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Sie war die gute Seele Großbritanniens – die Geschichte von Queen Elizabeths Mutter Damit hatte Elizabeth Bowes-Lyon nicht gerechnet, als sie den jüngeren Bruder des britischen Thronfolgers heiratete: 1936 dankt ihr Schwager Edward VIII. der Liebe wegen ab, und ihr Mann wird unverhofft zum König – eine Rolle, auf die sie beide nicht vorbereitet sind. Plötzlich bricht eine unbekannte Welt über die bisher so behütete Familie hinein, und George VI. ist von seiner neuen Rolle maßlos überfordert. Am Horizont bahnt sich bereits der Zweite Weltkrieg an, und Elizabeth muss über sich selbst hinauswachsen, um ihren Gatten zu stützen und dem Volk dennoch ein nahbares Vorbild zu bleiben. Bedeutende Frauen, die die Welt verändern Mit den historischen Romanen unserer Reihe »Bedeutende Frauen, die die Welt verändern" entführen wir Sie in das Leben inspirierender und außergewöhnlicher Persönlichkeiten! Auf wahren Begebenheiten beruhend erschaffen unsere Autor:innen ein fulminantes Panormana aufregender Zeiten und erzählen von den großen Momenten und den kleinen Zufällen, von den schönsten Begegnungen und den tragischen Augenblicken, von den Träumen und der Liebe dieser starken Frauen. Weitere Bände der Reihe: - Laura Baldini, Lehrerin einer neuen Zeit (Maria Montessori) - Romy Seidel, Die Tochter meines Vaters (Anna Freud) - Petra Hucke, Die Architektin von New York (Emily Warren Roebling) - Laura Baldini, Ein Traum von Schönheit (Estée Lauder) - Lea Kampe, Der Engel von Warschau (Irena Sendler) - Eva-Maria Bast, Die aufgehende Sonne von Paris (Mata Hari) - Eva-Maria Bast, Die vergessene Prinzessin (Alice von Battenberg) - Yvonne Winkler, Ärztin einer neuen Ära (Hermine Heusler-Edenhuizen) - Agnes Imhof, Die geniale Rebellin (Ada Lovelace) - Lea Kampe, Die Löwin von Kenia (Karen Blixen) - Eva Grübl, Botschafterin des Friedens (Bertha von Suttner) - Laura Baldini, Der strahlendste Stern von Hollywood (Katharine Hepburn) - Eva-Maria Bast, Die Queen (Queen Elizabeth II.) - Agnes Imhof, Die Pionierin im ewigen Eis (Josephine Peary) - Ulrike Fuchs, Reporterin für eine bessere Welt (Nellie Bly) - Anna-Luise Melle, Die Meisterin der Wachsfiguren (Marie Tussaud) - Petra Hucke, Die Entdeckerin des Lebens (Rosalind Franklin) - Jørn Precht, Die Heilerin vom Rhein (Hildegard von Bingen) - Elisa Jakob, Die Mutter der Berggorillas (Dian Fossey) - Eva-Maria Bast, Queen Mum (Elizabeth Bowes-Lyon) - Yvonne Winkler, Kämpferin gegen den Krebs (Mildred Scheel) - Lena Dietrich, Die Malerin der Frauen (Artemisia Gentileschi)
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© Piper Verlag GmbH, München 2024
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Redaktion: René Stein
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Cover & Impressum
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Kapitel 51
Epilog
Danksagung
Spuren der Realität
Literatur und Quellen
Inhaltsübersicht
Cover
Textanfang
Impressum
Literaturverzeichnis
Huch!« Elizabeth stieß einen überraschten Schrei aus, weil die Kufen ihrer Schlittschuhe schneller nach vorne glitten, als sie es erwartet hatte. Albert, ihr Ehemann, den sie und alle, die ihm nahestanden, liebevoll Bertie nannten, hatte das offenbar bereits erwartet und griff rasch nach ihrem Arm. Sie verbrachten ihre Weihnachtsferien in diesem Winter des Jahres 1933 auf Sandringham, dem königlichen Anwesen in Norfolk, und vergnügten sich nun auf dem oberen See, der nahe des Hauses gelegen war.
»Danke.« Elizabeth tätschelte die zupackende Hand ihres Gemahls, ihre strahlend blauen Augen funkelten vor Vergnügen. Die Wangen waren gerötet, zwei dunkle Strähnen hatten sich aus ihrer Hochsteckfrisur gelöst und umrahmten ihr Gesicht, um ihre Lippen lag das für sie so charakteristische warmherzige Lächeln. »Ich hätte selbst darauf kommen können, dass mir die Füße regelrecht davonrutschen, sobald ich das Eis betrete.«
»Bist du ja auch«, sagte Albert, ihr schlanker junger Gatte, der das braune Haar stets mit modischem Seitenscheitel trug. Er war der zweitälteste Sohn von King George V. und Queen Mary – und damit derzeit Zweiter in der Thronfolge Englands. »Du warst ja so vorsichtig, als ob du dich auf rohen Eiern bewegst.«
»Offenbar nicht vorsichtig genug.«
»He!« Von der Mitte des zugefrorenen Sees sauste in halsbrecherischer Geschwindigkeit ein blonder Enddreißiger auf sie zu.
»Er wird uns noch umfahren!« Halb lachend, halb ängstlich klammerte sich Elizabeth an den Arm ihres Mannes. »Dass dein Bruder aber auch immer so wild und stürmisch sein muss.«
»So kennen wir ihn, so lieben wir ihn«, konstatierte Albert, »am Ende holt er sich nie mehr als ein paar Kratzer.«
»Sich vielleicht nicht, aber sein Umfeld kommt nicht immer so glimpflich davon«, murmelte Elizabeth. Doch in diesem Moment war Edward, der Prince of Wales, der von allen bei seinem letzten Vornamen – David – genannt wurde, bereits zum Stehen gekommen, vollführte eine elegante Pirouette, verneigte sich vor Elizabeth und bot ihr die Hand.
»Komm, liebste Schwägerin«, forderte er sie auf, »wag dich mit mir auf das Eis. Es ist ein herrliches Vergnügen.«
»Wenn man so fahren kann wie du, ist es das ohne jede Frage. Aber ich glaube, da bist du hier der Einzige.«
»Mitnichten! Dein Gemahl ist ein exzellenter Eisläufer, das Eislaufen liegt uns sozusagen im Blut. Du wirst schon sehen! Auch Lilibet und Margaret werden eines Tages hervorragende Eisläuferinnen sein.«
»Das stimmt … also, dass es uns im Blut liegt«, gab Albert zurück.
»Womit könntet ihr denn eure Behauptung stützen?« Fragend sah Elizabeth die Brüder an. Sie war jetzt neugierig auf die Geschichte, die ihr aber auch deshalb willkommen war, weil sie so den Moment, in dem sie sich auf Kufen über das Eis bewegen musste, noch etwas hinauszögern konnte.
»Unser Großvater war schon lange, bevor er den Thron übernahm, Schirmherr der National Skating Association und wohnte den Weltmeisterschaften 1898 und 1902 bei«, antwortete Albert.
»Aha«, sagte Elizabeth beinah erleichtert. Sie hätte sich den beleibten Mann nur schwerlich auf dünnem Eis vorstellen können.
»Früher gab es drei wundervolle Eislaufbahnen in London: den National Skating Palace, die Eisbahn in Niagara Hall und den Prince’s Skating Club«, schwärmte David mit leuchtenden Augen, während er vor ihnen auf dem Eis hin und her tänzelte.
»Den National Skating Palace kenne ich sogar«, sagte Elizabeth beflissen. »Ich war einmal dort, allerdings nicht auf dem Eis. Ich war damals noch klein, aber ich erinnere mich daran, wie prachtvoll alles war. Es gab elektrisches Licht, und die Decke war mit einer wundervollen Darstellung der Aurora Borealis geschmückt. Die habe ich mir immerzu angesehen.«
»Wenn du nicht Eislaufen warst, was hast du denn dort gemacht, außer die Aurora Borealis zu bewundern?«, wollte Albert wissen.
»Ich war mit Mama in der Teestube und habe natürlich auch den Eisläufern zugesehen.«
»Vielleicht ist dann ja auch Lady Jennie Spencer-Churchill an dir vorbeigesaust«, versetzte David und vollführte erneut eine Pirouette.
»Die Mutter des ehemaligen Schatzkanzlers Winston Churchill?«, vergewisserte sich Elizabeth erstaunt.
