Touch of Utopia - Vanessa Carduie - E-Book

Touch of Utopia E-Book

Vanessa Carduie

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Beschreibung

Zeiten ändern sich - Menschen jedoch nur selten.

Die Errungenschaften der modernen Wissenschaft scheinen die Tore in eine aufregende Zukunft zu öffnen. Doch alle Technik des Universums kann die Menschen nicht vor ihren Sehnsüchten befreien.
Um seine Schwester zu retten, lässt sich ein Polizist auf einen Handel mit einem wortwörtlich „unmenschlichen“ Verbrecher ein. Die irrationale Sehnsucht nach einer KI verwischt die Grenzen zwischen Realität und virtueller Welt. Wenn die Familie über mehrere Epochen verstreut ist, dann braucht es unkonventionelle Maßnahmen, um dem eisernen Griff der Zeit zu entkommen. Eine seltsame Nachricht vom eigenen Ich führt einen Klon zu einem intergalaktischen Teehaus, das sein Wesen zutiefst erschüttert.

Eine Anthologie aus Science-Fiction-Novellen, mit einem queeren Twist.

Hochwertig gestaltete Prints sind direkt bei den Autoren erhältlich (Webseitenlinks im E-Book).

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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D I E   A U T O R E N

 

 

Chii Rempel hatte schon immer eine Vorliebe für Fantasy & Sci-Fi. Ihr Weg in die Schreibwelt hat mit einer Fantasy-Trilogie begonnen, bevor sie mit einem englischen Roman begann, in das Sci-Fi Genre vorzudringen. In allen ihren Werken spielen queere Charaktere eine zentrale Rolle und erzählen so Geschichten aus diversen Blickwinkeln.

https://www.chiirempel.com/

 

 

E.F. von Hainwald begann sein Schreiben zunächst im Fantasygenre. Mit seinem Sci-Fi-Roman „Cyberempathy“ beschritt er dann neue Wege und konnte damit eine Vielzahl Lesende begeistern. Queere Nuancen finden sich in jeder seiner Geschichten, weil er diese Facette der Menschen als bereichernde Normalität empfindet.

https://www.hainwald.de/

 

 

A.C. LoClair träumt sich seit frühester Kindheit in andere Welten & Zeiten. Was liegt da näher, als die Gedanken treiben zu lassen und ihre liebsten Genre Fantasy, Scifi & Romance zu verbinden? Sie lässt ihre Protagonisten vielfältige Emotionen durchleben und achtet dabei nicht auf Konventionen, sondern ausschließlich auf Authentizität.

https://www.ac-loclair.com/

 

 

Vanessa Carduie ist eigentlich im Genre Urban Fantasy & Romantasy zu Hause. Offen queere Charaktere begleiten sie seit einigen Jahren und rückten mit "Literary Passion" stärker in den Fokus. Mit ihren Büchern möchte sie ihre Leser*innen zum Lachen, Weinen & manchmal auch zum Nachdenken bringen.

https://www.vanessa-carduie.com/

 

D I E   G E S C H I C H T E N

 

Chii Rempel

REFABRICATED

 

Wyatt Nazari lebt in einem Körper, der gleichzeitig sein eigener und doch der eines Fremden ist. Als Klon leidet er unter den falschen Vorstellungen, die durch sein verstorbenes Original an ihn übertragen wurden. Vor allem aber quälen ihn die Gefühle zu Storm - dem ehemaligen Geliebten seines Originals, der absolut nichts mit ihm zu tun haben will. Als ein mysteriöses Paket auftaucht, beginnt für beide eine Reise auf der Suche nach Erkenntnis und Abschluss.

 

E.F. von Hainwald

SKINWALKER

 

Rakus Interesse an der Welt begrenzt sich auf kaum mehr als die Nahrungsaufnahme - schließlich bietet das virtuelle Holonet das bessere Leben. Doch als seine Gefühle zu seinem digitalen Freund Noa immer stärker werden, will er ihm einen Körper aus Fleisch und Blut verschaffen. In dem von der rücksichtslosen Gesellschaft gebrochenen Lenn findet er einen willigen Menschen, der bereit ist, seine Identität im Austausch für ein gutes Leben aufzugeben. Schon bald stellt sich die Frage, wer von den drei der eigentliche Nutznießer ist.

 

A.C. LoClair

GRACE OF TIME

 

Hannes und Rex sehnen sich nach einem Abenteuer, also folgen sie dem Helden eines mittelalterlichen Romans in seine Zeit. Feuer und Leid schlagen ihnen entgegen. Alles was die beiden aus Büchern zu wissen glaubten, wird auf den Kopf gestellt. Sie erfahren Dinge, die sie nicht erwartet haben und missachten die wichtigste Regel der neuen Welt. Wird die „Blutmacht“ das Gleichgewicht halten können und den jungen Männern ihren wahren Platz im Leben zeigen?

 

Vanessa Carduie

RED MOON RISING

 

In einer düsteren Zukunft stehen sich Menschen und Xenos feindselig gegenüber. Um seine Schwester zu retten, lässt sich Sergeant Joshua McGee auf einen Handel mit einem wortwörtlich „unmenschlichen“ Verbrecher, dem Vampir Alec Black, ein. Gefangen zwischen Anziehungskraft und Verachtung müssen die beiden zusammenarbeiten, um gegen Fanatiker zu bestehen und eine blutige Auseinandersetzung zwischen Menschen und Xenos zu verhindern.

 

R E F A B R I C A T E D

Chii

Rempel

0.1

 

Mein Name war Wyatt Nazari und auf den Tag genau vor einem Jahr bin ich geboren worden. Das mochte einem seltsam vorkommen, betrachtete man den Körper des Achtundzwanzigjährigen, den ich bewohnte. Meine Haut sprach von Jahren, die ich nie erfahren hatte. Meine Augen logen anderen Lebenserfahrung vor, die ich nie gesammelt hatte. Und mein Gesicht löste erfreutes Wiedersehen hervor, das ich nicht teilen konnte.

Wenn man mich nach meiner Herkunft fragte, dann antwortete ich: ›die Tesla-O3 Kolonie auf dem Mars‹, denn da wurde Wyatt Nazari geboren. Fragte man mich nach meiner Familie, so erzählte ich die tragische Geschichte des Paares Nazari und ihrer zwei Kinder, von denen nur eines den unglücklichen Brand ihres Hauses überlebt hatte. Und erkundigte man sich nach meinem Job, so sagte ich Auslieferer von Proviant zu lebensfeindlichen Planeten auf dem Raumschiff Die Wandernde. Ein Beruf, der mit ausreichend Vorbereitung und Sicherheitsprüfung nicht lebensbedrohlicher war als jeder andere Beruf im offenen All. Und dennoch hatte dieser Job vor genau einem Jahr und zwei Wochen Wyatt Nazari das Leben gekostet.

Der Gedanke verfolgte mich jeden Morgen, als ich in Wyatts Kabine aufwachte, umgeben von seinen Sachen und seinen Erinnerungsstücken. In kürzester Zeit putze ich mir die Zähne und schlüpfte in meinen Overall, um mich auf den Weg zu machen, doch wie jeden Tag blieb mein Blick zuerst an dem Foto haften, das neben der Tür hing.

Wyatt hatte es dort hingehangen und ich hatte bisher nicht den Mut gehabt, es abzunehmen. Es zeigte Wyatt und seinen Partner lachend in einer herzlichen Umarmung. Das Foto strahle Frieden aus, eine glückliche Zeit, an die ich keine Erinnerung hatte. Manchmal fragte ich mich, ob ich mich absichtlich damit quälte.

Ich riss meinen Blick von den fröhlichen Gesichtern und eilte aus der Tür.

Manchmal fühlte ich mich noch immer wie ein Schwindler, wenn ich Wyatts Namen als meinen eigenen verwendete. Es war egal, dass jede Zelle meines Körpers identisch zu seiner war. Es hatte keine Bedeutung, dass andere mich mit ihm verwechselten. Das Gesicht, das ich im Spiegel sah, war gleichzeitig meines und ein fremdes. Ich war die perfekte Kopie eines Mannes, der einen frühzeitigen Tod erlitten hatte, doch Kopie blieb nun einmal Kopie.

