Red Moon Rising - Vanessa Carduie - E-Book

Red Moon Rising E-Book

Vanessa Carduie

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Beschreibung

In einer düsteren Zukunft stehen sich Menschen und Xenos feindselig gegenüber...

Um seine Schwester zu retten, lässt sich Sergeant Joshua McGee auf einen Handel mit einem wortwörtlich „unmenschlichen“ Verbrecher, dem Vampir Alec Black, ein.
Gefangen zwischen Anziehungskraft und Verachtung müssen die beiden zusammenarbeiten, um gegen Fanatiker zu bestehen und eine blutige Auseinandersetzung zwischen Menschen und Xenos zu verhindern.

Teil 1 der neuen "Red Moon"-Reihe

Düsterer Cyberpunk meets Urban Fantasy

Red Moon Rising gibt es auch als Teil der Sci-Fi-Anthologie "Touch of Utopia"

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Prolog

(Alec)

 

Bemüht beherrscht lege ich mein Telefon zur Seite. Die Wut brodelt in mir wie ein Vulkan, doch ich darf die Kontrolle nicht verlieren, bis ich an einem sicheren Ort bin.

»Diese verdammten ‚Priests‘!«, fluche ich und balle die Hände zu Fäusten. Wie gern würde ich diese Verrückten einfach abschlachten. So wie die es mit Xenos oder Menschen tun, die uns freundlich gesonnen sind.

Am Anfang dachte ich noch, dass diese Fanatiker schnell wieder in dem Loch versinken würden, aus dem sie gekrochen sind. Leider halten sie sich hartnäckig und scheinen zunehmend organisiert zu agieren. Wirklich frustrierend ist es, dass die menschliche Polizei rein gar nichts gegen die ‚Priests‘ unternimmt. Das muss man allerdings auch wollen, und dort hakt es gewaltig. Schließlich kann man sich nicht selbst verhaften oder vor Gericht stellen.

Ich stampfe aus meinem Büro in Richtung des einzigen Ortes, an dem mein Wutausbruch kein Blutbad anrichten würde – der Trainingsraum. Dort angekommen, entledige ich mich des Hemdes, Anzugs sowie der guten Schuhe und suche mir aus meinem Waffenschrank ein passendes Werkzeug.

Ich entscheide mich für ein Kurzschwert, eine meiner Lieblingswaffen. Das liegt vielleicht auch daran, dass diese für Menschen antiquarischen Dinge in den Händen eines Xenos weitaus tödlicher sein können als ihre neumodischen, kleinen Spielzeugschusswaffen. Obwohl sie es seit fast fünf Jahrzehnten versuchen, ist es den Menschen noch nicht gelungen, wirklich effektive Waffen gegen Vampire, Werwölfe und andere Xenos zu entwickeln.

Wir sind schließlich nicht so dumm, die Sterblichen unbeobachtet zu lassen.

In den meisten Firmen und Behörden sitzen Leute von uns und mit den Regierenden gibt es in der Regel Abkommen, an die sich beide Seiten zu halten haben. Nur habe ich das Gefühl, dass die Menschen Letzteres aus den Augen verlieren, und das könnte sehr gefährlich für alle werden.

Ich balanciere das Schwert kurz in meiner Hand, bevor ich zu dem massiven Holzblock gehe, der Arme in mehreren Richtungen und Positionen hat. Tiefe Kerben zeichnen sich darauf ab. Ein Zeugnis meiner vergangenen Trainingseinheiten. Ich gehe in Stellung und atme noch einmal tief durch, dann kanalisiere ich meine Wut und hacke, steche auf meinen hölzernen Gegner ein. Es kracht, Splitter fliegen davon und Schweiß bildet sich auf meiner Haut, während ich den Block so schnell attackiere, dass es für Menschen kaum wahrnehmbar wäre.

Nach einer gefühlten Ewigkeit ist die Mordlust verraucht. Meine Brust hebt und senkt sich in schnellem Takt und für einen Augenblick kann ich sogar meinen Herzschlag spüren.

»Wer auch immer dich wütend gemacht hat, hatte sehr viel Glück, dass er nicht in Reichweite war«, stellt Maeve, mein vampirischer Zögling, mit erhobenen Augenbrauen fest.

