Literary Passion - Fesseln der Vergangenheit - Vanessa Carduie - E-Book

Literary Passion - Fesseln der Vergangenheit E-Book

Vanessa Carduie

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Beschreibung

Darf sie einem Dämon vertrauen?

Nach dem Verlust ihres Babys ist Luise mit ihrer fünfjährigen Tochter auf der Flucht vor ihrem gewalttätigen Ehemann, denn unter keinen Umständen möchte sie noch ein Kind durch seine Hand verlieren. Zuflucht findet sie bei ihrem großen Bruder Martin, der schon vor Jahren wegen seiner Homosexualität vom Vater verstoßen wurde.
Im „Literary Passion“, ihrem neuen Zuhause, trifft sie auf den geheimnisvollen Omar, einen Inkubus, der unerwünschte Gefühle in ihr weckt. Doch darf Luise ihm, einem Dämon, vertrauen oder wird Omar zu einem ebensolchen Monster wie ihr Noch-Ehemann Henry?
Als sie sich Omar endlich öffnet, beweist Henry, dass er nicht gewillt ist, Luise gehen zu lassen und setzt dafür auch das Wohl ihrer gemeinsamen Tochter aufs Spiel.
Wird es Luise gelingen, sich und ihre Tochter zu schützen und sich eine neue Zukunft aufzubauen?

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Inhaltsverzeichnis

Impressum

Das Buch

Die Autorin

1. Kapitel (Luise)

2. Kapitel (Luise)

3. Kapitel (Omar)

4. Kapitel (Luise)

5. Kapitel (Luise)

6. Kapitel (Omar)

7. Kapitel (Luise)

8. Kapitel (Omar)

9. Kapitel (Luise)

10. Kapitel (Omar)

11. Kapitel (Luise)

12. Kapitel (Omar)

13. Kapitel (Luise)

14. Kapitel (Luise)

15. Kapitel (Omar)

16. Kapitel (Luise)

17. Kapitel (Omar)

18. Kapitel (Luise)

19. Kapitel (Omar)

20. Kapitel (Luise)

21. Kapitel (Omar)

22. Kapitel (Luise)

23. Kapitel (Omar)

24. Kapitel (Luise)

25. Kapitel (Luise)

26. Kapitel (Omar)

27. Kapitel (Luise)

28. Kapitel (Omar)

29. Kapitel (Luise)

30. Kapitel (Luise)

31. Kapitel (Omar)

32. Kapitel (Luise)

33. Kapitel (Omar)

34. Kapitel (Luise)

35. Kapitel (Omar)

36. Kapitel (Luise)

37. Kapitel (Marco)

38. Kapitel (Omar)

39. Kapitel (Luise)

40. Kapitel (Omar)

41. Kapitel (Luise)

42. Kapitel (Omar)

Nachwort & Danksagung

Weitere Bücher von Vanessa Carduie

Insomnia – Verführerische Illusion

Shadowheart – Verborgene Sehnsucht

Literary Passion 1 – Gefährliche Träume

Literary Passion 2 – Verbotene Liebe

Touch of Utopia (Anthologie)

Literary Passion 3 -

Fesseln der Vergangenheit

Vanessa Carduie

Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Text Copyright © 2023 Vanessa Carduie

Dieses Buch unterliegt dem deutschen Urheberrecht. Das Vervielfältigen oder Veröffentlichen dieses Buches oder Teilen davon, ohne Zustimmung der Autorin, ist untersagt.

Yvonne Less – Art4Artists.com.au

Buchsatz (Taschenbuch): Phantasmal-Image.de

Korrektorat: A.C. LoClair

Lektorat: Jeanette Lagall - lektorat-lagall.de

1.1 Auflage (04.11.2023)

Vanessa Carduie

c/o WirFinden.Es

Naß und Hellie GbR

Kirchgasse 19

65817 Eppstein

Das Buch

Darf sie einem Dämon vertrauen?

Nach dem Verlust ihres Babys ist Luise mit ihrer fünfjährigen Tochter auf der Flucht vor ihrem gewalttätigen Ehemann, denn unter keinen Umständen möchte sie noch ein Kind durch seine Hand verlieren. Zuflucht findet sie bei ihrem großen Bruder Martin, der schon vor Jahren wegen seiner Homosexualität vom Vater verstoßen wurde.

Im ‚Literary Passion‘, ihrem neuen Zuhause, trifft sie auf den geheimnisvollen Omar, einen Inkubus, der unerwünschte Gefühle in ihr weckt. Doch darf Luise ihm, einem Dämon, vertrauen oder wird Omar zu einem ebensolchen Monster wie ihr Noch-Ehemann Henry?

Als sie sich Omar endlich öffnet, beweist Henry, dass er nicht gewillt ist, Luise gehen zu lassen und setzt dafür auch das Wohl ihrer gemeinsamen Tochter aufs Spiel.

Wird es Luise gelingen, sich und ihre Tochter zu schützen und sich eine neue Zukunft aufzubauen?

Die Autorin

Vanessa Carduie erblickte an einem grauen Herbstmorgen 1988 in Dresden das Licht der Welt. Geschichten faszinierten sie von klein auf und bald folgten die ersten eigenen Erzählungen. Sie hat Biologie studiert und widmet sich seit einigen Jahren aktiv ihrer Schreibleidenschaft.

Ihre Geschichten sind eine Mischung aus Liebesroman, Krimi und Fantasy, je nachdem, an welchem Projekt sie gerade arbeitet. Mit ihren Büchern möchte sie ihre Leserinnen und Leser zum Lachen, Weinen und manchmal auch zum Nachdenken bringen. Dafür beschreitet sie gern ungewöhnliche Wege.

http://www.vanessa-carduie.com/

https://www.facebook.com/VanessaCarduieAutorin

https://belletristica.com/de/users/11614-vanessa-carduie#profile

https://www.instagram.com/vanessa_carduie/

***

Du bist wie ein verletzter Vogel: zerbrechlich und voller Angst, dass die Hand, die nach dir greift, dir wehtun wird, statt deine Schmerzen zu lindern.

Er hat dich geschlagen, missbraucht, dir jegliche Hoffnung und Selbstachtung genommen. Trotzdem hast du es geschafft, dich von ihm zu lösen, für deine Tochter und deinen kleinen Sohn.

Nimm meine Hand. Ich verspreche dir, dass ich dein Vertrauen nicht missbrauchen werde und dich nur berühre, wenn du mich darum bittest.

Nimm dir die Zeit zum Heilen, zum Trauern, dann steh auf und spreize deine Flügel. Befreie dich von ihm und den Schrecken der Vergangenheit.

Finde heraus, wer du wirklich bist und was du möchtest. Wir werden dir helfen und für dich da sein, wenn du uns brauchst.

***

Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“: (08000) 116 016, anonym rund um die Uhr und in vielen Sprachen. https://www.hilfetelefon.de/das-hilfetelefon.html

Hilfetelefon für Männer: 0800 1239900

https://www.maennerhilfetelefon.de/

Heimwegtelefon: Tel.: 030/12074182 (deutschlandweit)

Sonntag – Donnerstag: 20.00 bis 00.00 Uhr, Freitag & Samstag 20.00 bis 03.00 Uhr

https://heimwegtelefon.net/ueber-uns/

Übersicht Frauenhäuser: https://www.frauenhauskoordinierung.de/

Opferberatung: https://weisser-ring.de/, Opfer-Telefon 116 006 (Bundesweit. Kostenfrei. Anonym. Ein Hilfsangebot des WEISSEN RINGS: 7 Tage die Woche von 7.00 bis 22.00 Uhr)

1. Kapitel (Luise)

Blind vor Tränen starre ich auf das kalte dunkle Loch. Eine winzige Urne ruht darin. Mein Baby ist tot. Dieser Gedanke hat sich vor zwei Wochen in mein Bewusstsein gebrannt. Verzweifelt hatte ich gehofft, dass alles nur ein böser Traum war, doch nun stehe ich hier an deinem Grab und mich zerfressen Schuld und Schmerz.

Ich hätte dich besser beschützen müssen!

Viel zu lange habe ich mich gefügt und immer wieder gebetet, dass sich alles zum Besseren wenden würde, wenn ich tat, was von mir verlangt wurde. Vergeblich. Mein einziger Lichtblick ist nun meine fünfjährige Tochter, die ich bisher erfolgreich aus der Schusslinie halten konnte.

Annabell, ich verspreche, dass ich immer gut auf dich aufpassen werde.

Sanft drücke ich ihre kleine kalte Hand. Stumm und blass steht sie neben mir und kann noch gar nicht verstehen, was das alles bedeutet.

Überrascht blicke ich auf, als kleine bunte Sterne auf den winzigen Sarg regnen. Mein Herz zieht sich gleichermaßen vor Liebe und Kummer zusammen, als ich meinen Bruder betrachte, der am Grab seines Neffen steht und Tränen in den Augen hat.

Martin ist groß und auch für einen Werwolf muskulös und imposant gebaut und so blond wie ich. Doch er hat eine starke Präsenz, die ihn als Alpha ausweist, und dennoch lässt er seine Gefühle zu und zeigt sie offen. Eine Regung, die ich bei meinem Vater vergeblich suche. Stolz und starr steht Bernd Groß etwas abseits der restlichen Familie. Er wird von uns geduldet, aber wirklich willkommen ist er nicht. Schließlich trägt er eine Mitschuld an dieser Tragödie.

Meine jüngere Schwester Heike wirft schniefend eine weitere Handvoll Papiersterne ins Grab. Ihr Mann Georg tut es ihr gleich und sogar der kleine Emil lässt ein Sternchen fallen.

