Rechenschwäche - Gabriele Ricken - E-Book

Rechenschwäche E-Book

Gabriele Ricken

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  • Herausgeber: UTB
  • Kategorie: Bildung
  • Sprache: Deutsch
Beschreibung

Wie begegnet man Schwächen im Rechnen gezielt? Haben Kinder gute mathematische Vorkenntnisse im Vorschulalter erworben, sind meist gute mathematische Leistungen in der Grundschule zu erwarten. Geringe Vorkenntnisse hingegen werden selten kompensiert. Warum fällt vielen Kindern das Rechnen schwer? Wann muss man von einer Dyskalkulie sprechen? Die Autorinnen erklären den Prozess des Rechnenlernens, machen den Leser mit individuellen Strategien von Kindern vertraut und stellen Fördermaßnahmen für effektives Rechnen vor.

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Veröffentlichungsjahr: 2008

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UTB 3017
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Prof. Dr. Annemarie Fritz lehrt Pädagogische Psychologie an der Universität Duisburg-Essen Dr. Gabi Ricken lehrt Sonderpädagogische Psychologie an der Universität Hamburg
Lektorat / Redaktion im Auftrag des Ernst Reinhardt Verlages: Ulrike Auras, München
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.
UTB-ISBN 978-3-8252-3017-3 (Print), 978-3-8385-3017-8 (E-Book) ISBN 978-3-497-01976-2
ISBN 978-3-838-53017-8 (E-Book)
© 2008 by Ernst Reinhardt, GmbH & Co KG, Verlag, München
Dieses Werk einschließlich seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne schriftliche Zustimmung der Ernst Reinhardt, GmbH & Co KG, München, unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen in andere Sprachen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Reihenkonzept und Umschlagentwurf: Alexandra Brand Umschlagumsetzung: Atelier Reichert, Stuttgart Satz: Arnold & Domnick, Verlagsproduktion, Leipzig Druck: Friedrich Pustet, Regensburg
ISBN 978-3-8252-3017-3 (UTB-Bestellnummer)
Ernst Reinhardt Verlag, Kemnatenstr. 46, D-80639 München Net: www.reinhardt-verlag.de E-Mail: [email protected]
Inhaltsverzeichnis
TitelImpressumEinleitung1 - Rechenschwäche oder Rechenschwierigkeiten? – Probleme bei der Eingrenzung und Bestimmung des Gegenstands2 - Die Entwicklung früher mathematischer Kompetenzen – eine entwicklungspsychologische Beschreibung eines Niveaustufenmodells3 - Meilensteine in der Kompetenzentwicklung – besondere Hürden für Kinder mit Rechenproblemen4 - Diagnostische Erfassung von Rechenschwierigkeiten – Konzepte und Verfahren aus unterschiedlichen theoretischen Perspektiven5 - Förderung des arithmetisch-mathematischen Wissens im Vorschul- und Grundschulalter – theoretische Grundlagen für eine KonzipierungAnhangSachregister
Einleitung
Im Zuge der Teilnahme Deutschlands an den internationalen Bildungsgangstudien verständigte sich die erziehungswissenschaftliche, psychologische und fachdidaktische Diskussion auf ein neues Paradigma: den Begriff der Kompetenz. Als Kompetenzen bezeichnet man die Leistungsfähigkeiten einer Person in einem bestimmten Gegenstandsbereich (Domäne). Sie werden definiert als die spezifischen kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, die erforderlich sind, um Probleme in dem jeweiligen Gegenstandsbereich erfolgreich zu lösen. Damit geht der Kompetenzbegriff weit über das abprüfbare curriculare Wissen hinaus, da er vor allem die Anwendung des Gelernten auf „lebensweltliche“ Bezüge bzw. auf nicht im Unterricht behandelte neue Situationen impliziert. Das bedeutet, Kompetenzen zeigen sich darin, dass spezifische Kenntnisse zur Bewältigung unterschiedlicher Anforderungen und in unterschiedlichen Kontexten eingesetzt werden können.
Um den Umfang, in dem jemand über spezifische Kompetenzen (z. B. im Bereich Mathematik) verfügt, einzuschätzen, werden die Leistungen der Schülerinnen und Schüler mit einer Skala (bisher meist nur mit einer) nach Kompetenzstufen oder -niveaus unterschieden. Eine hohe Kompetenz steht für umfassende Kenntnisse im jeweiligen Wissensbereich, entsprechend bedeutet eine geringe Kompetenz, dass nur grundlegende „erste“ Kenntnisse vorhanden sind, um Anforderungen des Gegenstandsbereichs zu bewältigen.
