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Peet Orell liegt im Koma, während in der Promet ein Phantom sein Unwesen treibt. Der Reihe nach schaltet der Unheimliche die Besatzungsmitglieder aus. Der Schattenmann ist nicht aufzuhalten, die Promet scheint verloren.Die Printausgabe umfasst 160 Buchseiten.
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Seitenzahl: 153
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Achim Mehnert
BÖSER ZWILLING
In dieser Reihe bisher erschienen:
5001 Christian Montillon Aufbruch
5002 Oliver Müller Sprung ins Ungewisse
5003 Vanessa Busse Dunkle Energie
5004 Vanessa Busse Angriff aus dem Nichts
5005 Oliver Müller Gefangene der Doppelsonne
5006 Achim Mehnert Das Vermächtnis der Moraner
5007 Rainer Schorm Jedermanns Feind
5008 H. W. Stein & Oliver Müller Die Sklavenwelt
5009 Achim Mehnert Todesdrohung Schwarzer Raumer
5010 Vanessa Busse Entscheidung: Risiko
5011 Ben B. Black Zegastos Kinder
5012 Michael Edelbrock Fremde Seelen
5013 Achim Mehnert
Achim Mehnert
Böser Zwilling
© 2016 BLITZ-Verlag
Redaktion: Jörg Kaegelmann
Exposé: Oliver Müller und Michael Edelbrock
Zeittafel: Ralf Locke
Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati
Umschlaggestaltung: Mark Freier
Satz: Winfried Brand
Alle Rechte vorbehalten
ISBN 978-3-95719-573-9
Jörn Callaghan wischte sich die schweißnassen Handflächen an den Hosenbeinen ab. Die Heiligen Bollwerke der Lint feuerten nicht, das dichte Netz aus Orbitalstationen blieb inaktiv. Ungehindert folgte die Promet dem Korridor durch die Planetenatmosphäre in den interplanetaren Raum hinaus.
„Der Transponder scheint die richtigen Signale zu senden“, deutete Szer Ekka die Feuerstille. „Sonst hätten die Abwehrforts uns längst aus dem All gepustet.“
Jörn ließ sich von dem Erfolg nicht blenden. Er traute dem Braten nicht. Ein massiver Feuerschlag, und die Promet war Geschichte. Seine Hände glitten zu den Kontrollen. Die Finger fanden die Bedienungselemente, ohne dass er ihnen einen Blick gönnte. Aus der Triebwerksektion drang das unterschwellige Summen des deGorm-Antriebs in die Zentrale.
„Sei nicht so verkrampft“, flötete Vivien Raid. Ihre angespannte Miene strafte ihre bemühte Gelassenheit Lügen. „Szer hat recht. Entspann dich.“
Dazu habe ich später Zeit. Jörns Blick huschte unstet über die Verglasung der Zentrale. Hinter der Sichtscheibe funkelte das Sternenmeer wie Millionen Diamanten im Sonnenschein. So wie wir alle.
Wann das sein würde, stand buchstäblich in den Sternen, denn Zeit hatten sie nicht wirklich. Sie alle sorgten sich um Peet Orell, dessen Zustand bedenklich war. Peet lag auf der Medostation, doch der Doc konnte ihm nicht helfen. Jedenfalls nicht mit Bordmitteln. Der Kommandant musste rasch zur Erde geschafft werden. Dort standen die Chancen besser, seine geheimnisvolle Krankheit zu heilen. So hoffte Jörn. Unbewusst wollte er die deGorm-Triebwerke höher fahren, doch sie liefen bereits auf Volllast. Er seufzte. In der Besatzung war normalerweise er der ruhige Pol, das genaue Gegenteil zu Peet und der manchmal etwas hyperaktiven Vivien. In diesem Moment war von seiner sprichwörtlichen Ruhe kaum etwas verblieben.
Dummkopf, schalt er sich. Entspanne dich nicht, sondern konzentriere dich.
Die tropfenförmige Raumjacht raste in die Schwarze Weite hinaus, stetig beschleunigend. Die Anzeigen übersprangen die Marke von neunzig Prozent Lichtgeschwindigkeit.
„Lint bleibt hinter uns zurück“, kommentierte Ekka den Anblick des Weltraums.
