ungefilterten, kurzum, neutralen, Quellen.

Soziodemographie des Internetzugangs in Österreich

“(E)xclusion from (the Internet and other computer networks) is one of the most dangerous forms of exclusion in our economy and in our culture.“

Soziologe Manuel Castells, 2001 (Castells 2001: 3)

„Wenn ich etwas aus dem Internet benötige, lasse ich es von meiner Sekretärin heraussuchen.

Selbst gehe ich nicht ins Internet.“

Literaturkritiker Marcel-Reich Ranicki im Interview, 2008 (Renner 2008)

Eine Analyse der Daten, welche Statistik Austria 2013 zum Thema „IKT Einsatz in Haushalten in Österreich“ erhoben hatte, ergibt ein düsteres Bild.3 Im Rahmen der Aufbereitung der Daten wurde vom Autor eine Clusteranalyse durchgeführt. Dabei wurden auf Grundlage der Angaben zu den Nutzungsstilen und Hintergrundvoraussetzungen die Indizes „Online-Präsenz“, „Proaktive Nutzung“, „Bildende Nutzung“ und „Technische Skills“ berechnet, und Fälle mit besonders ähnlichen Punkteprofilen gruppiert.4 Diese Cluster unterschieden sich – obwohl diese Variablen ja gerade nicht zur Gruppenbildung herangezogen wurden – stark in Bezug auf Soziodemographie, insbesondere bezüglich Bildung, Alter und Geschlecht.

Der Datensatz, auf dessen Grundlage die Analyse durchgeführt wurde, umfasst Personen im Alter von 16 – 74 Jahren. Da die einzelnen Fälle eine Gewichtungsvariable entsprechend ihrer Verbreitung in der Gesamtpopulation5 besitzen, ist es möglich, die Angaben der 4780 befragten Personen im Hinblick auf ihre Verteilung in der Gesamtpopulation der 16 – 74jährigen in Österreich (=6.419.651 Fälle) hochzurechnen. In Anbetracht der Fallzahl wurde die Clusteranalyse mit der Methode k-means durchgeführt, und die Zahl der Cluster zuvor mit einer (eine Stichprobe verwendende) hierarchischen Clusteranalyse bestimmt.

Letztlich ergaben sich so sechs distinkte Cluster - und der größte hiervon umfasst die Gruppe der non-Digitalen, welche das Internet überhaupt nicht nutzen (1.401.906 Fälle). Das bedeutet, 21,84% der ÖsterreicherInnen sind gemäß diesen Daten nicht online.

Bereits diese rein binäre Unterscheidung, ob man das Internet nutzt – noch nicht einmal wie – exkludiert 1/5 der Population. Dieser Teil der Bevölkerung ist im Vergleich zur restlichen Stichprobe überdurchschnittlich alt, lebt verstärkt in ländlichen Gegenden, und weist einen erhöhten Frauenanteil auf. Das Bildungsniveau der Clustermitglieder liegt weit unter dem der Gesamtstichprobe. Soziodemographisch handelt es sich also um eine bereits zuvor marginalisierte Gruppe, welche nun im Digitalen überhaupt nicht präsent ist.

Der zweitgrößte Cluster (1.171.894 Fälle) nutzt das Internet - jedoch auf eine sehr basale Weise, welche eine Verbesserung von etwa kulturellem Kapital nicht impliziert. Vielmehr wird das Internet hierbei als „Fernseher 2.0“ verwendet. Die Mitglieder dieses Clusters, die „Ländlichen BesucherInnen“, sind ebenfalls eher ländlichen Regionen zugehörig, liegen in Bezug auf das Alter leicht über dem Gesamtdurchschnitt; sie entsprechen in Bezug auf die Geschlechterverteilung und was das formale Bildungsniveau angeht jedoch nahezu exakt dem Mittelwert.