Die meisten Crewmitglieder der Wandernden hatten sich an meine Anwesenheit gewöhnt und bereits vergessen oder verdrängt, dass ich nicht ganz »der Alte« war, wie sie zu sagen pflegten. Nur einer hatte es nicht vergessen. Nur einer, der keine Gelegenheit verpasste, mich daran zu erinnern, dass ich nicht der Mann war, dessen Namen ich trug. Einer, dessen kalte Blicke mich in meinem tiefsten Inneren verletzten.

Storm.

In dem kurzen Leben, das ich mein Eigen nennen durfte, hatte nichts für mehr Verwirrung und Bauchschmerzen gesorgt als das bloße Dasein dieses jungen Mannes namens Storm. Ich ertappte mich regelmäßig dabei, wie ich nach seiner Hand greifen wollte, obwohl er mir deutlich gemacht hatte, dass meine Berührung nicht willkommen war. Nicht nur einmal musste ich bewusst meinen Blick von ihm lenken, wenn ihn das Licht eines neuen Planeten traf und sich seine Augen mit Wunder füllten. Selbst seine bloße Anwesenheit war so anziehend für mich, dass ich konstant den Drang unterdrücken musste, ihn zu berühren. Mir war bewusst, wieso mein Körper sich nach ihm sehnte, doch es erschloss sich mir nicht, wie mein Verstand jemanden vermissen konnte, der mir nie mehr als eine Handvoll Worte entgegengebracht hatte.

Dennoch konnte ich ihm seinen Hass nicht verdenken.

Wie sollte auch jemand erwarten, dass er freudig Tag ein, Tag aus in das Gesicht seines verstorbenen Geliebten blickte, der ihn konstant an seinen Kummer erinnerte und ihm den nötigen Abschluss verweigerte?

Aus den wenigen Informationen, die ich aus den anderen Crewmitgliedern herauskitzeln konnte, waren Wyatt und Storm jahrelang unzertrennlich. Doch ihre Geschichte nahm ein tragisches Ende, als Wyatt sich auf einer Auslieferungsmission plötzlich in der Schusslinie zweier verfeindeter Clans wiederfand. Es hieß, er hatte den Konflikt entschärfen wollen, denn Wyatt Nazari war ein mutiger, entschlossener Mann.

Storm hatte seinen Partner verloren und eine billige Sicherheitskopie an seiner Stelle erhalten. Nun gut, billig war meine Anfertigung sicher nicht, bei all der Technologie, die in die Reproduzierung von Zellen gesteckt werden musste. Und nichts anderes war ich. Ein perfektes Replikat.

Ein Klon.

Nur wenige Menschen in der Galaxis konnten sich einen Klon leisten und die meisten von ihnen waren intelligent genug, keinen zu wollen. Nicht selten lief bei der Anfertigung etwas schief und die Kopie stellte sich als nicht lebensfähig heraus. Und war sie es doch, dann stand man lediglich seinem Duplikat gegenüber. Der Wunsch, womöglich das eigene Bewusstsein in den Körper des Klons zu übertragen und sich somit ein weiteres Leben zu verschaffen, blieb nach wie vor Zukunftsmusik. So viel Geld wie die Reichen und Mächtigen der Galaxie auch in diese Forschung steckten, der Schlüssel zum ewigen Leben blieb ihnen verwehrt.

Wie jemand wie Wyatt Nazari, ein Lieferant ohne nennenswertes Kapital oder namhafter Herkunft, an einen Sicherheitsklon gekommen war, hatte man mir nicht verraten. Wieso er geglaubt hatte, einen zu brauchen, erst recht nicht. Doch seine Ängste hatten sich schließlich bewahrheitet – denn hier war ich, das synthetische Abbild eines einfachen Menschen, der dem Tod entgehen wollte.

Ich war und war doch nicht Wyatt Nazari. Denn ich hatte alles, was mein Original ausgemacht hatte – außer seiner Erinnerungen.

Erinnerungen waren eine seltsame Sache. Sie machten so viel von einem Menschen aus. Doch verlor der Mensch seine Erinnerungen, so behielt er nach wie vor sein Wesen. Ich wusste nicht, was ich von Wyatt hatte. Mir fehlten zwar die wichtigen Momente seines Lebens, die ihn geprägt hatten, doch ich war keinesfalls eine leere Hülle. Ich hatte Gefühle und Empfindungen, eine eigene Meinung und einen freien Willen. Ich wusste, was mir gefiel und was nicht, was richtig war und was falsch. Waren das ebenfalls Dinge, die Wyatt ausgemacht hatten, oder gehörten sie von Natur aus mir?

Es gab nur einen Menschen, der mir diese Fragen hätte beantworten können, doch dieser Mensch wollte nichts mit mir zu tun haben. Die wenige Interaktion, die Storm zuließ, waren die überlebenswichtigen Details unserer Missionen. Ein Jahr lang hatte ich vergeblich versucht, ein Gespräch zu ersuchen, eine Art Kameradschaft oder sogar Freundschaft zu dem Mann aufzubauen, der in mir ein seltsames Gefühl der Zugehörigkeit auslöste.

Doch Storm zeigte mir jedes Mal wieder aufs Neue, dass meine bloße Anwesenheit ihn anwiderte. Mit jedem Tag verlor ich mehr und mehr die Hoffnung, das Lächeln, das ich so gut von meinem Foto kannte, einmal in Realität erleben zu dürfen.

Aber nun hatte ich einen triftigen Grund, ein Gespräch mit ihm zu suchen, einen Grund, den er nicht ignorieren konnte, wenn er die Befehle unseres Captains nicht missachten wollte.

Es hatte sich ungewöhnlicherweise so zugetragen, dass wir am Abend vor unserem Abflug vom Versorgungshafen auf Proxima B ein unangemeldetes Paket erhalten hatten. Dass ein Lieferschiff Post bekam, war schon eine Seltenheit an sich, jedoch ein Paket, dessen Absenderkoordinaten scheinbar mitten im Nichts landeten, war völlig irrsinnig. Ich hatte absichtlich doppelt kontrolliert, ob ich mich nicht versehen hatte und es dort doch eine winzige Raumstation gab, die mir entfallen war, aber nein – der Absender lag angeblich inmitten des Alls am Rand der Galaxie.

Ich hatte das Paket an mich genommen und war damit sofort zu Bao Leh gegangen.

Bao Leh war Captain unseres Schiffs und das einzige nicht menschliche Wesen unserer Crew. Wie einige meiner menschlichen Kollegen, ließ unser Captain sich nicht in binäre Geschlechter gliedern, weshalb nicht nur unsere Schlaf- und Waschräume angepasst wurden, sondern auch unsere Sprache sich gewandelt hatte.

Bao Leh war nicht nur äußerst geschickt im Navigieren durch Asteroidengürtel, sondern zusätzlich noch ein brillanter Kopf in der Astrophysik. Diese Spezies der Lliseeria war bekannt für ihre Begabung im Verständnis unseres Universums. Sie waren auch diejenigen, die das Reisen per Rosenbrücke zugänglich gemacht hatten und damit das Überbrücken der Distanzen von mehreren Lichtjahren in nur wenigen Sekunden ermöglicht hatten.

Für all diese Intelligenz fehlte xiem allerdings jegliche Menschenkenntnis. Daher hielt ich vor der Tür unseres Captains erst inne, holte tief Luft und bereitete mich auf ein schmerzhaft zähes Gespräch vor.

Ich klopfte an der Tür – eine sehr menschliche Angewohnheit, die mir scheinbar durch mein Original übertragen worden ist – und wartete auf den typischen gurgelnden Laut, der mir verriet, dass ich eintreten durfte.

Bao Leh ‚saß‘ an xienem Schreibtisch, wie ein Liiseeria nun einmal sitzen konnte: Mit xiesen geleeartigen Gliedmaßen zusammengedrückt, um sich der Höhe des Tisches anzupassen. Bao Lehs Körper hatte die für Liiseeria typische lila Färbung. Die Gliedmaßen waren weich und dem Bedarf nach ausdehnbar. Nur der Kopf war hart, mit Aussparungen für Augen und einem breiten Mund, gekrönt von einer Mähne aus dunkleren Haaren, die mich an Algen von der Erde erinnerten.

»Grgh?«, machte Bao Leh. Ein nasses Geräusch, das xier von sich gab, wenn xier zu faul zum Sprechen war.