»Mhm?«, frage ich verständnislos und folge dann mit dem Blick ihrem ausgestreckten Zeigefinger. »Oh!«

Rings um den Trainingsblock liegen Holzsplitter, teils sogar große Stücke herum. Einen der Holzarme habe ich in meinem kleinen Exzess vom Block abgespalten. Sogleich inspiziere ich mein Schwert. Zum Glück hat es keine Kerben davongetragen, allerdings sollte ich es wohl lieber noch einmal schärfen, bevor ich es wieder benutzen kann.

»Gibt es Ärger?«, erkundigt sich Maeve.

»Schon wieder eine neue Leiche, die wir diesen verdammten ‚Priests‘ zu verdanken haben.«

»Mist!«, flucht sie und wirft ihre langen schwarzen Haare energisch über ihre Schulter. Trotz ihres roten Hoodies und der schwarzen Yogapants wirkt sie, als wäre sie einer der Holo-Werbetafeln entsprungen. Nur der mordlustige Blick passt nicht dazu. »Ich wollte dich fragen, ob wir zusammen auf die Jagd gehen wollen. Keine Sekunde zu früh wie es aussieht.«

Ich lege das Schwert zurück an seinen Platz und schließe den Waffenschrank sorgfältig ab.

»Gute Idee. Ich habe Hunger«, stimme ich zu und schlüpfe in meine Kleider.

Maeve grinst mich an. »Super! Aber nur trinken, kein Blutbad. Das Gemetzel heben wir uns für den Tag auf, an dem wir den ‚Priests‘ gegenüberstehen.«

Ich seufze. »Na gut, wenn es denn sein muss …«

Sie wackelt mahnend mit dem Zeigefinger. »Du bist unser Oberhaupt, Alec. Wenn du einen Haufen Leichen hinterlässt, wollen alle anderen mitspielen.«

»Spielverderberin«, grummle ich, weiß jedoch, dass sie recht hat. »Dann nur trinken und die Nacht genießen.«

»Los geht’s!«

Freudig hakt sie sich bei mir unter und kurz darauf sind wir schon in der Nacht verschwunden.

 

EINS

(Josh)

 

Ich nehme einen tiefen Zug von meiner Zigarette und sehe den Rauchwolken hinterher, die ich in die kalte Nacht entlasse. In der Ferne kann ich die bunt blinkenden Holotafeln der Hauptstraße von Graveswell erkennen. Meine winzige Wohnung liegt etwas abseits des Trubels in einem Block, der eindeutig schon bessere Jahre oder eher Jahrzehnte gesehen hat. Trotzdem mag ich mein kleines Reich. Alles andere wäre auch ungünstig, denn einen Umzug kann ich mir schlicht nicht leisten.

Ich bin so was von am Arsch, denke ich frustriert und stütze mich müde auf das rostige Geländer der Feuertreppe, die an mein Schlafzimmerfenster anschließt.

Dieser kleine Austritt ist mein Lieblingsort. Wie so oft lasse ich meinen Blick über die grauen Häuserfronten schweifen, bevor ich ihn auf den Sternenhimmel über mir richte. Das hilft mir immer, mich zu entspannen. Ich atme die kühle Luft ein und bin froh, dass ich meine Lederjacke übergezogen habe. Trotzdem fröstle ich ein wenig und ziehe die Stirn kraus. Gerade scheint alles ruhig, doch ich weiß, dass es nur eine Illusion ist. Ganz so wie die blinkenden Werbetafeln, die von der schönen neuen Welt schwärmen.

Die Zeiten sind alles andere als rosig. Verrückte ermorden Xenos und die Menschen scheint es nicht zu interessieren. In der Unterwelt brodelt es gewaltig und ich habe die Befürchtung, dass uns der Laden bald um die Ohren fliegt. Die Leichen darf ich dann natürlich wegräumen.

Wie zur Bestätigung meiner Gedanken höre ich unter mir auf der Straße schnelle Schritte und kurz darauf Geschrei. Sofort richte ich mich auf, bereit, notfalls in den Konflikt einzuschreiten.

»Hey, du Xenoschlampe! Sind wir dir etwa nicht gut genug? Willst du lieber wieder mit deinem Freak vögeln?«

Zwei bullige Gestalten drängen eine deutlich kleinere in eine Ecke.

»Lasst mich in Ruhe! Ich habe euch nichts getan!«, schreit eine weibliche Stimme und die kleinere Person versucht, sich loszumachen.