De facto sind in Form dieses Clusters weitere 18,25% der Population von der ursprünglichen Verheißung des Internets, einem schrankenlosen Austausch einhergehend mit Grenzüberwindung, Wissensvertiefung und geistiger Anregung, ausgeschlossen. Kumuliert, also inklusive des Clusters der non-Digitalen, sind dies bereits 40,09%. Eine Verlagerung von grundlegenden Zivilgesellschaftlichen Elementen und Prozessen ins Internet – Stichwort E-Governance, oder auch die Bildung von Interessengruppen – exkludiert also - je nachdem, wie konservativ man die Daten interpretieren will – ein bis zwei Fünftel der ÖsterreicherInnen. Vor dem Hintergrund der Hoffnungen in Bezug auf die Digitalisierung ist dies unbedingt vor Augen zu führen, da entsprechend systematisch begünstigter Ausschluss Ungleichheiten nicht lediglich reproduziert oder ermöglicht (eine Auferlegung verbindlicher, „richtiger“ Nutzungsstile wäre ja nicht weniger dystopisch), sondern vielmehr verstärkt - mit weitreichenden Folgen, was die Optionen und die Stellung der einzelnen AkteurInnen (etwa in Form der verfügbaren Kapitalien) anbelangt.

Doch obwohl die zwei angeführten Cluster jeweils über dem Altersdurchschnitt der Gesamtpopulation lagen, ist Alter alleine ist kein Grund für eine wenig kapitalienbringende Internetnutzung – vielmehr ist es die formale Bildung, welche erheblich mit entsprechendem (Nicht-)Einsatz korreliert. Kongruent mit dem generellen Alters- und Urbanitätsdurchschnitt, doch weit überdurchschnittlich gebildet ist der drittgrößte Cluster, jener der „Etablierten NutzerInnen“ (1.148.187 Fälle). Dessen Mitglieder fokussieren allerdings bildende und proaktive Nutzung. Sie zeichnen sich jedoch nicht durch große Online-Präsenz aus – sie nutzen das Internet, doch nehmen nicht spezifisch an der Gesellschaft im Digitalen teil. Sehr jung ist demgegenüber der viertgrößte Cluster (1.012.752 Fälle) „das neue Internet“, ebenso überdurchschnittlich weiblich geprägt. Doch hier sind weder bildende Nutzung noch hohe Bildung zu konstatieren, ebenso sind die technischen Fertigkeiten unter dem Durchschnitt. Demgegenüber steht eine starke Online-Präsenz – in Zeichen von Social Media bzw. Web 2.0 sind technische Hindernisse hier offenbar weitestgehend dezimiert worden. Inwieweit diese Präsenz jedoch in die anderen Sphären hineinreicht, ergibt sich aus der Datenlage nicht, kann jedoch aufgrund der bereits durchdeklinierten theoretischen Hintergründe kaum unterstellt werden. Gleichermaßen jung und weiblich wie „das neue Internet“, doch stark urban und akademisch orientiert sind die „Digitalen AkademikerInnen“ (975.913 Fälle), welche die bildende Nutzung verstärkt betreiben. Tatsächlich weist dieser Cluster nicht das höchste Bildungsniveau auf – dies ist der Cluster der „etablierten NutzerInnen“. Durch das geringere Alter der „digitalen AkademikerInnen“ ist jedoch die höchste Bildungsstufe nicht durchweg realistisch, was dies zu erklären vermag.