Ich hievte das in braunes Packpapier verpackte Paket von der Größe einer alten Mikrowelle mit einem Grunzen von meiner Schulter und ließ es auf dem Tisch nieder.

Bao Leh blickte mich nicht sehr begeistert an.

»Das hier wurde fürs Schiff abgegeben«, erklärte ich. »Absender unbekannt. Allerdings hat mich der Typ, der mir das Paket übergeben hat, seltsam gemustert. Ich kann nicht sagen, ob er nur skeptisch gegenüber Terranern ist, oder einfach ein Problem mit mir hatte.«

»Hast du was Dummes zu ihm gesagt?«, fragte Bao Leh in einer gurgelnden Stimme, die mich immer an das Blubbern eines Wasserkochers erinnerte.

»Natürlich nicht.«

»Wieso sollte er dann ein Problem mit dir gehabt haben? Vielleicht hast du ihn ja beleidigt, ohne es zu wissen.«

Ich verzog eine Augenbraue. »Kann nicht sein, ich habe gar nichts gesagt.«

»Dann war wohl das das Problem. Hat man dir keine Manieren beigebracht, Nazari? Soll ich für dich einen Termin bei der intergalaktischen Kommunikationszentrale buchen? Es gibt sehr spannende Kurse für den korrekten Umgang mit diversen Spezies.«

Aus Bao Lehs Stimme ging nicht hervor, ob xier mich nur ärgern wollte, oder ob das ein ernster Vorschlag war, aber dies war einer der Gründe, weshalb unsere Kommunikation wohl nicht die beste war.

Ich atmete tief durch. »Danke, ich glaube nicht, dass das nötig sein wird.«

Bao Leh gab ein weiteres gurgelndes Geräusch von sich. »Unterschätze nicht die Wichtigkeit der richtigen Kommunikation. Es wurden schon Kriege wegen eines falschen Wortes begonnen.«

»Das …Hmm, ja, du hast Recht, ich werde mich mehr bemühen. Können wir jetzt über das Paket sprechen?«, bat ich mit aufgesetztem Lächeln.

»Welches Paket?«

Ich atmete erneut tief durch. Das Gesicht des Captains blieb unleserlich. Nicht zum ersten Mal fragte ich mich, ob es an mir lag und ich einfach die Mimik der Lliseeria nicht verstand.

»Das vor deiner Nase.«

»Was soll ich damit machen?«

»Es … öffnen?«, presste ich hervor und versuchte, einen ruhigen Ausdruck zu bewahren.

Bao Leh musterte die Verpackung. »Es ist nicht an mich adressiert.«

»Das nicht, aber es ist ans Schiff adressiert, daher dachte ich …«

»Das Schiff wird es wohl kaum öffnen können.«

Ich blinzelte den Captain an. Sollte das Humor gewesen sein, oder stellte Bao Leh nur das Offensichtliche dar?

»Ich hab da eine Idee: Du könntest es öffnen«, schlug ich mit hochgezogener Augenbraue vor.

»Kein Interesse.«

»Was soll ich dann damit machen?«

»Bring es zu unserem Logistiker. Er ist für die Fracht verantwortlich und zählt dazu nicht auch ein unangekündigtes Paket an Bord?«

Ich atmete tief ein. »Du weißt, wie Storm auf mich zu sprechen ist. Ich bezweifle, dass es klug wäre, ihn so kurz vor unserem Abflug zu nerven. Vielleicht lassen wir das Paket einfach hier und tun so, als hätten wir nie eins bekommen?«

»Grgh. Ich hatte euch zwei gesagt, ich beschäftige euch nur weiterhin, wenn ihr zivilisiert miteinander umgehen könnt. Stellt euer ehemaliges Verhältnis ein Problem dar, Nazari? Ich hätte hier einen Antrag auf Versetzung, die Eyecatcher sucht noch nach jemandem, der anpacken kann.«

Ich hievte das Paket eilig zurück auf meine Schulter. »Ist ja gut. Ich bin schon weg.«

 

 

Ich entdeckte Storm im Hangar mit einem Klemmbrett in der einen Hand. Mit der anderen delegierte er mit wilden Gesten die letzten Ladungen unserer Fracht.

Aus der Ferne wirkte er so schmal, beinahe dürr, doch ich wusste, wie viel Kraft in seinem Körper wirklich steckte. Seine Haare standen wie immer in alle Richtungen. Er hatte jegliche Bemühungen aufgegeben, sie zu bändigen. Jedoch passten sie so zu ihm – wild und unzähmbar wie der junge Mann selbst.

Storm war ein Mysterium in jeglicher Hinsicht. Nicht nur sein Name warf Fragen auf, auch seine Herkunft blieb ein Geheimnis. Mit vier Jahren wurde er vom Captain auf einem kleinen Planeten außerhalb des Kuipergürtels während eines Sturms der Stufe 11 gefunden. Ohne jegliche Hinweise auf einen Vormund oder gar einen anderen Menschen hatte der Captain den Jungen aufgenommen und behandelte ihn seither wie xienen eigenen Sprössling.

Storm erwischte mich beim Starren, bevor ich so tun konnte, als hätte sein Anblick mich nicht zum Stillstand gebracht. Sein Blick wurde sofort hart, seine Körper spannte sich an.

Obwohl ich wusste, dass ich ihm mit meiner bloßen Anwesenheit jedes Mal erneut Schmerzen zufügte, konnte ich nicht anders, als seine Nähe zu genießen. Ich bemühte mich wirklich, mich ihm zuliebe von ihm fernzuhalten. Wenn er einen Raum betrat, verließ ich ihn nach Möglichkeit. Bei Besprechungen im Team setzte ich mich so an den Tisch, dass er mich nicht sehen musste. Doch der Zufall schien uns immer wieder zusammenbringen zu wollen. Ich stieß auffallend oft in den Gängen beinahe mit ihm zusammen. Wenn ich den Trainingsraum verließ, kam er gerade herein. Es war, als wollte mir das Universum einen Streich spielen. Als wäre ich nicht sowieso schon geplagt von einem schlechten Gewissen und gepeinigt vom Drang, seine Nähe zu suchen.

Bevor Storm sich von mir abwenden konnte, eilte ich zu ihm. »Ich bin nicht hier, um dich mit Fragen zu quälen. Ich soll nur ein Paket abgeben, Captains Anweisung.«

Vorsichtig ließ ich das schwere Päckchen von meinen Schultern gleiten und stellte es Storm vor die Füße.

Er blickte mich mit zusammengezogenen Augenbrauen an. Storms graue Augen trugen Stürme in sich, im wahrsten Sinne des Wortes. Bao Leh sagte immer, der Junge habe dem Planeten, auf dem man ihn ausgesetzt hatte, aus Trotz die Kraft geraubt. Was auch immer das heißen mochte. Ich wusste nur, dass ich noch nie einem Menschen begegnet war, in dessen Augen ein Wirbelsturm tobte.

Storm musterte unbeeindruckt das braune Paket. »Woher hast du das? Ich habe keine Informationen zu außerplanmäßigen Lieferungen erhalten.«

»Ehm«, machte ich und ging mir verlegen durch die Haare. Obwohl Storm kleiner war als ich, schien ich unter seinem Blick immer zu schrumpfen. »Es wurde mir in die Hände gedrückt?«

Storm hob eine Augenbraue und sah mich wartend an.

»Da gibt es wirklich nicht viel mehr zu sagen«, fuhr ich fort. »Ich kannte den Mann nicht. Es ist alles leicht kurios, die Koordinaten des Absenders habe ich bereits gecheckt und … Sie führen ins Nichts.«

»Ins Nichts?«

Ich nickte. »In der Position befindet sich weder ein Planet noch eine Station. Es handelt sich allgemein um ein sehr leeres Fleckchen im All.«

»Du musst dich vertan haben. Da muss etwas sein.«

»Ich habe extra doppelt nachgesehen.«

»Hmm. Ich checke das selbst nochmal. Nachdem ich nachgesehen habe, was drin ist.«

Storm griff nach dem Päckchen, hob es mit Leichtigkeit über seine Schulter und wandte sich ohne ein weiteres Wort von mir ab.

Am liebsten wäre ich ihm gefolgt, nicht zuletzt, weil ich selbst gern den Inhalt dieses ominösen Pakets gekannt hätte. Doch mir blieb nichts anderes übrig, als mich in meine Kabine zurückzuziehen und mich auf den Start vorzubereiten.