Sternenkinder. Ein schöner Begriff für das Schlimmste, was einer Mutter – einer Familie – passieren kann.

In jener verhängnisvollen Nacht vor zwei Wochen wäre auch Martin beinahe gestorben. Alles nur, weil mein Mann Henry mehr Macht wollte. Absichtlich hat er meinen Vater und meinen Bruder gegeneinander ausgespielt. Indem er falsche Anschuldigungen erhob, hatte Henry einen blutigen Kampf zwischen ihnen provoziert. Er war bereit, über Leichen zu gehen – und genau das ist letztlich eingetreten. Ich stand Henry schlicht im Weg und auf das Baby in meinem Bauch hat er ohnehin nie Rücksicht genommen, obwohl es diesmal der geforderte Junge war.

Wie konnte es nur so weit kommen?! Früher war er nicht so – zumindest rede ich mir das ein. Ich kenne Henry, seit ich ein Kind war, und habe mich früh in diesen charismatischen Jungwolf verliebt, dem viele Mädchen zu Füßen lagen. Als er tatsächlich mit mir ausgehen wollte, war ich hin und weg und wusste vor lauter Aufregung nicht, was ich sagen sollte.

In Gedanken schüttle ich den Kopf über meine Blauäugigkeit. Erst Jahre später wurde mir bewusst, dass Henry nicht mit mir zusammen sein wollte, weil er mich aufrichtig liebte, sondern nur, um möglichst schnell in der Hierarchie des Rudels aufzusteigen.

Obwohl ich die älteste Tochter des Alphas bin, war ich schon immer ein schüchternes Ding, das nirgends anecken wollte. Ein Mauerblümchen, sehr konservativ erzogen, das hoffte, doch endlich einmal wahrgenommen zu werden. Henry hatte das sofort gesehen und ausgenutzt. Viel zu früh ließ ich ihn an mich heran und in mein Bett. Ich war sechzehn, wollte ihm gefallen, nichts falsch machen, und überging mein eigenes Unwohlsein. Mein erstes Mal war schrecklich, aber ich dachte, es müsste so sein.

Henry zeigte schon damals, dass es ihn nicht interessierte, was ich möchte. Allerdings wusste ich das noch nicht. Er war mein erster Freund, mir fehlten Vergleichswerte. Nur wenige Jahre später heirateten wir und ich wurde mit Annabell schwanger. Anfangs charmant und nach außen hin liebevoll, entwickelte Henry sich schnell zum Tyrannen, als er hatte, was er wollte.

Selbst jetzt noch kann ich mich an meine überschäumende Freude erinnern, als ich meine Tochter das erste Mal in den Armen hielt. Die anstrengende Geburt war vergessen und ich war so voller Hoffnung, dass endlich alles besser werden würde.

Ich hätte nicht falscher liegen können.

Henry hatte sich einen Sohn gewünscht, keine, in seinen Augen, schwächliche Tochter, die ihn nur Geld kosten und Ärger machen würde. Annabell hatte Glück, dass er sie die meiste Zeit ignorierte. Das war nicht schön, aber die Alternative wäre noch schlimmer gewesen.

Solange noch Leben in mir ist, werde ich meine Kinder verteidigen!, schwöre ich.

Lange genug habe ich die Misshandlungen meines Ehemannes ertragen, immer in der Hoffnung, dass er wenigstens niemand anderem Leid zufügt. Dieses kleine Grab ist der Beweis dafür, dass ich versagt habe.

Mein Sohn Julian starb, bevor er die Chance hatte zu leben. Er wird niemals lachend in meinen Armen liegen oder mit seiner großen Schwester spielen. Während mir die Tränen über die Wangen rollen, trete ich mit Annabell an der Hand vor und werfe eine weiße Rose ins Grab. Meine kleine Tochter gibt ihrem Bruder einen Teddy mit auf die Reise.

„Ich hoffe, du bist jetzt an einem besseren Ort. Bitte vergib mir, Julian“, flüstere ich kaum wahrnehmbar.

Stumm lasse ich die Grabrede über mich ergehen und sehe zu, wie Schaufel um Schaufel Erde auf der winzigen Urne landet und sie schließlich vollkommen verdeckt. Blumen und Kuscheltiere bilden den Abschluss und wirken schrecklich deplatziert. Trotzdem berührt es mich, dass meine Familie Anteil nimmt und mein Baby liebevoll verabschiedet.

Als es endlich vorbei ist, nehme ich beinahe teilnahmslos die Beileidsbekundungen entgegen. Ich bin abgrundtief erschöpft und fühle mich seltsam taub. Ein Teil von mir ist mit meinem Baby gestorben und ich weiß noch nicht, ob ich mich davon erholen kann.

Meiner Tochter zuliebe muss ich mich jedoch zusammenreißen und werde alles tun, um ihr ein möglichst unbeschwertes Leben ohne Angst zu ermöglichen.

Schließlich tritt mein Bruder Martin zu mir und nimmt mich in den Arm. „Komm. Lass uns nach Hause fahren.“

Ich nicke stumm und auch Annabell ist ungewöhnlich ruhig. Erst vor einer Woche sind wir mitten in der Nacht aus unserem Zuhause geflohen und wohnen nun bei Martin im Literary Passion. Ich war mehr als erstaunt, als Martin mich den anderen vorstellte. So viele verschiedene Wesen aus der Schattenwelt leben friedlich an diesem ungewöhnlichen Ort zusammen. Außer Werwölfen war ich in noch nie anderen übernatürlichen Wesen begegnet. Marco war der einzige Vampir, den ich zumindest flüchtig kannte – und der ist durchaus beängstigend. Von Inkuben, Sukkuben oder Nymphen hatte ich noch nie gehört.

Wahrscheinlich werde ich mit der Zeit mehr über ihre Eigenarten erfahren. Bisher sind alle erstaunlich liebenswürdig zu uns und auch Martins eigenes Rudel dort ist sehr herzlich. Es ist ganz anders als das unseres Vaters, in dem wir aufgewachsen sind. Mein Bruder wurde vor Jahren von unserem Vater verstoßen, weil er homosexuell ist. Im Literary Passion hat Martin sich ein neues Leben inklusive Rudel aufgebaut. Er scheint ein sehr geduldiger und geachteter Alpha zu sein, der auf die Loyalität seiner Wölfe bauen kann.

Ich bin froh, dass es auf dem Hotelgelände auch noch andere Kinder gibt. So ist Annabell nicht alleine und hat ein wenig Ablenkung. Eigentlich würde sie in den Kindergarten gehen, doch im Moment ist sie freigestellt. Die Gefahr ist zu groß, dass Henry dort auftaucht. Zwar könnte er uns auch im Literary Passion ausfindig machen, allerdings wird ihn dort niemand einlassen.

Körperlich habe ich mich zum Glück verhältnismäßig schnell von der traumatischen Geburt erholt. Eigentlich hätte Julian erst einige Wochen später geboren werden sollen, doch durch Henrys Stoß gegen meinen Bauch und den Sturz löste sich die Plazenta und ich bekam Blutungen. Meine Familie brachte mich so schnell wie möglich ins Krankenhaus, doch es folgten weitere Komplikationen. Als Julian endlich das Licht dieser Welt erblickte, war er bereits blau angelaufen und schrecklich regungslos.

Ich schlucke und dränge nur mit Mühe die Tränen zurück, die bei der Erinnerung daran in mir aufsteigen. Die Nabelschnur hatte sich um Julians Hals gewickelt und damit die Situation noch einmal verschlechtert. Die Ärzte, Hebamme und Krankenschwestern taten alles, um zu helfen, doch mein Sohn lebte nur zwei Tage, bevor sein geschwächter Körper aufgab. Er war schlicht noch nicht bereit gewesen, geboren zu werden, und die äußeren Umstände hatten seine Überlebenschancen noch einmal dramatisch reduziert.

Dass Henry mich nicht einmal eine Woche später, nachdem ich aus dem Krankenhaus entlassen worden war, in unserer alten Wohnung überfallen hat, hat mich vollkommen kalt erwischt. Er war aus dem Rudel geworfen worden und galt als verschwunden. Wenigstens eine Sache, die mein Vater für mich getan hat. Doch Henrys Auftauchen und die erneute Misshandlung meines ohnehin geschwächten Körpers haben meinem Heilungsprozess erheblichen Schaden zugefügt und mich endgültig zur Flucht bewegt. Dass ich mich überhaupt halbwegs erholt habe, liegt nur an der besonders guten Regeneration der Werwölfe. Bis ich aufhöre, bei jedem kleinsten Geräusch zusammenzuzucken oder mich nicht mehr davor fürchte, mit einem Mann allein zu sein, wird es deutlich länger dauern.

Ab sofort werde ich mich nicht mehr von Henry einschüchtern lassen!, schwöre ich mir. Ich habe sogar schon die Scheidung eingereicht und das alleinige Sorgerecht beantragt. Meine Geschwister waren erschreckend gut vorbereitet und haben mich förmlich zur Anwältin geschleppt. Wie man mir erklärt hat, wird der Prozess jedoch eine ganze Weile dauern. Da ich keine Beweise für meine Misshandlungen vorweisen kann, muss es eben ohne gehen. So stehen die Chancen etwas schlechter, aber Martin war sehr optimistisch, dass man die Entscheidungsfindung positiv beeinflussen könnte. Was auch immer das bedeuten mag.