Manchmal bin ich es so leid …

Diese Art Szenen habe ich gefühlt tausende Male beobachtet. Die Stimmung ist aufgeheizt und die Übergriffe werden immer häufiger. Im Gegensatz zur Mehrheit dulde ich so etwas allerdings nicht. Ich greife eine der zusammengeknüllten Blechdosen, die ich genau zu diesem Zweck in einer Kiste auf meinem winzigen Austritt aufbewahre. Keine tödliche Waffe, aber in der Regel genug, um etwas zu bewirken. Ich grinse schief.

Wäre auch blöd, wenn ich als Cop in meiner Freizeit Menschen um die Ecke bringen würde.

Zielsicher schleudere ich eine Dose gegen den Kopf eines der Angreifer. Ein leiser Schmerzensschrei erklingt, doch bevor sie reagieren können, ist schon das nächste Wurfgeschoss unterwegs.

»Verpisst euch oder ich hole die Polizei!«, rufe ich und werfe lässig eine weitere Dose in die Luft, bevor ich sie auffange.

Kurz zögern diese Halunken, dann machen sie sich unter wüsten Beschimpfungen davon. Erleichtert atme ich aus. Bisher haben diese Drohung und die Überraschung immer ausgereicht, sodass ich nie weitergehen musste. Meine lieben Kollegen wären garantiert begeistert, wegen so eines Bagatelldelikts ausrücken zu müssen, obwohl das ihr verdammter Job wäre. Doch sobald es um Xenos geht, nehmen manche ihre Aufgaben nicht mehr ganz so ernst.

Die schmale Gestalt verweilt kurz in den Schatten, dann tritt sie näher und ich erkenne, dass es sich tatsächlich um eine junge Frau mit dunklen Haaren, beinahe noch ein Mädchen, handelt.

»Danke!«

»Gern. Jetzt ab nach Hause. Von diesen Idioten tummeln sich viel zu viele auf den Straßen.«

Sie nickt knapp und eilt davon.

Frustriert lasse ich die Dose zurück in die Kiste fallen und zünde mir eine neue Zigarette an. Die alte hatte ich weggeworfen, um schnell reagieren zu können.

Warum nur finden es so viele geil, sich gegenseitig an die Gurgel zu gehen?

Dieser blinde Hass macht mich traurig und wütend zugleich. Zudem beschert er mir einen Haufen Arbeit. Die Aussicht, dass das in naher Zukunft nicht besser wird, schlägt mir aufs Gemüt.

Dazu kommen private Probleme. Seit einer halben Ewigkeit versuche ich, die lebenswichtigen Medikamente für meine Schwester aufzutreiben und laufe von einem Medi-Point zum nächsten. Vergeblich. Ein Brand in einer großen Pharmafirma hat die Produktion erheblich gestört und nun gibt es einen Versorgungsengpass.

Als mein Smartphone piept, ziehe ich es mit einem unguten Gefühl in der Magengegend aus meiner Hosentasche. Bedrohlich blinkt ein rotes Symbol auf dem hauchdünnen Bildschirm. Als ich die Nachricht öffne, erscheint eine winzige Projektion meiner Schwester Melina. Selbst ihrer Miniaturversion ist deutlich anzusehen, dass es ihr beschissen geht.

»Hi Josh, es tut mir leid, dass ich dich störe, aber konntest du schon herausfinden, wann ich meine neuen Medikamente bekomme? In den Nachrichten hieß es, dass es aktuell einen Engpass gäbe.« Sie ringt sich ein müdes Lächeln ab. »Wenn nicht, ist es auch okay. Ich komme sicherlich auch einige Zeit ohne sie aus. Du hast doch immer so viel zu tun.«

Fluchend schleudere ich meine Zigarette zu Boden und trete sie aus. Vor meinem geistigen Auge spielen sich die immer gleichen Szenen ab.

Ich scanne das Rezept meiner Schwester am Medi-Point und warte auf die Autorisierung, doch das Display zeigt immer wieder dieselbe Nachricht an: ‚Keine Medikamente verfügbar. Bitte versuchen Sie es in einigen Tagen wieder oder wenden Sie sich an den behandelnden Arzt.‘

So geht es seit Wochen. Auch mein Status als Cop und zahlreiche Gespräche mit Ärzten haben mich keinen Schritt weitergebracht.

Ich straffe mich und setze eine unbekümmerte Miene auf, bevor ich die Aufnahme starte.

»Alles gut, Schwesterherz. Ich kümmere mich darum«, sage ich so zuversichtlich wie möglich. »Du musst dich schonen. Sobald ich etwas weiß, melde ich mich.« Mit einem Tippen meines Fingers ist die Nachricht verschickt.

