Schutzengel mit Biss
- Zauberhafte Dresdner Weihnacht -
Vanessa Carduie
Das Buch
Glühweinduft, Weihnachtsfeeling und ein geheimnisvoller Retter
Um ihr Einkommen aufzubessern, jobbt die Studentin Sina auf dem Dresdner Striezelmarkt. Als sie eines Abends von drei ungehobelten Kerlen bedrängt wird, kommt ihr ein mysteriöser Fremder zu Hilfe.
Was sie nicht ahnt – ihr Retter Jakob ist ein Vampir. Dieser ist so fasziniert von der jungen Frau, dass er einen folgenschweren Fehler begeht und sich daher aus ihrer Erinnerung löschen muss.
Am nächsten Morgen kann sich Sina nicht mehr an ihren Retter erinnern. Dafür verfolgen sie lebhafte Träume, die ein ganz anderes Bild von den schrecklichen Ereignissen der Nacht zeichnen.
Wie viel Wahrheit steckt in diesen Träumen von einem dunklen Schutzengel? Haben sie etwas mit der schwarzen Gestalt zu tun, die über sie zu wachen scheint, wenn Sina nachts von ihrer Arbeit nach Hause fährt?
Als sie den dunklen Verfolger eines Nachts zur Rede stellt, entpuppt dieser sich als der mysteriöse Mann aus ihren Träumen – Jakob.
Doch ist dieser wirklich eine Art Schutzengel oder eher ein wahr gewordener Albtraum?
Eine romantische Kurzgeschichte mit Biss für die „Zauberhafte Dresdner Weihnacht“.
Die Autorin
Vanessa Carduie erblickte an einem grauen Herbstmorgen 1988 in Dresden das Licht der Welt. Geschichten faszinierten sie von klein auf und bald folgten die ersten eigenen Erzählungen. Sie hat Biologie studiert und widmet sich seit einigen Jahren aktiv ihrer Schreibleidenschaft.
Ihre Geschichten sind eine Mischung aus Liebesroman, Krimi und Fantasy, je nachdem, an welchem Projekt sie gerade arbeitet. Mit ihren Büchern möchte sie ihre Leserinnen und Leser zum Lachen, Weinen und manchmal auch zum Nachdenken bringen. Dafür beschreitet sie auch gern ungewöhnliche Wege.
Impressum
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
Text Copyright © 2024 Vanessa Carduie
Dieses Buch unterliegt dem deutschen Urheberrecht. Das Vervielfältigen oder Veröffentlichen dieses Buches oder Teilen davon, ohne Zustimmung der Autorin, ist untersagt.
Cover: Margarethe Alb
Buchsatz (Taschenbuch): Phantasmal-Image.de
Korrektorat: A.C. LoClair
Lektorat: Jeanette Lagall - lektorat-lagall.de
1. Auflage (25.10.2024)
Vanessa Carduie
c/o WirFinden.Es
Naß und Hellie GbR
Kirchgasse 19
65817 Eppstein
Widmung
Für alle großen und kleinen Heldinnen und Helden, die jedem von uns auf die eine oder andere Weise den Tag retten!
Ich bin froh, dass es euch gibt!
Vorwort
Diese Geschichte erscheint unter dem Label „Zauberhafte Dresdner Weihnacht“.
Idee und Konzept dieser Reihe wurden 2021 von der Kinderbuchautorin Ines Wiesner entwickelt. Seitdem veröffentlichen verschiedene Autorinnen alljährlich weihnachtliche Geschichten aus der schönen Stadt Dresden in unterschiedlichen Genres unter diesem Label.
Herzlichen Dank, liebe Ines, dass ich dieses Jahr mit einer Geschichte dabei sein darf!
