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Er sagt, dass er mich liebt. Er sagt, dass ich die Eine bin. Aber er denkt auch, dass er mein Herz brechen wird. Stück für Stück - bis es nicht mehr existiert
Lana Hayworth ist verzweifelt. Um den kleinen Rennstall ihrer Familie vor dem Ruin zu retten, muss sie möglichst schnell einen neuen Fahrer finden. Als sie Racer Tate begegnet, scheint ihr das Schicksal endlich gewogen. Racer ist heiß, gefährlich attraktiv - und der erfolgreichste Fahrer der riskanten illegalen Straßenrennen in den USA. Als sich ihre Blicke treffen, bleibt die Welt für einen kurzen Augenblick stehen. Die Luft knistert, so mächtig ist die Anziehungskraft zwischen ihnen. Doch um ihr Team zu retten, muss Lana nicht nur Racer als neuen Fahrer gewinnen, sondern ihre Beziehung auch professionell halten ...
"Brillant und wunderschön!" Goodreads
Band 7 der Real-Reihe von Bestseller-Autorin Katy Evans
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Seitenzahl: 469
KATY EVANS
Racer
Roman
Ins Deutsche übertragen von Michaela Link
Er sagt, dass er mich liebt. Er sagt, dass ich die Eine bin. Aber er denkt auch, dass er mein Herz brechen wird. Stück für Stück – bis es nicht mehr existiert
Lana Hayworth ist verzweifelt. Um den kleinen Rennstall ihrer Familie vor dem Ruin zu retten, muss sie möglichst schnell einen neuen Fahrer finden. Als sie Racer Tate begegnet, scheint ihr das Schicksal endlich gewogen. Racer ist heiß, gefährlich attraktiv – und der erfolgreichste Fahrer der riskanten illegalen Straßenrennen in den USA. Als sich ihre Blicke treffen, bleibt die Welt für einen kurzen Augenblick stehen. Die Luft knistert, so mächtig ist die Anziehungskraft zwischen ihnen. Doch um ihr Team zu retten, muss Lana nicht nur Racer als neuen Fahrer gewinnen, sondern ihre Beziehung auch professionell halten …
Für das Feuer in uns, möge es immer brennen!
»Fast Car« von Jonas Blue (mit Dakota)
»Don’t You Need Somebody« von RedOne (mit Enrique Iglesias)
»Love Drunk« von Boys Like Girls
»Sound Of Your Heart« von Shawn Hook
»Favorite Record« von Fall Out Boy
»Believer« von Imagine Dragons
»The Other Side« von Jason Derulo
»Jet Pack Blues« von Fall Out Boy
»Battle Scars« von Lupe Fiasco and Guy Sebastian
»Come And Get It« von Selena Gomez
»Walk« von Kwabs
»Undisclosed Desires« von Muse
»Unwell« von Matchbox Twenty
»Redbone« von Childish Gambino
»Your Guardian Angel« von The Red Jumpsuit Apparatus
»Remember When« von Chris Wallace
»Maps« von Maroon 5
»Let Me Love You« von Ne-Yo
»Xo« von Beyoncé
»The Best« von Tina Turner
»Whatever It Takes« von Imagine Dragons
Es hat was, das jüngste Kind der Familie zu sein. Und die einzige Tochter. Ich bin das vierte und letzte Kind, geboren nach meinen drei Brüdern. Mein ganzes Leben lang bin ich verhätschelt, beschützt, schikaniert und bestochen worden; und das geht alles in Ordnung, denn ich liebe meine Brüder, meine Familie. Aber manchmal wäre ich doch gern die Älteste, um nicht gar so sehr unterschätzt zu werden, wie es jetzt der Fall ist. Ich heiße Lana, doch für meine Brüder und meinen Dad bin ich selbst mit meinen zweiundzwanzig noch ihr Lainie Baby.
Meine Brüder und mein Dad stehen an unserem Zelt am Rand der Rennstrecke. Dutzende Wagen zischen vorbei, bunte Farben, Blau, Schwarz und Gelb, Sponsorenlogos, Helme mit regenbogenfarbig verspiegelten Visieren. Außerdem ist jede Menge geballtes Testosteron im Spiel. Es sind alles Rennwagen der Formel 1, und sie haben noch etwas anderes gemeinsam: Keiner davon gehört uns. Keiner dieser Wagen wird von einem unserer Fahrer gefahren.
Ich bin mit zwei Bechern Limonade auf dem Weg zurück zu unserem Zelt. Die kalte Luft des australischen Herbstes lässt meine Wangen brennen und mich am Nacken unter dem Pferdeschwanz frösteln. Seit wir diesen Herbst mögliche Fahrer testen, habe ich zwei leuchtend rote Flecken auf den Wangen – dank dem kalten Wind und dem strahlenden Sonnenschein. Im Moment brennt mein Gesicht so sehr, dass sich die Röte inzwischen bis zu meinen Ohren und zu meiner Nase ausgebreitet haben muss.
Als ich am Zelt unseres Nachbarn vorbeikomme, ertönt ein Pfiff. »Lainey, sind die für mich?«, ruft einer der Mechaniker.
»Tut mir leid, ich habe nur zwei Hände, und die sind beide vergeben.« Ich wende nicht mal den Kopf in seine Richtung. Es stimmt schon, dass alle immer nett zu mir sind, aber ich bin bestrebt, mich nicht allzu sehr mit den anderen Teams anzufreunden. Schließlich sind wir trotz allem Rivalen. Bleiben wir auf dem Boden der Tatsachen.
HW RACING TEAM begrüßt mich unser Logo rot und weiß auf schwarzem Grund, als ich unser Zelt erreiche.
Das Freie Training hat begonnen, die Wagen zischen vorbei, und wir wissen bereits, dass es unsere letzte und schlechteste Saison sein wird. Früher sind wir immer das Team mit dem kleinsten Zelt und dem niedrigsten Budget, jedoch mit dem größten Talent gewesen. Das kleine Zelt und das niedrige Budget sind uns geblieben, nur ist leider weit und breit kein Talent in Sicht. Und nächstes Jahr, ohne meinen Dad … Ich werfe einen Blick zu Dad hinüber, der auf einem Campingstuhl sitzt. Er stützt das Gesicht in die Hände und atmet tief aus.
Neben dem Zelt steht der einzige Fahrer von dreien, der bis jetzt noch vorhatte, beim Rennen für uns anzutreten, und übergibt sich. Der Wagen ist im Eimer. Der Rennfahrer ist blass, er zittert und ist sauer auf sich selbst. Er ist körperlich unverletzt, aber wir alle wissen: Wenn man sein Gefährt schon bei einer Testfahrt zerlegt, wird nichts aus dem großen Auftritt.
Ich bringe dem Mann einen der Becher mit Limonade. »Zucker«, rede ich ihm gut zu. »Könnte helfen.«
Er starrt weiter auf seine Rennstiefel und lässt mutlos die Schultern hängen. »Meine einzige Chance, mich zu bewähren, und ich vermassele alles.«
Ich stelle den Becher neben ihn und schenke ihm mein ermutigendstes Lächeln, auch wenn ich weiß, dass meine drei Brüder und mein Dad ihn am liebsten umbringen würden.
»Es wird Hunderttausende kosten, das Scheißding zu reparieren«, brummt mein ältester Bruder Drake, als ich nun zu Dad hinübergehe.
»Hunderttausende, die wir kaum haben dürften«, brummt Clay zurück.
Ich streiche über die Außenseite des kaputten Rennwagens. Dad hat drei Wagen. Mein Favorit ist Kelsey, und ich bin erleichtert, dass Kelsey nicht im Rennen war. Doch um Moira tut es mir immer noch leid.
Wenn man erst einmal angefangen hat, über ein Auto so zu denken wie über einen Freund …
»Es ist vielleicht an der Zeit zuzugeben, dass ich auf etwas warte, was nicht mehr passieren wird«, höre ich meinen Dad sagen.
Ich gehe mit dem anderen Limonadenbecher zu ihm. »Kommt schon noch, Daddy, kommt schon noch.«
Ich bin im Team für die PR-Arbeit zuständig. Des Weiteren sorge ich für die Verpflegung und organisiere die Hotelübernachtungen sowie Interviews für unsere Fahrer (nicht, dass da in letzter Zeit viel angefallen wäre). Ich lasse zudem ihre Kleidung reinigen und hole die Sachen von der Reinigung ab. Im Wesentlichen sorge ich also dafür, dass sie so etwas wie ein Zuhause haben – ein Weltmeer und Tausende von Kilometern weit weg von dem Ort in Ohio, wo wir aufgewachsen sind.
