Rotkäppchen muss sterben - Gisela Garnschröder - E-Book

Rotkäppchen muss sterben E-Book

Gisela Garnschröder

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  • Herausgeber: Midnight
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2020
Beschreibung

Wer hat Angst vorm bösen Wolf? Kriminalkommissarin Hannah Seelfeld wird zu ihrem ersten Tatort gerufen. Die 23-jährige Maren Ochtmüller liegt tot im Flussbett der Dalke. Auf den ersten Blick wirkt es so, als sei sie ertrunken. Doch bald wird klar, die Studentin wurde vergiftet und dann in den Fluss geworfen. Es ist die erste Mordermittlung für Hannah Seelfeld und ihren Kollegen Felix Rohmann und es gibt kaum Spuren. Der einzige Hinweis ist ein Bild der Toten im Rotkäppchenkostüm. Als kurz darauf eine weitere junge Frau tot ist, wird klar, hier ist jemand auf einem Rachefeldzug. Der Druck wächst und die Zeit rennt den Ermittlern davon. Denn es scheint, dass der Mörder noch lange nicht fertig ist…

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Rotkäppchen muss sterben

Die Autorin

Gisela Garnschröder ist 1949 in Herzebrock/Ostwestfalen geboren und aufgewachsen auf einem westfälischen Bauernhof. Sie erlangte die Hochschulreife und studierte Betriebswirtschaft. Nach dem Vordiplom entschied sie sich für eine Tätigkeit in einer Justizvollzugsanstalt. Immer war das Schreiben ihre Lieblingsbeschäftigung. Die berufliche Tätigkeit in der Justizvollzugsanstalt brachte den Anstoß zum Kriminalroman. Gisela Garnschröder wohnt in Ostwestfalen, ist verheiratet und hat Kinder und Enkelkinder. Sie ist Mitglied bei der Krimivereinigung Mörderische Schwestern, beim Syndikat und bei DeLiA.

Das Buch

Kriminalkommissarin Hannah Seelfeld wird zu ihrem ersten Tatort gerufen. Die 23-jährige Maren Ochtmüller liegt tot im Flussbett der Dalke. Auf den ersten Blick wirkt es so, als sei sie ertrunken. Doch bald wird klar, die Studentin wurde vergiftet und dann in den Fluss geworfen. Es ist die erste Mordermittlung für Hannah Seelfeld und ihren Kollegen Felix Rohmann und es gibt kaum Spuren. Der einzige Hinweis ist ein Bild der Toten im Rotkäppchenkostüm. Als kurz darauf eine weitere junge Frau tot ist, wird klar, hier ist jemand auf einem Rachefeldzug. Der Druck wächst und die Zeit rennt den Ermittlern davon. Denn es scheint, dass der Mörder noch lange nicht fertig ist…

Von Gisela Garnschröder sind bei Midnight erschienen:In der Steif-und-Kantig-Reihe:Steif und KantigKühe, Konten und KomplotteLandluft und LeichenduftHengste, Henker, HerbstlaubFelder, Feuer, FrühlingsduftSchnäpse, Schüsse, ScherereienMondschein, Morde und MonetenGärtner, Gauner, Gänseblümchen

In der Hannah-Seelfeld-Reihe:Rotkäppchen muss sterben

Außerdem:WinterdiebeWeiß wie Schnee, schwarz wie Ebenholz

Gisela Garnschröder

Rotkäppchen muss sterben

Kriminalroman

Midnight by Ullsteinmidnight.ullstein.de

Originalausgabe bei MidnightMidnight ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH, BerlinSeptember 2020 (1)

© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2020Umschlaggestaltung: zero-media.net, MünchenTitelabbildung: © FinePic®Autorenfoto: © privatE-Book powered by pepyrus.com

ISBN 978-3-95819-299-7

Emojis werden bereitgestellt von openmoji.org unter der Lizenz CC BY-SA 4.0.

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Inhalt

Die Autorin / Das Buch

Titelseite

Impressum

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

Epilog

Hinweis

Danksagung

Leseprobe: Gärtner, Gauner, Gänseblümchen

Empfehlungen

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

1. Kapitel

1. Kapitel

Maren Ochtmüller hatte für ihre Mutter eingekauft und hastete durch die Stadt. Sie hatte es eilig, denn sie musste noch für ihre Abschlussarbeit büffeln. Es war schon siebzehn Uhr am Nachmittag, als sie an der Eisdiele vorbeikam. Kurz entschlossen ging sie hinein. Diese kleine Freude musste sie sich einfach gönnen, ganz gleich, wie sehr sie in Eile war.

»Hallo, lange nicht gesehen«, wurde sie an der Eistheke begrüßt, und sie sah die Frau mit der übergroßen Sonnenbrille neben sich für Sekunden irritiert an.

»Kennen wir uns?« Maren musterte die Frau überrascht. Die war schlank wie eine Tanne, hatte ausgesprochen schöne Beine und sah einfach toll aus mit ihren Jeansshorts und dem gemusterten Top.

»Überleg doch mal.« Die Frau lachte.

Maren nahm ihr Eis entgegen, ging schnell an ihr vorbei und sagte: »Ich hab’s eilig.«

»Wieso das denn?«

Maren wollte keine Antwort geben, weil sie noch immer nicht wusste, wer die Frau war, aber dann murmelte sie: »Ich muss büffeln für meine Abschlussarbeit.«

»Na, dann viel Spaß«, sagte die andere und fragte: »Wohnst du noch bei deinen Eltern?«

Was fiel dieser Person ein, sie einfach zu duzen? Maren hatte jetzt endgültig genug und sagte: »Ich muss unbedingt nach Hause, meine Hündin ist allein.«

»Gehst du heute Abend noch mit deiner Hündin raus?«

Maren runzelte die Stirn. »Ja, klar«, sagte sie und fragte sich intensiv, woher ihr die Frau so bekannt vorkam.