Glühweinrezept
Zutaten:
1 Liter trockener Rotwein
50 ml Rum
2 Saftige Bio-Orangen, in Scheiben geschnitten
2 saftige Orangen, ausgepresst
7 Nelken
2 Zimtstangen
1 Sternanis
50 g brauner Kandiszucker, je nach Geschmack auch mehr
Zubereitung:
Den Rotwein, die Gewürze, die Orangenscheiben und den frisch ausgepressten Orangensaft in einen Topf geben und bei niedriger Stufe erhitzen, jedoch nicht kochen lassen! Sonst verfliegt der Alkohol. Dann den Rum und den Zucker hinzugeben, rühren und nochmals kurz erhitzen.
Die Gewürze und Orangenscheiben abseihen, z.B. indem man den Wein durch ein Sieb gießt, und den Glühwein sofort heiß servieren!
Alternativ kann man auch Traubensaft und Rumaroma nehmen, wenn man lieber alkoholfrei genießen möchte. Dann benötigt man jedoch keinen zusätzlichen Zucker.
Lasst es euch schmecken!
Eure Vanessa
1. Kapitel
Lärm umgab sie – bestehend aus dem Gedudel der immer gleichen Weihnachtsmusik und zahlreichen Gesprächen der unersättlichen Massen, die sich auch von horrenden Preisen den Spaß nicht verderben ließen. Die Luft war geschwängert vom Duft des Glühweins, den es an jeder zweiten Bude gab. Darunter mischten sich die Gerüche der vielfältigen Snacks und Gerichte, die neben Holzkunst aus dem Erzgebirge, Herrnhuter Sternen oder anderem Kram, der als weihnachtlich oder Geschenk tauglich eingestuft wurde, auf dem Weihnachtsmarkt verkauft wurden.
Müde und genervt strich Sina eine blonde Haarsträhne aus ihrem Gesicht, während sie sich umdrehte, um den gewünschten Glühwein zu zapfen.
„Hey Süße! Wann hast du denn Feierabend?“, rief der Kerl mit modisch gestyltem Blondschopf und teuren Markenklamotten, der auf der anderen Seite der Theke stand und eben bei ihr bestellt hatte. Sina verdrehte die Augen und fügte ihrer gedanklichen Strichliste für dumme Anmachsprüche einen weiteren Strich hinzu.
„Das wären dann dreißig Euro“, sagte sie, als sie die drei Tassen vor dem Kunden und seinen Freunden abstellte.
„Für deine Telefonnummer oder bekomme ich dafür einen Blowjob?“, konterte der Typ und grinste breit. Seine Kumpel lachten dreckig und schlugen sich gegenseitig auf die Schulter. Offenbar hatten sie mehr Geld als Hirn, von Anstand ganz zu schweigen.
„Für den Glühwein. Das Pfand beträgt fünf Euro pro Tasse“, erklärte Sina so ruhig wie möglich, auch wenn sie dem Widerling am liebsten das Heißgetränk ins Gesicht geschüttet hätte. Doch dann wäre sie ihren Job los und da sie den Verdienst brauchte, war das keine Option. „Wenn Sie den Glühwein nicht haben wollen, gehen Sie einfach zur Seite. Es warten noch genug Leute hinter Ihnen“, setzte sie nach, als diese Mistkerle keine Anstalten machten, zu bezahlen.
„Wer wird denn gleich so zickig werden?“, antwortete Mister Ekelpaket und zog endlich sein Portemonnaie aus der künstlich abgewetzten Jeans. Als er Sina einen Fünfzigeuroschein hinstreckte, blitzte eine fette goldene Rolex unter der teuren Markenjacke hervor. Schnell schnappte Sina sich den Schein und klatschte das Restgeld auf den Tresen. Statt die Reaktion des Kerls abzuwarten, wandte sie sich an ihre Kollegin Tanja, die ebenfalls schwer beschäftigt war.
„Ich muss mal schnell aufs Klo“, informierte Sina sie.
„Okay, aber beeile dich“, bat Tanja und kassierte ihre Kunden ab.
