Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Familien gibt es, seit es die Menschen gibt. Diese Geschichte einer Familie aus den 60-er Jahren liest sich zuerst wie eine ganz normale Familiengeschichte. Es sollte ein Schlüsselroman werden, weil es von Menschen handelt, die es zum Teil tatsächlich gibt oder gab. Wie in allen Familien wird auch in dieser Familie gelogen, dass sich die buchstäblichen Balken biegen. Als Kind wird man zwar erzogen, nicht zu lügen. Das Erwachsene sich oft nicht an das halten, was sie selber predigen, merken die Kinder auch ganz schnell! Natürlich hat auch diese Familie dieses berüchtigte schwarze Schaf in ihrer Mitte. Eben, unter jedem Dach ein: "Ach!" Aber heisst es nicht schon in der Bibel: "Wer ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein!" Und so wurde aus der Familiengeschichte ein Krimi! Ein Krimi, der auch das perfekte Verbrechen sucht! Am Ende des Buches wird erst klar, wer denn nun eigentlich wirklich das schwarze Schaf dieser ehrenwerten Familie ist! Was in diesem Buch wahr ist, hinzugefügt wurde, oder weggelassen, dass weiß eigentlich keiner mehr so genau. Ganz nach dem Motto: "Und wenn es nicht die Wahrheit ist, so ist es doch gelogen!"
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 311
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Die in diesem Buch genannten Namen, Personen und Tiere sind frei erfunden. Lediglich die Orte gibt es. Ob sie allerdings in den Zusammenhängen aufgesucht wurden, wäre rein zufällig. So verhält es sich auch mit Ähnlichkeiten von Lebenden oder Toten.
Der besseren Lesbarkeit geschuldet verzichte ich auf jegliche gendersprachlichen Ausdrucksformen. Selbstverständlich sind sämtliche Lebensformen berücksichtigt.
Dieses Werk ist ausschließlich von mir erdacht, ohne zur Hilfenahme von KI-Unterstützung.
Familie…
lat.: Gesinde…
„...die Familie beruht im Wesentlichen auf Verwandtschaftsbeziehungen…“
(aus Wikipedia)
Dies ist ein Buch über eine Familie. Keine Familie, wie die Ewings aus Dallas, so reich sind wir nicht. Oder die Waltons, aus der alten, bekannten Familienserie. So arm waren wir nun auch wieder nicht. So etwas dazwischen. Etwa wie die Cartwrights aus Bonanza, nur mit Frauen. Es ging uns gut, bis auf… und da beginnt das Buch. Bei diesem: „Bis auf…“. Aber keine Angst, es ist ein Buch über eine ganz normale Familie, die von den Ende 60er Jahren bis jetzt erzählt. Da sind die Eltern, meine Großeltern, die durch Kriegsgeschehen getrennt waren. Meine Oma, auf der Flucht, mit ihren ersten beiden Kindern, dem älteren Bruder von Mama, und Mama an der Hand. Auf dem Weg nach Niedersachsen, zu ihrer Schwiegermutter auf den Hof. Nach und nach kamen die anderen Geschwister von Mama zur Welt. Da war der Krieg zu Ende und Opa kam aus der Gefangenschaft zurück. In Niedersachsen spielt sich auch das Ganze ab.
Die Geschichte an sich fängt mit meiner Geburt an, in den 60-er Jahren. Da war der jüngste Bruder von Mama gerade zwei Jahre alt. Also, ehrlich gesagt, waren wir doch nicht so ganz diese „ganz normale“ Familie! Wer ist denn schon mit zwei Jahren Onkel!
Zwar ähneln wir uns alle ein wenig: Wer kennt das nicht, dass die Oma kurz nach der Geburt des Kindes sofort die Ähnlichkeit mit Tante Lisbeth erkennt, obwohl man als Mutter des Babys eher die Lieblingsschwester heraussieht! Beim nächsten Nachwuchs, dem Jungen, ist es da doch ganz einfach: Der Opa! Obwohl…, vielleicht kommt er doch eher nach Fritz? Ja, ganz klar! Oder nee, doch Onkel Helmut, diese Stirn, dieser Gesichtsausdruck! Später dann, wenn die Kinder größer werden, und sich vielleicht doch einige Charakterzüge von dem Uropa herausstellen, oder dem schrägen Onkel Heinrich, der nicht immer alles so genau genommen hat, gerade deshalb der beliebteste in der Familie war.
Wenn man diese Zugehörigkeiten genau betrachtet, dann ist wohl von Jedem etwas in uns. Wie in einem guten Backrezept, eine Prise hiervon, ein Quäntchen davon. Zwar ist keiner perfekt, und doch einzigartig. Diese Mischung von Menschen, die miteinander verwandt sind, einige Zeit sich gegenseitig begleiten, auf dem Weg zum Erwachsenensein, ob sie wollen oder nicht, sind die Grundidee zu diesem Buch.
Es sollte ein Schlüsselroman werden, weil es von Menschen handelt, die es zum Teil tatsächlich gibt, oder gab. Ähnlich wie bei den „Buddenbrooks“. Nur, wir sind nicht so berühmt geworden, dass wollten wir auch nicht!
Und wie in allen Familien wird auch in dieser Familie gelogen, dass sich die buchstäblichen Balken biegen. Zwar kriegt man schon als Kind anerzogen, dass man nicht lügen soll. Aber, wenn man allein der Statistik glaubt (die man nicht selber gefälscht hat), dann lügen mindestens 60% der Menschen jeden Tag. (Quellen nenne ich jetzt nicht, das Buch soll keine Trilogie werden, man kann es einfach Googlen!)
Genauso, wie in jeder Familie, kristallisiert sich auch bei uns dieses berüchtigte schwarze Schaf heraus. Eben, unter jedem Dach ein: „Ach!“ Heißt es nicht schon in der Bibel: „Wer ohne Schuld ist, werfe den ersten Stein!“ (Wurde die Bibel nicht auch schon mehrmals kopiert, wieviel Fehler sind, denn da beim Kopieren…, aber das führt jetzt zu weit!)
