Printen, Plätzchen und Probleme - Gisela Garnschröder - E-Book

Printen, Plätzchen und Probleme E-Book

Gisela Garnschröder

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  • Herausgeber: Midnight
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2021
Beschreibung

Steif und Kantig ermitteln zur schönsten Zeit des Jahres Isabella Steif und Charlotte Kantig freuen sich auf die Weihnachtszeit. Endlich werden Plätzchen gebacken, das Krippenspiel wird geprobt und draußen ist es so richtig winterlich. Doch mitten in der besinnlichen Stimmung geschieht ein Mord in Oberherzholz: Der Organist Paul Sonnemann liegt tot auf der Empore der Kirche. War es ein Raubmord? Immerhin fehlt eine der wertvollen Krippenfiguren der Gemeinde. Steif und Kantig sind schockiert und ahnen, dass mehr dahinter steckt. Die beiden Schwestern nehmen die Ermittlungen auf, damit es am Ende hoffentlich doch noch ein richtiges Weihnachtsfest für alle geben kann …  Entdecken Sie auch die weiteren Fälle von Steif und Kantig: - Band 1: Steif und Kantig - Band 2: Kühe, Konten und Komplotte - Band 3: Landluft und Leichenduft - Band 4: Hengste, Henker, Herbstlaub - Band 5: Felder, Feuer, Frühlingsluft - Band 6: Schnäpse, Schüsse, Scherereien - Band 7: Mondschein, Morde und Moneten - Band 8: Gärtner, Gauner, Gänseblümchen  - Band 9: Dünen, Diebe, Dorfgeplänkel - Band 10: Printen, Plätzchen und Probleme - Band 11: Komplizen, Kappen, Karneval - Band 12: Halunken, Horror, Halloween - Band 13: Blüten, Birken, Bösewichter

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Printen, Plätzchen und Probleme

Die Autorin

Gisela Garnschröder ist 1949 in Herzebrock/Ostwestfalen geboren und aufgewachsen auf einem westfälischen Bauernhof. Sie erlangte die Hochschulreife und studierte Betriebswirtschaft. Nach dem Vordiplom entschied sie sich für eine Tätigkeit in einer Justizvollzugsanstalt. Immer war das Schreiben ihre Lieblingsbeschäftigung. Die berufliche Tätigkeit in der Justizvollzugsanstalt brachte den Anstoß zum Kriminalroman. Gisela Garnschröder wohnt in Ostwestfalen, ist verheiratet und hat Kinder und Enkelkinder. Sie ist Mitglied bei der Krimivereinigung Mörderische Schwestern, beim Syndikat und bei DeLiA.

Das Buch

Isabella Steif und Charlotte Kantig freuen sich auf die Weihnachtszeit. Endlich werden Plätzchen gebacken, das Krippenspiel wird geprobt und draußen ist es so richtig winterlich. Doch mitten in der besinnlichen Stimmung geschieht ein Mord in Oberherzholz: Der Organist Paul Sonnemann liegt tot auf der Empore der Kirche. War es ein Raubmord? Immerhin fehlt eine der wertvollen Krippenfiguren der Gemeinde. Steif und Kantig sind schockiert und ahnen, dass mehr dahinter steckt. Die beiden Schwestern nehmen die Ermittlungen auf, damit es am Ende hoffentlich doch noch ein richtiges Weihnachtsfest für alle geben kann … Von Gisela Garnschröder sind bei Midnight erschienen: In der Steif-und-Kantig-Reihe: Steif und Kantig Kühe, Konten und Komplotte Landluft und Leichenduft Hengste, Henker, Herbstlaub Felder, Feuer, Frühlingsduft Schnäpse, Schüsse, Scherereien Mondschein, Morde und Moneten Gärtner, Gauner, Gänseblümchen Dünen, Diebe, DorfgeplänkelPrinten, Plätzchen und ProblemeIn der Hannah-Seelfeld-Reihe: Rotkäppchen muss sterbenAußerdem: Winterdiebe Weiß wie Schnee, schwarz wie Ebenholz

Gisela Garnschröder

Printen, Plätzchen und Probleme

Der zehnte Fall für Steif und Kantig

Midnight by Ullsteinmidnight.ullstein.de

Originalausgabe bei MidnightMidnight ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH,Berlin November 2021 (1)© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2021Umschlaggestaltung:zero-media.net, MünchenTitelabbildung: © FinePic®Autorenfoto: © privatE-Book powered by pepyrus.comISBN 978-3-95819-312-3

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Inhalt

Die Autorin / Das Buch

Titelseite

Impressum

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

Leseprobe: Dünen, Diebe, Dorfgeplänkel

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

1. Kapitel

1. Kapitel

Der November fegte die letzten Blätter von den Bäumen und an den ortsnahen Straßen standen Schilder, die den Weihnachtsbaumverkauf direkt ab Feld bewarben. Das kleine Städtchen Oberherzholz präsentierte sich winterlich grau zwischen Wäldern und Feldern im Münsterland und es lag Schnee in der Luft.

Charlotte Kantig fuhr ihr Auto vor die Garage ihrer Doppelhaushälfte. Zum ersten Adventswochenende erwartete sie Sohn und Schwiegertochter mit ihren dreijährigen Zwillingen Annabell und Marvin. Charlotte hatte deshalb einen regelrechten Großeinkauf gestartet. Als sie schließlich die Einkäufe verstaut hatte, ging sie nach nebenan.

Die andere Hälfte des Hauses gehörte ihrer Schwester Isabella Steif, die durch ihre kühle, unerschrockene Art etwas streng wirkte, aber wie Charlotte ein gutes Herz hatte und immer hilfsbereit war. Beide Frauen waren über sechzig und pensionierte Lehrerinnen.

