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"Der Sohn der Wüste" beschreibt das faszinierende Leben des Scheichs Rayan Ibn Sedat Suekran al Medina y Nayran. Die actionreiche und mit Spannung geladene Handlung beginnt in der Gegenwart, wo er als mächtiger Mann gegen seine Feinde ankämpft und sein Leben bedroht wird. Alldem begegnet er mit Härte, Disziplin und Unnachgiebigkeit. Umso mehr wird er von den Tücken der Liebe überrascht: Der Liebe zu einer Deutschen, die so ganz anders ist als alle anderen Frauen, mit denen er es bisher zu tun hatte. Zwischendurch führt die Reise immer wieder zurück in seine Kindheit und Jugend, als er von seinem tyrannischen Vater davonlaufen muss, von ihm verstoßen wird, dem knappen Tod nur durch eine List entrinnt und in die Einsamkeit getrieben wird. Allein auf sich gestellt gelingt es ihm ein neues Leben aufzubauen, bis die Vergangenheit ihn einholt und er alles geben muss um seine Bestimmung zu finden. Und dann ist da auch noch seine Verbindung nach Amerika... Auf der anderen Seite steht Carina Hartmann, eine moderne Frau aus München, die ihre Faszination in die Geschichte des Scheichs nach Arabien treibt. Hin- und Hergerissen zwischen Abscheu vor den Grausamkeiten, deren Zeugin sie werden muss und der starken Anziehungskraft die der Scheich auf sie ausübt, gibt sie nicht auf, bis sie ihr Ziel erreicht hat: das sagenumworbene Zarifa, der Heimat des Scheichs. Weitere Bücher der Rayan – Reihe: Rayan – Zwischen Zwei Welten Rayan – Im Auge des Sturms Rayan – Der Stich des Skorpions Rayan – Das Blut von Zarifa (Weihnachten 2016)
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Seitenzahl: 538
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Indira Jackson
Rayan - Sohn der Wüste
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Vorwort
2014 – Flug von München nach Dubai - Zeitvertreib
2014 – Flughafen von Dubai - Zufall oder doch Schicksal?
2014 – Dubai - heiße Wut
1987 – Zarifa - Der Aufbruch
1989 – Zarifa - Der Anfang vom Ende
1989 – Zarifa - Ein gnadenloser Tag
1989 - Zarifa – Ein kurzes Wiedersehen
2014 - Gefängnis von Dubai - Fluchtgedanken
2014 - Hotelzimmer in Dubai - Wüstenwind
1989 – Zarifa - Das Entkommen
2014 - Gefängnis von Dubai – Die Flucht
2014 - Dubai – Der Colonel
1989 – Zerstörte Zukunft
2014 - Dubai – Die Fährte aufgenommen
2014 - Dubai – Ausgerechnet ein Anwalt
1989 – Zarifa - Ein einsamer Weg
2014 - Dubai – Eine neue Spur
2014 – Dubai – Unerwartete Hilfe
1990 - Rabea Akbar - Eine neue Rangordnung
2014 - Am Stadtrand von Dubai - Auf ins Abenteuer
1990 - Rabea Akbar – Clara
2014 - In der Wüste nahe Dubai – Eine grausige Entdeckung
1990 - Rabea Akbar – Der General
2014 - Rub’al Khali, Oase Wahi - Treffen in der Oase
1990 - Rabea Akbar – Alle Dämme brechen
2014 – Rub’al Khali, Oase Wahi – Don’t shoot the messenger
1991 - Rabea Akbar – Blutige Rache
2014 - Oase Wahi – Stolz
1991 - Rabea Akbar – Morgendämmerung
1991 - Rabea Akbar- Das Verhör
2014 - Oase Wahi – Eine clevere Lösung
1991 – Rabea Akbar – Ein folgenreiches Treffen
2014 - Oase Wahi – Die Bestrafung
1991 – Rabea Akbar – Schatten der Vergangenheit
2014 - Oase Wahi – Der Aufbruch
2014 - Rub’al Khali – Heldentum
1991 - Rabea Akbar – Familienbande
1991 – Rabea Akbar – Beginn der Ausbildung
2014 - Rub’al Khali- Carina
2014 - Rub’al Khali – Rayan
2014 – Rub‘ al Khali – Einfach nur durchhalten
2014 - Rub’al Khali – Der Zusammenbruch
2014 - Rub’al Khali – Lufttransport
1991 – Rabea Akbar – Einzelgänger
1991 - Rabea Akbar – Wüstentraining
2014 - Krankenhaus von Alessia – Erwachen
2014 - Krankenhaus von Alessia - Ein neuer Plan muss her
1991 – Armeekrankenhaus Kaserne Rabea Akbar – Teamgeist
1990er - Kaserne Rabea Akbar und Weltweit – Spezielle Werte
2014 – Krankenhaus von Alessia - Ausgetrickst
2001 - Zarifa – Treffen nach vielen Jahren
2014 – Alessia – Das Wiedersehen
2014 – Alessia – Vorliebe
2001 – Zarifa – Rückkehr nach Zarifa
2014 – Krankenhaus Alessia – Ein offenes Gespräch
2001 - Im Tal von Zarifa – Der Stammesrat
2001 - Tal von Zarifa – Nächtliche Schatten
2014 – Krankenhaus Alessia - Lehrreiche Wochen
2001 – Tal von Zarifa – Entlarvt
2001 - Tal von Zarifa – Auslieferung eines Verräters
2014 - Alessia – Die Erlaubnis
2001 - Tal von Zarifa – Hanif
2014 - Alessia – Aufbruch nach Zarifa
2014 - Rub‘ al Khali – Unterwegs
2001 – Tal von Zarifa – Die Befragung
2001 – Tal von Zarifa – Hanif
2001 – Tal von Zarifa – Die Geschichte eines Spielers
2014 – Rub’al Khali, Oase Sabya – Überraschende Einladung
2014 - Oase von Sabya – Die Verwandlung
2001 – Oase am Rande von Zarifa – Verteidigungsmaßnahmen
2001 – Rub’al Khali – Der Kundschafter
2014 – Oase von Tayma – Ein unangenehmer Gastgeber
2014 – Oase von Tayma – Die Definition von Ehre
2014 – Oase von Tayma – Problemlösung
2014 - Oase von Tayma – Eigentum
2001 – Rub’al Khali, Oase von Farah – Nachricht mit Wirkung
2001 – Oase von Farah – Die Nachricht wird verstanden
2014 – Oase von Tayma – Noch mehr Probleme
2014 – Oase von Tayma – Ein Kompliment
2014 - Oase von Tayma – Abschied von Jamila
2001 - Oase von Zarifa – Unerwarteter Support
1998 – Rabea Akbar – Neubeginn
2014 – Oase von Tayma – Aufbruch aus Tayma
2001 – Oase von Zarifa – Hanif
2014 – Rub’al Khali – Der Angriff
2001 – Oase von Zarifa – Die Niederlage der Banu Shams
2014 – Rub’al Khali – Hanif
2014 – Rub’al Khali – Jassim
2001 - Oase von Zarifa – Glück im Unglück
2014 - Rub’al Khali – Rayan
2001 – Lager vor Zarifa – Besuch im Dunkeln
2014 - Rub’al Khali – Nachwirkung
2001 – Oase von Zarifa – Treffen um Mitternacht
2014 – Zarifa - Endlich da
2001 – Oase von Zarifa – Krankenbesuch
2001 – Oase von Zarifa – Des Rätsels Lösung
2014 – Oase von Zarifa – Ankunft in der Oase
2001 – Oase von Zarifa – Wendepunkt
2014 – Zarifa – Neue Facetten
2014 – Tal von Zarifa – Endlich angekommen
2001 – Oase von Zarifa – Hanif 4
2001 - Oase von Zarifa – Sedat
2014 – Tal von Zarifa – Luxusunterkunft
2001 – Oase von Zarifa – Bezahlung einer alten Schuld
2014 – Tal von Zarifa – Julie
2001 – Oase von Zarifa – Schatten der Vergangenheit
2014 – Tal von Zarifa – Gast des Hauses
2001 - Oase von Zarifa – Die Wirkung der Wahrheit
2014 – Tal von Zarifa – Hausführung
2001 - Oase von Zarifa – Eine weitere Wahrheit
2014 - Tal von Zarifa – Daouds Ankunft
2001 - Oase von Zarifa – Lebenslänglich
2014 - Tal von Zarifa – Das Büro
2014 – Tal von Zarifa – Einlass
2001 - Oase von Zarifa – Der Eid
2014 - Tal von Zarifa – Der Ausflug
2001 - Oase von Zarifa – Eine ungewohnte Situation
2014 – Tal von Zarifa – Blick in die Vergangenheit
2014 – Oase von Zarifa – Die Entscheidung
2001 – Oase von Zarifa – Ein Neubeginn
2001 – Oase von Zarifa – Aufbruch in ein neues Leben
2001 - Tal von Zarifa – Die Bestimmung
2014 - Tal von Zarifa – Sensationen
2014 - Tal von Zarifa – Sieg über den Stolz
2014 – Tal von Zarifa – Ein Rätsel gelöst, ein neues aufgetan
2014 - Tal von Zarifa – Kampftraining
2014 – Tal von Zarifa – Rückkehr und Abschied
2014 - Tal von Zarifa – Erpressung
2014 - Tal von Zarifa – Fragen über Fragen
2014 - Tal von Zarifa – Effektive Notlüge
2014 - Tal von Zarifa – Vorbereitungen zur Rettungsaktion
2014 - Tal von Zarifa – Eisiger Abschied
Namens- und Ortsverzeichnis
Vorschau auf Teil II
Impressum neobooks
Irrtum vorbehalten
Alle Rechte bleiben der Autorin vorbehalten.