*

Während Martin die schwarze Limousine souverän durch den erstaunlich dichten Verkehr steuert, ziehe ich Annabell an meine Seite. Sie schmiegt sich an mich und schaut traurig auf ihre Hände. „Denkst du, dass es Julian im Himmel gefällt, Mama?“

Nur mit Mühe unterdrücke ich ein Schluchzen. „Ganz bestimmt“, antworte ich mit erstickter Stimme. „Er kann dort oben den ganzen Tag auf den Wolken herumhopsen und mit den Wolkenschäfchen spielen.“

„Ich hätte auch gern mit ihm gespielt“, murmelt sie. Mit zitternden Fingern streiche ich ihr über das blonde Haar. Optisch ist Annabell mir sehr ähnlich, doch ich hoffe, dass sie ein besseres Leben haben wird. Dafür werde ich tun, was ich kann. „Das glaube ich dir. Aber leider ging es ihm nicht gut, weshalb die Engelchen ihn geholt haben.“

„Aber uns holen die Engel nicht, oder? Ich mag unsere neue Wohnung und dir geht es auch wieder besser.“

Unwillkürlich zucke ich zusammen. Ich dachte immer, dass ich die Misshandlungen gut vor ihr versteckt habe, doch offensichtlich lag ich daneben. „Ja, mir geht es gut und keine Angst, wir müssen weder in den Himmel noch aus unserer neuen Wohnung ausziehen.“

„Ihr könnt dort so lange wohnen, wie ihr möchtet“, mischt Martin sich ein. „Wir freuen uns auf jeden Fall, wenn ihr bei uns bleibt.“

Unsere Blicke treffen sich im Rückspiegel. Mitgefühl und Trauer stehen in seinen blauen Augen, doch lächelt er mich aufmunternd an. „Das Literary Passion ist nun auch euer Zuhause.“

*

Wie wahr diese Worte sind, wird einige Zeit später deutlich, als wir im Hotel ankommen. Während Martin den Wagen in die Garage bringt, laufen Annabell und ich Hand in Hand durch den schönen Garten des Hotels zu dem Nebengebäude, in dem unsere kleine Wohnung liegt. Es sind nur zwei Räume mit Küche und Bad, doch es fühlt sich wie der Himmel an.

Mein eigenes Reich! Niemand ist da, der an allem herummeckert oder uns bedroht. Ich kann im Nachthemd in der Küche stehen, ohne einen Angriff von hinten befürchten zu müssen, und habe sogar wieder soziale Kontakte zu anderen Leuten.

Henry hat es über die Jahre geschafft, die meisten meiner Freundinnen zu vergraulen und selbst die Besuche bei meiner Familie eingeschränkt. Mittlerweile ist mir klar, dass er es tat, um mich klein und gefügig zu halten. Schließlich hätte ich mir dort Hilfe holen können, und das musste er um jeden Preis vermeiden.

Als wir um die Hausecke biegen, bleibe ich überrascht stehen. Unter einem weißen Pavillon befindet sich eine große, reich gedeckte Tafel. Ein köstlicher Duft weht mir entgegen und verblüfft stelle ich fest, dass alle Werwölfe und die anderen Bewohner dieses ungewöhnlichen Hotels versammelt sind, die Tageslicht vertragen.

Bea, eine sympathische Werwölfin, die einen Sohn hat, der im selben Alter wie Annabell ist, tritt vor. „Martin meinte, dass du keinen ‚Leichenschmaus‘ ausrichten wolltest, aber da niemand in so einer schweren Zeit alleine sein sollte, wollten wir euch eine kleine Freude machen. Der Tag ist so schön sonnig und warm. Möchtet ihr euch zu uns setzen? Wenn du lieber deine Ruhe haben willst, dann kann ich dir auch etwas in eure Wohnung bringen. Ganz wie es für euch am besten ist.“

Tatsächlich konnte ich dieser Tradition noch nie viel abgewinnen, wobei ich in erster Linie vermeiden wollte, dass Martin und Vater aneinandergeraten. Trotzdem wärmt es mir das Herz, zu sehen, wie viel Mühe sich alle gemacht haben. Nur für Annabell und mich – eigentlich zwei völlig Fremde, die hier gestrandet sind.

„Vielen Dank, das ist sehr lieb von euch“, antworte ich. Fragend schaue ich meine Tochter an. „Was würdest du denn gern machen?“

Mit leuchtenden Augen blickt sie zu den anderen Kindern, die sich bereits um den Tisch herum platziert haben. „Darf ich hingehen oder ist es falsch, wenn wir an diesem Tag Spaß haben?“

„Nein, es ist vollkommen in Ordnung. Geh ruhig zu deinen Freunden.“ Das lässt Annabell sich nicht zweimal sagen und flitzt zu den anderen Kindern.

Manchmal beneide ich sie wirklich um ihre kindliche Unbeschwertheit.

Bea umarmt mich kurz. „Mein Beileid. Ich weiß zwar nicht, wie es ist, ein Kind zu verlieren, aber wenn du jemanden zum Reden brauchst, sag einfach Bescheid. Sylvios Tod hat mich damals auch in ein Loch gestürzt, doch gemeinsam kann man alles bewältigen.“

„Danke! Das bedeutet mir sehr viel.“ Obwohl ich sie kaum kenne, mag ich sie. Bea scheint die gute Seele des Rudels zu sein. Ich finde es bewundernswert, wie lebensfroh und optimistisch sie ist, obwohl sie ihren Mann erst vor wenigen Monaten verloren hat und nun allein mit ihrem Sohn ist.

Aufmunternd lächelt sie mir zu. „Komm. Wir sollten mit dem Essen beginnen, bevor es Rangeleien gibt.“

Geschickt platziert sie mich zwischen Daphne, einer Nymphe, und Amy, einer Werwölfin aus dem Rudel, die ebenfalls Kinder hat. Staunend betrachte ich die vielen verschiedenen Salate, Kuchen und anderen Köstlichkeiten, die offenbar alle gemeinsam beigesteuert haben. Mir gegenüber sitzt Gabriele, eine dunkelhaarige Schönheit, die jedoch etwas unsicherer wirkt als die anderen. Von meinem Bruder weiß ich, dass sie ebenfalls traumatische Erfahrungen gemacht hat, allerdings mit einem verrückten Vampir, der aus Rache dann das Hotel angegriffen hat.

Mich schüttelt es allein bei dem Gedanken daran, dass hier blutige Kämpfe stattgefunden haben, die nicht ohne Verluste gewonnen wurden. Soweit es mir möglich ist, möchte ich verhindern, dass ich neues Unheil über die Gemeinschaft bringe.

Ich möchte gerade etwas von dem mediterranen Spaghettisalat probieren, als hinter mir Schritte ertönen. Automatisch zucke ich zusammen und werfe einen vorsichtigen Blick über meine Schulter. Erleichtert stelle ich fest, dass es nur mein Bruder ist. Martin stößt zu uns und bedankt sich bei allen für diese tolle Überraschung. Er lässt sich neben Gabriele nieder und grinst mich an. „Sie können einem zwar manchmal auf die Nerven gehen, aber grundsätzlich sind sie vollkommen in Ordnung.“

Gelächter und scherzhafte Beschwerden kommen von den verschiedensten Leuten, die seinen Kommentar mitgehört haben.

„Ich soll dir liebe Grüße von Thomas und Lena ausrichten. Die beiden mussten zu einem Außeneinsatz und werden wohl erst zum Nachmittag wieder hier sein.“

„Danke. Hoffentlich ist es kein komplizierter Fall“, antworte ich.

Als ich vor knapp einer Woche hierher geflohen bin, hatte ich ganz vergessen, dass Martin mittlerweile liiert ist. Das Zusammentreffen mit seinem Freund Thomas, einem Halbwerwolf, am nächsten Morgen war zum Glück unkompliziert. Thomas ist sehr sympathisch und nahm keinerlei Anstoß daran, dass wir ihre Zweisamkeit unangemeldet gestört haben. Ich war ganz erstaunt, als ich erfuhr, dass der dunkelhaarige Werwolf in seiner Jugend mit meinem Noch-Ehemann Henry befreundet war. Allerdings hat sich damals schon seine widerwärtige Seite gezeigt, weil mein Gatte Thomas schließlich aus dem alten Rudel vertrieben hat, sobald er von dessen Homosexualität wusste.

Ich verstehe mich überraschend gut mit Thomas, auch wenn ich mich durch meine sehr konservative Erziehung nie mit Homosexualität oder Ähnlichem auseinandergesetzt habe. Mein Vater und Henry verteufelten es immer und ließen kein gutes Haar an Leuten, die ihrer Meinung nach ihren ‚abartigen Neigungen‘ frönten. Meinen Bruder konnte ich damit nie in Verbindung bringen, was auch daran lag, dass ich Martin niemals in einer romantischen Situation mit einem anderen Mann gesehen habe. Es ist für mich zwar immer noch ein bisschen befremdlich, dass mein Bruder mit einem anderen Mann zusammenlebt, aber ich freue mich für die beiden, denn man merkt deutlich, wie sehr sie sich lieben.

Tatsächlich sind mir im Nachhinein ein paar Begebenheiten aus meiner Jugend eingefallen, bei denen Thomas dabei war. Da ich damals aber noch so von Henry verblendet war und Thomas zu einem anderen Rudel gehörte, ist er mir nicht aufgefallen. Kurz nachdem wir zusammenkamen, verließ der Halbwerwolf Henrys Rudel und verschwand somit aus meinem Leben. Mit der Hochzeit wechselte Henry in mein Rudel, das von meinem Vater geführt wurde. Wahrscheinlich planten die beiden schon damals, dass Henry der nächste Alpha werden sollte, denn Martin kam dafür nicht mehr in Frage.

„Entschuldigt die Verspätung. Habt ihr noch ein Plätzchen für mich?“, ertönt plötzlich hinter mir eine Stimme, die sich in mein Gedächtnis eingebrannt hat. Ich erschaudere leicht und kann nicht zuordnen, ob es aus Angst oder anderen Gründen ist.