Charlotte klingelte, obwohl sie einen Schlüssel hatte, doch nur Isabellas Labradorrüde Balu gab durch ein Bellen kund, dass jemand zu Hause war. Charlotte zögerte nicht lange, schloss auf und ging hinein, denn sie hatte für ihre Schwester Eier mitgebracht.

Isabella kämpfte mit einer heftigen Erkältung, die sie mit alten Hausmitteln behandelte. Charlotte rümpfte die Nase, als sie hereinkam und den Hund begrüßte, der freudig auf sie zukam.

»Puh, bei dir stinkt es im ganzen Haus nach Kampfer und Eukalyptus, Isabella«, sagte sie, als sie die Küche betrat. »Diese Hausmittelchen bringen doch nichts, geh endlich zum Arzt. Vielleicht hast du dich mit dem Corona-Virus angesteckt.«

Isabella saß am Küchentisch. Sie hatte sich einen dicken Schal um den Hals gewickelt, der kaum ihr schmales Gesicht herausschauen ließ. Ihre Augen waren gerötet und ihre Hände eiskalt, trotz der drei Pullover, die sie übergezogen hatte. Vor sich hatte sie eine Schüssel mit heißem Kamillentee stehen, den sie gerade inhaliert hatte.

»Corona ist es nicht, ich bin schließlich geimpft und der Schnelltest war negativ«, krächzte Isabella. »Eine Erkältung braucht ihre Zeit. Du weißt doch Charlotte, mit Arzt eine Woche und ohne Arzt acht Tage.«

Das war typisch Isabella. Halsstarrig und unbelehrbar.

»Du experimentierst doch schon ewig damit herum«, sagte Charlotte kopfschüttelnd. »Du hast noch immer eine Stimme wie ein verrostetes Scheunentor und deine Augen sehen aus, als hättest du geheult.«

»Ich habe mir einen Zwiebelwickel gemacht«, brummte Isabella. »Darum sind meine Augen rot.«

Charlotte ging zur Tür. »Mach, was du willst, aber wehe du kommst in dem Zustand zu mir rüber, wenn Marita und Thomas am Wochenende mit den Zwillingen kommen.«

»Bis zum Wochenende bin ich wieder fit. Heute ist erst Montag«, sagte Isabella.

»Nee, nee, bleib mal schön weg«, sagte Charlotte. »Nachher stecken sich die Kleinen an.« Charlotte hatte die Klinke schon in der Hand und sah in den Flur, wo Isabellas Hund, nur den Kopf hob und sich gleich wieder in seine gepolsterte Höhle unter der Treppe kuschelte. »Was ist eigentlich mit Balu, muss der nicht mal raus?«

»Ich war heute Morgen mit ihm draußen. Wir sind eine ganze Stunde unterwegs gewesen.«

»In deinem Zustand?«, tadelte Charlotte. »Kein Wunder, dass deine Erkältung nicht weggeht.«

»Frische Luft tut gut«, protestierte Isabella und hatte gleich danach einen heftigen Hustenanfall.

»Ganz bestimmt« Charlotte lachte. »Du röhrst wie ein Hirsch in der Brunft. Ich gehe gleich mit Balu raus und du bleibst hier. Oder noch besser: geh zum Arzt!«

Charlotte rief Balu zu sich und leinte ihn an. »Wir sind in zwei Stunden wieder da«, rief sie beim Rausgehen und ließ Isabellas Haustür hinter sich zufallen.

Charlotte holte sich ihre dicke Winterjacke, stülpte Mütze und Handschuhe über und machte sich mit Balu auf den Weg. Schon bald waren sie in der Nähe des Gestüts, wo sie Balu von der Leine ließ, damit er über die Weiden toben konnte. Ein kalter Wind pfiff über das Land und der Himmel verströmte graue, trübe Winterstimmung. Charlotte war nicht unbedingt der Typ für solch schäbiges Wetter, aber sie liebte die Bewegung und die frische Luft. Außerdem hatte sie ihre Kamera dabei und machte zwischendurch immer wieder Fotos. Nicht nur von Balu, der immer ein gutes Motiv abgab, sondern von allem, was ihr trotz des trüben Wetters vor die Linse kam. Ein Kolkrabe, der auf einem Weidenpfahl einen Ruheplatz gefunden hatte und erst aufflog, als Balu herangestürmt kam. Eine Schar Spatzen, die in einem Strauch die letzten Beeren suchten, oder ein Sperber, der rüttelnd am Himmel stand.

Da der Wind immer böiger wurde und es leicht zu regnen begann, nahm Charlotte den Weg durch den Gestütswald. Dort war der Wind nicht so stark und sie liebte das Rauschen der hohen Bäume. Der Pfad führte an einer Waldhütte vorbei, die etwas abseits auf einer Lichtung lag. Die Hütte war von innen komplett möbliert. Der Gestütsbesitzer Elmar Sandfeld vermietete sie an Leute, die im Wald entspannen wollten und Ruhe suchten, jetzt im Spätherbst war sie allerdings meistens leer.

Im Vorbeikommen sah Charlotte zwei Pferde vor der Hütte. Wahrscheinlich Leute vom Gestüt. Als Charlotte schon ein Stück weit weg war, sah sie sich noch mal um. Anja Sandfeld, die Tochter des Gestütsbesitzers, kam nun mit einem jungen Mann aus der Tür, den Charlotte nicht erkennen konnte, weil er ihr den Rücken zudrehte. Balu bellte und Charlotte winkte grüßend hinüber. Die jungen Leute erwiderten den Gruß, stiegen kurz darauf auf ihre Pferde und ritten einträchtig davon.

Es war schon nach vier Uhr nachmittags, als Charlotte den Wald verließ und zielstrebig zur Münsterlandstraße ging. Der Regen hatte aufgehört und als sie den Radweg entlang der Straße erreicht hatte, leinte Charlotte den Rüden wieder an.