Wir haben unserer Heimat den Rücken gekehrt, nachdem Mom uns verlassen hatte. Damals hat Dad sein ganzes Geld in den Aufbau eines Formel-1-Teams gesteckt. Es ist sein Traum. Er ist niemals darüber hinweggekommen, dass er diesen Traum für Mom aufgegeben hatte. Und jetzt, wo ich weiß, dass es seine letzte Chance ist, sich diesen Traum zu erfüllen, ist es auch mein Traum.
»Also, was machen wir jetzt?«
»Jetzt nicht, Lainie.«
Sie sind stinksauer und frustriert. Sie brauchen ein paar aufmunternde Worte, aber ich kann sehen, dass es Dad die aufmunternden Worte verschlagen hat. Er wirkt entmutigt.
»Er ist nicht der Einzige mit Talent«, wende ich mich an meine Brüder.
»Wir haben kein Geld mehr, um jemanden mit Talent anzuheuern. Alle Talente wurden vorbereitet und aufgebaut, seit sie als Sechsjährige Rennen mit Gokarts fuhren. Sobald sie Teenager sind, befinden sie sich fest in der Hand ihrer Sponsoren oder ihres Teams«, erwidert Drake.
»Ich werde uns schon einen an Land ziehen.«
Ich bin in Panik. Ich habe sie noch nie so mutlos und niedergeschlagen erlebt. Wann hat die Sache aufgehört, Spaß zu machen? Als wir die Hoffnung auf einen Sieg verloren haben.
»Clay, Drake, Adrian, hört mal zu. Ich krieg das hin. Ihr kümmert euch um die Wagen, Dad ist der Chef des Teams; lasst mich für die Talente sorgen.«
Es ist der Traum meines Dads. Jetzt ist es auch mein Traum.
»Ich mach das.«
Meine Brüder reden einfach weiter, genauso mein Dad.
Ich greife nach meinem Schuh und werfe ihn nach ihnen. Er trifft Drake an der Schulter; er dreht sich mit einem mürrischen Ausdruck im Gesicht um.
»Ich hab gesagt, ich mach das.«
»Hast du gerade deinen Schuh nach mir geworfen?«
Ich schnappe mir den zweiten und schleudere auch ihn durch die Luft. »Nein, ich habe zwei Schuhe nach dir geworfen.«
»Lainie …«
»Komm mir nicht mit Lainie. Dad, du leitest das Team, ihr drei haltet die Autos in Schuss; überlasst es ruhig mir, ein Talent an Land zu ziehen.«
»Komm schon, Lane. Nur weil dich Dad zu unserer PR-Managerin gemacht hat, bedeutet das noch lange nicht, dass du auch nur das geringste Gespür dafür hast, ob jemand Talent hat oder nicht«, wirft Drake ein.
»So was ist nicht schwer zu erkennen. Gebt mir eine Chance. Das hier ist unser Leben. Wir haben dafür … alles aufgegeben. Ich will nicht, dass wir das an den Nagel hängen.« Ich mache einen Schritt nach vorn. »Ich will nicht, dass Dad aufhört.«
Er sieht mich an.
Ich lasse unerwähnt, dass ich Angst davor habe, dass ihn sein Aufhören dazu veranlassen könnte, überhaupt aufzugeben; dass das Aufhören ihm eine Art Freibrief geben könnte, ganz von uns zu gehen, jetzt, wo er keinen Traum mehr hat, für den es sich zu leben lohnt.
»Drake, es ist sein Traum.«
»Es ist unser aller Traum, aber wir müssen in dem Punkt realistisch sein. Wir haben nichts mehr von dem Geld übrig, mit dem Dad angefangen hat. Keine Siege heißt, dass wir nur Ausgaben haben, Lainie. Unsere Aussichten auf einen Sieg stehen schlecht, und Dad ist erschöpft und müde, sehr müde, und wir können es uns genauso gut irgendwo gemütlich machen, wo er es langsamer angehen lassen kann und …«
»Nein«, widerspreche ich energisch.
»Lainie«, beginnt er.
»Nein. Das hier wird ihm neue Lebenskraft geben. Ihn glücklich machen.«
Er sieht mich voller Mitleid an. Es ist die Art von Mitleid, die reiferen älteren Brüdern vorbehalten ist, die die schlechten Nachrichten über unseren Dad entsprechend verarbeitet haben. Und ich? Ich habe mich seit vier Jahren ganz auf jeden seiner Träume konzentriert, denn schon morgen müssen wir womöglich alle sterben. Es ist das Heute, das für mich zählt. Denn heute ist mein Dad hier bei mir im Zelt, atmet und lebt und ist reichlich niedergeschlagen, und es ist meine Aufgabe, das in Ordnung zu bringen.
»Ihr Jungs denkt allzu realistisch, lasst mich für uns alle träumen. Gebt mir EINE Chance. Nur einen Versuch. Ich werde uns einen Fahrer beschaffen.«
Schweigen.
»Dad, ich habe gesagt, dass ich das schaffen kann.«
Er sieht meine Brüder an, und ich stöhne auf.
»Wen hast du denn im Auge?«, erkundigt sich Drake schließlich.
»Ihr werdet schon sehen«, lüge ich.
»Wer immer es ist, glaubst du denn, du kannst irgendeinen Kerl mir nichts, dir nichts dazu überreden, in ein Team einzusteigen, das auf dem letzten Loch pfeift?«
»Wie hartherzig kann so ein Kerl wohl sein, hm? Wir reden hier schließlich von einem Mann, nicht wahr?«
Ich werfe ihnen einen Blick zu, der Bände spricht, dann küsse ich Dad auf die Wange und teile ihm mit: »Ich werde ein wenig auf Achse sein. Bleib ruhig und warte ab, Daddy. Ich komme erst zurück, wenn ich ihn gefunden habe. Ich begnüge mich nur mit dem Besten – mit jemandem, der für sein Leben gern fährt und dem nur noch der fahrbare Untersatz dazu fehlt.«
Noch am selben Abend nehme ich einen Nachtflug von Australien nach Atlanta und fliege dann von Atlanta nach St. Petersburg in Florida weiter. Mein Plan besteht darin, mir die Rennfahrer der IndyCar Series während ihres Trainings vor Beginn der Saison anzusehen, und ich weiß, dass sie im Moment in St. Pete trainieren. Also gehe ich während meines Fluges die Liste der Fahrer durch, um mir ein Bild von ihren Stärken und Schwächen zu machen.
Ich fühle mich auf meinem Sitz unbehaglich und rutsche unruhig hin und her. Zugleich versuche ich, meine beiden Nachbarn auf den Sitzen rechts und links nicht zu stören. Ich habe den Flug erst in letzter Minute gebucht und bin daher auf dem ach so beliebten mittleren Platz gelandet.
Als ich in Florida lande, ist es bereits Nachmittag, meine Kehle ist vom Flug ausgetrocknet, ich habe kaum geschlafen und bin völlig groggy. Doch mir bleiben nur drei Tage, in denen ich nicht nur einen Fahrer finden, sondern auch den langen Flug zurück nach Australien hinter mich bringen muss, um dann rechtzeitig zum ersten Formel-1-Rennen der Saison wieder vor Ort zu sein. Längst schon müssen alle möglichen Spekulationen darüber die Runde machen, dass unser Team aus dem Rennzirkus aussteigen wird, und auch wenn ich die Gedanken anderer Leute nicht zu lenken vermag, werde ich auf keinen Fall zulassen, dass sich mein Vater mit etwas Geringerem als einem Achtungserfolg in den Ruhestand verabschiedet. So übernächtigt, ausgedörrt, hungrig und beklommen ich auch bin, klammere ich mich also mit aller Entschlossenheit an mein Vorhaben, mich vor meiner Familie zu beweisen, während ich nun mit meinem Mietwagen zur Rennstrecke fahre. Mein Magen knurrt, wann immer ich an einem Restaurant vorbeikomme, aber ich weiß, dass das Essen erst einmal warten muss.
Ich ziehe einen Kreis um die Rennstrecke, wo vor dem Tag des Rennens bereits die Fahrer trainieren. Ich suche nach einem Parkplatz, was sich indes als schwierig erweist, weil die Straßen von St. Petersburg durch die vorübergehende Absperrung des Rings für das IndyCar-Autorennen heute völlig verstopft sind.
Ich erspähe eine Parklücke, aber bevor ich sie erreichen kann, muss ich eine Vollbremsung hinlegen, weil vor mir mit quietschenden Reifen ein roter Wagen wendet.
Verärgert gebe ich wieder Gas, um mir doch noch einen Parkplatz zu sichern. Vor mir sind zwei Plätze nebeneinander frei. Der Mustang biegt ein und schnappt mir den ersten davon weg, und voller Panik, dass noch ein weiterer Wagen aus dem Nichts auftauchen und die einzige verbliebene Parklücke für sich reklamieren könnte, steuere ich mit überhöhter Geschwindigkeit den freien Platz an. Mit einem plötzlichen Ruck kommt mein Wagen zum Stillstand.
