Requiem für einen Rockstar - Anne Gold - E-Book

Requiem für einen Rockstar E-Book

Anne Gold

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Beschreibung

Der St. Jakob-Park ist das grösste Stadion der Schweiz. Gewöhnlich finden hier heisse Fussballspiele statt. Wenn aber in der Garderobe plötzlich ein berühmter Basler Rockstar ermordet aufgefunden wird, spielt Fussball selbst für einen angefressenen Fan wie Kommissär Ferrari keine Rolle mehr. Es gilt, einen grausamen Mord aufzuklären. Umgehend nehmen Ferrari und seine Assistentin Nadine Kupfer die Ermittlungen auf. Dabei werden sie mit eiskaltem Egoismus, vernichtendem Hass, tiefen menschlichen Abgründen und den harten Bandagen der Basler Rockszene konfrontiert.

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Anne Gold

Requiem für einen Rockstar

Alle Rechte vorbehalten

© 2008 Friedrich Reinhardt Verlag, Basel

© eBook 2013 Friedrich Reinhardt Verlag, Basel

Lektorat: Claudia Leuppi

Gestaltung: Bernadette Leus, www.leusgrafikbox.ch

Illustration: Tarek Moussalli

ISBN 978-3-7245-1948-5

ISBN der Printausgabe 978-3-7245-1794-8

Ungekürzte Taschenbuchausgabe 2012

www.reinhardt.ch

Für meine Kinder

1. Kapitel

«Ich will zu den Devils eingeteilt werden!»

Kommissär Ferrari hob missmutig den Blick von seinen Akten.

«Erstens, guten Morgen, Nadine. Zweitens, schliess bitte die Tür, es zieht. Und drittens, wer oder was zum Teufel sind die Devils?»

Nadine Kupfer, Ferraris junge, intelligente und wirklich gut aussehende Assistentin, die so ziemlich die gesamte Männerwelt im Kommissariat um den Verstand brachte und abblitzen liess, stiess die Tür mit dem Fuss zu.

«Man hat mich ausgebootet. Da steckt der alte Idiot dahinter. Hundert pro! Der hat irgendetwas hinter meinem Rücken gedreht. Ich war sogar bei ihm, habe ihn angebettelt, doch er tut so, als wisse er von nichts.»

Sie schäumte vor Wut.

«Ich vermute, dass der alte Idiot Staatsanwalt Borer ist. Bist du mit deinem Charme abgeblitzt?»

«Der ist bestimmt schwul!»

Ferrari klopfte mit dem Kugelschreiber auf den Aktendeckel. Na ja, schwul war Borer sicher nicht. Aber aus unerklärlichen Gründen fuhr er nicht auf Nadine ab. Eine Ausnahme, sozusagen, welche die Regel bestätigte.

«Schau mich nicht so an, Francesco! Nun, was ist, worauf wartest du?»

Ferrari blickte sie fragend an.

«Na los, auf mit dir, beweg deinen Hintern rüber zu Borer. Sag ihm, du willst, dass ich bei den Devils dabei bin. Und zwar backstage.»

Der Kommissär musste lachen.

«Um nochmals auf meine Eingangsfrage zurückzukommen …»

«Auf welchem Planeten lebst du eigentlich, Francesco? Hä? Seit Wochen spricht man von nichts anderem in Basel als vom ersten Konzert der Devils seit drei Jahren in der Schweiz und du fragst mich allen Ernstes, wer sie sind?»

«Ach, die meinst du! Die Chaoten, die auf der Bühne immer alles kurz und klein schlagen, sich halbnackt ausziehen und eine gigantische Show abziehen.»

«Unsinn! Das gehört zum Image.»

«Aha!»

Ferrari lehnte sich zurück, wippte mit seinem Sessel und spielte mit dem Kugelschreiber. Die Devils! Eine Schweizer, nein, um es genauer zu nehmen, die einzige Schweizer Band, die man europaweit kannte. Und erst noch eine von einem Basler gegründete, so viel er mitbekommen hatte.

«Hat nicht ein Basler die Band gegründet?»

«Genau. Piet Gruber! Du kennst sie ja doch.»

«Piet Gruber! Wenn ich das schon höre. Wahrscheinlich heisst er Peter Gruber.»

«Das ist doch jetzt vollkommen egal. Piet hat die Band auf die Beine gestellt. Eine Basler Band, bestehend aus Basler Musikern. Das Beste, was im Augenblick in Europa, was heisst in Europa, auf der Welt zu hören ist. Piet, John, Alf und Mark!»

Peter, Johannes, Alfred und Markus überlegte Ferrari.

«Keine Frau?»

