Dark Delights - Dunkle Vergangenheit - Vanessa Carduie - E-Book
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Dark Delights - Dunkle Vergangenheit E-Book

Vanessa Carduie

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Beschreibung

Verlockende Angebote auf der Speisekarte

Der Vampir Maximilian von Harras will das Junggesellendasein in vollen Zügen genießen und sich auf sein angesagtes Szenerestaurant ‚Dark Delights‘ konzentrieren. Für eine Beziehung ist da kein Platz.

Als er an seinem freien Abend das ‚Insomnia‘ besucht, trifft er dort auf seine Mitarbeiterin Betty, der Drogen ins Getränk gemischt wurden. Max greift ein und bewahrt die Studentin vor einer Katastrophe. Ungeplant kommen sie einander näher und Maximilians Vorsätze geraten ins Wanken, denn Untergebene sind eigentlich tabu für ihn.

Die blauhaarige Betty, die als Blutwirtin für ihn arbeitet und insgeheim für Vampire schwärmt, ist wirklich die Letzte, auf die er sich einlassen sollte.

Doch Gefühle lassen sich nicht kontrollieren und so macht Max der jungen Frau ein unmoralisches Angebot, denn sie ist auf den Verdienst aus dem ‚Dark Delights‘ angewiesen. Maximilian ahnt allerdings nicht, dass Betty auf der Flucht vor ihrer traumatischen Vergangenheit ist.

Dieser prickelnde Roman aus der Schattenwelt kann unabhängig gelesen werden.

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Inhaltsverzeichnis

Impressum

Widmung

1. Kapitel (Max)

2. Kapitel (Betty)

3. Kapitel (Max)

4. Kapitel (Betty)

5. Kapitel (Max)

6. Kapitel (Betty)

7. Kapitel (Betty)

8. Kapitel (Max)

9. Kapitel (Betty)

10. Kapitel (Max)

11. Kapitel (Betty)

12. Kapitel (Max)

13. Kapitel (Betty)

14. Kapitel (Max)

15. Kapitel (Betty)

16. Kapitel (Max)

17. Kapitel (Betty)

18. Kapitel (Max)

19. Kapitel (Betty)

20. Kapitel (Max)

21. Kapitel (Betty)

22. Kapitel (Max)

23. Kapitel (Betty)

24. Kapitel (Max)

25. Kapitel (Betty)

26. Kapitel (Betty)

27. Kapitel (Max)

28. Kapitel (Betty)

29. Kapitel (Betty)

30. Kapitel (Max)

31. Kapitel (Betty)

32. Kapitel (Betty)

Nachwort & Danksagung

Weitere Bücher von Vanessa Carduie

Insomnia – Verführerische Illusion

Shadowheart – Verborgene Sehnsucht

Lynx Love – Verliebt in einen Luchs

Kiss in the Rain – Pechvogel trifft Blutsauger

Touch of Utopia (Anthologie)

Vanessa Carduie ist ein Mitglied der „Schicksalsweber“

Dark Delights

Dunkle Vergangenheit

(Insomnia 3)

Vanessa Carduie

Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Text Copyright © 2023 Vanessa Carduie

Dieses Buch unterliegt dem deutschen Urheberrecht. Das Vervielfältigen oder Veröffentlichen dieses Buches oder Teilen davon, ohne Zustimmung der Autorin, ist untersagt.

Cover &Buchsatz (Taschenbuch): Phantasmal-Image.de

Korrektorat: A.C. LoClair

Lektorat: Jeanette Lagall - lektorat-lagall.de

2. Auflage (30.5.2024)

Vanessa Carduie

c/o WirFinden.Es

Naß und Hellie GbR

Kirchgasse 19

65817 Eppstein

Widmung

Manches, was unerreichbar scheint, ist in Wahrheit zum Greifen nah.

Sei mutig und versuche es einfach!

Und vergiss nicht: Es ist nie zu spät, um Hilfe zu fragen.

1. Kapitel (Max)

„Hey Max, was führt dich denn hierher?“

Ertappt drehe ich mich zu der Stimme um und entdecke Marie hinter der Theke. Kurz wundere ich mich über dieses merkwürdige Gefühl, denn ich bin recht häufig hier und habe keinen Grund, mich zu verstecken. Das Insomnia ist ein Nachtclub, der nicht nur bei den Bewohnern der Schattenwelt sehr beliebt ist. Die junge Werwölfin lächelt mich freundlich an und automatisch erwidere ich das Lächeln, denn ich mag Marie.

„Bist du auf der Suche nach Ablenkung oder einem Snack? Oder hast du einen Termin mit Seth?“

Lässig lehne ich mich zu ihr an die Theke und versuche, meine innere Unruhe zu vergessen. Irgendetwas ist heute merkwürdig. Ich kann nur nicht benennen, was es ist.

Seth ist der Besitzer des Insomnia und Teilhaber des Dark Delights, außerdem auch ein guter Freund von mir, daher kenne ich alle Angestellten und sie mich.

„Ersteres. Ich war schon eine Weile nicht mehr hier“, sage ich.

„Stimmt. Wie läuft’s im DarkDelights?“

„Gut“, antworte ich wahrheitsgemäß. „Der Ansturm besteht nach wie vor, obwohl wir jetzt schon ein paar Jahre dabei sind. Sogar unsere anspruchsvolleren Gäste sind nach wie vor zufrieden.“

„Das freut mich und es wundert mich überhaupt nicht. Das Dark Delights ist wirklich etwas Besonderes.“

„Das höre ich natürlich gern. Komm doch einfach mal wieder mit Vlad vorbei oder mach dir mit Emilia einen entspannten Abend“, schlage ich vor. „Sagt mir vorher nur Bescheid, dann reserviere ich euch einen Tisch.“

„Das ist eine gute Idee, danke!“

Die Barkeeperin strahlt mich an und ihre grünen Augen leuchten förmlich vor Begeisterung. In Momenten wie diesen kommt Maries wirkliche Schönheit erst richtig heraus, wie ich meine. Denn sie selbst empfindet sich oft als unscheinbar, obwohl sie deutlich aufgeblüht ist, seitdem sie mit Vlad zusammen ist. Mit ihren roten Haaren, den Sommersprossen im Gesicht und der rosigen Haut ist Marie wirklich ein Hingucker. Ich mag ihre Natürlichkeit und ihr offenes, freundliches Wesen, das sie zu einer perfekten Barkeeperin macht.

Männliches Johlen lässt uns beide zur Tanzfläche blicken. Eine zarte, schwarz gekleidete Gestalt ist auf einen der Blöcke geklettert, auf denen sich zu speziellen Anlässen Tänzerinnen und Tänzer zur Musik rekeln. Wie diese lässt die junge Frau ihre Hüften kreisen und gibt sich vollkommen dem Beat der Musik hin. Einigen Kerlen gefällt das offenbar sehr gut, wie man anhand der Pfiffe und Anfeuerungsrufe deutlich erkennen kann. Erst will ich es abtun, schließlich habe ich in den vergangenen Jahrhunderten so einiges gesehen und auch schon viel mehr nackte Haut, als die jungen Menschen, die sich nun um den Block herumdrängen, um möglichst nah an der Show zu sein.

Mehr aus Neugier betrachte ich die junge Frau nun auch genauer und erstarre. Kurz wundere ich mich über diese ungewöhnliche Faszination, doch dann übernimmt meine dämonische Seite.

Anscheinend habe ich gerade die passende Ablenkung und möglicherweise einen Snack gefunden, denke ich.

Wie gebannt starre ich die Tänzerin an und verfolge gierig jede ihrer Bewegungen. Instinktiv reagiert mein Körper auf dieses erotische Schauspiel und ich spüre, wie mein Jagdtrieb erwacht.

Ich will diese junge Frau!

Als das Scheinwerferlicht ihr Gesicht beleuchtet, bin ich wie vom Donner gerührt. Diese freche blaue Haarpracht kenne ich nur zu gut.

Verdammt! Ausgerechnet sie. So viel zum Thema Ablenkung.

„Betty!“

„Du kennst sie?“, fragt Marie und wirkt besorgt.

„Ja. Sie arbeitet bei mir – als Spenderin.“

Forschend blicke ich die Werwölfin an. „Was ist? Denkst du, sie bekommt Ärger mit der Security?“

Marie schüttelt den Kopf. „Das nicht, aber dieses ungehemmte Verhalten passt nicht zu ihr. Ich habe ihr den ganzen Abend nur alkoholfreie Cocktails gemixt und bevor sie auf der Toilette verschwunden ist, wirkte sie eigentlich eher niedergeschlagen. Das kann nicht mehr als zehn Minuten her sein. Dieser plötzliche Stimmungswandel ist merkwürdig. So habe ich sie noch nie erlebt und sie ist hier Stammgast. Diese junge Dame nimmt keine Drogen, sonst könnte sie ja auch nicht bei dir arbeiten. Aber vielleicht hat da jemand nachgeholfen …“

Mit gerunzelter Stirn greift Marie nach einem herrenlosen Cocktailglas, das nicht weit von mir entfernt steht, und schnuppert daran. „Das riecht merkwürdig.“

Bei ihren Worten durchfährt mich kalte Wut. „Denkst du, ihr hat jemand etwas untergejubelt?“

Marie nimmt den Drink und stellt ihn hinter die Theke. Beweismittel darf man schließlich nicht entsorgen. „Definitiv. Egal, wie gut sie drauf ist, aber das würde keine tun, die bei klarem Verstand ist.“ Sie deutet auf die Tanzfläche.