Erst beim Schreiben ist mir klar geworden: Das ist gar keine Familiengeschichte, das ist ein Krimi, den du hier schreibst! Und wie jeder Krimiautor, bin auch ich auf der Suche nach dem perfekten Verbrechen! Und so wird am Ende des Buches erst klar, wer denn nun eigentlich wirklich das schwarze Schaf, dieser ehrenwerten Familie ist!
Was in diesem Buch wahr ist, oder hinzugefügt wurde, oder weggelassen, dass weiß eigentlich keiner so genau, denn heißt es nicht auch im Volksmund: “Und wenn es nicht die Wahrheit ist, so ist es doch gelogen!“
Wer zur Generation der 60er gehört, kennt noch die Familienserien wie die „Tetzlaffs“, „Die Wicherts von nebenan“, oder „Die Drombuschs“. Wenn man klein ist, braucht man sie (gemeint ist die Familie, weniger die Serien). Wenn man größer wird, immer weniger. Warum? Weil man inzwischen eine eigene Familie gegründet hat und einfach keine Zeit mehr bleibt, für die netten Gemeinheiten der lieben Verwandten, die man sich beim nächsten Treffen zum Kaffee anhören muss. Oder sich lächelnd gegenseitig die versteckten Beleidigungen oder Lästereien zu-schustert. Abgesehen von den kleinen Mitbringsel, bei denen jeder genau weiß, dass ich Mon Cherie hasse, während ich dann immer mit Ingwer-Stäbchen kontere. Wer beim Lesen: „Typisch!“, denkt, oder: „Kenn ich!“, der wird sich in diesem Buch wohlfühlen!
Das Grauen packt einen schon, wenn man wieder an den nächsten weihnachtlichen Familienmarathon denkt. Dann hetzt man wieder von Verwandtschaft zu Verwandtschaft, nur um sich mit Selbstgebackenem, oder mit den beim guten alten Schlachter bestellten Platten vollzustopfen. Begleitet von den ewig verlogenen Monologen der Geschwister, deren Angeheirateten oder Kindern: Wie gut es Einem doch geht, wie erfolgreich sie das Jahr über waren (trotzdem wird in Tupperdosen die Reste des Weihnachtsessen mitgenommen, um in den nächsten Tagen Geld zu sparen). Besonders wird dabei betont, welche Mühen sie sich extra gemacht haben, um das Geschenk für die Mutter oder den Vater zu besorgen. Das wurde in Wirklichkeit bei einem Billig-Versteigerer im Internet für ein Schnäppchen gekauft. Nur, das Wissen die „Alten“ ja nicht, weil sie kein Internet kennen. Sie kommen aus Zeiten der Pferdefuhrwerke und alten Bauernküchen. Als man für ein Weihnachtsessen noch tagelang in der Küche stand und nicht einfach im Internet bei einem Lieferservice bestellt hat. Als die Zeiten einfach besser waren. Oder sagen wir: Anders! Und jeder weiß auch, wie schwierig es ist, die eigenen Liebsten zu diesen Familientreffen zu kriegen, denn sie mögen den guten Onkel genauso wenig, wie er Kinder mag. Und mal ehrlich, am meisten nerven dabei die sinnfreien Erziehungsratschläge, von dem guten Onkel. Man fragt sich, woher der Onkel diesen Quell der Erfahrung sammeln konnte, wenn er gar keine Kinder hat! Denn, anstatt seine Zeit in die Familienplanung zu stecken, hatte man lieber die große Freiheit genossen. Jedes Wochenende wurde Party gefeiert, bis mittags ausgeschlafen, dann mit dem Motorrad ausgefahren, um den Restalkohol auszudünsten. Vor allem musste jedes Wochenende gesoffen werden, oft bis zur Bewusstlosigkeit, um sich selber zu beweisen, wie klug man das Leben doch meisterte, ohne Anhang, ohne Kinder. Getrunken wurde nicht etwa, weil man einen Schicksalsschlag verarbeiten musste, oder die Welt grundsätzlich gegen einen ist. Nein, es gibt Menschen, die trinken, weil es ihnen einfach zu gut ging! Man hat in der Jugend einfach nicht mehr den Absprung zum Erwachsenensein geschafft. Es war einfach so sehr zur Gewohnheit geworden, das Koma-Saufen am Wochenende. Keiner ist mehr rechtzeitig da gewesen, um das zu stoppen. Wenn einmal jemand versucht hat, dem guten Onkel ins Gewissen zu reden, um ihm klarzumachen, dass diese Zeiten der Partys und Koma-Saufens einfach nicht mehr zeitgemäß sind, weil man sich doch schließlich weiterentwickelt hat, dann wurde man übelst beleidigt! Daran merkt man, dass einige sich entwickelt haben, längst nicht alle! Also hörte man irgendwann einfach auf sich Sorgen zu machen, man will seine Familie glücklich machen, dabei hat man genug Abwechslung!