Hoffentlich hat sie die erhoffte Wirkung, denke ich und reibe mir mit der Hand übers Gesicht.

Einerseits bewundere ich Melina für ihre Stärke und Freundlichkeit, andererseits wissen wir beide, dass sie dringend ihre Medizin benötigt, wenn sie nicht elendig verrecken will. Unser ganzes Erspartes ist damals für die OP draufgegangen, denn ich wollte nicht, dass meine Schwester billigen Schrott implantiert bekommt. Die Kosten für die Medikamente fressen jeden Monat den Großteil meines Solds, obwohl Melina schon so viel dazu beträgt, wie möglich ist. Alleine könnte sie ihr Überleben niemals finanzieren, was sie wirklich ankotzt. Da wundert es mich überhaupt nicht, dass viele der Augmentierten auf der Straße landen und notfalls ihre Körper verkaufen, um an die nächste Pille zu kommen.

Das Problem ist nur, dass es im Moment so gut wie unmöglich ist, an diese verdammten Medikamente heranzukommen, zumindest auf legalem Wege. Wir gehören leider nicht zu den Leuten, die in Geld schwimmen, von daher bleibt mir nur der Gang zum Schwarzmarkt und die Hoffnung, dass ich dort fündig werde, ohne meine Seele verkaufen zu müssen. Auf jeden Fall wird mich dieser Ausflug eine Stange Geld kosten, wenn ich nicht sogar zu anderen Mitteln greifen muss, um an das Gewünschte zu gelangen.

Ich seufze und reibe meine mittlerweile kalten Hände aneinander. Trotzdem bleibe ich draußen auf dem Austritt stehen, statt in meine kleine Wohnung zurückzukehren. Dort wartet nichts auf mich, deshalb ziehe ich den Sternenhimmel vor. Mir entkommt ein freudloses Lachen.

Tja, dann gibt es nächsten Monat wohl nichts zu essen. Hauptsache Melina ist versorgt – und Kaffee ist zum Glück noch da.

Ohne Kaffee kann ich nicht leben, obwohl es mittlerweile noch viele andere Aufputschmittel gibt, die deutlich effektiver sind.

»Der Schwarzmarkt also. Das wird garantiert ein Spaziergang«, murmle ich, denn die legalen Mittel sind erschöpft.

Die Frage ist nur, ob mir jemand etwas verkauft. Als Cop kenne ich einige der dunklen Geheimnisse der Stadt und weiß sehr genau, dass die Unterwelt den Vampiren gehört.

Ein kalter Schauer läuft über meinen Rücken, als ich an den hiesigen Unterweltboss denke: Alec Black. Persönlich bin ich ihm noch nicht begegnet, doch es wird gemunkelt, dass er überall seine blutigen Finger im Spiel hat: Drogen, Prostitution, Menschenhandel, Bestechung. Auch vor Mord soll er nicht zurückschrecken, doch bisher konnte ihm nichts nachgewiesen werden. Diesem Xeno will wahrscheinlich niemand begegnen. Wenn die Gerüchte stimmen, könnte es sehr gut sein, dass man dies auch nicht überlebt.

Perfekte Aussichten für mich, denke ich und lehne mich gegen die kalte Hauswand. Das Gitter der Feuerleiter über mir ist symbolisch für meine Situation, wie ich mit einem ironischen Lächeln feststelle. Melina leiden lassen oder mich als Cop unter Xenos wagen? Was für eine grandiose Auswahl.

Seit mittlerweile fünfzig Jahren weiß die Menschheit, dass unter uns übernatürliche Wesen leben: Vampire, Werwölfe, Hexen und Dämonen. Eine brutale Mordserie hatte damals zum Outing der Xenos geführt. Es gab Kämpfe und sogenannte ‚Reinigungsaktionen‘, um diese Kreaturen auszumerzen, doch die wehrten sich mit allen Mitteln. Wahrscheinlich hätte es Krieg gegeben, aber dann demonstrierten sie, welche Macht sie wirklich über uns hatten. Schockiert mussten die Menschen feststellen, dass der Großteil der Wirtschaft in den Händen der Vampire war. Als wir zu frech wurden, drehten sie uns erst den Strom und dann das Geld ab.

So in die Knie gezwungen, akzeptierten die meisten Menschen, dass ein Kampf mit Waffen sinnlos war, und man einigte sich auf eine Art Frieden. Wir würden darauf verzichten, die übernatürlichen Wesen anzugreifen, und sie überließen uns im Gegenzug die scheinbare Kontrolle.