«Eine reine Boy Group. Vor acht Jahren gegründet und an einem Open Air von einem deutschen Manager entdeckt. Ein Jahr später tourten sie als Vorgruppe von Bryan Adams durch Europa. Das war der Durchbruch. Seither spielen sie in ausverkauften Stadien in ganz Europa. Und am nächsten Mittwoch im ‹Joggeli›. Das Konzert war im Nu ausverkauft. Keine Chance, jetzt noch an ein Ticket ranzukommen. Aber ich will dabei sein!»

Nadine stampfte wie ein kleines Kind mit dem rechten Fuss auf den Boden. Wütend war sie noch um einiges attraktiver.

«Schau mich nicht so an, Francesco! Nun, was ist jetzt?»

«Ich verstehe nicht?»

«Du sollst rüber gehen und dem Alten den Marsch blasen. Sag ihm, dass er mich als Sicherheitsbeamtin in Zivil backstage einsetzen soll.»

«Hinter der Bühne, wenn ich das richtig verstehe?»

«Genau. Vielleicht sehe ich dann den einen oder anderen der Jungs und kann ein paar Worte mit ihm sprechen. Oder mehr.»

Ferrari runzelte nachdenklich die Stirn.

«Mehr?»

«Jetzt stell dich doch nicht dämlicher an, als du bist. Natürlich mehr. Vielleicht krieg ich den einen oder anderen rum.»

«Rumkriegen?»

«He … nicht, was du meinst. Ich will keinen der Jungs just for fun. Aber Piet kann mich zum Essen einladen. Am liebsten irgendwo, wo mich meine Freundinnen mit ihm sehen. Die werden vor Neid erblassen.»

«Aha! Und dann?»

«Nix und dann. Und selbst wenn, das geht dich überhaupt nichts an.»

Ferrari klopfte unablässig mit seinem Kugelschreiber auf den Tisch.

«Hör endlich mit dieser blöden Klopferei auf. Das nervt. Vorwärts jetzt, rüber zum Herrn Staatsanwalt, bevor es endgültig zu spät ist.»

«Borer ist dafür gar nicht zuständig.»

«Papperlapapp! Der Alte steckt dahinter. Er will mir eins auswischen. Sag doch einfach, dass du nicht willst.»

Nadine drehte sich zur Seite, sie schmollte.

«Das ist unfair! Wenn doch Borer …», versuchte Ferrari das Gespräch aufzunehmen.

«Schon gut, ich habe verstanden! Du musst dich nicht bemühen. Das wäre ja auch zu viel verlangt», sprach sie und schlug die Tür hinter sich so heftig zu, dass es wahrscheinlich im ganzen Kommissariat zu hören war.

Ferrari seufzte. Frauen! Er wischte seine Akten zur Seite und griff nach der «Basler Zeitung». Die vier Devils, zwischen achtundzwanzig und fünfunddreissig, also im Alter von Nadine, strahlten ihn von der Titelseite an. Das Konzert im St. Jakob-Park war der Abschluss der Europa-Tournee. Ferrari überlegte, was an den vier schlaffen Typen dran war, dass sogar eine Frau wie Nadine weiche Knie bekam. Die Hysterie kannte keine Grenzen, wollte man dem Artikel glauben, und Ferrari zweifelte keine Sekunde. Der Auftritt von Nadine war ihm Beweis genug. Zwanzig Konzerte in ganz Europa. Alle bis auf den letzten Platz ausverkauft. Sogar in Prag und Moskau waren die Fans um die letzten Tickets Schlange gestanden. Als bekannt wurde, dass das Abschlusskonzert der Tour im heimischen «Joggeli» stattfinden würde, ein spontaner Entscheid von Leadsänger Piet, kam es vor den Vorverkaufstellen zu einem Grossandrang. In der Nacht vor dem Vorverkaufsbeginn lagen die meist weiblichen Fans in Schlafsäcken vor den Schaltern, um garantiert eines der Tickets ergattern zu können. Erfolgreich waren sie, die schlaffen Teufel. Das musste man mit oder ohne Neid zugeben. Jede Menge Gold- und sogar Platinalben und eine ausverkaufte Tournee, was heute absolut keine Selbstverständlichkeit mehr war. Vermutlich nur noch eine Frage der Zeit, bis die Jungs den Sprung über den grossen Teich schaffen würden. Der letzte Abschnitt des Artikels, anscheinend gehörte die Journalistin zur Devils-Fangemeinde, war stark. Nein, stark übertrieben, wäre wohl treffender, befand Ferrari. Da hiess es, die Zeit der alten Superstars sei nun endgültig vorbei, weg mit den Stones, Madonna und Robbie Williams. Die Gegenwart und selbstverständlich die Zukunft gehöre einzig und allein den Devils – und nur den Devils. Hm, Teufel an die Macht müsste da wohl Grönemeyer singen. Ob ihm das gefallen würde? Bestimmt nicht. Und mir auch nicht, dachte der Kommissär. Im Kasten nebenan war zu lesen, weshalb Teens und Twens Auftritte in kleinerem Kreis bevorzugten, und nicht mehr zu Grossevents pilgerten. So wie einst. Die horrenden Preise und das Überangebot machten es aus. Massenveranstaltungen sind eh ein Gräuel, unterbrach Ferrari die Lektüre und was die Preise betraf, da konnte er ein Lied davon singen. Für ein Konzert der Rolling Stones hatte er doch sage und schreibe hundertachtzig Franken pro Ticket bezahlt, und nicht einmal für einen Tribünenplatz. Fünf Stunden lang war er auf dem Militärflugplatz Dübendorf mit Monika zusammen im Matsch gestanden. Aber die Stones hatten ihn dafür mit einem sensationellen Konzert entschädigt. Die Schlussfolgerung des Musikexperten, der sein Wissen des Langen und Breiten über den Leser ergoss, konnte in wenigen Worten zusammengefasst werden: kleiner ist feiner. Clubs sind in, Stadien out. Natürlich gab es Ausnahmen, etwa die Popikone David Bowie oder die Rocklegenden von Led Zeppelin. Letztere hatten sich nach zwanzig Jahren erneut zusammengerauft, um auf Tournee zu gehen.