»Bei der Hitze?«

Das weckte Marens Widerspruch, und sie antwortete aggressiv: »Ein Hund braucht immer Auslauf, auch wenn es warm ist.«

»Aber du gehst doch sicher am Abend raus, wenn es kühler wird, oder?«

Himmel, die war vielleicht neugierig! Maren hätte ihr am liebsten eine freche Antwort gegeben, riss sich aber zusammen und sagte nur: »Ja, genau.«

Dann lief sie eilig davon. Sie wusste noch immer nicht, wer das war, und es war ihr auch egal, obwohl die Mimik der Frau sie an irgendjemanden erinnerte.

»Tschau.« Die Fremde leckte hastig von ihrem Eis, denn es lief bereits an allen Seiten herunter.

Maren war schon ein Stück weg, als sie die Stimme der Fremden erneut hinter sich hörte: »Schön, dich mal wiedergesehen zu haben.«

Maren drehte sich um und schüttelte den Kopf. Wo hatte sie die Frau schon gesehen? Als sie zu Hause war und ihr ihre Hündin freudig bellend entgegenkam, hatte sie die Frau schon vergessen.

Maren erwachte, reckte sich im Bett und gähnte. Den ganzen Abend hatte sie am Schreibtisch gesessen und für die Abschlussarbeit geübt. Nach nur vier Stunden Schlaf fühlte sie sich ausgelaugt und müde. Sie wusste allerdings genau, wenn sie jetzt im Bett bliebe, würde sie bestimmt nicht weiterschlafen können.

Es war vier Uhr dreißig am Morgen. Um zehn begann die Prüfung, genug Zeit, um noch einen Spaziergang zu machen. Sie öffnete das Fenster und atmete tief durch.

Frische Luft strömte vom Garten herein, und der Duft des Sommers breitete sich im Zimmer aus. Doch gleich darauf schwirrte auch eine Mücke an ihrem Ohr entlang. Hastig schloss Maren das Fenster wieder, um bloß nicht noch mehr von den lästigen Plagegeistern hereinzulassen. Mit der Fliegenklatsche hatte sie die Mücke schnell erlegt, und nach kurzer Überprüfung der Wände war sie sicher, dass keine weiteren Mücken im Zimmer waren.

Maren schnappte sich ihre Jacke, löschte das Licht und lief die Treppe hinunter. Die weiße Malteserhündin Flocke hob den Kopf aus ihrem Kuschelkorb, als Maren auf sie zukam.

»Komm, Flocke, wir gehen eine Runde«, sagte Maren, strich der Hündin liebevoll über den Kopf und verließ mit ihr das Haus. Es dunkelte noch in Gütersloh, aber die Straßenlaternen und der helle Mondschein gaben eine gute Orientierung.

Marens Eltern waren in Bielefeld auf einer Feier. Sie wollten dort übernachten und würden erst gegen Mittag zurück sein. Maren strich ihr schulterlanges dichtes rotes Haar zurück und ging gemütlich die Straße entlang bis zum Schulgelände.

Dort verlief ein Fußweg am Reinhard-Mohn-Berufskolleg vorbei direkt zum Wanderweg, der an der Dalke entlangführte. Maren setzte sich am Fluss auf eine Bank.

Es war inzwischen fünf Uhr, und der erste Tagesschimmer zeigte sich, obwohl das Mondlicht sich noch im Wasser der Dalke spiegelte. Noch nie war Maren um diese Zeit hier gewesen, und plötzlich fröstelte ihr, nicht, weil es kalt war, denn es waren sicher 16 oder 17°, aber der Gedanke, dass sie hier ziemlich allein mit Flocke war, machte ihr plötzlich Angst. Sie fasste in ihre Jackentasche, um das Handy herauszuholen. Verflixt, sie hatte es vergessen. Vorsichtig sah sie sich um. Niemand war zu sehen, nur ein sanftes Glucksen kam vom Wasser herauf, das über die Steine sprang wie eh und je.

Maren lehnte sich zurück, atmete tief durch und lächelte plötzlich über sich selbst. Flocke war doch bei ihr und würde jede Person, die sich ihr näherte, sofort laut und deutlich anbellen. Sie beugte sich vor und strich ihrer Hündin zärtlich über das weiche Fell. Flocke hatte sich vor ihren Füßen zusammengerollt und genoss genau wie sie den heraufziehenden Sommermorgen.

Nach der Hitze des gestrigen Tages war die frische Luft nun eine echte Wohltat. Obwohl es erst Ende Mai war, hatte das Thermometer dreißig Grad angezeigt, und Maren hatte sich fast den ganzen Tag hinter ihren Büchern verkrochen. Zum Glück war diese Prüfung die letzte, und danach hatte sie erst einmal Urlaub. Sie reckte sich genüsslich und dachte an Dirk.

Fast ein Jahr waren sie zusammen gewesen, und sie hatte geglaubt, dass Dirk es wirklich ernst mit ihr meinte. Doch in letzter Zeit war er häufig abwesend, hörte gar nicht zu, wenn sie ihm von ihrer Arbeit berichtete, und er war viel lieber mit seinem Smartphone beschäftigt als mit ihr. Sie hatte sich daran gestört und ihn beim Essen gebeten, endlich das Handy wegzulegen, aber Dirk war gleich ausgerastet. Sie sei wie eine Klette, lasse ihm keinen Freiraum, hatte er ihr vorgeworfen und um Abstand gebeten.

Ihr Temperament war einfach mit ihr durchgegangen, und sie hatte gleich Schluss gemacht.

Dirk hatte es sofort akzeptiert und gesagt: »Wahrscheinlich ist es das Beste.«

In ihrem Ärger hatte sie ihre Sachen genommen und war grußlos gegangen.