„Klar, setz dich neben mich, Omar“, lädt Martin den Neuankömmling ein und verstärkt so unbewusst meinen inneren Konflikt. Der Inkubus folgt seiner Einladung und lässt sich kurz darauf schräg gegenüber nieder. Er schaut mich kurz an, bevor er den Blick auf seinen Teller richtet. „Mein herzliches Beileid“, murmelt er.

„Danke“, antworte ich.

In dieser verhängnisvollen Nacht, in der ich vor Henry ins Literary Passion floh, war Omar es, der mich auf das Hotelgelände gelassen und Martin verständigt hat. Obwohl ich total verstört war, ist mir sein zuvorkommendes Verhalten noch gut in Erinnerung geblieben. Das hätte ich nicht erwartet, da ich hier völlig aufgelöst zu unchristlicher Stunde aufgetaucht bin und nach Martin gefragt habe. Nicht wenige hätten mich als Irre abgetan und fortgeschickt. Doch Omar tat das nicht. Ganz im Gegenteil. Er half mir und holte Martin, wofür ich ihm ewig dankbar sein werde.

Bereits in dieser schrecklichen Nacht hatte Omar eine merkwürdige Wirkung auf mich. Seine goldenen Augen fesselten mich irgendwie. Sie strahlten so viel Verständnis, Sorge und Ruhe aus, dass ich nicht sofort wieder die Flucht ergriff. Schließlich war ich nach dem Übergriff durch Henry in einer fremden Umgebung und mit einem unbekannten Mann alleine. Etwas, das ich auch unter anderen Umständen kaum ertragen hätte. Doch irgendetwas bewog mich dazu, diesem goldäugigen Dämon zumindest ansatzweise zu vertrauen und auf Martin zu warten. Zwar haben Werwölfe auch ab und an goldene Iriden, wenn unsere animalische Seite durchkommt, doch Omars sind ganz anders. Sie leuchten wie von innen heraus und üben jedes Mal, wenn ich ihn sehe, eine seltsame Faszination auf mich aus. Irgendetwas hat Omar Sutech an sich, dass nicht von dieser Welt zu stammen scheint.

„Ich kann mich auch woanders hinsetzen, wenn es dir lieber ist“, bietet dieser plötzlich an.

Peinlich berührt stelle ich fest, dass ich ihn anstarre, und blicke mit glühenden Wangen auf meinen Teller. „Nein, bleiben Sie ruhig. Ich stehe etwas neben mir.“

„Das ist mehr als verständlich.“ Seine Stimme klingt so warm und mitfühlend, dass ich mich traue, kurz zu ihm zu sehen. Omar wirkt ehrlich betroffen wegen meines Verlustes und scheint mir mein merkwürdiges Verhalten nicht übel zu nehmen. Dass es ihn interessiert, wie es mir geht, und er auf meinen Wunsch hin sogar seinen Platz verlassen würde, lässt eine seltsame Wärme in mir aufsteigen. Ich bin es nicht gewöhnt, dass sich andere Leute um mein Wohlergehen sorgen.

Ich öffne den Mund, um etwas zu sagen, doch mir fällt nichts Sinnvolles ein. Peinlich berührt schaue ich zur Seite. Dabei fällt mir auf, dass Martin uns mustert. Mit einem leichten Lächeln wendet er sich wieder an seinen Gesprächspartner Marek, der ebenfalls zum Rudel gehört. Irritiert beschließe ich, nichts zu erwidern und mich stattdessen meinem gut gefüllten Teller zu widmen. Eigentlich habe ich keinen Hunger, doch die Speisen sind so köstlich, dass ich tatsächlich fast alles aufesse.

Meine Sitznachbarinnen Amy und Daphne verwickeln mich in seichte Unterhaltungen, die sich um alles außer meine Vergangenheit und die heutige Beerdigung drehen. Dafür bin ich sehr dankbar.

Ein Gespräch oder Blickkontakt mit Omar vermeide ich. Seine Gegenwart verunsichert mich und gerade bin ich einfach nicht stark genug, um mich damit auseinanderzusetzen. Die einzigen Männer, deren unmittelbare Gegenwart ich im Moment ertrage, sind Martin und Thomas. Daran wird sich so schnell nichts ändern. Ich habe mich gerade erst von meinem gewalttätigen Ehemann getrennt und muss mich erst einmal von den traumatischen Ereignissen erholen.

Immer wieder überprüfe ich, wie es Annabell geht, aber sie plappert fröhlich und lässt es sich schmecken. In der kurzen Zeit, die wir hier sind, hat sie sich verändert. Sie wirkt glücklicher, unbeschwerter und hat einen gehörigen Appetit. Mir kam sie früher immer zu dünn vor, obwohl sie regelmäßig gegessen hat.

Ihr wachsamer Blick, der ungewöhnlich für ein kleines Kind ist, fiel mir erst hier auf. Nun scheint sich das alles ein wenig zu verändern. Es tut mir in der Seele weh, dass ich blind für ihre Ängste und Sorgen war.

Ich hätte mich eher von Henry lossagen müssen!

Der Verlust von Julian hat mir die Augen geöffnet. Niemals wieder will ich, dass Henry Annabell und mir schaden kann. Meine Geschwister unterstützen mich bei diesem schweren Schritt, wofür ich dankbar bin. Der Scheidungsprozess läuft und auch gedanklich schaffe ich es langsam, mich von Henry zu distanzieren und ihn als meinen Ex-Mann zu bezeichnen. Ich wünschte mir nur, dass ich früher die Kraft dazu gefunden hätte, mich von ihm zu trennen, dann wäre vielleicht einiges anders geworden …

2. Kapitel (Luise)

„Ach, es ist schade, dass Sie uns verlassen“, meint Annabells alte Erzieherin zu mir.

Seit der Beerdigung ist eine Woche vergangen. Nun fühle ich mich stark genug, um den nächsten Schritt in ein neues Leben zu wagen. Unbehaglich knete ich den Beutel mit der restlichen Kleidung, die noch in der KITA war.

Das hier dauert mir schon viel zu lange. Es ist ein Schlussstrich, den ich ziehen muss, denn ich kann einfach nicht zulassen, dass Henry meine Tochter und mich doch noch in die Finger bekommt. Diesmal würde er es nicht bei Drohungen belassen, wie bei unserer letzten Begegnung, sondern Annabell tatsächlich wehtun.

„Es tut uns leid, aber wir müssen jetzt wirklich los. Vielen Dank für die nette Betreuung“, versuche ich, das Gespräch abzukürzen. Ich will weder über meine nicht mehr existente Schwangerschaft noch über die Beweggründe unseres Umzugs reden.

„Annabell, es geht los!“, rufe ich und bin erleichtert, als meine Tochter sofort zu mir kommt. Sie winkt den Kindern ihrer alten Gruppe noch einmal, dann ergreift sie meine Hand und wir verlassen den Kindergarten. Immer wieder werfe ich einen Blick über die Schulter, denn mir ist ganz und gar nicht wohl in meiner Haut, während ich mit Annabell zum Auto haste.

Ich hätte Martin oder wenigstens Heike mitnehmen sollen!, schimpfe ich gedanklich mit mir. Doch ich wollte niemanden mit meinen Problemen belästigen. Es ist schon sehr großzügig, dass ich in einer der Dienstwohnungen im Literary Passion wohnen darf, ohne etwas dafür zu bezahlen. Da wollte ich ihn nicht auch noch wegen so einer Kleinigkeit belästigen.

„Mama, können wir noch ein Eis essen gehen oder Oma besuchen fahren?“, fragt Annabell hoffnungsvoll. Es ist das erste Mal, dass wir seit der Flucht außerhalb des Hotelgeländes unterwegs sind – von der Beerdigung mal abgesehen.

„Es tut mir leid, Maus. Aber jetzt ist wirklich kein guter Zeitpunkt dafür“, antworte ich und öffne das Auto, damit Annabell einsteigen kann. Nachdem ich sie angeschnallt habe, laufe ich zur Fahrertür, lasse mich auf den Sitz fallen und starte den Motor. Gerade als ich den Rückspiegel schaue, um mich zu versichern, dass ich ausparken kann, kreischt Annabell und ein Ruck geht durch den Wagen.

„Hab‘ ich dich endlich, du ungezogene Göre!“, höre ich Henry sagen und sehe, wie er versucht, Annabell aus dem Sitz zu zerren.

„Aua! Lass mich los!“, schreit sie und wehrt sich nach Kräften.

Für einen Herzschlag bin ich wie gelähmt, dann greift der Fluchtinstinkt. Ich schaue kurz nach, ob Annabell noch im Kindersitz angeschnallt ist, dann trete ich das Gaspedal durch und schieße auf die Straße. Meine Tochter schreit auf, während mein Ex-Mann flucht und versucht, sich ins Innere des Wagens zu ziehen.

„Lass uns in Ruhe!“, ruft Annabell, während ich Schlenker fahre, um Henry abzuschütteln. Die ganze Zeit piept das Auto, weil die Hintertür geöffnet ist, doch ich ignoriere die Warnung.

„Elendes Miststück!“, schimpft Henry und holt nach meinem Kind aus.

Wenn ich jetzt anhalte, dann brauchen wir viel Glück, um zu überleben, wird mir bewusst. Ich beschleunige das Tempo und rase auf einen Müllcontainer zu, der am rechten Straßenrand steht. In meiner Verzweiflung lenke ich den Wagen nah an den Bordstein und zucke zusammen, als es unheilvoll kracht und quietscht.