Sprich: Wir mischen uns nicht bei euch ein und ihr lasst uns verdammt noch einmal in Ruhe.

Menschen machen Gesetze für Ihresgleichen und die übernatürlichen Wesen klären Probleme untereinander auf ihre Art. Sie haben ihre eigene Infrastruktur und verwalten sich selbst. Xenos sind gern unter sich, doch sie wohnen und arbeiten auch unter und mit uns Menschen – so gut es eben geht.

Nachdenklich sehe ich auf die Skyline von Graveswell und frage mich, wie die Welt wohl vor dem Outing gewesen sein muss. Gerade wäre das eine wirklich traumhafte Vorstellung.

Unwissenheit kann durchaus ein Segen sein.

Die Erkenntnis, dass der Homosapiens doch nicht an der Spitze der Nahrungskette steht, löste eine regelrechte Forschungswut aus. Wir Normalsterblichen konnten nicht akzeptieren, dass jemand schneller oder stärker ist als wir, deswegen entwickelten wir sogenannte Augmentationen: künstliche Körperteile und Exoskelette, die unsere vermeintlichen Schwächen ausgleichen, sowie Mikrochips, die einen angeblich vor der Einflussnahme der Vampire schützen sollten.

Tja, nur dumm, dass wir mal wieder nicht bis zum Ende gedacht haben …

Unsere menschlichen Körper sind nämlich nicht ohne weiteres in der Lage, mit derartigen Modifikationen umzugehen. Statt also superschnell und stärker als Werwölfe oder Vampire zu werden, wurden viele Menschen zu halbmechanischen Junkies, die ohne die Medikamente nicht leben können, die die natürliche Abstoßungsreaktion unterdrücken.

Ich schnaube ungehalten und vergrabe meine kalten Hände in den Jackentaschen. Obwohl dieser Makel offensichtlich ist, hält der Trend weiterhin an. Bisher ist es mir gelungen, um derlei ‚Verbesserungen‘ herumzukommen. Allerdings muss ich dafür sehr viel mehr Sport treiben als meine Kollegen und auf externe Hilfsmittel zurückgreifen. Das hat mir in den letzten Jahren vermehrt abschätzige Blicke eingebracht, doch solange ich nicht dazu gezwungen werde, bleibe ich so wie die Natur mich geschaffen hat.

Eine Schande, dass Melina diese Wahl nicht hatte, denke ich und seufze.

Meine große Schwester musste sich Augmentationen einsetzen lassen, um zu überleben. Nach einem schweren Unfall hieß es: entweder künstliche Körperteile oder sie endet als Krüppel, der nicht alleine lebensfähig wäre.

Für einen Moment schließe ich meine Augen und sofort tauchen Erinnerungsfetzen von damals auf: Melinas blutverschmierter Körper, die ernsten Mienen der Ärzte, ihre Verzweiflung und meine Angst um sie.

Mittlerweile kann Melina fast normal leben. Trotzdem muss ich immer wieder schlucken, wenn ich ihre künstlichen Beine sehe, die zwar normalen Gliedmaßen nachempfunden sind, doch deren biomechanische Natur anhand der metallisch wirkenden Oberfläche sofort erkennbar ist. An manchen Tagen bin ich mir nicht sicher, ob es die richtige Entscheidung war, die OP in dieser Form zu machen. Denn wenn die Medikamente zur Neige gehen, werden Melinas Schmerzen unerträglich und im schlimmsten Fall vergiftet sich ihr Organismus selbst, während er versucht, die Fremdkörper abzustoßen.

Ruckartig erhebe ich mich und laufe ungeduldig hin und her. Dumpf klingen meine Schritte auf dem Gitter und ein leises Knarzen erinnert mich daran, dass ich meine Wanderung lieber nach drinnen verlegen sollte. Mit einem letzten Blick zum Sternenhimmel steige ich durch das Fenster zurück in mein Schlafzimmer und sperre die kühle Nachtluft aus. Ich ziehe Schuhe und Jacke aus und tigere vor dem Bett herum. Fahrig streiche ich mir mit den Fingern durch meine blonden Haare, während ich über diese absurde Welt nachdenke.

Trotz der offensichtlichen Nachteile gelten die Augmentationen mittlerweile als eine Art Erkennungszeichen, denn sie werden fast ausschließlich von Menschen genutzt. Wer keine trägt, wird ganz schnell als übernatürliches Wesen – Xeno – abgestempelt und entsprechend misstrauisch beäugt oder angefeindet.