»Ebenjene!«, bestätigte David, »sie hat die Kunst des Schlittschuhlaufens in Kanada erlernt.«
»Dann ist es ja noch bedauerlicher, dass es die Eislaufbahn nicht mehr gibt«, überlegte Elizabeth.
»Immerhin ist es jetzt ein wundervolles Theater«, sagte David.
»Ich glaube, du musst dich nun deiner Liebsten widmen, sonst bekommen wir ein Theater der ganz anderen Art«, versetzte Albert und deutete auf die Mitte des Sees, wo eine mondäne Endzwanzigerin mit dunklem Haar hektisch winkte.
»Thelma kann offenbar ebenso wenig Schlittschuhlaufen wie ich«, stellte Elizabeth fest, »was mich ungemein erleichtert.«
Thelma Furness war nun schon lange Davids Geliebte. Dass sie zum zweiten Mal verheiratet war, schien weder sie noch ihn zu stören. Elizabeth wusste, dass auch Albert, bevor sie seinen dritten Heiratsantrag endlich angenommen hatte, mit einer verheirateten Frau liiert gewesen war.
Elizabeth verstand sich gut mit Thelma – sie mochte auch David von Herzen gern und war sehr froh, dass es ihn gab. Nicht nur wegen seiner lebensfrohen, unkonventionellen Art, sondern auch weil seine Existenz bedeutete, dass ihr Bertie nicht König werden musste und sie ihr herrliches, wunderbares und liebevolles Familienleben mit ihren beiden Töchtern weiterführen konnten.
Allerdings fragte sie sich immer wieder, was denn werden würde, wenn David eines Tages den Thron besteigen würde, schließlich bräuchte er dann irgendwann eine Königin – und einen Thronfolger.
»Kommst du, Darling, oder willst du hier festfrieren?«, zog Albert sie liebevoll auf.
Elizabeth schreckte aus ihren Gedanken auf. »Diese Gefahr besteht tatsächlich, wenn ich mich nicht schleunigst bewege.« Sie merkte erst jetzt, dass sie trotz ihres Winterhuts und des Mantels mit Fellbesatz fröstelte.
»Nun komm«, sagte Albert und zog ihren Arm, der noch immer in seinem hing, fester an sich, »dann mal los. Was Thelma schafft, schaffst du auch.«
Tatsächlich aber fühlte sich Elizabeth sehr wackelig auf ihren schmalen Kufen und hatte zittrige Knie, als sie in der Mitte des Sees ankam. An Thelmas Blick erkannte sie, dass es dieser ebenso zu ergehen schien.
»Es tut mir leid, dass wir uns so ungeschickt anstellen«, wandte sich Elizabeth an die Männer, »wir verderben euch ja den ganzen Spaß, wenn ihr immerzu nur neben uns stehen und uns festhalten müsst.«
»Ich habe eine Idee!«, rief David, pflückte Thelma von seinem Arm und legte deren Hand auf Alberts freien Arm. »Hältst du mal kurz, Bruderherz?« Schon sauste er über die Eisfläche davon.
»Was hat er denn jetzt wieder für einen Einfall?«, fragte Thelma kopfschüttelnd, doch ihr Blick war voller Zärtlichkeit, als sie ihm hinterherschaute.
Am Rand des Sees sahen sie David mit einem Diener diskutieren, der dort für den Fall bereitstand, dass die königlichen Hoheiten noch etwas benötigten. Nickend verschwand der Diener. Im nächsten Moment näherte sich dem See ein Wagen, dem gleich darauf ein elegant gekleidetes Paar entstieg. Sie gingen auf David zu, der noch immer am Rand des Sees stand; die Frau, eine dunkelhaarige, schlanke Gestalt, soweit Elizabeth es aus der Ferne erkennen konnte, küsste den Thronfolger auf die Wangen, während der Mann ihm die Hand schüttelte.
»Wer ist denn das?«, fragte Albert mit leisem Unwillen. »Ich wusste gar nicht, dass wir noch jemanden erwarten.«
Unauffällig drückte Elizabeth seine Hand. Ihr Gemahl war ein ausgesprochen schüchterner Mensch, der sehr unter der strengen und autoritären Erziehung seines Vaters gelitten hatte. Albert hasste es, fremden Menschen zu begegnen, weil er dann häufig von derartiger Unsicherheit befallen wurde, dass er stottern musste. Auch wenn der Sprachfehler sich schon sehr gebessert hatte, seit Elizabeth ihn vor nunmehr sieben Jahren mit dem australischen Sprachtherapeuten Lionel Logue bekannt gemacht hatte, litt er noch immer sehr darunter. Und das Stottern ging bei dem sonst so liebevollen und schüchternen Albert auch gerne mit Wutausbrüchen einher: Elizabeth hatte schon lange erkannt, dass seine Wut aus seinen Selbstzweifeln rührte. Daraus, das Gefühl zu haben, ein Versager zu sein. Einer, der es nie recht und richtig machen konnte. Der Zweitgeborene, der immer hinter seinem großen Bruder zurückstand – zumal der der Thronfolger und obendrein eine ausgesprochen schillernde Figur war. Andererseits, dachte Elizabeth, war Bertie sicherlich auch ganz froh darüber, »nur« der Zweitgeborene und damit der Strenge und den Erwartungen seines gefürchteten Vaters George V. nicht ganz so direkt ausgeliefert zu sein. Was er dennoch abbekam, war immer noch genug.
»Ach, das sind die Simpsons«, sagte Thelma da an Alberts anderer Seite.
»Die Simpsons?«, erkundigte sich Elizabeth, einerseits neugierig, andererseits ebenfalls etwas verärgert, dass ihr Schwager offenbar Gäste eingeladen, jedoch keine Anstalten gemacht hatte, sie darüber zu informieren. »Wer ist denn das?«
Thelma zuckte die Achseln. »Ein amerikanisches Ehepaar, sie sind ganz nett.«
Elizabeth beobachtete, wie sich die Simpsons offenbar ebenfalls Schlittschuhe anzogen. Unterdessen kam auch der Diener zurück, in jeder Hand hielt er einen Stuhl.
»Warum hat David Stühle bringen lassen?«, wunderte sich Thelma. »Sollen wir uns etwa mitten auf dem Eis hinsetzen und euch beim Schlittschuhlaufen zusehen?«
»Ihr könntet uns auch schieben.« Lächelnd sah Elizabeth ihren Mann an.
Im nächsten Moment kamen David, die Simpsons und die beiden Stühle – jeder der Herren schob einen vor sich her – auf sie zu. Mrs Simpson tänzelte um sie herum.
»Na, Schlittschuhlaufen kann Mrs Simpson ganz offensichtlich«, konstatierte Thelma.
Elizabeth meinte, in ihrer Stimme einen spitzen Unterton zu hören. War Thelma etwa eifersüchtig? Inzwischen war die Gruppe bei ihnen angekommen. Wie es seiner Art entsprach, übernahm David, lässig und zugleich etwas großspurig, die Vorstellung. Jetzt, aus der Nähe, sah Elizabeth, dass Mrs Simpson nicht mehr ganz so jung war, wie sie aufgrund ihrer mädchenhaften Gestalt auf den ersten Blick wirkte. Sie war sicherlich bereits Ende dreißig, dachte Elizabeth, hatte dunkles, streng nach hinten gekämmtes Haar, dunkle Augen, prägnante Augenbrauen und ein kantiges Gesicht. Schön war diese Frau wahrlich nicht zu nennen, vor allem nicht im Vergleich zu Thelma. Dennoch hatte sie etwas Fesselndes, etwas, das Elizabeth dazu brachte, sie ständig anzusehen. Das ging, wie sie feststellte, auch David so. Eine eigenartige Spannung lag plötzlich in der Luft, die auch Thelma nicht verborgen blieb. Ob Mr Simpson, ein dunkelhaariger Mann mit Schnauzer, davon Kenntnis nahm, war schwer festzustellen.
»Was ist denn nun mit den Stühlen?«, fragte Thelma mit unnatürlich lauter Stimme – vermutlich, um einen erneuten Blickwechsel zwischen Wallis Simpson und David zu unterbrechen. »Sollen wir uns daraufsetzen?«
David lachte und schenkte ihr nun wieder seine ungeteilte Aufmerksamkeit. »Aber nein, Darling, du und Elizabeth, ihr könnt sie über das Eis schieben und euch daran festhalten. So, wie Mr Simpson und ich das vorhin getan haben.«
Elizabeth musterte Davids Geliebte aus den Augenwinkeln. Sie bemerkte, dass diese offenbar brüsk ablehnen wollte. Vermutlich vor allem deshalb, weil Wallis inzwischen wieder elegante Pirouetten drehte und Thelma sich furchtbar dumm und ungelenk vorgekommen wäre, wenn sie nun ihren Stuhl über das Eis schöbe. Elizabeth wollte jedoch unbedingt einen Eklat verhindern.