Erschrocken sehe ich, wie Betty beginnt, sich ihres Oberteils – einer schwarzen, spitzenbesetzten Corsage – zu entledigen, und damit die Herren zu ihren Füßen zum Ausrasten bringt. Bevor ich weiß, was ich tue, überwinde ich die Distanz zwischen uns und zerre sie blitzschnell von dem Show-Block herunter. Die junge Frau fällt mir förmlich in die Arme. Sofort weht mir ihr appetitliches Aroma entgegen und triggert den Hunger, den ich jedoch hartnäckig bekämpfe.

Betty ist tabu!

„Huch!“ Leicht benommen blinzelt sie mich an. „Herr v-von H-Harras, wie kommen Sie hierher?“

Aus der Menge sind Unmutsbekundungen zu hören. „Hey, lass die Kleine weitermachen! Die Show war echt heiß“, grölt jemand hinter mir.

Mit einem tödlichen Blick nagle ich den Sprecher fest, der sofort den Schwanz einzieht und sich verdünnisiert. Gut für ihn, denn gerade steht mir der Sinn danach, jemandem den Hals umzudrehen.

Ich greife Bettys Arm. „Du solltest ins Bett gehen“, knurre ich.

Sie zieht einen Schmollmund, den ich viel zu niedlich finde.

Warum muss es ausgerechnet dieses Mädel sein?, frage ich mich. Bei jeder anderen müsste ich nicht gegen diese Anziehung ankämpfen. Mit Angestellten fange ich nichts an, außerdem ist sie viel zu jung für mich.

„Aber ich bin noch gar nicht müde. Mir ist nur so heiß und ein bisschen schwummrig“, murrt Betty.

Wieder macht sie sich an den Häkchen ihrer Korsage zu schaffen, die auch geschlossen schon einen anregenden Ausblick auf ihr ansprechendes Dekolleté bietet. Schnell bugsiere ich sie von der Tanzfläche in eine ruhige Ecke und schirme sie von den Blicken der Umstehenden ab.

„Was ist los mit dir?“, frage ich sie und ignoriere, dass mir ihre Nähe viel zu gut gefällt. Also, ich versuche es zumindest. Mein Körper hat jedoch eigene Pläne, so wie die junge Dame in meinen Armen. Schnurrend presst sie sich an mich.

„Das ist ein genialer Traum“, murmelt sie und lässt die Hände über meine Brust gleiten. Ein wohliger Schauer durchfährt mich und der Hunger nach mehr erwacht in mir. Ihre kleine Tanzeinlage hat mich mehr erregt, als sie sollte, und ihre frechen Hände tun ihr Übriges.

Sie ist eine deiner Angestellten!, weise ich mich gedanklich zurecht. Und offensichtlich nicht ganz bei Sinnen. Lass die Finger von ihr und bring sie nach Hause, bevor der Typ sie zu fassen bekommt, der ihr die Drogen untergejubelt hat.

Ich vergreife mich nicht an meinen Untergebenen, weder zum Blutzapfen noch für sexuelle Abenteuer. Das ist für mich moralisch einfach nicht vertretbar und führt unweigerlich zu Problemen.

„Rrrr. Du bist wirklich heiß. Dieser kleine Ohrring lässt dich so verwegen aussehen und diese Lippen …“ Seufzend schlingt sie ihre Arme um meinen Hals. „Wie oft hab ich schon davon geträumt, sie zu kosten …“

Mit diesen Worten streckt sie sich mir entgegen und presst ihren Mund auf meinen. Überrascht lasse ich sie gewähren.

Shit! Das fühlt sich einfach zu gut an.

Instinktiv reagiere ich auf ihren Ansturm und erobere ihre süßen Lippen. Meine Selbstbeherrschung hat schließlich auch Grenzen. Seufzend öffnet sie sich mir und ich tauche tiefer in sie ein. Eine fruchtige Note, die wohl von den alkoholfreien Cocktails stammt, vermischt sich mit Bettys ureigenem Aroma. Verlangend reibt sie sich an mir, womit sie mir fast den Verstand raubt. Doch da registriere ich einen bitteren Nachgeschmack, der meine vampirischen Sinne in Alarmbereitschaft versetzt.

Mist. Marie hatte recht. Ihr hat wirklich jemand Drogen untergejubelt.

Diese Erkenntnis wirkt wie ein Eimer kaltes Wasser. Entschlossen schiebe ich Betty von mir. „Ich bringe dich nach Hause. Wo sind deine Sachen?“

„Huch! Was ist denn los? Gefalle ich dir nicht?“ Betty runzelt die Stirn und schaut mich überrascht an.

„Verdammt noch mal, Kleine! Ich bin dein Chef, und du weißt gar nicht, was du tust.“ Unwirsch drehe ich sie um und schiebe sie an den Tanzenden vorbei Richtung Ausgang.

„Du hattest recht“, rufe ich Marie zu, die sogleich jemanden von der Security zu sich winkt. Während sie sich unterhalten, manövriere ich meine unfreiwillige Begleiterin zur Garderobe, wo sie sich ihre schwarze mit kleinen silbernen Nieten verzierte Lederjacke aushändigen lässt.

„Das ist alles?“, frage ich skeptisch.

„Klar. Ich bin doch nicht so bescheuert und nehme eine Handtasche mit. Hab alles direkt an der Frau“, sagt sie und greift sich in den Ausschnitt. Mein Mund wird ganz trocken, als ich verfolge, wie ihre Finger erst ein paar Geldscheine und dann einen kleinen Schlüsselbund zwischen ihren Brüsten hervorziehen.

Was habe ich eigentlich verbrochen, dass ich heute so gequält werde?, frage ich mich. Seit Monaten gehe ich Betty aus dem Weg, weil sie mir ein bisschen zu gut gefällt. Niemand darf sich an unseren Blutwirten, die inoffiziell im Dark Delights arbeiten, vergreifen, auch ich nicht. Außerdem ist Betty ein Vampirfan und glaubt nicht so recht an die Fassade, die wir durch die angebliche Studie, die wir im Dark Delights durchführen, geschaffen haben. Das alles sind gute Gründe, um sich von ihr fernzuhalten, und bis vorhin ist mir das auch wunderbar gelungen.

„Aha.“ Ich schüttle meine Benommenheit ab und helfe Betty in ihre Jacke. „Wo wohnst du?“

Sie zieht eine Augenbraue in die Höhe. „Warum sollte ich dir das verraten?“

Sanft, aber bestimmt ergreife ich ihren Arm und ziehe sie mit mir nach draußen. Da Seth und ich befreundet und Geschäftspartner sind, steht mein Auto direkt hinter dem Nachtclub.

„Weil ich dich jetzt nach Hause bringe, bevor noch ein Unglück passiert.“

„Ich will aber noch nicht gehen“, beschwert sie sich. „Es war gerade so lustig.“

„Dir hat jemand Drogen ins Getränk gemischt, Betty. Du hast keine Ahnung, was du tust, und wärst ein leichtes Opfer.“

„Drogen? Was für Drogen? Ich trinke noch nicht einmal Alkohol. Außerdem will ich meinen Job nicht verlieren. Mir gefällt das Dark Delights, auch wenn ich nicht glaube, dass wir dort wirklich an einer Studie teilnehmen.“

Ihre Worte sind nicht gerade dazu angetan, meine Stimmung zu heben. Emilia, Seths Gefährtin, hatte mir nach ihrem letzten Besuch in meinem Restaurant vor paar Monaten schon gesagt, dass Betty im Gegensatz zu den meisten anderen menschlichen Spendern nicht an die Fassade glaubt, die wir uns als Deckung überlegt hatten. Passend zu ihrer Gothic-Kleidung steht die junge Frau auf den ganzen übernatürlichen Kram, der in diversen Medien beschönigt und romantisiert wird.

Das ist ein Grund, weshalb ich sie in letzter Zeit als Blutwirtin von der ‚Speisekarte‘ gestrichen und überlegt habe, ihren Vertrag zu beenden. Persönliche Verstrickungen wären unter diesen Voraussetzungen auch extrem ungünstig. Ich kann es mir nicht leisten, dass jemand unser gut durchdachtes Konzept durchschaut und uns outet. Der Vampirrat wacht mit Argusaugen über die wenigen, speziellen Etablissements, in denen Vampire quasi in der Öffentlichkeit Blut trinken können. Wir müssen uns an strikte Vorgaben halten und werden regelmäßig kontrolliert. Wenn bei so einer Kontrolle jemand wie Betty auffallen würde oder sie in ihrem Umfeld zu plappern beginnt, hätten wir ein großes Problem.

„Du gehörst ins Bett. Über deinen Vertrag reden wir ein anderes Mal“, antworte ich unwirsch und schiebe sie auf den Beifahrersitz meines Autos, das wir mittlerweile erreicht haben. Eingeschüchtert schaut sie mich mit ihren großen, blauen Augen an.

„Ich werde gekündigt, oder?“

Statt ihr zu antworten, schließe ich die Tür und steige ein.

„Anschnallen!“, befehle ich ihr und starte den Motor. Ein wenig unbeholfen fummelt Betty am Sicherheitsgurt herum, bevor es ihr schließlich gelingt, ihn einrasten zu lassen. Sobald das geschehen ist, lege ich den Gang ein und fahre los. Die junge Frau zuckt zusammen, als das Klicken der automatischen Türverriegelung ertönt. Trotz der gefügig machenden Substanz in ihrem Blut scheint ihr natürlicher Überlebensinstinkt noch nicht ganz ausgeschaltet zu sein.

„Wo-wo bringst du mich hin?“

„Nach Hause. Bist du nun so gütig und sagst mir deine Adresse?“

Leicht könnte ich sie aus ihren Gedanken herauspicken, doch aus einem unerfindlichen Grund widerstrebt es mir, ihre Privatsphäre zu missachten. Eine lächerliche Anwandlung für einen Vampir und gefährlich obendrein.