Der Kommissär schüttelte bedächtig den Kopf, faltete sorgsam die Zeitung zusammen und legte sie auf einen Aktenstapel. Vage dämmerte es ihm, dass seine Freundin Monika mit ihrer Tochter Nicole Streit hatte. Ja genau, Nikki wollte unbedingt auch an dieses Konzert im St. Jakob-Park, doch ihre Mutter befand, sie sei noch zu jung mit ihren dreizehn Jahren. Als Monika ihrer Tochter anbot, sie zu begleiten, hing der Haussegen schief. Allein der Gedanke, ein Konzert mit der Mutter besuchen zu müssen, brachte Nikki auf die Palme. Eine Woche lang hielt der Entrüstungssturm an. Dann konnte man wieder zur häuslichen Normalität übergehen. Wie ich doch den Alltag liebe …

Unbemerkt war Staatsanwalt Jakob Borer eingetreten.

«Störe ich?»

«Nein, kommen Sie nur rein. Ich habe mich eben mit Nadine über Sie unterhalten.»

«War nicht zu überhören! Die freche Göre glaubt wohl, sie kann sich alles erlauben.»

An Borers Hals zeichneten sich rote Flecken ab. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass er höchst erregt war.

«Was glaubt die Person eigentlich, wer sie ist! Benimmt sich in meinem Büro wie meine Chefin. Ich habe endgültig genug von dieser Kupfer, Ferrari, ich dispensiere sie und schicke sie nach Bern zurück. Jawohl.»

«Nun regen Sie sich doch nicht so auf, Herr Staatsanwalt. Sie ist in der Tat ab und zu impulsiv …»

«Impulsiv?! Sie ist eine unanständige, unkultivierte, arrogante, launische Tussi!»

«Das würde ich so nicht unterschreiben, Herr Staatsanwalt. Ich arbeite gern mit Nadine zusammen. Sie ist sehr intelligent, denkt analytisch, hat eine gute Kombinationsgabe und bringt einen Fall sehr schnell auf den Punkt.»

«Ha! Da reden wir wohl von zwei verschiedenen Kupfers. Auf jeden Fall habe ich die Nase voll von dieser … dieser Person.»

Ferrari sah den Staatsanwalt abwartend an und trommelte erneut mit dem Kugelschreiber auf den Tisch.

«Suchen Sie sich eine neue Assistentin! Die Kupfer muss weg. Das ist mein letztes Wort.»

«Kommt nicht in Frage!», entgegnete der Kommissär ruhig, aber bestimmt.

«Was?! Ich höre wohl nicht richtig. Sie widersprechen mir?»

«Ganz richtig. Nadine bleibt! Wo führt das denn hin, wenn jemand einfach entlassen wird, nur weil Sie die Person nicht mögen. Ich habe bisher geglaubt, dass Kompetenz und Loyalität ausschlaggebend seien.»

«Das ist doch die Höhe!»

«So ist es! Das ist die Höhe! Ich verstehe, dass Sie sich über Nadine geärgert haben. Sie ist jung und forsch. Manchmal vielleicht übermotiviert. Aber das ist noch lange kein Grund, sie abzuservieren. So viele fähige Leute laufen hier im Kriminalkommissariat auch wieder nicht rum. Und Nadine ist höchst fähig. Fähiger als manch ein anderer.»

«Vorsicht, Ferrari, Vorsicht!»

Borer kniff seine Augen zusammen, während Ferrari sich ein Schmunzeln nicht verkneifen konnte.