Also griff sie beherzt nach ihrer Stuhllehne und rief: »Was für eine hervorragende Idee! Komm, Thelma, das wird ein Vergnügen!«
Nach kurzem Zögern setzte sich die andere in Bewegung. Der Stuhl gab ihr Halt und Stabilität, nahm ihr die Angst. Als sie eine Weile über das Eis geglitten waren, wurde Elizabeth immer sicherer. Sie ließ sogar die Stuhllehne los und wagte einige tänzelnde Schritte.
»Bravo!«, rief da eine helle Stimme hinter ihr.
Elizabeth wagte nicht, sich umzudrehen, wusste aber, dass die Stimme Mrs Simpson gehörte. Und in der Tat fuhr die Amerikanerin da auch schon an ihr vorbei, drehte eine elegante Kurve und kam dann auf ihrer anderen Seite zum Stehen. »Sie haben Talent.«
»Ach«, winkte Elizabeth ab, »nicht halb so viel wie Sie.«
»Ich habe einfach nur Übung«, antwortete Wallis und deutete dann zum Ufer, wo die Diener mitten im Schnee ein Picknick zubereitet hatten. »David sagte, es gebe heißen Tee und heiße Suppe. Das ist jetzt genau das Richtige.«
»Stimmt«, Elizabeth lächelte, »ich merke auch jetzt erst, was für einen Hunger ich bekommen habe, bei all der Bewegung an der frischen Luft.«
Als sie wenig später bei Tee, Wein und heißer Suppe beisammensaßen – die Diener servierten auf der Hohen Terrasse –, griff David die Geschichte seines und Alberts Großvaters wieder auf. »Er war vom Schlittschuhlaufen wirklich begeistert«, erklärte er den Simpsons. »Er soll einer der Ersten gewesen sein, die auf Kufen über diesen See glitten.«
»Also doch!«, entfuhr es Elizabeth.
Fragend sahen alle sie an. »Also doch?«, hakte David nach.
»Ach«, setzte sie zu einer Erklärung an, »als ihr mir vorhin erzähltet, euer Großvater sei ein großer Liebhaber des Schlittschuhlaufens gewesen, konnte ich mir das nicht so ganz vorstellen. Schließlich war er recht … beleibt. Und dann dachte ich, dass er wohl nicht selbst gelaufen ist, sondern nur zugeschaut hat.«
»O nein, er ist auch gelaufen«, lachte David, »sogar leidenschaftlich gern. Allerdings nur in jungen Jahren, damals war er noch rank und schlank. Aber zugesehen hat er schon auch gern: Während des Großen Frosts im Jahr 1895 lud er ein Team von Eishockeyspielern hier aus Sandringham nach London ein, damit sie auf dem See am Buckingham Palace gegen ein Team aus dem Unterhaus antreten.«
Mrs Simpson ließ ein glockenhelles Lachen ertönen: »Er verstand sich offenbar ebenso gut darauf, gesellschaftliche Vergnügungen auszurichten, wie sein Enkel.«
Dabei sah sie dem Thronfolger so tief in die Augen, dass Thelma empört nach Luft schnappte. Wobei Davids Verhalten eigentlich nichts Ungewöhnliches war: Er flirtete gern und viel. Mr Simpson hingegen tat abermals so, als bemerke er nichts.
»Auch Bertie und ich haben auf diesem See Schlittschuhlaufen gelernt.« David sah nun seinen Bruder an.
»Das stimmt«, bestätigte der und wandte sich dann an seine Frau: »Was würdest du davon halten, wenn die Mädchen es jetzt schon lernen?«
Sie lächelte. »Da du ja davon überzeugt bist, dass sie das Eislauftalent ohnehin im Blut haben, wäre das sicherlich eine gute Idee. Margaret ist vielleicht noch zu jung, aber Lilibet hätte bestimmt Freude daran.«
David, der seinen Nichten sehr zugetan war, lachte. »Margaret wird toben«, prophezeite er, »immer darf Lilibet alles – und sie nicht.«
»Irgendwoher kenne ich das«, zog Albert seinen älteren Bruder auf.
»Hast du so sehr darunter gelitten?«
Albert sah ihn nachdenklich an. »Weißt du, wenn ich darunter gelitten habe, dass du mehr darfst als ich, dann habe ich mich gleich wieder getröstet: Schließlich musst du eines Tages König werden – und ich nicht.«
»In der Tat eine große Bürde«, erwiderte David und hob sein Glas.
»O ja«, sagte Albert so leise, dass nur seine Frau ihn hören konnte, »eine riesige Bürde. Ich bin so froh, dass ich sie nicht tragen muss – und unsere Töchter auch nicht.«
King George V. stieß ein Wiehern aus und tappte auf allen vieren über den prachtvollen Perserteppich, der in seinem privaten Salon im Buckingham Palace den Boden schmückte. Queen Mary sah ihrem Mann lächelnd dabei zu, während Prinzessin Elizabeth ihrem Großvater kurzerhand ihren Seidenschal umwarf und rief: »Schneller, Grandpa England, schneller.«
Elizabeth lachte. Es war immer ein Vergnügen, dem König und seiner Enkelin beim Spielen zuzusehen. Seit sie sprechen konnte, nannte die kleine Prinzessin ihren königlichen Großvater »Grandpa England« und er sie »Lilibet«.
»Ich kann es immer noch nicht glauben, wie Vater sich verändert hat, seit er Großvater geworden ist.« Prinzessin Mary saß mit ihren Brüdern David und Albert sowie ihrer Schwägerin Elizabeth am anderen Ende des weitläufigen Raumes bei Tee und Gebäck am Tisch. »Zu uns war er immer so streng.« Sie sandte David, dem sie besonders nahestand, einen betrübten Blick.
»Seine Enkelinnen haben ihn verändert«, bestätigte David und biss in einen Keks.
Elizabeth beobachtete ihn lächelnd. Obwohl er der Älteste war, wirkte David mit seinem semmelblonden Haar auf sie stets eher wie ein Schuljunge. Sie wusste, dass auch er – trotz seines exzessiven Lebensstils – voller Hemmungen war und sich als Kind lange Zeit vor dem Einschlafen gefürchtet hatte. Aus vielem, was David ihr gesagt hatte, war ihr klar, dass er ein zutiefst verunsicherter junger Mann voller Selbstverachtung war, der große Furcht davor empfand, eines Tages Englands Krone übernehmen zu müssen. Dabei wurde er nicht zuletzt aufgrund seiner charismatischen Art umschwärmt und vielfach sogar bewundert.
»Das auch«, bestätigte Albert nun die Worte seines Bruders, »aber eigentlich setzte die Veränderung schon früher ein«, er warf seiner Frau einen liebevollen Blick zu, »als du in unser Leben tratest. Du hattest mit deiner herzensguten, unbefangenen und fröhlichen Art von Anfang an einen wunderbaren Zugang zu Vater. Und auch zu Mutter. Er verzeiht dir sogar, wenn du unpünktlich bist. Und dabei hasst er Unpünktlichkeit.«
»Na hör mal!«, gab sich Elizabeth empört und stemmte die Hände in die Hüften. »Ich bin immer pünktlich.« Ihre Augen blitzten.
»Bist du nicht«, widersprach David grinsend, »und das Unglaubliche ist, Vater findet das sogar charmant. Er hat doch tatsächlich gesagt: ›Käme sie pünktlich, wäre sie perfekt. Aber wäre das nicht schrecklich?‹«
Elizabeth hatte zu ihren Schwiegereltern wirklich ein ausgesprochen herzliches Verhältnis. Sie konnte sich gar nicht vorstellen, dass sie als Eltern so streng und kaltherzig gewesen waren, wie ihr Ehemann und seine Geschwister es schilderten. Dennoch war ihr klar, dass diese nicht übertrieben. Was schon allein daran deutlich wurde, dass der Sprachfehler ihres Ehemannes im Gespräch mit ihr kaum eine Rolle spielte. Wenn er mit ihr redete, artikulierte Bertie weitgehend flüssig. War jedoch King George V. im Raum, verfiel er jedes Mal in schweres Stottern. Der König reagierte auf diese seiner Meinung nach zur Schau getragene Unsicherheit seines Sohnes in der Tat sehr ungeduldig. »Spuck’s aus! Los, raus damit!«, hatte er Bertie einmal angefahren – mit dem Ergebnis, dass dieser noch verunsicherter war.