„K-klopp-st-stockstraße 63“, stammelt sie.

Mehr zu ihrer Beruhigung als für meine Orientierung gebe ich die Adresse in das eingebaute Navi ein und starte meine Metal-Playlist. Gerade habe ich keinen Nerv dafür, Betty mit Worten zu beschwichtigen. Ihr so nah zu sein, wühlt mich viel zu sehr auf. Außerdem verfluche ich mich für meine Schwäche.

Ich hätte niemals zulassen dürfen, dass sie mich küsst!

Als Vampir hätte es ein Leichtes für mich sein müssen, ihre Absichten zu erkennen und sie davon abzuhalten. Ich kann schließlich Gedanken lesen und weiß, dass Betty heimlich auf mich steht. Unter normalen Umständen hätte sie sich nie getraut, mir nahezukommen oder mir offen zu sagen, dass sie mich anziehend findet. Doch offenbar vergesse ich meine eigenen Fähigkeiten in ihrer Gegenwart, was mich nur noch weiter darin bestärkt, dass ich die Finger von Betty lassen sollte. Mein schlechtes Gewissen ist ebenfalls am Start, schließlich ahnte ich schon, dass sie nicht sie selbst ist, und habe es auf gewisse Weise ausgenutzt.

*

Ungefähr fünfzehn Minuten später biege ich in die genannte Straße ein und wage es das erste Mal, einen Blick auf meine Beifahrerin zu werfen. Tatsächlich ist sie trotz der unsicheren Situation und der lauten Musik eingeschlafen. Ein weiterer Beweis dafür, dass es die richtige Entscheidung war, sie nach Hause zu bringen. Allein der Gedanke, dass sie für jeden Kerl im Insomnia ein leichtes Opfer gewesen wäre, macht mich rasend vor Wut. Überrascht von der Heftigkeit meiner Gefühle, atme ich mehrmals tief ein und aus, um mich zu beruhigen. Als ich mich wieder unter Kontrolle habe, suche ich mir einen Parkplatz und steige aus.

Unschlüssig stehe ich einen Moment vor der Beifahrertür, bevor ich sie öffne und Betty abschnalle. Zum Glück hält sie ihren Wohnungsschlüssel in den Händen. Bei ihrer Aufbewahrungsvariante hätte ich ihr sonst viel näher kommen müssen, als für uns beide gut gewesen wäre. Vorsichtig entwinde ich ihr die Schlüssel und hebe sie hoch. Mit dem Fuß schließe ich die Autotür und trage die junge Frau zur Häuserzeile, in der ihre Wohnung liegt. Während ich mit einer Hand die Haustür aufschließe, studiere ich das Klingelschild, um zu erfahren, in welcher Etage Bettys Wohnung liegt. Unangenehm überrascht stelle ich fest, dass sie wohl in einer WG lebt oder einen Freund hat, denn neben ihrem Namen steht noch ein zweiter.

Noch ein Grund mehr, die Finger von ihr zu lassen.

Zügig trage ich Betty, die ein echtes Fliegengewicht ist, ins dritte Obergeschoss. Kurz lausche ich auf Geräusche in der Wohnung, aber ich kann nichts Verdächtiges hören und schließe auf. Gerade als die Tür leise hinter mir ins Schloss fällt, öffnet sich die Badezimmertür. Ein junger braunhaariger Kerl mit freiem Oberkörper und geöffneter Jeans tritt in den Flur und erstarrt.

„Hey! Wer sind Sie und was haben Sie mit Tina gemacht?“

Tina?, frage ich mich, schlussfolgere aber, dass es sich wahrscheinlich um einen Spitznamen für Bettina handelt. Das wirft jedoch eine neue Frage auf: In welcher Beziehung stehen die beiden zueinander?

Allerdings ist das im Moment nebensächlich. Obwohl ich gerade gar keinen Nerv dafür habe, liefere ich ihm eine kurze Erklärung: „Max, und ich habe gar nichts mit ihr gemacht. Irgendein Mistkerl hat ihr im Club Drogen ins Getränk geschüttet. Ich habe sie einfach nur aufgesammelt und nach Hause gefahren, bevor ein Unglück passiert ist.“

„Wie bitte?!“ Entsetzt schaut er mich an.

„Das war die Vermutung der Barkeeperin, die mich auf Betty aufmerksam gemacht hat. Ein Glück, dass Marie so wachsam ist. Die junge Dame hier hatte sich überhaupt nicht mehr unter Kontrolle.“

Misstrauisch beäugt der Mitbewohner mich. Zwar sagt mir seine deutlich wahrnehmbare Sorge, dass er und Betty sich gut verstehen, aber er wirkt nicht wie ihr Liebhaber. Zudem fehlt die typische Geruchsspur, die ein Techtelmechtel hinterlassen würde.

„Woher weiß ich, dass Sie mir keinen Scheiß erzählen?“

„Gar nicht. Allerdings ist es nicht meine Art, meine Angestellten unter Drogen zu setzen und zu entführen.“

Die Augen des jungen Mannes weiten sich erstaunt. „Sie sind der Chef des Dark Delights?“

Ich nicke knapp.

„Oh Mann!“ Er fährt sich verunsichert durch die Haare. „Tina wird im Boden versinken wollen, wenn sie realisiert, was passiert ist. Aber sie war heute doch gar nicht auf der Arbeit, wie …“

„Ich war zufällig im selben Club wie sie. Er gehört einem Freund von mir, daher hatte die Barkeeperin keine Angst, mir Betty anzuvertrauen. Mit etwas Glück haben sie den Mistkerl schon gefunden.“

Vorsichtig halte ich meine friedlich schlafende Fracht fest. So langsam wächst meine Ungeduld, denn es ist sinnfrei, hier im Flur herumzustehen.

„Wo ist ihr Zimmer? Sie gehört ins Bett und ich habe noch einiges zu tun.“

„Oh, sorry. Hier.“ Ihr Mitbewohner macht ein paar Schritte zur Seite und öffnet eine Tür. Als er das Licht anschaltet, enthüllt es einen kleinen Raum, in dem nur ein schmales Bett, ein Schreibtisch und ein Kleiderschrank stehen. An den Wänden entdecke ich einige Poster, die romantisierte Vampire beim Beißen knapp bekleideter Damen darstellen. Mit einem leichten Kopfschütteln laufe ich zum Bett und lege meinen kleinen Vampirfan sanft darauf ab.

„Ich weiß, sie steht auf solchen Kram, aber Tina ist vollkommen okay“, kommentiert ihr Mitbewohner meine Reaktion. „Wir haben doch alle unsere Macken.“

„Stimmt“, antworte ich ihm und finde es gut, dass er Betty verteidigt. Loyalität ist viel wert.

Vorsichtig ziehe ich der jungen Frau die Schuhe aus, bevor ich sie zudecke. Zwar wird es nicht allzu bequem sein, in der Nietenjacke zu schlafen, doch ich will ihr nicht zu nahe treten. Für meinen Seelenfrieden ist es auch besser, wenn die zarte Haut von Hals und Dekolleté bedeckt bleiben, bis ich weit weg bin. Kurz überprüfe ich Bettys Vitalfunktionen. Da Betty erst extrem zutraulich war und nun vollkommen ausgeknockt ist, scheint das eine besondere Art Droge zu sein, die oft als K.-o.-Tropfen bezeichnet werden. Ab und an erleiden die Opfer einen Kreislaufkollaps. Manche bekommen Lähmungen oder Ähnliches, weil die Dosierung zu hoch ist. Je nachdem, was genau in den Drink gekippt wurde, kann sich das von Fall zu Fall unterscheiden. Allen gemein ist nur, dass sie die Opfer innerhalb kurzer Zeit willenlos und wehrlos machen, sowie für einen Filmriss sorgen. Erleichtert stelle ich fest, dass bei Betty soweit alles im grünen Bereich ist, und richte mich auf.

„Schau bitte regelmäßig nach ihr. Wenn sie erwacht, wird sie sicherlich Durst und Kopfschmerzen haben. Vielleicht kommt auch noch Übelkeit dazu. Auf jeden Fall sollte sie morgen erst einmal im Bett bleiben.“

Ich fische eine Visitenkarte aus meinem Portemonnaie. „Ruf den Notarzt an, wenn es Komplikationen gibt. Sobald es ihr wieder gut geht, soll sie sich bitte bei mir melden.“ Mit diesen Worten drücke ich ihm Karte und Bettys Schlüssel in die Hand und verlasse die Wohnung.

*

Als ich schließlich selbst im Bett liege, verfolgen mich süße, weiche Lippen und große, blaue Augen bis in den Schlaf. Stöhnend vergrabe ich mein Gesicht im Kissen und verfluche meine Dummheit. Eine wie auch immer geartete Liaison mit einer Sterblichen einzugehen, bedeutet immer Ärger, und den kann ich überhaupt nicht gebrauchen. Zudem werde ich aus der Beziehung zwischen Betty und ihrem Mitbewohner nicht schlau. Die beiden scheint etwas mehr zu verbinden als nur die gemeinsame Wohnung, sonst hätte er sich nicht so große Sorgen um sie gemacht.

2. Kapitel (Betty)

Ich erwachte mit dem schlimmsten Kater aller Zeiten. Mein Kopf dröhnt, als würde jemand mein Hirn mit einem Presslufthammer bearbeiten, und ich habe einen widerlichen, pelzigen Geschmack im Mund. Meine Zunge fühlt sich merkwürdig dick und geschwollen an. Zu meinem Entsetzen habe ich keine Ahnung, wie ich aus dem Insomnia nach Hause gekommen bin oder wie lange ich dort war. Nur vage kann ich mich daran erinnern, dass ich mir zwei alkoholfreie Cocktails gegönnt und meinen trüben Gedanken nachgehangen habe. Alles, was danach passiert ist, verschwimmt in einem diffusen Nebel.