„Natürlich. Bis gleich.“ Zügig schlüpfte Sina an ihren zwei anderen Kollegen vorbei zum Ausgang ihrer Glühweinbude und atmete erleichtert die deutlich kühlere Luft ein. Viel Zeit blieb ihr nicht, denn aus einem ominösen Grund riss der Strom der Glühweinfreunde heute Abend einfach nicht ab.
Eilig lief sie Richtung Toiletten und war froh, dass sie dafür nichts bezahlen musste. Als Mitarbeiterin auf dem Striezelmarkt hatte sie dieses Privileg.
Wenn die Bezahlung nicht so gut wäre, würde ich mir diesen Mist nicht antun, dachte sie. Aber als Studentin war ihr das zusätzliche Einkommen nur recht, auch wenn sie die langen Tage schlauchten und das Klientel oft sehr anstrengend war. Je später der Abend, desto anzüglicher wurden die Kommentare. Als halbwegs attraktive Frauen bekamen Sina und Tanja das noch deutlicher zu spüren als ihre männlichen Kollegen. Zum Glück konnten sie diese Idioten in der Regel abwimmeln und waren innerhalb des Glühweinstandes vor tätlichen Angriffen sicher.
Sina schüttelte diese unangenehmen Gedanken ab und lief zügig zu ihrem Arbeitsplatz zurück. Es gab schließlich viel zu tun und sie wollte ihre Kollegen nicht zu lange warten lassen. Mittlerweile war es wirklich kalt geworden, weshalb sie unter ihrem knielangen roten Kleid, das ihre Arbeitskleidung darstellte, einen dicken schwarzen Pulli und zwei Thermoleggins trug. In der Bude war es frisch, aber durch die heißen Getränke und die Bewegung konnte man es mit der warmen Kleidung aushalten.
Als Sina wieder an ihrem Platz war, schien die Schlange vor dem Glühweinstand sogar noch gewachsen zu sein.
Haben die gerade noch ein paar Busse ausgeschüttet oder was ist los?, fragte sie sich, während sie die Bestellungen annahm, abkassierte, leere Tassen entgegennahm und wieder von vorn anfing. Ein sich ständig wiederholender Kreislauf, der noch drei Wochen anhalten würde, bis der Heilige Abend vor der Tür stand und damit die Saison beendete. Am vierundzwanzigsten Dezember war der Markt nur kurz geöffnet und der Umsatz entsprechend geringer. Die meisten Menschen zog es dann eher in die Restaurants oder ihre Wohnungen, wo sie mit der Familie feierten, statt sich auf dem Weihnachtsmarkt zu betrinken. Ruhe würde einkehren und bald darauf wären die ganzen Buden schon wieder abgebaut und eingelagert.
Doch bis dahin stand Sina wenigstens jeden zweiten Tag hier, um dafür zu sorgen, dass Essen im Kühlschrank war und sie ein paar Weihnachtsgeschenke kaufen konnte. Alles war teurer geworden, sodass sie mittlerweile echt überlegen musste, was sie sich leisten konnte und worauf sie besser verzichtete. Zwar könnte sie ihre Eltern um finanzielle Unterstützung bitten, doch so lange sie nicht dazu gezwungen war, wollte die junge Frau diese nicht in Anspruch nehmen.
Eigentlich mochte Sina die Arbeit auf dem Weihnachtsmarkt, nur heute war es so stressig, dass es ihr schwerfiel, gute Laune zu haben. Sie war erschöpft und freute sich auf ihren Feierabend. Den hatte sie sich nach der anstrengenden Schicht und unzähligen ausgeschenkten Heißgetränken wirklich verdient.
2. Kapitel
Drei Stunden später tauschte Sina ihre rote Zipfelmütze gegen eine dunkelblaue Wollmütze und zog sich ihren Wintermantel über.
„Puh! Das war ein anstrengender Abend“, stöhnte Tanja neben ihr.
„Stimmt. Heute war es wirklich extrem“, antwortete Sina. Sie war todmüde und ihre Füße taten weh.
