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Eine sehr präzise und hilfreiche Einführung in die Lehren Ramana Maharshis, des großen Weisen vom Berg Arunachala (1879-1950). »Während der mehr als fünfzig Jahre seines Lebens in Tiruvannamalai wurde Bhagavan Sri Ramana Maharshi von einem ununterbrochenen Menschenstrom aus allen Teilen Indiens und auch von vielen Menschen aus dem Westen besucht. Sie suchten spirituelle Führung, Trost im Leid oder einfach nur die Erfahrung seiner Gegenwart. In all diesen Jahren schrieb er sehr wenig, aber etliche Aufzeichnungen seiner Gespräche mit Besuchern wurden aufbewahrt und später vom Ashram veröffentlicht. Sie sind meist in Form von Tagebuchaufzeichnungen gehalten und kaum thematisch gegliedert. Der Zweck dieses Buches ist es, durch eine Auswahl und Zusammenstellung von Teilen dieser Gespräche und seiner Schriften eine allgemeine Darlegung der Lehre des Maharshi herauszuarbeiten. Vielleicht sollte noch etwas über die Art des Maharshi, Fragen zu beantworten, gesagt werden. Sie hatte nichts Schweres oder Priesterliches an sich. Er sprach frei und brachte seine Antworten oft lachend und humorvoll vor. Wenn der Frager nicht zufrieden war, konnte er widersprechen und weitere Fragen stellen. Es heißt, dass der Maharshi in Stille gelehrt hat, aber das bedeutet nicht, dass er keine verbalen Erklärungen gab, nur dass sie nicht seine eigentliche Lehre waren. Die eigentliche Lehre wurde als ein stiller Einfluss im Herzen erfahren. Die Macht seiner Gegenwart war überwältigend und seine Schönheit unbeschreiblich. Und dennoch war er zugleich äußerst einfach, natürlich, bescheiden und ungekünstelt.« (Aus dem Vorwort von Arthur Osborne)
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Seitenzahl: 320
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Vorwort
Anmerkung der Übersetzerin
Kapitel I: Die grundlegende Theorie
Die Welt – Wirklichkeit oder Illusion?
Die Natur des Menschen
Tod und Wiedergeburt
Herz und Kopf
Leid
Sünde
Gott
Die Religionen
Kapitel II: Von der Theorie zur Praxis
Kapitel III: Das Leben in der Welt
Kapitel IV: Der Guru
Kapitel V: Selbstergründung
Kapitel VI: Andere Methoden
Satsang
Atemkontrolle
Asanas
Hatha-Yoga
Ins Licht schauen
Konzentration auf den Klang
Die Konzentration auf das Herz oder auf den Punkt zwischen den Augenbrauen
Das Sahasrara
Schweigen
Ernährung
Zölibat
Bhakti
Japa
Karma Marga
Stufen der Meditation
Kapitel VII: Das Ziel
Glossar
Stichwortverzeichnis
Verzeichnis der Quellen
Während der mehr als fünfzig Jahre seines Lebens in Tiruvannamalai wurde Bhagavan Sri Ramana Maharshi von einem ununterbrochenen Menschenstrom aus allen Teilen Indiens und auch von vielen Menschen aus dem Westen besucht. Sie suchten spirituelle Führung, Trost im Leid oder einfach nur die Erfahrung seiner Gegenwart. In all diesen Jahren schrieb er sehr wenig, aber etliche Aufzeichnungen seiner Gespräche mit Besuchern wurden aufbewahrt und später vom Ashram veröffentlicht. Sie sind meist in Form von Tagebuchaufzeichnungen gehalten und kaum thematisch gegliedert. Der Zweck dieses Buches ist es, durch eine Auswahl und Zusammenstellung von Teilen dieser Gespräche und seiner Schriften (The Collected Works of Sri Ramana Maharshi) eine allgemeine Darlegung der Lehre des Maharshi herauszuarbeiten. Die Kommentare des Herausgebers wurden auf ein Minimum beschränkt und sind in kleinerer Schrift gedruckt, um sie deutlich von den Worten des Maharshi zu unterscheiden. Die Zeit, zu der der Maharshi diese Aussagen machte, wurde nicht berücksichtigt, und das ist auch nicht nötig, denn er war kein Philosoph, der ein System ausarbeitete, sondern ein Verwirklichter, der aus eigener Erfahrung sprach.
Manchmal geschieht es, dass ein Mensch, der sich auf dem spirituellen Weg befindet oder noch nicht einmal eine bewusste Suche begonnen hat, einen Funken von Verwirklichung erfährt, indem er für kurze Zeit die völlige Gewissheit seines göttlichen, unveränderten, universalen Selbst erlebt. Solch eine Erfahrung machte der Maharshi, als er ein sechzehnjähriger Junge war. Er selbst beschrieb sie folgendermaßen:
»Es war etwa sechs Wochen bevor ich Madurai für immer verließ, als sich die große Wandlung in meinem Leben ereignete. Das geschah ganz plötzlich. Ich saß allein im ersten Stock des Hauses meines Onkels. Ich war selten krank. Auch an diesem Tag fühlte ich mich ganz gesund. Dennoch überkam mich eine plötzliche und unmissverständliche Todesangst. Kein körperliches Empfinden war dafür die Ursache, und ich versuchte nicht, es mir zu erklären oder herauszufinden, ob die Angst überhaupt begründet war. Ich spürte einfach: ›Ich sterbe jetzt‹. Sofort fing ich an, darüber nachzudenken, was ich nun tun sollte. Es kam mir nicht in den Sinn, Ärzte, Erwachsene oder Freunde um Rat zu fragen. Ich spürte, dass ich das Problem selber lösen musste, hier und jetzt.