Es war Ende November und ziemlich bewölkt, daher kam es Charlotte so vor, als bräche bereits die Dämmerung herein. In der Wiesenstraße gingen nach und nach die Rollläden herunter und in einigen der Vorgärten flammte schon die Weihnachtsbeleuchtung auf.

Auch vor ihrer eigenen Tür hatte Charlotte die Tanne mit Lichtern bestückt. Durch eine Zeitschaltuhr brannte sie jeden Tag von fünf Uhr bis Mitternacht.

Da sich die Schwestern im Jahr zuvor gemeinsam entschlossen hatten, das Dach mit einer Fotovoltaikanlage auszustatten, hielten sich die Kosten dafür in Grenzen, denn die Anlage schaffte selbst bei diesem grauen Wetter noch zwei bis vier Kilowattstunden täglich.

Charlotte klingelte bei Isabella, aber die Schwester war nicht da. Sie schloss auf, versorgte Balu und verließ das Haus wieder. Gerade als sie sich in ihre Küche gesetzt hatte, sah sie das Auto von Isabella auf den Hof fahren. Als die Schwester an ihrem Küchenfester vorbeiging, lief Charlotte hinaus. »Warst du beim Arzt?«

Isabella nickte.

»War wohl doch besser«, gab Isabella zu, die kaum noch sprechen konnte, so heiser war sie inzwischen. »Er hat mir was aufgeschrieben. Hoffentlich hilft es.«

Charlotte lächelte. »Nimm deine Tabletten und leg dich heute früh schlafen. Morgen um sieben gehe ich mit Balu raus«, sagte sie.

Isabella nickte nur und verschwand im Haus.

Am nächsten Morgen stand Charlotte früh auf, holte Balu von Isabella ab und ging zu Fuß zum Bäcker. Da sie eigentlich Langschläferin war, hatte sie sich extra einen Wecker gestellt, denn sie wollte unbedingt verhindern, dass Isabella mit ihrer starken Erkältung selbst rausging. Isabella schlief zum Glück noch, zumindest hatte Charlotte nichts von ihr gehört.

Nach einem kurzen Schwatz mit der Bäckersfrau Louisa Holtz marschierte sie wieder zurück. Es war neblig draußen und die Autos auf der Straße fuhren wegen der geringen Sichtweite in gemäßigtem Tempo.

Charlotte schritt zügig aus und war bald wieder zu Hause. Sie wollte gerade ins Haus, als nebenan die Tür aufging.

»Komm doch zum Frühstücken zu mir, ich hab schon Kaffee gekocht«, sagte Isabella mit ihrer Reibeisenstimme.

»Lieber nicht. Ich darf mich auf keinen Fall anstecken, wenn die Kinder am Wochenende kommen«, sagte Charlotte und übergab Isabella die Brötchen. »Du siehst etwas besser aus als gestern, aber deine Stimme sollest du unbedingt schonen, sonst ist sie nachher ganz weg.«

Isabella nickte wortlos und schloss die Tür, denn Balu war schon an Isabella vorbei ins Haus geschlüpft.

Am Nachmittag holte Charlotte Balu wieder ab und machte sich auf den Weg. Diesmal ging sie quer durch den Stadtpark in Richtung Kirche. Auf dem Kirchplatz wurde von den Mitgliedern der freiwilligen Feuerwehr gerade ein großer Tannenbaum aufgestellt. Am Freitag vor dem ersten Advent sollte dort der Weihnachtsmarkt eröffnet werden. Charlotte war froh, dass die Pandemie durch die Impfungen endlich etwas von ihrem Schrecken verloren hatte und Veranstaltungen wieder möglich waren. Sie sah einige Minuten zu, wie einer der Feuerwehrleute im Korb der Drehleiter stand, um die Lichterkette zu befestigen. Schließlich wurde Balu unruhig und Charlotte ging weiter um die Kirche herum zum Klosterwald.

Sie war schon eine ganze Weile unterwegs, als ihr eine junge Frau mit dem Rad entgegenkam und direkt neben ihr stoppte.

»Hallo, Frau Kantig, seit wann haben Sie denn einen Hund?«, fragte sie.

Erst jetzt erkannte Charlotte die ehemalige Schülerin Ilka Brauer. »Das ist der Hund meiner Schwester, sie ist krank, deshalb gehe ich mit ihm raus«, klärte sie die junge Frau auf.

»Dann geht es Ihrer Schwester wie unserm Pfarrer Bergner. Er ist auch ziemlich erkältet. Gestern konnte er kaum sprechen«, sagte Ilka und fragte: »Haben Sie nicht Lust, uns beim Krippenspiel zu unterstützen? Es muss jemand die Aufführung leiten, ansonsten wird das nix.«

»Sie führen ein Krippenspiel auf? Wie schön«, war Charlotte gleich begeistert.

»Die Theatergruppe des Heimatvereins führt das Krippenspiel auf. Eigentlich klappt alles schon ganz gut, doch jetzt, wo der Pfarrer krank ist, geht alles drunter und drüber und am Freitag ist schon die Generalprobe.«

Charlotte überlegte. »Machen würde ich das schon, aber erst spreche ich mit dem Pfarrer. Ich will ihm keinesfalls vorgreifen.«

»Warten Sie nicht so lange, Frau Kantig, es pressiert«, sagte Ilka, verabschiedete sich und fuhr davon.

Nachdenklich ging Charlotte weiter. Am Wochenende würden die Kinder kommen und dann war da noch das Kuchenbüffet für die Weihnachtsfeier, bei der sie und Isabella ebenfalls ihre Hilfe angeboten hatten.

Als sie wieder zurück war und Balu zu Isabella brachte, stellte sie fest, dass Isabellas Stimme sich etwas erholt hatte.

»Du klingst schon eine Spur besser als heute Morgen«, sagte sie, während sie zusah, wie Balu sich über sein Futter hermachte, das Isabella ihm hingestellt hatte.