Oh, Scheiße!
Ich bin gerade gegen den Wagen dieses Typen gekracht.
»Hoppla, meine Schuld«, sage ich, lege den Rückwärtsgang ein, fahre ein Stück zurück und parke dann vorsichtig ein.
Die Tür des Mustangs wird aufgerissen, und ein in Schwarz gekleideter Mann steigt aus. Nervös mache auch ich, dass ich aus dem Wagen komme, gehe außen herum und trete neben den Mann.
Er inspiziert den Schaden.
Ich inspiziere den Schaden.
»Sie brauchen Fahrstunden«, schnaubt er mit sehr tiefer Stimme.
Völlig entgeistert über die Beleidigung knirsche ich: »Und Sie brauchen Verkehrsmanieren.« Ich hebe den Kopf, um ihm einen bösen Blick zuzuwerfen, und als ich ihm ins Gesicht schaue, stockt mir der Atem.
Denn …
Niemand.
Auf der ganzen Welt.
Sollte ein derart männliches.
Heißes.
Schrecklich hübsches Gesicht.
Besitzen dürfen.
Seine Augen haben einen Glanz, als wolle er mich bei lebendigem Leib verschlingen. Sie sind unwiderstehlich, eindringlich und herausfordernd, ihr Blick nackt und offen, total animalisch und leidenschaftlich. Alles Übrige an ihm ist absolute Schönheit. Anders kann ich ihn nicht beschreiben. Als er lächelt und auf einer seiner Wangen ein einsames Grübchen erscheint, scheint sich plötzlich der Boden unter meinen Füßen zu neigen. Mein Gott, ich stehe dermaßen auf Grübchen.
»Wirklich?«, fragt der Kerl und als unsere Blicke sich treffen, verzieht er belustigt die Lippen.
»Ja. Wirklich. Ich bin jetzt echt nicht in Stimmung für so was. Sie haben mir den Parkplatz weggenommen.« Ich spüre, wie sich meine Stirn in Falten legt, als sich meine Wut über seine Verkehrsmanieren nun mit meiner Wut über sein attraktives Äußeres mischt, und in seinen Augen erscheint ein verschmitztes Funkeln.
Ich versuche meine Reaktion auf diese Funkelaugen zu unterdrücken; aber ich muss ehrlich zugeben, dass ich weder in meinem wirklichen Leben noch sonst irgendwo jemals solche Blautöne gesehen habe, außer vielleicht auf Fotos von irgendwelchen fernen schönen Meeren, weit weg wie die Fidschi-Inseln.
»Ich habe seit Stunden nichts gegessen und heute Nacht überhaupt nicht geschlafen. Ich bin wirklich nicht in Stimmung«, bekräftige ich, und als er mich nur unverwandt anstarrt, läuft unter diesem intensiven Blick irgendetwas in meinem Inneren heiß.
Seine Augen scheinen förmlich an mir zu kleben.
Ich glaube nicht, dass mich je irgendwer so durchdringend angestarrt hat.
Nicht nur mit Ärger und Interesse im Blick, sondern beinahe … Belustigung und dazu Verwirrung?
Und genau dasselbe empfinde auch ich. Während ich meinerseits ihn anstarre.
Seine Augen verdunkeln sich ein wenig, und die ganze Zeit über mustert er mich nur unbeirrt. Ich weiß nicht, was es ist, aber irgendetwas lässt gewisse Regionen meines Körpers kribbeln und sich krümmen.
»Passen Sie beim nächsten Mal besser auf«, sagt er schließlich nach einem langen Moment; seine Stimme klingt nun weicher, während sein Blick irgendwie gierig über meinen Körper wandert. Dann tritt er einen Schritt zurück, schnappt sich eine Kappe aus dem Wagen, schlägt die Tür zu und verriegelt sie mit einem leisen Piepton.
Ich nehme den Kratzer und die kleine Delle im Blech seines Wagens in Augenschein und mir wird bewusst, dass er mich gerade verschont hat, indem er nicht darauf bestanden hat, die Versicherung zu verständigen. »Es tut mir leid«, sage ich verspätet.
Mit zusammengebissenen Zähnen wirft er mir einen Blick über die Schulter zu, dann dreht er sich um, sodass er nun hoch über mir aufragt, und starrt mich finster an. »Wie heißen Sie?«
»Ähm … Alana«, lüge ich. Nah dran an Lana, aber doch knapp daneben. Ich bin einfach zu nervös.
»Alana. Sie haben mein Auto geschrottet«, knurrt er und wirft einen demonstrativen Blick auf seinen großartigen kirschroten Mustang.
»Ich … entschuldigen Sie bitte, ja? Ich habe einen sechzehnstündigen Flug hinter mir, und es ist ein endlos langer Tag gewesen.«
Er lacht in sich hinein, als glaube er mir meine Ausrede nicht.
Er wirft mir einen abschätzigen Blick zu, und ich kann meine Augen nicht von seinem rabenschwarzen Haar losreißen, als er sich abwendet. Nur mit Mühe widerstehe ich dem Drang, mir ein wenig Luft zuzufächeln.
Heiliger Bimbam.
Ich starre auf seine Jeans, seinen Hintern, auf das schwarze T-Shirt, das sich um seinen Oberkörper schmiegt, und mein Ärger löst sich einfach in Luft auf, als mich stattdessen eine fast schon überwältigende Welle des Verlangens überkommt.
Diskret streiche ich mir mit den Händen über die Brüste, um irgendwie die Spannung in meinen Brustwarzen zu lösen.
Mit Männern auszugehen ist gar keine so leichte Sache, wenn man wie ich bereits vier von der Sorte in seinem Leben hat. Keiner ist gut genug für mich, und alle, die ich kennenlerne, sind Rennfahrer. Das Letzte, was ich immer schon wollte, ist eine Beziehung mit einem Fahrer. Als ich siebzehn war, hatte ich einen festen Freund. Er ist gestorben. David hat mir alles bedeutet. Ich würde nie mit jemandem ausgehen wollen, der sein Leben derart aufs Spiel setzt, wie es die Fahrer bei Autorennen tun. Aber, Mann, ich habe es wirklich mal nötig, ordentlich flachgelegt zu werden.
Als ich zur Tribüne eile, konstatiere ich mit Erleichterung, dass dort noch einigermaßen Platz ist. Vermutlich, weil heute nur Trainingstag und kein Renntag ist.
Am anderen Ende der Tribüne steht ein Mann in Jeans und weißem Hemd, sein dunkles Haar ist an den Schläfen graumeliert. Ich gehe in seine Richtung weiter und setze mich zwei Reihen vor ihm hin. Da plötzlich ruft der Mann hinter mir laut: »Sohn!« Mir bleibt das Herz stehen, als ich sehe, wie nun der Mann die Treppen heraufkommt, mit dem ich soeben in doppelter Hinsicht zusammengestoßen bin.
Als ich ihn wiedersehe, fängt mein Herz so heftig zu hämmern an, dass ich den Kopf einziehe. Ungeachtet all des Motorenlärms ringsum verfolge ich ihn aus dem Augenwinkel, wie er nun die Stufen zu seinem Vater hinaufgeht.
Ich räuspere mich und ziehe meine Liste mit den Namen der Rennfahrer sowie meinen Textmarker hervor. Ich habe acht Fahrer, die ich mir ansehen will, auf meiner Liste stehen, aber ganz unten habe ich mir auch die übrigen Namen der IndyCar-Rennfahrer notiert. Nur für alle Fälle.
»Du bist heute nicht im Boxtraining gewesen«, höre ich den Mann hinter mir sagen.
»Ich bin nicht scharf drauf, mein Gesicht umgemodelt zu bekommen. Mein Gott, Dad.«
Einer der beiden Männer gibt ein leises Lachen von sich, und dann ertönt wieder die Stimme des Typen, dem ich in den Wagen gefahren bin. Er hat eine sehr tiefe Stimme. »Wo ist denn Iris?«
»Sie ist Wasser holen gegangen.«
Ein Mädchen von etwa achtzehn Jahren kommt die Stufen zur Tribüne hinauf und steuert die Sitzplätze der beiden Männer an. Ich werfe einen kurzen Blick hinter mich, und mein Magen rumort, als ich sehe, wie sie den brummigen Schönen umarmt und der brummige Schöne ihre Umarmung erwidert. Und dann setzt sie sich neben ihn.
Im Vergleich zu ihm wirkt sie winzig.
Er ist ganz Muskeln, riesengroß und unsagbar hinreißend.