Der Schock der Todesangst lenkte meine Aufmerksamkeit sofort nach innen. Ich sagte zu mir im Geist, ohne die Worte wirklich zu formulieren: ›Jetzt ist der Tod gekommen. Was bedeutet das? Was ist es, das stirbt? Dieser Körper stirbt.‹ Sofort spielte ich die Todesszene. Ich streckte meine Glieder aus und hielt sie steif, als hätte die Totenstarre eingesetzt. Um meine weitere Untersuchung möglichst realistisch zu machen, spielte ich eine Leiche. Ich hielt den Atem an und presste die Lippen fest zusammen, sodass ihnen kein Laut, weder das Wort ›ich‹, noch irgendein anderes Wort entweichen konnte. ›Nun gut‹, sagte ich zu mir, ›dieser Körper ist tot. Er wird in diesem starren Zustand zum Verbrennungsplatz getragen und dort zu Asche verbrannt. Aber bin auch »ich« mit dem Tod des Körpers gestorben? Ist dieser Körper »ich«? Dieser Körper ist still und unbeweglich, aber unabhängig von ihm spüre ich die ganze Kraft meiner Person und sogar die Stimme des »Ichs« in mir. Also bin »ich« der Geist, der den Körper transzendiert. Der Körper stirbt, aber der ihn transzendierende Geist kann vom Tod nicht berührt werden. Deshalb bin ich unsterblicher Geist.‹
All das waren keine müßigen Gedanken, sondern traf mich wie ein Blitz als lebendige Wahrheit und war etwas, das ich sofort und fast ohne Denkvorgang erkannte. ›Ich‹ war etwas überaus Wirkliches, im gegenwärtigen Zustand das einzig Wirkliche überhaupt, und die gesamte bewusste Aktivität, die mit meinem Körper verbunden war, war auf dieses ›Ich‹ hin zentriert. Von diesem Zeitpunkt an hielt das ›Ich‹ oder Selbst durch eine machtvolle Faszination seine Aufmerksamkeit auf sich selbst gerichtet. Die Todesangst war ein für alle Mal verschwunden. Das Versunkensein im Selbst hat von diesem Moment an bis heute fortbestanden.« (R.M., S. 17f)
Der letzte Satz ist der bemerkenswerteste, weil üblicherweise eine solche Erfahrung schnell vergeht, wenn auch der Eindruck der Gewissheit, den sie im Geist hinterlässt, niemals vergessen wird. Aber es ist sehr selten, dass sie dauerhaft ist und den Menschen fortan in der beständigen Identität mit dem universellen Selbst verweilen lässt. So war es mit dem Maharshi.
Kurz nach seiner Wandlung verließ der Junge, der später als ›der Maharshi‹ bekannt wurde, als ein sadhu sein Zuhause. Er ging nach Tiruvannamalai, der Stadt am Fuße des heiligen Berges Arunachala, und blieb dort für den Rest seines Lebens. Eine Zeitlang saß er versunken in göttlicher Seligkeit, sprach nicht, aß kaum und vernachlässigte völlig seinen Körper, den er nicht mehr brauchte. Allmählich scharten sich jedoch Verehrer um ihn, und er kehrte um ihretwillen zu einem äußerlich normalen Leben zurück. Viele von ihnen brachten ihm Bücher, damit er sie las und erklärte, weil sie sich nach Unterweisung sehnten. Auf diese Weise wurde er fast durch Zufall ein Gelehrter, ohne dass er nach Gelehrtheit gesucht oder sie geschätzt hätte. Die alte Lehre der Nicht-Zweiheit, die er auf diese Weise erwarb, war nur die Formulierung dessen, was er bereits verwirklicht hatte.
Er erzählte: »Außer dem Periya Puranam, der Bibel und Teilen aus dem Tayumanavar und Tevaram hatte ich keine heiligen Schriften gelesen. Ich stellte mir Ishwara so vor, wie die Puranas ihn beschreiben. Ich hatte nichts von Brahman, samsara und ähnlichem gehört. Ich wusste noch nicht, dass allem eine Essenz oder unpersönliche Wirklichkeit zugrunde liegt und dass sowohl Ishwara als auch ich mit ihr identisch sind. Als ich später in Tiruvannamalai der Lesung der Ribhu Gita und anderer heiliger Schriften zuhörte, erfuhr ich das alles und erkannte, dass die Schriften das untersuchten und beschrieben, was ich intuitiv ohne Untersuchung und Beschreibung erfahren hatte.« (R.M., S. 23)
Vielleicht sollte noch etwas über die Art des Maharshi, Fragen zu beantworten, gesagt werden. Sie hatte nichts Schweres oder Priesterliches an sich. Er sprach frei und brachte seine Antworten oft lachend und humorvoll vor. Wenn der Frager nicht zufrieden war, konnte er widersprechen und weitere Fragen stellen. Es heißt, dass der Maharshi in Stille gelehrt hat, aber das bedeutet nicht, dass er keine verbalen Erklärungen gab, nur dass sie nicht seine eigentliche Lehre waren. Die eigentliche Lehre wurde als ein stiller Einfluss im Herzen erfahren. Die Macht seiner Gegenwart war überwältigend und seine Schönheit unbeschreiblich. Und dennoch war er zugleich äußerst einfach, natürlich, bescheiden und ungekünstelt.
Der Einheitlichkeit wegen wird der Frager in den Gesprächen mit F. bezeichnet und der Maharshi mit B., was für Bhagavan steht, da man ihn gewöhnlich mit diesem Namen und in der dritten Person anredete. Eigentlich wird das Wort allgemein für ›Gott‹ gebraucht, aber es wird auch in seltenen Fällen verwendet, wenn ein Mensch als ›eins mit dem Vater‹, wie Christus es ausgedrückt hat, empfunden wird. Es ist dasselbe wie mit dem Namen Buddha, der üblicherweise als ›der Gesegnete‹ übersetzt wird.
Sanskrit-Wörter habe ich so weit als möglich vermieden, und im Allgemeinen war das auch möglich. Das geschah in der Absicht, das Buch leichter lesbar zu machen und auch um den falschen Eindruck zu vermeiden, dass die Suche nach Selbstverwirklichung eine komplizierte Wissenschaft ist, die man nur verstehen kann, wenn man die Sanskrit-Terminologie beherrscht. Es stimmt zwar, dass es spirituelle Wissenschaften gibt, die notwendigerweise eine technische Terminologie haben, aber sie sind weniger direkt. Die klare und einfache Wahrheit der Nicht-Zweiheit, die Bhagavan lehrte, und der direkte Weg der Selbstergründung, den er empfahl, können in einfacher Sprache erklärt werden, und so hat er sie auch den westlichen Besuchern erklärt, ohne auf die Sanskrit-Terminologie zurückzugreifen. In den seltenen Fällen, in denen in diesem Buch ein Sanskrit-Begriff nötig oder hilfreich ist, wurde seine ungefähre Bedeutung in Klammern angegeben, sodass kein Glossar benötigt wird. Es soll auch erwähnt werden, dass die Wörter ›Erleuchtung‹, ›Befreiung‹ und ›Selbstverwirklichung‹ als gleichbedeutend gebraucht wurden und den Sanskrit-Wörtern jnana, moksha und mukti entsprechen. An Stellen, wo einer dieser Begriffe unglücklich ist, wurde er ausgetauscht. Das bedeutet keine Untreue dem Text gegenüber, denn die Antworten wurden meist in Tamil oder einer anderen südindischen Sprache gegeben und später ins Englische übertragen. Die Bedeutung wurde dadurch nicht unverändert.