In Bezug auf die Kapitalien und die Positionierung in Relation zur Gesamtpopulation ist es durchaus anschaulich, einzelne Cluster als durch einen Generationenunterschied getrennte Manifestationen der gleichen Hierarchieposition zu deuten. „Das neue Internet“ lässt sich als Nachfolge der „ländlichen BesucherInnen“ interpretieren, und die „digitalen Akademiker“ als die Nachfolge der „etablierten Nutzer“ – jeweils geschuldet den veränderten Anforderungen eben jener Hierarchierealität. Die Logik dahinter ist die, dass sich so veranschaulichen lässt, wie Habitus sich im Digitalen auswirken, und klar wird, dass die daraus mündenden Nutzungsstile trotz der Generationenunterschiede in Bezug auf den inhaltlichen Fokus nach wie vor ihre Herkunft nicht verbergen können. Das heißt: All den genannten Clustern ist gemeinsam, dass außerhalb des Digitalen existierende Behauptungsvorteile, welche traditionell nicht mit Marginalisierung korrelieren, auch im Internet zu einer Mehrung dieser Vorteile führen. Tatsächlich sind die „digitalen AkademikerInnen“ aufgrund ihres erhöhten Frauenanteils – da Frauen ansonsten eher marginalisiert sind als Männer (vgl. Löw 2001: 213) – noch am ehesten der Cluster, welcher einen „Aufstieg“ impliziert, doch auch dieser findet nicht im luftleeren Raum statt, sondern vor dem Hintergrund bereits akkumulierten Bildungskapitals im herkömmlichen, selbst nicht von Ungleichheiten befreiten, Bildungssystem.

Wie sich die Rolle des Internets gewandelt hat, was die Einbindung in die Gesellschaft und die digitale Population betrifft, illustriert der letzte, mit 708.999 Mitgliedern kleinste Cluster, sehr deutlich. Die Mitglieder des Clusters des „alten Internets“ stellen jene Aspekte in das Zentrum, die für das „neue Internet“ uninteressant sind, einst jedoch unabdingbar waren: Sämtliche Indizes, von bildender Nutzung, proaktiver Nutzung, Online-Präsenz und technische Skills weisen sehr hohe Werte auf – die technischen Skills sogar mit sehr großem Abstand. Dass gerade die Online-Präsenz jedoch „nur“ in etwa gleichauf mit dem „neuen Internet“ liegt, und von den „digitalen AkademikerInnen“ übertroffen wird, zeigt auch, wie sich die Definition von „Präsenz“ verändert hat, und wie die Kommunikationsmittel sich geändert haben. Das „alte Internet“ verkörpert die inzwischen infolge einer Demographieveränderung überholten Grundwerte und Anforderungen (etwa technischer Natur) der originären Internetpopulation, und rekrutiert sich aus einem hochgebildeten, altersmäßig leicht unterdurchschnittlichen, klar männlich dominierten und urban ansässigen Personenkreis. Für sie bringt der Fokus auf das Internet klare strategische und Positionierungsvorteile, doch auch sie zeichnen sich durch bereits mannigfaltig vorhandenes kulturelles Kapital (wenngleich auch offenbar vergleichsweise wenig betonte Vernetzungsambitionen) aus, und stehen ebenso wie die „etablierten NutzerInnen“ und „digitalen AkademikerInnen“ (welche ebenfalls im Digitalen lediglich ihre Erfolgsgeschichte fortsetzen) drei Clustern gegenüber, deren Stellung durch das Internet eher geschwächt, noch weiter marginalisiert, wird.

Fenster zur Welt

„Die bürgerliche Öffentlichkeit steht und fällt mit dem Prinzip des allgemeinen Zugangs.“

Jürgen Habermas, 1962 (zitiert nach Habermas 1990: 156)

„Wir haben dieselben Methoden wie alle Eliten überall: Wir definieren, was guter Geschmack ist, was sich gehört und was nicht, und wir verachten diejenigen, die sich daran nicht halten. Wir sorgen dafür, dass unsere Zirkel geschlossen bleiben.“

Journalistin Elisabeth Raether, 2016 (Raether 2016)