Oft beruht diese fehlende Empathie innerhalb der Familie dann aber auch auf Gegenseitigkeit. Als nächste Verwandte sitzt man selbst zwischen den Fronten und möchte eigentlich nur eines: Nämlich, mit den Liebsten ein paar gemütliche Weihnachtsstunden im engsten Familienkreis, am besten ohne die anderen Hyänen, verbringen. Aber egal, ob man Heiligabend, oder an den folgenden Feiertagen erscheint, irgendein Störenfried ist immer da! Ein Trost ist nur, dass es hier die Kekse gibt, die immer noch selbst gebacken sind. Die Ente, so lecker zubereitet, wie es nur Mamas oder Omas können, dass man darauf nicht verzichten möchte. Wann hat man denn noch Zeit so etwas zu kochen?! Also nimmt man das kleinere Übel in Kauf und schenkt sich und den Liebsten ein paar Stunden mit den lieben Verwandten. Aber, ach je, ich habe ganz vergessen, dass eine Familie immer zwei Seiten hat, bzw. dass man mit einer Heirat auch meistens eine ganze Familie neu dazubekommt. Und da muss man sich schließlich auch sehen lassen! Denn jetzt kommt der Rollentausch. Genauso wie mein Mann meine Familie nicht mochte, konnten mich einige aus der Familie meines Mannes nicht leiden, und auch das beruhte auf Gegenseitigkeit. Nur leider darf man sich das nicht so sagen, wie man möchte, dazu wurde man zu gut erzogen! Es handelt sich schließlich um Verwandtschaft, da kommen die „Nettigkeiten“ eben nur durch die Blume, es ist schließlich Weihnachten. Oder Ostern. Oder Mamas Geburtstag. Oder Papas. Oder der Geburtstag der Großeltern. Oder der Schwiegermutter, des Schwagers, der Schwägerin, und so weiter. Auf alle Fälle weiß man, dass man jetzt lieber woanders wäre als in dem Wohnzimmer, in dem man früher vom Bruder dauernd gepiesackt und verprügelt wurde, wenn gerade keiner guckte. Man selbst hatte ihm dafür seine Lieblings-Quartett-Karte versteckt, zum Beispiel in der Pisse des Hamsterkäfigs, den er nicht sauber gemacht hat, obwohl ihm das schon ein paar Mal gesagt wurde.
Das kommt Ihnen bekannt vor?! Na, dann hoffe ich, dass Sie ein paar nette Stunden mit diesen untypischen Waltons verbringen. Wenn ein heile-Welt-Buch, wie bei den Waltons, erwartet wird, in dem sich abends alle noch einmal liebevoll: „Gute Nacht!“ wünschen und sich auf den nächsten Tag freuen, um sich frisch geduscht beim Frühstück zu sehen, was die Mama oder Oma liebevoll hergerichtet haben, dann sollten Sie lieber die alte Serie gucken, denn in diesem Buch wird Familie, wie im richtigen Leben, beschrieben. Und, Hand aufs Herz: Jeder kennt doch das schwarze Schaf in seiner Familie! Ob es der Onkel ist, der heimlich Kinderpornos guckt, während er nach außen den Biedermeier mimt. Oder die liebe Tante, die gern den Postboten im Morgenmantel empfängt. Der Vater, der sich nach außen so gern als besorgter Vater darstellt, hinter verschlossener Tür aber nur seine Familie tyrannisiert, und Frau und Kinder schlägt. Oder der Bruder, der seinen eigenen Bruder tötet, (war das nicht schon in der Bibel so?!), und tut, als wäre es das normalste der Welt. Als hätte er der Menschheit damit auch noch einen Gefallen getan! Am Ende dieses Buches fragt man sich jedoch: Wer ist denn nun eigentlich das schwarze Schaf? Das liegt doch im Sinne des Betrachters! Zumindest wird eines klar: Das ist doch typisch Familie!
Kapitel 1 Ich kriege meine Familie
Kapitel 2 Ich ziehe bei meiner Familie ein…
Kapitel 3 Unerwünschter Besuch
Kapitel 4 Die Familie wird größer
Kapitel 5 Noch mehr Großeltern
Kapitel 6 Bernd wird eingeschult
Kapitel 7 Wer mit dem Feuer spielt
Kapitel 8 Wer mit dem Feuer spielt II.
Kapitel 9 Eine Frage auf die es keine Antwort gibt
Kapitel 10 Erstaunlich: Das Leben geht geht weiter, nur die Frage bleibt!
Kapitel 11 Die nächste Beerdigung: Wir werden weniger, oder … es trifft immer die Falschen!
Kapitel 12 Alle unter der Haube
Kapitel 13 Es trifft wirklich immer die Falschen
Kapitel 14 Wenn das Leben Schicksal falsch schreibt
Kapitel 15 Schlimmer geht doch immer
Kapitel 16 Nachschlag, bitte!
Kapitel 17 Alles wird gut! Wirklich alles?
Kapitel 18 Schlimmer geht immer!
Kapitel 19 Familienstreit, „über den Tod hinaus“
Kapitel 20 Sieht man sich wirklich zwei Mal im Leben?!
Kurz Vita
Da sich niemand aussuchen kann, wo er hineingeboren wird, musste ich auch vorlieb nehmen mit meiner Familie. Nicht dass es so schlecht war, in was ich mit meiner Geburt hineingeriet. Es war aber schon ein wenig schräg! Da war Mama, die zweitälteste von den Geschwistern in der Familie. Nennen wir sie Lisa. Zu der Zeit war es noch so, dass die älteren Geschwister auf die jüngeren aufpassen mussten. Ihr großer Bruder und sie waren dafür da. Außerdem mussten sie noch die Wäsche bügeln, den Tisch decken, das Geschirr wieder abräumen, abwaschen, die Wäsche strecken, ausbessern und einzukaufen. Die Wäsche strecken machte Mama immer mit Oma zusammen. Oma heißt Frieda. Oma war eine richtige Oma. So eine, die einem immer die Lieblingsgerichte kochte und erlaubte, dass man große, klebrige Sachen essen durfte, die dann die ganze Wäsche einsauten. Dass es die Wäsche war, die meine Mama waschen musste, wusste ich damals noch nicht, sonst hätte ich ganz bestimmt nur trockene, krümelnde Kekse gegessen.
Für das Staub saugen und durchwischen war Friedrich zuständig. Mamas großer Bruder und damit natürlich auch der anderen Geschwister. Ich habe mir immer einen großen Bruder gewünscht, aber Brüder liegen ja nicht unter dem Tannenbaum, oder im Osternest und da Mama genug Geschwister hatte, wollte sie alles andere als eine große Familie. Sie war mit ihrer kleinen Familie glücklich. Oder auch nicht?! Gefragt habe ich sie nie.