„Bist du morgen da?“, erkundigte sie sich, weil die Schichten mit Tanja immer ein bisschen angenehmer waren und sie sich gut verstanden.
Diese schüttelte den Kopf. „Nein, erst übermorgen.“
„Na dann wünsche ich dir ein schönes Wochenende!“, meinte Sina leicht enttäuscht und winkte ihrer Kollegin zu, die soeben von ihrem Freund abgeholt wurde. Sie selbst wandte sich ab und lief Richtung Haltestelle. Im Gehen zückte sie ihr Smartphone, um in Erfahrung zu bringen, wann die nächste Straßenbahn kam. Zum Glück wohnte Sina recht günstig gelegen in der Dresdner Neustadt, trotzdem fuhren um diese Zeit die öffentlichen Verkehrsmittel nur noch selten.
Gerade, als sich die Fahrplanauskunft auf ihrem Handy geladen hatte und sie den Durchgang zur weißen Gasse passierte, wurde Sina angerempelt. Nur mit sehr viel Glück schaffte sie es, das Smartphone festzuhalten, das ihr beinahe heruntergefallen wäre.
„Hey Süße, so ein Zufall, dich hier wieder zu treffen“, meinte der Widerling von vorhin mit einem breiten Grinsen.
„Was soll der Mist? Lass mich in Ruhe!“, antwortete Sina, so laut sie konnte, und sah sich unauffällig nach Hilfe um. Leider entdeckte sie außer den zwei Mitstreitern des nervigen Kerls keine Passanten in der näheren Umgebung. Wenn sie es nicht schaffte, sich schnellstmöglich aus dieser Situation zu befreien, würde es sehr ungemütlich werden. Diese drei Typen wollten definitiv nicht nett mit ihr plaudern.
„Warum so abweisend? Sind wir dir nicht gut genug?“, fragte der Anführer der Gruppe und versuchte, Sina in eine Ecke zu drängen. Geschickt hechtete sie an ihm vorbei, stand jedoch sogleich einem der anderen beiden gegenüber. Dieser war gebaut wie ein Schrank und der dritte im Bunde wirkte auch, als würde er einen Großteil seiner Zeit im Fitnessstudio verbringen. Furcht stieg in Sina auf. Fieberhaft suchte sie nach einem Ausweg, denn sonst war sie geliefert.
„Lasst mich in Ruhe oder ich rufe die Polizei!“, drohte sie und verfluchte das leichte Zittern in ihrer Stimme. Gleichzeitig war ihr klar, dass diese Mistkerle sich nicht von ihrer Drohung abschrecken lassen würden. Als die drei nur lachten und sie weiter einkesselten, ging Sina zum Angriff über. Mit einem gezielten Tritt in den Schritt schickte sie den dunkelhaarigen Typen zu Boden, der ihr den Weg versperrt hatte. Doch das verschaffte ihr nur einen kurzen Vorteil. Durch das jahrelange Kickboxtraining war sie fit und wendig, aber gegen drei Männer standen ihre Chancen trotzdem schlecht. Sie musste sich schnellstmöglich durchkämpfen und dann die Beine in die Hand nehmen.
„Du verdammtes Miststück!“, fluchte der blonde Anführer und starrte sie hasserfüllt an. „Das wirst du büßen!“
Drohend kamen die beiden verbliebenen Männer näher, während der dritte sich schimpfend wieder auf die Beine kämpfte.
„Die junge Dame hat sehr deutlich gemacht, dass sie keinen Wert auf eure Gesellschaft legt“, mischte sich plötzlich eine neue Stimme ein. Sinas Kopf ruckte automatisch in diese Richtung, doch schnell konzentrierte sie sich wieder auf die unmittelbare Gefahr vor ihr.
„Halt die Fresse und verzieh dich oder willst du, dass wir sie dir polieren?“, raunzte Typ Nummer drei mit der teuren Marken-Bomberjacke und New York Yankee-Basecap.