Noch vor Wochen hatte Maren geglaubt, ohne Dirk nicht leben zu können, aber schon beim Lernen für die Abschlussarbeit hatte sie ihn zeitweilig vergessen, ein sicheres Zeichen, dass auch für sie die Sache abgeschlossen war, woran allerdings der neue Nachbar nicht ganz unschuldig war.

Vor drei Wochen waren nebenan neue Leute eingezogen. Ein Ehepaar mit erwachsenem Sohn. Kai Schneider studierte Tiermedizin, das hatte er zumindest gesagt, als sie mit Flocke im Garten gespielt hatte. Er war wirklich ein netter Typ mit seinem akkurat gestutzten Bart und den dunklen Haaren. Er hatte sie für Sonntag in die Eisdiele eingeladen.

Maren hob Flocke hoch und nahm sie auf den Schoß.

»Der Kai ist schon ein Süßer, nicht wahr, Flocke«, flüsterte sie und freute sich auf Sonntagabend.

Die Hündin bellte leise, wie zur Bestätigung. Maren streichelte sie und fuhr mit den Fingern sanft durch das weiche Fell, dann setzte sie die Hündin wieder ab und sagte:

»Wir müssen nach Hause, meine Kleine.«

Etwas surrte in der Luft, als sei eine Biene im Anflug, im selben Moment spürte Maren einen Stich im Nacken, und fast gleichzeitig begann Flocke aufgeregt zu bellen.

»Au, da hat mich was gestochen, Flocke. Lass uns gehen!«, murmelte sie und fasste sich in den Nacken. Irgendetwas fiel mit einem kaum hörbaren Geräusch auf die Erde. Flocke bellte laut, gebärdete sich plötzlich wie wild und riss an der Leine. Maren wollte aufstehen, aber ihr war auf einmal schwindlig, und sie sank wieder auf die Bank zurück. Eine merkwürdige, nie gekannte, dumpfe Übelkeit überkam sie. Sie versuchte aufzustehen und nahm Flockes wütendes Gebell wie in einem Nebel wahr. Eine Gestalt tauchte vor ihr auf, und Maren wollte etwas sagen, um Hilfe schreien, doch es gelang ihr nur ein undefinierbares Stammeln.

Ein dumpfes Knirschen drang an ihr Ohr, dann ein seltsamer aufjaulender heller Ton, der nur von Flocke stammen konnte.

»Hilfe«, stieß Maren endlich hervor, aber ihre Stimme war so schwach, dass es nur noch ein Flüstern war. Sie griff nach der Rückenlehne der Bank, konnte sich nicht halten, rutschte seitlich ab, und das Letzte, was sie spürte, waren zwei Hände, die nach ihr griffen.

2. Kapitel

Es war noch sehr früh am Morgen, als das Handy auf Hannah Seelfelds Nachttisch surrte. Verschlafen reckte sie sich und hangelte nach dem Telefon. Nur Sekunden brauchte sie, nachdem sie abgenommen hatte, um hellwach zu werden.

»Ich komme sofort«, sagte sie leise und blickte zu ihrem Lebensgefährten Frank Stenner hinüber, der neben ihr noch fest schlief. Frank war Berufsfeuerwehrmann in Gütersloh und erst gegen Mitternacht von einem Einsatz heimgekommen.

Hannah schenkte ihm einen liebevollen Blick, stand leise auf und ging nach nebenan in das kleine Ankleidezimmer, das sie sich eingerichtet hatten, gleich nachdem sie vor zwei Jahren zusammengezogen waren. So störten sie sich nicht beim Anziehen, wenn einer von ihnen noch schlief, denn ihre Berufe erforderten oft Arbeitszeiten, die recht unterschiedlich waren.

Kaum fertig angezogen, machte sich Hannah schnell einen Kaffee und war wenige Minuten später mit ihrem Auto auf dem Weg nach Gütersloh. Sie war Hauptkommissarin der Kripo Bielefeld und hatte ihr Büro in der Kreispolizeibehörde des Kreises Gütersloh, weil sie dort zuständig war. Sie fuhr schnell, denn der Anruf zu so früher Stunde verhieß nichts Gutes.

Die ersten Sonnenstrahlen funkelten wie Edelsteine im leicht dahinziehenden Wasser der Dalke, als die Hauptkommissarin gegen sieben Uhr ihr Auto an der Brücke parkte. Im nahe gelegenen Flussbetthotel fuhr gerade der Lieferwagen einer Bäckerei vor und brachte die frischen Brötchen fürs Frühstück.

Hannah wurde von einem Kollegen in Uniform begrüßt.

»Die Tote liegt da drüben, gleich hinter der Wegbiegung.« Er zeigte zum Wanderweg hinüber, wo Hannah schon die Rücklichter eines Polizeifahrzeugs auf dem Rasenstreifen blinken sah. »Die Zeugin, die sie gefunden hat, ist allerdings schon wieder weg. Als ich die Personalien notiert habe, ist sie auf ihr Rad gestiegen und einfach davongefahren.«

Hannah runzelte unmutig die Stirn. »Sehen Sie zu, dass wir die Frau nachher vernehmen können. Wenn Sie die Personalien haben, dürfte das ja nicht schwer sein.«

Der Beamte nickte.

Hannah eilte nun schnellen Schrittes zum Tatort und wurde vom Polizeiarzt Volker Weekes empfangen.

»Moin, Frau Seelfeld, Sie sind ja schnell.« Er schnitt eine Grimasse und fuhr fort: »Es wirkt, als sei die Tote ertrunken, ich gehe allerdings davon aus, dass da jemand nachgeholfen hat. Todeszeitpunkt so etwa zwischen vier Uhr dreißig und sechs Uhr dreißig heute Morgen.«

»Haben Sie Spuren von Fremdeinwirkung gefunden?«, fragte Hannah und sah auf die junge Frau, die neben dem Arzt auf dem Rasen unten an der Böschung lag.