Aber lesen wir erst einmal weiter den Stammbaum dieser ehrenwerten Familie durch, um uns ein Bild zu machen, in was ich bald hineingeboren werde. Denn auch im späteren Leben waren es immer wieder die Dinge, in die ich hineingeriet, als dass ich irgendwelche (schlimmen) Sachen selbst in Gang setzte. Mit meinem Leben war ich eigentlich ganz zufrieden und es ruckelte sich schon „all’ns t’recht“, wie Opa immer sagte, nicht ohne dieses, für seine Heimat typische: „‘tschä!“, vorwegzusagen. Das traf aber nicht unbedingt in meinem Leben zu, bei dem es immer wieder mal anders gerät, nur eben nicht t`recht, da musste ich dann schon selber ruckeln, ähnlich einer verklemmten Schublade in der Kommode: Ohne ruckeln, geht sie nicht richtig zu! Andererseits hatte ich manchmal auch keine andere Wahl, sonst ging diese Schublade nie wieder auf!
Aber nun erst einmal weiter mit der Familie: Also, da ist Mamas ältester Bruder Friedrich. Ein schlauer, ruhiger Kopf, der nie viel redete. Aber wenn er einmal anfing über etwas zu reden, wovon er wirklich Ahnung hatte, dann konnte man anschließend auch das Fach studieren. Denn was Friedrich erzählte, war stets auf den Punkt gebracht. Wenn nötig, konnte er sogar die Quellen, mit richtigem Paragrafen und der richtigen Buchseite nennen. Das war einer meiner Lieblingsonkel, eben weil er so ruhig war. Später als ich älter war, dachte ich manchmal (und andere bestimmt auch), dass er in bestimmten Situationen lieber etwas mehr hätte sagen sollen, aber gerade dann war er lieber ruhig. Genau wie Opa, Oma, Mama und ich, mochte auch er keinen Streit. Friedrich hat oft mit mir Mensch-ärgeredich-nicht gespielt und Frage- und-Antwort-Spiele. Weil Friedrich nie geschummelt hat, war er mein liebster Spielkamerad für solche Spiele, die ich auch heute noch gern spiele.
Mama und Friedrich mussten immer im Haushalt mithelfen. Für das Durchfegen, Staub wischen und den ganzen Papierkram erledigen, war Friedrich da. Und bei unserer großen Familie war es manchmal sehr viel Bürokram. Aber mit Opa zusammen, der sogar noch jeden Tag ein Haushaltsbuch führte, haben Friedrich und Opa das gut gemanagt. Und genau das wurde dann auch sein Beruf. Der konnte sich mit größter Geduld, mit den noch so sturen Beamten in den Behörden, oder Versicherungen, beschäftigen: Am Ende hatte er immer die besseren Argumente! Beim Haushalten wechselte er sich mit Mama ab. Mama war immer gern mit Friedrich zusammen. Er hat ihr auch viel bei den Hausaufgaben geholfen, denn er hatte in der Schule den Lernstoff ja schon gehabt. Als Friedrich erwachsen war, ist er zum Bund gewesen, hat die Offizierslaufbahn eingeschlagen und ist nach dem Studium dann schließlich in einem kleinen Dörfchen im Rathaus gelandet. Mama und er waren eigentlich die Einzigen, die richtig was aus ihrem Leben gemacht haben. Auch ohne viel Worte. Während die anderen…, aber na ja, am besten lesen Sie selber weiter.
Als nächstes ist Peter an der Reihe, zwei Jahre nach Mama geboren. Der mittlere Bruder. So ganz das Gegenteil aller anderen Geschwister. Peter habe ich nur als denjenigen mit dem lautesten Organ in Erinnerung. Im Gegenteil zu meiner Mutter und Friedrich, hat er sich weder um den Haushalt noch viel um andere, und schon gar nicht um mich gekümmert. Er war sich selber immer am liebsten und am nächsten. Wenn er im Mittelpunkt war, war Peters Welt in Ordnung. Und war er einmal nicht im Mittelpunkt, dann sorgte er schon dafür, dass sich das schnell änderte! Wenn Peter zu jemandem nett war, dann steckte immer eine bestimmte Absicht dahinter. Der war nur nett, um irgendwelchen Nutzen daraus zu ziehen. Wenn er dann das Wissen von anderen hatte, dann hat er den Vorteil ausgenutzt, um anderen dann zu Schaden. Peter konnte immer mit irgendwelchen Weisheiten, die er sich aus Zeitschriften, Büchern, von anderen, und später aus dem Internet herholte, prahlen. Wir kennen alle diesen ewigen Klugscheißer, die keiner wirklich braucht! Aber wenn man sie nicht als Nachbarn hat, dann gewiss als Kollegen! Nun hatten meine Mutter und Friedrich den als Geschwister! Wissen, was keiner brauchte, oder hören wollte, dass kam von Peter. Waren alle Vorteile ausgeschöpft, wurde der Mensch entsorgt. Das heißt, er hat sich einfach nicht mehr gekümmert. Aber zum Studieren hat die Schlauheit dann doch nie gereicht. Damit konnte ich ihn immer prima auf die Palme bringen, wenn er einmal wieder einen seiner blöden Sprüche, meistens wegen meiner unehelichen Herkunft, machte. Das machte er aber nur, wenn Oma oder Opa das nicht hören konnten. Die anderen Geschwister, auch Mama, waren ihm sowieso egal, wenn sie zufällig doch sowas hörten und ihn baten solche Beleidigungen zu lassen, behauptete er grundsätzlich, dass sie sich verhört hätten. Alle doof, außer mir! War sein Motto!
Studiert haben in meiner Familie die wenigsten. Außer Friedrich und eine Cousine, die Tochter von Mamas Schwester, aber die zähle ich nicht zur Verwandtschaft, weil wir einfach zu wenig Kontakt miteinander hatten. Dafür hat Valerie dann gleich so lange studiert, das hat für uns alle mitgereicht!