 

 

Es war bereits spät und das Bordprogramm hatte die Schiffsbeleuchtung auf ‚Abend‘ gedimmt, als es plötzlich an meiner Tür klopfte.

Niemand klopfte sonst an meiner Tür. Die anderen Crewmitglieder hatten meine Anwesenheit zwar besser akzeptiert als Storm, jedoch suchten sie nie meine Gesellschaft außerhalb des Jobs. Ich hatte mich schnell damit abfinden müssen, meine Freizeit allein verbringen zu müssen. Das war einsam, aber ersparte mir auch unangenehme Begegnungen, in denen ich mit meinem Original verwechselt wurde.

Noch bevor ich die Tür richtig öffnen konnte, stürmte der junge Mann, der mich in meinen Träume plagte, an mir vorbei in mein Zimmer und begann, hektisch auf und ab zu gehen.

»Glaub jetzt ja nicht, das hier hätte etwas zu bedeuten«, warnte Storm aufgebracht. Seine Haare waren noch zerzauster als zuvor und seine rote Unterlippe verriet, dass er auf ihr herumgekaut haben musste. »Ich komme nur zu dir, weil die Sache leider auch dich betrifft… Auch wenn ich nicht weiß, wieso Wyatt das getan hat.«

Bei meinem Namen – nein, dem Namen meines Originals – spannte sich mein ganzer Körper an. Storm sprach ihn so selten aus, dass mich die Sanftheit in seiner Stimme überrumpelte.

»Was …«, begann ich, doch Storm brachte mich mit einer wedelnden Handbewegung zum Schweigen.

Na gut, wenn er wollte, dass ich schwieg, dann würde ich schweigen.

Fürs erste.

Der stürmische Mann kam endlich zum Stillstand und atmete tief durch. Es war, als würde der gesamte Raum mit ihm zusammen zur Ruhe kommen. Ich spürte, wie sich meine Schultern lockerten und ich selbst stieß einen Atemzug aus, von dem ich nicht einmal wusste, dass ich ihn angehalten hatte.

Storms Augen waren ein Wirbelsturm, als er mich endlich ansah.

»Das Paket ist von Wyatt«, erklärte er schließlich. »Von dem echten. Er hatte veranlasst, dass es im Fall seines Todes verschickt wird. Im Inneren war ein Brief, adressiert an mich und … an dich.«

Ich verzog überrascht eine Augenbraue. Das hatte ich nicht erwartet. Am liebsten hätte ich Storm sofort mit Fragen gelöchert, doch ich sah seinem Gesicht an, dass er offensichtlich noch Zeit brauchte, um die Situation zu begreifen, und ich wollte ihn nicht hetzen.

»Ich kann es immer noch nicht glauben. Dieser verdammte Idiot … Wieso hat er mir nie erzählt, dass er einen Plan für solch eine Situation hatte?«, fragte Storm mit brüchiger Stimme. Ein hicksendes Lachen entfloh ihm. »Ich weiß, wieso. Weil ich nicht hätte darüber reden wollen. Ich wollte mir nie vorstellen, was passieren würde, sollte einer von uns beiden sterben. Das stand einfach nicht zur Debatte!«

Tränen bildeten sich in Storms Augen und machten aus dem tobenden Sturm in ihnen einen Orkan. Ich streckte meine Hand nach ihm aus, besann mich aber eines Besseren und zog sie hastig zurück. Meine Gefühle waren aufgewühlt und ich sehnte mich nach Storms Nähe, doch ich musste mich beherrschen, wenn ich ihn nicht weiter verletzen wollte.

»Wir hatten noch so viel vor, er und ich«, fuhr Storm fort.

Die Tränen liefen ihm ungezügelt über die Wangen. Noch nie hatte er so lange meinen Blick gehalten und das brachte meinen Magen zum Kribbeln. Und obwohl ich endlich die Chance hatte, ein Gespräch mit ihm zu führen, war unsere Konversation erneut von Schmerz getragen.

»Und dann verlässt er mich einfach und hinterlässt ein … ein … ein abstruses Spiegelbild von sich!« Storm wedelte wild mit einer Hand in meine Richtung. »Und wofür? Um mich zu peinigen? Um mir zu verwehren, ihn jemals zu vergessen? Soll ich für immer von seinem Geist geplagt werden?«

Ich trat einen Schritt auf ihn zu. Seine wilden Gesten erschlafften und er kniff vor Tränen die Augen zusammen. Sein Anblick verformte meinen Magen zu einem Knoten.

»Ich weiß nicht, was seine Absicht gewesen ist. Ich könnte dir sagen, er hat mich hinterlassen, um dir Trost zu spenden«, begann ich und wagte noch einen Schritt. »Ich könnte sagen, er wollte sichergehen, dass jemand auf dich aufpasst.« Vorsichtig streckte ich einen Arm aus und berührte sachte seine Hand. »Doch das kann ich nicht wissen. Ich bin weder sein Geist noch sein Spiegelbild, Storm. Ich mag so aussehen wie er, vielleicht empfinde ich auch genauso wie er, doch eins steht fest, ich bin nicht der Wyatt Nazari, den du verloren hast.«

Storm blinzelte die Tränen weg und blickte mich mit zusammengepressten Lippen an.

»Aber vielleicht kannst du mir helfen, zu erkennen, wer ich noch werden kann?«

Leider hatten meine Worte nicht den gewünschten Effekt, denn Storms Blick wurde mit einem Mal wieder wütend. Er zog seine Hand weg, als hätte ich ihn verbrannt und brachte erneut Distanz zwischen uns. Mit erhobenem Kinn wischte er sich die Tränen aus dem Gesicht.

»Ein Moment der Schwäche hat mich kurz vergessen lassen, wieso ich eigentlich hier bin«, zischte Storm kalt. »Und dass du meine Verwundbarkeit gerade ausnutzt, um dich mir anzunähern, zeigt mir, dass du nichts mit dem echten Wyatt gemein hast.«

»Ich…«, begann ich.

»Spar dir die Entschuldigung. Hier.«

Er griff in die Hosentasche seines Overalls und zog einen Zettel heraus, den er mir entgegenwarf. Ich fing ihn noch in der Luft und öffnete ihn sofort.

 

An Storm

Und mich selbst, schätze ich. Ihr habt sicher viele Fragen.

Vielleicht findet ihr die Antworten in den folgenden Sternen.

 

Darunter waren Koordinaten abgebildet.

»Das sind dieselben Koordinaten, wie die des Absenders auf dem Paket«, stellte ich fest. Storm nickte. »Was war noch in dem Paket?«, wollte ich wissen.

Storm atmete tief durch, vermutlich um seine Stimme zu beruhigen. »Eine alte Tonfigur.«

Ich verzog überrascht die Augenbrauen.

»Frag nicht, ich weiß auch nicht, was das zu bedeuten hat. Aber ich habe uns einen Gleiter reserviert. Zieh dich an, wir machen einen Ausflug.«

 

0.2

 

Storm steuerte den Gleiter gekonnt durch das dunkle Meer der Sterne in Richtung der nächsten Rosenbrücke. Bao Leh hatte nur widerwillig zugestimmt, uns ein Ticket zu beantragen, während wir uns bereits auf den Weg machten. Storm wollte keine Zeit verlieren. Oder er wollte so wenig Zeit wie möglich mit mir verbringen, was ich ihm nicht verdenken konnte. Vor allem nicht nach der Katastrophe, die unser letztes Gespräch dargestellt hatte. Konnte ich mich so schlecht ausdrücken, oder wollte Storm mich immer missverstehen? Ich wunderte mich, dass er mich überhaupt mitgenommen hatte.

Der Gleiter war ein schmales Schiff mit spitz zulaufender Front. Außer unseren beiden Sitzen gab es nur eine Ausklapp-Pritsche für den Notfall und ein wenig Stauraum, den wir nur für die Tonfigur genutzt hatten. Die Tonfigur stellte sich als eine Art Primat heraus, der sich mit den Händen die Augen zuhielt. Leider fand ich keinerlei Hinweis auf ihre Bedeutung.

Scheinbar rechnete Storm lediglich mit einem kurzen Ausflug, denn wir hatten weder Proviant noch Ausrüstung für eine Notlandung dabei.