Die Tote war durchscheinend bleich und hatte schulterlanges, dunkelrotes Haar, das feucht und klebrig ihr schmales Gesicht einrahmte. Die Augen waren geschlossen, die dunkelroten, fast bräunlichen Brauen wirkten wie zwei ebenmäßig geformte Sicheln, die nur durch die schmale Nase geteilt wurden. Der Mund war leicht geöffnet und zeigte gerade, schöne Zähne. Das Gesicht der jungen Frau hätte für ein Modejournal sicher ein gutes Covermotiv abgegeben, war Hannahs erster Gedanke, so schön war es.

»Bisher nicht. Aber der Wasserstand der Dalke misst momentan dank der diesjährigen Trockenheit kaum mehr als zwanzig Zentimeter«, erklärte Weekes. »Die Frau wirkt sportlich und ist jung, da kann ich mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, dass sie ertrunken sein soll. Es sei denn, sie war bewusstlos. Ich tippe darauf, dass ihr jemand zuvor ein Narkotikum verabreicht hat.«

»Sie meinen eine Überdosis an Drogen?«

»Möglicherweise. Sie sieht allerdings nicht aus, als wäre sie abhängig. Ich könnte mir eher vorstellen, dass jemand ihr ein Getränk gegeben hat, um sie willenlos zu machen«, sagte der Arzt. »K.-o.-Tropfen zum Beispiel.«

»Ja, das leuchtet mir ein«, sagte Hannah nachdenklich. »Könnte es auch ein Suizid sein?«

»Das schließe ich definitiv aus.« Der Arzt zeigte auf die Böschung. »Sehen Sie hier das Gras, es ist erst kürzlich gemäht worden. Trotzdem kann man bei genauem Hinsehen eine Schleifspur erkennen.«

Hannah runzelte die Stirn und blickte zur Böschung hoch. »Das habe ich noch gar nicht bemerkt«, sagte sie und betrachtete das Gras genau. »Der Täter hat die Frau also hierhergeschleift, um sie zu ertränken.«

»Könnte sein«, sagte der Arzt. »Wie gesagt, ich muss erst genaue Ergebnisse haben.«

»Wann können Sie mir Näheres sagen?«

»Frühestens heute Abend«, sagte der Arzt, nahm seine Tasche und ging davon.

Hannah nickte abwesend und sah ihm nach.

Der Arzt drehte sich noch einmal um und rief: »Ich rufe Sie an.«

Hannah stand sekundenlang vor der Leiche und dachte angestrengt nach. Noch einmal sah sie sich die Böschung an und ging neben der kaum wahrnehmbaren Schleifspur nach oben, genau auf eine Bank zu. Hier hatte die Frau wahrscheinlich gesessen. Langsam ging Hannah hin und her und suchte mit den Augen den Boden ab. Zwar hatten die Kollegen der Spurensicherung schon ihre Arbeit aufgenommen, aber sie machte sich gern selbst ein Bild. Da waren Blutspuren im Gras direkt neben einer Bank, die oberhalb des Flusses am Wanderweg stand.

Hannah hockte sich hin und fand gleich darauf noch ein Büschel blutverklebter weißer Haare, das sie mit Handschuhen anfasste und sofort in ein Tütchen gab. Sie ging zu Norbert Pasur von der Spurensicherung hinüber und zeigte ihm die Tüte.

»Das könnten Hundehaare sein«, gab der Kollege an.

Hannah nickte. »Eine Hundeleine haben Sie bei der Toten aber nicht gefunden, oder?«

»Nein, nichts, was auf ein Tier hindeutet, und auch sonst nichts«, sagte Pasur. »Kein Handy, keine Tasche und keinen Ausweis, nur einen Hausschlüssel. Sie muss auf der Bank gesessen haben und wurde vom Täter zum Wasser hinuntergeschafft.«

Hannah nickte zustimmend. »Der Doktor hat mich auf die Schleifspur aufmerksam gemacht, die von der Bank direkt zu der Stelle führt, an der die Tote lag.«

Hauptkommissar Pasur nickte und holte ein Tütchen aus der Tasche. »Wir haben direkt neben der Bank ein silbernes Armband gefunden.« Es war ein Gliederarmband mit mehreren kleinen Anhängern.

»Ein Bettelarmband«, stellte Hannah fest.

Ein Radler kam den Weg herunter.

»Haben die Kollegen die Absperrung drüben schon entfernt?«, fragte Hannah, die nun wirklich keine Zuschauer gebrauchen konnte.

Noch bevor Norbert Pasur antworten konnte, kam der Radler direkt auf die beiden zu.

»Ist das die Tote?«, fragte er aufgeregt und zeigte zur Uferböschung hinunter, wo die Frau lag, deren Leiche mit einer Folie abgedeckt war.

»Was fällt Ihnen ein, die Absperrung zu durchbrechen?«, fuhr die Kommissarin ihn an. »Wer sind Sie überhaupt?«

»Absperrung? Ich hab keine gesehen«, antwortete der Mann verdattert.

»Da drüben, wo das Polizeiauto steht, ist alles abgesperrt«, klärte ihn Hauptkommissar Pasur auf. »Das sieht man doch.«

»Ich komme vom Schulhof, da ist nichts abgesperrt.« Er zeigte zum Gebäude des Berufskollegs hinüber, von wo aus man den Rasen überqueren und direkt auf den Wanderweg gelangen konnte.

»Wenn Sie über die Wiese gefahren sind, woher wussten Sie dann von der Toten?«, fragte Hannah Seelfeld.