«Anwesende selbstverständlich ausgenommen. Oder halten Sie sich selbst für unfähig, Herr Staatsanwalt?»

«Nehmen Sie sich in Acht, Ferrari. Auch Sie können sich nicht alles erlauben. Und hören Sie mit dem blöden Kugelschreibertrommeln auf. Das macht mich ja ganz nervös.»

Der Kommissär stellte sein Kugelschreiberstakkato ein. Zumindest eine Übereinstimmung zwischen Nadine und Borer. Wenn auch die einzige.

«Nadine wird sich bei Ihnen entschuldigen. Und dann vergessen wir die Angelegenheit. Einverstanden?» Borer dachte angestrengt nach. Sekunden vergingen, einzig das leise rhythmische Klopfen eines Kugelschreibers war erneut zu vernehmen.

«Also gut. Aber ich warne Sie, noch ein solcher Auftritt und ich sorge dafür, dass sie hochkant rausfliegt. Sie werden mich nicht noch einmal umstimmen können. Haben wir uns verstanden, Ferrari?»

«Sie sind nicht zu überhören, Herr Staatsanwalt. Nun, da wir dieses Problem aus der Welt geschafft haben, kommt schon das nächste. Ich muss eine Möglichkeit finden, Nadine am Konzert der Devils einzusetzen. Backstage, versteht sich. Sie wissen nicht zufällig, wer …»

«Das ist eine Unverschämtheit! Sie wagen es …»

Borers Zorn kannte keine Grenzen. Er schlug mit der Faust auf Ferraris Tisch, dass der Aktenberg gefährlich ins Wanken kam.

«Sie wagen es, das Thema nochmals anzuschneiden? Ungeheuerlich. Wenn ich die Befugnis dazu hätte, würde ich diese … diese arrogante Kuh nicht einteilen. Unter gar keinen Umständen. Aber es liegt nicht in meiner Kompetenz.»

«Sondern?»

«Robi Hänger leitet den Einsatz.»

«Der umschwärmte Röbi?»

«Hm, genau der. Ich habe nie begriffen, was die Frauen an ihm finden.»

«Er sieht zwar nicht besonders gut aus, aber er ist ein Charmeur. Das lieben die Frauen. Nadine kann ihn bestimmt leicht um den Finger wickeln. Bestens. Damit ist das Thema wohl endgültig vom Tisch, Herr Staatsanwalt. Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?»

Ferrari wartete geduldig, bis Staatsanwalt Borer sein Büro verlassen hatte. Dann suchte er die Telefonnummer von Robi Hänger heraus. Zehn Minuten später war Nadine dem persönlichen Stab von Hänger zugeteilt. Dem Backstageauftritt stand also nichts mehr im Weg. Ferrari ordnete fein säuberlich den schiefen Aktenberg und verzog unwillkürlich das Gesicht. Wie er diese Arbeit hasste. Er war einfach keine Bürowühlmaus. Den Erfinder von Akten sollte man ermorden! Am besten ermorden lassen.

Gut gelaunt erhob sich der Kommissär. Doch bevor er dazu kam, Nadine die frohe Botschaft zu verkünden, riss sie die Tür zu seinem Büro auf.

«Pfui! Du hast gelauscht, Nadine!», scherzte Ferrari. Erst beim zweiten Hinsehen bemerkte er, dass seine Assistentin aschfahl im Gesicht war.

«John ist tot!», sagte Nadine leise.

«Wer … ich verstehe nicht?»

«John Lauscher ist tot! Begreif doch, Francesco, John Lauscher ist tot!»

Sie hatte Tränen in den Augen. Kommissär Ferrari verstand noch immer nicht.

«John Lauscher von den Devils, der zweite Mann nach Piet Gruber, ist tot! Der Abwart vom St. Jakob-Park hat soeben angerufen. Er hat ihn tot in der Garderobe gefunden. Ermordet!»

Ferrari griff nach seiner Jacke.

«Worauf wartest du noch, Nadine. Es gibt zu tun. Dein Backstageauftritt kommt früher und anders als geplant.»

2. Kapitel

Ferrari hätte sich ohrfeigen können. Weshalb lasse ich mich immer wieder darauf ein, mit Nadine und ihrem Porsche durch die Stadt zu rasen? Vom ökologischen Standpunkt aus betrachtet, ganz zu schweigen. Das Auto war ein Geschenk ihres Vaters, Nationalrat Kupfer aus Bern, ziemlich betucht und sichtlich darauf bedacht, dass seine Tochter nicht nur vom Gehalt einer Polizeiassistentin leben musste. Der Kommissär klammerte sich am Sitz fest, als Nadine einen Gang höher schaltete.

«Angst?»

Sie lächelte ihn spitzbübisch von der Seite an.

«Nein … pass auf, der BMW hat Vortritt!»