»Das hat er als Kind auch schon immer zu ihm gesagt«, hatte Alberts Schwester Prinzessin Mary der betroffenen Elizabeth zugeflüstert. Aus langen Gesprächen mit ihrem Mann wusste Elizabeth, dass Bertie sich bei seinen Eltern nie wohl und von ihnen nie angenommen gefühlt hatte – weder von seinem Vater noch von seiner Mutter. Die gemeinsamen Familienmahlzeiten mit Queen Mary und King George seien immer furchtbar steif gewesen, Schwächen – wie etwa sein Stottern – hätten weder seine Mutter noch sein Vater gut ertragen können. Einmal, ein einziges Mal, hatte Albert Elizabeth gegenüber auch von seinem Bruder John gesprochen, der unter Epilepsie gelitten hatte, auf Sandringham ein abgeschiedenes Leben führte und im Alter von vierzehn Jahren gestorben war.
Als Prinzessin Lilibet auf die Welt gekommen war, war Albert furchtbar nervös gewesen, vor allem wegen seiner Eltern. Seine Mutter möge keine Säuglinge, hatte er Elizabeth erklärt, ihn plage die Befürchtung, dass die Großeltern die Kleine nicht beachten würden.
Das Gegenteil war jedoch der Fall gewesen: King George V. und Queen Mary vergötterten die kleine Elizabeth und später die kleine Margaret und konnten gar nicht genug von ihnen bekommen, wie sich auch jetzt wieder zeigte: Prinzessin Elizabeth setzte ihren Großvater als Pferd ein, und Mary thronte strahlend mit Margaret auf dem Sofa und sah ihnen dabei zu.
Auch als sie die Kindermädchen für die Prinzessinnen einstellten, war Albert sehr angespannt gewesen. Clara Knight, von allen liebevoll Alah genannt, war schon ihr eigenes Kindermädchen gewesen und genoss daher Elizabeths vollstes Vertrauen. Bis aber Albert sich dazu durchringen konnte, der Neuen, Marion Crawford, wirklich zu vertrauen, sollte noch viel Zeit vergehen, denn sein Bruder David war von seinem Kindermädchen gequält und misshandelt worden, und es hatte lange gedauert, bis das ans Licht kam und sie deshalb entlassen wurde.
Elizabeth war auch bekannt, dass man ihren Mann seine ganze Kindheit über wegen seiner schlechten Handschrift gescholten hatte. Dabei war er nun mal Linkshänder und konnte mit der rechten Hand einfach nicht so gut schreiben, wie man das von ihm erwartete. Und sie wusste, dass Albert seine ganze Kindheit hindurch nachts schmerzhafte Beinschienen hatte tragen müssen, weil man der Ansicht war, dass er sonst O-Beine bekäme.
Im Laufe ihrer Ehe hatte sich der unsichere, traurige Königssohn in einen aufmerksamen und sensiblen Gatten und, als die Mädchen zur Welt kamen, in einen fürsorglichen Familienvater verwandelt. »Us four«, wir Vier, war der Name, den er der kleinen Familie gegeben hatte, die ihm, so dachte sie manchmal, regelrecht heilig zu sein schien. »In dieser kleinen Familie ist so viel Liebe«, sagte er wieder und wieder zu ihr, »ganz anders als in meiner Kindheit.«
Anfangs hatte Albert versucht, seine Frau – und dann seine Kinder – von seinen Eltern fernzuhalten, soweit das eben möglich war. Doch schnell hatte er erkannt, dass beide zunächst seiner Frau und dann auch seinen Töchtern regelrecht verfallen waren und sich ihnen gegenüber vollkommen anders verhielten als einst ihm und seinen Geschwistern gegenüber.
»Ich sehe schon, mein Kind«, sagte der König in diesem Moment und kam ächzend wieder auf die Beine, »es wird Zeit für ein eigenes Pferd. Dein Großvater England ist zu alt, um auf allen vieren durch den Palast zu traben.«
»Wenn du mir ein eigenes Pferd kaufst, darf ich dann auf ihm durch den Palast reiten?«, fragte Lilibet arglos.
»Aber sicher doch«, lachte ihr Großvater, »wer, wenn nicht du! Im Thronsaal ist genug Platz, will ich meinen!«
In diesem Moment klopfte es an der Tür, und Alberts zweitjüngster Bruder Henry, der Duke of Gloucester, kam herein.
»Entschuldigt bitte die Verspätung, ich wollte ja eigentlich zum Tee kommen und die Zeit mit meinen Lieblingscousinen genießen.«
Doch weder Lilibet noch Margaret schenkten ihrem Onkel einen Blick, und auch die anderen beachteten den jungen Herzog kaum: Albert und seine Schwester Mary waren in ein Gespräch vertieft, König und Königin vollauf mit ihren Enkelinnen beschäftigt.
»Komm, setz dich zu mir«, begrüßte Elizabeth ihn und klopfte einladend neben sich auf das Sofa. »Uns beiden Übriggebliebenen wird doch etwas einfallen, worüber wir uns austauschen können.«
»Da fällt mir in der Tat etwas ein – und ich bin sogar recht dankbar, wenn wir ungestört reden können«, sagte Henry leise.
Forschend sah Elizabeth ihren Schwager an. »Liegt dir etwas auf dem Herzen?«
»Allerdings! Besser gesagt: Der König und die Königin liegen mir in den Ohren. Sie wollen, dass ich endlich heirate.«
»Ich weiß«, erwiderte Elizabeth, »wenn sie schon David nicht beeinflussen können, dann wollen sie wenigstens dich unter die Haube bringen. Gibt es denn niemanden in deinem Leben?«
»Doch, es gibt jemanden. Beryl Markham.«
Elizabeth runzelte die Stirn. »Kenne ich sie?«
»Nein. Und es würde dir auch nicht gefallen. Wie Mrs Simpson ist sie verheiratet.«
»Oh, was ihr Brüder nur immer mit verheirateten Frauen habt! Selbst mein lieber Bertie war davor nicht gefeit.«
»Ich weiß, dass es schwierig wird. Allerdings bin ich nicht der Thronfolger. Und manchmal muss man eben um die Liebe kämpfen. So wie Bertie. Du hast doch auch erst nach seinem dritten Antrag Ja gesagt.«
»Aber im Gegensatz zu deiner Liebsten war ich nicht verheiratet. Im Gegenteil, ich war einfach noch nicht bereit für die Ehe.«
»Du glaubst also nicht, dass es sich immer lohnt, auf die Liebe zu warten und um sie zu kämpfen?«, fragte er traurig.