Okay, er hat also eine Freundin. Na und? Er sieht schrecklich gut aus, und sie auch. Sie beide haben dunkle Haare und sehen aus wie Models. Aber was soll’s? Schön für sie. Ich bin nicht um der Liebe willen hier. Ich bin hier, um zu arbeiten.
Aber mit einem Mal finde ich Gefallen an der Idee, mich auf eine Affäre einzulassen, bevor ich wieder zurückkehre. Nichts Ernstes. Ich will nichts dergleichen. Aber vielleicht irgendetwas … um mich zu entspannen. Damit ich mich wieder ganz aufs Rennfahren konzentrieren kann und nicht mehr ständig an all diese Dinge denken muss, bei denen es um körperliches Verlangen geht.
Ich kann allerdings nicht verleugnen, dass es genau dieser Mann ist, der meine Neugier weckt. Während ich meine Liste studiere, kann ich seine Blicke auf meinem Hinterkopf spüren. Sie scheinen sich wie Laserstrahlen in meinen Schädel zu bohren.
Ich hole nervös Luft und werfe einen verstohlenen Blick über meine Schulter.
Der junge Mann stopft gerade seine Hände in die Taschen, als er mich dabei ertappt, dass ich ihn anstarre. Sofort schnellen seine Brauen nach oben, und er verzieht die Lippen.
Sein Dad starrt ihn jetzt ebenfalls an. Stirnrunzelnd.
Er sagt etwas zu seinem Sohn, aber der antwortet nicht. Er grinst mich an.
Ich grinse nicht zurück; ich kann nicht mehr klar denken.
Der jüngere Mann steht auf und kommt die Treppe herunter auf mich zu.
Oh, Mist.
Ich wende mich wieder meiner Liste zu. Er tritt an mich heran und beugt sich über mich. Er beginnt über meine Schulter hinweg meine Liste zu studieren; ich spüre die Wärme seines Körpers. Viel zu nah.
Er riecht nach Seife. Nicht nach Rasierwasser.
Einfach nur sauber und männlich.
Etwas an diesem natürlichen Duft lässt mir das Wasser im Mund zusammenlaufen, und ich schlucke nervös.
»Der ist auf der Geraden zu langsam.« Er tippt auf den obersten Namen auf meiner Liste. Ich versuche, das Blatt unter meine Handtasche zu stopfen, aber ein Stückchen davon lugt immer noch darunter hervor.
»Sie scheinen ja eine Menge über Autos zu wissen.« Ich mache ein mürrisches Gesicht und versuche, die Wirkung seines Lächelns auf mich zu unterdrücken, obwohl es mich am ganzen Körper heiß überläuft, als er nun Anstalten macht, sich neben mich zu setzen.
»Ein Jammer, dass Sie keine Verkehrsmanieren haben«, füge ich hinzu.
Mit einem breiten Lächeln im Gesicht nimmt er neben mir Platz, ungeheuer schlank und beweglich, und dann schaut er wieder auf meinen Zettel. »Wollen Sie sich denn all die Jungs in Ihrem Leben noch vorknöpfen?«
Hä?
»Nein!« Dann lache ich auf. »Das ist keine … nein, nein«, füge ich hinzu, als ich begreife, worauf er anspielt.
»Darf ich einen Vorschlag machen?«
»Dürfen Sie, aber das bedeutet nicht, dass ich ihn auch befolgen werde.«
Er greift nach meiner Liste und zieht sie unter meiner Handtasche hervor. Dann reißt er mir den Stift aus der Hand und malt eine Linie unter die Liste der Namen. Danach legt er sich das Blatt auf den Oberschenkel, einen sehr stramm wirkenden Schenkel in Jeans, und notiert ein einziges Wort. Racer.
»Ist das etwa auch ein … Was bedeutet das?«, frage ich verwirrt.
Er zwinkert mir zu und reicht mir das Blatt zurück. »Sie wären gut beraten, ihn ganz oben auf diese To-do-Liste zu setzen.«
Ich lache. Erröte. Oh, mein Gott, will er mich etwa auffordern, mit ihm in die Kiste zu steigen? Ist das sein Name? Nie und nimmer, das kann nicht sein. »Das ist nicht meine private To-do-Liste potenzieller Liebhaber. Ich suche einen Fahrer«, stelle ich richtig.
»Ich kenne ganz zufällig den besten Fahrer der Welt.«
»Tatsächlich.«
»Ja.«
»Den würde ich gern mal kennenlernen. Und ihn dann auch fahren sehen, um festzustellen, ob ich zum gleichen Urteil komme.«
»Oh, das werden Sie.« Er sieht mich an. Er wirkt jetzt richtig eingebildet, die Lippen zu einem überheblichen Lächeln verzogen. »Wissen Sie was, wenn Sie mir zustimmen, dass er der beste Fahrer der Welt ist, dann müssen Sie mir meinen Wagen reparieren«, fügt er hinzu.
»Und wenn nicht?«, frage ich herausfordernd.
»Dann besorge ich Ihnen einen brandneuen.«
»Oh, wow, da ist einer aber ganz schön selbstbewusst.«
Er feixt nur, und seine so verdammt hinreißenden Augen funkeln wieder vergnügt.
Ich muss lachen und all meine Müdigkeit ist plötzlich wie weggeblasen. »Also, wer ist Racer? Sind Sie das? Oder ist es einer dieser Fahrer?«
Sein Lächeln verflüchtigt sich, während er meine Züge mit seinen Blicken erneut förmlich verschlingt. Als er antwortet, ist seine Stimme tiefer. Belegt. »Gehen wir zusammen essen, und wir können darüber reden, so viel Sie wollen.«
Oh, Gott. Starrt er auf meinen Mund?
Starre ich auf seinen Mund?
»Ich kann nicht. Nun ja, wahrscheinlich könnte ich schon, aber … ich bin zum Arbeiten hier. Ich habe keine Zeit, essen zu gehen. Auch wenn ich halb verhungert bin.«
Sein Gesichtsausdruck verändert sich, während er mich schweigend ansieht, bis ich es kaum mehr ertragen kann. Dann schnaubt er: »Bin gleich wieder da.«
Ich blicke ihm nach, wie er die Tribüne hinuntergeht, und insgeheim fällt es mir schwer, ihn verschwinden zu sehen, da ich weiß, dass ich ihn wahrscheinlich nie wiedersehen werde. Ich weiß nicht, warum er eine solche Wirkung auf mich hat. Vielleicht bin ich einfach zu lange allein mit meinen Brüdern und meinem Vater zusammen gewesen. Vielleicht muss ich wirklich mal ordentlich flachgelegt werden, bevor ich zurückfliege.
Der heiße Kerl mit den blauen Augen kommt zehn Minuten später zurück, und in den Händen hat er den appetitlichsten Hotdog, den ich je gesehen habe, dazu einen Eimer Pommes frites und eine Flasche Wasser.
Er hält mir die Fressalien hin, und für einen Moment starre ich alles nur ungläubig an. Mit tief über seine strahlenden Augen gesenkten Augenbrauen lächelt er auf mich herab, ohne ein Wort zu sagen.
»Ich …«
Für gewöhnlich bin ich es, die alle mit Essen und Trinken versorgt. An die Umkehrung bin ich so wenig gewöhnt, dass ich gar nicht weiß, was ich sagen soll.
Doch er hält seinen Arm weiter ausstreckt, und so zwinge ich mich, die Sachen entgegenzunehmen.
Meine Finger streifen seine, und ein Stromstoß schießt mein Rückgrat hinunter.
Ich versuche, meine Reaktion zu verbergen, indem ich das Essen auf meinen Schoß nehme und den Hotdog zum Mund führe. Ich nehme einen großen Bissen, dann wird mir bewusst, dass er sich neben mich gesetzt hat. Mich nicht aus den Augen lässt.
»Danke«, sage ich und schlucke den Bissen hinunter.
»Gern geschehen.« Seine Augen funkeln wieder, als er auf dem Oberschenkel zu mir herumrutscht; sein Körper ist so schlank und groß und doch bemerkenswert geschmeidig, wenn er sich auf zugleich lässig und verstohlen wirkende Art bewegt. »Sie haben vorhin gemeint, dass Sie weder gegessen noch geschlafen hätten. Also stand ich vor der Wahl, Ihnen entweder das hier oder ein Kissen zu besorgen«, fügt er hinzu, und seine Augen glitzern belustigt.
Ich beiße in die Innenseite meiner Wange, um nicht lächeln zu müssen.
»Erlauben Sie mir, Ihnen das Geld dafür zu geben.« Ich greife nach meinem Portemonnaie, den Hotdog in der einen Hand, während ich versuche, mit der anderen den Geldbeutel zu öffnen. »Wie viel schulde ich Ihnen denn?«
»Schon gut, vergessen Sie’s, ich bekomme hier das Essen umsonst«, erwidert er.