Nadine raste rechts am BMW vorbei, was den Fahrer dazu veranlasste, heftig zu hupen, überquerte die Schienen und rammte dabei beinahe ein Tram.

«Der Idiot hätte schon längst bremsen können. Tramchauffeure glauben immer, dass sie Vortritt haben. Genau wie Taxifahrer.»

«Er hatte Vortritt. Der BMW übrigens auch», knirschte Ferrari tief im Sitz versunken. Einerseits, weil er dem Tod nicht ins Auge blicken wollte, andererseits, damit ihn niemand in dieser Situation sehen konnte. Hoffentlich war sein Schutzengel mit von der Partie.

«Männer! Alles Feiglinge, wohin frau auch schaut!»

Nadine parkierte beim Seiteneingang des Fussballstadions. Ferrari kroch mühsam und leise stöhnend aus dem Wagen, heilfroh, die Fahrt in Nadines Sportwagen wieder einmal überlebt zu haben. Zwei uniformierte Polizisten erwarteten sie.

«Er ist unten in der Garderobe des FC Basel. Strub erwartet Sie bereits, Herr Kommissär.»

Peter Strub, Gerichtsmediziner und langjähriger Freund des Kommissärs, ging im Korridor auf und ab.

«Da bist du ja endlich, Francesco. Ich habe noch anderes zu tun, als mir hier die Füsse zu vertreten. Ah, sehr gut, Nadine ist auch mit von der Partie. Welch eine Augenweide! Du siehst heute wieder bezaubernd aus. Das verbessert natürlich meine Laune gewaltig. Soll ich dir den Toten zeigen, Nadine?», flötete Strub.

«Wo liegt er? Und hör auf mit dem Gesäusel. Du bist zu alt für sie», brummte Ferrari barsch.

«Liegen ist das falsche Wort, Francesco. Er sitzt.»

«Er sitzt?», wiederholte Nadine, die sich an ihm vorbei drängeln wollte.

«Wartet eine Sekunde. Es ist kein schöner Anblick.»

«Danke für deine Warnung, Peter, aber ich habe schon einige Tote gesehen.»

«Ich habe das nicht wegen dir gesagt, Nadine. Ich will nur nicht schuld daran sein, wenn dein Partner, der Italiener, umkippt.»

Ferrari biss sich auf die Unterlippe und blickte Strub böse an. Immer wieder wurde er wegen seinen nicht vorhandenen italienischen Vorfahren gehänselt. Er war ein waschechter Basler, Name hin oder her. Gut, wahrscheinlich hatte er Tessiner Vorfahren, was bestimmt über hundert Jahre zurücklag. Je näher sie dem Toten kamen, desto rasender begann sein Herz zu schlagen. Das war Ferraris Achillesferse. Er konnte einfach keine Toten sehen. Schon gar nicht, wenn sie in einer Blutlache lagen. Da muss ich wohl oder übel durch. Zum Glück ging Nadine vor.

«Mein Gott, es ist tatsächlich John!»

«Ohne Zweifel, einer der vier grossen Musiker ist tot», hörte der Kommissär Strub sagen.

Ferrari betrachtete den Toten näher. Er sass mit offenem Mund auf der Spielerbank. Der Kopf lehnte gegen den Garderobenschrank.

«Jemand hat ihm förmlich das Gehirn aus dem Kopf geschlagen. Wahrscheinlich mit einem stumpfen Gegenstand. Mit voller Wucht. Das Blut muss richtig gespritzt haben. Wenn du dich genau umsiehst, kannst du auch Gehirnmasse erkennen …»

Das war des Guten zu viel. Eindeutig. Dem Kommissär wurde schlagartig übel. Er hielt die Hand vor den Mund, drehte sich um und rannte zur Tür raus.

«Draussen rechts und dann die erste Tür links», rief ihm Strub nach.

Fünf Minuten später kam der Kommissär zurück. Noch immer weiss wie ein Leintuch.

«Willst du den Toten nochmals sehen, Francesco?»

«Nein … danke. Du hättest mir sagen können, dass er so übel zugerichtet wurde.»

«Du wolltest ihn ja unbedingt sehen. Da ist deine Kollegin weiss Gott aus anderem Holz geschnitzt. Sie hat bei seinem Anblick nicht einmal mit der Wimper gezuckt. Wie bist du nur Kommissär geworden?»

Ferrari winkte ab.

«Schon gut, Peter. Immer das gleiche Lied. Es macht dir Spass mich vorzuführen.»

Strubs Leute hatten ihre Arbeit beendet.

«Wenn ihr nicht mehr rein wollt, lassen wir ihn, oder sagen wir die kümmerlichen Überreste, abholen.»

Nadine hatte sich neben den schwankenden Kommissär gestellt.

«Alles in Ordnung, Francesco?»

«Wer … wer tut so etwas, Nadine?»