»Ich glaube«, erwiderte Elizabeth nachdenklich, »dass wir manchmal gar nicht wissen, was Liebe ist. Dass der Hang zu verheirateten Frauen auch der Reiz des Verbotenen sein könnte. Und ihr tragt die große Bürde der Krone – die jeder teilen muss, der in diese Familie einheiratet.«
»War das mit ein Grund für dein Zögern?«
»Auch«, gab sie zu, »ich hatte Angst vor all der Etikette, die das mit sich bringt. In Glamis bin ich doch weitgehend frei und unbeschwert aufgewachsen.«
»Dennoch hast du dich für Bertie entschieden. Aus Liebe«, beharrte Henry traurig, »ich fürchte, dieses Glück wird mir verwehrt bleiben.«
Erstaunt sah ihn Elizabeth an. »Du hast schon aufgegeben?«
Resigniert zuckte er die Achseln. »Sie wird sich wohl nie für mich scheiden lassen. Der Druck, den Vater auf mich ausübt, wird immer größer. Ich fürchte, ich muss mich nach einer geeigneten Partie umsehen. Oder besser: mich bereit erklären, mir einige von Mutters zahlreichen Vorschlägen einmal genauer anzusehen.«
***
Elizabeth hatte den Aufenthalt bei der Familie ihres Mannes durchaus genossen, wie sie das immer tat. Doch wie stets war sie auch dieses Mal wieder froh, als der Besuch zu Ende war und sie der kalten Staubigkeit des Buckingham Palace entfliehen und in ihr eigenes Zuhause in 145 Piccadilly zurückkehren konnten. Das riesige Stadthaus war mit seinen fünfundzwanzig Schlafzimmern mehr als groß genug für ihre Familie und die rund zwanzig Angestellten, die sich Tag für Tag um ihr Wohlergehen kümmerten. Mit Vorliebe hielt sich Elizabeth in der gigantischen Bibliothek auf, denn sie las leidenschaftlich gern. Man sagte ihr nach, leichte Literatur zu bevorzugen, wie zum Beispiel die Romane von P. G. Wodehouse – was ganz und gar nicht stimmte: Wenn ihre zahlreichen gesellschaftlichen Verpflichtungen es zuließen, zog sie sich stundenlang in ihre Bibliothek zurück und las Graham Greene, Aldous Huxley und Radclyffe Hall, um anschließend mit ihren alten Freunden D’Arcy Osborne, Duff Cooper – Ehemann ihrer Freundin Diana – und Osbert Sitwell darüber zu sprechen. Schon als sie und Albert noch nicht verheiratet gewesen waren, hatte sie mit ihnen leidenschaftlich über Literatur, Bildung und Kunst diskutiert. Sie waren ihr wichtige Ratgeber, was sie sagten, hatte bei Elizabeth großes Gewicht. Vor allem diskutierte sie natürlich mit Duff Cooper über dessen Biografien über Talleyrand und Earl Haig. Ihr Freund Cooper war aber nicht der einzige Schriftsteller, der sie mit seinen Werken versorgte: So hatte ihr zum Beispiel Thornton Wilder seinen Roman Die Frau aus Andros zukommen lassen.
Ein wenig sehnte sich Elizabeth danach, noch in die Bibliothek zu gehen und etwas zu lesen, aber es war spät geworden – die Mädchen würden natürlich von Crawfie, Alah und Bobo versorgt werden, aber später würde sie ihnen, wie jeden Abend, noch eine Gutenachtgeschichte vorlesen – darauf legten sie alle miteinander Wert. Und dann wollte sie natürlich auch noch das Zusammensein mit ihrem Mann genießen. Vielleicht würden sie sich, wie so oft, gemeinsam vors Feuer setzen und ein Glas Wein zusammen trinken. Manchmal widmete sich Albert dann ebenfalls der Lektüre, dann könnte auch sie noch etwas lesen.
Sie kleidete sich mithilfe ihrer Kammerzofe um und sah dann noch einmal nach ihren Töchtern, die sie, wie erwartet, mit Crawfie, die sich gemeinsam mit Alah um die Mädchen kümmerte, im Kinderzimmer vorfand, wo Lilibet mit ernster Miene ihre Spielzeugpferde für die Nacht zurechtmachte. Elizabeth musste über das Pflichtbewusstsein ihrer Ältesten unversehens lachen, wenn es ihr auch dann und wann durchaus etwas Sorge bereitete: Manchmal kam ihre Tochter ihr vor wie eine kleine Erwachsene. Und nicht selten hätte Elizabeth sich gewünscht, dass sie etwas unbeschwerter wäre, etwas mehr wie Margaret. Sie wusste, dass auch Marion Crawford sich Gedanken um die Pflichtbesessenheit ihres Zöglings machte. »Sie steht manchmal nachts auf, nur, um sich zu vergewissern, dass sie ihre Schuhe auch wirklich ordentlich nebeneinandergestellt hat«, berichtete die Gouvernante ihr besorgt. Und noch etwas erfüllte Mutter und Erzieherin mit Sorge: Wenn Freundinnen kamen – und beide legten Wert darauf, dass die Mädchen trotz ihrer königlichen Herkunft häufig Kontakt mit anderen Kindern hatten –, war Lilibet manchmal ganz verloren, weil die kleine Margaret alle Aufmerksamkeit auf sich zog.
Jetzt ging Elizabeth neben ihrer pflichtbewussten und schüchternen Tochter in die Hocke.
»Na, mein Schatz? Sind die Pferde alle für die Nacht bereit?«
Lilibet schüttelte den Kopf. »Noch nicht, Mummie, sie haben noch nicht zu Abend gegessen.«
»Haben sie denn großen Hunger?«
»O ja, sehr.«
Die kleine Prinzessin fütterte ihre Pferde mit trockenem Gras, dann wandte sie den Kopf ihrer Mutter zu und sah sie fragend an: »Denkst du, Großvater England schenkt mir wirklich ein eigenes Pferd?«
Elizabeth strich ihr übers Haar. Sie legte großen Wert darauf, ihre Töchter, obgleich oder gerade weil sie Prinzessinnen waren, zu Bescheidenheit zu erziehen. Die Mädchen trugen einfache Kleider, wurden dazu angehalten, Dinge wiederzuverwenden und niemals verschwenderisch zu sein. Auch auf allzu große Geschenke pflegte die Familie York zu verzichten.
»Wir werden sehen«, sagte sie nur.
Deine Eltern haben gestern so wunderbar gelöst gewirkt«, sagte Elizabeth, als sie ihren Ehemann am nächsten Mittag in den Palast begleitete, wo sie mit dem König und der Königin zum Lunch verabredet waren. »Den ganzen Abend kein Wort über Wallis Simpson. Weder von ihnen noch von David.«
Schon kurz nachdem Elizabeth und Albert Wallis Simpson auf dem Eis kennengelernt hatten, hatte David sich auf eine Affäre mit der verheirateten Amerikanerin eingelassen und sich von Thelma getrennt. Obwohl auch Thelma verheiratet gewesen war, als David sie kennenlernte, und obwohl man seine Eskapaden gewohnt war, hatte sein Umfeld auf Wallis Simpson besonders unwirsch reagiert und die Beziehung scharf verurteilt. Vor allem der König und die Königin duldeten die Liaison ganz und gar nicht und wurden nicht müde zu betonen, es sei an der Zeit, sich nach etwas Ernsthaftem umzusehen. Woraufhin David zu ihrer aller Entsetzen stets antwortete, seine Liebe zu Wallis sei ernst. Sehr ernst.
»Ich glaube, er war sehr froh, dass es gestern ihretwegen nicht zu Diskussionen kam«, sagte Albert, der neben Elizabeth in der Kutsche Platz genommen hatte und beiläufig den Menschentrauben zuwinkte, die stets die Straße säumten, wenn sie eine Kutsche der königlichen Familie vorbeifahren sahen. Auch Elizabeth hob die Hand, winkte und lächelte.
»Und außerdem«, ergänzte er, »sind meine Eltern immer gut gelaunt, wenn sie ihre Enkelinnen um sich haben.«
»In der Tat, sie sind wirklich wundervolle Großeltern.«
»Was mich nach wie vor überrascht.«
Sie nickte ihm zu. Darüber hatten sie sich schon häufig ausgetauscht.
»Aber du denkst nicht, dass das Schweigen über Wallis Simpson bedeutet, dass David sie aufgegeben hätte?«
»David Wallis aufgegeben?«, schnaubte Albert, »das glaubst du doch selbst nicht.«
Elizabeth seufzte. »Irgendwie war gleich bei unserer ersten Begegnung mit Miss Simpson klar: Zwischen den beiden scheint sich etwas zu entwickeln.«
»Ich bin nur froh, dass die britische Presse sich mit Berichten über diese Person zurückhält, wohl aus Respekt gegenüber dem Palast.«
»Ja«, bestätigte Elizabeth, »allerdings ist es im Ausland anders.« Vom amerikanischen Botschafter wusste sie, dass die amerikanische Presse sich regelrecht auf diese Geschichte stürzte und diese Nachrichten immer eindringlicher über den Atlantik hinüberschwappten.
»Am Hof – ach was, in ganz London – wird viel getuschelt.«
»Ich weiß«, murmelte sie. »Man sagt Mrs Simpson vollkommene Kontrolle über David nach – und leider muss ich sagen: Ich teile diese Ansicht.«
»Wie auch meine Eltern.«
Inzwischen hatten sie das Tor zum Buckingham Palace passiert und waren in der privaten Wohnung des Königspaars angelangt. Elizabeth knickste vor ihren Schwiegereltern und küsste dann beide auf die Wange. Der König setzte sich, dann nahmen die anderen Platz.