Verdammt! Warum nur geht im Moment alles schief?, jammere ich stumm.

Im Dark Delights darf ich nur noch selten arbeiten, auch im Studium läuft es nicht gerade rosig und ich bin froh, dass die Prüfungen endlich vorbei sind. Bei zweien davon hatte ich einfach keine Ahnung, was ich schreiben soll, und werde wahrscheinlich durchfallen. Stöhnend greife ich mir an die Stirn und stelle überrascht fest, dass ich noch meine Jacke anhabe. Offensichtlich bin ich vollkommen bekleidet ins Bett gefallen. Vorsichtig richte ich mich auf und schwanke leicht. Alles dreht sich um mich und mein Magen zieht sich schmerzhaft zusammen.

„Shit. Hat mir jemand etwas ins Getränk gekippt?“

Eigentlich achte ich penibel darauf, meine Drinks nicht aus den Augen zu lassen. Schließlich hört man immer wieder, dass junge Frauen unter Drogen gesetzt und vergewaltigt werden. Zitternd lehne ich mich an das Kopfende des Bettes und versuche, mich an die gestrige Nacht zu erinnern. Ich hatte mich eine Weile mit der Barkeeperin unterhalten. Sie war bei jedem meiner Besuche im Insomnia nett zu mir gewesen und macht echt leckere Drinks. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie mir irgendetwas unterjubeln würde. Was hätte sie davon?

Plötzlich geht mir ein Licht auf.

„Ah! Dieser komische Typ, der mich angerempelt hat. War er es vielleicht?“

Mit einem leichten Schaudern erinnere ich mich an den schmierigen Kerl, der mich fast vom Barhocker gerissen hat. Er murmelte eine fadenscheinige Entschuldigung, während er mich mit seinen Blicken schon beinahe ausgezogen hat. Klar, meine schwarze Corsage und die eng anliegende Lederhose zeigen so einiges, aber deswegen ist es trotzdem widerlich, wie ein Stück Fleisch begafft zu werden.

Zum Glück hat die Barkeeperin den Typen vertreiben können, bevor es wirklich unangenehm wurde. Wahrscheinlich habe ich danach noch einen Schluck von meinem Getränk genommen, bevor ich das dringende Bedürfnis hatte, die Toilette aufzusuchen. An dieser Stelle endet meine Erinnerung.

Ich spüre leichte Panik in mir aufsteigen, versuche mich allerdings mit dem Gedanken zu beruhigen, dass ich vollkommen bekleidet zu Hause erwacht bin und nicht irgendwo in einer dunklen Gasse liege.

Ein leises Klopfen lässt mich aufblicken. Langsam öffnet sich die Tür und Tobi steckt den Kopf ins Zimmer.

„Hey. Du bist ja wach. Wie geht es dir?“

„Beschissen“, gebe ich zu. „Wie bin ich nach Hause gekommen?“

Mein Mitbewohner reicht mir ein Glas Wasser und setzt sich zu mir aufs Bett. „Dein Chef hat dich hergebracht“, eröffnet er mir.

Ich trinke einen Schluck, um den ekelhaften Geschmack loszuwerden, und genieße die wohltuende Kälte des Wassers. Dann plötzlich realisiere ich, was er gerade gesagt hat, und verschlucke mich prompt.

„WAS?!“, keuche ich.

Tobi hält mir eine silberne Visitenkarte hin. Das Logo ist mir schrecklich vertraut.

Oh nein! Das darf nicht wahr sein. Bitte, bitte lass das alles einen Albtraum sein, aus dem ich gleich erwache!, bete ich in Gedanken.

Doch die Welt ist grausam. Mit zitternden Händen ergreife ich das Kärtchen und lese voller Grauen den Namen, der darauf steht: Maximilian v. Harras. Stöhnend ziehe ich meine Knie an und bette meinen Kopf darauf.

„Ich bin sowas von am Arsch“, jammere ich.

Etwas unbeholfen tätschelt Tobi meine Schulter. Wir verstehen uns super, sind aber beide nicht der Typ für Umarmungen.

„Das wird schon wieder. Er wirkte ganz nett und ehrlich besorgt. Es ist ja nicht deine Schuld, wenn dir jemand Drogen unterjubelt. Außerdem warst du privat unterwegs und nicht auf der Arbeit.“

Ich weiß seinen Aufmunterungsversuch wirklich zu schätzen, aber …

„Das wird mich nicht retten. Im Vertrag steht, dass wir keinerlei illegale Substanzen oder bestimmte Medikamente zu uns nehmen dürfen. Das würde die Studienergebnisse verfälschen …“

Zwar glaube ich nicht an den Kram mit der Studie, allerdings werden wir wirklich regelmäßig getestet. Mein Mitbewohner ist unkompliziert und kann gut mit meiner ‚Vampirmacke‘ leben, doch wenn ich ihm erzählen würde, dass ich glaube, dass im Dark Delights Menschen als Blutwirte für echte Vampire dienen, würde er mich wohl für total durchgeknallt halten. Diese Vorstellung ist selbst für mich ein bisschen zu viel, auch wenn ich nicht direkt Angst davor habe. Es ist nur gruselig, dass jemand mich – wie in vielen Romanen beschrieben – kontrollieren und in dieser Zeit mit mir tun und lassen könnte, was er will.

Im Restaurant werden wir allerdings sorgfältig überwacht, da würde ein Missbrauch schnell auffallen, was mich beruhigt. Tatsächlich gehe ich davon aus, dass ich während der letzten Monate im Dark Delights schon gebissen wurde, auch wenn ich nichts beweisen kann – natürlich nicht. Es würde mich auch sehr wundern, wenn die Vampire so nachlässig wären.

Was meinen Verdacht mit den Vampiren bestärkt, ist, dass ich in den letzten Wochen kaum noch direkt angefordert werde, abgesehen von den üblichen Routinetests. Scheinbar habe ich mich irgendwie verraten. Falls mir gestern wirklich jemand Drogen untergejubelt hat, wäre das also nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt.

„Hey. Ruh dich erst mal aus und ruf dann deinen Chef an. Es findet sich bestimmt eine Lösung. Selbst wenn du aus der Studie raus bist, dann gibt es noch viele andere Studentenjobs, die du machen könntest, um dich über Wasser zu halten“, versucht Tobi mich aufzumuntern.

Als ich nicht reagiere, steht er seufzend auf. „Ich lass dich jetzt in Frieden und schau später nach dir, okay?“

„Danke“, murmle ich. Mir geht es bescheiden und in Kombination mit den direkten Nebenwirkungen der Drogen ist das Wissen, dass ich nach der gestrigen Nacht wahrscheinlich auch meinen Nebenjob los bin, einfach zu viel für mich. Sobald ich alleine bin, rolle ich mich zusammen und lasse meinen Tränen freien Lauf.

Warum muss ausgerechnet mir immer so eine Scheiße passieren?!

Ja, Tobi hat recht, es gibt noch andere Jobs. Wenn ich durch die Prüfungen gerasselt bin, war’s das ohnehin mit dem Studium. Da kann ich mich auch den ganzen Tag an die Supermarktkasse setzen und ende so, wie es meine gehässige Mutter mir immer prophezeit hat. Wobei – in ihren Augen müsste ich meinen Unterhalt als Hure verdienen, so ‚gottlos‘, wie ich unterwegs bin.

Es gibt gute Gründe, warum ich jeglichen Kontakt zu meiner streng religiösen – oder eher fanatischen – Familie abgebrochen habe. Die Gesinnung der Mitglieder erinnert sehr an das Mittelalter und Frauen hatten ohnehin nichts zu sagen. Alles wurde mit dem „Willen Gottes“ entweder gerechtfertigt oder verteufelt, wobei ich der Ansicht war und bin, dass Gott mit dem nichts zu schaffen hat.

Satan wäre der bessere Bezug gewesen, was natürlich in den Augen dieser angeblich so frommen Sektenmitglieder die höchste Beleidigung schlechthin darstellt. Das Leben in der Sekte war die Hölle. Das alles sind nur wenige von vielen Sachen, die mich vor fünf Jahren zur Flucht getrieben haben. Von den schlimmsten Dingen weiß selbst Tobi nur einen kleinen Teil. Es bringt schließlich nichts, ihn mit den Details meiner Misshandlungen zu quälen. Damals hatte ich nur Glück, dass ich trotz Verbot heimlich eine Freundschaft zu einem Mitschüler aufbauen konnte: Tobi. Er war der Einzige, der sich die Mühe gemacht hatte, hinter meine abweisende Fassade zu blicken, und mein Leid bemerkt hat. Nur ihm gegenüber habe ich mich schließlich geöffnet und bin froh darüber. Ohne seine Hilfe und die Unterstützung seiner Familie würde ich noch immer in dieser abartigen Sekte festhängen oder hätte mich vielleicht schon umgebracht.

Meine traumatischen Erlebnisse habe ich mit meiner Therapeutin aufgearbeitet, die ich auch jetzt noch regelmäßig aufsuche. Mittlerweile komme ich gut zurecht. Die schrecklichen Albträume sind verschwunden und meine früher häufigen Panikattacken habe ich auch unter Kontrolle. Trotzdem werde ich nie so unbeschwert sein können, wie andere in meinem Alter, und so ein totaler Kontrollverlust wie in der vergangenen Nacht ist ein schrecklicher Tiefschlag, der die alten Ängste in mir weckt.