»Unsere Nachbarin, Frau Mai, hat es mir gesagt«, gab der Mann an, der sich mit Bernd Vollmer vorstellte. »Sie hat die Tote gefunden und sie mir beschrieben. Außerdem hat sie gesagt, die Frau sei kaum älter als zwanzig. Deshalb bin ich gekommen.«

»Deshalb?«

»Ja, die Frau soll rote Haare haben«, sagte er. »Eine frühere Mitschülerin meiner Tochter hatte auch rote Haare, vielleicht ist sie es. Sie wohnt hier in der Nähe und heißt Maren.«

»Maren und weiter?«

»Keine Ahnung, aber sie war sehr hübsch«, sagte er und holte sein Handy hervor. »Meine Frau ist schon wach, sicher weiß sie den Nachnamen.«

Nach einem kurzen Gespräch legte er auf und sagte: »Sie heißt Maren Ochtmüller.« Er steckte das Telefon ein und setzte hinzu: »Sie hat einen weißen Hund, hat meine Frau noch gesagt. Letzte Woche war sie noch mit dem Tier bei uns zu Besuch.«

Hannah Seelfeld notierte sich den Namen und ließ sich von Herrn Vollmer Anschrift und Telefonnummer geben. »Wenn sich Ihre Aussage bestätigt, könnte Ihre Tochter uns vielleicht weitere Hinweise geben«, sagte sie und gab ihm ihre Visitenkarte. »Sollte Ihnen oder Ihrer Frau sonst noch etwas einfallen, dann melden Sie sich doch bitte bei mir.«

Der Mann war gerade weg, als einer der uniformierten Kollegen mit einer Frau, die ihr Fahrrad neben sich herschob, auf Hannah zukam.

»Das ist Frau Mai, sie hat die Tote entdeckt«, erklärte der Uniformierte.

Hannah begrüßte die Frau und fragte: »Wann genau haben Sie die Tote gefunden, Frau Mai?«

»Das weiß ich nicht genau, aber es muss kurz vor sechs Uhr gewesen sein«, sagte Frau Mai. »Ich trage morgens die Zeitung aus und war fertig. Weil es so schön war, wollte ich mich einen Moment auf die Bank setzen, da hab ich das Mädel gesehen. Ich bin in Panik nach Hause und hab 110 gewählt.«

»Hatten Sie kein Handy dabei?«, erkundigte sich Hannah.

»Meine Kinder haben mir eins geschenkt, aber ich nehm es selten mit«, sagte Frau Mai. »Wissen Sie, ich bin Rentnerin und verdiene mir mit Zeitungsaustragen etwas dazu.«

»Gerade morgens, wenn Sie allein unterwegs sind, wäre ein Smartphone gut«, riet Hannah. »Ihre Kinder haben das sicher auch gedacht.«

Frau Mai seufzte. »Demnächst werde ich es auf jeden Fall mitnehmen. Wenn ich an den Anblick von dem toten Mädchen denke. Einfach schrecklich. Ich bin gleich hin und hab sie umgedreht. Ich dachte, sie wäre ohnmächtig geworden, und wollte ihr helfen, und dann …« Sie zog ein Tuch aus der Tasche und wischte sich über die Augen.

»Haben Sie noch etwas gesehen? Oder Geräusche gehört?«

Frau Mai schüttelte den Kopf. »Ich bin nur auf mein Rad gestiegen und hab von zu Hause aus die Polizei gerufen.«

Hannah nickte ihr verständnisvoll zu und gab ihr ihre Karte. »Wenn Ihnen doch noch etwas einfällt, dann melden Sie sich doch bitte bei mir.«

3. Kapitel

Es war zehn Uhr dreißig am Montagmorgen, als das Auto von Erika und Manfred Ochtmüller vor ihrer Garage hielt.

»Was macht Flocke denn vor der Haustür?«, wunderte sich Erika, stieg aus und ging zum Eingang.

Als ihr Mann dazukam, saß sie auf der Stufe vor der Tür, die Hündin auf dem Schoß. »Flocke ist verletzt, sie blutet am Kopf, da muss etwas passiert sein«, rief sie ihm aufgeregt zu. »Sogar die Leine hat sie noch um.«

Ihr Mann betrachtete die Verletzungen des Hundes und schüttelte den Kopf. »Sieht aus, als wäre Flocke unter ein Auto gekommen«, sagte er und schloss die Haustür auf. »Ob Maren sie in den Garten gelassen hat, bevor sie zur Prüfung gefahren ist?«

Erika zuckte mit den Schultern, »Das kann ich mir gar nicht vorstellen, Maren ist doch sonst so zuverlässig«, sagte sie. »Die lässt doch Flocke nicht draußen, sie weiß doch, dass die Hündin über den Zaun springen kann. Und wenn, dann hätte sie ihr bestimmt die Leine abgenommen.«

»Vielleicht hat Maren Flocke im Garten angebunden, und sie hat sich losgerissen«, sagte Manfred. »Egal, sie muss zum Tierarzt. Ich hol den Transportkasten.«

Kurz darauf fuhr er mit Flocke davon.

Erika lief unruhig im Haus herum. Wieso hatte Maren die Hündin rausgelassen? Noch dazu mit der Leine. Irgendwas stimmte da nicht. Sie sah auf die Uhr.

Die Prüfung war in vollem Gange, da konnte sie Maren per Handy nicht erreichen. Nachdenklich ging sie nach oben und betrat Marens Zimmer. Erschrocken stellte sie fest, dass die Tasche mit den Schulsachen fix und fertig gepackt auf dem Schreibtisch lag. Das sah ihrer Tochter gar nicht ähnlich. Ohne weiter nachzudenken, nahm Erika nun doch ihr Handy und tippte Marens Nummer ein, sogleich surrte etwas ganz in der Nähe. Marens Handy. Nach kurzem Suchen entdeckte Erika es in der Schultasche ihrer Tochter. Mit Marens Handy in der Hand ließ sie sich auf das Bett sinken. Es war etwas passiert. Etwas ganz Schreckliches. Da war sie vollkommen sicher.

Ihre Tochter war so zuverlässig und würde niemals eine so wichtige Prüfung schwänzen, das wusste Erika genau. Sekundenlang saß sie da wie erstarrt, dann rief sie in der Schule an.