Bao Leh hielt xiese Versprechen, sodass wir zumindest problemlos die Rosenbrücke passieren konnten. Obwohl die Wandernde regelmäßig die schwarzen Tunnel des Universums nutzte, hatte ich mich noch immer nicht an die Turbulenzen gewöhnt, was vermutlich auf meinen relativ neuen Körper zurückzuführen war. Während ich versuchte, mich nicht über die gesamte Konsole zu übergeben, haftete Storms Blick unerbittlich an den vorbeirauschenden Sternen.

Der Gleiter war so klein, dass man es nicht einmal für nötig befunden hatte, eine KI einzubauen, weshalb wir uns ausschließlich auf das Navi verlassen mussten und die digitale Anzeige, die die Sekunden bis zum Austritt aus der Rosenbrücke zurückzählte.

Meine Augen klebten förmlich an den absteigenden Zahlen und als wir endlich die Null erreichten, kam der Gleiter zu einem abrupten Stopp. Ich holte tief Luft, um meinen Mageninhalt bei mir zu behalten.

Ein neues Sternenbild begrüßte uns, eines, das ich bisher noch nicht bereist hatte. Es hatte zwar nur wenige Minuten gedauert von unserer Seite der Galaxis hierher zu kommen, jedoch war es den Weg und vor allem das Geld für das Ticket normalerweise nicht wert. Wir befanden uns am Rand der Milchstraße, wo die Sterne klein und schwach waren, mit kaum nennenswerten Planeten in den umliegenden Lichtjahren. Zumindest nicht nennenswert für das Galaktische Zentrum. Wieso mein Original uns ausgerechnet hierhergeschickt hatte, blieb mir unbegreiflich.

»Waren Wyatt und du schonmal hier?«, fragte ich, woraufhin Storm mir nur einen wütenden Blick zuwarf.

»Alles klar, keine Fragen stellen«, seufzte ich. »Ich habe verstanden.«

Storm schloss die Augen und biss die Lippen zusammen, bevor er sich mir schließlich zuwandte.

»Nein. Mir wäre auch nicht bewusst, dass er ohne mich hier gewesen ist. Aber vielleicht hat er es mir auch einfach verschwiegen. Wäre ja nicht das einzige, das er mir nicht gesagt hat«, sagte Storm verbittert.

Bevor ich etwas erwidern konnte und mich unnötig in die Scheiße ritt, setzte uns das Navi in Kenntnis darüber, dass wir unser Ziel beinahe erreicht hatten. Angestrengt versuchte ich in der Dunkelheit etwas zu erkennen, das nach einem bewohnbaren Kometen oder einer kleinen Raumstation aussah, doch ich konnte nichts entdecken. Auch das System nahm nichts wahr.

»Ich verstehe das nicht«, begann Strom und tippte auf der Konsole herum. »Die Koordinaten sind korrekt. Ich war mir so sicher, dass hier etwas sein würde. Wieso sollte Wyatt mich hierherschicken, wenn hier nichts ist?«

»Es gibt bestimmt einen guten Grund, warum wir hier sind … könnten wir etwas übersehen haben? Oder vielleicht war hier mal etwas, das jetzt nicht mehr da ist?«, fragte ich schließlich trotzdem.

»Unwahrscheinlich, wir würden Spuren einer ehemaligen Station oder Ähnliches sehen.«

»Könnten wir etwas an der Statue übersehen haben? Die wird er uns ja vermutlich nicht geschickt haben, weil sie so hübsch ist.«

Ich stand auf, um die Primatenfigur aus dem Gepäckfach zu befreien und musterte sie erneut von allen Seiten.

»Da ist nichts zu erkennen«, seufzte ich schließlich. »Kein verstecktes Zeichen oder sonst irgendwas, das wir übersehen hätten.«

Storm nahm mir die Figur aus den Händen, während ich mich zurück in meinen Sitz fallen ließ. Frustriert platzierte er den Primaten auf die Konsole.

Plötzlich gab das Navi ein ping von sich.

Storm und ich tauschten einen überraschten Blick aus, bevor wir wie zwei Verrückte das Navi überfielen. Die Figur hatte ein Signal ausgelöst, das das System ein klares Ziel anpeilen ließ. Zwar konnten unsere Augen in der Dunkelheit des Alls nach wie vor nichts erkennen, jedoch blinkte das Navi plötzlich mit einem Ziel nur wenige hundert Meter von uns entfernt.

»Was hat das zu bedeuten?«, fragte ich.

»In der Figur muss ein Chip versteckt sein… Obwohl das nicht erklärt, wieso das System vorher keine Landemöglichkeiten orten konnte.«

»Vielleicht wollen sie nicht gefunden werden.«

Storm summte nachdenklich. »Du meinst, die Figur könnte den Standort freigeschaltet haben?«

»Wieso nicht? Aber wie dem auch sei, das muss auf jeden Fall der Ort sein, zu dem mein Original uns schicken wollte. Auch wenn es unpraktisch wirkt, so eine große Statue dafür zu verwenden.«

»Hmm.« Storm sank in seinen Sitz zurück und ließ den Kopf hängen.

»Was ist los?«, fragte ich. »Wieso fliegen wir nicht weiter?«

Storm stieß einen tiefen Seufzer aus, als er den Blick wieder nach vorne wandte. »Es klingt vielleicht seltsam, aber ich fühle mich nicht bereit, das hier enden zu lassen.«

»Wie meinst du das? Wir haben das Ganze noch nicht einmal richtig begonnen.«

»Du vielleicht nicht. Ich habe allerdings das Gefühl, ich befinde mich schon ewig auf dieser Reise … Seit Wyatt gestorben ist, seit du aufgetaucht bist, fühle ich mich, als wäre ich nie zum Stillstand gekommen. Ich bin konstant in Bewegung, ohne Aussicht auf Rast. Denn wenn ich anhalte, holen mich meine Gefühle ein und ich muss mir eingestehen, dass er tatsächlich fort ist. Und hier ist plötzlich ein Abschluss in Sicht, ein letztes Ziel, das Wyatt mir noch zeigen möchte. Es ist, als hätte er gewusst, dass er mich bremsen müsste.«

Storm ließ sich noch weiter in seinen Sitz sinken.

»Aber hiernach ist alles zu Ende«, fuhr er mit versteinertem Gesicht fort. »Wenn wir das Ziel erreichen, werde ich mich seinem Geist stellen müssen. Das bedeutet Abschied, und Abschied erfordert Mut, den ich nicht habe.«

Ich blickte den Mann an, der gebrochen neben mir saß und empfand zum ersten Mal Wut auf mein Original.

Wieso hatte er meine Erschaffung veranlasst, die dem Menschen, den er liebte, solchen Kummer bereitete? Wie hatte er sich das vorgestellt? Wie sollte mein Dasein helfen, wenn ich nur ein blasses Abbild dessen war, was Storm wollte? Was war ich, wenn nicht eine billige Kopie ohne Zweck?

Ich streckte meinen Arm zu Storms Seite der Konsole und betätigte den Startknopf. Der Gleiter setzte sich sofort in Bewegung. Bald sollte unser Ziel sichtbar werden. Storm warf mir einen zwiespältigen Blick zu, tat aber nichts, um mich aufzuhalten.

In nicht einmal einer Minute tauchte ein Licht nicht weit von uns auf. Der Gleiter wurde langsamer und leitete zur Landung ein. Was sich vor uns ausbreitete, war etwas völlig anderes, als ich erwartet hatte.

»Ist das …«, begann Storm ungläubig und lehnte sich zur Scheibe vor, als könnte er so besser sehen. »… ein Haus?«

Ich tat es ihm gleich. »Es sieht definitiv aus wie ein Haus.«

Tatsächlich erstreckte sich vor uns inmitten der Milchstraße eine Raumstation in Form eines primitiven Hauses von der Erde, mit einem spitz zulaufenden Dach, das sich an den Kanten wölbte und kleinen runden Fenstern an den Wänden. Wenn ich es nicht besser wüsste, hätte ich gesagt, es war mit Holz verkleidet. Das Gebäude stand auf einem Gerüst aus sternförmig angeordneten Brücken, an deren Enden Schiffe andocken konnten. Zahlreiche Düsen an Gerüst und Wänden sorgten dafür, dass es sich nicht vom Fleck bewegte. Bei genauerem Hinsehen erkannte man, dass die Brücken Röhren waren, die alle zu einer großen Kuppel vor dem Eingang des Hauses führten.