„Danke, ich verzichte. Aber ihr solltet abhauen, wenn euch euer Leben lieb ist“, gab der Fremde erstaunlich gelassen zurück. Sina konnte ihn nicht sehen, weil sie lieber ihre Angreifer im Auge behielt, aber sie bezweifelte, dass er eine reelle Chance gegen die drei aufgepumpten Idioten hatte. Offenbar waren die derselben Meinung, denn sie lachten und gingen auf den unbekannten Helfer los. Sina wirbelte herum. Mehr als eine schlanke, dunkle Gestalt konnte sie jedoch nicht erkennen. Die Ablenkung der drei Mistkerle bot ihr allerdings die einmalige Gelegenheit, sich aus der brenzligen Situation zu befreien. Trotzdem zögerte sie, denn sie wollte ihren Retter nicht im Stich lassen.
Vorsichtig zog sie sich zurück und zückte ihr Smartphone. Gerade als sie den Notruf wählen wollte, erklang ein Schrei und der erste Rüpel ging zu Boden. Kurz darauf wurde Nummer zwei gepackt und ein unheilvolles Knacken ertönte, auf das ein weiterer Schmerzensschrei folgte. Nummer drei landete nur ein paar Sekunden später bei seinen Kumpanen auf dem schmutzigen Gehweg.
Sina lief ein kalter Schauer über den Rücken. Das alles war so schnell passiert, dass sie nur einen dunklen Schatten hatte erkennen können, der ihre Angreifer innerhalb weniger Augenblicke niedergestreckt hatte. Nun stand der Fremde ihr zugewandt über den jetzt ganz kleinlauten Großmäulern, die so schnell wie möglich von ihm wegkrochen.
„W-was zur Hölle bist du?“, stotterte der Anführer der Gruppe, der Sina bedrängt hatte.
„Batman?“, konterte der Fremde und grinste. „Sammle deine Freunde ein und verzieh dich, sonst reiße ich euch eure kümmerlichen Eier ab, verstanden?“
Sina hatte den leisen Verdacht, dass er diese Drohung wörtlich meinte. Offenbar sahen das ihre Angreifer ähnlich, denn sie rappelten sich mühevoll auf und humpelten davon.
„Ähm, danke!“, sagte Sina unsicher, ob die Gefahr nun wirklich gebannt war. Ihr Helfer war etwas größer als sie und schlank, soweit man das beurteilen konnte. Er trug einen dunklen Parka und eine schwarze Hose. Die Kapuze hatte er sich tief ins Gesicht gezogen, sodass man nur die untere Hälfte seines Gesichts erkennen konnte. Als er auf sie zuging, machte Sina instinktiv einen Schritt zurück. Obwohl er ihr geholfen hatte, war der Fremde irgendwie unheimlich. Das Ganze war Sina nicht geheuer. Er hatte sich viel zu schnell bewegt und die drei Kerle in Rekordzeit fertiggemacht.
„Keine Ursache. Diese Vollpfosten hatten sich die Abreibung verdient. Geht es dir gut?“, erkundigte sich der Fremde und kam näher. Seine Bewegungen wirkten ungewöhnlich geschmeidig und die junge Frau fühlte sich unweigerlich an eine Raubkatze erinnert, die sich an ihre Beute heranpirschte.
„J-ja“, antwortete sie und wich noch einen Schritt zurück.
„Keine Sorge, ich werde dich nicht belästigen“, sagte er. „Du riechst nur sehr gut.“
Verwirrt von seinem letzten Satz zog Sina die Stirn in Falten. Nach dem anstrengenden Dienst am Glühweinstand hatte sie wirklich keine Ähnlichkeit mit einer duftenden Blumenwiese.