Ich habe den Eindruck, dass er nur scherzt, weil seine Augen wieder so schelmisch funkeln, aber ich bin mir nicht sicher, weil er nicht lächelt.
Ich gebe nach. Schließlich muss ich während dieser Reise tatsächlich auf meine Ausgaben achten, außerdem macht er einen recht sturen Eindruck, sodass ich mir ziemlich sicher bin, dass er sich auch auf gar nichts anderes einlassen würde. Ich widme mich meinem Essen und lasse mir Zeit. Dabei bin ich mir bewusst, dass er die Rennstrecke genauso im Auge behält, wie ich es tue. Ich höre seinen Vater und seine Freundin die Treppe herunterkommen. »Wir machen uns jetzt auf den Heimweg«, verkündet sein Dad.
Der Typ wendet seinen Blick nicht von mir ab und nickt nur geistesabwesend, während er mich nachdenklich mustert.
Ich sehe seinen Dad die Stirn runzeln, und seine Freundin wirkt ebenfalls etwas verwirrt, als sie gemeinsam davonschlurfen.
»Ihrer Freundin scheint es nicht sehr zu gefallen, dass Sie hier sitzen«, bemerke ich, sobald sie gegangen sind.
Er kichert, ein leises, klangvolles Geräusch. Dann schüttelt er den Kopf. »Wissen Sie was? Ich habe nicht nur keine Verkehrsmanieren, ich wünsche überhaupt niemandem, näher mit mir bekannt zu sein.« Er grinst, als ich ihn nur wortlos anstarre. »Ich habe keine feste Freundin.« Er beugt sich vor und streicht einen Brötchenkrümel von meiner Lippe. »Aber Sie sind hübsch.«
»Danke.«
Ich werfe einen raschen Blick zur Rennstrecke hinüber, und fast wäre mir mein letzter Bissen in der Kehle stecken geblieben, als ich nun sehe, wie er den Daumen hebt und sich den Brötchenkrümel von der Haut leckt.
Oh, mein Gott.
Ich bin soeben gekommen – beinahe.
Schweigen breitet sich aus. Seine Augen sind so blau wie die Augen eines Engels – oder eines Teufels in Engelsgestalt.
»Ich auch nicht.«
»Sie haben auch keine feste Freundin?« Da ist wieder das vergnügte Funkeln in seinen Augen, dazu ein Grinsen auf seinen Lippen, das ich unwiderstehlich finde.
Ich lache. »Nein! Ich habe gar keine Zeit für eine Freundin. Ich hatte, nun ja, ich hatte mal einen festen Freund, aber …« Ich schüttele den Kopf und schaue auf den restlichen Hotdog auf meinem Schoß hinab. »Ich will so etwas nicht noch einmal durchmachen müssen.«
Nach David hat mich kein Mann mehr berührt. Und das ist wohl der Grund, warum meine Knie weich werden und mir die Wangen brennen, als er mir jetzt mit den Fingern durchs Haar streicht, und warum es mir den Atem verschlägt, wenn ich ihm in die Augen schaue.
Wahrscheinlich habe ich eben einfach nicht erwartet, dieses Gesicht zu sehen.
Ich meine …
Wer um alles in der Welt könnte schon damit rechnen, dass ihm ein solches Gesicht entgegenschaut?
Perfekt geschnittene Züge. Perfekte Nase, hohe Wangenknochen, kantiges Kinn, geradlinige Brauen und schimmernde, zusammengezogene Augen, dabei vom strahlendsten Blau und umkränzt von den dunkelsten Wimpern, die ich je gesehen habe.
Ich nehme noch einen Bissen von meinem Hotdog, schlucke und ersticke beinahe. »Klebt noch mehr Essen an meinen Lippen? Sie machen mich ganz nervös, wenn Sie mich so anstarren.«
Sein leises Kichern, als er den Kopf schüttelt, wirkt eher amüsiert als entschuldigend. »Sie kennen sicher die Redewendung von den Menschen, die ihr Herz auf der Zunge tragen.«
»Sicher.«
»Sie tragen das Ihre in den Augen.«
Meine Augen weiten sich. Er blickt gespannt auf mich herab, ein Lächeln auf den Lippen.
»Ja wirklich? Und was fühle ich jetzt gerade?« Ich lache über meine Worte und klammere mich nervös an meinen Hotdog.
»Jetzt im Moment? Oder vorhin, bevor Sie gefragt haben?«
»Jetzt.«
»Sie sind glücklich.«
»Wirklich?«, frage ich, und ich fühle mich tatsächlich unbeschwert glücklich und ein wenig zum Flirten aufgelegt.
»Das macht der Hotdog«, sagt er, wiewohl mir der schelmische Ausdruck in seinen Augen verrät, dass er das selbst nicht glaubt.
»Oh ja. Natürlich. Sie haben keine Ahnung, wie lange es her ist, seit ich meinen letzten Hotdog gegessen habe«, pflichte ich ihm bei und nehme einen neuen großen Bissen, um meine Worte zu unterstreichen.
Sein Lächeln wird für eine Sekunde breiter, dann verfliegt es wieder, und wir sitzen nur schweigend da und starren auf die Rennstrecke, wo die Autos an uns vorbeisausen.
Jetzt bin ich ganz verlegen.
Meiner dummen Augen wegen, die meine Gefühle verraten.
»Reisen Sie allein?«, erkundigt er sich.
Ich nicke.
»Wie lange bleiben Sie hier?«, fragt er weiter und klingt dabei überaus neugierig.
»Nicht lange«, hauche ich, durch seinen unerbittlichen Blick verunsichert. »Und was ist mit Ihnen? Wohnen Sie hier?«
»Ja. Aber meine Familie nicht. Sie sind nur auf Besuch hier.« Er lächelt leicht, und das eine Grübchen erscheint wieder.
»Oh.«
In dem Moment beugt er sich vor, zieht mir den unbeachtet in der Hand liegenden Hotdog aus den Fingern und hebt ihn an meine Lippen.
Ich öffne den Mund, um zu protestieren, und er rückt den Hotdog nur noch näher heran, bis ich nicht anders kann, als hineinzubeißen. Mein Magen schnürt sich zusammen, als er den Hotdog wieder sinken lässt und mir beim Kauen zuschaut. Seine Augen sind wirklich sehr blau, sie mustern mich so aufmerksam, dass es schier unerträglich ist, und sie sind so, so nah.
»Was ist mit dem da?«, frage ich und deute auf den Fahrer, der gerade über die Rennstrecke braust.
»Ungeschickt in Kurve vier«, antwortet er und wirft ihm nur einen knappen Blick zu.
Ich verfolge den Wagen aufmerksam und stelle fest, dass mein Gegenüber recht hat: Der Fahrer verliert in Kurve vier an Tempo.
»Stimmt es denn, dass Sie den besten Fahrer der Welt kennen?«
Ich weiß, wie zweifelnd meine Stimme klingt, aber ich weiß eben auch, dass es etwas Derartiges gar nicht gibt. Alle haben Vorzüge und Schwächen, alle sind abhängig von ihrem Wagen und dem Wetter – und von ihrem verdammten Glücksstern.
Seine Augen verdunkeln sich. Er nickt.
Der ganze Kerl ist einfach zum Anbeißen, und ich muss darum kämpfen, meinen Blick nicht zu seinen strammen Oberschenkeln in den schwarzen Jeans wandern zu lassen und zu seinem Hemd, das all die Muskeln umspannt.
»Könnten Sie mich bitte mit ihm bekannt machen?«
Er streckt die Hand aus und greift wieder nach meinem Stift, dann kritzelt er eine Adresse auf die Rückseite meiner Liste. Als er sich zum Schreiben vorbeugt, betrachte ich ihn von der Seite und nehme seinen Mund in Augenschein, und ich frage mich, wie dieser Mund wohl aussehen würde, nachdem er von mir geküsst wurde. Nachdem er mich geküsst hat.
Er hebt den Kopf und erwischt mich dabei, wie ich ihn anstarre. Jetzt starrt er seinerseits auf meine Lippen. Ich reiße mich von seinem Anblick los und nehme lächelnd das ausgestreckte Blatt entgegen. »Heute Abend um neun. Seien Sie auch wirklich da«, sagt er und in seiner Stimme liegt fast schon eine Warnung.
Mir fällt auf, dass er hinter »Racer« noch ein weiteres Wort notiert hat. Es lautet »Tate«.
Ich sammele meine Sachen ein und antworte, ebenfalls mit einem warnenden Unterton: »Sie sollten besser kein Serienkiller sein.«
»Noch nicht. Aber dieser Typ da … von ihm sollten Sie sich fernhalten.« Er wirft mir einen bedeutungsschweren Blick zu, und ich bebe am ganzen Körper.