»Es geht so langsam. Die Tabletten, die mir der Arzt verschrieben hat, sind echt gut«, sagte Isabella.

Charlotte nickte und erzählte ihr von Ilka Brauers Vorschlag, die Theatergruppe für das Krippenspiel zu leiten.

»Das wär doch was für dich, Charlotte«, war Isabella gleich dafür. »Du hast doch früher in der Schule immer die Theaterspiele einstudiert.«

»Meinst du, ich sollte wirklich mit dem Pfarrer sprechen?«

»Klar, mach das«, sagte Isabella und nickte zustimmend.

Charlotte verabschiedete sich und fuhr noch am selben Abend zum Pfarrhaus, das direkt neben der Kirche lag.

Der Tannenbaum auf dem Kirchplatz war schon beleuchtet und verströmte weihnachtlichen Glanz.

Pfarrer Bergner lag mit hohem Fieber im Bett und seine Haushälterin kam an die Tür. Wieder einmal war Charlotte erstaunt, dass die gut aussehende Dreißigjährige sich für den Beruf der Pfarrhaushälterin entschieden hatte. Charlotte trug ihre Idee vor und die junge Frau war sofort hell begeistert.

»Sie würden das Krippenspiel weiter einstudieren? Das wäre ja toll«, sagte Frau Waldmeier. »Der Pfarrer hat sich schon Sorgen gemacht, dass er die Aufführung absagen muss. Ich war zwar da, aber irgendwie war das gestern ein richtiges Chaos. Ehrlich gesagt, ich kann das einfach nicht.«

Sie verschwand und kam kurz darauf zurück und übergab Charlotte die Mappe mit dem Drehbuch, den Probeterminen und den Liedern, die in den Pausen gespielt werden sollten.

»Der Pfarrer ist ganz begeistert, dass Sie das machen wollen, Frau Kantig. Morgen Abend ist wieder Probe«, sagte sie und fügte hinzu: »Unser Organist Paul Sonnemann unterstützt Sie bei den Liedern.«

Charlotte fuhr nach Hause und befasste sich den ganzen Abend mit der Weihnachtsgeschichte und der Ausgestaltung des Stückes. Sie machte sich viele Gedanken, notierte sich ihre Ideen und fuhr am nächsten Abend nachdenklich, aber mit einer gehörigen Portion Optimismus zur Kirche.

Die jungen Leute waren schon fast vollständig versammelt und Ilka Brauer hatte dafür gesorgt, dass bereits alle darüber informiert waren, dass Charlotte mit ihnen das Theaterstück weiter einstudieren wollte. Charlotte besprach zuallererst die Kostümfrage und Ilka teilte ihr mit, dass Elisabeth Korfmacher von der Frauengemeinschaft für die Kostüme zuständig war.

Charlotte war begeistert und nach diesen Vorgesprächen begannen sie gleich mit den Proben. Zu Charlottes Freude hatten alle ihren Text gelernt und sie musste nur hin und wieder eingreifen.

Der erste Tag war besser gelaufen als gedacht, und Charlotte packte gut gelaunt ihre Sachen zusammen. Sie war die Letzte, die das Heimathaus verließ. Als sie draußen in ihr Auto stieg, sah sie, dass Ilka Brauer und Anja Sandfeld zusammen an Anjas Auto standen. Ilka gestikulierte heftig und rannte dann plötzlich davon. Anja stieg kopfschüttelnd in ihr Auto und brauste so schnell los, dass der Kies des Parkplatzes nur so wegspritzte.

Charlotte wunderte sich, dass Anja allein fuhr, denn ihr Freund Ben Aufdemsande gehörte auch zur Theatergruppe und war offenbar schon weg. Als sie selbst langsam davonfuhr, kam sie am Ratskeller vorbei und sah gerade noch, wie Ben Aufdemsande und die anderen Männer lachend und schwatzend hineingingen.

Charlotte fuhr am nächsten Tag gleich des Morgens zu Elisabeth Korfmacher, um sich die Kostüme anzusehen und die restlichen Fragen zu klären. Die beiden Frauen saßen in der Nähstube von Frau Korfmacher zusammen und diskutierten über Stoffe und Farbzusammenstellungen. Die meisten Kostüme waren schon fertig und Elisabeth hatte gerade Kaffee und Kuchen für eine Pause geholt. Jetzt war das aktuelle Ortsgeschehen dran.

»Unser neuer Organist soll ja ganz schön feurig sein«, sagte Elisabeth, während sie den Kaffee einschüttete. »Der lässt nix anbrennen.«

»Sein Name ist schließlich Sonnemann, da darf man ruhig etwas feurig sein«, erklärte Charlotte schmunzelnd. »Ein gutaussehender Mann, das kommt bei den Damen an.«

»Er soll in fremden Revieren wildern, habe ich gehört«, gab Elisabeth mit verschwörerischer Stimme an.

»Auf solches Geschwätz würde ich nichts geben«, antwortete Charlotte gleichmütig. »Paul Sonnemann ist doch mit Annett Baumstroh verlobt. Die beiden sind wirklich ein schönes Paar. Soviel ich gehört habe, wollen sie im nächsten Jahr heiraten.«

Elisabeth wiegte den Kopf hin und her, als mache sie Nackengymnastik, und sagte: »Abwarten sag ich nur, abwarten.« Dann legte sie einen Plan auf den Tisch und fuhr ohne Übergang ganz eifrig fort: »Die Hirtenkostüme werde ich aus Sackleinen nähen und deren Hüte könnte ich aus braunem Filz fertigen. Wie findest du das?«

Froh, dass der Fokus nun wieder bei den Kostümen lag, nickte Charlotte. »Super, die Idee ist gut. Machst du die Hüte selbst?«

»Ja, ich habe noch genügend braunen Filz von den letzten Jahren«, gab Elisabeth zurück. »Außerdem sind noch einige Hüte von vorherigen Aufführungen da.«

»Dann haben wir ja alles besprochen«, sagte Charlotte und verabschiedete sich. »Ich muss noch einkaufen, Elisabeth. Wenn noch irgendwas ist, ruf einfach an.«

Draußen goss es in Strömen, als Charlotte langsam zum Hofladen fuhr.