Gerade für ein Land mit viel Peripherie, wie Österreich es ist, wird der bloße Blick auf die digital Arrivierten, also eine Analyse im Internet, als Indikator für die Verhältnisse in der digitalen Gesellschaft irreführend sein. Durch diese zunehmende „Fragmentierung des Publikums“ (McLuhan / Powers 1995: 167) stellt sich die Frage, was diese Zerklüftung für die Gesellschaft bedeutet: Der Fokus auf das Digitale, welches jedoch höchst unterschiedlich beschritten wird, macht fraglich, wie öffentlicher Raum in einer digitalen Gesellschaft zu verstehen ist: Die integrative Kraft solcher Räume ist durch die maximal individualisierte Raumsynthese des Digitalen (vgl. Löw 2001: 103, 199) hinfällig, und auch das für eine kritische Öffentlichkeit so zentrale Verhältnis zwischen privat und öffentlich (vgl. Liesegang 2004: 26) wird so erodiert (vgl. Löw 2001: 168f): Während die einen Personen das Internet als private Unterhaltung nutzen, wirken andere dort in höchst öffentlicher Weise, wodurch diese Dichotomie der Nutzungsstile auch in vermeintlich freizeitlichen Momenten noch Unterschiede erzeugt.

All dies heißt aber auch: „Die“ digitale Gesellschaft gibt es nicht, und eine digitalisierte Gesellschaft ist zunehmend fragmentiert (vgl. McLuhan / Powers 1995: 167). Die „digitalen Salongesellschaften“ mögen in der Theorie eine Vervollkommnung des Habermas'schen, schrankenlosen Diskurssalons sein (vgl. Habermas 1990: 98) - faktisch wird durch Soziodemographie klar moderiert, wer Zugang erhält oder auch nur sucht. 6 Dass jene Fragmentierung so unmerklich geschieht, verbrämt die dezidiert partikulare Sicht auf die Welt zu einer grenzenlos gültigen, da sie ja auch aus einem grenzenlosen Quellenvorrat schöpft und durch diesen einhellig gestützt wird. Die Folgen dieser auseinanderdriftenden Quellenlage mediatisierter Realität unterbindet in gewisser Weise Dialoge und Kompromisse: Ein Rückzug in eine den eigenen Ansichten eher entsprechende Sphäre ist stets möglich – auf mittelbare Weise gilt dies selbst für lokale Verhältnisse: Bei Differenzen mit örtlich dominanten Bräuchen kann die eigene Praxis im Internet Fürspruch und Betätigungsfelder finden.7 Dies gilt freilich nur für solche mit ausreichender Versiertheit im Umgang mit dem Digitalen – die Organisationsfähigkeit entsprechend benachteiligter Personen ist in einem weitreichenden Maße geringer. Doch Demokratien sind auf ausgleichende Effekte und eine generelle Verbreitung gewisser Fertigkeiten angewiesen – so ist etwa das allgemeine Wahlrecht seit der französischen Revolution traditionell mit der Sicherstellung, sich eine fundierte Meinung bilden zu können, und infolgedessen der Schulpflicht, verknüpft (vgl. Bourdieu 2001: 68). Inwieweit digitale Literarität in einer digitalen Gesellschaft rein optional bleiben kann, ist eine Frage, deren Antwort mit fortschreitender Digitalisierung eindeutiger werden wird. Denn auch im Digitalen gilt: Während die Zentren zusammenwachsen und kommunikationsfähig sind, isoliert sich die Peripherie – sowohl untereinander als auch von den Zentren.8