Ich mache mich auf den Weg und eile zu meinem Wagen, ohne im Geringsten zu wissen, was zum Teufel ich im Schilde führe. Ich habe die Trainingseinheit der IndyCar-Rennfahrer ungenutzt verstreichen lassen, um diesen Typen anzugaffen, und jetzt habe ich noch immer keinen Fahrer, nur eine Adresse und das Wort »Racer« auf meiner To-do-Liste.
Und obwohl ich aufgrund dieser Situation beunruhigt sein sollte, lächle ich, als ich nun meinen Wagen aus der Parklücke steuere, und mein ganzer Körper ist seltsamerweise gar nicht mehr müde. Vielleicht macht das ja die Aussicht darauf, dass er recht haben könnte. Vielleicht aber auch die Aussicht darauf, ihm an der angegebenen Adresse wieder zu begegnen.
Ich sollte mir eigentlich gar nicht erst wünschen, dass er recht hat, denn in diesem Fall würde ich ihm ja eine sehr teure Autoreparatur schulden. Aber tief in mir wünsche ich es mir trotzdem.
In meinem Hotelzimmer angekommen, ruhe ich mich erst einmal ein wenig aus und richte mich ein, dann nehme ich ein Bad und mache mich für heute Abend fertig. Anschließend rufe ich an der Rezeption an, lasse mir den kostenlosen WLAN-Code geben und beschließe, in die Google-Suchleiste die Buchstaben Racer Tate einzutippen.
Die Suchergebnisse hauen mich buchstäblich vom Sockel.
RACER TATE, BERÜHMTER ILLEGALER STRASSENRENNFAHRER AUS SEATTLE, SOLL AUF DEN STRASSEN VON ST. PETERSBURG FÜR WIRBEL SORGEN …
Das Problem beim Lügen ist die Schwierigkeit, wieder damit aufzuhören. Eine Lüge macht die nächste erforderlich und so weiter und so fort. Ich habe einen Plattfuß und befinde mich in den Außenbezirken von St. Petersburg, auf dem Weg zu etwas, wovon ich annehme, dass es sich um ein Straßenrennen irgendwo hier in der Gegend handelt. Womöglich den Rest des Weges zu Fuß gehen zu müssen entspricht nicht gerade meiner Vorstellung von einem reibungslosen Ablauf.
Meine Brüder wissen nicht, dass ich hier bin. Sie wissen nur, dass ich nach einem Talent suche. Ich habe ihnen nicht erzählt, dass ich heute bei den Leuten von IndyCar nichts erreicht habe; nur dass ich zufällig offenbar dem verdammt noch mal bekanntesten Straßenrennfahrer auf der ganzen Welt begegnet bin. In jenen obskuren, geheimen Foren, in die ich zuletzt hineingeraten bin, ist er eine wahre Legende. Dort war immer nur von Tate die Rede und davon, dass er niemals verliert. Eigentlich hätte ich sofort meinen Computer herunterfahren und den erstbesten Flug nach Hause nehmen sollen. Welcher Mensch, der noch alle Tassen im Schrank hat, würde wohl so einen verdammten illegalen Straßenrennfahrer hinter das Lenkrad eines eine Million Dollar teuren Formel-1-Wagens setzen? Des F-1-Wagens meines Dads?
Aber jetzt bin ich hier, auf dem Weg zu der Adresse, die mir dieser Typ höchstpersönlich aufgeschrieben hat.
Von ihm sollten Sie sich fernhalten …
Warum bloß tun wir ständig das Gegenteil von dem, was man uns sagt?
Und warum ist es denn wirklich immer so, dass ein Unglück selten allein kommt? Soeben erreicht mich ein Anruf von Drake. Er erkundigt sich nach mir und lässt mich dann wissen, dass Dad im Krankenhaus liegt, wo er ihn gerade besucht.
»Aber es ist nichts Ernstes, ja? Du bist dir sicher?« Ich richte meinen Blick geradeaus, schaue nach den Autos in der Ferne.
»Ja, sie haben gesagt, er sei nur dehydriert. Bleib dran. Das Telefon ist auf laut gestellt.«
»Daddy, bitte, pass gut auf dich auf!«
»Du sorgst besser für mich, als ich es selbst tue«, höre ich die leise, belustigte Stimme meines Dads am anderen Ende der Leitung. Er klingt ein wenig müde. Meine Augen werden feucht.
»Hm, ja, aber ich erledige gerade andere Dinge für dich, also pass bitte du an meiner Stelle gut auf dich auf.«
Ich höre das Lächeln in seiner Stimme, als er antwortet: »Nur weil du mich so nett darum gebeten und keinen Schuh nach mir geworfen hast.«
»Du bist eben mein Lieblingsdad«, sage ich.
Ich bekomme keine Antwort. Ich höre Drakes Stimme nun aus größerer Nähe und weiß, dass der Lautsprecher wieder ausgeschaltet ist. »Also, wie läuft’s?«, fragt er.
»Ich habe euch gebeten, mir zu vertrauen. Ich habe gesagt, dass ich es schaffe, und das werde ich auch«, antworte ich und überprüfe noch einmal den Reifen, den ich gerade gewechselt habe, um mich davon zu überzeugen, dass er auch richtig sitzt.
»Und ich habe gesagt, dass ich dir nicht vertraue.«
»Arschloch.« Trotzdem bin ich nicht allzu sauer, denn schließlich habe ich die Tatsache, dass ich soeben meinen Reifen gewechselt habe, nur meinen Mechanikerbrüdern zu verdanken.
»Lainie …« Er seufzt entnervt. »Komm einfach nach Australien zurück. Wir können …«
»Ich werde zum Saisonstart da sein. Mit dem besten Fahrer der Welt«, bluffe ich und lege auf. Oh, Gott. Verdammt.
Ich richte den Blick auf die Straße, während ein Auto nach dem anderen an mir vorbeifährt. Wahrscheinlich wollen die ebenfalls zu dem Rennen. Ich lege das Werkzeug zurück in den Kofferraum, rutsche hinter das Lenkrad, lasse den Motor an, fahre auf die Straße und steuere den Parkplatz ein Stück weiter unten an der Straße an.
Ungefähr zwei Dutzend Leute haben hier bereits geparkt. Sie warten an einem kleinen Hügel am Rand des Parkplatzes.
Ein blauer Camaro steht in der Nähe der Startlinie, der Platz daneben ist leer. Ich schließe meinen Wagen ab und gehe auf die anderen Wartenden zu.
Der Lärm der Menge ist ohrenbetäubend, und es riecht nach ungewaschenen Achselhöhlen.
Für einen kurzen Moment zieht sich mir der Magen zusammen, und ich frage mich, ob ich wirklich derart verzweifelt bin.
Ob mir denn wirklich gar keine anderen Möglichkeiten mehr bleiben.
Auf dem Flug nach Florida habe ich allerlei Nachforschungen angestellt. Ich habe mir das Teilnehmerfeld bei den Daytona-Rennen und beim IndyCar angesehen, und dort bin ich heute sogar an der Rennstrecke gewesen, habe aber nichts gefunden, was mich vom Hocker gehauen hätte.
Jetzt scheint es, als bliebe mir nichts anderes mehr übrig, als mir dieses Rennen anzuschauen und danach in mein Hotel zurückzufahren. Wo ich dann darüber nachgrübeln kann, wie viel Geld es mich gekostet hat, um die halbe Welt zu fliegen, um mit eingezogenem Schwanz wieder zurückzukehren und meinen Brüdern den Beweis zu liefern, dass ich wirklich genauso nutzlos bin, wie sie schon immer gedacht haben.
Bei der Vorstellung, mit leeren Händen zurückzufliegen, komme ich mir wie ein Schweinehund vor.
Was erklärt, warum ich immer noch hier bin.
Welche Wahl habe ich denn?
Es ist ja nicht so, als würde ich wirklich glauben, dass ich irgendeinen Typen mit nach Hause nehmen werde, wenn auch die kleine Flamme Hoffnung, die in mir brennt, noch nicht gänzlich erloschen ist. Vielleicht bin ich auch einfach noch nicht bereit, als Versagerin nach Hause zurückzukehren. Wenn ich bei dieser Sache scheitere, habe ich jetzt immerhin noch eine weitere dringend benötigte Nacht, um mich für die Familiendemütigung zu wappnen, die mir mit Sicherheit bevorsteht.
Ich will nicht leugnen, dass Racer Tate mich in seinen Bann geschlagen hat.