Die Münsterlandstraße stand praktisch unter Wasser. Als sie an einem Wäldchen vorbeikam, sah sie, wie Hauptkommissar Meier und Kommissar Frisch, die beiden Beamten der Oberherzholzer Polizeistation, ihr Radargerät im Wagen verstauten. Hier am Wäldchen war der Lieblingsplatz der Polizisten, wenn es um die Erfassung von übereiligen Autofahrern ging. Wegen einiger Unfälle in den letzten Jahren waren siebzig Kilometer vorgeschrieben, anstatt der sonst üblichen Hundert auf Bundesstraßen.

Charlotte schmunzelte. Bei dem Wetter war sicher nichts mehr für die Beamten zu verdienen, allein schon wegen der Gefahr von Aquaplaning. Das Wasser sammelte sich in den Fahrrillen der vielbefahrenen Straße und konnte bei hoher Geschwindigkeit schnell zur Gefahr werden. Der Regen war so heftig, dass die Scheibenwischer von Charlottes brandneuem Elektroauto kaum die Wassermassen von der Scheibe bekamen. Der Hofladen war zum Glück nicht weit und der dortige Parkplatz leer. Charlotte parkte direkt neben der Ladentür, griff nach ihrem Einkaufskorb auf dem Beifahrersitz und lief eilig ins Geschäft.

»Das ist endlich mal ein ordentlicher Guss«, sagte Frau Kottenbaak und blickte zufrieden nach draußen. »Der Sommer war viel zu trocken. So müsste es drei Wochen schütten.«

»Stimmt«, gab ihr Charlott recht. »Im Garten kann ich auch Wasser gebrauchen.«

Während Frau Kottenbaak begeistert hinaussah, wanderte Charlotte suchend durch die Gänge. Sie hatte schnell alles gefunden und stellte ihren Korb für die Abrechnung auf den Tresen.

Charlotte war gerade wieder im Auto, als sie im Rückspiegel einen hellen Hund sah. Balu. Entsetzt stieg sie aus und gleich darauf kam auch Isabella um die Ecke.

»Bist du von allen guten Geistern verlassen, Isabella, bei diesem Wetter rauszugehen, mit deiner Erkältung?«, fauchte Charlotte ihre Schwester an. »Warum nimmst du nicht dein Auto?«

Isabella rettete sich vor Kälte schlotternd unter das Dach des Hofladens, während der pitschnasse Hund um sie herumsprang. »Balu brauchte Auslauf. Ich konnte doch nicht ahnen, dass es so schütten würde.«

Charlotte betrachtete ihre Schwester, die zum Glück ihren regendichten Friesennerz und Gummistiefel angezogen hatte. »Dir ist wirklich nicht zu helfen. Du bist ganz nass«, sagte sie kopfschüttelnd.

»Obernherum bin ich vollkommen trocken«, protestierte Isabella.

Charlotte seufzte. »Setz dich ins Auto, da ist es warm. Ich hole die Sachen, die du brauchst.«

Auf der Fahrt nach Hause kurze Zeit später berichtete Isabella, dass sie bei trockenem Wetter losgegangen war. »Die Sonne schien sogar. Ich wollte nur eine Runde bis zum Hofladen und zurück machen«, sagte sie. »Da drüben beim Birkbuschhof habe ich mich bei der Bushaltestelle untergestellt und gewartet, aber der Regen hörte nicht auf, darum bin ich weitergegangen.«

»Und jetzt bist du kalt und nass«, stellte Charlotte fest.

»Trotzdem war es ein Erfolg«, sagte Isabella, deren Stimme noch immer ziemlich belegt klang. »Kannst du dir vorstellen, dass unser Organist mehrere Eisen im Feuer hat?«

»Jetzt fängst du auch noch an«, fuhr Charlotte verärgert auf. »Elisabeth hat mir davon auch schon die Ohren vollgesungen.«

»Aber es stimmt. Er hatte Ilka Brauer im Auto bei sich und kam aus dem Waldweg beim Birkbuschhof.«

»Na und?« Charlotte schüttelte den Kopf. »Das heißt doch gar nichts. Sicher hat er sie zufällig getroffen und wegen des Regens mitgenommen.«

»Glaub, was du willst, aber die beiden haben sich so verliebt angesehen. Annett Baumstroh ist abserviert, darauf kannst du Gift nehmen«, blieb Isabella bei ihrer Meinung.

»Anstatt dir über andere Leute Gedanken zu machen, solltest du lieber gleich einen heißen Tee trinken und deine Tabletten nehmen«, sagte Charlotte. »Und dann legst du dich ins Bett, wenn du gescheit bist. Du schlotterst noch immer vor Kälte und deine Hose ist an den Knien völlig durchnässt.«

»Jaja, schon gut«, knurrte Isabella, griff nach hinten und kraulte Balu, der auf einer Decke im Fond lag, die Charlotte sicherheitshalber ausgelegt hatte, damit der Hund ihr nicht den Sitz verschmutzte. »Erst mal rubble ich Balu trocken. Alles andere kann warten.«

Charlotte holte nur tief Luft, sparte sich aber eine Antwort, denn wie immer war Isabella absolut unbelehrbar.

Isabella hatte ihre Erkältung nach zwei weiteren Tagen fast überstanden und wollte gerade in den Supermarkt, als Charlotte aus dem Haus kam.