Einen dieser zerklüfteten Publikumsbeschaffenheit angemessenen Narrativ zu finden, stellt eine der großen Herausforderungen dar. Entgegen aller Annahmen, dass Schranken nun der Vergangenheit angehören, bleibt die ganz klassische Frage nach der eigenen Zielgruppe, sprich: Wer wird lesen, was von bestimmten Publikationen, in einem bestimmten Tonfall, veröffentlicht wird? Um den Gatekeeper des Habitus zu überwinden, also dafür zu sorgen, dass Artikel fernab der eigenen Zielgruppe gelesen werden (so dies erwünscht ist), muss die Meldung zum bzw. zur LeserIn kommen wie der sprichwörtliche Berg zum Propheten. Denn das einzige, was in anderweitig orientierte Filterblasen vordringen wird, sind Negativbeispiele für die „Gegenseite“, sprich solche Artikel, welche ob ihrer als so schlecht wahrgenommenen Gegenargumentation die eigene Position bestätigen. Doch während entsprechende Polemik also Reichweite generiert (gewissermaßen für zwei Filterblasen nützlich ist), läuft sie der zivilgesellschaftlichen Funktion von Journalismus zuwider: Eine allzu sehr Deutungshoheit reklamierende Beurteilung von Drittgruppen wird nicht integrativ wirken, sondern als anmaßend aufgefasst - „every people is academic in judging others, every people is barbaric when being judged“ (Bourdieu 2000: 87) – und dazu dienen, die Außengrenzen des eigenen Bezugsrahmens zu setzen. Denn vor die Wahl gestellt, einen Bezugsrahmen zu setzen, der einen selbst gewissermaßen abwertet, oder einen solchen, der einem Respekt und Interessenvertretung verspricht, wird die Entscheidung einfach sein. Die Süße der einen Optionen hängt auch immer von der Bitterkeit der anderen ab. Konkret in Verbindung mit Journalismus gerät diese allgemeine Regel etwa bei der Betrachtung des Zuspruchs zu feuilletonistisch gemeinhin als „indiskutablen“ Positionen oder Personen.9

Die digitale Revolution, ihre Kinder, und ihr Speiseplan

„The future is already here, it's just not evenly distributed.“

Autor William Gibson, 1999 (zitiert nach Green 201310)

„Das Internet ist für uns alle Neuland.“

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel zum Thema Internetüberwachung, 2013 (Kämper 2013)

So mutet auch eine Positionierung wider der „digitalen Revolution“ so unlogisch wie rückständig an: Revolutionen sind assoziativ zukunftsgerichtet und treiben die Geschichte voran. Doch im ursprünglichen Wortsinne wälzen diese, vom Lateinischen „revolvere“, zunächst einmal nicht mehr hinnehmbare Gegebenheiten um. Von daher kann man fragen: Welches Interesse hätten marginalisierte Mitglieder der Gesellschaft an einer zunehmenden Digitalisierung?11 Die dominanten Modi der Kommunikation und Positionierung im Digitalen haben, wie zuvor ausgeführt, eindeutig ungleiche Zugangsmöglichkeiten. Inwieweit sollte eine Teilnahme, welche mit großer Wahrscheinlichkeit im eigenen Hintereintreffen mündet, angestrebt werden, oder, noch klarer, eine zunehmende Betonung dieser Aspekte unterstützt werden? Die „deserving poor“, welche ihre undankbare Rolle in der Hierarchie als „verdient“ akzeptierten, stellen hierbei ein mögliches Szenario dar: Die Stellung im Arbeitsmarkt wird durch erfolgreiche Online-Suche nach Jobs und digitale Selbstpräsentation mediiert. Freundschaften werden durch digitale Netzwerke verwaltet und geschlossen, PartnerInnen kennengelernt. Zivilgesellschaftliches Engagement online organisiert, via E-Governance direkter demokratische Wirkung erzielt. Die mannigfaltigen Aspekte des eigenen Lebens koordiniert und gebahnt, die eigene Identität geformt. Ein zunehmender Fokus auf den digitalen Aktionsmodus lässt den digital Nicht-Arrivierten nur noch wenige Optionen, auch, was die Identitätsgestaltung angeht: Das Lokale wird durch räumlich eingegrenzte Kommunikation hinter sich gelassen, verbleibt aber manchen als einziger noch zugänglicher Bezugsrahmen..12

Eine hieraus mündende Unzufriedenheit mit der eigenen Ohnmacht kann demokratisch ihren Lauf nehmen, was Michael Young 1958 in seinem satirischen Essay „The Rise of Meritocracy“ skizzierte: Eine Auflehnung all jener gewissermaßen „deserving marginalized“, welche jedoch quantitativ so sehr überragen, dass sie hierzu einfach das Mittel der Demokratie bedienen können. 13 Inwieweit diese Ablehnung etablierte Prinzipien und Aspirationen achtet und gewährt hängt dabei auch davon ab, inwieweit dieser Modus als möglich bzw. zielführend angesehen wird. In Bezug auf jene Parteien, welche gewillt sind, jene – qua Narrativ eben nicht mehr zielführenden – politischen Normen abzuwerfen, verlautete Ulrich Beck: „Die Macht der (Rechts)Populisten ist demnach genauso groß, wie die Antwortlosigkeit der etablierten Politik auf die Fragen einer radikal veränderten Welt.“ (Beck 2009: 9).