Liebe Leserinnen,
Liebe Leser,
Alle Namen, Personen und auch die meisten Orte sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten zu realen Personen oder Ereignissen sind rein zufällig und keinesfalls beabsichtigt.
Ich hoffe, Euch macht Rayan beim Lesen genauso viel Spaß, wie er mir beim Schreiben bereitet hat und ihr findet sein Leben genauso spannend und faszinierend wie ich.
Danke an meinen Ehemann, der mich darin bestärkt hat, das Buch zu veröffentlichen. Außerdem an Oli und Eva, die sich freiwillig als erste Testleser zur Verfügung gestellt haben.
Indira Jackson
Rayan schlenderte gelangweilt durch den Gang des Flugzeugs. Bereits zum vierten Mal ging er ihn entlang und wieder zurück – Gott sei Dank lagen bereits zwei Drittel des Fluges hinter ihm. Er hasste Linienflüge!
Doch sein Jet hatte in München einen technischen Defekt gehabt, der zu lange zu reparieren dauerte und so hatte er kurzerhand einen Erste-Klasse-Flug gebucht. Die acht First Class Sitze des A330-300 der Lufthansa boten zwar jeden erdenklichen Luxus, den man bei einem Linienflug erwarten konnte, trotzdem war es etwas anderes, als mit seinem eigenen Privatjet zu fliegen.
Die durchaus bequemen Liegesitze des Airbus boten fast den gleichen Ruhekomfort wie die seines Learjet, doch allein die vielen Leute auf dem engen Raum eines Standardflugzeuges reduzierten das Wohlbefinden. Dieser Eindruck verstärkte sich für ihn bei den 48 Business Class Reisenden und mit den weiteren 161 Passagieren, die sich in der „Holzklasse“ in die Sitze quetschen mussten, hatte er fast Mitleid.
Er hatte gerade das Ende des Flugzeuggangs erreicht, als der Kapitän alle aufforderte, ihre Sicherheitsgurte anzulegen. Turbulenzen!
Rayan wollte sich auf den Weg machen, wieder ganz nach vorne auf seinen Platz zu gehen, als eine dunkelblonde, zierliche Frau seine Aufmerksamkeit erregte, die in eine Zeitschrift vertieft war.
Es schien sich um eines der üblichen Klatschblätter zu handeln, doch das war nicht das, was ihn faszinierte – vielmehr war es der Artikel. Der nämlich handelte von ihm selbst.
Er hatte sich schon vor langer Zeit abgewöhnt, viel auf diese Berichte zu geben und die Blätter wussten inzwischen auch, dass sein Anwalt einige Methoden hatte, sie zum Schweigen zu bringen. Den meisten war es der Ärger nicht wert und daher hatte das Medieninteresse deutlich nachgelassen. Nur ab und zu gab es kleinere Artikel über ihn.
Als Rayan bei näherem Hinsehen feststellte, dass die Dame offenbar gezielt Artikel über ihn gesammelt hatte und der Sitz neben ihr auch noch leer war, konnte er der Versuchung nicht widerstehen – er grinste in sich hinein. Das würde sicher spaßig werden und ihm helfen die Flugzeit zu verkürzen!
„Entschuldigen Sie bitte, dürfte ich mich kurz zu Ihnen setzen? Wissen Sie, die Turbulenzen …“, fragte er in perfektem Deutsch mit nur ganz leicht hörbarem Akzent. Ein Dank an seine Großmutter!
Die junge Frau war so vertieft, sich Informationen aus den verschiedenen Artikeln herauszuschreiben, dass er die Frage wiederholen musste. Dann blickte sie ihn etwas verwirrt an.
„Ja klar, kein Problem“, sagte sie dann nach ein paar Sekunden Zögern. Man konnte ihrem Gesicht ansehen, dass es doch ein Problem war und sie eigentlich nicht gestört werden wollte, aber das hinderte Rayan nicht im geringsten – er stellte fest, dass sie wunderschöne grün-graue Augen hatte, die ihn an die Farbe der Wälder in Deutschland erinnerten.
Also nahm er Platz und schnallte sich artig an.
„Sie scheinen ja ein richtiger Fan zu sein“, stellte er hinterhältig fest, deutete auf ihre Unterlagen und fügte hinzu, „Wer ist der Kerl? Ein Fernsehstar?“
Wieder dieser forschende Blick, der ganz klar sagte, dass ihn das nichts anginge. Dann sah sie ihm einige Sekunden lang in die Augen und Rayan fürchtete schon, sie hätte ihn erkannt. Aber dann stellte er fest, dass sie offenbar von ihm angetan war. Er lächelte ihr zu und sah, wie sie dahinschmolz.
„Nein wissen Sie, ich bin Schriftstellerin und schreibe ein Buch.“ Offenbar wollte sie ihn beeindrucken und nicht als „Groupie“ dastehen.
„Na das ist ja mal interessant!“, sagte er doppeldeutig und dachte bei sich, „jetzt schreiben sie schon Bücher über mich …“
„Und wen hat der Kerl ermordet, dass er diese Aufmerksamkeit verdient?“, fragte er wieder provozierend.
„Niemanden!“ war die empört klingende Antwort. „Er ist einfach eine faszinierende Persönlichkeit! Reich - mit großem Einfluss in Europa und guten Verbindungen nach Amerika.“
Wieder konnte Rayan ein Grinsen nur mit Mühe unterdrücken und dachte „wenn du wüsstest“.
Er fand nun richtig Gefallen an dem Spiel und beschloss noch ein wenig dicker aufzutragen: „Ach jetzt weiß ich, wen Sie meinen, das ist doch dieser Erfinder des Computers – wie heißt der noch – Bill Gates?“
Wieder dieser kritische Blick aus diesen grünen Augen und einen Moment lang dachte er, er hätte den Bogen überspannt.
„Nein er ist Araber – ein echter Scheich!“ rang sie sich dann ab.
„Ach Öl und so, was? Na kein Wunder, dass er reich ist“, flötete er.
Da wurde ihre Stimme verschwörerisch: „Aber nein, kein Öl! Das ist ja das Komische. Keiner weiß so genau, woher er das viele Geld hat, und es hat auch nie jemand hinterfragt …“
Na das wäre ja auch noch schöner, dachte Rayan bei sich …
Die nächsten eineinhalb Stunden vergingen tatsächlich wie im Fluge. Er stellte ihr Fragen und sie beantwortete voller Begeisterung, was sie alles über „den Scheich“ wusste. Rayan war fasziniert von ihrem Enthusiasmus, mit dem sie über „ihr Projekt“ und „ihr Buch“ redete. Überhaupt sah sie richtig attraktiv aus, wenn sie sich so ereiferte. Einige ihrer blonden Strähnen hatten sich aus ihrem Pferdeschwanz gelöst und hingen ihr wirr ins Gesicht, was ihre natürliche Ausstrahlung betonte. Sie schien kaum Make-up zu tragen. Daher konnte er sehen, dass sich ihre Wangen gerötet hatten. Und als sie ihm gestenreich ihre Ideen schilderte, blitzte das Grün ihrer Augen. Es tat ihm fast ein wenig leid, dass sie letztendlich unweigerlich in einer Sackgasse landen musste, denn ein Buch über ihn? Absolut lächerlich – „No way!“
Am Ende war es sein Freund und Leibwächter Ibrahim, der ihm von weiter vorne mit einem betonten Blick auf seine Armbanduhr zu verstehen gab, dass es bald Zeit zur Landung war, und er sich noch umziehen musste …
Also verabschiedete er sich höflich, bedankte sich für die nette Unterhaltung und meinte zum Abschied noch: „Ich komme viel herum in der Welt, sollte ich ihn sehen, ihren Scheich, richte ich ihm schöne Grüße aus, Frau …?“ „Carina, Carina Hartmann“, sagte sie mit einem bezaubernden Lächeln.
Dann ging er nach vorne an Ibrahim vorbei und durch den Vorhang, den man vor die erste Klasse gezogen hatte.
Carina war der Blick aus seinen wundervollen dunkelblauen Augen so unter die Haut gegangen, dass ihr erst zu spät auffiel, dass er sich ihr nicht vorgestellt hatte.
„Werte Passagiere, bitte haben Sie noch einen Moment Geduld, bis ein besonderer Fluggast das Flugzeug verlassen hat. Wir bitten Sie, diese Verzögerung zu entschuldigen.“
Carina traute kaum ihren Augen: Von ihrem Platz aus hatte sie einen direkten Blick auf die vordere Ausstiegsluke und da kam doch ausgerechnet ihr neuer, geheimnisvoller Bekannter aus der ersten Klasse. Aber nicht mehr in seinem schicken Rolli mit Jackett, nein inzwischen hatte er in ein traditionelles arabisches Gewand gewechselt. In tiefem Dunkelblau sah er einfach umwerfend aus!
Aber wieso?
Zwei weitere Männer, einer davon der finster aussehende Kerl, der den Eingang zur ersten Klasse bewacht hatte. Offenbar also ein Leibwächter.