Arthur Osborne
Dieses Buch über die Lehre Ramana Maharshis wird durch Osbornes Ramana-Biografie: ›Ramana Maharshi und der Weg der Selbstergründung‹ ergänzt, in dem es vorwiegend um die Lebensstationen Sri Ramanas geht.
Obwohl es Arthur Osborne anders vorgesehen hat, habe ich für die vorhandenen Sanskrit-Begriffe das Glossar von seiner Ramana-Biografie übernommen und, wo nötig, ergänzt. Das Stichwortverzeichnis wurde dagegen etwas gekürzt.
›Mind‹ (Gedanken, Gefühle, Ich-Empfinden) sowie ›spirit‹ (höchster Geist) wurde mit ›Geist‹ übersetzt. Der Unterschied wird im Kontext deutlich.
Mein Dank geht an den Ramanashram für die Erlaubnis zur Übersetzung sowie für die Benutzung des Bildmaterials. Ich bin auch dankbar für die alte Übersetzung mit dem gleichen Titel von Christl Klostermann, die 1983 vom Hugendubel-Verlag veröffentlicht wurde, inzwischen aber längst vergriffen ist. Sie hat mir als wertvolle Anregung und Hilfe gedient.
Gabriele Ebert
Die Leser mit einem philosophisch ausgerichteten Geist werden sich vielleicht über den Titel des ersten Kapitels ›Die grundlegende Theorie‹ wundern, da sie erwarten, dass das ganze Werk der Theorie gewidmet ist. Doch der Maharshi hat sich, wie jeder spirituelle Meister, viel mehr mit der praktischen Seite der Schulung der Sucher beschäftigt als mit der Erklärung der Theorie. Theorie ist wichtig, aber nur als Grundlage der Praxis.
F: »Es heißt, dass Buddha Fragen über Gott ignoriert hat.«
B: »Ja, und deswegen hat man ihn als Agnostiker bezeichnet. Buddha wollte vielmehr die Sucher dahin führen, die Seligkeit hier und jetzt zu verwirklichen, als sich mit akademischen Diskussionen über Gott usw. zu befassen.« (M.G., S. 42)
F: »Ist das Studium der Wissenschaften, der Psychologie, Physiologie usw. für die Erlangung der Yoga-Befreiung oder für das intuitive Verstehen der Einheit der Wirklichkeit hilfreich?«
B: »Nur begrenzt. Fürs Yoga ist etwas theoretisches Wissen nötig und kann in Büchern gefunden werden. Aber was wirklich nötig ist, ist die praktische Anwendung. Das persönliche Beispiel und die persönliche Anleitung sind die besten Hilfen. Was das intuitive Verständnis betrifft, kann ein Mensch sich zwar mühsam von der Wahrheit, die man durch Intuition erfassen muss, von ihrer Funktion und Natur intellektuell überzeugen, aber die wirkliche Intuition gleicht eher einem Empfinden und benötigt praktischen und persönlichen Kontakt. Nur aus Büchern zu lernen nützt wenig. Nach der Verwirklichung ist alle intellektuelle Fracht ein nutzloser Ballast, den man über Bord werfen muss.« (T. 28)
Die hauptsächliche Beschäftigung mit der Theorie, der Lehre und der Philosophie kann sogar insofern schaden, als sie den Menschen von der wirklich wichtigen Arbeit einer spirituellen Anstrengung ablenkt, indem sie eine einfachere Alternative anbietet, die rein mental ist und seinen Charakter deshalb nicht verändern kann.
»Was nützt das Lernen denen, die nicht danach trachten, die Schrift des Schicksals (von ihrer Stirn) auszulöschen, indem sie sich fragen: ›Woher kommen wir, die wir die Schriften kennen?‹ Sie sind auf die Stufe eines Grammophons gesunken. Was sonst sind sie, oh Herr Arunachala?
Die Ungebildeten werden eher gerettet als die Gelehrten, deren Ego trotz ihrer Gelehrsamkeit nicht kleiner geworden ist. Sie bleiben von den unerbittlichen Klauen des Dämons der Selbstverliebtheit, von einer Unzahl von krankhaft umherwirbelnden Gedanken und Worten und vom Streben nach Wohlstand bewahrt. Sie bleiben vor mehr als einem Übel bewahrt.« (F.V.S., Verse 35f)
Er sah in rein theoretischen Diskussionen keinen Sinn.
»Aufgrund der Illusion, die aus der Unwissenheit entsteht, können die Menschen das nicht wahrnehmen, was immer und für jeden die ihm innewohnende Wahrheit ist, die in seinem natürlichen Herzzentrum wohnt, und können nicht darin verweilen. Stattdessen streiten sie sich darüber, ob es existiert oder nicht, ob es eine Gestalt hat oder nicht, ob es eins oder zwei ist.« (F.V., Vers 34)
»Kann sich denn irgendetwas getrennt vom Ewigen und Vollkommenen offenbaren? Diese Art der Auseinandersetzung ist endlos. Beteilige dich nicht daran, sondern wende deinen Geist vielmehr nach innen und höre mit all dem auf. Derartige Diskussionen sind endlos.« (T. 132)
Letztendlich sind sogar die Schriften nutzlos.