Ich schüttle den Kopf. So viel zur schönen neuen Welt ...

Bisher ist es den Menschen noch nicht gelungen, eine zuverlässige Möglichkeit zu finden, um Xenos sofort zu erkennen. Es gibt nur wenige von ihnen, die offensichtlich anders sind. Sonst hätten sie sich kaum jahrhundertelang vor uns verstecken können. Daher leben die meisten Wesen unerkannt mitten unter uns, was bei einigen Menschen für Panik sorgt.

Wer weiß denn schon, was diese merkwürdigen Xenos vorhaben?

Immer wieder kommt es zu Übergriffen und Anschlägen auf Personen oder Geschäfte und Clubs, die von Xenos betrieben werden oder einfach ‚verdächtig‘ aussehen. Besonders eine fanatische Anti-Xeno-Gruppe, die ‚Priests‘, wie sie sich selbst nennt, sticht hervor und sorgt für Tote auf beiden Seiten. Gerade scheint wieder Hochsaison zu sein, denn seit zwei Wochen werde ich fast täglich mit einer neuen enthaupteten oder gepfählten Leiche ‚beglückt‘.

»Gefährliche Spinner!«, fluche ich leise.

Nein, ich gehöre nicht zu den Menschen, die gezielt Kontakt zu Xenos suchen, sich anbiedern und teils sogar zu deren willigen Schoßhündchen werden, aber ich bezweifle, dass Terror der richtige Weg ist. Ich empfinde gesunden Respekt und Misstrauen den übernatürlichen Wesen gegenüber, doch ich verteufle sie nicht. Schließlich haben sie Jahrhunderte oder eher Jahrtausende friedlich und unerkannt unter uns gelebt, statt uns zu unterjochen.

Diesen Standpunkt vertritt allerdings nur eine Minderheit, weshalb ich sehr vorsichtig sein muss. Gerade unter den Cops gibt es viele Xenophobiker.

Wir diskriminieren uns also nicht mehr aufgrund von Hautfarbe, Geschlecht oder sexuellen Vorlieben, sondern danach, ob jemand Xenos mag oder nicht. Entsprechend wenig Enthusiasmus herrscht bei der Aufklärung von Morden an übernatürlichen Wesen und deren Unterstützern. Stattdessen habe ich immer wieder das Gefühl, dass derlei stillschweigend geduldet werden, wohingegen Verbrechen von Xenos an Menschen extrem harte Strafen zur Folge haben.

Hexenjagd 2.0.

Vampire werden dem Sonnenlicht ausgesetzt, Werwölfe und andere Dämonen in Ketten gelegt und zu schwerer Arbeit gezwungen oder gefoltert. Nicht wenige tragen irreparable Schäden davon, doch das kümmert die Menschen nicht.

Wir sind ja die Guten und die Xenos die Bestien … Bla, bla.

Niedergeschlagen lasse ich mich auf das Bett fallen und starre an die Decke. Insgeheim frage ich mich, wie lange die übernatürlichen Wesen die Anfeindungen noch zulassen werden. Seit einiger Zeit habe ich das ungute Gefühl, dass es in der Unterwelt brodelt, und ich will ehrlich gesagt nicht dabei sein, wenn die Bombe platzt.

»Das sind doch die besten Voraussetzungen für mich, um jetzt unter Xenos zu gehen«, brumme ich und lege mir einen Arm über die Augen.

Dieser Ausflug in die Unterwelt dürfte mir nicht gut bekommen, doch ich kann Melina nicht im Stich lassen.

 

ZWEI

(Josh)

 

Eine unangenehme Gänsehaut breitet sich auf meinem Körper aus, als ich mich dem Red Moon nähere. Vielleicht ist es das Wissen, was dort drin alles passiert, vielleicht auch eine ungute Vorahnung, dass mir an diesem Ort niemand freundlich gesonnen sein wird. Mein eMotorbike habe ich ein paar Straßen entfernt abgestellt und lege den Rest der Strecke zu Fuß zurück. Das Smartphone ist ausgeschaltet und auch sonst habe ich Vorkehrungen getroffen, um so wenige Spuren wie möglich zu hinterlassen. Es wäre äußerst ungünstig, wenn jemand wüsste, dass ich das Red Moon aufsuche.