Ihr neuer Freund lächelte ihr noch einmal unverschämt zu und ging dann schnurstracks und überaus selbstsicher auf den Ausgang zu.
Ich glaub´ mich tritt ein Pferd! Was war das eben? „VIP – hab ich was verpasst?“, dachte Carina verwirrt.
„Miss Hartmann? Ich habe eine persönliche Nachricht vom Scheich für Sie“, sagte leise eine der Flugbegleiterinnen neben ihr.
Vom Scheich? Von welchem Scheich? Obwohl Carina ihre Gedanken nicht laut geäußert hatte, schien die Frage deutlich auf ihrem Gesicht lesbar zu sein.
Jetzt war es an der Stewardess verdutzt drein zu blicken: „na Scheich Rayan Suekran al Medina y Nayran – Sie haben sich doch vorhin selbst mit ihm unterhalten? Hat sich der Herr gar nicht vorgestellt?“
ER - der Scheich?
Oh mein Gott, der hat mich die ganze Zeit verarscht – kein Wunder, dass er immer so amüsiert gegrinst hatte! Carina spürte, wie ihr erst die Schamesröte ins Gesicht stieg, die dann aber ziemlich schnell in blanken Zorn umschlug.
Ohne nachzudenken öffnete sie ihren Sicherheitsgurt und sprang auf. Noch bevor die Stewardess bemerkte, was geschehen war, war Carina schon durch die halbe Business-Class zur ersten Ausstiegsluke gesprintet. Dort hielt sie inne – was sollte sie eigentlich tun? Ihm hinterherrufen, was für ein unverschämter Kerl er war? Und wieso sprach er eigentlich ein so gutes Deutsch, fast ohne jeden Akzent?
Sie konnte es einfach nicht glauben – sie flog nach Arabien um Recherchen über ihr Idol anzustellen und dann saß sie höchstpersönlich neben ihm und merkte es nicht einmal.
Der Scheich war in der Zwischenzeit die Gangway hinuntergegangen, wo man unten einen roten Teppich ausgerollt hatte. Eine schwarze Maybach 62S Limousine wartete auf ihn.
Vor dem Wagen stand ein Offizier der arabischen Polizei, der ihn mit einer tiefen Verbeugung begrüßte. Carina konnte die Worte nicht verstehen, doch sie sah ihm an, dass er voller Ehrfurcht war.
Man könnte fast meinen er hat Angst, dachte sie interessiert.
Links und rechts der Limousine standen noch weitere Beamte in Uniform stramm, die Hände zum Gruß an der Mütze. Die Ehrengarde bestand aus je fünf Mann auf jeder Seite. Was für ein Aufmarsch!
Ein eher kleiner, aber durchaus attraktiver Araber trat aus Richtung der Limousine heran und umarmte mit breitem Grinsen den Scheich.
Plötzlich sah Carina aus ihrer erhöhten Perspektive aus dem Flugzeug heraus eine Bewegung weiter links am Flugzeug. Ein Techniker begann, sich am Rolls-Royce Triebwerk des Airbus zu schaffen zu machen. Oder doch nicht?
Carina konnte später nicht mehr sagen, warum sie auf ihn aufmerksam wurde, doch als sie genauer hinsah, sah sie plötzlich eine Pistole mit Schalldämpfer in seiner Hand. Er hob die Hand und zielte. Oh mein Gott! Der Scheich!
Für einen Moment schien die Zeit stillzustehen.
Aber warum tat denn keiner was?
Sie schien die Einzige zu sein, die etwas bemerkt hatte. Und plötzlich ging alles ganz schnell: Sie begann zu schreien und fast zeitgleich feuerte der Mann mit der Walther P99 mehrere Kugeln ab.
Was genau die Münchnerin geschrien hatte, konnte sie nicht mehr sagen – jedoch hatte der hintere der beiden Leibwächter sofort reagiert, sich schützend auf seinen Herrn geworfen und ihn zu Boden gerissen, dann sackte der Personenschützer leblos zusammen.
Und plötzlich war die Hölle los. Die Beamten zogen ihre Waffen und feuerten auf den flüchtenden Mann. „Fangt ihn lebend, wir brauchen ihn lebend!“, hörte sie den Offizier laut rufen.
Entsetzt sackte Carina in der Einstiegsluke des Flugzeugs zusammen - was war da gerade passiert?
Unten sah sie den Scheich auf dem Boden knien, den Leibwächter in seinen Armen. Jemand schrie: „Wir brauchen einen Arzt –schnell!“
Doch auf dem Hemd des Mannes machten sich bereits an mehreren Stellen rote Flecken breit und Carina realisierte, dass es Blut war und er offenbar von mehreren Kugeln getroffen worden war. Sie hörte den Scheich auf ihn einsprechen, mit leiser fester Stimme und der Mann lächelte noch einmal unter Schmerzen, bevor er in sich zusammensackte.
Sie konnte nicht sagen, wie viel Zeit inzwischen vergangen war – Minuten? Stunden? – als endlich ein Sanitätswagen angefahren kam.
Hinter ihr drängten sich die anderen Passagiere und auch an den Fenstern des Flugzeuges hingen Gesichter, jeder wollte sehen, was da draußen passierte.
Der zweite Leibwächter hatte nun ebenfalls seine Glock 17 gezogen. Er bevorzugte diese Waffe, da sie mit 19 Schuss den unschätzbaren Vorteil hatte, dass man auch in längeren Schusswechseln selten nachladen musste. Außerdem war sie für ihre Zuverlässigkeit bekannt. Aufmerksam suchte er die Gegend nach weiteren Attentätern ab und blickte ab und zu hilflos zu seinem am Boden liegenden Kollegen hinunter.
Die Sanitäter legten den Leibwächter auf eine Bahre, konnten aber nur noch den Tod feststellen.
In diesem Moment kamen die Soldaten zurück, sie hatten den Attentäter überwältigt und schleppten ihn in Handschellen mit sich.
Auch mehrere Polizeifahrzeuge waren inzwischen angekommen.
Der Scheich rief etwas, woraufhin die Beamten den Mann in Handschellen zu ihm hinüberbrachten. Als der Mann dies bemerkte, wehrte er sich mit allen Kräften, wie ein gefangenes Tier, das panisch gegen seine Fesseln kämpft. Unmittelbar vor dem Scheich brachten sie ihn zum Stehen. Was er sagte, konnte Carina nicht hören, doch als sie seinen Blick sah, rannte es ihr eiskalt den Rücken hinunter.
Ein kaltes Lächeln umspielte seine Lippen und ein Blick in die Augen zeigte, dass kein bisschen Freundlichkeit in diesem Lächeln lag. Diese Augen, die Carina vorher schon so fasziniert hatten, als noch die Unbeschwertheit und der Schalk in ihnen lagen, hatten nun einen ganz anderen Ausdruck. Eiseskälte. Das dunkle Blau der Augen war fast schwarz geworden. Carina musste an das tiefe, kalte Blau des Gletschers denken, den sie im Urlaub in Norwegen gesehen hatte.
Was immer es für eine kurze Bemerkung gewesen war, die der Scheich an den Attentäter gerichtet hatte, er wurde aschfahl und sackte in sich zusammen. Widerstandslos ließ er sich von den Uniformierten in eines der Fahrzeuge verfrachten und wie auf ein Zeichen hin starteten alle gleichzeitig. Der Scheich stieg in die Limousine ein und diese fuhr dann langsam hinter dem Krankenwagen her zum Hauptgebäude.
Wie betäubt ging Carina zu ihrem Sitz zurück, nahm ihr Handgepäck und stieg eine kleine Ewigkeit später zusammen mit den anderen Passagieren aus. Sie hatten warten müssen, bis die Polizei den Tatort gesichert hatte und den Weg freigab.
Der Flugkapitän hatte noch eine Durchsage gemacht, doch die hatte Carina nicht verstanden, sie konnte einfach nicht denken. Rund um sie herum diskutierten alle über das soeben Vorgefallene, doch Carina achtete nicht darauf. Sie beantwortete keine Fragen und ignorierte auch die verstohlenen Blicke, die einige ihr zuwarfen.
„Entschuldigen Sie bitte! Miss?“ Höflich aber bestimmt adressierte sie ein tadellos gekleideter Araber in Englisch. Aufgrund seines starken Akzents war sie einen Moment verwirrt.
„Miss Carina?“ Erst jetzt realisierte sie, dass er mit ihr sprach. Er verneigte sich tief vor ihr. „Mein Name ist Mazin. Scheich Suekran al Medina hat mich gebeten, ihnen seine Ehrerbietung auszusprechen. Sie haben ihm das Leben gerettet. Wer weiß, was passiert wäre, wenn Sie nicht gerufen hätten! Wir sind Ihnen alle zu großem Dank verpflichtet. Das wird Ihnen mein Herr nie vergessen. Als Zeichen seiner Freundschaft hat er mich gebeten, Ihnen diese Kette zu überreichen. Sie trägt das Emblem des Scheichs. Das Abbild von Zarifa. Er hat in diesem Land und auf der ganzen Welt viele Freunde. Wenn Sie diese Kette tragen, werden sich manche Türen für Sie öffnen. Tragen Sie sie immer, vor allem solange Sie in Arabien sind. Keiner der Feinde des Scheichs wird es wagen, Sie anzufassen und alle seine Freunde werden Ihnen helfen, wo sie können.