Mir ist bewusst, dass meine Neigung zur schwarz-bunten Szene und die Vorliebe für Vampire zum Teil auch darin begründet liegen, dass ich mich irgendwie abheben möchte und mir durch meine Erlebnisse einfach nicht nach eitel Sonnenschein zumute ist. Allerdings sind viele der Leute aus meinem Gothic-Umfeld schwer in Ordnung und einfühlsamer als die meisten ‚normalen‘ Menschen.

Ja, mich fasziniert die Vorstellung, dass es Wesen gibt, die übernatürlich sind – auf gewisse Weise ganz anders und trotzdem irgendwie menschlich. Vielleicht bin ich auch ein wenig der vollkommen absurden Idee verfallen, dass sich wirklich jemand so Besonderes für einen Niemand wie mich interessieren und mich lieben könnte.

Mit einem Vampir an meiner Seite würde ich mich wahrscheinlich einfach sicherer fühlen – so merkwürdig es auch klingen mag. Schließlich hätte er mich wortwörtlich zum Fressen gern. Doch ich hätte kein Problem, mit meinem Blut für Schutz zu zahlen.

Der Gedanke, dass ausgerechnet mein Chef aus dem Dark Delights, Maximilian von Harras, meinen Absturz mitbekommen hat, und sich notgedrungen um mich kümmern musste, setzt dem ganzen Drama die Krone auf. Ich würde meinen Hintern verwetten, dass dieser Mann ein Vampir ist.

So anziehend und geheimnisvoll kann kein normaler Mann sein!

Ich bin ihm nur ein paar Mal begegnet, doch sobald er in meiner Nähe ist, spielt mein Körper völlig verrückt und ich bekomme keinen vernünftigen Satz heraus. Das ist mir jedes Mal aufs Neue peinlich, doch ich kann es einfach nicht ändern. Sobald ich Maximilian von Harras gegenüberstehe, fällt mein Hirn aus. Ja, mit den etwas zu langen blonden Haaren, der gebräunten Haut und dem kleinen Ziegenbärtchen entspricht er vielleicht nicht der aktuellen Mode, aber für mich ist er höllisch attraktiv. Vielleicht sind es gerade diese kleinen Dinge, wie der silberne Ohrring im linken Ohr, die für mich einfach nicht zu dem klassischen Bild eines seriösen Geschäftsmanns passen wollen, die mich anziehen. Mein Chef ist schlank und durchschnittlich groß, was mir sehr entgegenkommt, denn ich bin nicht gerade ein Riese.

Ich seufze, denn für mich ist und bleibt Maximilian von Harras unerreichbar. Nach den Ereignissen der letzten Nacht wird er mich sicherlich für ein naives Kind halten, was meine ohnehin nicht vorhandenen Chancen noch einmal geschmälert hat.

Wenn ich doch nur meine Teilnahme an der Studie weiterführen könnte, denke ich. Das würde vieles erleichtern, und ich könnte Herrn von Harras immerhin ab und an von Weitem heimlich anschmachten.

Den Studienteilnehmern gegenüber verhält er sich freundlich, aber distanziert. Doch wir können uns wirklich nicht beklagen. Die Versorgung ist einsame Spitzenklasse und die Bezahlung auch außerordentlich gut. Alles Punkte, die mich verlockt und gleichzeitig misstrauisch gemacht haben.

Wer bitte verwöhnt seine Probanden derartig, nur um ein paar Daten zu bekommen? Und warum in so einem exquisiten Ambiente statt in einer Klinik?

*

Eine Weile wälze ich mich in Selbstmitleid. Viel mehr kann ich in meinem desolaten Zustand auch nicht tun. Als die Kopfschmerzen endlich nachlassen, beschließe ich, es mit Aufstehen zu probieren. So langsam stößt meine Blase an ihre Kapazitätsgrenzen und ich verspüre zudem das dringende Bedürfnis nach einer langen, heißen Dusche. Mühsam rapple ich mich auf und bin froh, dass sich diesmal nichts mehr dreht.

Auf wackeligen Beinen durchquere ich mein Zimmer und suche mir saubere Klamotten heraus, dann setze ich meinen Weg fort. Zum Glück ist das Bad frei, sodass ich mich endlich erleichtern kann. Mit zitternden Händen ziehe ich meine Lederjacke und die eng anliegende Hose aus. Das verbliebene Geld von gestern Nacht stopfe ich in eine der Jackentaschen. Kurz kämpfe ich mit den Häkchen meiner Corsage und atme erleichtert auf, als ich endlich nackt bin.

So anstrengend war Ausziehen noch nie …

Ich klettere in die Badewanne und ziehe den bunt gemusterten Duschvorhang zu. Als das heiße Wasser auf mich herab prasselt, seufze ich selig.

Das tut verdammt gut.

Mit geschlossenen Augen lehne ich meine pochende Stirn gegen die kühlen Fliesen und lasse mich berieseln. Meine Gedanken schweifen ab.

Starke Hände kneten meinen verspannten Nacken und arbeiten sich langsam über meinen Rücken nach unten. Ein zufriedenes Brummen steigt aus meiner Kehle, das jedoch bald darauf zu einem lustvollen Stöhnen wird. Warme Lippen küssen meine Schultern und Zähne knabbern leicht an meinem Hals.

„Mhm, du riechst so gut“, murmelt eine tiefe Stimme, die ich überall erkennen würde.

„Maximilian“, stöhne ich leise und lehne mich mit dem Rücken an ihn. Sanft umschließen seine Hände meine Brüste. Geschickt liebkost er mich, bevor seine Finger nach unten wandern und meine Vulva streicheln. Zärtlich stimuliert er mich, bis mein Körper vor Lust zu brennen scheint. Ich spreize meine Beine, um ihm besseren Zugang zu gewähren, und stöhne auf, als er seine Erektion leicht an mir reibt.

„Darf ich?“, fragt er mit rauer Stimme.

„Ja“, keuche ich. Vorsichtig dringt er in mich ein.

Das fühlt sich einfach verboten gut an.

Ein leises Lachen ertönt an meinem Hals und sein Ziegenbärtchen kitzelt auf meiner Haut. „Verboten trifft es auf jeden Fall“, antwortet er auf meine Gedanken. „Ich hatte mir eigentlich geschworen, die Finger von dir zu lassen.“

„Bitte nicht aufhören!“, flehe ich.

„Noch nicht.“

Erst langsam, dann immer schneller bewegt er sich in mir und raubt mir den Verstand. Als ich kurz vorm Zerspringen bin, spüre ich einen kurzen Schmerz am Hals, dann überrollt mich eine Welle der Lust.

„Tina? Tina! Geht es dir gut?“

Ein lautes Klopfen holt mich zurück in die Realität. Zitternd sinke ich in die Badewanne.

„Was ist passiert?“, frage ich mich leise. Mein Körper ist in hellem Aufruhr. Ich fühle mich gleichzeitig befriedigt, erregt und enttäuscht.

„Tina, antworte mir!“

Tobis leicht panische Stimme reißt mich aus meiner Benommenheit.

„Mir geht es gut“, rufe ich, auch wenn ich mir da gerade überhaupt nicht sicher bin.

„Gott sei Dank! Du hast so merkwürdige Geräusche von dir gegeben, dass ich echt Angst bekommen habe.“ Mein Mitbewohner klingt erleichtert und verwirrt.

„Tut mir leid. Mein Kopf dröhnt immer noch, aber die Dusche hilft.“

In diesem Moment bin ich sehr dankbar dafür, dass uns eine Tür und ein Duschvorhang voneinander trennen. Trotzdem würde ich gerade sehr gern im Erdboden versinken, weil es einfach nur peinlich ist. Meine Wangen brennen vor Verlegenheit.

Was ist nur mit mir los? Warum habe ich Sexfantasien über meinen Chef, der weit außerhalb meiner Reichweite ist? Und warum zum Teufel fühlte es sich so verdammt real an?!

„Ich bin gleich fertig“, kündige ich an, während ich mich mühsam aufrichte und schnell wasche. Die Feuchtigkeit zwischen meinen Beinen ist definitiv nicht nur Wasser. Obwohl ich alleine im Raum bin – schließlich habe ich die Tür von innen abgeschlossen – fühlt sich mein Körper an, als hätte ich gerade Sex gehabt. Richtig genialen Sex – mit meinem Chef, der mich sonst kaum eines Blickes würdigt und vielleicht ein Vampir ist!

„Jetzt bin ich vollkommen durchgeknallt“, murmle ich kopfschüttelnd. „Was hat mir dieser Drecksack nur ins Getränk gemischt, dass ich so extrem neben der Spur bin?!“

Schon vorher war es peinlich genug, sich bei Herrn von Harras zu melden. Nach meiner feuchtfröhlichen Wahnvorstellung in der Dusche werde ich ihm nie wieder unter die Augen treten können, ohne vor Scham im Boden versinken zu wollen.

Ich bin sowas von geliefert …

3. Kapitel (Max)

Mit einem Ruck erwache ich. Mein Atem geht stoßweise und ich spüre, dass ich vollkommen transformiert bin. Heiße Lust peitscht durch meinen Körper und auf meiner Zunge kann ich noch das süße Aroma frischen Blutes schmecken.

Betty.

Allein der Gedanke an sie schürt meinen Hunger. Wäre sie in Reichweite, würde ich mich wahrscheinlich auf sie stürzen und sie auffressen.

„Fuck!“, fluche ich und lasse mich zitternd zurück in die Kissen sinken. Mit den Händen fahre ich mir übers Gesicht und versuche, irgendwie klar zu kommen.

„Was zur Hölle war das?“, frage ich mich leise. So einen intensiven Traum hatte ich noch nie. Davon abgesehen ist der Inhalt auch nicht unbedingt dazu angetan, mich zu beruhigen.