Doch die Abkehr von Strukturkonformität bei der Vermittlung von Unbehagen, die Beschränkung auf legale Mittel, kann auch noch erheblich radikaler ausfallen – im wahrsten Sinne des Wortes. Denn die Psychologin Anne Speckhard, welche zahlreiche ehemalige ISIS-Anhänger interviewt hatte, kam zu dem Schluss: „(ISIS) are offering inclusivity, identity, sex, purpose, and significance, and sadly, those things are really resonating“ (Kuepper 2016). Die Struktur der digitalen Exklusion in Österreich deutet darauf hin, primär ältere Generationen vom Land auszuklammern. Terrorbeförderung ist hierdurch also nicht immanent anzunehmen. Doch dieses Zitat soll aufzeigen, dass die Unmöglichkeit legitimer Teilnahme, „dazugehören [zu] können“ (Habermas 1990: 334), auch eine Aufkündigung der gemeinsam geteilten „Spielregeln“ (deren Einhaltung als nicht mehr lohnend erlebt wird) nach sich ziehen kann - eine „Revolution“ im ursprünglichen, blutigen Sinne.14 Abseits von den Auswirkungen auf demokratischen Diskurs, wenn Überschneidungen von Milieus unwahrscheinlicher werden, ist digitale Ungleichheit also nicht nur ein Problem der Verlierer der Digitalisierung: Die Marginalisierung von Bürgern nicht soweit voranschreiten zu lassen, dass die Verlierer der Digitalisierung zu blanken „Unpersonen“ verkommen, ohne gleichermaßen anerkannte wie wirksame Möglichkeit, ihre Position und Person geltend zu machen, ist auch im Zeitalter digitaler Filterblasen zielführend. Denn wenn die Wahrung geltender Normen der eigenen Interessenvertretung zuwiderläuft, besteht andernfalls kein Grund, Regeln einzuhalten und gesellschaftliche Solidarität zu wahren.

Wie Hobbes' Leviathan bzw. der Kontraktualismus darlegen, sind BürgerInnen durchaus gewillt, Einschränkungen in Kauf zu nehmen, sofern die daraus resultierenden Vorteile die Nachteile überwiegen. Gerade vor dem Hintergrund des zunehmenden Fokus auf das Digitale müssen unmerkliche Ausschlusskriterien, die Folgen ebendieser, und der Nutzen für alle Schichten der Bevölkerung zumindest bedacht werden. Ein völlig disqualifizierender Nachteil hätte katastrophale Folgen für die demokratische Logik, Inklusion und Stabilität. Die Feststellung, dass die Grundwerte des Internets, welche kritische Öffentlichkeit ermöglichen können, auch abhanden kommen können, ist dabei nur ein Teil der Antwort auf diese Problematik: Auch wenn es das Internet nicht gibt, hängen Autorität und Reichweite dieser Verwendung per se, der kritischen Kontrolle durch eine Netzöffentlichkeit, von der Zugänglichkeit dieser Öffentlichkeit ab. Und just das Bauen von Brücken - den Leuten einen Anschluss zu ermöglichen, und ihnen Mittel an die Hand zu geben, welche eine friedfertigdemokratische Eigenvertretung erlauben - ist dabei eine der Aufgaben des Journalismus als ebenfalls Trägermedium kritischer Öffentlichkeit.

Denn andernfalls wird der Übergang ausbleiben, oder Brücken von fragwürdiger Architektur genutzt werden.