»Die Schriften dienen dazu, auf die Existenz einer höheren Kraft oder des Selbst hinzudeuten und den Weg dorthin aufzuzeigen. Das ist ihr eigentlicher Zweck. Abgesehen davon sind sie nutzlos. Dennoch sind sie so umfangreich, um der Entwicklungsstufe eines jeden Suchenden zu entsprechen. Wenn ein Mensch höher steigt, stellt er fest, dass die Stufen, die er bereits erreicht hat, nur Trittsteine zu höheren Stufen sind, bis er schließlich das Ziel erreicht. Wenn das geschieht, bleibt nur noch das Ziel übrig, und alles andere, einschließlich der Schriften, wird nutzlos.« (T. 63)
Es stimmt, dass er manchmal die Philosophie in all ihrer Komplexität erläuterte. Aber das war eher ein Zugeständnis an die Schwäche jener, die dem »vielen Denken verfallen sind«, wie er sich in seiner Schrift ›Selbstergründung‹ ausdrückt. Ich wollte hier ein Beispiel dafür anführen, fand dann aber, dass es in folgendem Abschnitt enthalten ist:
»Das komplizierte philosophische Labyrinth der verschiedenen Schulen soll die Dinge erklären und die Wahrheit enthüllen, aber in Wirklichkeit schafft sie unnötige Verwirrung. Um irgendetwas zu verstehen, ist das Selbst nötig. Das Selbst ist offensichtlich. Warum also verbleibt man dann nicht als das Selbst? Wozu muss man das Nicht-Selbst erklären?«
Und über sich selbst fügt er hinzu:
»Glücklicherweise habe ich mich der Philosophie nie zugewandt. Hätte ich es getan, wäre ich wahrscheinlich nirgendwo. Aber meine Neigungen haben mich direkt dazu geführt, mir die Frage: ›Wer bin ich?‹ zu stellen. Was für ein Glück!« (T. 392)
Trotzdem ist etwas Theorie als Grundlage für die praktische Arbeit der spirituellen Schulung nötig. Der Maharshi lehrte Nicht-Zweiheit [Advaita]. Seine Lehre steht in völligem Einklang mit den Lehren des großen Weisen Shankara. Diese Übereinstimmung bedeutet jedoch nicht, dass Bhagavan von Shankara »beeinflusst« war, wie ein Philosoph es ausdrücken würde, sondern lediglich, dass er Shankaras Lehre als eine richtige Darlegung dessen erkannte, was er verwirklicht hatte und durch direkte Erfahrung wusste.
F.: »Lehrt Bhagavan dasselbe wie Shankara?«
B.: »Bhagavans Lehre ist ein Ausdruck seiner eigenen Erfahrung und Verwirklichung. Andere finden, dass sie mit Sri Shankaras Lehre übereinstimmt.« (T. 189)
F.: »Die Upanishaden sagen, dass alles Brahman ist. Wie können wir dann behaupten, dass die Welt unwirklich oder illusorisch ist, wie Shankara es tut?«
B.: »Shankara sagt ebenfalls, dass diese Welt Brahman oder das Selbst ist. Er widerspricht nur der Vorstellung, dass das Selbst durch Namen und Formen, die die Welt ausmachen, begrenzt ist. Er sagt lediglich, dass die Welt nicht unabhängig von Brahman existiert. Brahman oder das Selbst ist wie die Leinwand, und die Welt ist wie der Film auf ihr. Du kannst die Bilder nur sehen, wenn es die Leinwand gibt. Aber wenn der Betrachter selbst zur Leinwand wird, bleibt nur noch das Selbst übrig.« (D.D., 29.5.1946)
Shankara wurde wegen seiner Philosophie über maya (Illusion) kritisiert. Man hat ihn nicht verstanden. Er macht dreierlei Aussagen: Brahman ist wirklich, die Welt ist unwirklich und Brahman ist die Welt. Er beließ es nicht bei der zweiten Feststellung. Die dritte Aussage erklärt die beiden ersten. Das bedeutet, dass wenn die Welt getrennt von Brahmanbetrachtet wird, dies eine falsche und illusorische Sichtweise ist. Er will damit sagen, dass die Erscheinungsformen wirklich sind, wenn sie als Selbst erkannt werden, aber illusorisch, wenn sie vom Selbst getrennt betrachtet werden.« (R.M., S. 92)
»Nur das Selbst existiert und ist wirklich. Die Welt, das Individuum und Gott sind Vorstellungen im Selbst, wie das Silber, das man im Perlmutt sieht.1 Sie tauchen zusammen auf und verschwinden auch wieder zusammen. In Wirklichkeit ist einzig das Selbst die Welt, das Ich und Gott. Alles, was existiert, ist lediglich eine Manifestation des Höchsten.« (W., §16)
F.: »Was ist die Wirklichkeit?«
B.: »Die Wirklichkeit muss immer wirklich sein. Sie hat weder Namen noch Formen, sondern ist das, was ihnen zugrunde liegt. Sie liegt allen Begrenzungen zugrunde und ist doch selbst grenzenlos. Sie ist in keiner Weise gebunden. Sie liegt dem Unwirklichen zugrunde und ist doch selbst wirklich. Sie ist das, was ist. Sie ist, wie sie ist. Sie überschreitet die Sprache und kann weder als Sein noch als Nicht-Sein beschrieben werden.« (T. 140)
Er ließ sich nicht in Meinungsverschiedenheiten verwickeln, die nur von einer anderen Sichtweise oder einer anderen Ausdrucksweise herrührten.
F.: »Die Buddhisten leugnen die Welt, während die Hindu-Philosophie ihr eine Existenz zugesteht, sie aber unwirklich nennt. Ist es nicht so?«
B.: »Das sind nur verschiedene Standpunkte.«
F.: »Es heißt, dass die Welt von der göttlichen Energie (shakti) erschaffen wurde. Rührt das Wissen um die Unwirklichkeit von der Enthüllung der Illusion (maya) her?«
B.: »Alle gehen davon aus, dass die göttliche Energie die Welt erschaffen hat. Aber was ist das Wesen dieser Energie? Sie muss mit dem Wesen ihrer Schöpfung übereinstimmen.«
F.: »Gibt es Abstufungen in der Illusion?«
B.: »Illusion ist selbst illusorisch. Sie muss von jemandem außerhalb von ihr wahrgenommen werden. Wie aber kann ein Sehender ihr unterliegen? Wie also könnte er von Abstufungen sprechen?
Du siehst auf der Kinoleinwand verschiedene Szenen. Feuer scheint Gebäude zu Asche zu verbrennen, Wasser scheint Schiffe zu zerstören, aber die Leinwand, auf die der Film projiziert wird, verbrennt nicht und bleibt trocken. Warum? Weil die Bilder unwirklich sind, während die Leinwand wirklich ist.