»Fährst du in den Ort?«

»In den Supermarkt. Soll ich dir was mitbringen?«

»Nein, du könntest was für mich abgegeben«, sagte Charlotte und reichte ihr eine Tüte. »Das ist ein hellblaues Kopftuch für Ilka Brauer. Sie spielt die Maria und braucht das Tuch für die Generalprobe am Freitag. Du brauchst es nur in ihren Briefkasten zu stecken.«

Isabella nickte, nahm das Tuch und fuhr los.

Sie hatte ihre Einkäufe schon erledigt und verstaute gerade ihre Sachen im Kofferraum des Autos, als sie Annett Baumstroh und Ilka Brauer etwas entfernt an einem Transporter der Gärtnerei Grünwald stehen sah. Da konnte Isabella das Tuch doch gleich an Ilka Brauer übergeben.

Als sie sich dem Wagen näherte, verschwanden die beiden hinter dem Transporter, trotzdem hörte Isabella, wie Annett Baumstroh mit verhaltener Stimme sagte: »Lass gefälligst deine Finger von ihm.«

»Du spinnst doch«, sagte Ilka schnippisch.

Isabella hörte, wie eilige Schritte von hochhackigen Schuhen sich entfernten. Urplötzlich stand dann Annett Baumstroh vor ihr und fragte spöttisch: »Haben Sie etwas gelauscht, Frau Steif?«

»Oh, äh«, sagte Isabella leicht verdattert. »Ich habe Ilka Brauer gesehen und wollte …« Sie hielt, irritiert von Annett Baumstrohs direkter Unterstellung, den Schal hoch. »Der Schal ist für Frau Brauer.«

»Ach so«, sagte Frau Baumstroh. »Ilka ist weg. Dann müssen Sie wohl zu ihr nach Hause.« Ohne ein weiteres Wort ging sie eilig davon.

Isabella fuhr zur Wohnung von Ilka Brauer, steckte die Tüte mit dem Schal in den Briefkasten und fuhr davon. Sie ärgerte sich über sich selbst. Ausgerechnet jetzt, wo es reiner Zufall war, dass sie Reste des Gesprächs mitbekommen hatte, war ihr vorgeworfen worden, gezielt gehorcht zu haben. Aber Isabella wäre nicht Isabella, wenn sie sich über so eine Kleinigkeit lange ärgern würde. Und so berichtete sie Charlotte später nur, dass Annett Baumstroh und Ilka Brauer Streit hatten.

2. Kapitel

Hauptkommissar Meier und sein Kollege Kommissar Frisch kamen nass und verärgert in die Polizeistation zurück.

»So ein Sauwetter«, schimpfte Meier und hängte seine durchnässte Dienstmütze an den Haken.

»Wir brauchen Regen, Burghard«, erklärte Dietmar Frisch. »Es war in den letzten Monaten viel zu trocken.«

»Aber nicht, wenn wir den Blitzer an der Münsterlandstraße aufbauen«, fauchte Meier. »Ganze zwei Autos haben wir in fünf Stunden erfasst, dabei waren die auch nur um die zehn Kilometer zu schnell.«

»Vergiss den Raser mit dem Mercedes nicht«, unterbrach Frisch ihn. »Der Fahrer hatte mindestens hundert drauf.«

»Na gut«, gab Meier zu. »Aber alle anderen Fahrzeuge sind regelrecht an unserem Blitzer vorbeigekrochen.«

»Die Leute sind eben verantwortungsbewusst und fahren auf Sicherheit«, antwortete Frisch grinsend und rubbelte mit einem Handtuch seine Diensthose trocken, die beim Abbau der Kamera ordentlich nass geworden war.

Meier sah ihm mit gerunzelter Stirn zu. »Das hilft doch nichts, Dietmar«, sagte er. »Komm, wir fahren fix nach Hause und ziehen uns was Trockenes an.«

»Gute Idee«, sagte Frisch und griff nach seiner Mütze.

»Lass die Mütze hängen, die trocknet schon hier in der Wärme«, sagte Meier. »Außerdem sind wir in einer halben Stunde wieder da.«

Meier fuhr den Streifenwagen und sie waren wirklich in weniger als einer halben Stunde frisch angezogen wieder auf dem Rückweg.

»Fahr mal an der Pizzeria vorbei«, sagte Frisch. »Es ist gleich Mittag und mein Magen knurrt schon mächtig.«

Meier nickte. »Du gehst rein. Für mich Mozzarella.«

Während Frisch drinnen war und auf die Pizza wartete, blickte Meier gedankenverloren in den Regen hinaus, bis sein Blick in den Hinterhof der Pizzeria fiel. Dort standen zwei Männer diskutierend beieinander. Die Unterhaltung schien alles andere als freundlich zu sein. Jetzt schubste der große blonde Mann den Dunkelhaarigen, der etwas kleiner war. Dieser schlug gleich zu und der Blonde ging zu Boden. Hastig öffnete Meier die Autotür, um einzugreifen, und rief: »Hey!«

»Scheiße! Die Bullen!« Der Dunkelhaarige rannte davon. Der Blonde sprang auf und suchte ebenso schnell das Weite.

Verärgert sah Meier ihnen nach. Just in dem Moment kam Frisch mit den Pizzen aus dem Laden. »Was machst du hier im Regen?«, fragte er überrascht. »Du bist ja schon wieder nass.«

Beide stiegen hastig ein und Meier wischte sich übers Gesicht. »Da waren zwei Typen, die sich geprügelt haben«, sagte er und berichtete von seiner Beobachtung.

»Wenn sie beide weggelaufen sind, war ja keiner schwer verletzt«, meinte Frisch lakonisch und sog genussvoll den Duft ein, den die Pizzakartons im Auto verbreiteten.

Diesmal grinste Meier. »Stimmt, trotzdem wüsste ich gern, worum es bei dem Streit ging.«

»Solange die das untereinander klären, kann uns das doch egal sein«, sagte Frisch, als sie vor der Polizeistation hielten.