Arn Borul gab keinen Ton von sich. Die schockgrünen Augen des Moraners waren auf die Anzeigen gerichtet. Wortlos nahm der Moraner jedes Detail in sich auf. Junici saß neben ihrem Gefährten, so schweigsam wie er. Der Rest der Besatzung hielt sich nicht in der Zentrale auf. Der Doc wachte in der Medostation über Peet, und Gus Yonker kauerte in der Kommunikationszentrale, von den meisten an Bord umgangssprachlich als Funkbude bezeichnet. Pino Takkalainen hatte nach den Reparaturen ohnehin genug im Maschinenraum zu tun. Die deGorms hatten zwar ihre volle Leistungsfähigkeit zurück, und auch das Borul-Triebwerk versah seinen Dienst wieder, doch es gab keine Garantie dafür, dass es nicht zu erneuten Ausfällen kam. Bei nächster Gelegenheit mussten die Aggregate einer eingehenden Überprüfung unterzogen werden.
„Geschafft, würde ich sagen.“ Vivien deutete auf eine Zahlenkolonne. Die Werte in dem Holo wurden rasch größer. „Wir sind außer Reichweite der Orbitalgeschütze.“
Jörn deutete ein Nicken an. Er hatte Sehnsucht nach der Pfeife, die in seiner Hosentasche steckte. Er unterdrückte den Drang, sie hervorzuholen und sie anzuzünden. „Woran denkst du, Arn?“
„Ich frage mich, wohin du fliegst.“
„Schwer zu sagen, solange wir nicht wissen, wo wir überhaupt stecken“, kam Ekka dem Mann im Kommandantensessel zuvor.
„Wie wäre es, wenn du eine Positionsbestimmung vornimmst, Szer?“, schlug Jörn vor.
„Das erledige ich im Astrolab. Gebt mir ein paar Sekunden.“ Der Nachfahre von Indianern und Inuit sprang von seinem Sitz auf. Im Licht der künstlichen Beleuchtung schimmerte sein blauschwarzes Haar. Sein breites rötliches Gesicht schien zu glühen, als er aus der Zentrale hetzte.
Vivien schickte ihm einen vorwurfsvollen Blick hinterher. Jörn behielt die Geschwindigkeit von neun Zehntel Licht bei und nahm eine Kurskorrektur vor. Er steuerte die Promet vertikal zur Bahnebene der Planeten aus dem Sonnensystem hinaus und erinnerte sich an die Umstände, die das Schiff überhaupt erst in diesen Raumbereich geführt hatten.
Der Schattenmann. Die unheimliche Erscheinung war wie aus dem Nichts aufgetaucht, ein diffuses, nicht ganz stoffliches Wesen, das Peets Kommandantencode kannte. Damit hatte der Schattenmann eine Transitionsschleife initiiert und die Promet in Intervallen von wenigen Minuten Transitionen durchführen lassen. Bis in dieses Sonnensystem, bis zum Planeten Lint.
Ekka hielt Wort. Bis er sich aus dem Astrolab meldete, verging keine halbe Minute. „Was wären wir nur ohne meine Sternenkarten?“
„Deine?“, meinte Arn verwundert.
„Wie auch immer“, überging der Astronavigator den Einwurf. „Mit ihrer Hilfe war es nicht schwer, unsere Position zu bestimmen.“
„Moment, ich schalte Tak und den Doc dazu.“ Jörn griff auf die interne Com zu und erweiterte den Rufkreis um die Anschlüsse in der Medostation und im Maschinenraum. Der Ingenieur nahm den Anruf entgegen, doch zu Jörns Verwunderung meldete Ridgers sich nicht. Wahrscheinlich war er gerade mit Peets Untersuchung beschäftigt. „Schieß los, Szer.“
„Wir befinden uns am Rand des Lincor-Sternhaufens“, eröffnete der Navigator. „232 Lichtjahre von der Erde und 244 von Suuk entfernt. Durch den Schattenmann sind wir ganz schön weit herumgekommen.“
Vivien klatschte unternehmungslustig in die Hände. „Aber mit ein paar Transitionen sind wir wieder daheim und können Peet in die richtigen Hände geben. Es hätte schlimmer kommen können.“
Zu diesem Zeitpunkt konnte sie nicht wissen, wie sehr sie sich irrte.