Möge Allah mit Ihnen sein auf allen Ihren Wegen!“
Carina wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie musterte den Mann genauer. Er war auch am Flugzeug gewesen. Der Mann, der den Scheich umarmt hatte, kurz bevor die Schüsse fielen. Sie nahm die Kette, entrang sich einen Dank und stand dann unschlüssig da.
„Was passiert mit dem Mann, der … dem Attentäter?“, fragte sie schließlich mehr aus Verlegenheit.
„Die Polizei nimmt ihn mit ins Gefängnis hier in der Stadt.“ Er betonte den Satz dabei so eigenartig, dass sie das Gefühl hatte, dass das alles sagte und auch wiederum nichts.
„Und wird er dann hier vor Gericht gestellt?“ Immerhin wollte sie ein Buch über ihr Idol schreiben, da konnte sie sich die Gelegenheit, den Prozess zu verfolgen, einfach nicht entgehen lassen.
„Aber selbstverständlich, was denken Sie denn?“ doch der Ausdruck von Wut und Hass auf dem Gesicht des Mannes ließen Zweifel in ihr aufkommen.
Unerwartet fügte Mazin mehr zu sich selbst noch hinzu: „Er war nicht nur ein Leibwächter, müssen Sie verstehen – er war auch ein Freund.“ Einen Moment stutzte Carina, dann erkannte sie, dass er von dem Mann sprach, der getötet worden war.
Dann gab er sich einen Ruck: „Also nochmals vielen Dank für alles.“ Und mit einer weiteren Verbeugung war er in der Menge verschwunden.
Voller Staunen betrachtete Carina die Kette, die sie in der Hand hielt. Es war eine feine, aber stabile Goldkette, an der ein kleines Amulett befestigt war. Der Anhänger war aus massivem Gold, etwa vier Zentimeter im Durchmesser und zeigte einen blauen Wasserfall über dem eine rötliche Sonne, ein silberner Vollmond und drei Sterne abgebildet waren. Wundervoll!
Den materiellen Wert konnte sie schlecht abschätzen, weil sie nicht wusste, aus welchem farbigen Material die Abbildung auf dem Gold aufgebracht war, jedoch spürte sie, dass der wahre Wert unschätzbar war. Sicher verschenkte der Scheich nicht jeden Tag ein derartiges Schmuckstück.
Sie hängte das Amulett um den Hals und fühlte auf einmal Hoffnung in sich aufkeimen. Vielleicht war sie doch nicht völlig umsonst so weit gereist. Sie stieg in ein Taxi und fuhr in ihr Hotel.
Rayan war aufgewühlt und vor allem wütend.
Ibrahim war mit ihm aufgewachsen und hatte ihm aus so mancher Patsche geholfen. Damals, nachdem er von zuhause weggelaufen war, war Ibrahim für ihn da. Er war es auch gewesen, dem es unter anderem zu verdanken war, dass Rayans Leben gerettet werden konnte, als er mit Mühe vor den Häschern seines Vaters fliehen musste. Es war für ihn in den letzten Jahren zudem eine Ehre gewesen, das Leben seines Freundes und Scheichs zu schützen.
Er wusste, dass Ibrahim sehr gläubig gewesen war und hatte ihm vor seinem Tod zugeflüstert, dass er sein Leben gerettet habe, ein Held sei und im Paradies belohnt werden würde. Er würde persönlich dafür sorgen, dass man in Zarifa immer voller Ehrfurcht von ihm sprechen würde. Ibrahim hatte gelächelt und war in seinen Armen gestorben. Was hätte er ihm auch sonst noch sagen sollen? Und wieso hatte dieser unfähige Colonel Abboud nicht seine Leute unter Kontrolle? Wo war der Mann hergekommen? Er musste Helfer beim Bodenpersonal gehabt haben.
Dem Colonel war seine Furcht anzusehen gewesen, als er ihm im Flughafen diese Fragen gestellt hatte. „Er hat auch allen Grund dazu!“, dachte Rayan ohne Mitleid.
Der Colonel hatte auf einen festlichen Empfang und guten Eindruck seiner Leute gehofft und nun dieses Desaster. Er würde seine besten Leute auf die Untersuchung ansetzen.
Als ob das etwas bringen würde!
Aber man hatte ja noch den Attentäter – der würde ihnen jedes kleine Detail verraten, früher oder später. Ob er wollte oder nicht.
Aber nicht etwa die Leute des Colonels würden ihn verhören, oh nein. Das war eine Angelegenheit für seine eigenen Männer. Rayan hatte bereits alles Notwendige veranlasst.
Die Sonne stand fast senkrecht am blauen Himmel und brannte auf sie nieder, sodass jeder froh war, sobald er ein schattiges Plätzchen aufsuchen konnte.
Schwer atmend blickte Rayan zurück auf den Parcours. Er war zufrieden mit sich. Schneller als alle anderen Kinder hatte er die Hindernisse überwunden. Das war seine persönliche Bestzeit.
Bestimmt würde sein Vater, Scheich Sedat Suekran, diesmal stolz auf ihn sein.
Der Parcours war insgesamt ca. fünf Kilometer lang und war ursprünglich zum Training der Kämpfer des Scheichs bestimmt. Er bestand aus verschiedenen Hindernissen, die es zu überwinden galt: Zum einen war eine Steilwand zu erklettern, sich an einem Seil hochzuhangeln, um sich zum nächsten Baum zu schwingen oder auf Ellenbogen unter einem Holzgestell durchzurobben. Vor allem aber galt es den Weg laufend zurückzulegen, was durch diverse Hürden, die einfach übersprungen werden mussten, erschwert wurde.
Und dann gab es noch vier Haltepunkte, an denen diverse Waffenübungen absolviert werden mussten: Messerwerfen, Bogenschießen, Pistole und Gewehr.
Es hatte mit zwei Übungen angefangen und im Laufe der Zeit war der Parcours daraus geworden.
Seit zwei Jahren hatte der Scheich es eingeführt, dass alle Jungen einmal im Monat, anstatt die Schulbank zu drücken, besagten Parcours meistern mussten. Offiziell war es eine freiwillige Angelegenheit, jedoch würde jeder Junge, der nicht nachher Ziel des Spotts der anderen werden wollte, teilnehmen. Rayan liebte den Parcours, er rannte gerne und war beweglich und schnell.
Neben diesen monatlichen Wettkämpfen bestand sein Vater darauf, dass er täglich trainierte.
Für sein Alter von 13 Jahren war er mit fast 1,70 m bereits recht groß und das tägliche Training hatte ihm schon ein paar Muskeln beschert. Mit seinen dunklen, fast schwarzen Haaren, die nur im Sonnenlicht dunkelbraun leuchteten und seinen dunkelblauen Augen war er ein recht attraktiver Bursche, dem man jetzt schon ansehen konnte, dass er später eine ganze Reihe Frauen um den Finger wickeln würde.
Auch der Scheich war schlank und hochgewachsen. Die Haarfarbe hatte Rayan von ihm geerbt, jedoch hatte sein Vater tiefschwarze Augen, die schon so manchem das Fürchten gelehrt hatten. Sein Alter war aufgrund der sonnengegerbten Haut schwer zu schätzen, doch mochte er in etwa 50 Jahre alt sein, vielleicht auch etwas mehr.
Verschwitzt und mit hochrotem Gesicht rannte er auf seinen Vater zu, der am Eingang des Parcours mit den anderen Männern auf die Ankunft der Jungen wartete.
Als er den Ausdruck seines Vaters sah, wurde er unsicher.
„Was soll das gewesen sein?! Du hast gerade einmal zwei der 14 Ziele getroffen. Wieso nimmst du keine einzige der Aufgaben ernst, die man dir gibt? Wir sind hier nicht im Kindergarten und blödeln nur herum.
Du wirst jetzt hinübergehen und eine Stunde lang Schießen üben. Und heute Abend wirst du die Ställe ausmisten. Abendessen ist gestrichen.“
Rayan stand wie vom Donner gerührt. Statt des erwarteten Lobes eine erneute Standpauke vor all seinen Freunden. Und dann Ställe ausmisten? Sein Vater wusste genau, dass die Jungen seiner Gruppe heute Abend eine Nachtwanderung zum See geplant hatten, das konnte er nun wohl vergessen, wieder einmal!
Auf einmal wurde er wütend. Und bevor es ihm bewusst wurde, schrie er seinen Vater an. Er wusste nicht einmal genau, was er da schrie, aber er musste sich einfach Luft machen.
Das Gesicht seines Vaters wurde mit jedem Wort dunkler, das hätte ihm Warnung genug sein sollen. Doch er konnte nicht aufhören, zu lange schon hatte sich sein Frust aufgestaut.
Und dann traf ihn der Schlag. Mitten auf die rechte Wange und mit einer Wucht, die ihn zu Boden warf. Zunächst wusste er nicht, was passiert war, doch dann dämmerte ihm, dass sein Vater ihn mit voller Kraft geohrfeigt hatte. Blut lief ihm über die Wange, seines Vaters Rubinring hatte ihm unter dem rechten Auge die Haut aufgeschnitten.
„Du tust, was ich dir sage und morgen unterhalten wir uns über dein Verhalten von gerade.“
Unterhalten bedeutete, dass er seinem Diener befehlen würde, Rayan mit dem Lederriemen zu verprügeln, so viel war klar. Er überlegte kurz, ob er zu weit gegangen war, sein Vater hatte ihn noch nie selbst geschlagen, dafür gab es Personal. Doch dann packte ihn auf einmal so ein Hass, dass er erschrak. Nie konnte er etwas gut genug machen, nie bekam er Lob, immer nur musste alles noch besser und noch schneller sein. Längst hatte er in allen sportlichen Übungen seine Freunde überholt und auch in allen Waffenübungen wie Bogenschießen, Messerwerfen und Fallen stellen war er bei den besten. Im Messerwerfen kam keiner an ihn heran. Und doch war es nie genug.