Peter hat es zumindest bis zur Realschule geschafft, und ist nachher in die Lehre als Großhandelskaufmann gegangen, genau wie ich. Sehr erfolgreich war er allerdings darin nicht lange, ich glaube, ich habe mich da im Büroberuf länger gehalten als er. Das hatte auch nur mit seiner lauten, oberschlauen Art zu tun, weil er damit dauernd bei den Chefs angeeckt ist. Welcher Chef will auch schon dauernd hören, dass man die einzige Lösung zum Problem hat. Wenn das Problem nach Peters Tipps aber größer wurde, waren natürlich die anderen schuld. Peter nutzte wie immer andere Menschen nur als Projektionsfläche für das eigene Versagen. Einige Zeit habe ich diese Art der zwischenmenschlichen Diskussionen mit Chefs, auch mal ausprobiert, als das aber nicht gut angekommen ist, habe ich es gelassen. Ich bin nicht Peter! Dem Chef erzählen, dass man bald auf seinem Stuhl sitzt, kommt eben nicht gut an!
Ein Streit mit Peters Vorgesetztem ging sogar mal so weit, dass Peter gekündigt wurde, aber trotzdem seinen Schreibtisch einfach nicht verlassen hat! Der hat über drei Jahre auf „Recht auf Arbeit“ geklagt! Dann hatte er sein Büro und seinen Schreibtisch über drei Jahre, mit Telefon auf dem Schreibtisch, was nicht angeschlossen war, damit Peter den Kunden bloß keinen Stuss mehr erzählen konnte. Drei Jahre ist er jeden Morgen ins Büro gegangen und abends wieder nach Hause, ohne eine echte Aufgabe zu haben. Es war natürlich eine Frage der Zeit, bis er dann doch mal einen Fehler gemacht hatte. Er rief von einem Nebenapparat im Büro zu Hause an, um seine Frau zu kontrollieren, und hatte somit ein Privatgespräch „gestohlen“, dann war er endgültig raus aus der Firma! Jetzt war Peter arbeitslos und hat mit dem Arbeitsamt „rumgezickt“. Typisch für Ämter, haben die sich das nicht gefallen lassen, und ihn dafür erst einmal „in den Osten“, in eine Fabrik geschickt. Das hat Peter ein halbes Jahr durchgehalten, dann aber wieder aufgehört, weil er die Trennung von seiner Familie (angeblich) nicht ertragen hat. In der Zeit tauchte er immer bei Oma auf, um Mitleid zu kriegen. Der Ärmste! Zu der Zeit sah er immer wie ein völlig abgerissener Obdachloser aus. Regelmäßig berichtete er über das Arbeitsamt und ach, wie übelst er dort behandelt wurde, die Kürzungen vom Arbeitslosengeld, weil er nicht zu Terminen erschien, was ihn noch ruinieren würde. Und schon hat Oma ihr Portemonnaie gezückt und ihrem armen Sohn einen Hunderter geschenkt, damit er über die Runden kommt. (Seine Frau hat gutes Geld im Büro verdient, sie haben im Haus der Schwiegereltern, ohne Miete zu zahlen gelebt, und er hat ständig an der Börse spekuliert: So „Arm“ war der „arme Junge“ also gar nicht!) Ich habe nur mit den Augen gerollt und Grimassen geschnitten, wenn ich sein Gejaule mitgekriegt habe. Meistens hat mir das aber auch gleich blaue Flecken eingebracht, wenn Oma nicht guckte.
Seine Familie, war, glaube ich, ganz froh, und hat wahrscheinlich die Ruhe zu Hause ohne ihn genossen, als er die Woche über im Osten war! Natürlich hat dieser Schaumschläger dann einen willigen Gutachter gefunden, der ihm dann endlich ein „wohlwollendes“ Gutachten geschrieben hat, um dem Arbeitsleben endgültig den Rücken zu kehren.
Die Tipps dafür hat er von seinem Schwager bekommen: Der brauchte auch schon mit Mitte fünfzig nicht mehr regelmäßig zur Arbeit zu gehen! Nur das Arbeiten am Wochenende ging noch ganz gut, in den nächsten 10 Jahren. Hauptsache die Krankenkasse zahlte den Tarif!
Man kann sich vorstellen, dass die Leute in der Fabrik im Osten froh waren, als Peter wieder weg war. So konnten sie sich endlich mal wieder in Ruhe unterhalten, ohne die ständigen schlauen Zwischenkommentare von Peter! Klugscheißer kann nun mal keiner leiden!
Nach ein paar erfolglosen Nebenjobs hat Peter dann nebenbei im Internet mit Börsenpapieren gehandelt. Am Anfang hat er damit wohl auch ein paar Mal Gewinn gemacht. Dann aber eher immer wieder verloren. Vor allem das Geld anderer. Da war er dann erst mal ruhig. Dauerte aber nicht lange, dann bekam er Frührente, mit der Diagnose „Rücken“, oder war es „Knie“?! Ich hörte da immer nicht so genau zu. Nun war er wieder obenauf. Denn jetzt hatte er ja viel Zeit zum Lesen! Die arme Familie, jetzt hatten sie den Quarkbüddel den ganzen Tag zu Hause! Peter ist immer der Bruder in der Familie gewesen, der vorgeschickt wurde, wenn man jemanden abwimmeln musste oder wollte. Der hat denjenigen dann so lange in Grund und Boden geredet, bis dem anderen die Argumente ausgingen. Oder er hat sogar Schlimmeres gemacht. Aber wir sind ja keine Petze! Sonst wären wir ja wie Peter!