*
„Danke, dass du mir Gesellschaft leistest, Junici“, sagte Ben Ridgers. Der groß gewachsene Bordarzt der Promet massierte seine Stirnglatze. „Mir fällt allmählich die Decke auf den Kopf. Ich habe alles Mögliche unternommen, um Peet aus seinem komatösen Zustand zu holen. Allmählich bekomme ich ein schlechtes Gewissen, inzwischen habe ich ihn zu einem Versuchskaninchen degradiert.“
Die bildschöne Moranerin hatte die Arme vor der Brust verschränkt und studierte die wenig aufschlussreichen Anzeigen des kleinen Holoschirms, der in einer Raumecke der Medostation schwebte. „Sein Zustand ist unverändert?“
„Leider ja. Peets Organismus spricht nicht auf die Stimulantia an, die ich ihm verabreicht habe. Lediglich seine Kreislauffunktionen haben sich geringfügig verbessert.“
„Also hast du doch etwas erreicht.“ Junicis Blick wanderte von dem Holo zu Peet hinüber.
Der Doc winkte ab. „Ich glaube nicht, dass meine Bemühungen die Veränderung herbeigeführt haben. Möglicherweise wehrt sich sein Körper gegen die unbekannten Faktoren, die ihn in diesen Zustand versetzt haben. Ehrlich gesagt, bin ich nicht einmal sicher, ob es sich dabei tatsächlich um eine Verbesserung seines Gesundheitszustands handelt.“
Der Kommandant der Promet war blass. Sein Gesicht glich einer wächsernen Maske, wirkte eingefallen. Der strohblonde Mann mit dem Aussehen eines Wikingers war enorm geschwächt. Man brauchte kein Arzt zu sein, um das zu erkennen. Ridgers’ Überlegungen kehrten immer wieder zu der Entdeckung zurück, die er gemacht hatte, über die er aber nicht zu sprechen wagte. Sie hatten andere Probleme, da musste er sich bei seinen Kollegen nicht mit Gewalt lächerlich machen. Exotische Materie, die in diesem Universum nicht existieren konnte. Das klang wie ein Griff in die Trickkiste, um von seinem Misserfolg abzulenken.
„Vielleicht kann ich helfen“, murmelte Junici.
Der Doc schreckte aus seinen Grübeleien hoch. „Wie denn?“
„Ich habe eine Idee“, sagte die Moranerin zögernd. „Nach meiner Operation durch Doktor Hellbrook ist etwas geschehen, das ich nur Peet gesagt habe. Mit mir geschah etwas, das wir Moraner als Aurensehen bezeichnen.“
„Aurensehen?“ Ridgers’ Neugier war geweckt. „Klingt geheimnisvoll.“
„Ist es auch, selbst für mich“, gestand Junici. „Das heißt, ich habe keine wissenschaftliche Erklärung dafür, und die meisten Moraner verweisen das Aurensehen ins Reich der Fabel. Ach was, kaum jemand besitzt überhaupt Kenntnis davon. Trotzdem ist es passiert, als Peet mich besuchte. Ich sah ihn zweifarbig.“
„Zweifarbig?“ Der Mediziner sah sie ratlos an.
„Das Aurensehen befähigt mich, die Stimmungen von Menschen als Farben zu sehen. Oder mehr zu erahnen, um genau zu sein. Es ist keine wissenschaftliche Disziplin, sondern hat mit Gefühlen und Intuition zu tun. Jedenfalls sah ich bei Peet zwei verschiedene Farben, so als seien zwei sich diametral gegenüberstehende Stimmungslagen in ihm präsent. Beinahe, als würden sie gegeneinander kämpfen.“
Ein Anflug von Skepsis lag auf dem Gesicht des Docs. „Nach der Operation waren deine Sinne nicht mehr dieselben wie zuvor. Seitdem siehst du die Welt buchstäblich mit anderen Augen. Kann es sein, dass du dir diese Zweifarbigkeit nur eingebildet hast?“
„Nein“, antwortete Junici ungewohnt scharf.