«Sicher kein Fan! Ihr braucht mich nicht mehr, oder? Ich werde ihn untersuchen und lege euch dann den Obduktionsbericht auf den Tisch. Sagen wir in vierundzwanzig Stunden.»

«Ohne Fotos, bitte!», ergänzte Nadine.

Peter Strub musste lachen.

«Ein gutes Team. Die intelligente, schöne Nadine und das ältliche Weichei. Pass gut auf ihn auf, Nadine. Sonst kippt er noch um. Und das wollen wir doch sicher hier vor den Kollegen vermeiden. Ich lege dir den Bericht auf den Schreibtisch. Dann kannst du schon vorab zensurieren, was Francesco nicht gut bekommt. Ciao.»

Der Kommissär musste dringend an die frische Luft. Er ging durch die Senftube, wie der Spieleraufgang genannt wurde, übers Feld zur Tribüne. Dort setzte er sich in die erste Reihe. Er drehte sich um und schaute hoch. Normalerweise sass er im Sektor A4 ziemlich zentral in der Reihe zwanzig. Ein Privileg, das er seiner Freundin Olivia Vischer verdankte. Eigentlich hätte ich dieses grosszügige Geschenk nicht annehmen dürfen, sinnierte Ferrari. Man könnte mir leicht einen Strick daraus drehen und von Korruption sprechen. Aber beim FC Basel darf und muss man eine Ausnahme machen. Oder? Fussball ist nun mal eine Herzensangelegenheit. Und mein Herz schlägt rotblau. Unwillkürlich griff sich der Kommissär an die geschwelgte Brust.

«Von hier aus sieht man aber nicht gerade viel vom Spiel», hörte er Nadine sagen.

«Was meinst du?»

«Schau doch mal rüber zum Tor in der Muttenzer Kurve. Das siehst du doch nur noch zur Hälfte. Und wenn es mal richtig regnet, möchte ich echt nicht hier in der ersten Reihe sitzen. Da wirst du durchgeweicht.»

«Ich sitze normalerweise im A4, praktisch auf der Mittellinie.»

«Ich weiss. Olivia Vischer lässt grüssen.»

Ferrari schaute sie fragend an.

«Die erste Regel in der Zusammenarbeit mit Kommissär Ferrari heisst, niemand legt sich mit ihm an, weil der Basler ‹Daig› seine Hand schützend über ihn hält. Und er die seine über ihn.»

So also dachte man unter den Kollegen. Feine Kollegen sind das! Nadine musste laut lachen, als sie Ferraris düstere Miene sah.

«Nimms ein wenig gelassener, Francesco. Es ist doch schön, wenn man kleine Privilegien hat. In dieser Beziehung sind wir seelenverwandt. Mit dem Unterschied, dass ich sie geniesse.»

«Es ist nicht so, wie die Kollegen meinen», brummte ein sichtlich verstimmter Kommissär.

«Ist doch egal, was die Leute denken. Du machst einen guten Job, das allein zählt. Und ehrlich gesagt, finde ich es sehr beruhigend, wenn man noch einen Trumpf im Ärmel hat. Auch, wenn du ihn vermutlich nie ausspielen würdest. Also, was ist jetzt, gehts dir besser, Weichei?», imitierte sie Strub.

«Dieser verdammte Leichenfledderer! Er erwischt mich immer wieder. Es macht ihm Spass, mich vorzuführen.»

«Was ihm auch immer wieder hervorragend gelingt.»

Ferrari erhob sich mühsam und ging mit Nadine zusammen zurück zu den Garderoben. Sie setzten sich im Aufenthaltsraum des Abwarts, den er ihnen förmlich aufgedrängt hatte, an den Tisch.

«Wirklich kein schöner Anblick, da hat Strub recht. Er muss mit voller Wucht getroffen worden sein. Gewehrt hat er sich sehr wahrscheinlich nicht. Irgendwie kommt es mir so vor, als ob er vollkommen entspannt auf der Bank sass, als es geschah.»

Beim Gedanken an den Toten musste Ferrari erneut würgen.

«Wer … wer hat ihn gefunden?»

«Arnold Schuster, der Abwart. Er wartet draussen. Soll ich ihn holen?»

«Ja. Vielleicht hat er etwas oder jemanden gesehen. Denn so ganz allein kann John Lauscher nicht gewesen sein.»

Arnold Schuster war ein breitschultriger, burschikoser Mittfünfziger.

«Danke, dass wir Ihren Aufenthaltsraum benutzen dürfen, Herr Schuster.»

Ferrari sah sich um. An den Wänden hingen signierte Fotos von FCB-Spielern, einige Kickschuhe und ein eingerahmtes Leibchen.