Hatte ich gerade wirklich Sex mit Betty und habe von ihr getrunken?

Selbst wenn es nur eine Fantasie war – was eigentlich außer Frage steht –, dann ist das ein echtes Problem. Was mich jedoch stutzig macht, ist, dass ich ihr Blut noch schmecken kann.

So süß und aromatisch.

Natürlich kann ich mir das auch alles einbilden, doch diese leicht bittere Note – ein Hinweis auf die Droge, die Betty gestern untergejubelt wurde – passt so gar nicht zu einer bloßen Einbildung. Ich schnüffle leicht an mir und bin mir sicher, dass ich ihren Geruch auf meiner Haut wahrnehmen kann.

Zwar hatten wir gestern Körperkontakt, jedoch nicht so intensiv, dass er sich hätte festsetzen können. Ich war schließlich hinterher duschen und schlafe nur in Boxershorts. Besagtes Kleidungsstück ist gerade sehr eng und fühlt sich merkwürdig feucht an. Fluchend taste ich nach der kleinen Nachttischlampe und schlage die Decke zurück.

„Na toll … Im Schlaf gekommen wie ein Teenie, der das erste Mal einen feuchten Traum hat. Peinlicher gehts nicht.“

Leicht angeekelt von mir selbst schwinge ich mich aus dem Bett und laufe zum Badezimmer. Dort angekommen, stelle ich mich direkt unter die Dusche und ziehe meine versaute Unterwäsche aus. Ich habe kein Problem mit Selbstbefriedigung – welcher Kerl hat das schon? – aber diese Nummer ist echt schräg.

Was hat die Kleine nur an sich, dass sie mich derart beschäftigt?

Klar, sie ist ganz hübsch, aber eigentlich nicht mein Typ, denn ich halte mich strikt von diesen Vampirfreaks fern, die seit dem letzten Hype der Vampirromane wieder vermehrt vorkommen. Da Betty als Blutwirtin für mich arbeitet, ist sie ohnehin tabu. Entsprechend habe ich jegliches Interesse an ihr im Keim erstickt, auch wenn ich ihren Geruch besonders lecker finde. Die meisten unserer Begegnungen waren rein geschäftlich. Da wirkte sie auf mich wie eine nette, junge Frau, die sehr von meiner Präsenz eingeschüchtert ist. Von einer potenziellen Partnerin erwarte ich mehr. Ich will kein willenloses Etwas und auch niemanden, der mich anhimmelt.

Außerdem lasse ich mich nicht gern mit Menschen ein, denn das führt langfristig immer zu Problemen. Ich altere schließlich nicht und habe so manche Angewohnheit, die für Menschen zumindest ungewöhnlich ist, wobei ich einer rein körperlichen Bekanntschaft inklusive Snack natürlich nicht abgeneigt bin. Ich bin kein Mönch und habe auch nicht vor, einer zu werden. Ich habe gern Sex und in den vergangenen vier Jahrhunderten aus Neugier auch einiges ausprobiert. Wobei mir Männer einfach nicht so zusagen. Ich mag die Weichheit und Zartheit, die nur Frauen zu eigen ist. Ihre Geheimnisse zu erkunden und sie vor Lust zum Schreien zu bringen, gehört durchaus zu meinen liebsten Beschäftigungen.

Seth, ein Freund, Geschäftspartner und der Besitzer des Insomnia, hat mich schon oft damit aufgezogen, dass ich ein wahrer Schürzenjäger bin. Mich stört das nicht. Ich bin kein Kind von Traurigkeit und bevor der Inkubus Emilia, seine Gefährtin, getroffen hat, war er selbst sehr umtriebig. Inkuben und Sukkuben sind zudem sehr sinnliche Wesen, die ihre Opfer nicht selten in erotische Fantasien verwickeln, um ihnen ein bisschen Lebensenergie abzuzapfen.

Mit meiner Freiheit als Single bin ich sehr zufrieden, und habe nicht vor, daran etwas zu ändern. Bisher hat mich auch noch keine Frau so fasziniert, dass ich ihr zuliebe daran gedacht hätte, mich langfristig an sie zu binden. Warum ich nun ausgerechnet an diesem zarten Gothic-Girl scheitere, ist mir ein Rätsel.

Sofort tauchen ihre schwarz umrandeten, großen blauen Augen in meinen Gedanken auf. Betty zu halten und zu küssen, hat irgendetwas in mir ausgelöst. Ich weiß nur nicht, was. Wäre das Anstellungsverhältnis nicht, würde ich mich vielleicht auf ein kurzes Abenteuer einlassen, doch gerade habe ich große Bedenken, dass dies möglich wäre. Ich möchte Betty nicht ausnutzen und bevorzuge Frauen, die wissen, was sie wollen und mit beiden Beinen im Leben stehen. Obwohl sie volljährig ist, bezweifle ich sehr stark, dass sie viel Erfahrung im Umgang mit Männern hat, dafür verhält sie sich ein bisschen zu linkisch, wenn sie nicht gerade im Drogenrausch einen Striptease hinlegt.

Allein die Erinnerung an diesen Anblick lässt mich vor Lust stöhnen.

Im Traum hat sich die Kleine so verdammt gut angefühlt …

Frustriert schüttle ich den Kopf.

Vergiss es und lass die Finger von ihr!, weise ich mich zurecht und drehe den Wasserhahn bis zum Anschlag auf kalt. Mein Körper protestiert gegen dieses Eisbad, doch ich beiße die Zähne zusammen und stehe so lange unter dem Duschstrahl, bis auch das letzte bisschen Lust verschwunden ist. Dann erst stelle ich das Wasser ab, greife mir ein Handtuch und ziehe mir neue Kleider an.

Eher zufällig werfe ich einen Blick auf die Uhr. Es ist später Nachmittag, deshalb muss ich noch ein paar Stunden in meiner sonnengeschützten Wohnung ausharren, bevor ich ins Dark Delights gehen kann.

„Ein Glück, dass ich immer genug Arbeit habe, um mich abzulenken“, murmle ich und begebe mich in mein Arbeitszimmer. Ich starte meinen PC und logge mich in das Netzwerk ein, um an die Daten des Dark Delights zu kommen. Einige Zeit beschäftige ich mich mit den Berichten der Buchhaltung, Dienstplänen, neuen Kreationen meines Küchenchefs und rufe schließlich die Verträge unserer Blutwirte auf.

Mittlerweile haben wir um die fünfzig Menschen, die zumeist Mitte zwanzig sind und sich an ein bis zwei Tagen pro Woche bei uns aufhalten. Routinemäßig werden Blutproben entnommen, um diese auf illegale Substanzen oder sonstige Verunreinigungen zu prüfen. Je nach Ergebnis werden die Blutwirte dann in die Nachtdienste eingeteilt. Betty war recht beliebt bei unseren vampirischen Kunden, weshalb sie sich durchaus die eine oder andere Bonuszahlung erarbeitet und einen Extraschuss Eisen bekommen hat.

Seit Emilias Bemerkung, dass Betty an unserer Fassade der Studie zweifelt, habe ich ihren Einsatz jedoch reduziert und ihr Blut eher für Blutkonserven genutzt. Nach der Aktion der letzten Nacht fällt sie auch dafür mindestens eine Woche aus. Zwar sollte ihr Körper die Droge im Laufe des nächsten Tages vollständig abgebaut haben, doch dafür wird er einiges an Kraft benötigen. Da wäre eine zusätzliche Belastung durch den Blutverlust schlicht verantwortungslos.

Nachdenklich studiere ich ihre persönlichen Daten: Bettina Esslinger, geboren am 12.11.2000 in Döbeln.

Ein echtes Küken mit ihren nicht einmal dreiundzwanzig Jahren.

Sie studiert Lehramt an der Uni und ihr Verdienst im Dark Delights ist ihre Haupteinnahmequelle. Letzteres steht natürlich nicht in ihrem Vertrag. Wir führen zwar bei allen Beteiligten einen Hintergrundcheck durch, um potenzielle Problempersonen auszuschließen, doch dabei suchen wir eher nach Spielschulden und ähnlich auffälligen Dingen. Bettys finanzielle Situation begann mich erst zu interessieren, als Emilia meinte, dass die junge Frau den Job hier dringend braucht. Wäre das nicht der Fall, hätte ich ihren Vertrag wahrscheinlich schon vor einigen Wochen beendet. Vielleicht auch, weil sie mich ein bisschen zu sehr fasziniert und heimlich auf mich steht.

Seufzend lehne ich mich in meinem Bürostuhl zurück und betrachte Bettys Bewerbungsfoto. Nicht wenige würden sie aufgrund ihrer äußerlichen Erscheinung mit den blauen Haaren und der auffälligen Schminke schnell in eine Schublade stecken. Mir sind solche Äußerlichkeiten egal. Die letzten Jahrhunderte haben mich oft genug gelehrt, dass der Schein selten der realen Persönlichkeit entspricht. Obwohl ich Betty nur wenige Male begegnet bin, spüre ich, dass sie ein dunkles Geheimnis hat. Es ist, als würde ein Schatten auf ihrer Seele liegen. Damit meine ich nicht, dass sie etwas verbrochen hat, sondern eher ein traumatisches Erlebnis. Die junge Dame ist deutlich wachsamer und skeptischer als alle anderen Probanden und nicht nur mir ist aufgefallen, dass sie sich am liebsten in der Nähe der anderen Frauen aufhält, und eher mit Vampirinnen mitgeht, wobei sie Männer nicht generell ablehnt.

„Was ist nur mit dir passiert, Kleine?“, murmle ich und weiß nicht, ob ich die Antwort wirklich wissen möchte.