Wo Schatten ist, ist auch immer Licht! Und so gab es zu Peter genau das Gegenteil! Das war mein Aller-allerliebster Onkel Alex! Wenn ich an ihn denke, muss ich immer lächeln. Dieser Mann hat Sonne und Lachen in unser Leben gebracht. Was der immer für Einfälle hatte, um uns zum Lachen zu bringen! Wenn wir am Tisch saßen zum Abendbrot, dann brauchte er mich nur ansehen und wir kicherten los! Der konnte aus Brot und Butter eine Geschichte machen! Auch in verschiedenen Dialekten. Und wenn die Wurst dabei störte, hat er die einfach aufgegessen! Der stand fröhlich auf, ging singend durch den Tag und schlief lächelnd ein. Zu jedem Menschen war er freundlich. Aus jedem Ding konnte er Musik herausholen. Ob er den Löffelblues gespielt hat, oder mit Backpinsel und Küchensieb getrommelt hat, er war der Mensch, der bei strömendem Regen, ohne Regenschirm, pitschnass: „Singing in the rain“ gesungen hat. Aus jeder schlechten Situation hat er das Beste gemacht.
Aber auch das Licht hat seine Schattenseiten! Wenn man denkt, dass so ein lieber Mensch keine Feinde hat, täuscht man sich in den Menschen! Den größten Feind hatte Alex in Peter! Der konnte ihn überhaupt nicht leiden und hat ihm das Leben schwer gemacht, wo er nur konnte. Dem ist Alex aber nur mit Ironie oder Ignoranz begegnet. Vor allem seine ruhige Art, als würde er das alles hinnehmen, konnte Peter zur Weißglut bringen. Darüber hat Alex nur gelacht!
Leider hat das Leben es nicht so gut mit Alex gemeint. Als er erwachsen wurde und einen Beruf lernen sollte, hatte Alex mehrere Hürden zu überwinden. Er wollte gern Elektriker werden. Nach kurzer Zeit hat er festgestellt, dass er ausgerechnet blau-rot Sehschwäche hatte. Er war handwerklich sehr begabt, und hat schon viel vor Beginn der Ausbildung rumgebastelt und repariert. Alex brauchte sich nur kurz den Schaden ansehen, dann konnte er das reparieren: Ohne Ausbildung, ohne Internet (gab es da noch nicht), er war einfach begabt!
Ganz im Gegenteil zu Peter, der keinen Handschlag umsonst gemacht hat. Heute wäre Alexes Sehschwäche kein Problem mehr, es gibt so viele verschiedene Farben bei Kabeln, da hätte er ja auch Unterhaltungselektroniker oder IT-Techniker werden können.
Also ist Alex in eine Bäckerlehre gewechselt. Was der alles backen konnte und wie das schmeckte! Am liebsten mochte ich seine lustigen Teigtierchen. Mit jedem Teigtierchen konnte er eine Geschichte erzählen. Dabei hat er jeden Teig zum Sprechen gebracht. Aber schon nach ein paar Wochen bekam er die bei allen Bäckern bekannte und gefürchtete Mehlkrätze. So war seine Karriere als Bäcker auch wieder vorbei. Dann ist er in einen Einkaufsmarkt gegangen und ist Verkäufer geworden. Ob er glücklich war, weiß ich nicht, er hat aber in jeder Aufgabe eine Herausforderung gesehen, das habe ich ihm abgeguckt!
Woran ich mich gern erinnere, ist, dass er mir immer diese kleinen Kirschlutscher mitgebracht hat, die mit den grünen Stielen. Die hat er immer in einer dreieckigen, gepunkteten Bonschentüte mitgebracht. Das habe ich geliebt! Dann war meine Welt rund, wie Kirschlutscher!
Wahrscheinlich, weil Alex und Peter so gegenteilig waren, hat Peter ihn immer wieder getriezt. Da waren die Gegensätze von Gut und Böse, wie so oft in einer Familie, dicht beieinander. Den Unterschied brauchte man bei uns gar nicht erklären, nur die Beiden eine Weile beobachten und man hat es sofort verstanden. Man hatte den Eindruck, dass Peter alle Menschen mit guten Eigenschaften nicht leiden konnte, weil er deren Niveau nie erreichen würde! Darum hat er die dann gegängelt bis zum Äußersten.
Als nächstes stelle ich dann die kleine Schwester Magda vor. Magda ist immer Omas Lieblingskind gewesen, zusammen mit Peter. Eltern von mehreren Kindern sagen zwar immer, dass sie alle Kinder gleich lieben. Wer Geschwister hat, weiß dass das nicht stimmt. Irgendein Liebling kristallisiert sich immer heraus. Egal, ob das bei den Belohnungen, Bestraf-ungen, Geschenken, oder bei den Essenzubereitungen ist. Wenn der Bruder dauernd immer seine Nudeln-Bolognese kriegt, dafür aber selten Pfannkuchen auf den Tisch kommen, ist das schon mal das erste untrügliche Zeichen dafür, dass da einer bevorzugt wird. Und später, im Erwachsenenalter, wenn man immer für die Besorgungen zuständig ist, während der andere nur zum Durchfüttern kommt, dann hat man wieder die Gewissheit, mit seinem Verdacht! Egal, ob es darum geht Blumen für den Friedhof zu holen, den Garten umzuhacken geht, oder die Blumenzwiebeln im Winter rauszunehmen. Ob man zur Apotheke gehen soll, um Hämorrhoiden Salbe zu besorgen, während Onkelchen nur gekommen ist, um seinen Kaffee zu trinken, und meinen mitgebrachten Kuchen aufzufressen, der eigentlich für Oma war. Dann weiß man, dass es doch Lieblingskinder gibt.