„Au! Fu…“, keucht Henry, als er in der Tür eingeklemmt wird, die Bekanntschaft mit dem Container gemacht hat. Ruckartig lenke ich das Auto zurück auf die Fahrbahn. Verdammt! Ich muss ihn loswerden!, denke ich verzweifelt. Und wenn ich einen Totalschaden habe, Hauptsache, wir können ihn abschütteln.

„Lass mich endlich los!“, ruft Annabell. Dann erklingt ein merkwürdiges Geräusch, dem ein Schmerzensschrei folgt. Ich reiße das Lenkrad herum, plötzlich wackelt das Auto und ein dumpfer Knall ertönt. Hinter mir hupt jemand wie verrückt, doch darauf kann ich gerade keine Rücksicht nehmen.

„Wir haben es geschafft!“, jubelt meine Tochter.

Mein Herz weiß nicht, ob es vor Freude hüpfen oder stehenbleiben soll, als ich realisiere, dass Henry nicht mehr im Wagen ist und stattdessen hinter mir auf der Straße vor einem roten Kleinwagen liegt.

O Gott! Habe ich ihn umgebracht?!, frage ich mich erschrocken. Trotzdem vermindere ich mein Tempo nicht.

„Kannst du die Tür zu machen?“, frage ich Annabell. Diese streckt sich, doch ihre Arme sind zu kurz und nicht kräftig genug. „Nein, es klappt nicht, Mama.“

„Wir fahren jetzt noch ein Stück und danach schließe ich deine Tür, okay?“, frage ich sie.

Sie nickt. „Ja, ich halte mich gut fest.“

*

Es dauert länger, als mir lieb ist, bis sich mein Puls minimal verringert hat und ich eine Stelle gefunden habe, an der ich kurz anhalten kann. Ich lasse den Schlüssel bei laufendem Motor stecken und schnalle mich ab. Dann springe ich aus dem Auto und hetze zu Annabells Tür, die ich schwungvoll zuwerfe. Zurück auf dem Fahrersitz betätige ich die automatische Verriegelung des Wagens. Dann atme ich noch einmal durch, um mich zu beruhigen, und wähle Martins Nummer, während ich mich wieder in den Verkehr einfädele.

„Hallo Luise, wo bist du?“, fragt er mich sofort.

„Unterwegs. Wir haben Annabells Sachen aus ihrer alten KITA geholt“, antworte ich und spüre, wie mir die Tränen kommen. Martins Stimme zu hören, ist tröstlich und trotzdem wird mir bewusst, wie knapp das gerade war.

„Henry hat eben versucht, Annabell zu entführen“, schluchze ich. „Wir … wir konnten ihn abschütteln, aber das Auto ist verbeult.“

„WAS?!“, ruft Martin und flucht. „Geht es euch gut?“

„J-ja“, stammle ich.

„Verdammt, Luise! Warum hast du niemandem gesagt, was ihr vorhabt? Ich hätte dich begleitet“, rügt mein Bruder mich. „Wo seid ihr? Soll ich euch abholen oder entgegenkommen?“

„Wir fahren gerade aus der Stadt heraus“, informiere ich ihn mit zitternder Stimme. „Ich … ich weiß nicht, ob Henry noch lebt. Er ist vor ein anderes Auto gefallen.“

Martin knurrt am anderen Ende. „So sehr ich es mir auch wünschen würde, bezweifle ich doch, dass er tot ist. So schnell bringt uns schließlich nichts um.“

Ich spüre Erleichterung in mir aufsteigen, weil ich niemanden getötet habe, doch gleichzeitig auch Angst davor, dass Henry uns erneut auflauern könnte.

„Fahr bis zur stillgelegten Tankstelle am nächsten Ortsausgang und warte dort. Ich komme euch holen“, weist Martin mich an.

„A-aber …“, setze ich an.

„Bitte hör auf mich“, meint mein Bruder. „Wir bringen dein Auto später ins Hotel. Nach diesem Schock solltest du nicht länger als nötig draußen herumfahren. Außerdem macht der Autowechsel es Henry schwerer, dich zu verfolgen. Bis gleich.“

Überrascht von dem plötzlichen Gesprächsende schaue ich einen Moment lang auf das nun schwarze Display meines Smartphones. Dann atme ich noch einmal tief durch und konzentriere mich auf meine Aufgabe.

*

Als ich eine Viertelstunde später am vereinbarten Treffpunkt ankomme, steht schon ein schwarzer Geländewagen dort. Kurz zuckt mein Fuß von der Bremse zum Gaspedal, doch als sich die Tür öffnet und Martin aussteigt, halte ich an. Röchelnd kommt das Auto zum Stehen. Ich ziehe schnell die Handbremse an, dann wird auch schon die Fahrertür geöffnet.

„Luise! Geht es dir gut?“ Besorgt mustert Martin mich. Ich will gerade nicken, als ein Zittern durch meinen Körper geht. Es schüttelt mich regelrecht.

„Gott! Ich hatte solche Angst!“, schluchze ich und falle förmlich in die Arme meines Bruders, als der mich abschnallt und aus dem Wagen zieht.

„Es ist alles gut“, tröstet er mich, während er mich mehr oder minder zu seinem Auto trägt.

„Ich hole Annabell auch gleich“, erklärt er, als ich schon zum Widerspruch ansetzen will. Schnell hat er mich auf den Rücksitz verfrachtet und kehrt zurück, um meine Tochter mitsamt Kindersitz in seinen Wagen zu bringen.

Annabell wirkt auch noch etwas blass um die Nase, als sie endlich sicher neben mir angeschnallt ist. Mein Herz bleibt stehen, als ich die roten Striemen an ihrem Hals sehe. „O Gott! Er hat dich doch erwischt. Das tut mir so leid, mein Schatz!“, keuche ich und umarme sie, so gut es geht.

„Alles gut, Mama. Es tut nur ein bisschen weh. Dafür habe ich ihn richtig dolle gebissen“, sagt sie mit einem gewissen Stolz.

„Das habt ihr toll gemacht“, lobt Martin. „Allerdings solltet ihr das Hotel nicht mehr verlassen, bis wir Henry geschnappt haben. Es ist einfach zu gefährlich.“

Ich nicke. „Natürlich. Jetzt gibt es auch keinen Grund mehr dazu. Ich wollte nur die letzten Verbindungen kappen.“

„Das verstehe ich“, sagt Martin. „Aber wenn du das nächste Mal Derartiges vorhast, nimmst du jemanden mit. So ungern ich das auch mache, werde ich den Jungs Bescheid geben, dass sie dich nicht alleine rauslassen dürfen.“

Bei seinem letzten Satz rutscht mir das Herz in die Hose. Mein Bruder ist wütend auf mich, auch wenn er das nicht zeigt, und offenbar ist er der Meinung, dass ich mich nicht an sein Verbot halten werde.

„Okay“, flüstere ich kleinlaut.

Über den Rückspiegel wirft er mir einen ernsten Blick zu. „Es ist nicht, dass ich dir nicht vertrauen würde. Aber lieber sorge ich vor, als mir ewig Vorwürfe zu machen.“

„Wir bleiben im Hotel“, versichert Annabell. „Vielleicht kann Oma ja irgendwann mal zu uns kommen oder Tante Heike.“

„Das geht auf jeden Fall“, stimmt Martin zu. Dann herrscht erst einmal Schweigen. In meinem Kopf überschlagen sich die Gedanken, während sich zwei Gewissheiten festsetzen: Henry hat jegliche Zurückhaltung über Bord geworfen und wollte Annabell benutzen, um mir zu schaden. Und durch meine unbedachte Handlung bin ich auf dem Gelände des Literary Passion eingesperrt.

Das ertrage ich nicht, wenn ich die ganze Zeit untätig in meiner Wohnung hocke, wird mir bewusst. Außerdem will ich nicht länger nur eine Last für andere sein. Sobald wir zurück sind, werde ich mich um Arbeit kümmern. Unsicher werfe ich einen Blick zu meinem großen Bruder, meinem neuen Alpha. Äußerlich wirkt er gefasst und im Gegensatz zu unserem Vater ist er gnädig mit meiner Fehlentscheidung umgegangen. Ich bin sehr froh, dass ich in seinem Rudel sein darf und er mir hilft, ein neues Leben aufzubauen. Martin sorgt sich um Annabell und mich, wie er eben noch einmal beweisen hat. Trotzdem oder vielleicht deswegen wird er von meiner Idee wahrscheinlich nicht begeistert sein.

Ich schaffe das!, rede ich mir gut zu.

Als wir einige Zeit später das Tor des Literary Passion passieren, fühle ich mich erleichtert. Hier kann Henry uns nichts tun.

„Martin. Ist alles in Ordnung?“

Ich zucke zusammen, als ich diese Worte höre. Mir war gar nicht aufgefallen, dass mein Bruder das Auto angehalten hat.

„Hallo Omar, ja, es geht allen den Umständen entsprechend gut. Gibst du bitte die Info an die anderen weiter, dass Luise und Annabell nur in Begleitung das Hotel verlassen dürfen? Henry hat ihnen eben außerhalb aufgelauert.“

„Ja, natürlich“, erwidert der Inkubus, während ich am liebsten vor Scham im Erdboden versinken würde. Die Situation ist mir peinlich, und dass ausgerechnet Omar Sutech als Erster von meiner Ausgangssperre erfährt, macht mir mehr aus, als ich gedacht hätte. Generell hat dieser Mann eine sonderbare Wirkung auf mich, weshalb ich mir Mühe gebe, ihm aus dem Weg zu gehen. Mir war gar nicht bewusst, dass er heute Dienst hat. Vorhin hatte mir einer der Werwölfe aus dem Rudel das Tor geöffnet.