In ihrem Privatleben herumzuschnüffeln, würde unweigerlich dazu führen, sich ihr emotional anzunähern. Gerade unter den aktuellen Umständen wäre das alles andere als klug. Nachdenklich streiche ich mir über das Kinn.

„Was soll ich nur mit dir machen?“

Wie zur Antwort klingelt plötzlich mein Telefon. Auf dem Display steht eine unbekannte Nummer, doch das ist nicht ungewöhnlich. Das leichte Prickeln in meinem Nacken hingegen schon. Trotzdem nehme ich den Anruf entgegen.

„Von Harras.“

Kurz herrscht Stille am anderen Ende und ich kann hören, wie jemand tief Luft holt.

„H-Hallo Herr von Harras, hier ist Betty Esslinger. Sie wollten, dass ich mich bei Ihnen melde“, sagt sie mit leicht zitternder Stimme.

„Guten Abend Frau Esslinger“, begrüße ich sie so förmlich wie möglich, obwohl ich die Kleine gerade gern in den Arm nehmen und trösten würde. Ihre Angst ist deutlich spürbar. „Ich hoffe, Ihnen geht es wieder gut.“

„Ja, vielen Dank, dass Sie mich gestern nach Hause gebracht haben.“ Sie macht eine kleine Pause. „Es ist mir unendlich peinlich, aber ich weiß so gut wie gar nichts mehr von der gestrigen Nacht, hoffe jedoch, dass ich Ihnen keine Probleme gemacht habe.“

Ungebeten tauchen vor meinem geistigen Auge Bilder von gestern Nacht auf: Betty, die sich lasziv zur Musik bewegt und ihre Corsage öffnen will, ihre Lippen auf meinen … Unwirsch schüttle ich den Kopf, um diese Gedanken zu vertreiben.

„Nein, das haben Sie nicht. Ich bin froh, dass es so glimpflich abgelaufen ist. Allerdings würde ich dieses Thema gern persönlich mit Ihnen besprechen und auch das weitere Vorgehen. Fühlen Sie sich in der Lage, heute im Dark Delights zu erscheinen?“

Noch während ich diesen Satz ausspreche, hätte ich mich am liebsten geohrfeigt.

Prima Idee, sie zu dir zu bestellen, wenn du dich nicht unter Kontrolle hast …

„I-ich denke schon“, antwortet sie verunsichert.

Tja, jetzt müssen wir wohl beide da durch.

Ich werfe einen Blick auf die Uhr. Mittlerweile ist es kurz nach neunzehn Uhr.

„Könnten Sie kurz nach neun zu mir ins Büro kommen?“

„Ja, natürlich, Herr von Harras.“

„Gut. Dann sehen wir uns später. Gönnen Sie sich am besten noch etwas Ruhe“, verabschiede ich mich vor ihr.

Ein wenig ratlos schaue ich mein Telefon an, bevor ich es weglege und mir mit den Händen über das Gesicht fahre. Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, was ich ihr dann erzählen soll.

Wenn sie sich nicht an unseren Kuss und ihre Entgleisung auf der Tanzfläche erinnern kann, würde sie zukünftig bestimmt ruhiger schlafen. Auf der anderen Seite ist es nicht richtig, ihr diese Informationen vorzuenthalten.

Mir haben sich diese Szenen sehr deutlich ins Gedächtnis gebrannt. Nach der Sache mit dem Traum bin ich mir zudem unsicher, ob es wirklich so eine gute Idee ist, mich alleine mit ihr in einem Raum aufzuhalten. Gerade traue ich mir selbst nicht über den Weg, und im Gegensatz zu Betty gestern stehe ich nicht unter Drogen.

Komm, für die halbe Stunde wirst du dich wohl zusammenreißen können, weise ich mich innerlich zurecht. In einer Stunde geht die Sonne unter, und bis Betty da ist, sollte ich getrunken und mich wieder halbwegs im Griff haben. Vielleicht wäre es schlau, vorher diese angestaute sexuelle Energie loszuwerden.

Ein kleiner Quickie mit einer willigen Dame dürfte zumindest etwas Druck abbauen …

Zuvor sollte ich mich jedoch noch erkundigen, ob sie den Kerl im Insomnia ausfindig machen konnten. Seufzend greife ich mir mein Telefon und wähle Seths Nummer. Es klingelt nur zweimal, bis er rangeht.

„Hallo Max, ich habe schon mit deinem Anruf gerechnet. Wie geht es ihr?“

„Hi Seth, wahrscheinlich den Umständen entsprechend. Sie weiß scheinbar nicht, was sie getan hat.“

Ich höre, wie der Inkubus leise flucht. „Das ist leider nicht ungewöhnlich. Marie hat sich daran erinnert, dass Betty von einem Typen angerempelt wurde, der ihr sehr seltsam vorkam, und auch ganz schön aufdringlich war. Leider hat sie nicht gesehen, dass er sich an Bettys Getränk zu schaffen gemacht hat, sonst hätten wir ihn sofort aus dem Verkehr ziehen können.“

„Marie kann eben nicht alles mitbekommen“, meine ich bedauernd. Der Werwölfin kann ich keinen Vorwurf machen. Ihrem Eingreifen ist es zu verdanken, dass Betty nichts Schlimmeres passiert ist.

„Habt ihr den Kerl erwischt?“

„Leider nicht.“ Seth klingt zerknirscht. „Entweder ist er abgehauen, nachdem Marie ihn von der Bar vertrieben hat, oder als du dich mit Betty beschäftigt hast. Wir haben den ganzen Club auf den Kopf gestellt, konnten ihn jedoch nicht finden. Meine Mitarbeiter haben aber eine Beschreibung des Typen, noch einmal kommt er nicht in meinen Club. Allerdings konnten wir in Bettys Getränk tatsächlich die Substanz Gamma-Hydroxybuttersäure, kurz GHB, nachweisen, die oft als K.-o.-Tropfen verwendet wird. Je nachdem, was Betty möchte, könnte man auch Anzeige bei der Polizei erstatten – oder wir regeln das auf Schattenwelt-Art.“

Die letzten Worte sagt der Inkubus mit einem unheilvollen Unterton in der Stimme. Seth ist sehr bedacht darauf, das Insomnia sauber zu halten, nicht zuletzt, weil sich dort auch allerlei Wesen aus der Schattenwelt aufhalten, die auf illegale Substanzen recht empfindlich reagieren könnten. Ein potenzieller Vergewaltiger, der den Gästen Drogen unterjubelt, kann sehr froh sein, wenn er knapp mit dem Leben davonkommt.

„Wenn ich ihn in die Finger bekomme, dürfte sich das Problem ein für alle Mal erledigen“, knurre ich.

„Pass nur auf, dass du nicht über die Stränge schlägst, mein Freund. Du weißt, wie der Rat zu derlei Dingen steht“, warnt Seth mich.

„Keine Angst, ich werde schon einen Weg finden, ihn unauffällig zu beseitigen. Vielleicht hat die Polizei dann auch noch etwas, das sie verhaften kann, wenn ich mit ihm fertig bin.“

„Besser wäre es, Max. Wir halten die Augen und Ohren offen, und ich warne die anderen Clubbesitzer. Wenn wir Maries Beschreibung verbreiten, dürfte er es schwerhaben, an neue Opfer zu kommen.“

„Schickst du mir den Steckbrief bitte noch zu? Dann kann ich die Info auch noch an meine Leute weitergeben und Betty fragen, ob sie sich an diesen Mistkerl erinnern kann.“

„Natürlich, und Max …“

„Ja?“

„Sei vorsichtig mit ihr. Sie hat keine Ahnung, mit wem sie es zu tun hat, auch wenn sie heimlich für Vampire schwärmt.“

Irritiert runzle ich die Stirn. „Was willst du mir damit sagen, mein Freund?“

„Menschen sind zerbrechlich. Es wäre schade, wenn Betty zwischen die Fronten gerät, weil wir uns nicht unter Kontrolle haben. Sie ist eben nicht nur eine von vielen Probanden, oder?“

„Vielleicht“, antworte ich ausweichend und frage mich, woher Seth das schon wieder weiß. Gut möglich, dass einer seiner Leute beobachtet hat, wie Betty und ich uns geküsst haben, oder der Inkubus hat ein bisschen in meiner Gefühlswelt geschnüffelt.

*

Kurz nach Sonnenuntergang begebe ich mich am Rande des Vergnügungsviertels auf die Jagd. Zwar könnte ich mir auch im Dark Delights eine Blutkonserve gönnen – ich sitze schließlich an der Quelle –, doch ich muss meinen inneren Dämon ein bisschen besänftigen und mich abreagieren, bevor ich auf Betty treffe.

Desinteressiert betrachte ich das Angebot, obwohl die leicht bekleideten Damen sich alle Mühe geben, meine Aufmerksamkeit zu wecken. Normalerweise mache ich einen Bogen um Prostituierte, doch immerhin werden sie für einen schnellen Fick bezahlt und haben hinterher keine verletzten Gefühle, wenn ich mich nie wieder melde.

„Hey Süßer, warte doch mal kurz“, ruft mir eine dralle Blondine mit giftgrünem Minirock und schwarzem Top hinterher. Mit einem Seufzer drehe ich mich zu ihr um.

Besser wirds wohl nicht.

„Was kann ich für dich tun?“, säuselt sie und fährt mit den Händen über mein dunkelblaues Hemd. Da ich schon passend für die Arbeit gekleidet bin – dunkler Anzug, Hemd –, dürfte sie einen dicken Fisch wittern. Obwohl mir ihre Nähe zuwider ist, lege ich meine Hand über ihre und lächle sie höflich an. Zugleich checke ich mit meinen vampirischen Sinnen, ob ihr Blut brauchbar ist oder nicht – und ob sie freiwillig als Prostituierte arbeitet.