Storm und ich tauschten einen ungläubigen Blick aus, bevor er uns vorsichtig zu einer der zahlreichen Brücken am Hafen des Hauses navigierte. Zu meiner Überraschung stellte ich fest, dass an den meisten davon bereits Schiffe angedockt waren.

Unser Gleiter knarzte laut, als Storm ihn mit der Brücke koppelte. Eine Anzeige bedeutete uns, dass das Sauerstoff-Verhältnis auf der Station für Menschen kompatibel war. Bevor ich mir Gedanken darüber machen konnte, was uns in diesem ominösen Haus am Rand der Galaxis erwartete, sprang Storm aus seinem Stuhl und verließ stürmisch den Gleiter.

Mit einem Seufzer eilte ich ihm hinterher.

Alle Brücken schienen zu einer Tür zu führen, dem scheinbar einzigen Eingang des Hauses. Ehe ich mich versah, folgte ich Storm durch die massive Schiebetür, die sich einfach für ihn öffnete, und hatte plötzlich das Gefühl, eine Zeitreise gemacht zu haben.

Im Inneren des Hauses herrschte eine entspannte Atmosphäre, obwohl es alles andere als leise war. Es war wärmer, als ich von meinen Behausungen gewöhnt war und ein Geruch dominierte den Raum, den ich zuerst nicht zuordnen konnte, bevor ich feststellte, dass es Holz sein musste. Denn vom Boden zur Decke war das gesamte Haus in Holz verkleidet.

Ich blieb neben Storm stehen, der mit großen Augen das Schauspiel musterte. Wir mussten uns in einer Art Café befinden, denn überall waren runde Tische, an denen die unterschiedlichsten Wesen saßen und sich unterhielten. Einige von ihnen trugen Atemgeräte, um sich der Atmosphäre in der Station anzupassen. Soweit ich sehen konnte, waren die wenigsten von ihnen menschlich. Niemand schenkte uns Beachtung, während wir wie zwei Verrückte dastanden und unsere Umgebung inspizierten.

»Hallo!«, riss uns plötzlich eine fröhliche Stimme aus unserem Starren.

Instinktiv schob ich mich zwischen Storm und den Fremden, doch der jüngere Mann drückte mich mit einem missmutigen Grunzen zur Seite.

Mein heldenhafter Rettungsversuch stellte sich jedoch sowieso als nichtig heraus, als uns das freundlichste Gesicht begrüßte, das ich je gesehen hatte. Vor uns stand ein menschlicher Mann mit einem runden Gesicht, das von Lachfalten gezeichnet war. Er trug ein Tablett in der Hand, auf dem eine dampfende Kanne und zwei Tassen standen.

»Lasst mich nur das hier schnell wegbringen«, säuselte der Mann lächelnd. »Dann bin ich sofort für euch da!«

Mit einem Summen schlenderte der Unbekannte zu einem der Tische herüber, um den Gästen das heiße Getränk zu servieren.

Ich beugte mich zu Storm vor. »Hast du eine Ahnung, was das hier sein soll?«, flüsterte ich.

Storm warf mir einen Blick zu und brachte erneut Distanz zwischen uns, bevor er mir antwortete. »Ich hatte gehofft, du könntest mir das sagen. Schließlich muss Wyatt hier gewesen sein … Löst nichts von dem hier eine Erinnerung in dir aus?«

Es war nicht das erste Mal, das Storm mich das fragte. Es war vermutlich auch nicht das letzte Mal, das ich ihn enttäuschen musste.

Recht schnell nach meiner ›Geburt‹ wurde mir vorgehalten, dass ich mir nicht genug Mühe gab, mich an mein früheres Leben zu erinnern. Was auch immer das bedeuten sollte… Ich hatte kein früheres Leben. Mein Dasein hatte mit meiner Erschaffung begonnen und mein Leben hatte erst durch Wyatts Tod überhaupt eine Chance bekommen. Scheinbar sollten andere Klone fähig sein, über bestimmte Gerüche oder Eindrücke Erinnerungsfetzen ihrer Originale erlangen zu können. Mir war das nie gelungen. Ob ich mich allerdings absichtlich dagegen wehrte, konnte ich nicht sagen.

Ich dachte, Storm hätte die Hoffnung längst aufgegeben, eine Erinnerung aus mir herauszuquetschen. Ohne auf seine Frage einzugehen, wandte ich mich dem fröhlichen Fremden zu, der die Gäste am Tisch lachend zurückließ und wieder auf uns zusteuerte. In mir verlangte alles danach, nach Storms Hand zu greifen, um mich seiner Sicherheit zu vergewissern, doch ich widerstand dem Drang.

Der Fremde bedeutete uns mit einer Handbewegung ihm an den Tresen am anderen Ende des Raumes zu folgen. Dort warf er sich locker ein Handtuch über die Schulter und griff nach zwei Tassen, um sie mit einer heißen Flüssigkeit zu befüllen. Mit einem Zwinkern reichte er uns die dampfenden Tassen.

»Willkommen im verlorenen Teehaus«, verkündete er. »Darf ich euch einen Sencha anbieten?«

Ich griff instinktiv nach der Tasse, doch Storm hielt mich auf. Er schüttelte warnend den Kopf und blickte den Mann hinter dem Tresen argwöhnisch an.

Der Fremde lachte nur und stellte die Tassen wieder ab. »So reagieren die meisten, die das erste Mal hier sind. Zeigt nur, dass ihr viel erlebt haben müsst. Vielleicht hilft es euch, wenn ich mich zuerst vorstelle. Mein Name ist Sal und ich bin der Besitzer dieses kleinen Teehauses hier. Ich heiße euch herzlich willkommen, Wyatt Nazari und Storm der unbeugsamen Himmel.«

»Woher kennst du unsere Namen?«, verlangte Storm zu wissen.

Sal lächelte und musterte mich eindringlich. »Wie sollte ich den Mann vergessen, der mir einst einen Gott vor die Füße geworfen hat?« Stille umhüllte uns für einen Moment, bevor der Fremde wieder in Lachen ausbrach. »Ihr habt sicher viele Fragen. Kommt, ich möchte euch jemanden vorstellen.«

Perplex sahen wir zu, wie der Mann eine weitere Kanne Tee griff und uns mit einem Nicken bedeutete, ihm nach hinten zu folgen. Ich sah zu Storm herüber. Wie konnte dieser Fremde in einem versteckten Teehaus am Rand der Milchstraße unsere Namen kennen? Nein, nicht unsere – Storms und den meines Originals. Ich konnte in Storms Blick erkennen, dass der echte Wyatt nie über Sal oder diesen Ort gesprochen haben musste.

»Ich verstehe das nicht«, flüsterte Storm und sah mich zum ersten Mal, seit wir die Raumstation betreten hatten, an. Der Orkan in seinen Augen tobte. Offensichtlich war er aufgewühlter, als er zeigen wollte. »Wyatt hat nie irgendetwas erwähnt, dass das hier auch nur ansatzweise erklären würde …«

»Vielleicht hatte er einen guten Grund dazu«, versuchte ich ihn aufzumuntern.

Storm verzog nicht überzeugt die Lippen und machte sich auf in Richtung der Trennwand, hinter der Sal zuvor verschwunden war. Doch er tat etwas, das er zuvor noch nie getan hatte. Storm hielt inne und wartete, dass ich ihm folgte.

In mir spiegelte sich der Wirbelsturm, der auch in Storms Augen tobte. Ich wusste plötzlich nicht mehr, wieso ich hier war.

Wollte ich erfahren, wieso mein Original gewollt hatte, dass ich hierherkomme? Was konnte hier so wichtig sein, dass er nicht auch selbst in einer Nachricht hätte erklären können?

Schließlich hatte er scheinbar für seinen Tod vorausgeplant, das hatte das Paket bewiesen.

 

 

Sal wartete hinter der Trennwand auf uns. Eine Treppe führte dort ins obere Stockwerk und unter ihr befand sich in der Ecke ein kleiner Tisch mit einer Eckbank und zwei Hockern. Sal hatte vier Tassen bereitgestellt und goss vorsichtig Tee ein. Die Ecke hier wirkte ruhiger als die Haupthalle und wurde vermutlich nur privat genutzt.