Ich atme auf, als Martin weiterfährt und den Geländewagen in der Garage abstellt. Noch immer ein wenig zittrig schnalle ich mich ab und helfe Annabell dabei, ihren Gurt zu lösen. „Geht es dir wirklich gut, mein Schatz?“, frage ich. Sie nickt. „Ja, Mama. Es tut mir leid, dass ich vorhin noch ein Eis wollte.“

„Ach, Annabell. Dafür musst du dich wirklich nicht entschuldigen“, erwidere ich, während sich mein Herz zusammenzieht. „Ich war unvorsichtig und habe nicht damit gerechnet, dass er uns so schnell aufspüren würde.“

Martin öffnet die Tür. „Wir werden uns Gedanken machen, wie wir Henry das Handwerk legen können. Bis dahin bleibt ihr bitte im Hotel. Ich bin sicher, dass Francis auch irgendwo Eis versteckt hat. Wenn ihr etwas benötigt, dann sagt mir Bescheid. Wir kümmern uns um eure Einkäufe, bis sich alles beruhigt hat.“

„Danke“, sage ich und steige endlich aus. Ich nehme Annabells Hand und meinen ganzen Mut zusammen. „Martin. Ich will arbeiten gehen und etwas zu unserem Unterhalt beitragen.“

Überrascht schaut er mich an, bevor er die Augenbrauen zusammenzieht. „Luise, denkst du nicht, dass es noch zu früh dafür ist? Du bist noch mitten im Heilungsprozess und hast Schlimmes hinter dir.“

„Ich bin stark genug“, widerspreche ich. „Außerdem werde ich wahnsinnig, wenn ich nichts habe, mit dem ich mich beschäftigen kann.“ Ich sehe ihn flehend an. „Bitte! Irgendetwas wird es doch im Hotel geben, was ich tun kann. Ich weiß, ich kann keinen Berufsabschluss vorweisen, aber ich würde es sicherlich hinbekommen, die Zimmer zu putzen oder Hilfstätigkeiten auszuführen.“

Martin seufzt und fährt sich mit der Hand durch seine kurzen blonden Locken. „Na gut. Ich überlege mir etwas und rede dann mit Marco und Frau Krüger. Aber du musst mir versprechen, dass du vorsichtig bist. Du bist meine Schwester und in einer Notlage. Es ist selbstverständlich, dass wir dir helfen. Fühl dich bitte nicht verpflichtet, jetzt unbedingt arbeiten zu gehen, obwohl es dir nicht gut geht.“

„Ich möchte arbeiten gehen“, bekräftige ich. „Henry hat das nie zugelassen. Annabell ist tagsüber eh im hoteleigenen Kindergarten. Ich möchte nicht in meiner Wohnung sitzen und versauern, wenn ich etwas Sinnvolles tun könnte.“

„Okay“, lenkt Martin ein. „Frau Krüger wird dann auf dich zukommen und dir alles zeigen, was du für deine Arbeit wissen musst.“

„Danke“, sage ich und versuche mich an einem kleinen Lächeln.

Gemeinsam verlassen wir die Garage und treten hinaus in den Sonnenschein. Der Frühling ist endlich da und das Zwitschern der Vögel hilft mir, die furchtbaren Erlebnisse aus meinem Bewusstsein zu verdrängen.

Jetzt wird alles gut, rede ich mir ein. Natürlich ist das eine Illusion, denn Henry ist noch irgendwo da draußen. Doch ich klammere mich an die kleine Hoffnung, dass er mir hier in Hotel nicht gefährlich werden kann.

3. Kapitel (Omar)

Zwei Wochen später…

Seltsam unruhig betrachte ich die Monitore der Überwachungskameras. Dort ist nichts Ungewöhnliches zu sehen. Die Nacht scheint friedlich zu sein und die meisten Hotelgäste und -angestellten liegen schon längst in ihren Betten.

„Geh raus und reagiere dich ab. Ich werde ja selbst ganz hibbelig“, sagt Marco neben mir. Neugierig sieht er mich an. „Hast du Hunger oder musst du dich anderweitig austoben?“

Unsicher zucke ich mit den Schultern und stehe auf. „Entschuldige. Ich weiß nicht, was mit mir los ist. Irgendetwas reizt meine Sinne. Ich kann nur nicht zuordnen, was.“

Der schwarzhaarige Vampir neigt den Kopf und lauscht in die Nacht. Ich weiß, dass er mit seinen sensiblen Sinnen die Umgebung absucht. Momentan geht es eigentlich friedlich im Literary Passion zu. Das ist auch gut so, denn in den letzten Wochen und Monaten gab es genug, teilweise sogar blutige, Konflikte. Ein wenig Ruhe können wir alle gebrauchen.

Doch keiner von uns glaubt, dass Henry Luise einfach aufgeben wird. Vor nicht einmal zwei Wochen hat er versucht, Annabell zu entführen, und ist seitdem wieder abgetaucht. Ich weiß, dass Marco einen Weg gefunden hat, Henrys Konto zu überwachen und er auch dessen alte Wohnung im Blick hat. Doch bisher ist es dem Vampir noch nicht gelungen, diesen verkommenen Werwolf aufzuspüren.

„Also ich kann niemanden außerhalb oder innerhalb des Geländes wahrnehmen, der da nichts zu suchen hat.“ Aufmerksam mustert Marco mich. „Vielleicht hängt deine Unruhe ja mit einer gewissen jungen Dame zusammen, die seit vier Wochen bei uns wohnt. Mir ist schon aufgefallen, dass sie eine besondere Wirkung auf dich hat, alter Freund.“

Diesem Vampir entgeht so gut wie nichts. Ihm gehört das Literary Passion und auf gewisse Weise ist er für alle auf dem Gelände verantwortlich. Das bedeutet jedoch auch, dass er einen manchmal auf gewisse Dinge stößt, die man lieber verdrängen würde. So wie dieses Detail. Ich verschränke die Arme vor dem Körper und versuche, eine unbeteiligte Miene zur Schau tragen. „Keine Ahnung, wen du meinst.“

Marco lacht nur. Eine Regung, die man dem ernsten und eher kühl wirkenden Vampir selten entlockt. „Na klar und ich bin eine Waldnymphe, die jeden Vollmond nackt um den See tanzt. Nicht, dass Daphne das tun würde.“

„Sie ist tabu“, erwidere ich nur und übergehe den Scherz.

„Sagt wer?“

Leicht entnervt fahre ich mir mit den Händen durch meine kurzen schwarzen Haare. Seit Luise in dieser verhängnisvollen Nacht vor vier Wochen hier aufgetaucht ist, geht sie mir nicht mehr aus dem Kopf. Viel zu gut kann ich mich an ihre Verzweiflung und den Schmerz erinnern, die sie ausstrahlte, nachdem sie nicht nur ihr Baby verloren hatte, sondern kurz darauf wieder von Henry terrorisiert worden war. Ihr Schicksal berührt etwas tief in mir, weshalb es mir schwerfällt, sie nicht zu beachten. Aus irgendeinem mysteriösen Grund möchte ich, dass es ihr und ihrer kleinen Tochter gut geht.

„Jeder mit ein bisschen Verstand. Du weißt doch, was sie hinter sich hat, und außerdem ist sie Martins jüngere Schwester!“

Als ein triumphierender Ausdruck in Marcos dunkelbraune Augen tritt, wird mir klar, dass ich zu viel gesagt habe.

Shit.

„Wusste ich’s doch.“ Er neigt den Kopf. „Ich kenne dich lange genug, um einschätzen zu können, was deine Gefühlsregungen zu bedeuten haben. Natürlich fehlt mir deine Sicht auf die Auren der Leute hier, aber die Signale, die du aussendest, sind deutlich genug für mich. Martin will seine Schwester beschützen, aber ich denke nicht, dass er dir den Kopf abreißt, wenn du ähnliche Ambitionen hegst. Glaubst du wirklich, dass er nicht mitbekommt, wie du sie ansiehst?“

Unangenehm berührt blicke ich zu Boden. Mir war nicht klar, dass ich mich so schlecht unter Kontrolle habe. „Ich bin nur höflich und mache mir Sorgen.“

„Natürlich.“ Der Vampir zieht, ob meiner lahmen Ausrede, nur eine schwarze Augenbraue in die Höhe. „Es fällt auf, dass du versuchst, sie nicht zu beachten und kläglich daran scheiterst, sobald du dich unbeobachtet wähnst. Dir sollte nur bewusst sein, dass es schwierig sein dürfte, Luise näherzukommen, und in dieser ganzen Sache noch ein Kind mit drinhängt.“

„Glaub mir, das weiß ich sehr wohl“, gebe ich gereizt zurück. „Das Letzte, was sie jetzt braucht, ist eine neue Beziehung. Sie benötig erst einmal Zeit zum Heilen und Frieden.“

„Vielleicht findet sie die letzten beiden Dinge tatsächlich hier, aber es kann durchaus sein, dass sie dafür Hilfe benötigt.“ Marcos Worte treffen einen empfindlichen Nerv. „Egal, was du vorhast, sei vorsichtig. Ihre Vergangenheit wird sie wohl noch eine ganze Weile malträtieren und immer wieder einholen, selbst wenn alles rosig scheint. Das dürfte für alle eine Zerreißprobe werden.“ Er deutet auf die Tür hinter sich. „Und jetzt raus mit dir. Solange du dich nicht abreagiert hast, will ich dich nicht wieder sehen.“

Ich schnaube ungehalten, befolge jedoch seinen Befehl. Marco ist mein Chef, ein Freund und er hat recht. Letzteres nervt mich ungemein.