Sie waren im Büro und hatten schon mit dem Essen begonnen, als das Telefon ging. Meier nahm ab und stellte den Lautsprecher an. Am anderen Ende stieß eine aufgeregte Frauenstimme hervor: »Ich bin überfallen worden. Eben grade. Mitten auf der Straße.«

»Sind Sie verletzt?«

»Nein, aber meine Tasche ist weg. Einfach aus dem Fahrradkorb geklaut«, rief die Frau, noch immer ziemlich laut. »Direkt vor der Bank.«

»Bleiben Sie, wo Sie sind«, sagte Meier. »Wir sind schon auf dem Weg.«

Sie waren bereits im Wagen, als Dietmar Frisch sagte: »An der Bank? Das ist doch ganz in der Nähe der Pizzeria.«

»Genau. Da fallen mir doch gleich die beiden Typen von vorhin ein«, sagte Meier. »Vielleicht haben sie sich um die Beute gestritten.«

Sie hatten schnell den Tatort erreicht. Die Anruferin winkte ihnen schon von weitem zu.

»Das ist ja Inge Moormann«, sagte Meier erstaunt, als sie ankamen. »Sie arbeitet in der Gärtnerei Grünwald.«

Frau Moormann hatte ihr Fahrrad neben sich auf dem Radweg abgestellt und erklärte sofort aufgeregt: »Hier im Korb auf dem Gepäckträger hatte ich meine Handtasche abgelegt. Ich wollte mir nur die Kapuze aufsetzen, weil es so regnete, da kamen zwei so Halbwüchsige, haben die Tasche geschnappt und sind in Richtung Kreuzung davongerannt.«

»Halbwüchsige? Jugendliche oder Schüler?«, erkundigte sich Frisch.

»Viel älter als fünfzehn oder sechzehn waren die nicht, sie hatten ganz junge Gesichter«, sagte Inge Moormann noch immer völlig aufgebracht. »In der Tasche war mein Portemonnaie mit gut hundert Euro und meinen Bankkarten. Mein Handy hatte ich Gott sei Dank in der Jackentasche.«

»Nun beruhigen Sie sich doch Frau Moormann«, meldete sich nun Meier zu Wort. »Wie sahen die jungen Leute denn aus?«

Frau Moormann streifte ihre Kapuze ab und fuhr sich durch ihr leicht verstrubbeltes, dunkelblondes Haar. »Der eine war groß, bestimmt genauso groß wie Sie Herr Meier, und hatte ein rundes Gesicht, der andere war etwa einen Kopf kleiner und sehr schlank mit einem ziemlich schmalen Gesicht«, sagte sie nun wesentlich ruhiger. »Beide trugen dunkelblaue Jacken und hatten die Kapuzen tief ins Gesicht gezogen, deshalb habe ich weder die Haarfarbe noch die Augenfarbe erkannt.«

»Waren an den Jacken auffällige Labels oder Aufschriften?«, forschte Meier weiter.

Frau Moormann schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, darauf habe ich nicht geachtet. Es hat geregnet und ging so schnell, die waren im Nu wieder weg.«

»Denken Sie noch mal genau nach«, sagte Frisch. »Vielleicht ist Ihnen etwas anderes aufgefallen, als sie wegliefen. Der Gang, die Haltung, die Schuhe oder so etwas.«

»Die Schuhe«, rief Frau Moormann aus. »Der größere hatte blaue Turnschuhe mit weißen Sohlen an und der kleinere trug komplett schwarze Schuhe mit hellen Schuhbändern.«

»Helle Schuhbänder oder weiße?«, hakte Meier nach.

»Ich würde sagen, weiß«, gab Inge Moormann an. »Sie leuchteten zumindest sehr hell auf und waren ziemlich breit, sicher doppelt so breit wie meine.« Sie zeigte auf ihre Halbschuhe, die mit schmalen braunen Bändern geschnürt waren.

»Mmmh«, machte Frisch, während er sich alles im Smartphone notierte. »Ihre Tasche, wie sieht die aus?«

»Leder, dunkelbraun, seitlicher Reißverschluss, oben ein Schnappverschluss und ein Trageriemen für die Schulter«, beschrieb Frau Moormann die verschwundene Tasche.

»Dann haben wir jetzt alles«, sagte Meier und riet: »Sie sollten sofort zur Bank gehen und ihre Karte sperren lassen, bevor etwas abgehoben wird.«

Frau Moormann nickte. »Das erledige ich jetzt gleich.«

Als die beiden Polizisten wieder unterwegs waren, sagte Meier: »Fahr mal langsam. Vielleicht treiben sich die beiden Burschen noch irgendwo herum.«

Plötzlich stoppte Frisch den Wagen scharf ab. »Da ist ein Abfalleimer. Mal sehen, ob da was drin ist.«

Er behielt recht und fischte kurz darauf eine braune Tasche aus dem Papierkorb. »Das sieht doch ganz nach der Tasche aus, die uns Frau Moormann beschrieben hat«, sagte Frisch beim Einsteigen zufrieden und fuhr weiter.

Im Büro streife Meier Handschuhe über und untersuchte die gefundene Tasche.

Kosmetiktücher, Lippenstift, Handspiegel und Kamm gehörten zum Inhalt und in der Reißverschlusstasche an der Außenseite befand sich ein kleiner handgeschriebener Einkaufszettel, ansonsten war die Tasche leer.

Der Hauptkommissar packte alles in die Tasche zurück und rief Frau Moormann an.

»Es könnte sein, dass wir Ihre Tasche schon gefunden haben«, sagte er. »Können Sie mir den Inhalt mal beschreiben?«

»Viel war da nicht drin«, sagte Frau Moormann. »Mein Lippenstift, ein Kamm …«

»Farbe und Marke des Lippenstifts?«, unterbrach Meier die Aufzählung.