»Liebling, würdest du dich uns bitte anschließen?«, rief Sal die Treppe hoch, als er uns sah. »Bitte, setzt euch schonmal.«

Storm und ich nahmen unbeholfen auf der Eckbank Platz und ich musste ein Zucken unterdrücken, als sich unsere Knie berührten. So nah war Storm mir freiwillig sonst nie. Das machte mich zusätzlich nervös.

Die Person, die Sal als ›Liebling‹ bezeichnet hatte, stellte sich als großer, breit gebauter Mann mit langem Zopf und mindestens genauso langem Bart heraus. Sein argwöhnischer Blick ruhte ununterbrochen auf uns, als er mit erstaunlich leisem Schritt zu Sal ging, um ihm einen Kuss auf die Wange zu drücken, bevor er sich auf einem der beiden Hocker niederließ.

»So sieht man sich wieder, Nazari.« Seine Stimme schoss wie heißes Wasser durch meinen Körper.

Ich kannte diesen Mann. Zwar wusste ich nicht wie oder woher, doch ich war mir ganz sicher, dass wir uns nicht das erste Mal gegenübersaßen. Und doch konnte ich mit Sicherheit sagen, dass unsere Bekanntschaft nicht in meinem jetzigen Leben stattgefunden hatte. Ein Gefühl des Falschseins überkam mich. Es war nicht mein Empfinden, das diesen Fremden einordnen konnte und der Gedanke fühlte sich seltsam übergriffig an. Ich bemerkte erst jetzt, dass Storm mich aus dem Augenwinkel beobachtete. Auf was für eine Reaktion wartete er wohl?

»Ehm…«, begann ich, nicht wissend, was ich erwidern sollte, bevor Sal mich sanft unterbrach.

»Bring unsere Gäste doch nicht in Verlegenheit, Gideon«, bat er den Neuankömmling mit einer Hand auf der Schulter. »Wir hatten ihm schließlich versprochen, zu helfen, sollte es dazu kommen.«

Bei den Worten horchte Storm sichtbar auf. Sal setzte ihm mit einem wissenden Blick eine dampfende Tasse vor, bevor er sich selbst setzte.

»Ich gebe zu, ich habe nie erwartet, Wyatts Bitte nachkommen zu müssen«, erklärte er, »Vor allem nicht so schnell … Aber das offene All ist ein wilder Ort und niemand weiß, wie viele Tage wir noch vor uns haben.«

»Das ist ein schwacher Trost«, entgegnete ich und nippte aus meiner Tasse.

Ein sanfter, leicht bitterer Geschmack verbreitete sich in meinem Mund und beruhigte meine Nerven ein wenig. Storm tat es mir gleich, jedoch wandte er seinen Blick dabei nicht von dem neusten Mitglied unserer Teerunde ab. Der Mann erwiderte seinen Blick amüsiert.

»Ihr habt Fragen, das verstehe ich«, sagte Sal in einem Versuch, die Situation zu entschärfen. »Und niemand kann sie euch besser beantworten als Gideon hier. Aber lasst mich zuerst noch etwas sagen. Storm … was auch immer du dir in den letzten Monaten gedacht haben musst … Wyatt hat das Programm nur einzig und allein dir zuliebe beauftragt.«

Das Programm.

War ich tatsächlich schon darauf reduziert worden?

Die Tasse in Storms Hand zitterte.

»Bullshit«, spuckte er.

Überrascht verzog ich die Augenbrauen. Storm mochte das letzte Jahr nicht der sozialste Mensch zu mir gewesen sein, jedoch war er zu anderen immer die Höflichkeit in Person. Auch Sal schien die Reaktion zu überraschen.

Nur Gideon stieß ein lautes, kehliges Lachen von sich. »Da sagst du was, Bursche. Bullshit. Genauso habe ich auch auf die Idee reagiert, als Nazari sie mir unterbreitet hat.«

»Was ich nicht verstehe, ist, wieso ihr scheinbar von seinen Plänen, zu sterben, gewusst habt, ich aber noch nicht einmal von euren Namen gehört habe!«, entfuhr es Storm.

»Er hatte nicht den Plan zu sterben«, erwiderte Sal sanft. »Ihm wurde nur eine Gelegenheit unterbreitet, die er genutzt hat.«

»Die er verschwendet hat, meiner Meinung nach«, ergänzte Gideon. »Von allem, was er sich von einem imperialen Diplomaten wünschen konnte, hat er zu einer unausgereiften Technologie gegriffen. Und dann auch noch zur günstigsten Variante. Nichts für ungut.«

»Hmm«, machte ich nur.

»Imperialer Diplomat? Eben sagtest du etwas von einem Gott? Ich weiß nicht, ob ihr mich absichtlich verarschen wollt, aber könnte mir verdammt nochmal einer vernünftig erklären, was hier vorgeht? Ich hatte scheinbar keine Ahnung von dem Leben des Mannes, der mir einst die Welt bedeutet hat!« Storms Stimme bebte wie die Erde während eines Sturms.

»Du hast keine Ahnung, weil Nazari zumindest in der Hinsicht etwas richtig gemacht hat und seine Klappe gehalten hat. Niemand außerhalb dieser Station sollte davon erfahren«, sagte Gideon.

»Wovon erfahren? Was ist das hier für ein beschissener Ort, der nicht einmal auf einer Karte auftaucht?«, verlangte Storm zu wissen und knallte seine Tasse auf den Tisch. Der Inhalt verteilte sich auf seiner Hand, doch der junge Mann schien es nicht zu bemerken.

Ich griff sanft nach seiner Hand und löste seine verkrampften Finger von der heißen Tasse. Zu meiner Überraschung ließ er mich nicht nur gewähren, sondern blickte mich plötzlich mit einem Blick an, als würde er mich zum ersten Mal sehen.

Entschlossen blickte ich unsere Gastgeber an. »Mich würde ebenfalls interessieren, wo wir hier sind. Wie so ein Ort existieren kann … Doch das ist nicht die Information, nach der es mich am meisten verlangt. Seit ich mich erinnern kann, behandelt man mich wie einen Eindringling. Ich fühle mich, als wäre ich in das Leben der Menschen um Wyatt Nazari einmarschiert und hätte dort ein Lager aufgeschlagen. Als hätte ich Anspruch erhoben auf das, was einmal ihm gehört hat. Doch das habe ich nie verlangt. Lange habe ich darüber nachgedacht, was dieses Gefühl der Leere in mir bedeutet. Zuerst dachte ich, es seien die fehlenden Erinnerungen meines Originals. Dann der Mangel an eigenen Errungenschaften. Zuletzt nahm ich an, es sei der Verlust der Gefühle, die Wyatt zu Storm empfunden hat. Letzteres konnte ich ausschließen, schließlich liebe ich Storm ebenfalls.«

Ich hörte den jüngeren Mann neben mir schlucken.

»Ich habe mir dieses Dasein nicht ausgesucht. Ich habe mir erst recht nicht ausgesucht, im Leben eines Menschen zu verschwinden, den ich nie gekannt habe. Mit Anforderungen an mich, die ich nicht erfüllen kann. Ohne das Recht auf eigene Wünsche, eigene Träume, weil jeder davon ausgeht, dass ich mit Kusshand dieses Leben fortführe, das für mich begonnen wurde.«

Ich stieß ein leises Lachen aus.

»Aber wisst ihr, was mir wirklich fehlt? Zuversicht. Zuversicht und Hoffnung darauf, dass mein Leben irgendwann beginnt. Ich habe niemanden, der an mich glaubt. Niemanden, der mich bei der Hand nimmt und mich auf meinem Weg begleitet. Mein Original hatte dich, Storm, und vermutlich haftet etwas von seinen Gefühlen für dich an mir, denn ich wünschte mir nichts mehr, als dich an meiner Seite zu wissen. Und das bedeutet nicht, dass meine Liebe zu dir nicht echt ist – denn das ist sie – das bedeutet nur, dass ich dich bloß ansehen muss, um zu wissen, dass ich dich nicht missen möchte.«

Die Stille war schwer als ich aufhörte zu reden. Alle Augen ruhten auf mir, was mich peinlich berührt zu meiner Tasse greifen ließ. Scheinbar hatte ich mir mehr von der Seele zu reden, als ich gedacht hatte.