Nach den Kommentaren Dutzender von Fans zu urteilen, ist er der beste Straßenrennfahrer, den es je gegeben hat. Er schreckt vor nichts zurück. Er ist eins mit der Maschine, als sei die Maschine ein Teil seiner Selbst. Also bin ich hier und warte auf ein illegales Straßenrennen. Noch zwei Minuten, bis das Rennen beginnen soll, und er ist nirgends zu sehen.
Klasse. Was für ein Schwachkopf.
»Ich kann heute Nacht mit ihm vögeln«, flüstert eine Frau aufgeregt hinter mir.
»Wie meinst du das?«, fragt ihre Freundin.
»Die Jungs haben mich gebeten, ihm die einem Sieger gebührende Behandlung zukommen zu lassen.«
Sieh mal an. Er treibt es offenbar mit jeder.
Mein Magen krampft sich zusammen.
Von der Menge steigt Jubel auf.
Sein Rivale deutet erst auf seinen eigenen Wagen, ein glänzendes schwarzes Gefährt mit allen Schikanen, auf das Flammen aufgemalt sind und so weiter.
Dann zeigt er auf den leeren Platz daneben und senkt den Daumen.
Die Leute jubeln jetzt noch lauter, und das scheint den Mann irgendwie aufzuregen. Er schüttelt den Kopf.
Ich stehe auf, um zu gehen. Wirklich, ich sollte nicht hier sein, nicht einmal in der Nähe.
Ein kirschroter Mustang kommt in Sicht, und plötzlich legt sich Schweigen über die Menge.
»Oh, mein Gott, er ist es«, höre ich jemanden flüstern, als der Mustang mit brüllendem Motor auf den freien Parkplatz biegt und mit kreischenden Bremsen an der Startlinie zum Stehen kommt.
Mein Herzschlag setzt aus, und ich nehme wieder Platz.
Und da ist er.
Der Typ springt durch sein offenes Fenster aus dem Wagen, und ein anderer begrüßt ihn mit einem Schlag auf den Rücken. Er hat sich umgezogen, trägt jetzt Bluejeans – er hat tonnenweise Muskeln am Leib –, dazu ein langärmliges weißes Shirt.
Racer fährt sich mit der Hand durch sein schwarzes Haar, das zerzaust ist, als wäre er gerade erst aufgewacht, dann grinst er und lässt den Blick über die Menge schweifen.
Ich verspüre den Drang, mich zu verstecken – aber irgendwie bin ich nicht schnell genug. Bevor ich weiß, wie mir geschieht, haben mich seine blauen Augen unter den Zuschauern entdeckt.
Er starrt mich nur an, seine Hände hängen untätig an seinen Seiten herab.
Mich hier zu sehen scheint sehr interessant für ihn zu sein, und während er mich anschaut, kneift er die Augen zusammen und seine Lippen verziehen sich kaum merklich, als freue er sich über meine Anwesenheit.
Alle rufen seinen Namen: »Racer.«
Die Mädchen kosten es aus, ihm mit den Fingern über die Brust zu streichen, während ich die Hände zu Fäusten balle. Es gefällt mir nicht, aber ich weiß nicht, warum. Ich frage mich, was er wohl tun würde, wenn ich ihm verraten würde, wer ich bin.
Er sieht eigentlich nicht so aus, als hätte er es auf eine Einzige von ihnen abgesehen. Aber ihre unverhohlene Gier ärgert mich. Ich habe einen Jetlag, bin ungeduldig und ein wenig eifersüchtig auf diese Frauen, die so gar keine Probleme damit zu haben scheinen, ihn zu betatschen.
Er schiebt demonstrativ die Hände in die Taschen und sieht mich unter seinen dunklen Wimpern unaufdringlich an, so dezent, dass ich nicht verstehen kann, warum es mich so sehr überwältigt, seinen Blick auf mir ruhen zu spüren.
Ich frage mich, ob dieser Kerl wirklich ist, was ich brauche, und Zweifel machen sich in mir breit. Ich werde seine Ernährung im Auge behalten müssen; er besteht ganz und gar aus Muskeln, aber wenn ich will, dass er in unsere Kelsey passt, darf er kein Gramm mehr zunehmen.
Er macht Anstalten, sich durch die Menge einen Weg zu mir zu bahnen.
Ich zupfe ein wenig an meiner Bluse. Ich fühle mich irgendwie nackt und muss mich daran erinnern, dass ich von einer durchaus anständigen Menge Stoff bedeckt bin.
Sein intensiver Blick senkt sich zu meinem Bauch herab, in dem sich sogleich eine ganze Schar von Schmetterlingen regt. Das ist wirklich so was von unangemessen, Lana …
Er verströmt eine derart irrsinnige Menge Testosteron, dass uns wohl allen Muskeln wachsen würden, wenn wir uns in einem geschlossenen Raum befänden.
Im Näherkommen beginnt er zu lächeln.
»Was haben wir denn hier? Sind heute Rollenspiele angesagt? Lehrerin als Schlampe …«, sagt jemand und spielt damit auf mein bauchfreies Top und meinen langen Rock an.
»Sie ist keine Schlampe«, zischt er wütend.
Er bleibt vor mir stehen. Die abschätzige Bemerkung lässt ihn die Stirn runzeln, aber zugleich verschlingt er mich mit seinen Augen.
Verschlingt mich komplett mit einem einzigen Blick.
Ich trete zögernd einen Schritt vor.
»Bist du bereit für das Rennen deines Lebens, Alana?«, fragt er. Sehr schroff, sehr männlich.
Seine Augen … Ich verspüre den Drang wegzuschauen, aber ich kann nicht, als hielten seine Augen meine gefangen. Ihre Farbe ist ein Wirbel von Blau und Grau mit schwarzen Einsprengseln, aber vor allem sind sie elektrisierend blau. Ich fühle mich immer noch genauso unbehaglich wie einen Sekundenbruchteil zuvor. Dabei handelt es sich nur um einen Blickkontakt; es ist im Grunde gar nichts. Ich sehe weg, und er tritt einen Schritt zurück, und ich tue es ihm gleich. Er lehnt sich zurück und blickt mich an.
»Du bist spät dran«, ist alles, was ich herausbringe, und schon jetzt spüre ich, dass ich Unpünktlichkeit nicht dulden werde, sollte er jemals in meinem Team arbeiten.
Er sieht mich wortlos an, dann legt sich ein belustigtes Lächeln um seine Lippen. Er geht zu seinem Wagen hinüber und wirft mir noch einen Blick zu, bevor er einsteigt.
Mir hat es beinahe den Atem verschlagen, und um meinen Verstand steht es offenbar nicht besser, denn ich reagiere wirklich seltsam auf diesen Mann. Er ist einer, der mit jeder in die Kiste steigt, und noch dazu ein Gesetzesbrecher, und trotzdem stehe ich hier. Immer noch. Höre, wie er seinen Wagen startet und auf Touren bringt, und frage mich, wie er es wohl schafft, auch mich derart auf Touren zu bringen.
Fünf Minuten zuvor …
Ich höre die Sirene, lange bevor die Lichter des Streifenwagens in meinem Rückspiegel rot und blau aufblitzen.
Ich bin ein verdammter Idiot. Wie hatte ich glauben können, dass ich diesmal damit durchkommen würde?
Ich atme knurrend aus, fahre irgendwo in den Außenbezirken von St. Petersburg an den Straßenrand und halte an. Drehe die Musik leise und trommle mit den Fingern auf das Lenkrad, während ich im Rückspiegel zusehe, wie der Bulle seinen Gürtel zurechtrückt und zu mir herüberkommt. Arschgesicht, mach, dass du endlich herkommst.
Der Typ weiß wahrscheinlich, dass ich es eilig habe (ich habe die Höchstgeschwindigkeit um fast fünfzig Stundenkilometer überschritten), und jetzt lässt er sich gottverdammt viel Zeit. Verärgert und fest entschlossen, ihn nun meinerseits zu ärgern, lasse ich mir ebenfalls Zeit, als er sich vor meinem Fenster aufbaut. Nach einer Weile betätige ich dann langsam den Knopf und lasse die Scheibe herunter. Ich nehme an, ein Grinsen im Gesicht ist nicht die beste Art, um einen Bullen zu begrüßen, aber ich kann es mir verdammt noch mal nicht verkneifen, weil er mich jedes Mal anhält, wenn meine Reifen irgendwo hier in der Gegend gesichtet werden.
»Führerschein und Fahrzeugpapiere, Tate«, verlangt er.
»Sie wissen sehr gut, dass ich beides habe.«
»Ja, aber ich will sie mir eben noch mal ansehen.«
»Zum zwölften Mal? Ich muss auf meinem Führerscheinfoto ja wirklich hübsch aussehen.«
»Seien Sie kein Klugscheißer, Tate«, brummt er.