»Ihre Tochter ist zur Prüfung nicht erschienen«, erklärte die Schulsekretärin nach einer kurzen Rücksprache mit der Prüfungsleitung.

Langsam ging Erika nach unten. Ihr Mann war noch immer nicht vom Tierarzt zurück. Sie öffnete die Tür und lief unruhig nach draußen. Ihre Nachbarin, Gerda Schulte, stand im Vorgarten und schnitt die Rosen zurück. Erika winkte ihr zu.

Gerda grüßte zurück und erkundigte sich neugierig: »Na, wie war die Party bei deiner Schwägerin gestern Abend?«

Erika ging zu ihr hinüber und antwortete: »Wie immer, viele Leute und ordentlich Rummel.« Am liebsten hätte sie nach Maren gefragt, aber da sie wusste, dass Gerda ziemlich gern tratschte, ersparte sie sich die Frage.

»Ich muss dann mal wieder, Gerda«, sagte sie nur und wollte gehen, doch Gerda hielt sie zurück.

»Eure Maren war ja heute früh auf«, sagte sie. »Bestimmt konnte sie auch nicht schlafen.«

»Wann hast du Maren denn gesehen?«, fragte Erika überrascht.

»Heute Morgen, ich glaube, es war fünf Uhr oder so«, erklärte Gerda umständlich. »Sie ist mit dem Hund rausgegangen.«

»So früh«, wunderte sich Erika.

»Bestimmt war es ihr im Schlafzimmer zu warm. Es ist ja auch eine elende Hitze im Moment«, antwortete Gerda.

Erika nickte, sie wollte sich keinesfalls in ein längeres Gespräch ziehen lassen und sagte unruhig: »Ich muss noch bügeln, Gerda.«

Gerda winkte ab. »Bügeln kannst du morgen noch«, sagte sie, kam näher heran und raunte verschwörerisch: »Heute war hier richtig was los. Schon dreimal ist ein Polizeiauto vorbeigekommen. Ich möchte wirklich wissen, wen sie da wieder am Wickel haben.«

»Du weißt aber nicht, ob es einen Unfall gegeben hat, oder?«, fragte Erika jetzt alarmiert, und ihr Herz krampfte sich schmerzhaft zusammen.

»Bis jetzt hab ich noch nichts gehört, aber ich komme schon dahinter, was die Polizei hier gesucht hat.«

Erika gab keine Antwort mehr und flüchtete ins Haus, in ihrem Rücken hörte sie den erstaunten Ausruf von Gerda: »Was hast du denn auf einmal?«

Hastig schlug Erika die Tür hinter sich zu. Wenn so viel Polizei da war, dann hatte es bestimmt einen Unfall gegeben. Sie musste bei der Polizei anrufen. Mit zitternden Fingern holte sie ihr Handy aus der Tasche. Gerade als sie die Nummer wählte, klingelte es an der Tür.

Erika riss sie auf in dem Glauben, ihr Mann sei zurück, und erstarrte.

Eine Frau stand dort, einen Polizeiausweis in der Hand.

»Kriminalpolizei, Hauptkommissarin Seelfeld, das ist mein Kollege, Kommissar Rohmann.« Sie zeigte hinter sich auf einen Mann, den Erika zuvor gar nicht gesehen hatte. Noch während sie die beiden wortlos anstarrte, fragte die Kommissarin: »Sind Sie Frau Ochtmüller?«

Erika nickte.

Die Kommissarin hielt ihr ein Tütchen mit einem Bettelarmband hin. »Haben Sie dieses Armband schon einmal gesehen?«

Erika starrte darauf. »Ja, natürlich. Das gehört Maren.«

»Sind Sie ganz sicher?«

»Ja, ich hab es ihr doch geschenkt. Wo haben Sie es her?«

»Wir haben es an der Dalke gefunden. Es lag unter einer Bank«, sagte die Kommissarin. »Wir …«

Erika unterbrach sie abrupt. »Wo ist Maren? Was ist mit ihr?«, stieß sie fast tonlos hervor, denn mit untrüglicher Sicherheit wusste Erika nun, dass ihrer Tochter etwas passiert war. »Ist sie im Krankenhaus?«

»Können wir hereinkommen?«

Erika nickte nur. Kaum hatte sie die Tür geschlossen, sagte sie fast flehentlich: »Nun antworten Sie doch endlich!«

»Ihre Tochter wurde heute Morgen an der Dalke tot aufgefunden.«

»Nein!« Der Schrei, der aus Erikas Kehle kam, war so schrill, dass sie selbst davor erschrak. Jammernd klammerte sie sich an die Kommissarin, die sie sanft zu einem Stuhl neben der Garderobe dirigierte.

Erika ließ sich darauf niederfallen und verbarg schluchzend ihr Gesicht in den Händen. Ihre Schultern bebten. Sie konnte keinen klaren Gedanken fassen, und erst nach einer Weile fragte sie mit bebender Stimme: »Ist das wirklich wahr?«

»Ja, die junge Frau hatte zwar keine Papiere dabei, aber aufgrund der Aussage eines Zeugen gehen wir davon aus«, antwortete die Kommissarin leise. »Ich habe mit dem Handy ein Foto gemacht.«

Erika nahm die Hände vom Gesicht und blickte auf das Foto. Maren lag auf der Erde im Gras, ihr rotes Haar war nass, und ihr Gesicht sah aus, als schliefe sie. Ein kalter Schauer lief Erika über den Rücken, bunte Flecken tanzten vor ihren Augen, und sie spürte, wie sie vornüberfiel.

Die Kommissarin fing sie gerade noch auf, sonst wäre sie einfach mit dem Stuhl umgekippt. Erika klammerte sich an die Polizistin und wimmerte wie ein Kind, als ein Schlüssel sich im Schloss drehte.