Nachdem die Diener den ersten Gang aufgetragen hatten, kam George V. gleich zur Sache: »Ich bin bestürzt darüber, wie David sich verhält. Er hat keinen einzigen Freund, der ein Gentleman ist. Er hat keine anständige Gesellschaft. Und er ist 41 Jahre alt.«
Dann wandte er sich an seinen neben ihm sitzenden zweitältesten Sohn, legte seine Hand auf dessen Rechte und sagte eindringlich: »Du weißt, ich wollte immer, dass David heiratet und ein anständiges Leben führt. Aber jetzt, jetzt bete ich zu Gott, dass mein ältester Sohn niemals heiraten und Kinder bekommen wird und dass nichts zwischen dich und Lilibet und den Thron kommt.«
»Vater!«, rief Albert erschrocken, während Elizabeth und die Königin betroffene Blicke wechselten.
Doch George V. schüttelte nur den Kopf. Er wirkte unendlich müde, als er sagte: »Wir müssen aufhören, so zu tun, als würde alles irgendwann gut, als würde sich David jemals wieder fangen. Ich hegte diese Hoffnung lange, ich war sogar sicher, dass er es tun würde, schließlich ist er der Thronfolger. Aber mittlerweile … offen gestanden, ich kann inzwischen nicht mehr daran glauben.«
Keiner wusste etwas auf diese Worte zu erwidern, und so löffelten sie in bedrücktem Schweigen ihre Suppe. Elizabeth, die in einem lebendigen und liebevollen Haushalt aufgewachsen war, hasste Mahlzeiten, die in Grabesstille eingenommen wurden. Von Albert wusste sie jedoch, dass solche schweigenden Essen im Palast an der Tagesordnung gewesen waren. Niemand hatte etwas sagen dürfen! Aus Erfahrung wusste Elizabeth, dass es keinen Sinn hatte, Konversation anzustoßen, wenn der König einmal beschlossen hatte zu schweigen.
Zum Glück schien George V. heute wenig Appetit zu haben. Er legte nach jedem Gang schon frühzeitig den Löffel nieder – was bedeutete, dass auch alle anderen aufhören mussten zu essen. Deshalb war das Mahl viel schneller beendet als gedacht, und King George erhob sich, um seinen Amtsgeschäften nachzugehen. Auch die Königin entschuldigte sich.
So machten sich Elizabeth und Albert bereits eine Stunde später wieder auf den Weg zur Kutsche, die sie nach Hause zurückbringen sollte. Nachdenklich schritt sie neben ihrem Mann die langen Gänge entlang. Immer wieder war ihr in letzter Zeit aufgefallen, dass ihr Schwiegervater sich verändert hatte. Seine polternde Stimme war leiser geworden, er wirkte fahriger und unbestimmter. Auch wenn sie erleichtert war, dass sich die Mahlzeit wegen mangelnden Appetits des Königs nicht endlos in die Länge gezogen hatte, so war sie auf der anderen Seite genau deswegen besorgt. Und dann noch seine merkwürdigen Worte … sie hatten so nach Abschied geklungen!
Entschlossen schüttelte sie die quälenden Gedanken ab.
»Ich konnte es kaum glauben, als Vater das gesagt hat«, bekannte Albert wenig später immer noch wie benommen, als sie nebeneinander in ihrer Kutsche saßen.
»Ich auch nicht, andererseits ist es aber auch nur folgerichtig. Wir beide wissen, wie deine Eltern – wie wir alle – unter Davids Sorglosigkeit leiden. Sie mag zeitweise erfrischend gewesen sein, aber seit Wallis ins Spiel kam …«
»Zu einem König passt dieses Verhalten ganz und gar nicht. Vaters Worte haben mich aber noch aus einem anderen Grund tief berührt.«
»Weil er dir klargemacht hat, dass er sich wünscht, dass du König wirst?«
»Ob er das wirklich so gemeint hat?«, setzte Albert an. »Wenn David nicht heiratet, bedeutet das ja nicht, dass ich König werde. Es geht ihm um legitime Nachfahren und damit um Lilibet. Sein Wille ist, dass sie einmal Königin wird.«
Elizabeth begriff, was in ihrem Mann vorging. Wie oft hatte er unter dem angespannten Verhältnis zwischen ihm und seinem Vater gelitten, umso mehr stärkte es ihn, dass George V. ihm mit zunehmender Wertschätzung begegnete, weil er sein Stottern immer besser im Griff hatte. Natürlich fragte er sich da auch, ob George’s Aussage sich nicht nur auf Lilibet bezog, sondern auch bedeutete, dass er ihn, Albert, für den besseren König hielt.
»Ich glaube – nein, ich bin mir sicher –, dein Vater hat es genau so gemeint, Bertie«, sagte sie liebevoll. »Wenn er darüber entscheiden könnte, dann würde er dich zum König machen.«
»Das bedeutet mir viel«, antwortete Albert leise. »Nicht, dass ich König werden wollte, um Himmels willen, das ist eine ganz und gar grauenhafte Vorstellung. Aber dass Vater so viel von mir hält, dass er mir so sehr … vertraut. Das stärkt mich ungemein.«
Elizabeth dachte, es sei angesichts von Davids Eskapaden nicht schwer, dass der König Albert mehr vertraute, aber sie sprach es natürlich nicht aus. Diese Anerkennung war für ihren Bertie so ungemein wichtig. Und in der Tat graute ihr davor, was aus dem Land in diesen unruhigen Zeiten werden würde, wenn David eines Tages tatsächlich auf den Thron käme. In Deutschland herrschten diese schrecklichen Nationalsozialisten und in Italien der Diktator Mussolini. Elizabeth hatte das Gefühl, die Welt brauche in dieser Zeit eine starke, verlässliche und ruhige Hand. Und sosehr sie ihren Schwager auch mochte: Die hatte David ganz sicher nicht, wenn sie auch immer froh gewesen war, dass er der Erstgeborene war – und nicht Albert. Aber David hatte sich verändert, seit er mit dieser Wallis Simpson zusammen war. Und die Welt geriet, so schien es ihr, immer mehr aus den Fugen.
***
Zwei Wochen später baten der König und die Königin die Yorks erneut zum Mittagessen in den Palast. Zu ihrer Überraschung trafen sie dort auch Alberts nächstjüngeren Bruder Henry an – und eine junge Dame, die Elizabeth erkannte: Lady Alice Christabel Montagu-Douglas-Scott. Sie hatte die junge Frau schon mehrfach bei verschiedenen gesellschaftlichen Anlässen gesehen und wunderte sich, dass diese zu einem derart privaten Mittagessen eingeladen war. Außerdem brachte Alice kaum ein Wort heraus, so nervös war sie offenbar. Henry hingegen wirkte seltsam steif – was Elizabeth eigentlich gar nicht an ihm kannte.
»Wie schön, dass du hier bist!«, flüsterte sie ihrem Schwager aufmunternd zu, als die Diener ihnen ihren Aperitif reichten – zu Elizabeths Enttäuschung gab es keinen Gin, sondern Champagner.
»Ich habe deinen Blick sehr wohl bemerkt, meine Liebe«, sagte ihr Schwiegervater, »aber ich kann dir versichern, der Champagner ist angebracht.«
»Hat David etwa Wallis Simpson aufgegeben?«, frotzelte Albert, was Elizabeth angesichts der Anwesenheit von Lady Alice etwas unpassend fand. Schließlich war das nun wirklich eine Familienangelegenheit.
Doch King George erwiderte gelassen: »Es gibt kaum eine Nachricht, die noch besser sein könnte als eine Trennung von David und Mrs Simpson. Aber diese hier ist es: Henry hat mich gebeten, um die Hand der Miss Montagu-Douglas-Scott anhalten zu dürfen. Ich habe mit der größten Freude zugestimmt.«
»Das ist ja wunderbar!« Elizabeth griff erst nach den Händen ihrer künftigen Schwägerin, die nun gleich nicht mehr so nervös wirkte, sondern den Händedruck herzlich erwiderte, um anschließend ihrem Schwager zu gratulieren. Doch sah sie ihm deutlich an, dass er alles andere als glücklich war. Hatte er sich also in sein Schicksal gefügt? Diesmal sandte sie ihm ein aufmunterndes Lächeln zu, das bedeuten sollte: Es ist besser so.
Auch Albert gratulierte warmherzig: »Willkommen in der Familie«, und küsste Alice auf die Wange.