Erleichtert atme ich die kühle Nachtluft ein, als ich aus der Sicherheitszentrale trete. Hier wirkt alles friedlich und für einen winzigen Moment gestatte ich mir die Illusion, dass ich unbeobachtet bin. Auf Marcos Grund und Boden ist man das nie wirklich. Mir ist es zwar noch immer ein Rätsel, wie er es schafft, aber dem alten Vampir entgeht nichts oder nur sehr, sehr wenig. Seit Marco mit Lena zusammen ist, gibt es allerdings durchaus Momente, in denen er mit anderen Dingen beschäftigt ist. Bei diesen Gedanken muss ich unweigerlich grinsen, denn die junge Polizistin hat ganz schön Schwung in die Bude gebracht.

Als ich ein ängstliches Keuchen höre, sind meine Sinne sofort in Alarmbereitschaft. Ganz automatisch konzentriere ich mich auf meine dämonische Seite und suche nach einer Aura, die eisblau leuchtet. Einige Gefühle lassen sich sehr einfach bestimmen und für mich als Inkubus sind starke Emotionen ein Festschmaus. Nur bevorzuge ich in der Regel eine andere Geschmacksrichtung, die es hier in einem Bordell für Frauen zuhauf gibt. Lust ist eher süßlich, während Angst für mich immer einen herben, leicht bitteren Nachgeschmack hat.

Schnell kann ich die Quelle des Gefühls ausfindig machen und eile dorthin. Kurz frage ich mich, ob wir einen Eindringling übersehen haben, doch das ist ausgeschlossen. Da es aktuell keine Konflikte innerhalb des Hotels gibt, dürfte die Ursache wohl in der Traumwelt liegen. Als mir bewusst wird, wer da gerade von schrecklichen Albträumen gequält wird, zieht sich mein Herz schmerzhaft zusammen.

Luise!

Ich blicke zu ihrem Fenster hinauf und fälle eine folgenschwere Entscheidung. Was ich jetzt tue, dürfte unsere Beziehung zueinander für immer verändern, aber ich kann ihr Leid einfach nicht ertragen. Eilig steuere ich auf eine alte Eiche zu und lasse mich in ihrem Schatten nieder. Das fahle Mondlicht verbirgt meine dunkle Gestalt, doch aufmerksame Beobachter könnten mich erspähen und sich fragen, was ich mitten in der Nacht hier mache. Dennoch halte ich an meinem Entschluss fest und schließe die Augen. Sanft gleite ich in die Traumwelt hinüber und wappne mich innerlich gegen den Schrecken, den ich gleich zu sehen bekommen werde.

Die Traumwelt ist riesig und der Übergang wenig spektakulär. Am Anfang ist sie nichts als ein grauer Nebel ohne oben oder unten. Kein Himmel, nichts. Ein formloses Etwas, das von den Träumenden und uns Inkuben und Sukkuben nach Lust und Laune gestaltet werden kann. Wobei wir Dämonen oder Traumwandler, wie wir uns selbst nennen, hier die Herrscher sind. Doch natürlich gibt es auch eine dunkle Seite. In den Tiefen hausen finstere Wesen, verlorene rachsüchtige Seelen, die Träumende terrorisieren, um ihnen Lebensenergie zu stehlen, und auch uns Inkuben und Sukkuben gefährlich werden können.

Bei Luise bin ich mir recht sicher, dass es ihr Trauma ist, verursacht durch die jahrelangen Misshandlungen, die ihr diese schrecklichen Träume bescheren.

Falls sich doch ein Traumwandler an ihr vergreifen sollte, bekommt er es mit mir zu tun!, schwöre ich.

Es ist deutlich einfacher, jemanden aufzuspüren, der einem in der realen Welt nahe ist, oder wenn man den Namen der Träumenden kennt. Bei Luise ist beides der Fall, weswegen ich mich zielstrebig auf einen schwarzgrau flimmernden Bereich zubewege, der typisch für einen Albtraum ist. Sachte durchbreche ich den finsteren Außenbereich des Traumgebildes, was sich immer anfühlt, als würde man durch eine Wand aus eiskaltem Wasser laufen. Solange ich es nicht möchte, sieht man mich nicht, was sehr praktisch sein kann. Das gilt allerdings auch für andere Traumwandler.

Als ich Luise in dem dunklen Raum ausfindig gemacht habe, stockt mir der Atem, und eine eisige Gänsehaut überzieht meinen Körper.

Verdammt! Ich muss ihr helfen.

4. Kapitel (Luise)

Ich will das nicht mehr!

Lautlos verlässt dieser Schrei meinen Mund, während ich verzweifelt gegen die Erinnerungen ankämpfe. Am Rande meines Bewusstseins weiß ich, dass das ein Traum ist, trotzdem ist die Panik real, die durch mit hindurchfließt. Schließlich weiß ich aus leidvoller Erfahrung, dass ich Henry nicht entkommen kann – weder im echten Leben noch im Traum.

Meine Finger krallen sich in meine Bettdecke, während ich die Augen zusammenkneife und wimmernd höre, wie sich schwere Schritte nähern.

„Ah, da bist du ja, mein Schatz.“ Allein seine Stimme lässt das Blut in meinen Adern gefrieren. Auf andere mag sie schmeichelnd wirken, doch ich kenne Henrys dunkle Seite nur zu gut. Als seine Hand nach der Decke greift, wappne ich mich für das kommende Grauen. Nur will es mir nicht gelingen. Leise schreie ich auf, als mich der erste Schlag an der Wange trifft.

„Du lernst einfach nicht dazu, Luise. Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass du mir als meine Frau zu gehorchen hast?“, knurrt er verächtlich.

Obwohl ich weiß, was passieren wird, lasse ich die Decke nicht los. Sie ist wie mein Schutzschild, auch wenn das eine Illusion ist. Doch wie ein Kind hoffe ich, dass er meinen Körper nicht beachtet, wenn er vor seinen gierigen Blicken verborgen bleibt. Bei der nächsten Ohrfeige zucke ich unwillkürlich zusammen. Das nutzt mein Folterknecht aus, um mir die Decke zu entreißen. Triumphierend thront er über mir und leckt sich vorfreudig über die Lippen. Zu Beginn hatte er sich noch gezügelt und hat sich mir einfach aufgedrängt, doch mit der Zeit zeigte mein Ehemann sein wahres Gesicht. Ihm bereitet es Vergnügen, mich zu quälen, es macht ihn geil. Ganz deutlich kann ich seine Lust riechen und der Ständer in seiner Hose ist unübersehbar.

Ekel steigt in mir auf, doch er wird mich nicht retten, deswegen unterdrücke ich die Übelkeit. Wenn das vorbei ist, werde ich mich zum Bad schleppen, mich übergeben und dann zitternd in der Dusche zusammenbrechen, während ich versuche, ihn von meiner Haut zu schrubben.

Brutal zerrt Henry mich hoch und presst mich gegen die nächstbeste Wand. Eine leichte Alkoholfahne weht mir entgegen und steigert meine Furcht. Nüchtern ist er schlimm genug. Wenn er angetrunken ist, dann wird selbst die schnelle Regeneration meines Körpers nicht ausreichen, um die Verletzungen bis zum Morgen vollständig verschwinden zu lassen. Aus Reflex versuche ich, mich gegen ihn zu wehren, obwohl es sinnlos ist. Henry ist viel stärker als ich und Gegenwehr spornt ihn nur noch mehr an.

„Du weißt einfach nicht, wo dein Platz ist.“ Der darauffolgende Schlag lässt Sterne vor meinen Augen tanzen. Schmerzerfüllt keuche ich und verfluche mich gleichzeitig für meine Schwäche. Ich schlucke die Pein hinunter und versuche, meinen Körper taub werden zu lassen. Nichts mehr zu fühlen, keine Regung zu zeigen – mein Bewusstsein abzutrennen, um diesen Schrecken irgendwie zu überstehen.

Seine Hände greifen nach mir und kneifen in mein Fleisch. Der dünne Stoff meines Nachthemds zerreißt und ein kalter Luftzug streicht über meine Haut. Wäre ich ein Mensch, so würde sie wohl mit Kratzern, blauen Flecken und wohl auch Narben übersät sein, doch als Werwölfin verheilen alle Verletzungen so schnell, dass niemand Henrys Treiben entdecken kann. Ein Fakt, den er mir nur zu gern unter die Nase reibt.

Wer würde mir denn glauben, wenn ich nie einen Beweis für meine Behauptungen erbringen könnte?

Die Polizei bestimmt nicht und in meinem Rudel kann ich auch nicht auf Unterstützung hoffen, da mein Vater Henry mittlerweile hörig ist. Als Alpha wäre er mein Ansprechpartner, derjenige, der Henry für seine Vergehen zur Rechenschaft ziehen müsste, doch das wird nie geschehen.

Brutal greift Henry mir zwischen die Beine und rammt seine Finger in mich. Schmerz durchzuckt mich, doch das ist kein Vergleich zu dem, was noch kommen wird.

„Na, das gefällt dir doch, oder?“, keucht er an meinem Hals, während er mich weiterhin misshandelt.

Ich presse die Kiefer zusammen, damit mir kein Laut, kein leises Stöhnen entweicht. Jedes noch so winzige Geräusch wird er als Ansporn nehmen und in seinem Wahn ignorieren, dass nicht Lust oder Vergnügen die Ursache dafür sind.

Als seine Zähne in die empfindliche Haut meines Halses beißen, entkommt mir jedoch ein leises Keuchen. Die Stelle brennt und ich bin mir sicher, dass seine Zahnabdrücke deutlich zu sehen sind.