Auf ähnliche Weise gibt ein Spiegel Reflexionen wieder, wobei er weder durch ihre Anzahl noch durch ihre Qualität beeinträchtigt wird.
Ebenso ist die Welt ein Phänomen auf der Grundlage der einzigen Wirklichkeit, die auf keinerlei Weise von ihr beeinträchtigt wird. Es gibt nur eine Wirklichkeit.
Wenn man von Illusion spricht, ist das durch den Standpunkt bedingt. Ändere deinen Standpunkt zu dem der Erkenntnis, und du wirst das Universum nur als Brahman wahrnehmen. Weil du jetzt in die Welt versunken bist, betrachtest du sie als wirklich. Gehe darüber hinaus, und sie verschwindet, und nur die Wirklichkeit bleibt übrig.« (T. 446)
Wie der letzte Auszug zeigt, verlangt das Postulat einer einzigen universellen Wirklichkeit nach dem Konzept eines Prozesses von Illusion oder Schöpfung, um die scheinbare Wirklichkeit der Welt zu erklären.
»Die Welt wird als eine augenscheinliche, objektive Wirklichkeit wahrgenommen, wenn der Geist sich nach außen wendet und dabei seine Identität mit dem Selbst aufgibt. Wenn man die Welt auf diese Weise wahrnimmt, wird die wahre Natur des Selbst nicht offenbar. Und umgekehrt: Wenn man das Selbst verwirklicht, erscheint die Welt nicht mehr als eine objektive Wirklichkeit.« (W., § 8)
»Illusion ist, was uns dazu verleitet, das, was immer da ist und alles durchdringt, was vollkommen, aus sich selbst leuchtend und tatsächlich das Selbst und das Herz unseres Seins ist, für nicht-existent und unwirklich zu halten. Und umgekehrt ist Illusion, was uns dazu verleitet, das für wirklich und aus sich selbst bestehend zu halten, was nicht existiert und unwirklich ist, nämlich die Dreiheit von Welt, Ich und Gott.« (S.I., II, § 5)
Die Welt ist wirklich, aber nicht als eine unabhängige Wirklichkeit, die sich selbst unterhält, sondern wie die Person, die du im Traum siehst. Sie ist als Traumfigur, nicht aber als Person wirklich.
»Für jene, die das Selbst nicht verwirklicht haben, wie auch für jene, die es verwirklicht haben, ist die Welt wirklich. Aber für erstere ist die Gestalt der Welt die Wirklichkeit, während für letztere die Wirklichkeit als gestaltlose Vollendung und Grundlage der Welt erstrahlt. Das ist der einzige Unterschied zwischen beiden.« (F. V., Vers 18)
»Das erinnerte mich [i.e. Devaraja Mudaliar] daran, dass Bhagavan sagte, mithya (unwirklich, imaginär) bedeute satyam (wirklich), aber ich habe das nie recht verstanden. Deshalb fragte ich ihn.
B.: ›Ja, das habe ich gelegentlich gesagt. Was verstehst du unter »wirklich« (satyam)? Was nennst du wirklich?‹
Ich: ›Nach der Lehre des Vedanta ist nur das wirklich, was dauerhaft und unveränderlich ist. Das ist die Definition von Wirklichkeit.‹
Bhagavan drückt das in folgender Aussage noch prägnanter aus:
»Die Anhänger des Vedanta sagen nicht, dass die Welt unwirklich ist. Das ist ein Missverständnis. Was würden sie sonst damit meinen, wenn sie sagen: ›Alles [die ganze Welt] ist Brahman‹? Sie glauben nur, dass die Welt als Welt unwirklich ist, aber als Selbst ist sie wirklich. Wenn du die Welt als Nicht-Selbst betrachtest, ist sie nicht wirklich. Alles, ob du es nun Welt, maya, lila (Gottes Spiel) oder shakti nennst, muss im Selbst existieren und nicht unabhängig davon.« (D.D., 3.7.1946)
Bevor wir die Theorie von der Welt als eine Manifestation des Selbst, die keine objektive Wirklichkeit ist, beiseitelegen, muss nochmals betont werden, dass die Theorie für den Maharshi nur insofern von Bedeutung war, als sie der spirituellen Entwicklung des Menschen diente, nicht aber um ihrer selbst willen. Kosmologie im Sinn der modernen Naturwissenschaft interessierte ihn ganz einfach nicht.
F.: »In den Veden gibt es widersprüchliche kosmologische Aussagen. Einmal heißt es, dass der Äther zuerst erschaffen wurde. An anderen Stellen werden Lebensenergie, Wasser oder noch etwas anderes genannt. Wie kann man das alles unter einen Hut bringen? Macht das nicht die Veden unglaubwürdig?«
B.: »Verschiedene Seher haben zu unterschiedlichen Zeiten verschiedene Aspekte der Wahrheit wahrgenommen, wobei jeder einen bestimmten Standpunkt betonte. Warum kümmern dich ihre widersprüchlichen Aussagen? Das eigentliche Ziel der Veden ist, uns die Natur des unvergänglichen Selbst zu lehren und aufzuzeigen, dass wir DAS sind.«
F.: »Mit diesem Teil bin ich zufrieden.«
B.: »Dann betrachte den Rest als hilfreiche Argumente oder Erklärungen für die Unwissenden, die die Ursache der Dinge erkennen möchten.« (T. 30)
»Major Chadwick schrieb die englische Übersetzung des tamilischen Kaivalya Navaneeta ab. Dabei stieß er auf einige Fachbegriffe, die er nicht verstand, und fragte Bhagavan danach.