»Danke!«, erwiderte die lächelnd, während sich die Königin vernehmen ließ: »Wir wollten es euch eigentlich allen zusammen sagen. Aber David ist mal wieder unauffindbar, und Marina muss sich etwas schonen …«
»Ist etwas mit der Schwangerschaft?«, fragte Elizabeth erschrocken. Marina von Griechenland, die Gattin von Alberts jüngstem Bruder George, dem Duke of Kent, erwartete ihr erstes Kind, und Elizabeth hatte schon ein schlechtes Gewissen gehabt. Denn seit es Marina in ihrer aller Leben gab, hatte sie selbst etwas kürzergetreten und ihrer Schwägerin gern einige der repräsentativen Pflichten überlassen.
»Aber nein«, beruhigte Queen Mary sogleich, »sie muss sich nur etwas schonen. Und da die Princess Royal ebenfalls keine Zeit hat, dachten wir, wir sagen es erst einmal nur euch und lassen uns mit der großen Bekanntgabe Zeit.«
»Was für eine Ehre, dass wir es als Erste erfahren«, sagte Elizabeth und musterte ihren Schwager erneut. »Wir wünschen euch alles Glück der Welt.«
»Dann lasst uns nun endlich anstoßen!«, rief Albert, »sonst wird der Champagner noch warm.«
Das Glück war der armen Alice nicht hold: Henry gab sich zwar alle Mühe, aber es war kaum zu übersehen, dass er nicht aus Liebe heiratete. Elizabeth und Mary stürzten sich dennoch gemeinsam mit Alice in die Hochzeitsvorbereitungen – die Feier sollte mit Hunderten Gästen bereits im November stattfinden. Als Elizabeth allerdings Ende September im Buckingham Palace ankam, wo sie mit Alice zur Anprobe für deren Brautkleid verabredet war, fand sie die junge Frau in Tränen aufgelöst vor.
»Aber was ist denn, meine Liebe?«, rief sie und zog die Gleichaltrige tröstend in ihre Arme. Hatte nun auch Alice bemerkt, dass Henry eigentlich eine andere liebte?
»Es ist wegen meines Vaters«, schluchzte Alice da jedoch, »es geht ihm furchtbar schlecht.«
»Was ist denn mit deinem Vater?« Elizabeth zog die weinende Braut rasch auf eine Chaiselongue.
»Er hat Krebs«, flüsterte Alice.
»Wie bitte?« Bestürzt starrte Elizabeth sie an. »Das wusste ich nicht.«
»Ich schaffe es kaum, darüber zu sprechen. Es ist, als würde die Krankheit nicht existieren, wenn ich nicht darüber rede.«
»Liebes.« Elizabeth zog sie enger an sich und ließ sie weinen. »Ist dir die Hochzeit denn dann nicht zu viel? Willst du sie nicht verschieben?«
Alice schüttelte den Kopf. »Er war so stolz, dass ich ein Mitglied des Königshauses heirate. Ich wollte ihm mit der Hochzeit eine Freude machen. Er soll sie unbedingt noch erleben!«
Dann heiratete Alice also auch nicht aus Liebe, dachte Elizabeth einerseits betroffen, andererseits erleichtert, während sie die junge Frau wiegte wie ein kleines Kind.
Alices Vater, John Montagu-Douglas-Scott, starb drei Wochen vor der Hochzeit, die deshalb nur im allerkleinsten Rahmen am 6. November in der Kapelle von Buckingham Palace stattfand. Elizabeth blutete das Herz angesichts dieser traurigen Veranstaltung, die doch der schönste Tag im Leben eines Menschen sein sollte. Auch das Wetter spielte nicht mit, es war kalt und nass. Wie wunderbar war ihre eigene Hochzeit mit Albert dagegen gewesen! Der einzige Lichtblick war die Tatsache, dass auch Alberts Bruder George, der 1. Duke of Kent, mit seiner Gemahlin Marina von Griechenland und Dänemark und deren neugeborenem Sohn Edward kamen. Wenigstens einer von Berties Brüdern ist glücklich, dachte sie und betrachtete George und Marina voller Rührung. Auch Margaret und Lilibet waren hingerissen.
Offenbar hatte sie sich bei der Hochzeit erkältet, denn schon am Folgetag plagte Elizabeth ein schlimmer Husten, der den ganzen November über nicht besser werden wollte. Anfang Dezember wuchs sich die Erkältung zu einer schweren Grippe aus, die sich schließlich zu einer Lungenentzündung mit hohem Fieber entwickelte. Hatte Elizabeth zuerst noch gehofft, bis Weihnachten wieder genesen zu sein und wie jedes Jahr nach Sandringham reisen zu können, so hatte der Arzt ihr diese Hoffnung bei seinem Besuch am Morgen genommen und sie eindringlich ermahnt, im Bett zu bleiben, sie sei noch viel zu schwach für die Reise.
»Wir können doch einfach alle an Weihnachten hierbleiben«, versuchte Albert seine niedergeschlagene Frau im Dezember 1935 zu trösten. Behutsam strich er ihr das schweißnasse Haar aus der Stirn. »Die Vorstellung, dass du das Fest ganz allein im Bett verbringen sollst, bricht mir das Herz.«
»Hör mir zu, Bertie.« Sie griff nach seinen Händen und sah ihn ernst an. »Mein größtes Weihnachtsgeschenk ist es, wenn ihr fahrt. Ich würde mich schrecklich fühlen, wenn ich euch allen das Fest verderbe. Die Mädchen freuen sich so sehr darauf. Und deine Eltern auch. Vor allem dein Vater braucht jetzt seine Lieben um sich.«
George V. war in Trauer, da seine geliebte Schwester, Prinzessin Victoria, der er sehr nahestand, kürzlich in Sandringham verstorben war. Trotz seines enormen Pflichtbewusstseins seinem Land gegenüber hatte er deshalb sogar die Parlamentseröffnung abgesagt.
»Ein Fest ohne dich ist nicht dasselbe«, gab Albert noch nicht auf, »wir könnten die Eltern auch hierher einladen.«
Wieder schüttelte sie den Kopf. »Ich bin noch viel zu schwach, um Gastgeberin zu sein. Und ich will auch niemanden anstecken. Das Ergebnis wäre, dass ich isoliert in meinem Zimmer liege und ihr anderen hier in viel beengteren Verhältnissen ein viel schlichteres Weihnachten feiert. Ich hätte ein furchtbar schlechtes Gewissen. Außerdem weißt du, dass deine Mutter mit Krankheit nicht gut umgehen kann. Sie mag keine Menschen, die schwach sind. Ich würde mich in ihrer Gegenwart unwohl fühlen.«
»So mag sie vielleicht früher gewesen sein, aber auch in dieser Hinsicht hat sie sich geändert«, widersprach Albert, »und dir würde sie ohnehin niemals etwas übel nehmen. Außerdem hätte ich ein furchtbar schlechtes Gewissen, wenn ich dich hier allein ließe«, er beugte sich vor und küsste sie auf die glühend heiße Wange, »vor allem in deinem Gesundheitszustand. Würde dir etwas geschehen – ich könnte mir das nie verzeihen.«
»Aber …«
»Ich mache dir einen Vorschlag. Die Mädchen fahren mit dem König und der Königin nach Norfolk und feiern dort Weihnachten. Und ich bleibe hier bei dir.«
»Dann haben sie weder ihren Vater noch ihre Mutter an diesem so wichtigen Fest«, wandte Elizabeth ein, der die Tränen in die Augen stiegen.
»Sie haben schon oft viel Zeit mit meinen Eltern verbracht, sie sind ihnen vertraut.« Albert drückte ihre Hand. »Die Mädchen fahren. Und wir beide, wir verbringen hier ein ganz stilles Weihnachten.«
Drei Tage vor Heiligabend reisten der König und die Königin mit ihren Enkelinnen tatsächlich nach Norfolk, wohin auch David, seine Schwester Prinzessin Mary sowie Alberts Brüder George, Duke of Kent und Henry, Duke of Gloucester mit ihren Familien reisen würden.
Weihnachten sollte also ein großes Familientreffen werden, an dem Henrys Frau Alice erstmals teilnahm – ein Familientreffen ohne Albert und Elizabeth. Sie verbrachte das Fest im Fieber, und er saß an ihrem Bett und kühlte besorgt ihre Stirn. Am zweiten Weihnachtsfeiertag ging es Elizabeth ein wenig besser, sie nötigte ihren Mann, den Platz an ihrem Bett zu verlassen und zumindest einen kleinen Spaziergang im Garten zu unternehmen.