«Meine Souvenirsammlung», hörte er den Abwart sagen. «Ganz besonders stolz bin ich auf das Leibchen von Cristiano Ronaldo. Nach einem Freundschaftsspiel habe ich meinen ganzen Mut zusammengenommen und ihn gefragt, ob er mir etwas geben würde, um den Raum zu verschönern. Sie glauben es nicht! Der weltbeste Fussballer hat mir sein Leibchen geschenkt. Einfach so. Ich bin beinahe aus den Socken gekippt.»

Andächtig überreichte Schuster dem Kommissär das gerahmte Shirt.

«Weltberühmt und doch bescheiden geblieben», murmelte der Kommissär. Unbeholfen hielt er den Rahmen in den Händen, während er in die glänzenden Augen des Abwarts starrte. Nadine half ihm aus der Verlegenheit, indem sie ihm das Souvenir abnahm und zurückhängte.

«Damit es nicht noch kaputt geht. Das wollen wir doch nicht.»

«Kaffee?»

«Ja, gern, Herr Schuster. Mit etwas Milch oder Rahm, aber ohne Zucker.»

«Für mich auch», ergänzte Nadine, «aber heute ausnahmsweise schwarz bitte.»

Schweigend sassen sie da und tranken Kaffee.

«Stört es Sie, wenn ich rauche?», fragte Schuster.

Ferrari blickte fragend zu Nadine.

«Nein, überhaupt nicht. Sie haben den Toten gefunden?»

«Nicht nur gefunden. Ich habe ihn auch ins Stadion gelassen. Er hat mich heute früh angerufen. Er wollte vor dem Konzert, sozusagen ohne den grossen Rummel, das ‹Joggeli› besuchen.»

«War er allein?»

«Mutterseelen allein, Frau Kommissärin.»

«Ich bin nur die Assistentin des Kommissärs, Herr Schuster. Haben Sie sich mit ihm unterhalten?»

«Wie man sich so eben mit einem Promi unterhält. Er hat mir eine Autogrammkarte für meine Sammlung mitgebracht.»

Stolz hielt er sie dem Kommissär unter die Nase.

«Es ist schon eigenartig, wenn man einen Weltstar vor sich hat, der Baseldeutsch spricht.»

«Wollte er etwas Besonderes im Stadion anschauen?»

«Ich glaube nicht, Herr Kommissär. Er setzte sich im A2 auf einen Platz in die oberste Reihe und schaute sich im Stadion um. Dann ist er anscheinend in die Garderobe gegangen.»

«Anscheinend?»

«Während er auf der Tribüne sass, bin ich kurz ins Einkaufszentrum. Zuvor habe ich ihm erklärt, wo die Garderoben sind, und sie aufgeschlossen. Die wollte er sich anschauen. Als ich zurückgekommen bin, habe ich ihn gesucht. Zuerst dachte ich, er sei gegangen. Dann sah ich die offene Garderobentür. Und da war er auch. Tot …», murmelte der Abwart leise.

«Jemand muss ihm aufgelauert haben.»

«Das ist nicht möglich, Frau Kommissärin. Es war niemand im Stadion ausser Herrn Lauscher und mir.»

«Sind Sie sicher?»

«Absolut. Ich habe die Tür beim Verlassen bestimmt zugezogen. Und als ich zurückkam, war sie auch zu. Ich zeige Ihnen, wie das System funktioniert.»

Schweigend und in Gedanken versunken folgten sie dem Abwart zum Ausgang. Der Tote war bereits abtransportiert worden.

«Wahnsinn! Da wird einer der berühmtesten Musiker, den die Schweiz jemals hatte, einfach in den Katakomben des ‹Joggeli› ermordet. Ich kann es noch immer nicht fassen!», flüsterte Nadine in die drückende Stille.

Schuster räusperte sich verlegen und begann auf ein Zeichen des Kommissärs mit seinen Ausführungen. Das Schliesssystem funktionierte ganz einfach. Wenn man die Tür von aussen zuzog, konnte man sie nur noch mit einem Schlüssel öffnen.

«Ein Schnappschloss also. War die Tür verschlossen, Herr Schuster?»

«Verschlossen? Nein, ich schliesse sie nur ab, wenn ich das Stadion verlasse. Wenn ich mal kurz raus gehe oder ins Einkaufszentrum, ziehe ich sie nur zu. So.»

Der Abwart versetzte der Tür mit dem Fuss einen Stoss. Sie klinkte lautlos ein. Ferrari versuchte sie zu öffnen.

«So geht sie nicht auf.»

«Sag ich doch. Eigentlich müsste man sie gar nicht abschliessen. Der Stadionbetreiber hat aber strikte Anweisung gegeben, wegen der Versicherung oder so. Also schliesse ich die Tür immer brav zu, wie es mein Chef verlangt.»

«Dann muss Lauscher seinen Mörder oder seine Mörderin hereingelassen haben», folgerte Nadine.