„Weiß Arn von dieser Fähigkeit?“
Die Moranerin schüttelte in menschlicher Manier den Kopf. „Bis zu dem Vorfall wusste ich selbst nichts davon. Zumindest erinnere ich mich nicht daran, dass ich früher schon Kenntnis davon besaß. Trotzdem sind das keine Hirngespinste. Vielleicht finde ich etwas heraus, wenn ich mich mit dem Aurensehen bewusst auf Peet konzentriere.“
Der Doc war unschlüssig, was er von dem Angebot halten sollte. Seit er Arn und Junici und besonders Thosro Ghinu kannte, hatte er einige Dinge erlebt, die er früher als Scharlatanerie abgetan hätte. Sie existierten, auch wenn es einem rational denkenden Menschen von der Erde schwerfiel, das zu akzeptieren. Dennoch konnte er nicht aus seiner Haut. Die alten Schulweisheiten und traditionelle medizinische Methoden behielten bei ihm Priorität. „Vielleicht später.“ Er hatte viel zu lange gezögert. Egal wie lächerlich seine Entdeckung klang, es wurde Zeit, dass er sie den anderen mitteilte. „Ich muss in die Zentrale. Kannst du für eine Weile allein auf Peet achten?“
„Sicher.“ Die Moranerin ließ sich nicht anmerken, ob sie sich brüskiert fühlte, weil der Doc nicht auf ihr Angebot einging.
Ridgers verließ die Medostation und machte sich auf den Weg in die Zentrale.
*
Jörn kam nicht dazu, Ekka eine Reihe von Sprungetappen berechnen zu lassen. Bevor er den Befehl geben konnte, öffnete sich das Schott, und der Doc trat ein. Deshalb also hatte Jörn den Bordarzt nicht erreicht. Er war auf dem Weg in die Zentrale gewesen. Es war ungewöhnlich, dass er nicht bei seinem Patienten blieb.
Jörn fuhr hoch. „Peet?“, brachte er mit einem Krächzen hervor.
Ridgers winkte ab. „Keine Aufregung, sein Zustand ist weitgehend unverändert.“
„Was willst du dann hier, statt dich um ihn zu kümmern?“, fragte Vivien vorwurfsvoll.
Der Doc wand sich. Wenn er etwas nicht verstand, wurde er nervös und manchmal sogar hektisch. Das galt besonders in Fällen, die nicht in seinen medizinischen Aufgabenbereich fielen. Was Technik anging, wirkte er oft ausgesprochen hilflos.
Die kleinen Anzeichen entgingen Jörn, der wieder Platz nahm, nicht. In diesem Moment waren sie unübersehbar. „Was ist los, Doc? Raus mit der Sprache.“
„Ich habe etwas entdeckt, mit dem ich nichts anfangen kann“, druckste der Bordarzt herum.
„Aha“, machte Vivien. „Und was? Lass dir nicht jedes Wort einzeln aus der Nase ziehen.“
„Es geht um etwas höchst Merkwürdiges, auf das ich durch Zufall gestoßen bin. Um das Zerfallsprodukt einer eigenartigen Substanz, mit der ich noch nie konfrontiert wurde. Was nicht verwunderlich ist, denn sie scheint überhaupt nicht zu existieren. Ich habe alle Datenbanken der Promet zurate gezogen. Die Substanz ist so flüchtig, dass sie in unserem Universum nicht bestehen kann.“
Jörn verzog das Gesicht. Das Verlangen nach seiner Pfeife wuchs. „Wie kannst du auf etwas stoßen, das angeblich nicht existiert?“
„Nicht hier existiert, habe ich gesagt.“ Der Doc fuchtelte mit den Armen in der Luft herum. „Nicht in unserer Sphäre. Wenn ihr mich fragt, stammt sie aus dem Parakon.“
„Eine flüchtige Substanz?“, griff Arn in das Gespräch ein.
„Superflüchtig sogar.“
„Wo genau hast du sie entdeckt?“
„In Peets Gesicht“, erklärte der Doc mit sichtlichem Unbehagen. „Und zwar an der Wange, wo der Schattenmann Peet einen Schlag versetzt hat.“
„Ich habe vielleicht eine Erklärung für dieses Phänomen“, murmelte der Moraner.
Vivien wandte sich ihm zu. „Was weißt du darüber, Arn? Fang nicht an, genauso herumzueiern wie der Doc. Ihr schafft es noch, dass ich an die Decke gehe.“
„Was nicht das erste Mal wäre“, meldete sich Tak über die Com. „Es ist immer wieder reizend, wenn du hochgehst wie eine Rakete.“
„Schlechter Zeitpunkt für Witzchen“, zischte die schwarzhaarige Frau.