Auf diese Weise kann einerseits die Leistungsfähigkeit des Bildungssystems abgebildet und ein konzeptueller Rahmen für Bildungsstandards geschaffen werden. Andererseits ermöglicht die Einteilung von Leistungen in Kompetenzniveaus auch eine Abbildung individueller Unterschiede zwischen Kindern nach qualitativen Aspekten. Damit lassen sich auch rechenschwache Kinder hinsichtlich ihrer Fähigkeiten in ein Kompetenzraster einordnen, sodass auf das Niveau ihrer aktuellen Kompetenzentwicklung geschlossen werden kann. Da Kompetenzniveaus zugleich auch als Entwicklungsniveaus zu interpretieren sind, ist sodann der aktuelle Kenntnisstand mit der Zone der nächsten Entwicklung in Beziehung zu setzen. Damit steht ein individueller Bezugsrahmen für die Bewertung der Entwicklung, die Begründung von Förderzielen und die Bewertung von Veränderungen zur Verfügung.
Die Kompetenzperspektive ist im vorliegenden Buch für die Einordnung und Interpretation von „Rechenschwächen“ leitend und soll Rechenschwächen als unterschiedlich stark ausgeprägte Entwicklungsrückstände verstehbar machen: Rechenschwache Kinder bleiben im Prozess der Entwicklung von Konzepten und Kompetenzen auf bestimmten Niveaustufen „stehen“.
Ausgehend von frühen Kompetenzen steht die Frage im Mittelpunkt, wie diese aufeinander aufbauen, welche Niveaus sich unterscheiden lassen und ob „Nadelöhre“ oder „Meilensteine“ auszumachen sind, die eine besondere Bedeutung für die Entwicklung von Rechenkompetenzen bzw. Rechenschwächen haben. Wir verstehen Rechenstörungen also aus einer entwicklungsorientierten Perspektive heraus. Unter dieser Perspektive werden schließlich diagnostische Ansätze systematisiert und hinsichtlich ihrer Aussagen bewertet sowie Fragen der Entwicklung von Förderkonzepten diskutiert.
Dafür werden zunächst Ansätze, die sich aus verschiedenen Perspektiven mit der Erkennung von Rechenschwierigkeiten bzw. mit der Förderung rechenschwacher Kinder befassen, ausgewertet. Über eine rein additive Darstellung der unterschiedlichen Perspektiven hinaus wird dann in diesem Buch der Versuch unternommen, ein einheitliches Konzept zu entwickeln, mit dem ein Bogen von den wesentlichen Meilensteinen der Entwicklung zu diagnostisch brauchbaren Aufgaben geschlagen wird, deren Auswertung zugleich Ansatzpunkte für die Konzipierung der Förderung liefert. Diagnostik und Förderung werden in einen gemeinsamen entwicklungstheoretischen Bezugsrahmen gesetzt.
Diese theoretische Orientierung soll Lehrerinnen und Lehrern einen Zugang bieten, eigene Beobachtungen und Kenntnisse einzuordnen und als Basis für das eigene pädagogische Handeln zu nutzen.
1
Rechenschwäche oder Rechenschwierigkeiten? – Probleme bei der Eingrenzung und Bestimmung des Gegenstands
Schwierigkeiten beim Erlernen von Mathematik gelten im Unterschied zum Erlernen der Schriftsprache als gesellschaftsfähig. Ohne einen Verlust des Ansehens befürchten zu müssen, kann man Probleme im Mathematikunterricht und schlechte Zeugnisnoten in diesem Fach zugeben. Trotz dieser eher geringschätzigen Haltung gegenüber der Mathematik werden die schwachen mathematischen Leistungen deutscher Schüler und Schülerinnen in den internationalen Vergleichsstudien aber mit Erschrecken zur Kenntnis genommen: 49,9 % der 15-jährigen Hauptschüler und 23,4 % der Gesamtschüler der gleichen Altersstufe verfügen nicht über die elementarsten Grundkenntnisse in Mathematik (Pisa-Konsortium 2004). Bedeutet dieses Ergebnis, dass alle diese Schülerinnen und Schüler eine Rechenschwäche oder Rechenstörung haben, oder sind ihre geringen Leistungen lediglich auf ein mangelndes Interesse am Fach Mathematik zurückzuführen?
Da Angaben zu Häufigkeiten immer davon abhängen, welche Kriterien zur Bestimmung dieser Häufigkeiten herangezogen werden, soll es zunächst um die Frage gehen, wie „Rechenschwächen“ oder „Rechenstörungen“ definiert werden, um im Anschluss daran zu überlegen, wie die große Zahl von Schülern mit massiven Rechenschwierigkeiten einzuordnen ist.
Definition „Rechenschwäche“
Um Krankheiten und Störungsbilder weltweit einheitlich zu diagnostizieren, wurde von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) die „Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme“ (ICD-10, Dilling et al. 1993) erstellt und im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit ins Deutsche übertragen. In der ICD-10-Klassifikation wird eine Rechenschwäche unter der Kategorie „umschriebene Entwicklungsstörung schulischer Fertigkeiten“ als „umschriebene Entwicklungsstörung des Rechnens“ bezeichnet. Der Begriff „umschrieben“ bedeutet hier, dass sich die Problematik ausschließlich auf den Bereich des Rechnens, insbesondere auf grundlegende Rechenfertigkeiten wie Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division bezieht.