Ich nehme die Hände vom Lenkrad, greife ins Handschuhfach nach meiner Brieftasche und reiche ihm dann die geforderten Papiere.
»Führen Sie womöglich wieder Dummheiten im Schilde, Tate?«
»Nicht unbedingt.« Ich grinse.
Er führt das gleiche Spielchen auf, das wir immer spielen – checkt die Papiere, schnalzt mit der Zunge und schüttelt den Kopf.
Ich ziehe einen Hundertdollarschein heraus, stecke ihn zwischen Zeige- und Mittelfinger und halte ihn zum Fenster hinaus.
»Vielleicht wollen Sie sich für die nächste halbe Stunde statt meiner ja lieber mal ein Bierchen vornehmen. Ach, machen Sie besser gleich eine Stunde draus. Und laden Sie ein paar ihrer Kumpels ein. Geht alles auf mich.«
»Mann … Sie lassen es wirklich drauf ankommen.« Er steckt das Geld ein. »Sie sollten es lieber nicht so eilig haben, in die Kiste zu springen.«
»Nein, nein. Ich bin unsterblich.« Ich grinse wieder.
Er lacht, dann bedenkt er mich noch mit einem grimmigen Blick und geht von dannen. Ich jage den Motor hoch und sause mit quietschenden Reifen davon, wechsle die Gänge, während ich auf der schmalen Straße davonbrause, werfe einen Blick auf die Uhr und steige nur noch mehr aufs Gaspedal. Zwei Minuten bis zum Rennstart und immer noch etliche Kilometer vor mir.
Ich lege noch einen Zahn zu – ich habe mir noch nie so sehr gewünscht, an einem Rennen teilzunehmen, wie heute. Weil sie da sein wird. Ich spüre es in den Knochen, und ich will sie wissen lassen, wer zum Teufel der beste Fahrer der Welt ist.
Verdammt noch mal, ich und kein anderer.
Ich biege auf den Parkplatz ein, wo die übliche Meute versammelt ist und alle sofort regelrecht strammstehen, als sie meinen Wagen vorfahren sehen.
Sie kreischen und winken.
Prestons Wagen steht schon da – bereit.
Ich parke meinen daneben und schlüpfe durchs Fenster hinaus.
Adrenalin braust mir durch die Adern.
Ich sehne mich nach diesem Scheiß. Es ist in meiner DNA, steckt tief in meinen verdammten Knochen. Ich brauche das wie die Luft zum Atmen. Ich brauche es, so wie ich ein Herz brauche.
»Tate?«
Ich suche die Menge nach ihr ab. Konnte die ganze Zeit über nicht aufhören, an sie zu denken. Ich wollte sie ebenso inständig hier haben, wie ich das Rennen fahren will. Verdammt, wo ist sie?
Ich höre Henley näher kommen.
»Tate? Bist du so weit?«
Ich entdecke Preston auf der anderen Straßenseite, umlagert von Mädchen, ein Glas in der Hand.
»Das ist jetzt schon sein drittes«, eröffnet mir Henley.
Ich halte weiter nach ihr Ausschau, und plötzlich sehe ich ein Fleckchen hellbrauner Haare und grüne Augen.
Sie starrt mich an.
Irgendwie gefällt mir das.
Weibliches Begehren ergreift meinen Unterleib und streichelt mich. Sie wollen mich. Schnurren mir ins Ohr.
»Ein wenig Entspannung vor dem Rennen, Tate?«, flüstert eines der Mädchen.
Ich spüre, wie meine Mundwinkel nach oben zucken. Nein, ich antworte nicht. Meine Gedanken sind jetzt ganz beim Rennen.
Aber meine Augen …
Meine Augen sind auf sie gerichtet.
Honigfarbenes Haar, hellgrüne Augen, ein gottverdammter feuchter Traum. Meine Muskeln spannen sich an, ich bin bereit. Aber zuerst muss ich zu ihr gehen. Mein Herz hämmert, als ich mir vorstelle, wie ich sie als meinen Preis fordere, wie sie unter mir dahinschmilzt, wie ich ihren Mund unter meinem schmecke und sie mir all die bevorzugten Stellen ihres Körpers zeigt, sodass mein Mund ihnen ein wenig liebende Fürsorge zukommen lassen kann, ganz so wie ich das mag.
»Was haben wir denn hier? Sind heute Rollenspiele angesagt? Lehrerin als Schlampe …«, höre ich irgendein Arschloch sagen.
»Sie ist keine Schlampe«, knurre ich verärgert und drängle mich zu ihr durch, während sie mich mit großen Augen ansieht, zugleich interessiert und besorgt.
Ich habe sie gewarnt, ihr gesagt, sie solle sich fernhalten; sie hätte auf mich hören sollen. Aber jetzt ist sie hier, und ich bin so was von bereit, sie um den Verstand zu vögeln, dass ich sie jetzt schon auf den Lippen schmecken kann. Sie mit meinen Händen spüre.
»Bist du bereit für das Rennen deines Lebens, Alana?«, frage ich mit schroffer Stimme.
Ich habe einen Ständer, und der gilt ihr.
Mein Schwanz schwillt bei Geschwindigkeit an, ja, er wird mir immer hart, wenn ich Rennen fahre, aber so prall ist er noch nie gewesen.
Sie kneift die Augen zusammen und denkt darüber nach.
»Du bist spät dran«, sagt sie dann mit ihrem prinzessinnenhaften, herrischen Tonfall, der mich irgendwie anmacht.
Ich lächle nur, während sie zusieht, wie ich mich auf den Weg zu meinem Wagen mache.
Ich berste vor Testosteron und bin so aufgedreht wie jedes Mal vorher, und wenn ich mit dem Rennen fertig bin, werde ich von meiner Kraft und Energie förmlich high sein.
Ich werde sie heute Nacht vögeln, wie sie noch nie zuvor gevögelt worden ist.
Lautlos gehe ich zu meinem Mustang. Sie hat ihm eine Schramme verpasst, und ich habe es ihr wahrscheinlich wegen heute Abend durchgehen lassen. Weil er noch unzählige weitere Schrammen haben wird, wenn ich hier fertig bin. Und auch deshalb, weil sie so müde ausgesehen hat, so müde und erledigt und ungefähr so anrührend wie ein Vogel mit einem gebrochenen Flügel.
Dutzende von eiligen Schritten folgen mir, als ich meinen Mustang erreiche.
»Oh verdammt!«, rufen die Mädchen.
»Gib mir mal deine Kamera«, sagen die Männer.
Ja, sie sind voller Spannung und Vorfreude.
Weil ich gut bin. Weil niemand so gut ist wie ich.
Ich öffne die Fahrertür, steige ein, nehme Platz und warte auf den Kick, warte, dass er die Leere füllt, die immer weiter in mir wächst, was ich auch tue – was mich total ankotzt. Nichts befriedigt mich, nichts erfüllt mich, das ist eben der Fluch, den es bedeutet, ein Tate zu sein – ein Fluch, den ich von meinem Vater geerbt habe.
Doch ich habe das hier.
Und plötzlich bin ich völlig aufgedreht, weil ich heute Abend sie haben werde.
Neben mir schmeißt Preston seinen Wagen an, und wir lassen beide die Motoren heiß laufen.
Ich lasse den Blick zufrieden über meinen Wagen gleiten – nicht nur, weil er so gut aussieht, sondern auch wegen all der Dinge, die er zu leisten vermag.
Er ist eine große rote Masse mit schwarzen Sitzen. Vierhundert PS. (Ich habe einige Modifikationen vorgenommen, um ihn entsprechend aufzurüsten.) Eine Schönheit. Die es jetzt kaum erwarten kann, endlich loszulegen.
Ich verändere meine Position, fahre zwei Zentimeter näher an die Startlinie heran – gehe neben ihm in Stellung.
Ich spüre, dass er mich anschaut, erwidere seinen Blick und schenke ihm mein freundlichstes Leck-mich-Lächeln. Zehn … beginnt der Countdown.
Neun …
Acht …
Sieben …
Sechs …
Fünf …
Vier …
DREI …
ZWEI …
EINS!!
Das Quietschen von Reifen auf Asphalt. Pedal auf Metall, der Sitz vibriert unter mir, als ich das Gas durchtrete. Erst mal einfach ganz locker – und dann schnurrt der Wagen wie eine Katze. Ich schalte in den nächsten Gang, düse die schmale Straße entlang und beschleunige weiter, stemme, als ich erneut den Gang wechsle, meinen Fuß noch fester aufs Gaspedal.
Wir liefern uns ein Kopf-an-Kopf-Rennen.
Ich erreiche hundertsechzig Stundenkilometer. Zweihundert. Zweihundertvierzig.