2  Analog hierzu ist die in Boulevard-Medien gern bemühte Angabe „Quelle: Internet“ für den Alltag möglicherweise zufriedenstellend, im wissenschaftlichen Kontext aber unzureichend.

3  Die entsprechende Aufbereitung und Analyse war Gegenstand meiner Masterarbeit (2014: „The Sociodemography of Internet Usage Styles in Austria“). Die folgenden Befunde sind dieser Arbeit entnommen.

4  „Proaktive Nutzung“ meint eine aktive Nutzung des Internets, also Recherchetätigkeiten und eigenständige Suche. „Online-Präsenz“ beschreibt das Erstellen von Inhalten und geltend machen der eigenen Meinung, „Bildende Nutzung“ betrifft eine solche Nutzung, welche klassisches kulturelles Kapital mehrt, also das Aneignen von (traditionell anerkanntem) Wissen, und „Technische Skills“ tangieren die Versiertheit im Umgang mit Computern selbst.

5  Gemäß soziodemographischer Kennwerte der Zufallsstichprobe, welche selbst eine Substichprobe des Mikrozensus ist. Das Sample des Mikrozensus wird durch eine einstufige, geschichtete Zufallsauswahl bestimmt.

6  Ferner ist nicht nur ist der Anschluss durch den Habitus und informelle Hürden erheblich erschwert, sondern auch die Verwertung der dort gewonnenen Erkenntnisse: In bestimmten Umfeldern, etwa der Betriebskantine, kann es durchaus negative soziale wie karrieretechnische Folgen haben, die Feinheiten gendergeschlechter Sprache zu erörtern, die man sich im Internet angelesen hat - doch ist der „Sprung“ in ein entsprechendes Milieu, wo dieses Wissen verwertbar ist, bei weitem nicht ohne seinerseits weitreichende Voraussetzungen möglich.

7Auch hier gilt jedoch, dass ein Anschluss bzw. eine Verwertung dieser vermeintlich diffizileren Handhabe bei weitem nicht gewährt ist: Wer sich angesichts der ruralen Umgebung nach einem urbanen Lebensstil sehnt, wird deutlich erkennbare Codes im Habitus tragen, die die eigene Herkunft gegenüber „Städtern“ verraten. Und so paradox es zunächst erscheinen mag, ist es sehr gut möglich, dass sich anti-globale Interessen weltweit austauschen und vernetzen – man denke nur an entsprechende Netzwerke und Zirkel, welche Re-Nationalisierung begrüßen. Das Internet bzw. digitaler Rückzug befördern also nicht zwingend inhärent kosmopolitische Werte.

8In Anlehnung an Galtung 1971: 36.

9In einem Essay in der ZEIT drückte Elisabeth Raether dies folgendermaßen aus: „Was macht die Autoritären so stark? Unsere Arroganz. Jahrelang haben die liberalen Eliten die da unten und ihre Sorgen heimlich verachtet. Jetzt wählen die Abgehängten die Rassisten, und der Schreck ist groß.“ (Raether 2016)

10Die erste Inkarnation des Zitats datiert gemäß O'Toole 2012 auf 1999.

11So forderte Markus Runde in der FAZ mit den Worten „(w)ir haben dieser Digitalisierung nicht unsere Wahlstimme gegeben“ ein „Digitalgesetz“ ein (Runde 2016: 1).

12Dies bedeutet auch, dass eine Beschränkung von progressiven Anliegen auf exklusive Plattformen bzw. Kontexte selbst eine Marginalisierung respektive Rückorientierung der damit Ausgeschlossenen befördern kann.

13Für eine anschauliche Übertragung der Ansätze in die Gegenwart, siehe Posener 2016.

14Demgegenüber ist die „digitale Revolution“ in ihrer Strukturtreue und Reproduktion bis Verschärfung bestehender Ungleichheiten vielmehr konservativ: Der Fortschrittsglaube der Technologisierung sieht ja gerade keinen Bruch, keinen Neustart, vor, sondern ein „immer weiter“.