Bhagavan erwiderte: ›Diese Abschnitte handeln von den Schöpfungstheorien. Sie sind unwesentlich, da der wirkliche Zweck der Schriften nicht darin besteht, solche Theorien darzulegen. Die Theorien werden gelegentlich für Leser erwähnt, die daran interessiert sind. Die Wahrheit ist, dass die Welt als vorbeiziehender Schatten in einer Flut von Licht erscheint. Das Licht ist sogar nötig, um den Schatten zu sehen. Der Schatten ist keines genauen Studiums, keiner Analyse oder Diskussion wert. Der Zweck des Buches ist, sich mit dem Selbst zu befassen, und was über die Schöpfung gesagt wird, kann für den Augenblick übergangen werden.‹
Später fuhr Sri Bhagavan fort: ›Das Vedanta sagt, dass der Kosmos gleichzeitig mit dem, der ihn wahrnimmt, sichtbar wird und es keinen detaillierten Schöpfungsprozess gibt. Es ist ähnlich wie im Traum, in dem derjenige, der den Traum erlebt, gleichzeitig mit dem Traum entsteht. Doch einige Leute kleben so sehr an einem objektiven Wissen fest, dass sie sich damit nicht zufrieden geben. Sie wollen wissen, wie eine sofortige Schöpfung möglich sein kann, und argumentieren damit, dass es eine Ursache geben müsse, die der Wirkung vorangeht. Sie wollen tatsächlich eine Erklärung für die Welt, die sie um sich herum wahrnehmen. Deshalb versuchen die Schriften, ihre Neugierde mit solchen Theorien zu befriedigen. Diese Methode, mit dem Thema umzugehen, nennt man die Theorie der schrittweisen Schöpfung. Aber der wirkliche spirituelle Sucher gibt sich mit einer sofortigen Schöpfung zufrieden.‹« (T. 651)
Wir kommen jetzt zur eigentlichen Essenz der Theorie, nämlich zur Natur des Menschen. Was der Mensch auch über die Wirklichkeit der Welt oder Gottes denken mag, er weiß, dass er selbst existiert. Um sich selbst zu verstehen und gleichzeitig zu vervollkommnen, befasst er sich damit und sucht Führung.
»Das Individuum, das seine Existenz mit dem Leben in einem physischen Körper als ›ich‹ identifiziert, nennt man das Ego. Das Selbst, das reines Bewusstsein ist, hat kein Ich-Empfinden. Ebenso wenig kann der physische Körper, der in sich selbst träge ist, dieses Ich-Empfinden haben. Zwischen den beiden, also zwischen dem Selbst oder reinen Bewusstsein und dem trägen physischen Körper entsteht auf geheimnisvolle Weise dieses Ego-Empfinden oder dieser Ich-Gedanke, eine Mischform, die keines von beidem ist, und entwickelt sich als Individuum. Dieses Ego oder Individuum ist der Ursprung all dessen, was im Leben nutzlos und unerwünscht ist. Deshalb muss es durch jedes nur denkbare Mittel zerstört werden. Dann erstrahlt allein DAS, was ewig besteht. Das ist die Befreiung, Erleuchtung oder Selbstverwirklichung.« (S.I., I, § 12)
F.: »Bhagavan sagt oft: ›Die Welt ist nicht außerhalb von dir‹ oder ›Alles hängt von dir ab‹ oder ›Was gibt es außerhalb von dir?‹ Ich finde das verwirrend. Die Welt hat vor meiner Geburt existiert und wird nach meinem Tod weiterbestehen, wie sie auch den Tod so vieler überstanden hat, die einmal gelebt haben so wie ich.«
B.: »Habe ich jemals gesagt, dass die Welt deinetwegen existiert? Ich habe dir lediglich die Frage gestellt: ›Was existiert außerhalb von dir selbst?‹ Du solltest verstehen, dass mit dem Selbst weder der physische noch der feinstoffliche Körper gemeint ist.
Dir wurde gesagt, dass wenn du einmal das Selbst erkennst, in dem alle Vorstellungen existieren – die Vorstellung von dir selbst, den anderen und der Welt inbegriffen – du die Wahrheit verstehen kannst, dass es eine Wirklichkeit, eine höchste Wahrheit gibt, die das Selbst der ganzen Welt, die du jetzt siehst, sowie das Selbst aller Individuen ist. Sie ist das einzig Wirkliche, das Höchste, das ewige Selbst, das vom vergänglichen Ego oder Individuum verschieden ist. Du darfst das Ego bzw. die körperliche Vorstellung nicht mit dem Selbst verwechseln.«
F.: »Dann meint Bhagavan also, dass das Selbst Gott ist?«
In seiner nächsten Antwort führte Bhagavan die Diskussion von der Theorie zur Praxis, wie es seine Art war. Obwohl dieses Kapitel allgemein der Theorie gewidmet ist, scheint es angebracht, den Dialog fortzuführen, um aufzuzeigen, wie er die Theorie zur praktischen Anwendung führte.
B.: »Du siehst die Schwierigkeit. Die Selbstergründung ›Wer bin ich?‹ ist eine andere Technik als die der Meditation: ›Ich bin Shiva‹ oder Ich bin Er‹. Ich lege vielmehr Nachdruck auf Selbsterkenntnis, denn du befasst dich zuerst mit dir selbst, bevor du weitergehst, um die Welt oder ihren Herrn zu erkennen. Die Meditation ›Ich bin Er‹ oder ›Ich bin Brahman‹ ist mehr oder weniger mental, aber die Suche nach dem Selbst, von der ich spreche, ist eine direkte Methode und der anderen überlegen. Denn in dem Augenblick, in dem du dich der Suche nach dem Selbst widmest und anfängst, tiefer zu gehen, erwartet dich dort das wahre Selbst, um dich zu empfangen. Was immer dann getan werden muss, wird von etwas anderem getan, und du als Individuum bist nicht daran beteiligt. In diesem Prozess werden alle Zweifel und Diskussionen automatisch aufgegeben, genauso wie einer, der schläft, während dieser Zeit all seine Sorgen vergisst.«
Die folgende Diskussion zeigt, dass Bhagavan jenen, die nicht von einer Antwort überzeugt waren, die Freiheit des Widerspruchs einräumt.
F.: »Welche Gewissheit gibt es, dass mich dort etwas erwartet, um mich zu empfangen?«
B.: »Wenn ein Mensch reif genug ist, ist er natürlicherweise davon überzeugt.«
F.: »Wie kann man diese Reife erlangen?«
B.: »Dafür gibt es verschiedene Wege. Welche Entwicklung auch vorhanden sein mag, die ernsthafte Selbstergründung beschleunigt die Reife.«
F.: »Das bedeutet, im Kreis zu argumentieren. Ich bin für die Erforschung stark genug, wenn ich dafür reif bin, und die Erforschung ist es, die mich reif macht.«
Dieser Einwand wurde oft auf die eine oder andere Weise erhoben, und wiederum wird in der Antwort betont, dass nicht Theorie, sondern Praxis nötig ist.