Er musste immer extra Runden drehen, zusätzliche Übungen machen, mit und ohne Waffen und bekam obendrein noch Strafen.
Apropos Strafe, ihm wurde auch schon ein wenig mulmig vor dem nächsten Morgen.
Und in diesem Moment wurde ihm klar, was er tun musste.
Er versuchte aufzustehen und schüttelte vorsichtig den Kopf, um klar zu werden. Dann ging er los, um seine wenigen Sachen zu packen. Er würde noch heute Nacht aus dem Tal von Zarifa abhauen. Und nie mehr zurückkehren.
„Wer von Euch ist der Anführer?“, herrschte der Tarmane die kleine Gruppe von Rebellen an. Er war ein kleiner, fettleibiger Mann mit strähnigen, mausgrauen Haaren und hatte vom linken Auge über die ganze Wange eine leuchtend rote Nabe laufen, sodass Rayan ihn für sich spontan „Scarface“ taufte.
Seine Leute traten dicht um ihn herum, so als wollten sie ihn schützen. Sie waren alle jung: fünf Männer und eine Frau. Sie wussten genau, dass er besonders gefährdet war, auf seinem Kopf stand ein Todesurteil.
„Keiner? Dann müsst ihr das alle büßen – ganz wie ihr wollt“, und er wollte sich schon abwenden, als Rayan sie zur Seite schob. Stolz richtete er sich zu voller Größe auf. „Ich bin das. Ich bin der Anführer dieser Gruppe“.
Der Tarmane musterte ihn: „Du halbe Portion? Na kein Wunder, dass wir Euch gefasst haben. Wurde Zeit, ihr habt ja lange genug Unsinn gemacht.“ Er lachte über seinen eigenen Witz.
Mit halber Portion meinte er wohl eher das Alter, denn Rayan war noch 15, in mehr als einem halben Jahr erst würde er 16 werden. Die Zeit in der Wildnis mit den Rebellen hatte seinen Körper noch durchtrainierter werden lassen. Die tägliche Bewegung im Freien und das viele Trainieren sorgten dafür, dass er kein Gramm Fett besaß, dafür jede Menge Muskeln. Außerdem war er gewachsen, er maß inzwischen stolze 1,82 m, und wie es aussah, würde er auch noch etwas weiter wachsen.
Nach seiner Flucht von Zarifa und vor seinem Vater hatte er wenige Tage in der Wildnis allein gelebt. Das war kein Problem für ihn, er war schon von früher Kindheit an immer draußen gewesen und wusste, worauf es ankam.
Dann hatte er die Spuren der Rebellen gefunden und sie aufgespürt. Er erinnerte sich, seinen Vater von ihnen reden gehört zu haben: Es handelte sich überwiegend um Menschen, die der Scheich aus Zarifa hatte verbannen lassen oder die freiwillig vor seiner Tyrannei geflohen waren.
Sie hatten in der höheren Bergregion von Zarifa, so weit weg, wie möglich vom Tal in dem ihr früherer Herr lebte, eine kleine Siedlung angelegt, die schwer erreichbar in einem einsamen Seitental lag. Alte, Junge und mittlerweile auch ein paar Babys gehörten zu der Gruppe, die ca. 80 Personen umfasste.
Durch kleine Räubereien besorgten sie sich die notwendigsten Dinge, die sie zum Leben brauchten und hatten sich damit eine kleine Heimat geschaffen.
Es ärgerte den Scheich maßlos, dass es ihnen so gut ging, sollten sie doch durch die Verbannung ein Einsiedlerdasein fristen und vor sich hin darben. Er hatte sie daher alle kurzerhand zu „Staats- und Stammesfeinden“ erklärt.
Als seine Krieger vor zwei Jahren eine kleine Gruppe ausfindig machten, ließ er alle hinrichten. Selbst die beiden Frauen, die mit dabei waren, wurden auf seinen Befehl hin enthauptet.
Das verbitterte die Rebellen so sehr, dass sie fortan begannen, in kleinen Truppen organisierte Angriffe auf die Männer des Herrschers durchzuführen. Immer aus dem Hinterhalt und lediglich wenn es sich um wenige Personen handelte. Es war ihnen gelungen, einzelne Krieger zu töten. Doch ihr Rachedurst war bei Weitem noch nicht gestillt.
Rayan hatte sich ihnen nicht nur angeschlossen, er war im Laufe der Zeit zu einem ihrer Anführer geworden. Er kannte seinen Vater und dessen Krieger und hatte auch sonst ein erstaunliches Insiderwissen. Was die Rebellen jubeln und die Leute seines Vaters fluchen ließ.
Natürlich ließ es sich nicht vermeiden, dass sich das Wort verbreitete, wer derjenige war, der die Rebellen auf einmal so erfolgreich machte.
In einem Wutanfall verkündete sein Vater, dass sein Sohn für ihn tot war und dass seine Krieger seinen Sohn eigenhändig aufhängen und für seinen Verrat büßen lassen sollten.
Scarface packte Rayan vorne am Hemd und holte ihn so in die Realität zurück. Er zog ihn zu sich heran. „So mein Freund, du verrätst mir nun, wo sich das Nest der Rebellen befindet.“ Voller Verachtung spukte Rayan ihm ins Gesicht.
„Das heißt wohl, dass du es mir nicht freiwillig sagst, was? – na umso besser“ – und mit einem gemeinen Grinsen im Gesicht wischte er sich den Speichel ab. Rayan schwante Fürchterliches.
Ein zweiter Mann kam hinzu und zu zweit schleiften sie ihn zu einem Holzgestell und banden ihn fest.
Als gerade die Sonne aufging, hing er mit den Armen nach oben an einem Holzbalken, der zwischen zwei schlanken Bäumen befestigt worden war. Sie banden ihm auch seine Beine an die beiden Stämme, sodass er zwar stehen konnte, aber nur breitbeinig der Dinge harren konnte, die sie mit ihm vorhatten.
Als sie ihm das Gewand vom Körper rissen, um seinen Rücken freizulegen, wusste er was kommen würde. Dann traf ihn auch schon der erste Peitschenhieb mit voller Wucht. Einer der Männer hinter ihm hatte den Schlag ausgeführt, während Scarface mit verschränkten Armen vor ihm stand und ihn grinsend ansah. Die Peitsche war aus rohem Leder, sodass sie nicht nur Striemen hinterließ, sondern die Haut verletzte.
Rayan biss sich auf die Lippe, um nicht zu schreien. Er spürte, wie das Blut begann, seinen Rücken hinunterzulaufen. Doch es gelang ihm, dass kein Laut aus seinem Mund kam.
Nach zehn Hieben hörten sie auf. Sein Peiniger trat wieder mit seinem unablässigen Grinsen an ihn heran. Diesmal hatte er einen Eimer Wasser in der Hand: „Du scheinst ja ein ganz harter Kerl zu sein, was? Na, ich hab schon andere weichgekocht.“ Und statt einer Abkühlung überschütteten sie ihn mit Salzwasser. Es brannte wie Feuer in den Wunden auf seinem Rücken und Rayan wurde schlecht vor Schmerzen. Doch er erlaubte sich noch nicht einmal ein Stöhnen. Sein Stolz ließ es nicht zu, dem Gegner den Triumph zu geben, seine Pein auszukosten. Er spürte den Hass heiß in sich brennen und wäre er frei gewesen, hätte er in diesem Moment nicht gezögert, den Mann zu töten. Doch die Fesseln hielten ihn an seinem Platz und so konnte er nichts tun, als Scarface wütend anzustarren.
Inzwischen kam die Sonne am Horizont hoch und erleuchtete die grausige Szenerie, als wollte auch sie Rayan verhöhnen.
„So mein Freund, nun hast du zwei Stunden Zeit über das Rebellenversteck nachzudenken, danach machen wir weiter.“
Scarface hatte seine Drohung wahr gemacht und war wieder gekommen. Der ganze Vorgang wurde wiederholt: zehn weitere Hiebe und danach die Dusche mit Salzwasser. Rayan war entschlossen, durchzuhalten, bis … bis was? Da war er sich nicht mehr so sicher.
Doch sein ihm angeborener Stolz hielt ihn auf den Beinen, so leicht würde er sich nicht geschlagen geben! Die harte Schule seines Vaters tat ein Übriges, dass ihn nichts so schnell aus der Bahn warf.
Doch mittlerweile machte ihm auch die Hitze zu schaffen, es ging auf Mittag zu und Scarface würde wiederkommen, ganz sicher.
Er überlegte fieberhaft, was er tun konnte. Doch sein sonst so ideenreicher Geist offenbarte ihm keinen zündenden Einfall, wie er sich aus dieser misslichen Lage befreien konnte. Der zunehmende Schmerz in seinem Rücken und Handgelenken half ihm nicht grade dabei, klare Gedanken zu fassen.