Arn war der gleichen Meinung. „Ich erinnere mich an Schulungen meines Mentors Thosro Ghinu zum Thema Hyperphysik und Reisen durch das Parakon“, begann er. „Bei jeder Transition wird ein superflüchtiges Element aus dem Hyperraum mitgerissen. Es ist zwar exotisch, aber in unserem Raum-Zeit-Kontinuum völlig ungefährlich, weil es sich von allein verflüchtigt. Jetzt erinnere ich mich wieder. Das ist eine der Funktionen des Thirr-Odd-Elements. Es beschleunigt die Verflüchtigung der Parakon-Materie.“
„Wenn das wirklich der Sinn dieses Thirr-Odd-Dings ist, kann das flüchtige Element nicht so harmlos sein“, warf Tak ein. „Sonst hätten die Moraner dafür keine Vorkehrung getroffen.“
„Mein Volk war eben vorsichtig“, hielt ihm Arn entgegen. „Wie gesagt, es handelt sich um eine der Funktionen des Elements. Es gibt mehrere, aber fragt mich bitte nicht nach den anderen.“
„Schön und gut.“ Vivien rümpfte die Nase. „Das erklärt aber nicht, wie Spuren des flüchtigen Elements in Peets Gesicht kamen. Wenn ich dich richtig verstanden habe, durch den Angriff des Schattenmannes.“
„So ist es“, bestätigte der Doc. „Der Zusammenhang ist naheliegend.“
Arn nickte. „Ich glaube, das unbekannte Wesen bedient sich bei seinen Angriffen der Parakon-Materie. Wir wissen immer noch nichts über seine Natur. Woher es auch kommen mag, vielleicht braucht es das flüchtige Element, um sich zu stabilisieren und aktiv werden zu können.“
„Aus diesem Grund also hat der Schattenmann die Transitionsschleife initiiert“, folgerte Tak. „Bei jedem Sprung stand ihm neue Materie zur Verfügung. Dieses Thirr-Odd-Ding ist mir nicht geheuer. Vielleicht geschieht das alles nur, weil es beschädigt ist.“
„Nein, das glaube ich nicht“, widersprach der Moraner. „Ich fürchte, darauf ist der Unbekannte nicht angewiesen. Ihm genügen die winzigen Reste der Substanz, die nach dem Austritt aus dem Parakon trotz des funktionierenden Thirr-Odd-Elements übrig bleiben. Davon abgesehen könnte ich das Aggregat hier im Raum nicht reparieren, wenn es beschädigt wäre.“
„Gehen wir mal davon aus, dass du recht hast“, sagte Jörn.
„Ich habe recht“, versicherte Arn überzeugend.
„Einverstanden. Das erklärt aber immer noch nicht, wieso der Schattenmann ausgerechnet Peet angegriffen hat. Wir anderen blieben von ihm verschont. Das ergibt keinen Sinn.“
„Kein Zufall. Entweder hat dieses Wesen Peet gezielt außer Gefecht gesetzt, weil er der Kommandant ist, oder zwischen beiden besteht eine Verbindung, die wir nicht erkennen.“ Vivien zog die Schultern hoch. „Ich weiß nicht, welche Möglichkeit mir weniger zusagt.“
„Zum Glück ist es dir gelungen, den Kommandantencode außer Kraft zu setzen“, sagte Arn dankbar. „Die Gefahr, dass der Schattenmann eine weitere Transitionsschleife auslöst, besteht nicht mehr. Trotzdem stecken wir in einer Zwickmühle. Sobald wir selbst einen Sprung durchführen, spielen wir dem Unbekannten in die Karten, weil wir zwangsläufig wieder flüchtige Materie aus dem Parakon mitbringen.“
„Was haltet ihr von einer Rückkehr nach Lint?“, schlug Yonker aus der Funkbude vor. „Von dort aus rufen wir die Moran per Hyperfunk zu Hilfe.“
„Auch damit verlieren wir zu viel Zeit“, lehnte Arn ab.