Rau lacht er. „Ich wusste doch, dass du das geil findest, du verdorbenes Luder.“

Nur zu gern würde ich ihn von mir stoßen und diese Qual beenden, doch ich kann es nicht. Ein paar Mal habe ich das versucht – mit dem Endergebnis, dass er mich so übel zugerichtet hat, dass ich am nächsten Tag kaum laufen konnte.

„Wehre dich gegen ihn“, flüstert mir eine tiefe Stimme zu und ich spüre, wie eine seltsame Wärme meinen Körper umschließt.

Ich kann nicht!, denke ich verzweifelt.

„Doch. Es ist nur ein Traum – dein Traum. Du hast die Kraft, ihn zu verändern“, beharrt sie.

Als Henry sich an seinem Gürtel zu schaffen macht und mich dafür einen kurzen Moment loslässt, erfüllt mich die nackte Panik. Langsam und so unauffällig wie möglich rutsche ich von ihm weg. Immer an der Wand entlang, damit er nicht noch einen Angriffspunkt hat. Verstohlen spähe ich zur Tür und überlege, ob ich eine Flucht wagen könnte.

Nur wohin?, frage ich mich verzweifelt. Wenn ich ins Zimmer meiner Tochter fliehe, dann wird er seine Wut nur an uns beiden auslassen. Bevor ich zulasse, dass er Annabell anrührt, sterbe ich lieber.

Diese kleine Unaufmerksamkeit kommt mich jedoch teuer zu stehen. Henrys Faust saust auf mich zu. Wie durch ein Wunder kann ich im letzten Moment davor wegzucken. Krachend trifft sie stattdessen die Wand, nur wenige Millimeter von meinem Ohr entfernt. Mit aufgerissenen Augen schaue ich zu meinem Folterknecht und kann noch gar nicht fassen, dass ich etwas bewirkt habe.

„Wehre dich. Du bist nicht so machtlos, wie du dich fühlst.“

Seltsamerweise spüre ich Hoffnung in mir aufsteigen.

Vielleicht kann ich tatsächlich etwas bewirken, wenigstens im Traum.

„Natürlich kannst du das. Tritt ihn dorthin, wo er es verdient hat“, flüstert mir dieser Fremde zu. Beinahe wie von selbst bewegt sich mein linkes Bein. Schwungvoll landet mein Knie in Henrys Schritt. Nun ist er es, der mich fassungslos anglotzt.

„Was?“, keucht er und sackt auf die Knie.

Erschrocken über mich selbst, sehe ich auf ihn hinab. Bisher verlief dieser Albtraum nie derartig und die Realität war nicht besser.

„Schnell, nimm dir die Nachttischlampe und schlage ihn nieder. Wenn er K. o. ist, endet auch der Albtraum.“

Ich verspüre einen sanften Schubs in Richtung Bett und stolpere nach vorn. Zögerlich betrachte ich die metallene Lampe, doch dann greife ich danach und ziehe mit einem kräftigen Ruck den Stecker aus der Dose.

„Beeil dich!“, drängt mich die Stimme. Als ich mich umdrehe, sehe ich, dass mein sadistischer Ehemann sich wieder auf die Füße kämpft. Erschrocken will ich meine Behelfswaffe fallen lassen, doch eine merkwürdige Kraft erfüllt mich. Hektisch überwinde ich die Distanz und lasse den breiten Fuß der Nachttischlampe auf Henrys Kopf niedersausen. Ein unheilvolles Knirschen ertönt, wird aber von seinem verblüfften „Uff“ und dem dumpfen Geräusch abgelöst, dass sein Körper macht, als er auf dem Fußboden auftrifft.

Zitternd starre ich auf die zusammengesunkene Gestalt meines Ehemannes. Seine dunkle Jeans ist ihm über den Hintern gerutscht und zeigt deutlich, wie knapp ich einer erneuten Schändung entkommen bin. Henrys Gesicht ist von mir abgewandt, sodass ich in seinen kurzen braunen Haaren eine blutende Wunde ausmachen kann. Ich zucke zusammen, als ich warme Hände auf meinen Armen spüre, dann werde ich in eine dicke Decke gehüllt.

„Schsch. Es ist vorbei.“

Obwohl ich mich fürchten sollte, beruhigt mich diese seltsame Stimme, die offenbar nur ich hören kann. Henry hatte überhaupt nicht darauf reagiert.

„Wer bist du?“, frage ich.

„Ein Freund. Komm, ich führe dich fort von diesem schrecklichen Ort.“

Noch bevor ich etwas darauf erwidern kann, verschwimmt alles um mich herum. Statt in meinem alten Schlafzimmer stehe ich nun in einem wunderschönen Garten. Die Sonne scheint warm auf mich herab und die Vögel zwitschern fröhlich. Selbst bunte Schmetterlinge flattern herum und ein leichter Windhauch trägt den süßlichen Duft von Flieder zu mir. Staunend betrachte ich meine neue Umgebung und klammere mich an meine Decke, weil ich Angst habe, sonst den Boden unter den Füßen zu verlieren.

„Komm. Ich weiß etwas, das die Kälte aus deinen Gliedern vertreiben sollte“, flüstert der Wind.

„Wo bist du?“ Suchend drehe ich mich um meine eigene Achse, kann jedoch niemanden entdecken.

„Überall. Das ist mein kleines, privates Paradies in der Traumwelt. Ich kann alles nach Belieben formen.“

Wie zur Bestätigung erscheint plötzlich eine große, goldene Badewanne. Passend dazu noch ein Paravent mit orientalischem Muster, der die Wanne vor Blicken abschirmt. Neugierig trete ich näher und inhaliere den angenehmen Rosenduft, der von dem warmen Wasser aufsteigt, das vollständig unter dunkelroten Blütenblättern verborgen scheint.

„Möchtest du ein Bad nehmen?“, fragt er mich sanft.

Obwohl ich meinen mysteriösen Helfer nicht sehen kann, spüre ich ihn in meiner Nähe. Unter diesen Umständen könnte ich mich unmöglich ausziehen und in die Badewanne steigen. Die letzten Jahre haben mich gelehrt, dass es immer besser ist, wenn man weiß, von wo die Gefahr droht.

„Warum versteckst du dich vor mir?“

„Ich will dir keine Angst machen“, antwortet er.

Ich lache freudlos. „Du denkst, dass es beruhigender ist, wenn ich gar nicht einschätzen kann, ob du gleich über mich herfällst?“

„Das werde ich nicht, aber ich kann dein Misstrauen vollkommen verstehen.“

Die Luft flimmert, dann erscheint eine dunkle Gestalt in gebührendem Abstand, die mir bekannt vorkommt.

Wie könnte ich diese Augen vergessen, denke ich und spüre, wie mir ein Schauer über den Rücken läuft. Ob aus Furcht oder anderen Gründen, kann ich nicht sagen.

„Herr Sutech!“, flüstere ich überrascht und weiche automatisch zurück.

Er verzieht das Gesicht ein wenig bei meiner förmlichen Anrede. „Omar, wenn es dir nichts ausmacht. Du weißt doch, dass wir uns untereinander alle duzen. Einzig unsere menschlichen Angestellten sind an die Förmlichkeit gegenüber ihren Weisungsbefugten gebunden.“

Mein Entsetzen ist groß, als mir bewusst wird, dass ausgerechnet er miterlebt hat, wie ich von Henry malträtiert wurde. Schon wieder ist er Zeuge einer unangenehmen Situation. Scham steigt in mir auf und meine Wangen glühen. Schnell wende ich mich ab.

„Vielen Dank für Ihre – deine – Hilfe. Du musst dich nicht weiter um mich kümmern. Ich komme zurecht.“

„Ich wünschte, ich könnte dich von diesen Albträumen befreien, doch solange das Trauma so frisch ist, wird es immer wieder an die Oberfläche drängen.“ Sein Seufzer klingt alles andere als glücklich.

Das wäre zu schön, um wahr zu sein, denke ich. Ebenso wie dieses Szenario hier. Mein ganzes Leben im Literary Passion ist so unwirklich. Omar sehe ich vergleichsweise selten. Er gehört zu den Sicherheitsleuten, so wie Martin. Da gibt es nicht viele Berührungspunkte.

Komm, gib zu, dass du um Omar einen Bogen gemacht hast, ermahnt mich meine innere Stimme.

Warum weiß ich selbst nicht so genau. Immerhin war er es, der mich in dieser verhängnisvollen Nacht eingelassen und sich um mich gekümmert hat, bis Martin zur Stelle war. Nach den schrecklichen Erlebnissen mit Henry war mir die Gegenwart eines fremden Mannes mehr als unangenehm, doch er verhielt sich so lieb und blieb geduldig mit mir. Seitdem gehen mir seine goldenen Augen einfach nicht aus dem Kopf und jedes Mal, wenn wir uns über den Weg laufen, fühle ich mich merkwürdig. Das alles macht mir Angst. Nun hat er auch noch meine ständigen Albträume hautnah miterlebt und meine Schwäche gesehen.

„Hey, du brauchst dich nicht vor mir zu fürchten, Luise.“

Seine leise Stimme reißt mich aus meinen Gedanken. Zögerlich werfe ich einen Blick über die Schulter und komme mir unglaublich dämlich vor.

Er hat es sich auf dem weichen Gras gemütlich gemacht und mustert mich ernst. Sein Gesicht ist ebenmäßig und durchaus attraktiv, die kurzen schwarzen Haare sind gepflegt, wie alles an ihm. Omar besitzt einen goldbraunen Teint, was durch das weiße Hemd, das er zu dem schwarzen Anzug trägt, noch betont wird. Die elegante Dienstkleidung steht ihm ausgesprochen gut und hebt seinen schlanken und dennoch muskulösen Körperbau positiv hervor.