Dieser Club ist Xeno-Gebiet. Menschen trauen sich nur selten her, Cops gar nicht, wenn sie den nächsten Tag erleben wollen. Das Red Moon gehört Alec Black. Hier ist er das Gesetz und wacht über sämtliche Aktivitäten der Unterwelt. Wenn ich nicht so dringend Melinas Medikamente bräuchte, würden mich keine zehn Pferde auch nur in die Nähe bringen. Doch leider ist dieser Club meine letzte Möglichkeit.

Ich bete, dass niemand herausfindet, wer ich bin, und man mich für einen normalen Besucher hält. Im Gegensatz zu uns spüren die übernatürlichen Wesen sofort, wenn Menschen unter ihnen sind.

Je näher ich meinem Ziel komme, desto schlichter werden die Fassaden und die Holotafeln weniger. Was ebenfalls abnimmt, sind der Lärm und der Dreck, die in einigen Teilen der Stadt wirklich unerträglich sind. Stattdessen findet sich hier und da tatsächlich ein Stück Grün – echte Pflanzen statt moderner Technologie.

Eigentlich ganz hübsch. Aber selbst die Hölle hat sicherlich ihre guten Seiten.

Ich atme noch einmal tief durch, bevor ich die Schultern straffe und so selbstsicher wie möglich auf die zwei riesigen Türsteher zugehe, die anhand ihrer Statur sehr wahrscheinlich Werwölfe sind. Einer von ihnen mustert mich gelangweilt.

»Sicher, dass dein zartes Wesen den Besuch übersteht?«

Der andere feixt, während ich Mühe habe, ruhig zu bleiben. Für einen Menschen bin ich durchaus groß und imposant, neben den Xenos fühle ich mich jedoch wie ein Halbstarker, der sich auf eine Erwachsenenveranstaltung schleichen will.

»Ach, komm schon, Blake. So wie der aussieht, findet er sicherlich eine Gönnerin, deren Schoßhündchen er für diese Nacht spielen darf.«

»Ich brauche keine Gönnerin!«, fauche ich. »Lasst ihr mich rein, oder nicht?«

Die Werwölfe lachen. »Du hast echt keine Ahnung, was? Das Red Moon ist Vampirgebiet. Ihr Menschen kommt nur aus einem Grund her: Ihr findet es geil, gebissen und gevögelt zu werden oder ihr wollt euch mit eurem Blut Gefälligkeiten erkaufen.«

Ich schlucke.

Dieser Teil der Gerüchte ist so wahr.

Das könnte mir entgegenkommen, auch wenn ich wirklich hoffe, dass ich nicht auf diese Weise für die Medikamente zahlen muss.

Blake mustert mich anzüglich. »Vielleicht steht er ja eher auf Schwänze.«

Automatisch versteife ich mich. Zwar bevorzuge ich Männer, doch auf einen Annäherungsversuch dieses Kerls kann ich gut verzichten.

»Hoho, mach dem Kleinen keine Angst«, höhnt der Zweite.

»Warum denn, Jo? Vielleicht hat er Glück und weckt das Interesse des Bosses. Der mag es exklusiv und das Kerlchen hat keine dieser hässlichen Augmentationen.« Mit seinem Blick zieht dieser Blake mich förmlich aus.

Meine Nackenhaare stellen sich auf.

Fuck! Das Letzte, was ich brauche, ist, dass Alec Black mitbekommt, dass ich hier bin.

»Darf ich jetzt rein, oder nicht?«, frage ich betont gelangweilt und frage mich insgeheim, ob der Vampir tatsächlich auf Männer steht oder die Türsteher mich einfach verängstigen wollen.

»Kannst es kaum erwarten, was?« Blake grinst und kommt auf mich zu. »Schön stillhalten. Waffen und Drogen sind da drin verboten.«

Mit sichtlichem Vergnügen tastet er mich ab und seine Pranke verweilt unnötig lange in meinem Schritt.

»Ich könnte es dir richtig besorgen, Kleiner«, raunt er.

»Kein Bedarf«, antworte ich kalt und schlage seine Hand weg.

»Uh, das Katerchen fährt seine Krallen aus«, witzelt der Werwolf und leckt sich über die Lippen. »Ich würde echt gerne dabei sein, wenn du vor dem Boss auf den Knien rutschst ...«

Allein bei der Vorstellung schnürt es mir die Kehle zu. So nah will ich diesem Vampir niemals kommen.

»Jetzt lass gut sein, Blake. Oder willst du Ärger bekommen, weil du ihm so einen Leckerbissen vorenthältst?«, mischt Jo sich ein.