B.: »Es ist der Geist, der diese Art Schwierigkeiten hat. Er will eine feste Theorie, mit der er sich zufriedengeben kann. Doch in Wirklichkeit braucht einer, der ernsthaft danach trachtet, Gott oder seinem wahren Selbst näherzukommen, keine Theorie.« (S.D.B., S. 7f)
»Jeder ist das Selbst und ist tatsächlich unendlich. Trotzdem verwechselt jeder seinen Körper mit seinem Selbst. Um etwas zu erkennen, ist eine Beleuchtung nötig. Sie muss vom selben Wesen wie das Licht sein, obwohl sie sowohl das physische Licht als auch die physische Dunkelheit erhellt. Das bedeutet, dass dieses Licht etwas jenseits des augenscheinlichen Lichts und der augenscheinlichen Dunkelheit ist. Es selbst ist weder das eine noch das andere, wird aber als Licht bezeichnet, da es beides erhellt. Es ist unendlich, und es ist Bewusstsein. Bewusstsein ist das Selbst, dessen sich jeder gewahr ist. Keiner ist jemals vom Selbst entfernt, und deshalb ist jeder in Wirklichkeit Selbst-verwirklicht. Nur – und das ist das große Rätsel – wissen das die Menschen nicht und wollen das Selbst verwirklichen. Die Verwirklichung besteht lediglich darin, die falsche Vorstellung, nicht verwirklicht zu sein, loszuwerden. Man muss nichts Neues erlangen. Es muss bereits vorhanden sein, sonst wäre es nicht ewig, und es lohnt sich nur, nach etwas zu streben, das ewig ist.
Wenn einmal die falsche Vorstellung ›Ich bin der Körper‹ oder ›Ich bin nicht verwirklicht‹ abgefallen ist, dann bleibt einzig das höchste Bewusstsein oder das Selbst übrig, und dem gegenwärtigen Wissensstand der Menschen entsprechend wird das ›Verwirklichung‹ genannt. In Wahrheit ist die Verwirklichung jedoch ewig und existiert bereits hier und jetzt.« (T. 482)
»Bewusstsein ist reine Erkenntnis. Der Geist ersteht aus dem Bewusstsein und wird von Gedanken gebildet.« (T. 589)
»Das Wesen des Geistes ist nichts als Gewahrsein oder Bewusstsein. Doch wenn das Ego ihn überschattet, funktioniert er als Urteilen, Denken oder Wahrnehmen. Für den universellen Geist, der nicht durch das Ego begrenzt ist, gibt es nichts außerhalb seiner selbst, und er ist deshalb nur gewahr. Das ist es, was die Bibel mit ›Ich bin der ich bin‹ (Exodus III,14) sagen will.
Der vom Ego geplagte Geist ist seiner Stärke beraubt und zu schwach, um den qualvollen Gedanken zu widerstehen. Der egofreie Geist ist glücklich, wie wir es vom traumlosen Tiefschlaf kennen. Folglich ist es klar, dass Glück und Leid nur Erscheinungsformen des Geistes sind.« (T. 188)
F.: »Wenn ich nach dem Ich suche, sehe ich nichts.«
B.: »Das sagst du, weil du daran gewöhnt bist, dich mit dem Körper und dem Sehen mit den Augen zu identifizieren. Aber was gibt es da zu sehen? Von wem und wie? Es gibt nur ein Bewusstsein. Wenn es sich mit dem Körper identifiziert, projiziert es sich selbst durch die Augen und sieht die Gegenstände ringsherum. Das Individuum ist auf den Wachzustand beschränkt. Es erwartet, etwas anderes zu sehen, und akzeptiert die Autorität seiner Sinne. Es gibt nicht zu, dass der Seher, die gesehenen Gegenstände und der Akt des Sehens alles Manifestationen des gleichen Bewusstseins sind – des ›Ich-Ich‹. Meditation hilft, diese Illusion, dass das Selbst etwas Sichtbares ist, zu überwinden. Tatsächlich gibt es nichts zu sehen. Wie erkennst du dich jetzt? Musst du dir einen Spiegel vorhalten, um dich selbst zu erkennen? Das Gewahrsein selbst ist das Ich. Verwirkliche es. Das ist die Wahrheit.«
F.: »Wenn ich den Ursprung der Gedanken erforsche, nehme ich das Ich wahr, aber das befriedigt mich nicht.«
B.: »Genau. Es befriedigt dich nicht, weil diese Wahrnehmung des Ichs mit einer Form verbunden ist, vielleicht mit dem physischen Körper. Nichts sollte mit dem reinen Selbst verbunden werden. Das Selbst ist die reine Wirklichkeit, in deren Licht der Körper, das Ego und alles andere erstrahlen. Wenn alle Gedanken beruhigt sind, dann bleibt reines Bewusstsein übrig.« (T. 196)
F.: »Wie ist das Ego entstanden?«
Diese Frage führt zu endlosem Philosophieren. Aber Bhagavan hält strikt an der Wahrheit der Nicht-Zweiheit fest und weigert sich, dem Ego eine Existenz zuzusprechen.
B.: »Es gibt kein Ego. Wenn es eins geben würde, müsstest du zwei Selbste in dir annehmen. Deshalb gibt es keine Unwissenheit. Wenn du das Selbst erforscht, wirst du herausfinden, dass die Unwissenheit, die es sowieso nicht gibt, nicht existiert, und du wirst sagen, dass sie verschwunden ist.« (T. 363)
Manchmal glaubte der Zuhörer, die Abwesenheit von Gedanken würde eine reine Leere bedeuten. Deshalb ist Bhagavan hierauf besonders eingegangen.
»Die Abwesenheit von Gedanken bedeutet keine Leere. Es muss jemanden geben, der die Leere wahrnimmt. Wissen und Nichtwissen gehören lediglich dem Geist an und bedeuten Zweiheit, aber das Selbst ist jenseits von beidem. Es ist reines Licht. Es muss kein Selbst geben, um ein anderes Selbst wahrzunehmen. Es gibt keine zwei Selbste. Was nicht das Selbst ist, ist einfach Nicht-Selbst und kann das Selbst nicht erkennen. Das Selbst hört und sieht nicht. Es ist jenseits davon, ganz allein, als reines Bewusstsein.« (T. 245)
Bhagavan führte oft die Kontinuität der Existenz des Menschen im traumlosen Tiefschlaf als Beweis dafür an, dass der Mensch unabhängig vom Ego und vom Körperempfinden existiert. Er verwies auch auf den Zustand des Tiefschlafs als körper- und egofreien Zustand.