Definition
Analog zur Diagnose der umschriebenen Entwicklungsstörung des Lesens und Schreibens (Lese-Rechtschreib-Schwäche oder Legasthenie) wird eine Rechenschwäche dann diagnostiziert, wenn die Leistungen des Kindes in einem standardisierten und normierten Rechentest weit unter dem Wert liegen, der aufgrund des Alters und der Intelligenz zu erwarten wäre. Das zentrale Kriterium für die Diagnose ist die Diskrepanz zwischen den Leistungen im Intelligenztest und den Leistungen im Rechentest.
Begründet wird das Diskrepanzkriterium damit, dass von Kindern mit einer durchschnittlichen Intelligenz zu erwarten ist, dass sie angemessen vom Unterricht profitieren und im gleichen Tempo wie ihre Klassenkameraden lernen. Voraussetzung dafür ist natürlich, dass die Kinder weder durch Krankheiten lange Fehlzeiten in der Schule hatten noch durch Sinnesbehinderungen in ihrem Lernen eingeschränkt sind.
Die Diskrepanz zwischen den Testergebnissen muss deutlich sein, gefordert wird ein Unterschied von 1½-2 Standardabweichungen. Bei einer sehr schwachen Rechenleistung (PR ≤ 15 in einem Rechentest) soll die Leistung im Intelligenztest ungefähr im Durchschnittsbereich liegen (IQ > 85 oder 70). Außerdem müssen die Schwierigkeiten von Anfang an bestehen und die schulische Entwicklung behindern.
Diese Definition ist nicht unumstritten, insbesondere das Diskrepanzkriterium ist vielfach problematisiert und kritisiert worden (Fritz/Ricken 2005; Lorenz 2003; Schipper 2003). Bei Klassifikationen von Lernstörungen stellt sich immer die Frage, wie zuverlässig und stabil solche „Diagnosen“ getroffen werden können (Mazzocco / Myers 2003). Dies insbesondere dann, wenn erst die Erfüllung dieser Kriterien zur Förderung berechtigt bzw. erst unter diesen Bedingungen personelle und finanzielle Ressourcen bereit gestellt werden (z. B. Finanzierungen außerschulischer Förderungen in einigen Bundesländern). Es müssen dafür die „richtigen Kinder“ erkannt und Kinder, die nur vorübergehend und in einzelnen Bereichen Schwierigkeiten im Rechnen haben, von Kindern mit umfassenderen Rechenstörungen unterschieden werden.
Die Einhaltung des Diskrepanzkriteriums bei der Diagnose bedeutet aber auch, dass bei einigen Kindern die Schwierigkeiten nicht erkannt werden, weil die Differenzen zu klein sind. In der Folge wären diese Kinder aus der spezifischen Förderung ausgeschlossen (Schipper 2003). Hinzu kommt, dass Intelligenztests in der Regel Aufgaben (z. B. Klassenbildungen, Reihenfortsetzungen, Vergleichen von Mustern) beinhalten, die auch für die Entwicklung mathematischer Kompetenzen als relevant gelten (Lorenz 2005). Bearbeiten rechenschwache Kinder nun solche Aufgaben, wird unter Umständen ihr Intelligenzwert so weit nach unten gedrückt, dass sie keinen durchschnittlichen Intelligenzwert mehr erreichen. Damit würden sie das Diskrepanzkriterium nicht erfüllen und wären von einer gezielten Förderung ausgegrenzt (Schipper 2003).
Neben diesen Kindern würden auch jene keine spezielle Förderung erhalten, deren Intelligenzwerte im unterdurchschnittlichen Bereich liegen, obwohl sie für den mathematischen Bereich eine spezifische Unterstützung benötigen. Die für diese Kinder üblicherweise realisierte behindertenpädagogische Förderung schließt jedoch eine spezifische mathematische Förderung nicht automatisch ein.
Die Frage, ob rechenschwache Kinder mit durchschnittlicher Intelligenz von rechenschwachen Kindern mit unterdurchschnittlicher Intelligenz in Bezug auf ihre Rechenleistung qualitativ zu unterscheiden sind, wurde bislang kaum untersucht. Jiménez González und García Espinel (2002) z.B. publizierten eine Studie mit Kindern im Alter von 7 bis 9 Jahren, die in drei Gruppen eingeteilt waren: Rechenschwache Kinder mit einer Diskrepanz zwischen Intelligenz- und Rechenleistungen, rechenschwache Kinder ohne Diskrepanz sowie Kinder mit durchschnittlichen Intelligenz- und Rechenleistungen. Zu lösen waren einfache Sachaufgaben im Zahlenraum bis 20 mit verschiedenen gesuchten Mengen (Ausgangsmenge, Teilmenge, Endmenge). Wie erwartet, war die Lösungswahrscheinlichkeit bei den im Rechnen unauffälligen Kindern höher als in den anderen beiden Gruppen. Die beiden Gruppen der rechenschwachen Kinder unterschieden sich aber weder in der Lösungshäufigkeit noch in den Lösungsstrategien voneinander.