Bevor ich darauf reagieren kann, wird die Tür geöffnet und ich werde grob in den Club gestoßen. Offenbar wollen selbst zwei so kräftige Werwölfe keinen Ärger mit dem berüchtigten Vampir bekommen.

Überrascht verharre ich einen Augenblick regungslos in der Dunkelheit. Leuchtpaneele weisen auf Toiletten sowie die Garderobe hin und zeigen den Weg in den eigentlichen Clubraum. Mit leicht zitternden Knien folge ich ihnen und teile den dicken Vorhang, der das Geschehen im Inneren vor neugierigen Blicken abschottet.

Eine schwüle Wärme umfängt mich und es riecht eindeutig nach Sex, Schweiß und Körperflüssigkeiten. Als die Musik einsetzt, tauchen Scheinwerfer das Szenario vor mir abwechselnd in rotes oder weißes Licht. Es fällt mir schwer, die Musikrichtung zu bestimmen. Irgendein düsterer Elektro-Sound mit ordentlich Bass. Die Beschallung ist erstaunlich leise, was wohl an den empfindlichen Ohren der Vampire und Werwölfe liegt.

Zu meiner rechten Seite befindet sich eine dezent beleuchtete Bar, die regen Andrang hat, links ist eine Art Lounge. Darüber scheint noch ein Stockwerk zu sein, das jedoch nicht für die Besucher zugänglich ist. Ein Teil davon nimmt eine große, verspiegelte Glasfront ein, hinter der sich wahrscheinlich die Geschäftsräume verbergen.

Meine Aufmerksamkeit gilt jedoch den großen Käfigen in der Mitte des Raumes, in denen sich halbnackte Männer und Frauen räkeln. Einige haben sichtbare Augmentationen, erstaunlich viele jedoch nicht.

Offenbar werden die Menschen sorgsam ausgewählt, um den Wünschen der Kundschaft zu entsprechen, sinniere ich, denn es ist bekannt, dass Xenos die Augmentationen abstoßend finden. Möglicherweise noch ein Grund, warum diese unter den Menschen so beliebt sind.

Ich benötige die digitale Anzeige über ihren Köpfen nicht, um zu erraten, dass die Gestalten im Käfig ihr Blut und wahrscheinlich auch ihre Körper verkaufen. Ob nur für eine Nacht oder für immer, möchte ich lieber nicht wissen.

»Hey, Süßer.«

Kühle Finger streichen über meinen Nacken. Instinktiv wirble ich herum und stehe einer zarten Blondine gegenüber, die mich eindeutig hungrig mustert.

»So ein Schnuckelchen habe ich lange nicht mehr gesehen«, schnurrt sie und kommt näher.

Abwehrend hebe ich die Hände. »Sorry. Ich bin gerade nicht in Stimmung.«

Sie zieht einen Schmollmund. »Du brichst mir das Herz. Bist du sicher, dass ich dich nicht umstimmen kann?«

Verführerisch fährt sie sich mit der Hand über ihr ansehnliches Dekolleté, doch der Anblick lässt mich kalt.

»Ganz sicher.«

»Ich beneide denjenigen, der dich vernaschen darf«, seufzt sie und stöckelt elegant davon.

Erleichtert atme ich aus.

Das hätte auch ganz anders laufen können. Es wäre ein Leichtes für die Vampirin gewesen, mich in ihren Bann zu ziehen, um zu bekommen, was sie will. Doch offenbar sind diese ‚Bestien‘ deutlich besser erzogen als so mancher Mensch, oder hier gelten gewisse Regeln, von denen ich nichts weiß.

Suchend blicke ich mich um. Meinen Quellen zu Folge muss es hier einen abgetrennten Bereich geben, in dem die illegalen Transaktionen verhandelt werden. Die Frage ist nur, wie oder besser, ob ich dort hineinkomme. Wenn jemand herausfindet, wer ich bin, dürfte es unangenehm werden.

Ein seltsames Prickeln lässt mich innehalten. Unauffällig versuche ich, die Ursache dafür zu finden, doch mir fällt nichts Besonderes auf. Ich will mich schon durch die Menge zum hinteren Bereich schlängeln, als ich wie vom Blitz getroffen innehalte.

Ein Mann in einem eleganten schwarzen Anzug lehnt neben der verspiegelten Glasfront an der Balustrade, die sich hoch über dem eigentlichen Clubraum erstreckt.

---ENDE DER LESEPROBE---