Da hörte er zwei von Scarface Männern tuscheln und einer kam zu Rayan und packte sein Gewand oder was davon übrig war und sah ihm auf die Brust. Dann stieß der Mann einen leisen Pfiff aus. „Na schau mal wen wir hier haben, das ist ja ein ganz besonderes Goldstück.“
„Verdammt, das Glück ist heute wirklich nicht auf meiner Seite“, dachte Rayan verzweifelt – der Mann hatte seine Tätowierung gefunden. Als Sohn des Scheichs hatte er kurz nach seiner Geburt eine Tätowierung auf die Brust bekommen, in Form eines blauen Wasserfalls über dem eine rötliche Sonne, ein silberner Vollmond und drei Sterne waren – das Wappen von Zarifa.
Die Männer eilten zu Scarface und ritten anschließend davon. Wohin konnte er sich denken. Sie wollten sich von seinem Vater sicher ihre Prämie abholen, die dieser auf seinen Kopf ausgesetzt hatte. Und eventuell auch noch rückversichern, ob sie ihn wirklich hinrichten dürften.
Vielleicht verschaffte ihm das ja einen Aufschub. Sicher würden sie ihn nun in Ruhe lassen, bis die Reiter zurückkehrten?
Doch ein Blick auf das sadistische Grinsen von Scarface, der in diesem Moment vor ihn trat, machte alle Hoffnungen zunichte.
Die Sonne war über den Himmel gekrochen und unendlich langsam näherte sich der Abend.
Rayan war inzwischen jenseits von Gut und Böse. Insgesamt sechsmal hatten sie ihr gnadenloses Ritual an ihm durchgeführt. Vielleicht auch öfter, er hatte schon lange aufgehört zu zählen. Sein anfänglicher Stolz war einer stummen Verzweiflung gewichen und mittlerweile bekam er ohnehin nichts mehr von seiner Umgebung mit.
Er hing bloß noch in seinen Fesseln, und selbst, wenn er jetzt den Standort der Rebellen verraten hätte wollen, er konnte keinen Gedanken mehr fassen und hätte keinen vernünftigen Satz mehr sagen können. Er trieb in einem tiefen Meer aus Schmerzen.
Seine Freunde, die nur hilflos zusehen konnten, waren sich sicher, dass der Zweck der Strafaktion vom anfänglichen „Zum-Reden-bringen“ in „Ein-Exempel-statuieren“ geändert worden war.
Sie hatten schon untereinander diskutiert, ob sie an Rayans Stelle den Standort verraten sollten, oder ob sie eine Finte starten und einfach einen anderen Ort beschreiben sollten. Doch die Freunde waren sich schnell einig geworden, dass dies sinnlos war.
Plötzlich kam Bewegung in die Leute von Scarface. Die beiden Boten kamen zurück, und hatten hohen Besuch mitgebracht.
Scheich Sedat Suekran al Medina y Nayran war höchstpersönlich angekommen.
Scarface informierte ihn stolz über seine Foltermaßnahmen und wies seinem Herrn dann den Weg zum bewusstlos an seinem Marterpfahl hängenden Rayan. Er packte das Kinn des Wehrlosen und zog ihn hoch, sodass der Anführer in dessen Gesicht blicken konnte.
Es war Sedat nicht anzusehen, was er dachte oder empfand. Er bestätigte Scarface lediglich durch ein Nicken, dass es sich tatsächlich um den gesuchten Aufrührer handelte. Dann forderte er ihn auf, ihm die Details der Gefangennahme darzulegen.
Ob bewusst oder unbewusst, aber als Rayan die Stimme seines Vaters hörte, regten sich die letzten Lebensgeister bei ihm. Er öffnete mühsam die Augen und versuchte seinem Vater in die Augen zu sehn.
Kaum hörbar und mehr stöhnend als wirklich artikulierend stammelte er „Vater? Vater hilf mir – ich sterbe.“
Scarface hieb ihm mit der anderen Hand, die nicht das Kinn festhielt ins Gesicht. Was für eine Dreistigkeit den Scheich so informell anzureden! Rayan sank in sich zusammen und tauchte in eine gnädige Bewusstlosigkeit ab.
In Sedats Augen blitzte es unmerklich auf.
Dann sagte er: „Ich werde Euch sagen, wie wir mit diesem Abschaum verfahren: Wir werden sie morgen bei Tagesanbruch alle aufhängen, schön der Reihe nach, einen nach dem anderen. Und mit ihm fangen wir an. Dann werden wir ja sehen, ob die anderen auf Dauer auch weiter schweigen wollen. Bindet ihn los und bringt ihn zu seinen Freunden. Und gebt ihm Wasser, wir wollen ja nicht, dass er stirbt, bevor wir ihn morgen hinrichten, nicht wahr?“
Scarface lachte meckernd auf. Die Idee gefiel ihm ausgesprochen gut.
Ashraf stand Todesängste aus.
Er wusste von Anfang an, dass der Job riskant war, jedoch hatte er der großen Summe, die man ihm angeboten hatte, einfach nicht widerstehen können.
Er hatte kalkuliert, dass der Tod des Scheichs ein derart großes Chaos auslösen würde, in dem er problemlos verschwinden hätte können.
Doch hatte er wohl den Colonel unterschätzt. Seine Leute hatten nicht mit der üblichen Lethargie reagiert, sondern sich sofort an seine Fersen geheftet. Obendrein hatte er seinem ‚Opfer‘ noch nicht einmal einen Kratzer zugefügt. Das würde seinen Auftraggeber nicht erfreuen, sodass auch hier keine Hilfe zu erwarten war. Er war auf sich gestellt.
Er wusste genau, dass der Scheich mit seiner Drohung recht hatte: "Keine Mauer ist dick genug und du wirst sehr langsam sterben. Das ist ein Versprechen." Wenn er daran dachte und an den eisigen Blick aus diesen Augen ohne Mitleid, rannte es ihm noch immer kalt den Rücken hinunter. Der Scheich war dafür bekannt, sein Wort hundertprozentig zu halten. Er saß wirklich tief im Schlamassel.
Die Leute des Colonels verhörten ihn schon seit Stunden, aber das machte ihm keine Angst. Ab und zu rutschte einem der Beamten die Hand aus, sie konnten Ashraf jedoch nicht einschüchtern, er war kein Weichling, sonst hätte er den Job nicht bekommen.
Er hatte schon einen Plan, dafür mussten ihn die Leute des Colonels aber erstmal in seine Zelle bringen. Er hatte ja, Allah sei Dank, vorgesorgt. Immer mit allem rechnen war das Motto, das ihn bisher durchs Leben begleitet und so manche haarige Situation hatte überstehen lassen.
Sein Vetter Ali würde hoffentlich bereitstehen, um ihm rauszuhelfen. Er war ein trotteliger Kerl, aber für seinen Ausbruch würde er, wie vorab für den Fall der Fälle ausgemacht, allemal sorgen können.
Nur ein bisschen Geduld noch.
Carina saß auf dem Bett ihres Hotelzimmers. Ihr mageres Budget hatte es ihr lediglich erlaubt, ein 3-Sterne-Hotel zu buchen, doch trotz der Schlichtheit der Zimmer war es sauber und freundlich eingerichtet, mit farbigen Teppichen auf dem Boden und an den Wänden. Das Bett war ebenfalls frisch bezogen, sie hatte in anderen arabischen Ländern schon schlechte Erfahrungen machen müssen. Vor allem aber war das angrenzende Badezimmer sauber und bot alle notwendigen Annehmlichkeiten.
Eine Dusche und ein anständiges Abendessen hatten ihr geholfen, ihre Benommenheit abzuschütteln. Was machte sie eigentlich hier? Shit - sie hasste es, in einem Hotel alleine zu Abend zu essen. Daher hatte sie beschlossen, ihren Wein mit aufs Zimmer zu nehmen. Das war ohnehin besser, denn Alkohol war hier nicht gerne gesehen und wurde überwiegend für Touristen angeboten.
Ihr war der Brief, den sie von der Stewardess bekommen hatte, wieder eingefallen. Im Wirbel der Ereignisse hatte sie den total vergessen.
In der einen Hand drehte sie gedankenverloren das Amulett an ihrem Hals, in der anderen Hand hielt sie den Brief.
Mit einer überraschend schönen, jedoch energischen Handschrift stand dort „Für Frau Carina“ – worauf wartete sie noch? Eine Einladung, ihn in Zarifa zu besuchen, würde es bestimmt nicht sein. Sie nahm noch einen kräftigen Schluck Wein und riss den Brief dann auf.
Er enthielt ein sehr teures Briefpapier, auf dem oben im Kopf das Emblem des Scheichs in schwarzweiß abgedruckt war; das gleiche, welches sich auch auf der Kette befand.
„Liebe Carina,
ich hoffe, Sie sind nicht allzu böse auf mich wegen des kleinen Täuschungsmanövers. Aber als ich Sie derart vertieft in den Artikel sah, konnte ich einfach nicht widerstehen. Als kleine Wiedergutmachung gebe ich Ihnen die Adresse meines Anwalts in der Stadt. Wenn Sie ihm diesen Brief zeigen, wird er Ihnen einige Fragen beantworten.
Wenn Allah es will, werden sich unsere Wege eines Tages wieder kreuzen. Möge er Sie stets auf all Ihren Wegen begleiten.
Rayan“
Weiter unten stand in Arabisch noch ein Satz, den sie nicht lesen konnte. Sie sprach ein paar Brocken, meist Höflichkeitsfloskeln, aber lesen konnte sie es nicht.
Vermutlich war der für den Anwalt gedacht.