Als er zurückkam, hielt er einen Brief aus Norfolk in den Händen: »Alah, unsere Kinderfrau, hat geschrieben.«
»Wie geht es den Mädchen?«, wollte Elizabeth sogleich wissen, sie setzte sich sogar etwas im Bett auf.
»Sie sind den ganzen Tag über draußen im Schnee und sehen in ihren neuen rosafarbenen Mänteln und den passenden Samtkappen ganz reizend aus«, berichtete ihr Gatte über den Inhalt des Schreibens. »Und David hat Lilibet ein Buch geschenkt. Pu der Bär. Sie liebt es.«
»Ich will ihnen schreiben«, erklärte Elizabeth. »Würdest du mir aus meinem Sekretär meinen Füllfederhalter und meine Schreibmappe reichen?«
»Bist du dazu nicht noch viel zu erschöpft?«, wandte er ein. »Ich kann doch für dich schreiben. Du diktierst mir, was du ihnen mitteilen willst.«
Doch Elizabeth schüttelte energisch den Kopf. »Es stünde wirklich schlecht um mich, wenn ich meinen Töchtern nicht einmal mehr einen Brief schreiben könnte.«
Margaret und Elizabeth schrieben ebenfalls an ihre »liebste Mama«, es waren fröhliche Briefe, die aber auch deutlich machten, wie sehr die Mädchen sie vermissten: Sag dem Arzt, er soll dich möglichst zu uns reisen lassen, schrieb Lilibet. Und weiter: Margaret hat von Opa eine silberne Schachtel bekommen, die Tante Victoria gehört hat. Sie hat gesagt: Ich habe eine gute Idee: Wenn du die Schachtel mit Pralinen füllst, könnte ich sie morgens essen, wenn ich aufwache. Lächelnd legte Elizabeth den Brief beiseite. Wie gut, dass Lilibet ihren Großvater England hatte, der diese Schachtel bestimmt nicht leer lassen würde.
Doch eine Woche später kamen beunruhigende Nachrichten aus Norfolk: Auch der durch den Tod seiner Schwester ohnehin angegriffene und geschwächte King George war erkrankt! Seine Weihnachtsansprache habe er nur unter Aufbietung allergrößter Anstrengung bewerkstelligt, schrieb Mary besorgt an Elizabeth, er sei ständig blass, regelrecht fahl. Auf seine geliebte Jagd kann er auch nicht mehr gehen, dazu ist er viel zu schwach, er schafft es ja kaum in die Ställe. Aber es ist so gut, dass er seine Enkel um sich hat, sie machen ihm so viel Freude – die beiden Mädchen und sein kleiner Kent-Enkel.
Elizabeth und Albert waren angesichts dieser Nachricht in großer Sorge. Am Donnerstag, den 16. Januar, erreichte sie schließlich die Mitteilung, es stehe derart schlecht um den König, dass Albert so schnell wie möglich anreisen solle.
»Du musst sofort fahren«, sagte sie.
»Aber kann ich dich denn allein lassen?«
»Du musst sogar! Dein Vater braucht dich jetzt dringender als ich. Eigentlich möchte ich mitkommen. Ich werde den Arzt fragen, ob er mich inzwischen für reisefähig hält.«
»Bist du dir sicher?«
»Nein. Deshalb frage ich den Arzt. Aber wenn es irgendwie geht, begleite ich dich.«
Wie Elizabeth es insgeheim schon befürchtet hatte, lehnte der Arzt eine Reise kategorisch ab.
»Sie riskieren damit eine erneute Lungenentzündung«, sagte er warnend, »Sie spielen mit Ihrem Leben.«
»Du bleibst auf jeden Fall hier!«, beschied Albert sie streng, »und zwar nicht nur um deinetwillen, sondern auch um meinetwillen und aus Rücksicht auf den König und die Königin. Es wäre fatal, wenn sie sich nun auch noch Sorgen um dich machen müssten.«
Schweren Herzens willigte Elizabeth ein und sah seinem Wagen bedrückt nach, als dieser die Royal Lodge verließ.
In seiner Tasche hatte er ein Schreiben von Elizabeth an die Königin: Ich muss Dir eine kleine Zeile schicken, um Dir zu sagen, dass ich die ganze Zeit an Dich und Papa denke und bete. Ich kann an nichts anderes denken, mein Leben war in den letzten zwölf Jahren so eng mit Deinem verbunden, und ich kann mir vorstellen, wie groß Deine Angst sein muss.
Elizabeth litt entsetzlich. Dass sie nicht an das Krankenbett ihres Schwiegervaters eilen und ihm und Mary in dieser schweren Stunde beistehen konnte, ließ ihr keine Ruhe. Ununterbrochen dachte sie an ihren Schwiegervater und die so besondere Beziehung, die sie beide miteinander verband. Im Gegensatz zu seinen eigenen Kindern hatte sie nie Angst vor ihm gehabt. Und in den zwölf Jahren, in denen sie seine Schwiegertochter war, hatte er nie ein unfreundliches Wort an sie gerichtet, war nie schroff gewesen, immer bereit zuzuhören, und hatte ihr mit Rat und Tat zur Seite gestanden. Zuverlässig, freundlich, immer für sie da.
Der Gedanke, er könnte sterben, ohne dass sie die Gelegenheit hatte, sich zu verabschieden, quälte sie sehr, wodurch sich ihre Genesung noch weiter verzögerte und sie erst recht nicht reisen konnte. Es war ein Teufelskreis. Aber immerhin: Ihre Töchter kehrten heim! Drei Tage nach Alberts Abreise waren sie wieder zu Hause, wo Elizabeth sie schon sehnsuchtsvoll erwartete. Vier Wochen hatte sie ihre Mädchen nicht gesehen!
»Meine Schätze!«, rief sie, als die Prinzessinnen an ihr Bett traten und ihre Arme um sie schlangen, »ich habe euch so vermisst.«
»Wir dich auch, Mummie«, erwiderte die kleine Margaret und bedeckte ihre rechte Hand mit unzähligen Küssen, während Lilibet scheu ihre Linke streichelte.
In diesem Moment klopfte es an der Tür, Marion Crawford schob sich herein. Sie hatte ihren Weihnachtsurlaub wie üblich zu Hause verbracht, war nun aber wegen der aktuellen Ereignisse früher zurückgekehrt.
»Crawfie!«, jubelten die Mädchen, rannten ihrer Gouvernante entgegen und fielen ihr um den Hals.
Elizabeth lächelte. Es war gut, dass die Mädchen nun Crawfie bei sich hatten, die ihnen zusätzlich Trost und Kraft spenden konnte. Denn dass es mit dem Leben des Königs zu Ende ging, war keine Frage mehr, es war sogar ein Bulletin herausgegeben worden: Im ganzen Land kamen die Menschen zusammen, beteten für King George V. und spendeten sich gegenseitig Trost.
»Danke, dass Sie gekommen sind, Crawfie«, sagte Elizabeth, als die Mädchen sich von der Gouvernante gelöst hatten. Da bemerkte sie, dass die rechte Wange der jungen Frau dick und geschwollen war. »Was ist denn passiert?«, wollte Elizabeth erschrocken wissen.
»Mir wurde gestern ein Zahn gezogen«, erklärte die Gouvernante mit schmerzverzerrtem Gesicht.
»Können Sie denn überhaupt arbeiten?«
»Ma’am, natürlich bin ich jetzt für die Prinzessinnen da. Das ist doch gar keine Frage.«
Elizabeth war erleichtert, dass sich Alah und Crawfie nun gemeinsam um die Mädchen kümmerten, denn sie selbst wurde von den Sorgen um ihren Schwiegervater und aufgrund der Tatsache, dass er vermutlich von dieser Welt scheiden würde, ohne dass sie ihn noch einmal sehen durfte, vollkommen beherrscht. Warum nur drückte diese dumme Krankheit sie gerade jetzt nieder! Was musste Bertie nur durchmachen! Und Mary! Und sie konnte nicht bei ihnen sein, um ihnen Trost und Kraft zu spenden!
Am Montag, den 20. Januar, rief King George V. seine Geheimen Ratgeber zu sich: Ein Staatsrat wurde gegründet, der seine Angelegenheiten in seinem Namen regeln sollte. Mit letzter Kraft unterzeichnete er das Dokument. Kurz darauf schloss er für immer seine Augen. Englands König war tot.
***
Zwei Tage nach King George’s Tod war Elizabeth endlich wieder so weit genesen, dass sie nach Norfolk reisen konnte, wo ihr David in der Eingangshalle völlig aufgelöst entgegenkam.