„Sollen wir etwa toter Mann spielen?“, begehrte Vivien auf. „Irgendetwas müssen wir unternehmen, und zwar schnellstens. Wenn wir nicht transitieren, hängen wir hier fest, während Peets Gesundheit sich weiter verschlechtert. Oder kannst du uns eine Besserung in Aussicht stellen, Doc?“
Ridgers schüttelte wortlos den Kopf. Arn und Jörn tauschten einen vielsagenden Blick. Sie konnten es sich nicht erlauben, tatenlos abzuwarten. Sie standen unter Zugzwang. Jede verlorene Stunde gefährdete womöglich Peets Leben. Zu allem Überfluss trieb sich der Schattenmann im Schiff herum. Ohne die flüchtige Substanz aus dem Parakontinuum mochten seine Kräfte auf Sparflamme kochen, doch damit war man ihn noch lange nicht los. Woher er kam und wie seine Pläne aussahen, blieb unbekannt. Bisher gelang es ihm zwar nur, sich in Peets Nähe zu manifestieren, doch man musste damit rechnen, dass er es früher oder später schaffte, überall im Schiff aufzutauchen.
„Junici hat mir eine Methode vorgeschlagen, mit der sie Peet untersuchen möchte, ihr sogenanntes Aurensehen.“ Ridgers berichtete, was er von der Moranerin erfahren hatte.
„Was versprichst du dir davon?“, wollte Jörn wissen.
Der Doc zuckte mit den Achseln. „Manche Fähigkeiten unserer moranischen Freunde stürzen mich in einen echten Gewissenskonflikt. Das solltest du besser Arn fragen.“
„Junici weiß, was sie tut“, beeilte sich der Moraner zu sagen. „Ein Versuch kann nicht schaden, wie ihr Menschen sagt. Ich schlage vor, der Doc begibt sich zu Peet und Junici, während wir uns auf eine Transition vorbereiten.“
„Du willst das Risiko eingehen, den Schattenmann wieder zu stärken?“, fragte Vivien.
„Uns bleibt nichts anderes übrig. Du hast eben selbst gesagt, dass wir keine Zeit verlieren dürfen. Was meinst du, Jörn?“
Der setzte einen nachdenklichen Gesichtsausdruck auf. „Ich stimme dir zu. Wir versuchen, mit möglichst wenigen Transitionen auszukommen. Vier Sprünge über jeweils gut fünfzig Lichtjahre, hältst du das für machbar, Tak?“
Der Ingenieur bejahte, ohne zu zögern.
„Dann machen wir uns auf den Weg“, entschied Jörn. „Szer, ich erwarte nach jedem Sprung eine exakte Positionsbestimmung.“
„Bekommst du“, versprach der Astronavigator.
„Gut. Berechne den Kurs zur Erde.“
„Besser nach Suuk“, warf Arn ein. „Der Planet liegt nur achtzehn Lichtjahre von der Erde entfernt, für unsere Sprungdistanzen ändert sich also kaum etwas. Doch auf Suuk sind die Aussichten auf Hilfe für Peet größer als auf der Erde. Thosro Ghinu und die Suuraner werden eine Lösung finden.“
„In Ordnung“, stimmte Jörn zu. „Doc, ab in die Medostation. Junici soll ihr Glück versuchen. Meldet euch umgehend, wenn sie etwas herausfindet.“
Ridgers bestätigte und eilte aus der Zentrale.
*
Peets Atmung ging flach. Seine strohblonden Haare klebten an seinem Schädel. Die mit ihm verbundenen medizinischen Überwachungsgeräte lieferten unveränderte Werte.
„Ich wünschte, ich könnte dir helfen“, flüsterte der Doc. „Irgendwie ...“
„Kannst du aber nicht.“ Junici stand vor der Medoliege, auf der Peet ruhte. Sie vertraute ihrer Fähigkeit des Aurensehens. Das hieß nicht zwangsläufig, dass ihre Beobachtungen verwertbare Rückschlüsse zuließen. Eins nach dem anderen, mahnte sie sich und konzentrierte sich auf den komatösen Terraner. Die Aura, die Peet umgab, wurde von düsteren Farben dominiert. Es fiel Junici schwer, sie zu deuten. „Keine positiven Gefühle“, murmelte sie und berichtete dem Doc, was sie sah. „Obwohl Peet nicht bei sich ist, wird er von negativen Emotionen gequält. Sogar in diesem Zustand, in dem er sich seiner selbst nicht bewusst ist, gibt es etwas, das ihn zutiefst beschäftigt.“
„Was?“ Ridgers’ Stimme kam wie aus weiter Ferne.
„Keine Ahnung. Aber nichts Gutes, fürchte ich.“