»Chanel, hellrosa«, kam die prompte Antwort. »So ein Stift ist ganz schön teuer, Herr Meier. War meine Börse auch drin?«

»Dann wird das Ihre Tasche sein«, sagte Meier, ohne sich zu der Geldbörse zu äußern. »Könnten Sie im Laufe des Tages vorbeikommen?«

»So gegen sechzehn Uhr, wäre das möglich?«, fragte Frau Moormann.

Meier bestätigte es und beendete das Gespräch.

Er blickte in den Karton auf die halbaufgegessene Pizza. »Verdammt, jetzt ist die Pizza kalt. Immer wenn wir essen, passiert was.«

»Wenn man Hunger hat, schmeckt die auch kalt«, sagte Frisch und wischte den letzten Krümel von seinem Mund ab. »Meine war jedenfalls lecker.«

»Meine anfangs auch«, murrte Meier und fügte hinzu: »Wir sollten uns eine Mikrowelle fürs Büro anschaffen.«

Frisch grinste skeptisch. »Wenn du meinst.«

Meier schob den Pizzakarton zur Seite und haute eifrig in die Tasten. »Ich mach jetzt den Bericht zu dem Diebstahl auf Frau Moormann und gebe die Anzeige auf.«

Er war noch nicht richtig fertig, als ein Anruf vom Getränkemarkt hereinkam. Frisch nahm das Gespräch an und sagte sogleich: »Wir kommen.«

»Zwei Jugendliche haben sich im Getränkemarkt Spirituosen besorgt, ohne zu bezahlen«, sagte er und griff nach seiner Mütze, die inzwischen trocken war. »Komm, Burghard, wir müssen.«

Meier beendete hastig seinen Bericht. »Schon wieder Jugendliche? Wie kommen die Herrschaften im Getränkemarkt denn dazu, denen Spirituosen anzubieten?«

»Keine Ahnung. Komm!«

Die Marktleiterin des Getränkemarktes erwartete die Polizisten schon. Die Beschreibung der jungen Männer ähnelte der, die Frau Moormann für den Taschenraub abgegeben hatte.

»Das war ein merkwürdiges Pärchen. Der eine groß und kräftig und er andere viel kleiner und sehr schlank«, erklärte Frau Berger.

»Warum haben Sie den beiden jungen Leuten Spirituosen verkauft?«, fragte Meier tadelnd. »Für Jugendliche ist das doch verboten.«

»Verkauft?« Frau Berger stemmte die Hände angriffslustig in die Hüften. »Ich habe denen gar nix verkauft. Die haben die Sachen unter ihren Jacken gehabt und im Korb war Orangensaft. Als ich das gemerkt habe, sind sie auf und davon.«

»In Ordnung«, beschwichtigte Meier, währen sich Frisch Notizen machte. »Ich wollte Ihnen nichts unterstellen.«

»Das hörte sich aber ganz anders an«, fauchte Frau Berger. »Ich richte mich immer nach dem Gesetz, damit Sie es wissen. Fangen Sie die Burschen lieber, anstatt mir Vorhaltungen zu machen.«

»Wir schauen uns mal um«, sagte Meier, dem das Geschimpfe der Geschäftsfrau auf die Nerven ging. Er gab Frisch ein Zeichen, tippte sich an die Mütze und ging eilig zum Auto.

»Da hätte du wirklich etwas sensibler vorgehen können, Burghard«, konnte sich Frisch einen Seitenhieb auf seinen Kollegen nicht verkneifen.

Meier winkte ab. »Die Berger hat sich doch nur aufgeregt, weil ich recht hatte.«

Frisch grinste. »Vielleicht hat sie schon vergessen, dass wir sie im Sommer beim Verkauf an einen Jugendlichen erwischt haben.«

»Kann sein.« Meier lachte und Frisch fuhr zur Polizeistation zurück.

Der Bericht über den Getränkediebstahl war gerade fertig, als Frau Moormann hereinkam, um ihre Tasche zu identifizieren.

»Ja, das ist meine Tasche«, sagte sie erfreut. »Kann ich sie gleich mitnehmen?«

»Wir lassen die Tasche auf Spuren untersuchen, dann bekommen Sie Ihr Eigentum zurück.«

»Und wie lange dauert das?«

»Zwei bis drei Tage müssen Sie sich schon gedulden«, antwortete Meier.

Er hatte sich wieder hinter seinem Bildschirm verschanzt, als Bruno Gerstland, der Vorsitzende des Heimatvereins, hereinkam.

»Moin, die Herren«, begrüßte er die Beamten und stützte sich mit beiden Händen auf den Tresen. »Ich möchte Anzeige erstatten.«

»Eine Anzeige?« Beide Polizisten blickten überrascht auf.

»Ist bei dir eingebrochen worden, Bruno«, fragte Meier.

»Unser Zelt ist kaputt«, fuhr Gerstland verärgert auf. »Es scheint Leute zu geben, die es nicht verknusen können, dass wir unsere Weihnachtsfeier wieder aufleben lassen.«

Meier reckte sich in seinem Bürostuhl. »Wozu braucht der Heimatverein jetzt ein Zelt? Es ist doch kein Schützenfest.«

Bruno Gerstland holte tief Luft. »Nächsten Freitag hat die Frauengemeinschaft ihre Weihnachtsfeier und die Woche drauf, am Samstag, ist das Fest des Heimatvereins. Der Saal im Heimathaus ist zu klein, um größere Abstände einzuhalten, darum haben wir uns für ein Zelt entschieden.«

»Ach so«, sagte Meier, stand auf und ging zum Tresen. »Meine Frau hat davon gesprochen, aber ich habe nur mit halbem Ohr hingehört. Dann steht das Zelt also schon?«