Der Fremde lachte und hielt nur einen Schritt von ihr entfernt an. „Stimmt. Das Aroma wird ein wenig durch den Glühwein- und Essensgeruch verdorben.“ Er schnupperte und grinste dann. Mehr als die Spitze seiner Nase und den Mund konnte Sina nicht erkennen, was es ihr zusätzlich erschwerte, die Situation richtig einzuschätzen. „Wie wäre es, wenn du mir für meine Hilfe einen Snack spendierst?“
„Ähm, ja … natürlich“, antwortete Sina überrascht. „Der Schnellimbiss dort drüben hat noch geöffnet.“
„Danke, aber mir steht der Sinn gerade nach etwas anderem“, meinte er. Von einer Sekunde zur nächsten stand er vor Sina und packte sie an den Schultern. Kurz erhaschte sie einen Blick auf das eher schmale Gesicht unter der Kapuze. Leuchtend blaue Augen betrachteten sie eindeutig hungrig, was sie erzittern ließ.
„Bitte nicht“, flüsterte sie.
„Keine Angst, es tut nicht weh“, versicherte er. Plötzlich wurde Sina ganz schummrig. Ihr Kopf fühlte sich an, als wäre er in Watte gepackt und ein seltsam berauschendes Gefühl erfasste ihren Körper.
***
„Nächste Haltestelle: Louisenstraße.“
Sinas Kopf ruckte von der Scheibe hoch. Noch leicht benommen griff sie nach dem Beutel mit ihren Sachen und sprang vom Sitz der Straßenbahn. Sie taumelte leicht, als sie zur Tür ging und dann ausstieg. In die Kälte der Nacht hinauszutreten, war, wie aus einem Traum zu erwachen.
Was ist mit mir passiert? Wie bin ich überhaupt hierher gekommen?, fragte sie sich. Schnell lief sie die Straße entlang zu ihrer Wohnung. Was ihr noch sehr gut im Gedächtnis geblieben war, war der Angriff durch diese drei Mistkerle. Sina erschauderte, denn dass sie nun unversehrt nach Hause laufen konnte, war ein Glücksfall. Normalerweise achtete Sina auf ihre Umgebung und wusste, wie sie sich von gefährlichen Situationen fernhielt. Doch vorhin war alles so schnell gegangen. Wäre nicht im richtigen Moment ein Polizeiauto mit Sirene an der Gruppe vorbeigefahren, hätte Sina keine Chance gehabt, zu entwischen und zur Straßenbahn zu rennen.
Immer wieder warf sie nun auf dem Heimweg einen Blick hinter sich, weil sie das unbestimmte Gefühl hatte, beobachtet zu werden. Mit leicht zitternden Händen schloss sie die Haustür auf und atmete erleichtert aus, als sie endlich in ihrer Wohnung stand. Ganz entgegen ihrer Gewohnheit verriegelte sie die Tür und ließ sich dann am Türblatt hinuntergleiten. Sie winkelte die Beine an und umschlang ihre Knie mit den Armen. Dann brach der Damm. Tränen der Angst und des Schocks liefen über ihr Gesicht.
Sina wusste nicht, wie lange sie so dagesessen und geschluchzt hatte. Als sie schließlich den Kopf hob und sich aufraffte, fühlte sie sich völlig erschöpft. Sie zog ihre dicke Winterjacke aus und hängte sie auf. Wie ferngesteuert ging Sina ins Bad und erledigte das Nötigste. Auf dem Weg zum Bett zerrte sie sich die Kleider vom Leib und zog sich ihren kuscheligen Schlafanzug mit den kleinen Pinguinen an, bevor sie sich unter der Decke verkroch. Sie schloss die Augen und schlief ein.
3. Kapitel
Jakob blickte noch eine Weile auf das dunkle Fenster, hinter dem die junge Frau schlief, die er vorhin aus einer gefährlichen Situation gerettet hatte.
Da er der Versuchung erlegen war, ihr etwas von ihrem köstlichen Blut zu stehlen, hatte er sich gezwungen gesehen, sich selbst aus der Erinnerung des Opfers zu löschen.
---ENDE DER LESEPROBE---