„Kennst du ein ruhiges Fleckchen, wo wir ungestört für eine heiße Nummer sind?“, frage ich sie.

„Aber natürlich“, strahlt sie mich an. „Komm mit, Süßer. Ich weiß genau das Richtige.“

Sie dreht sich um und läuft hüftenschwingend zum nächsten Hauseingang. Ein Türsteher mustert mich kurz, bevor er uns einlässt. Ich folge der Blondine auf eins der Zimmer, das erfreulich sauber ist, und frage mich die ganze Zeit, ob ich das wirklich tun soll.

Sex liegt in der Luft, was mich normalerweise nicht stören würde. Die Prostituierte selbst wirkt gepflegt und hatte dem Geruch nach heute noch keinen Freier. Dinge, die ich wirklich zu schätzen weiß. Die Dame nennt mir ihre Preise, bevor sie mich zum Bett führt und sich das Top über den Kopf zieht, kurz darauf folgen Rock und String. Dann beginnt sie, mein Hemd aufzuknöpfen.

„Was soll ich für dich tun, Süßer? Dir einen blasen oder willst du ficken? Anal kostet extra.“

Für den Bruchteil einer Sekunde bin ich versucht, ihr eine Chance zu geben. Doch mein Körper reagiert nicht auf ihre zur Schau gestellten Reize und ich habe keinen Bock, dass sie ewig an mir herumfummelt, bis da irgendetwas steht. Den Frust kann ich uns beiden ersparen.

„Einfach nur die Klappe halten“, antworte ich daher und ziehe sie in meinen Bann. Sofort erstarrt die Blonde in ihrer Bewegung, sodass ich sie problemlos von mir schieben kann.

„Zieh dich an und setz dich aufs Bett“, befehle ich ihr. Wortlos folgt sie der Anweisung und lässt sich dann mit leerem Blick neben mir nieder. Ich rutsche hinter sie und neige ihren Kopf leicht zur Seite. Blitzschnell versenke ich meine Fänge in ihrem Hals und trinke. Als ich ihr warmes Blut schmecke, brumme ich zufrieden. Ich habe schon besser gespeist, aber auch schlechter. Es sättigt, und das ist die Hauptsache. Delikatessen kann ich an so einem Ort nun wirklich nicht erwarten.

Als mein Hunger gestillt ist, lecke ich über die Bisswunde, um sie zu verschließen. Dann pflanze ich ihr eine Erinnerung an einen passablen Quickie ein und entlasse sie aus meinem Bann. Blinzelnd kommt sie zu sich und wirkt kurz verwirrt, dann setzt sie ein geschäftsmäßiges Lächeln auf und kassiert ihre Bezahlung. Zügig verabschiede ich mich von ihr und fahre dann ins Restaurant.

Obwohl zwischen der Prostituierten und mir nichts passiert ist, verspüre ich das dringende Bedürfnis, mich zu waschen. Flüchtig grüße ich meine Angestellten und winke Sebastian, meinen Stellvertreter, zu mir.

„Guten Abend, Max. Wie kann ich dir helfen?“, begrüßt der andere Vampir mich höflich.

„Guten Abend, Sebastian. Gegen einundzwanzig Uhr kommt Betty. Bringst du sie bitte direkt in mein Büro und sorgst dafür, dass uns niemand stört?“

Mein Gegenüber zieht die Augenbrauen leicht in die Höhe, nickt jedoch. „Natürlich. Soll ich sonst noch etwas vorbereiten?“

In Kurzfassung erzähle ich ihm von dem Vorfall im Insomnia, wobei ich die interessanten Details auslasse. Falls ich mit meinen eigenen Grundsätzen breche, werden das meine Angestellten aus der Schattenwelt früh genug mitbekommen.

Es ist eindeutig ein Nachteil, wenn man von Leuten umgeben ist, die genau wittern können, mit wem man was gemacht hat.

Unter solchen Umständen ist es schwierig, Geheimnisse zu haben. Auf der anderen Seite erspart man sich damit auch einiges, weil eher über bestimmte Sachen geredet wird.

„Haltet die Augen und Ohren offen. Seth schickt mir dann noch die Beschreibung, die Marie von dem Typen abgegeben hat, und ich werde versuchen, ein paar Details aus Betty herauszubekommen. Ich will vermeiden, dass es noch mehr Opfer gibt.“

Sebastian nickt ernst. „Ich gebe die Info weiter. Falls er hier auftauchen sollte, wird er sein blaues Wunder erleben.“

„Oh ja.“ Bevor ich mich in Gewaltfantasien verlieren kann, wende ich mich zum Gehen. „Bis später.“

Es gibt einiges zu tun und bis zu Bettys Ankunft dauert es nicht mehr lange. Bevor ich mich jedoch an den Schreibtisch setze, wasche ich mich und wechsle das Hemd. Zum Glück habe ich immer Ersatzkleidung da. Als das erledigt ist, fühle ich mich gleich besser. Nur diese eigentümliche Unruhe will einfach nicht verschwinden.

Hoffentlich kann ich mich zusammenreißen, wenn Betty hier ist.

4. Kapitel (Betty)

Unsicheren Schrittes nähere ich mich dem Personaleingang des Dark Delights. Seit dem Telefonat mit Herrn von Harras spielt mein Körper verrückt und in meinem Kopf herrscht ein heilloses Durcheinander. Ich kann einfach nicht einschätzen, was mich gleich erwarten wird, und dieser merkwürdige Traum unter der Dusche macht es noch viel schlimmer.

Mit meinem Chef zu telefonieren, war schon ein Kraftakt. Ob ich ihm gleich wirklich unter die Augen treten kann, ohne sofort zu stottern oder vor Scham zu zerfließen, wage ich zu bezweifeln. Allerdings traue ich mich auch nicht, diesen Termin abzusagen.

Was sollte es auch bringen, wenn ich mich davor drücke?

Am Ende kündigt er mir trotzdem oder genau deswegen.

Ich atme noch einmal tief durch, bevor ich die Schultern straffe und die Klingel betätige. Mit jeder Sekunde, die vergeht, beschleunigt sich mein Herzschlag. Als sich die Tür öffnet, zucke ich erschrocken zurück.

„Guten Abend, Betty“, begrüßt mich Sebastian. In meiner Vorstellung ist er so etwas wie die rechte Hand von Herrn von Harras. Er beaufsichtigt die Studienteilnehmer oft und ich fühle mich von seiner Präsenz immer leicht eingeschüchtert, natürlich auch jetzt.

„Guten Abend, Sebastian, ich habe einen Termin mit Herrn von Harras“, sage ich mit einem winzigen Zittern in der Stimme und bin stolz, dass ich einen ganzen Satz formulieren konnte.

„Kommen Sie rein, ich bringe Sie zu ihm.“

„Danke.“

Ich folge ihm durch die Geschäftsräume des Dark Delights. Einen Teil davon kenne ich bereits durch meine Teilnahme an der Studie. Als wir angefangen haben, gab es eine kleine Führung und Einweisung in die Abläufe. Wir durften sogar einen Blick in die Küche werfen, aber im Büro des Chefs war ich noch nie. Das Bewerbungsgespräch fand damals direkt in einem Meetingraum statt.

Das Restaurant gehört eindeutig in die gehobene Klasse, ist modern, eher minimalistisch eingerichtet und folgt einem strengen Design. Die vorherrschenden Farben sind Schwarz, Weiß und Rot, bunte Tupfen gibt es nur durch perfekt arrangierte Blumengestecke und -sträuße. An den Wänden hängen stilvolle, großformatige Bilder, die mit dem Mysterium des Restaurants spielen. Mit meinem mickrigen Einkommen gehöre ich eindeutig nicht zur Zielgruppe und würde mich in so einem Etepetete-Laden auch deplatziert fühlen. Der hintere Bereich, in dem wir uns für die Studie aufhalten, ist deutlich gemütlicher gestaltet und erinnert eher an eine Lounge mit Bar, Sitzecken und Ähnlichem. Tatsächlich ist das Essen echt lecker und sieht auch noch hübsch aus, was ich gar nicht erwartet hätte.

Tja, bei meinem Glück ist es damit ohnehin vorbei, denke ich deprimiert.

Ganz untypisch für mich, habe ich vorhin eine Weile vor meinem Kleiderschrank verbracht, um ein gutes Outfit für meinen Gang in die Höhle des Löwen zu finden. Zu leger sollte es nicht sein, aber natürlich auch nicht anzüglich oder so. Nach meiner Entgleisung gestern Abend möchte ich halbwegs seriös wirken. Letztendlich entschied ich mich für eine weiße Bluse und eine schwarze Jeans. Darüber trage ich wieder meine Nietenjacke, einfach, weil ich sie liebe. Meine mittellangen blauen Haare sind zu einem Pferdeschwanz zusammengefasst. Bis auf ein bisschen Wimperntusche bin ich ungeschminkt. Ich hatte vorhin weder Kraft noch Lust, lange vorm Spiegel zu stehen. Bei meinen zitternden Händen war selbst das Bisschen schon eine Tortur.

Als Sebastian schließlich vor einer schwarzen Tür mit der Aufschrift ‚Büro Geschäftsleitung‘ anhält, schlägt mir das Herz bis zum Hals. Er klopft, steckt den Kopf hinein und unterhält sich leise mit der Person im Raum. Mit einem höflichen Lächeln dreht er sich zu mir um und deutet auf die Tür.

„Gehen Sie ruhig hinein, Herr von Harras erwartet Sie.“

„Danke.“