»Hrmhrm«, räusperte sich Gideon und blickte amüsiert durch die Runde. »So eine Ansprache habe ich vom alten Nazari definitiv nie gehört. Solch Sentimentalität …«

»Das macht der Tee«, erwiderte Sal mit einem Zwinkern an seinen Partner.

Ich traute mich kaum in Storms Richtung zu sehen. Was für einen Gesichtsausdruck machte er wohl gerade?

»Es ist sicher nicht einfach als Klon«, fuhr Sal fort. »Ich kann nicht behaupten, dass ich weiß, was du durchmachst, aber ich verstehe dein Dilemma. Ich denke nicht, dass Wyatt deine Gefühlslage bedacht hat, als er den Auftrag gegeben hat. Er hat es als Chance auf ein zweites Leben gesehen, sollte er sein erstes verlieren, vermutlich in der Hoffnung, dass du, sein Klon, sein genaues Abbild sein wirst. All das für Storm.«

Storm rutschte unbehaglich auf der Bank neben mir hin und her. Sal fischte von irgendwo unter dem Tisch eine weitere Tasse heraus, die Storm dankend annahm.

»Seht ihr, das ist, was mir noch nicht klar ist … Ihr sagt jetzt schon zum zweiten Mal, dass Wyatt das angeblich alles für mich getan hätte. Aber was daran soll für mich gewesen sein, mir eine Kopie dazulassen, wenn ich genau weiß, dass das Original lange unter der Erde liegt? Was hat er sich erhofft, dass ich mich einfach so seinem Klon hingebe, als wäre nichts gewesen? Hat er mich für so oberflächlich gehalten, dass mir sein Körper ausreichen sollte, ohne dass der Mensch, den ich geliebt habe, noch drinsteckt?«

»Das hat er mit Sicherheit nicht gedacht«, sagte Gideon. »Wenn ich eins weiß, dann ist es, dass Nazari ein eifersüchtiger Mann gewesen ist. Er hätte dich niemals an jemand anderen abgeben können, selbst wenn der andere sein Abbild ist. Sal hat eine zarte Seele und glaubt daran, dass Nazari das für dich getan hat. Wenn du mich fragst, hat er aus einzig egoistischen Gründen gehandelt. Er wollte sichergehen, dass es dir im Fall seines Todes gut geht und vertraute nicht darauf, dass jemand außer ihm selbst diese Aufgabe übernehmen konnte.«

»Hat er mich also für so schwach gehalten? Kann ich mich etwa nicht um mich selbst kümmern?«, fragte Storm und ballte die Fäuste zusammen. »Wieso hat er mit euch über all das gesprochen? Wieso mit euch und nicht mit mir? Hätte er wenigstens auch nur einmal eure Namen oder diesen Ort hier erwähnt, würde ich mich vielleicht nicht so verarscht fühlen.«

Sal und Gideon tauschten einen Blick aus.

»Vielleicht sollten wir ein paar Dinge klarstellen …«, begann Sal. »Darüber, wo ihr hier seid und woher wir Wyatt kennen. Und über das Versprechen, das wir Bao Leh gegeben haben.«

Die Erwähnung unseres Captains trieb mir die Augenbrauen in die Höhe. Scheinbar war ich nicht der einzige, denn ich konnte Storms Anspannung neben mir spüren. Ich musste meine Hände zusammenballen, um mich davon abzuhalten, ihn zu berühren.

»Wie ich bereits erwähnt habe, sind wir hier im verlorenen Teehaus. So nennen wir zumindest diese Station. Die Affenfigur, die euch hergeführt hat, dürfte verraten haben, dass wir nicht unbedingt zu einer Touristenattraktion werden wollen. Das liegt vor allem daran, dass wir uns als neutrale Zone etabliert haben. Wir gehören weder den irdischen Kolonien an, noch unterliegen wir den Gesetzen des imperialen Verbundes.«

Ich hatte noch nie davon gehört, dass es einer Raumstation erlaubt war, autark zu agieren.

Sal musste mir meine Verwunderung am Gesichtsausdruck abgelesen haben, denn er fuhr fort: »Wie es dazu gekommen ist, hat tatsächlich unmittelbar etwas mit Wyatt zu tun, aber dazu komme ich noch. Wie gesagt, uns liegt viel daran, dass dies hier ein neutraler Ort ist, wo sich jeder gleich seiner Art oder Herkunft willkommen fühlen soll. Wer hier rein kommt, muss seine Konflikte draußen lassen. Wir liegen zwar im Gebiet, das unter Kaiser Wang steht, doch wir konnten uns unsere Unabhängigkeit erkaufen.«

»Der Preis war … sagen wir, interessant«, warf Gideon ein.

»Was hat das mit unserem Captain zu tun? Und erst recht mit Wyatt?«, hakte Storm ungeduldig nach.

Gideon legte beide Ellbogen auf den Tisch und lehnte sich vor. »Ab hier wird‘s spannend. Wie ihr gesehen habt, befinden wir uns hier an einem Fleck des Universums, wo kaum Planeten zu finden sind. Das nächste bewohnbare Cluster besteht aus einer Gemeinschaft von drei Planeten und befindet sich nur wenige Lichtjahre vom Hauptwohnsitz des Kaisers. Bis vor etwa fünfundzwanzig Jahren galten diese Himmelskörper als Problemkinder, denn auf ihnen herrschte ein Wesen, das einzigartig in der Galaxis zu sein schien.«

»Ein einzelnes Wesen hat drei ganze Planeten beherrscht?«, fragte ich ungläubig.

Gideon nickte. »Es war kein Wesen, das du dir vorstellen kannst. Es beherrschte die Meere und vor allem beherrschte es die Winde. Manche betrachteten ihn als einen Gott. Dem Kaiser gefiel das ganz und gar nicht. Auf einem dieser Planeten tobte seit Jahrzehnten ein wütender Sturm und machte das Leben dort beinahe unmöglich. Ein Sturm, wie der in deinen Augen, Bursche.«

»Was willst du damit sagen?« Ein Ton klang in Storms Stimme mit, den ich noch nie gehört hatte. Fast so, als würde er etwas ahnen, was er lieber nicht bestätigt haben wollte.

Gideon suchte Sals Blick.

»Der Sturm in deinen Augen ist der Sturm dieses Planeten«, enthüllte Sal schließlich mit einem Seufzen. »Niemand weiß, wie du ihn gebändigt hast, aber du hast es getan. Als Bao Leh dich fand, hattest du ihn bereits aufgesogen und somit dem Wesen seine Kraft geraubt.«

»Man könnte sagen, du hast einen Gott gebändigt, ohne es gewollt zu haben«, ergänzte Gideon.

»Wir hatten Bao Leh versprochen, dir nichts davon zu erzählen, solange xier keine Antwort für dich gefunden hat. Wyatt allerdings wusste Bescheid … Er war derjenige, der zusammen mit Gideon und einer Handvoll Söldner zu dem Planeten gereist war, um das Ungetüm zu erledigen. Das war, bevor er eurer Crew beigetreten ist.«

»Der Junge hat damals eigenständig den Kopf des Giganten abgetrennt«, fuhr Gideon fort. »Das hat ganze drei Tage gedauert. Wir brachten ihn hierher und baten einen Abgeordneten des Kaisers, uns hier zu treffen. Unser Lohn war die Unabhängigkeit dieser Station. Nazaris Lohn sitzt hier am Tisch mit uns.«

Es herrschte eine Stille, die in den Ohren brannte. Storm war kreidebleich geworden, sein Blick in seiner Tasse versunken.

»Das heißt, mein Original kannte Storms Geschichte, bevor er auf die Wandernde kam«, schlussfolgerte ich.

Sal nickte und beobachtete Storm bedrückt. »Erst war es ein Job für ihn … aber nachdem er dich kennengelernt hat, wurde es persönlich. Der Gott war besiegt, aber du bliebst ein Mysterium, Storm. Beo Leh versucht heute noch Kontakt zu jemandem aufzunehmen, der zur gleichen Zeit wie du auf dem Planeten gewesen ist und möglicherweise Auskunft geben kann.«

Ich atmete tief durch. »Der Captain wusste also von Anfang an, was es mit dem Paket auf sich hatte.

---ENDE DER LESEPROBE---