»Maren ist tot, Manfred«, schleuderte sie ihrem Mann entgegen, der jetzt hereinkam. »Sie ist tot. Einfach tot.«

Erika ließ die Kommissarin los und klammerte sich jetzt an ihren Mann, der mit wenigen Schritten bei ihr war.

Er war bleich geworden und sah abwechselnd die Kommissarin und ihren Kollegen an, deren Nicken nahm er schweigend zur Kenntnis.

»Komm, Erika«, sagte er dann, legte den Arm um sie, zog sie sanft vom Stuhl hoch und geleitete sie durch die angrenzende Tür ins Wohnzimmer zum Sofa. »Du musst dich hinlegen.« Er bettete sie auf das Sofa, deckte sie mit einer dünnen Decke zu und fuhr fort: »Ich hole dir eine Tablette.«

Die Polizistin und ihr Kollege waren mitgekommen und standen nun schweigend herum. Erika schob die Decke zur Seite und setzte sich wieder auf. Die Polizistin stellte ihr eine Frage, aber Erika hörte gar nicht zu. Sie wollte nicht reden, obwohl Tausende von Fragen in ihrem Kopf herumwirbelten. Manfred kam mit der Tablettenschachtel und einem Glas Wasser zurück.

»Die nehme ich doch nur, wenn wir im Flieger sind«, sagte sie vorwurfsvoll, als sie die Schachtel sah.

»Sie beruhigen dich jetzt auch«, antwortete Manfred leise. »Nimm sie bitte, und leg dich wieder hin.«

Folgsam nahm Erika die Tablette, blieb aber sitzen. Manfred holte tief Luft, setzte sich neben sie und ergriff ihre Hand.

»Nehmen Sie doch bitte Platz«, sagte er, und die Kommissarin setzte sich ihnen gegenüber in den Sessel, während ihr Kollege an der Tür stehen blieb.

»Wann und wie haben Sie unsere Tochter gefunden?«, fragte Manfred.

Die Kommissarin erklärte, dass sie Maren im flachen Wasser der Dalke gefunden hatten.

»Glauben Sie etwa, Maren ist ertrunken?«, unterbrach Erika sie langsam. Eine dunkle Wolke umgab sie, die sich wie Watte anfühlte. Ihr Blick auf die Kommissarin und ihren Kollegen war verschleiert, die Gesichter erschienen ihr unscharf. In ihrem Kopf war eine unendliche Leere, und die Antwort auf ihre Frage konnte sie kaum noch verstehen. Aber sie spürte Manfred neben sich, und das gab ihr ein wenig Halt, um nicht ganz in ihrem Schmerz unterzugehen.

»Nein, wir gehen davon aus, dass sie unter Einwirkung eines Betäubungsmittels stand.«

»Drogen?« Manfred starrte die Kommissarin an. »Unsere Tochter hat noch nie Drogen genommen.«

»Wann haben Sie Ihre Tochter zuletzt gesehen?«

»Gestern Abend, bevor wir zu meiner Schwester nach Bielefeld gefahren sind«, antwortete Manfred. »Wir haben dort übernachtet.«

Erika stellte sich Marens Gesicht vor, wie sie lächelte und wie sie im Garten mit Flocke spielte. Ohne, dass sie viel nachdachte, öffnete sich ihr Mund, und sie sprach beinahe monoton: »Maren ist heute Morgen mit Flocke rausgegangen. Frau Schulte hat es mir gesagt. Bestimmt ist sie bald wieder da.« Sie lächelte jetzt, und die Gesichter, die sie verwirrt ansahen, verschwammen vor ihren Augen, und nur Marens Lächeln blieb zurück.

»Sie sollten einen Arzt rufen, Herr Ochtmüller. Ihre Frau braucht professionelle Hilfe.« Die Stimme der Kommissarin war in weiter Ferne.

»Ich brauche keinen Arzt, mir geht es gut«, sagte Erika. »Maren kommt gleich, und dann ist alles wieder in Ordnung.«

Erika spürte, wie Manfred sie wieder auf das Sofa bettete und sie sorgsam zudeckte, dann verschwammen die letzten Farbtupfer vor ihren Augen, und nur noch Marens Lächeln blieb.

4. Kapitel

Hannah Seelfeld erhob sich und gab ihrem Kollegen ein Zeichen, dann verließen beide mit Manfred Ochtmüller das Wohnzimmer.

»Hatte Ihre Tochter einen Freund oder Bekannte, mit denen sie häufig zusammen war?«, fragte Hannah, als sie wieder im Hausflur standen.

»Mit ihrem Freund hat sie Schluss gemacht.« Ochtmüller zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht, was sie an dem Typen fand. Allein dieser ungepflegte Vollbart«, sagte er und fuhr erregt fort: »Glauben Sie, er hat was damit zu tun?«

»Wir haben bisher keinerlei Hinweise auf einen Täter«, warf Hannah hastig ein. »Aber um den Tod aufzuklären, benötigen wir möglichst viele Anhaltspunkte. Wie heißt der Mann?«

»Dirk Berger.« Ochtmüller gab ihr die Anschrift und setzte grimmig hinzu: »Verdammt, ich habe diesem Kerl nie getraut!«

»Herr Ochtmüller«, beschwor ihn Hannah. »Ich verstehe Ihren Ärger, Ihre Wut und Ihre Trauer, aber unterlassen Sie eigene Nachforschungen. Das ist Sache der Polizei.«

Ochtmüller gab darauf keine Antwort, sondern fragte: »Kann ich meine Tochter sehen?«

»Ja. Wir begleiten Sie zur Rechtsmedizin«, sagte Hannah und warf ihrem Kollegen einen fragenden Blick zu. Bisher hatte er sie nicht mit einem Wort unterstützt, sondern immer nur still dabeigestanden. »Soll mein Kollege hier bei Ihrer Frau bleiben, oder haben Sie eine Bekannte, die ihr Beistand leisten kann?«

»Ich rufe ihre Schwester an, sie wohnt ganz in der Nähe.«

Hauptkommissarin Hannah Seelfeld verließ abends kurz vor acht Uhr ihr Büro an der Herzebrocker Straße. Seit fast vierzehn Stunden war sie auf den Beinen, und sie wünschte sich nur noch eine erfrischende Dusche und ein Glas Wein, um ihre aufgewühlten Nerven zu beruhigen.