Ein Anwalt! Ausgerechnet. Aber was hatte sie erwartet? Sie beschloss, für heute erst einmal zu schlafen und sich am nächsten Morgen Gedanken über ihre weiteren Schritte zu machen.
Nach dem anstrengenden, ereignisreichen Tag fiel sie rasch in einen tiefen Schlaf. Sie träumte vom Wüstenwind, Oasen und den faszinierendsten blauen Augen, die sie je gesehen hatte …
Die Gruppe der jungen Leute hatte sich eng zusammengekauert, um Rayan herum. Er war so tapfer gewesen, und wofür? Es ging ihm schlecht. Sie hatten Wasser und eine Decke erhalten. Sachra flößte ihm in kleinsten Portionen Wasser ein. Sie war die einzige Frau der Gruppe, klein, zierlich und hatte ihre Haare so kurz wie die Männer geschnitten.
„Wenn er jetzt noch Wundbrand bekommt, übersteht er die Nacht nicht. Ich verstehe das nicht, sein eigener Vater … was für ein Monster.“ Tränen schimmerten in ihren braunen Augen. Ihr Freund Ibrahim entgegnete leise: „Vielleicht ist er ja besser dran so. Nicht mehr aufwachen, meine ich. Dann muss er das Schauspiel morgen nicht miterleben.“ Sachra starrte ihn wortlos an, was hätte sie auch sagen sollen?
Etwa eine Stunde vor Mitternacht wurde sie wach, weil Ibrahim sie am Arm schüttelte. „Ich habe einen offenen Riegel gefunden. Mensch, das könnte unsere Rettung sein.“ Sachra überlegte einen Moment lang: „Es könnte aber genauso eine Falle sein.“ Doch Ibrahim weckte schon die anderen: „Leise, wir müssen leise sein.“ Und zu Sachra gewandt sagte er: „Und? Was soll‘s? Morgen sind wir tot. Da nehme ich es eher jetzt noch mit der Falle auf, dann sterben wir wenigstens kämpfend.“
Sie dachten darüber nach, was sie mit Rayan machen sollten. Zurücklassen kam nicht in Frage. „Ich weiß, was wir tun können“, sagte Sachra, „nicht weit von hier wohnt seine Großmutter, da bringen wir ihn hin. Dort hat er die besten Überlebenschancen. Selbst wenn er dort gefunden wird, vielleicht kann seine Großmutter ihn vor dem Scheich, der ja immerhin ihr Schwiegersohn ist, beschützen.“ Ibrahim überlegte einige Sekunden, dann nickte er „Gute Idee“.
Leise schlichen die Freunde einer nach dem anderen aus dem Gatter hinaus. Es gelang ihnen, eine der Wachen geräuschlos auszuschalten.
Dann trennten sie sich: die drei anderen schlichen sich nach Norden, um sich in Richtung der Rebellensiedlung durchzuschlagen. Ibrahim, Sachra und ein weiterer aus der Gruppe trugen den noch immer Bewusstlosen in Richtung seiner Großmutter, wobei der größte Anteil des Gewichts bei den beiden Männern lag.
Zwei schwere Stunden später trafen sie bei Rayans Großmutter Eleonora ein. Sie klopften die alte Frau aus dem Bett, die in dem Haus zusammen mit ihrem Mann Youssef wohnte.
Eleonora war der Grund, warum Rayan trotz seiner arabischen Wurzeln blaue Augen hatte. Sie hatte diese an ihre Tochter Miriam vererbt, der Mutter Rayans. Eleonora stammte aus Deutschland und war wegen ihrer Liebe zu Youssef in Arabien geblieben, wo ihre einzige Tochter Miriam geboren wurde. Obwohl sie mindestens 60 war, war sie agil und flink, mit langem, schneeweißem Haar und jeder, der ihr Temperament kannte, hütete sich davor, sie zu reizen.
Nach einer kurzen Erklärung überließen sie der älteren Frau den schwer Verletzten und schlichen weiter, um sich selbst in Sicherheit zu bringen.
Eleonora war entsetzt über die große Anzahl der blutigen Striemen auf Rayans Rücken. Als sie mit sanften Bewegungen begann, den Rücken zu säubern, liefen ihr die Tränen übers Gesicht. Selbst wenn Rayan die Tortur überlegen sollte, wäre er sein Leben lang grausig entstellt.
Colonel Abbouds Leute machten Feierabend.
Ein paar Stunden schmoren lassen würden dem Gefangenen nicht schaden. Sie würden ihn schon noch mürbe machen.
Morgen war auch noch ein Tag und nach der Ankündigung des Scheichs, trotz der Ereignisse am folgenden Tag gleich in der Frühe noch abzureisen, hatten sie ohnehin alle Zeit der Welt.
Also warfen sie ihn in eine dunkle Zelle, die eher einem stinkenden Loch glich. Das beeindruckte Ashraf jedoch wenig, denn sie hatte das Einzige, was er benötigte: ein Fenster nach draußen.
Ashraf zog sofort sein Hemd aus und hängte es aus dem Fenster. Er hatte zwar einige Mühe an die hohe Öffnung heranzukommen, aber halb kletternd, halb werfend gelang es ihm schließlich. Das war das Zeichen für Ali, wo er zu finden war.
Durch die rüden Verhörmethoden der Polizisten schmerze ihm sein ganzer Körper, doch das war vernachlässigbar und würde heilen. Wenn er allerdings nicht bald hier rauskäme, war seine Gesundheit keinen Pfifferling mehr wert.
Er hoffte bloß, dass Vetter Ali sich an die Absprache halten würde, nachdem er sicherlich gehört hatte, dass das Attentat schief gegangen war. Ali hatte seine Ohren überall.
Kurz vor dem Morgengrauen, als er sich bereits ernsthafte Sorgen machte, hörte er den vereinbarten Pfiff. Er bestätigte. Daraufhin hörte er anstelle des erwarteten Knalls einer Explosion einen Schlüsselbund klingeln. Mit einem breiten Grinsen stand Ali vor ihm. „Na Vetter? Hast schon an dem alten Ali gezweifelt, was?“
„Verdammt was tust du Ali? Bist du noch zu retten?“
Beleidigt machte sich Ali ans Aufschließen der Zelle: „Du könntest ruhig etwas dankbarer sein!“
Doch Ashraf erwartete jeden Moment die Männer des Colonels zu sehen: „Die lassen uns doch nie so einfach hier rausspazieren! Und dann haben sie dich auch noch geschnappt und wir sitzen beide hier! Und wie kommen wir dann raus?“
„Stell dich nicht so an, die Wachen schlafen alle tief und fest. Dies ist hier schließlich eine ganz gewöhnliche Polizeistation und nichts anderes.“ Wo Ali recht hatte, hatte er recht. Die gewöhnlichen Polizisten waren bekannt dafür, dass sie es nicht so genau nahmen.
„Aber was ist mit den Männern des Colonels?“, fragte Ashraf. Die würden sich sicher nicht so leicht übertölpeln lassen.
„Einer vor der Tür draußen hat ins Gras gebissen, den Zweiten hier drinnen hab‘ ich niedergeschlagen. Meinst du denn, ich will in den Knast? Los weg hier, bevor der aufwacht“, erklärte Ali mit stolzgeschwellter Brust.
Ashraf konnte sein Glück kaum fassen. Breit grinsend umarmte er seinen Vetter. „Ali, ich habe dich unterschätzt!“
Fast zu leicht kamen die beiden bis zum Ausgang. Dort standen zwei weitere Männer des Colonels, die sich aber so sicher fühlten, dass sie tief in Konversation versunken zwar ein halbes Auge auf die Außenseite der Polizeistation hatten, jedoch der Innenseite keinerlei Beachtung schenkten. Wieso sollte ihnen von innen Gefahr drohen?
„Und wie kommen wir an denen vorbei?“, flüsterte Ashraf fast unhörbar.
Auch daran hat Ali gedacht! Und führte Ashraf in den Hinterhof des Gefängnisses.
In der Dunkelheit erkannte Ashraf ein Seil, das von der Mauer hing. Mithilfe einiger Müllkisten, die in dem dreckigen Hinterhof herumlagen, war es für den sportlichen Ashraf ein Leichtes, die Mauer zu erklimmen. Ali hatte größere Schwierigkeiten, schaffte es letztlich aber auch und Ashraf zog ihn neben sich auf die Mauer.
Ein letzter Blick zurück auf das Gefängnis und schon war er unten. Erleichtert atmete er auf. Gerade wollte er Ali nochmals beglückwünschen, als er einen gurgelnden Laut aus seiner Richtung hörte und danach einen Fall. Er versuchte die Dunkelheit mit den Augen zu durchdringen, konnte aber in der Dunkelheit der Gasse nichts erkennen. „Ali?“, fragte er halblaut.
Doch Ali antwortete nicht.
Hier stimmte etwas nicht. Doch bevor er überlegen konnte, was er tun sollte, wurde er von hinten gepackt. Er merkte noch einen Einstich im Hals und mit dem Gedanken, dass etwas gehörig schief gegangen war, versank alles in Dunkelheit.
Colonel Abboud tobte.
Er war ein kleiner Mann, mit Ansatz zur Fettleibigkeit, der ständig zu schwitzen schien. Aber er hatte einen wachen Verstand und den Ruf, dass seine Leute unbestechlich waren. Weder mit ihm selbst, noch mit seinen Leuten, war zu spaßen.