F.: »Ich weiß nicht, ob sich das Selbst vom Ego unterscheidet.«
B.: »In welchem Zustand befindest du dich im Tiefschlaf?«
F.: »Ich weiß es nicht.«
B.: »Wer weiß es nicht? Das wache Selbst? Aber du leugnest nicht, dass du auch existiert hast, während du tief geschlafen hast?«
F.: »Ich war und ich bin, aber ich weiß nicht, wer tief geschlafen hat.«
B.: »Genau. Wenn der Mensch wach ist, sagt er, dass er im Zustand des Tiefschlafs nichts wusste. Jetzt sieht er Gegenstände und weiß, dass er existiert, aber im Tiefschlaf gab es keine Gegenstände und keinen Betrachter. Und dennoch war dieselbe Person, die jetzt spricht, auch im Tiefschlaf vorhanden. Was ist der Unterschied zwischen den beiden Zuständen? Jetzt gibt es Gegenstände und das Spiel der Sinne, während es das im Tiefschlaf nicht gab. Eine neue Entität, das Ego, ist aufgetaucht. Es agiert durch die Sinne, sieht Gegenstände, verwechselt sich selbst mit dem Körper und beansprucht, das Selbst zu sein. In Wirklichkeit besteht das, was im Tiefschlaf ist, auch jetzt fort. Das Selbst verändert sich nicht. Es ist das Ego, das dazwischen gekommen ist. Das, was entsteht und wieder vergeht, ist das Ego. Das, was unveränderlich bleibt, ist das Selbst.« (T. 143)
Solche Beispiele ließen manchmal die falsche Vorstellung aufkommen, dass der Zustand der Verwirklichung oder des Verweilens im Selbst, den Bhagavan empfahl, ein Zustand des Nichtwissens wie der physische Schlaf sei, und deshalb hielt er dagegen.
B.: »Wachen, Traum und Tiefschlaf sind lediglich Zustände des Geistes und nicht des Selbst. Das Selbst ist der Zeuge dieser drei Zustände. Deine wahre Natur existiert im Schlaf.«
F.: »Aber wir wurden angewiesen, während der Meditation nicht einzuschlafen.«
B.: »Du musst dich vor der Benommenheit hüten. Der Schlaf, der sich mit dem Wachsein abwechselt, ist nicht der wahre Schlaf. Das Wachsein, das sich mit dem Schlaf abwechselt, ist nicht das wahre Wachsein. Bist du jetzt wach? Nein. Du sollst zu deinem wahren Zustand erwachen. Du sollst weder in falschen Schlaf fallen noch im falschen Wachsein verbleiben.« (T. 495)
B.: »Obwohl das Selbst auch im Schlaf da ist, wird es darin nicht wahrgenommen. Es kann in diesem Zustand nicht sofort erkannt werden. Man muss es zuerst im Wachzustand verwirklichen, denn es ist unsere wahre Natur, die allen drei Zuständen zugrunde liegt. Man muss sich im Wachzustand bemühen und das Selbst hier und jetzt verwirklichen. Dann versteht man, dass das kontinuierliche Selbst durch die wechselnden Zustände von Wachen, Traum und Tiefschlaf nicht unterbrochen wird.« (T. 307)
Der wahre Zustand des Verwirklichten wird auch als ›Vierter Zustand‹ bezeichnet. Er existiert immer jenseits der drei Zustände von Wachen, Traum und Tiefschlaf. Er wird mit dem Tiefschlaf verglichen, da er wie dieser ebenfalls gestaltlos und nicht-dual ist. Doch wie das Zitat oben zeigt, ist er bei Weitem nicht dasselbe. Im ›Vierten Zustand‹ geht das Ego ins Bewusstsein ein, während es im Schlaf ins Unbewusstsein eingeht.
Nirgends sonst hat Bhagavan deutlicher gezeigt, dass die Theorie dem Verständnis des Suchenden angepasst werden muss, als bei der Frage von Tod und Wiedergeburt. Jenen, die fähig waren, die reine, nicht-duale Theorie zu begreifen, erklärte er lediglich, dass sich die Frage nicht stellt, denn wenn das Ego jetzt kein wirkliches Dasein hat, kann es auch nach dem Tod keines haben.
F.: »Haben die Handlungen eines Menschen in diesem Leben eine Auswirkung auf seine zukünftigen Geburten?«
B.: »Bist du jetzt geboren? Warum denkst du über künftige Geburten nach? In Wahrheit gibt es weder Geburt noch Tod. Soll der, der geboren wurde, an den Tod denken und wie er sich Linderung verschaffen kann.« (T. 17)
F.: »Ist die hinduistische Lehre von der Wiedergeburt richtig?«
B.: »Darauf gibt es keine eindeutige Antwort. In der Bhagavad Gita zum Beispiel wird sogar die gegenwärtige Inkarnation geleugnet.«
F.: »Ist nicht unsere Persönlichkeit ohne Anfang?«
B.: »Finde zuerst heraus, ob sie überhaupt existiert, und stelle die Frage, wenn du dieses Problem gelöst hast. Nammalwar sagt: ›In meiner Unwissenheit hielt ich das Ego für das Selbst, aber richtig verstanden gibt es das Ego gar nicht, und nur du bleibst als das Selbst zurück.‹ Sowohl Nicht-Dualisten als auch Dualisten stimmen darin überein, dass Selbstverwirklichung nötig ist. Erlange sie zuerst, und stelle dann deine weiteren Fragen. Nicht-Dualismus und Dualismus können nicht allein aufgrund von theoretischen Überlegungen bestimmt werden. Wenn das Selbst verwirklicht ist, taucht diese Frage nicht mehr auf.« (T. 491)
B.: »Was geboren wurde, muss auch wieder sterben. Was man erlangt hat, geht wieder verloren. Aber wurdest du geboren? Du existierst immer. Das Selbst kann nie verloren gehen.« (T. 20)
Bhagavan riet davon ab, sich mit solchen Fragen zu beschäftigen, da sie nur von der wahren Aufgabe der Verwirklichung des Selbst hier und jetzt abhalten.
F.: »Es heißt, dass wir nach unserem Tod zwischen Belohnung und Strafe wählen können und es von unserer Wahl abhängt, was folgt. Stimmt das?«