Die Tote hatte sie den ganzen Tag über beschäftigt. Sie konnte die Not der Eltern gut verstehen, und wieder einmal fragte sie sich, ob es angesichts ihres Berufes klug war, sich ein Kind anzuschaffen.

Hannah liebte Kinder, und seit sie mit Frank zusammenwohnte, war der Wunsch nach einem gemeinsamen Kind immer größer geworden. Hannah schüttelte sich, als würden dadurch alle schlimmen Gedanken wie Wassertropfen von ihr abfallen. Lange ließ Hannah sich das lauwarme Wasser über den Körper laufen, und als sie die Dusche verließ, ging es ihr endlich etwas besser.

Frank hatte heute Spätdienst und würde frühestens gegen halb elf zurück sein. Hannah hatte noch keinen Appetit und setzte sich nur mit einem Schälchen Obst auf den Balkon.

Sie wohnte in einem zweistöckigen Haus, in dem sie und Frank das Obergeschoss gemietet hatten.

Frau Scholz, die unter ihnen wohnte, war schon achtzig Jahre alt, und ihre erwachsen Kinder und Enkel kamen regelmäßig zu Besuch. Ihr gehörte das Haus, und sie werkelte noch immer im Garten, dessen Rasen jetzt bei der Trockenheit braun und abgestorben aussah. Frau Scholz goss nur die Blumen und ihre Rosen mit Hingabe.

Manchmal, wenn ihr Dienst es zuließ, half Hannah Frau Scholz bei der Pflege des Gartens. Sie hatte dabei viel über die einzelnen Pflanzen gelernt, und nun war der Blick über die Blumenbeete wie ein Streicheln für ihre Seele. Langsam beruhigte sie sich, und ihre Gedanken wurden wieder klar. Sie wohnten hier am Ende des Ortes nah an einem kleinen Wäldchen. Die Sonne senkte ihre Strahlen, und die langen Schatten läuteten das Ende des Tages ein.

Während Hannahs Blick in den Himmel schweifte und den Schwalben zusah, die jeden Abend weit oben herumflitzten, dachte sie an den Moment, als Manfred Ochtmüller in der Rechtsmedizin seine Tochter erblickt hatte.

Der Mann war so erschüttert gewesen, so völlig erledigt, dass sie und Felix ihn stützen mussten, damit er nicht an der Bahre zusammenbrach. Sie hatten ihn gemeinsam wieder hinausgeführt. Den ganzen Rückweg hatte er kein Wort gesagt, nur beim Aussteigen hatte er sich mit bleichem Gesicht bei ihr bedankt und dann gemurmelt: »Wenn ich den erwische, ich mach ihn fertig.«

Sie wollte etwas entgegnen, tat es aber nicht. Es musste schrecklich sein, ein Kind zu verlieren, und noch dazu auf solch eine Art.

In kleinen Schlucken trank Hannah den Wein, aber die Beruhigung, die sie sich davon versprochen hatte, wollte nicht eintreten.

Das schöne Gesicht der Toten trat ihr vor Augen. Die geschlossenen Lider, deren lange kupferfarbene Wimpern wie ein Kranz die geschlossenen Augen umrandeten. Der schmale blasse Mund und die gerade geschnittene Nase waren selbst im Tod noch von morbider Schönheit.

Hannah holte tief Luft. Sie musste den Gedanken an die Tote abstreifen und sich auf den Täter konzentrieren. Wer hatte Maren Ochtmüller auf dem Gewissen und warum?

Ein Auto rauschte am Haus vorbei, und unten klapperte eine Tür. Hannah sah vom Balkon hinunter und erblickte Frau Scholz, die langsam über den abgestorbenen Rasen ging.

Kurz entschlossen stand Hannah auf und ging hinunter. Hannah betrat den Garten durch die Gartenpforte seitlich vom Haus. »Guten Abend, Frau Scholz«, grüßte sie. »Betrachten Sie Ihre schönen Beete?«

Frau Scholz lächelte. »Ich überlege, ob ich die Beete verkleinern soll. Es ist doch eine Menge Arbeit, und jetzt, wo ich wegen der Hitze jeden Tag wässern muss, schaff ich es kaum noch.«

»Das wäre aber schade. Es blüht so wunderschön bei Ihnen«, sagte Hannah und bot an: »Wenn Sie möchten, übernehme ich das tägliche Sprengen.«

»Sie haben doch so viel zu tun, da will ich Sie nicht belasten, Frau Seelfeld.«

»Es ist für mich eine Ablenkung«, sagte Hannah. »Es belastet mich nicht.«

»Wenn das so ist, dann freue ich mich über ihre Hilfe.« Frau Scholz gab Hannah noch Tipps zu den einzelnen Pflanzen und ihrem Wasserbedarf und sagte: »Der Rasen kann so bleiben, der wird schon wieder grün, wenn es regnet.«

Bis es dämmerte, beschäftigte sich Hannah im Garten, dann setzte sie sich mit einem Glas Wein auf den Balkon. Es war schon dunkel, als sie das Auto von Frank hörte. Wenige Minuten später kam er zu ihr auf den Balkon. Er sah das Weinglas auf dem Tisch und fragte leise: »Na, Schatz, suchst du Entspannung nach dem grausigen Fund heute Morgen?«

Hannah nickte und gab ihm einen Kuss. »Und du? Wie war dein Tag?«