Magda ist genauso ein Kind. Sie hing immer an Omas Rockzipfel, sagt Mama. Magda brauchte nur losheulen, dann hat die sofort ihren Willen gekriegt! Kein Kind hat so viel Aufmerksamkeit von Oma gekriegt, wie Magda. Wahrscheinlich, damit sie nur ruhig ist, und nicht dauernd wieder losblarrt! Und natürlich ist Magda damit auch nur ein ängstliches Wesen mit wenig Selbstvertrauen geworden, was keinen wunderte! Gegen Peter konnte sie sich nie durchsetzen. Dem hat sie einfach immer Recht gegeben und zugestimmt, damit sie ihre Ruhe hat und sich nicht in Diskussionen einlassen musste, die sie sowieso verlor. Denn immer, wenn Peter seinen Willen nicht gekriegt hat, hat er immer gleich losgeboxt oder ist fies geworden.
Später, als ich größer war, war wohl ein Grund für Peters und meine ewigen Streitereien, weil ich zu gerne Menschen auflaufen lasse, die ihren Willen haben MÜSSEN! Im Gegenteil zu Friedrich und Alex, die sind einfach nur Mamas ruhige, ausgeglichene Brüder gewesen. Die kannten die Wörter: „Bitte“ und „Danke“! Die haben nicht gefordert, wenn sie etwas nicht selber erledigen konnten, das haben sie immer höflich erbeten. Immer nach dem Motto: Eine Hand wäscht die andere! Warum diese erzieherische Selbstverständlichkeit nicht bei Peter und Bernd angekommen ist (natürlich behaupten auch alle Eltern von Geschwistern, dass sie ihre Kinder gleichwertig erziehen), ist mir ein Rätsel! Warum diese Unterschiede unter den Geschwistern, bei gleichen Eltern entstehen, wundert mich noch viel mehr!
Und damit kommen wir auch schon zu dem Nesthäkchen: Bernd. Er ist in der Geschwisterreihe der letztgeborene. Bernd war als kleinster Bruder keine Konkurrenz für die anderen. Oma und Opa waren bei Bernd einfach schon zu alt, um noch wirklich vernünftig auf ihn achten zu können. Bernd durfte machen, was er wollte, er hat einfach nie eine Strafe bekommen oder ist überhaupt nie für irgendetwas zur Rechenschaft gezogen worden. Als Bernd noch klein war, durfte er während des Mittagessens sogar unter dem Tisch sitzen und seine Schokolade essen, wenn er das wollte. Für mich damals unerklärlich, weil mir immer das Essen weggenommen wurde, wenn ich es nicht mochte. Dann musste ich wie die älteren Geschwister bis zum Abendbrot warten, dass es neues Essen gab. Das Alex mich immer aus der Situation gerettet hat, bleibt unser Geheimnis! Er hat mich zum Laden mitgenommen, und mir entweder ein Würstchen ausgegeben, oder leckere Süssigkeiten!
Bernd ist dieser typische Nachzügler, der eigentlich gar nicht geplant war. Ob er darum auch erst spät angefangen hat zu laufen und sprechen, weiß keiner von uns. Überhaupt war Bernd sehr phlegmatisch, aber genauso egoistisch wie Peter, leider! In seiner Jugend konnte man Bernd nichts recht machen. Machte er Fehler, hat er die geschickt vertuscht, oder einfach auf andere geschoben. Meistens auf mich: Ich war die Kleinste in dieser Reihe! Er wusste genau, dass ich keinen Ärger bekommen würde: „Sie ist ja noch so klein!“
Oma war für mich eine Mutter und Oma, die immer da war, und vor allem gut gekocht hat! Und immer mindestens zwei verschiedene Gerichte, weil der eine nicht gerne Kartoffeln gegessen hat und der andere keine Zwiebeln. Mir hat es immer gut geschmeckt!
Nur Bernd hatte da so seine eigenen Geschmäcker gehabt. Mal hat er alles mit Ketchup gegessen, ob das Mettwurst mit Ketchup, Käse mit Ketchup, Grünkohl mit Ketchup, oder sogar Omas gute Hühnersuppe mit Ketchup war. Und ständig hat er dabei am Essen rumgemeckert. Das er Oma damit ziemlich fertig gemacht hat, hat er gar nicht gemerkt. Denn sie hat nie etwas dazu gesagt. Sie ist dann einfach immer ihren Arbeiten weiter nachgegangen. Selbst Opa hat dazu nichts gesagt, was mich sehr wunderte! Denn wir anderen durften auch nicht am Essen rummeckern: „Sei froh, datt ji watt kregen deist!“, hat das immer geheißen! Bei Bernd war das anders! Alex hat mich dann nur angesehen und mit der Schulter gezuckt!
Als kleines Mädchen habe ich eine Zeitlang mal gedacht, dass Bernd mein großer Bruder ist. Wenn wir als Jugendliche unterwegs waren und mich einer blöde von der Seite angemacht hat, haben er und seine Kumpels demjenigen kurz, aber eindeutig erklärt, dass der sich den Umgang mit mir lieber sparen sollte! Dass es auch nie wieder vorkommen soll! Dann hatte ich auch Ruhe vor blöder Anmache. Sowas machen doch eigentlich nur große Brüder!
Bernd hat mir das Autofahren und das Saufen beigebracht. Das kann er heute noch gut! Das Saufen vor allem! Manchmal, wenn er gerade mal wieder seine halbe Kiste Bier ausgetrunken hatte, meistens Samstagabends, dann hat er mich angerufen und wir haben stundenlang telefoniert. Wir konnten über alles reden. Na ja, über fast alles. Am besten aber war, wenn er redete und ich zuhörte. Wie es eben bei Besoffenen ist. Wenn man seine eigene Meinung sagen wollte, dann hat er die immer als besonders „doof“ abgetan. Heute noch höre ich manchmal sein: „Spinnst Du?! Das musst Du ganz anders sehen! Pass mal auf, ich erkläre Dir das…“, dann begannen immer stundenlange Monologe. Ein Betrunkener erklärt die Welt! (Der Leser sieht jetzt mein Augenrollen!) Jetzt kostet es mich ein Schmunzeln, damals war ich tief betroffen und habe den Stuss zum Teil sogar geglaubt! Und so plapperte ich ihm alles nach. Bis ich irgendwann den Schwindel bemerkte.