Drei Tage lang hatte er die Anreise des Scheichs vorbereitet. Er hatte alle seine Männer gedrillt und halb in den Wahnsinn getrieben, die Zeremonie geplant und höchstpersönlich dafür gesorgt, dass jeder einzelne Knopf der Uniformen seiner eigenen Männer und auch die der örtlichen Polizei poliert war.
So oft kam dieser einflussreiche Mann schließlich auch nicht hierher. Meistens flog er mit seinem Jet direkt nach Alessia, zumindest nach den Informationen, die man sonst so hörte. Deshalb wollte der Colonel, dass dieses Ereignis etwas Besonderes war.
Er kannte den Ruf des Scheichs ganz genau und wusste auch, wie weit sein Einfluss reichen konnte. Angeblich hatte er schon das Leben von Männern vernichtet, nur weil diese ihn nicht mit genügend Respekt behandelt hatten. Sicher war er sich nicht, ob diese Geschichten lediglich erfunden waren oder den Tatsachen entsprachen, aber er wollte keinerlei Risiko eingehen.
Dann kam die erste Hiobsbotschaft: Der Jet war im Eimer. Wechsel auf einen Linienflieger. Voller Touristen! Was für ein Desaster.
Also musste er die ganze Zeremonie vom hinteren Teil des Flugfeldes, das sonst für die Privatflieger reserviert war, nach vorne auf den offenen Teil verlegen. Aus Sicherheitsgründen ein Albtraum.
Und nun berichteten ihm gerade seine Posten im Gefängnis, dass der Attentäter weg war.
Geflohen? Während der Nacht - einfach so? Aus dem Stadtgefängnis?
Und noch schlimmer war, dass seine Leute zuvor kein Wort aus ihm herausbekommen hatten.
Diese Ratte! Aber dem würde er schon helfen. Dies war seine Stadt und er gab ihm drei Tage. Dann hatte er ihn wieder. Er wusste bereits, dass der Vetter des Attentäters mit im Spiel gewesen war. Ein fetter kleiner Händler namens Ali. Aber auch den würde er schnellstens finden.
Er war bloß froh, dass der Scheich bereits abgereist war. Der hätte ihm noch gefehlt. Ein Grausen packte ihn, wenn er daran dachte, dass er ihm diese schlechte Nachricht hätte überbringen müssen. Aber bis er ihn wieder sah, hatte er beide Männer eingebuchtet. Da war er sich sicher.
Zu diesem Zeitpunkt wusste er noch nicht, dass er mit den drei Tagen goldrichtig geschätzt hatte, jedoch hatte er sich die Umstände des Wiedersehens ganz anders vorgestellt.
Als man am Nachmittag Ali mit durchschnittener Kehle fand, begann der Colonel zu ahnen, dass bei dem Ausbruch etwas nicht mit rechten Dingen zugegangen war.
Scheich Sedat Suekran war den Spuren bis zum Haus von Eleonora und Youssef gefolgt.
Es war seine Idee gewesen, das Gatter der Rebellen zu öffnen. So konnten sie hoffentlich unblutig doch noch die Rebellensiedlung finden. Und sein Plan war aufgegangen. Der drohende Galgen hatte die sieben Menschen so kopflos werden lassen, dass sie auf direktem Weg dorthin geeilt waren. Er und seine Männer mussten lediglich bis zum Morgen warten und dann den nur sehr spärlich verwischten Spuren folgen.
Erst war er überrascht, Rayan nicht ebenfalls dort anzutreffen, doch dann fiel ihm ein, dass der Weg zu Fuß zu weit war, um einen Bewusstlosen zu tragen.
Schnell kam er auf die richtige Idee.
Obwohl die Rebellen völlig überrascht waren, hatte das Ausheben des Rebellenstandorts Zeit erfordert und so war es fast Abend, als er bei dem Haus ankam.
Er fand Eleonora, in Tränen aufgelöst, am Tisch sitzen. „Ich habe alles probiert, aber es war zu spät.“
Und dann sprang sie auf, streckte ihren mageren Zeigefinger in seine Richtung „und du hast ihn umgebracht, schäm dich – du, du Monster, du Mörder!“ Es dauerte ein paar Sekunden, bevor er begriff – dann eilte er nach draußen.
Dort war Youssef gerade fertig, die letzten Reste Erde auf ein frisches Grab zu werfen, liebevoll richtete er einige Blumen darauf an. Auch ihm liefen die Tränen übers Gesicht.
Als Sedat beim Grab ankam, blickte Youssef ihn mit Verzweiflung an: „Ich hoffe, er hat jetzt Frieden gefunden, neben seiner Mutter“, und er deutete auf das Grab nebenan.
Doch der Erinnerung hätte Sedat nicht bedurft. Ihm war nur zu deutlich bewusst, dass hier seine Frau Miriam, die Mutter von Rayan lag, die bei der Geburt seines zweiten Sohnes Daoud im Alter von gerade einmal 32 Jahren gestorben war. Die Geburt war kompliziert gewesen und Daoud hatte eine Weile keinen Sauerstoff bekommen, weshalb er geistig zurückgeblieben war.
Somit hatten all seine Hoffnungen auf seinem erstgeborenen Sohn Rayan gelegen, und der war nun tot. Genau wie seine Zukunft.
Schluchzend sank er vor dem frischen Grab in die Knie.
Carina ahnte nichts von den Ereignissen der Nacht im Gefängnis von Dubai.
Sie war noch einen Moment lang ihren Träumen nachgehangen und hatte dann energisch beschlossen, dem Herrn Anwalt doch einen Besuch abzustatten. Was konnte der mehr tun als sie rauswerfen? In ihren schlimmsten Phantasien sah sie einen wütenden Anwalt ihren Chef in München anrufen, oder gar den Verlag verklagen. Aber diese Ideen verwarf sie wieder, obwohl ein kleiner Zweifel blieb.
Das Hotel, in dem sie untergebracht war, lag zentral in der Nähe des Gewürzmarktes. Sie beschloss also erst einmal, zu Fuß loszugehen.
Wie immer stürzte sie sich voller Begeisterung in das Getümmel der arabischen Welt. Diese vielen Gerüche und Farben, die Stände der Händler. Die exotischen Früchte und Speisen, das alles hatte sie schon immer fasziniert, seit sie als Kind mit ihren Eltern zum ersten Mal in einem arabischen Land gewesen war.
So oft es ihr möglich war, machte sie auf der arabischen Halbinsel Urlaub. Ein paar Brocken Arabisch konnte sie voller Stolz auch aufweisen, jedoch längst keine Konversation betreiben.
Selbst an die Aufdringlichkeit der arabischen Männer, die eine gutaussehende blonde Frau mit grünen Augen nur zu gerne ansprachen und zu allerlei Dingen einluden, hatte sie sich inzwischen gewöhnt. Freundliches, konsequentes Ablehnen und im schlimmsten Fall ein „Ehering“, den sie bei diesen Gelegenheiten immer trug, wirkten Wunder.
Allerdings wurde ihr zum ersten Mal bewusst, dass sie noch nie ganz alleine unterwegs gewesen war. Es war meist entweder ihr Freund oder eine Freundin mit dabei gewesen. Na das konnte ja heiter werden.
Einen kurzen Moment hing sie dem Gedanken an ihren Freund Stephan nach, der ebenfalls in München wohnte. Oder vielmehr Ex-Freund. Er hatte keinerlei Verständnis für ihre Reise aufgebracht und ihr höhnisch prophezeit, dass sie nach spätestens einer Woche reuevoll wieder zu ihm zurückgekrochen kommen würde. Na dem würde sie schon helfen. Was für ein arroganter, selbstverliebter Egozentriker! Offenbar kannte er sie nach zwei Jahren noch immer nicht gut genug. Denn selbst wenn die Reise schief gehen würde, war Carina viel zu stolz, um ausgerechnet zu Stephan zurückzugehen. Da ging sie lieber zum Betteln auf die Straße. Sie beglückwünschte sich selbst, dass sie seinem Drängen, bei ihm einzuziehen nie nachgegeben hatte. So hatte sie ihre kleine Wohnung in München und somit ihr eigenes Reich und war unabhängig.
Sie riss sich los von dem Gedanken, sie war in Dubai – mitten im Abenteuer und München so weit weg!
Und so widmete sie sich lieber den Waren, die die Händler lautstark um sie herum anboten. Langsam schlenderte sie durch die engen Zeilen zwischen den Ständen. Eigenartigerweise wurde sie weniger angesprochen und belästigt als sonst. Naja, vielleicht bin ich ja mittlerweile über das interessante Alter hinaus? Mit einem kritischen Blick auf sich selbst blieb sie vor einem Spiegel im Bazar stehen. Obwohl sie keineswegs eitel war, war sie doch mit dem Ergebnis zufrieden:
Ihr dunkelblondes, langes Haar im Nacken locker zu einem Zopf gebunden und ein leichtes, weißes Leinentuch auf dem Kopf, dazu die dunkelgrüne Leinenbluse, die ihre Augenfarbe so schön zur Geltung brachte. Mit 1,65 Metern war sie eher klein, aber das war bisher von ihren arabischen Verehrern immer als Vorteil gesehen worden.
Dazu hatte sie eine helle Leinenhose ausgewählt, knöchellang, und passende Sandaletten. Die Kleidung umschmiegte sanft ihren Körper und betonte nicht zu sehr ihre schlanke, sportliche Figur.