Über Sex durfte man mit Bernd auch nicht reden. Dann wurde er aggressiv. Wahrscheinlich, weil er durch das viele, jahrelange Saufen impotent geworden ist.
Darum ist ihm auch die Frau weggelaufen. Nachdem sie drei Anläufe mit anderen gemacht hat. Aber auch nur, um Bernd zu zeigen, dass da was Wesentliches fehlte in der Ehe, der aber so gar nicht darauf reagiert hat. Dieses Sture und eine Situation völlig ignorieren, liegt in der Familie, aber das ist auch schon die einzige Gemeinsamkeit! Jedenfalls hat seine Frau ihm dann endgültig Fersengeld gegeben. Anstatt sich mit seinen Problemen zu befassen und seiner Frau eine Lösung zu zeigen, hat er nur mit mir und Peter nächtelang telefoniert, um dann ellenlang über seine völlig „sexbesessene“ Frau zu schimpfen, während er dabei gern das ein- oder andere Bierchen geköpft hat.
Mit Bernd habe ich als Kind nicht so gerne Menschärger-dich-nicht gespielt, weil er immer geschummelt, oder mir eine reingeboxt hat, wenn ich ihn rausschmeißen musste. Er hat auch dauernd Sachen an mir ausprobiert und sich toll gefreut, wenn das Ergebnis so war, wie er es sich gedacht hatte. Sowas wie: Pfeffer unter die Nase halten und gesagt ich soll ganz doll Luft holen, dann kriege ich nie wieder Schnupfen! Da war ich drei Jahre alt. Ich glaube, seitdem leide ich besonders bei kälterem Wetter an chronischem Schnupfen. Dafür hat Peter ihm aber mal einen Schuster (Spinnentier) über das Gesicht gehalten, als er in seinem Gipsbett, eine Art Korsett, angeschnallt war. Damals wurden so Verwachsungen behandelt. Wie gesagt: Das letzte Kind in einer ganzen Reihe von Geschwistern, da bleibt meistens etwas nach!
Jedenfalls hat Peter ihm einen Schuster über die Nase gehalten. Bernd hatte mit offenem Mund geschrien, dass Peter das lassen soll, da hat der Schuster sein Bein verloren. Das hatte Peter nämlich in der Hand, während das Schustertier Bernds Mund von innen bestaunte. Das gab vielleicht ein Theater, als Bernd das Opa am nächsten Tag erzählte.
Zu der Zeit regierte noch der gute, alte Teppichklopfer im Hause, natürlich der aus Rattan geflochtene. Der zieht gut! Meine Großeltern haben ihn selten als Erziehungshilfe benutzt. Aber wenn der rausgeholt wurde, sollte lieber die Flucht ergriffen werden. Mich haben sie nie damit bestraft.
Dafür hat Bernd den aber oft genug an mir ausprobiert und immer auf die nackten Beine! Obwohl er den selber auch nie gespürt hat. Wie gesagt, Bernd wurde quasi nicht erzogen! Dafür habe ich den Teppichklopfer aber einmal an ihm ausprobiert. Das war, als er gerade aus dem Krankenhaus entlassen war.
Beim Grillen hatten seine Jungs Spiritus in das Feuer gekippt. Bernd hat es abbekommen. Das sah ziemlich böse aus. Dank Opas schneller Reaktion, damals war er noch gar nicht soooo alt für einen Opa, ist nicht viel passiert. Als Bernd wieder aus dem Krankenhaus kam, konnte ich meine Rache austoben: Ich habe das Ding angesteckt und vor Bernds Nase damit rumgefuchtelt. Junge, hat der Angst vor so einem bisschen Feuer gehabt! Die anderen Geschwister waren froh, jetzt war der Teppichklopfer endlich kaputt. Da waren sie aber auch schon erwachsen und kurz davor das Haus zu verlassen.
Aber trotzdem hatte mich einer (wir dürfen gespannt bleiben wer?), bei Oma und Opa angeschwärzt, als die nach Hause kamen und ein Häufchen Asche im Garten lag, als Oma den Teppichklopfer suchte, für die Fußmatten. Ärger habe ich nicht gekriegt, Oma hat mir lange erklärt, wie gefährlich und heiß Feuer ist. Das habe ich zwar alles schon gewusst, aber sie hat bei ihren Erklärungen immer so leckere Brote in der Küche geschmiert und heißen Kakao zubereitet. Am besten Denken und Reden konnte sie immer, wenn sie gekocht hat, das hat sie mir einmal im Vertrauen erzählt! Und so habe ich zugehört, gegessen und bin dabei nicht dümmer geworden!
So, jetzt kennen Sie meine Familie. Oma und Opa wollten immer eine große Familie haben. Voilà, das sind sie! Die „Un-Woltens“ nenne ich sie heimlich, seit diese Familienserie im Fernsehen läuft. Wie es in allen Familien so zugeht, bin ich natürlich auch da so hineingeraten! Überhaupt nicht geplant gewesen, ich war, sozusagen der zweite Unfall nach Bernd, der wohl in jeder Familie vorkommt. Das: „Du fehlst uns gerade noch!“, in der Familie.
Ach ja, Opa habe ich noch nicht vorgestellt, das ist Hinnerk, er kommt aus einer Bauernfamilie, die einen großen Hof hatten, auf dem platten Land. So richtig, mit Kühen, Hühnern, Enten, Gänsen, Küken, Kälbern, Pferden und zwei Hofhunden. Hinter dem Haus war ein alter Bauerngarten. Mit Apfelbäumen, von denen die Äpfel noch nach Apfel schmeckten und dufteten. Zwei Pflaumenbäumen, von denen Oma immer einen super-leckeren Pflaumenkuchen backte. Auch ein selbst gemauerter, alter Backofen stand in diesem Garten. In dem wurde einmal in der Woche Schwarzbrot und Butterkuchen gebacken.