Ferrari nickte zustimmend.

«Die Frage ist nur, haben die beiden hier abgemacht oder sich zufälligerweise getroffen? Und womit wurde John Lauscher ermordet?»

Ferrari wies einen der Beamten in Uniform an, die Garderobe zu versiegeln. Lange würde sich die Nachricht vom Mord an John Lauscher nicht geheim halten lassen. Und dann gings los. Die Presse würde sich auf die Nachricht stürzen, spekulieren, wer denn dahinter stünde. Es war nur eine Frage von Stunden und die Schweiz stand Kopf. Diese Stunden wollte der Kommissär nutzen, um zu ermitteln.

«Dein Stürmerstar scheint wenig begeistert zu sein, dass er nicht in die Garderobe darf. Auf jeden Fall diskutiert er heftig mit unserem Kollegen. Ich dachte, es findet in den nächsten Tagen kein Spiel statt», unterbrach Nadine Ferraris Grübeln.

«Stimmt. Einige der FCB-Spieler sind in der Nati, die anderen im Schwarzwald in einem Kurztrainingslager. Hier können sie ja wegen dem Konzert nicht trainieren. Nur die Pfeife da ist verletzt. Der Trottel soll seine Energie besser dafür verwenden, Tore zu schiessen, als hier zu diskutieren. Wenn ich an den Sechzehntelfinal im UEFA-Cup denke, kommt mir noch immer die Galle hoch.»

«Pech gehabt. Die anderen waren halt besser.»

«Hm!»

Das sah der erfolgsverwöhnte Fussballfanatiker Ferrari anders. Nach einer grandiosen Champions-League-Saison vor sechs Jahren mit Spielen gegen Liverpool und ManU war es für ihn und dreissigtausend andere sonnenklar gewesen, dass der FCB nun einen Stammplatz in der Champions League haben würde. Doch die folgenden Saisons hielten den Erwartungen nicht stand. Die Champions League und sogar der Meistertitel rückten in weite Ferne. Das war noch nicht alles. In der vergangenen Spielzeit folgte ein diskussionsloses Aus im UEFA-Cup. Eine Blamage. Da wäre mehr drin gelegen. Dessen war sich der Kommissär sicher.

«Immerhin habt ihr in dieser Saison das Double geholt.»

«Aber nicht dank dem da. Ich nehme mir die Niete zur Brust.»

«Bleib hier, Francesco. Ich spreche mit ihm. Dir fehlt die nötige Distanz. Man könnte sagen, du bist befangen.»

Kleine bescheidene Männerwelt, dachte Nadine kopfschüttelnd, die einen charmanten Spieler erlebte, der ihr die Hände tätschelte und selbstverständlich darauf verzichtete, unnötige Utensilien, aus welchen Gründen auch immer, aus der Kabine zu holen. So nebenbei lud er Nadine zu einem Abendessen ins Restaurant «Bruderholz» ein. Sie liess es zwar offen, notierte sich aber seine Handynummer.

«Schwarzgelockter Goggel!»

«Er ist wirklich charmant.»

«Was wollte der Chancentod?»

«Der was?»

«Der Chancentod! Versiebt hundert Chancen, bis er mal einen versenkt.»

Der FCB-Spieler warf Nadine Kusshändchen zu. Ferrari schnitt angewidert eine Grimasse.

«Nun, was wollte er?»

«Persönliche Dinge aus der Kabine holen. Er hat mich ins ‹Bruderholz› eingeladen. Ich werde es mir überlegen. Schliesslich ist er nach Gimenez und Petric zusammen mit Marco Streller der erfolgreichste Torschütze der letzten Jahre.»

Ferrari staunte nicht schlecht.

«He! Du interessierst dich ja für Fussball! Das habe ich gar nicht gewusst.»

«Zwangsläufig. Nach jedem Spiel gibt es im Kommissariat sowieso nur ein Thema, nämlich euren über alles geliebten FCB. Ihr merkt das gar nicht mehr. Fussball, Fussball und nochmals Fussball. Wenn man einmal zusammenrechnen würde, wie viel Arbeitszeit mit diesen Diskussionen verloren geht, da käme eine stolze Zahl zusammen.»

Der Kommissär ging auf Nadines Bemerkung gar nicht ein.

«Wir hätten im UEFA-Cup weit kommen können. Vielleicht sogar bis in den Halbfinal oder sogar in den Final, wenn wir im Match gegen Lissabon nicht schon nach zwei Minuten den ersten Treffer kassiert hätten … Lach nur! Wir waren gedanklich irgendwie noch nicht richtig auf dem Platz. Und schon war alles aus.»

«Das solls geben. Aber so schlecht war die Saison doch nicht. Ich meine vom Ganzen her gesehen.»

«Ja, ja, das Double. Aber wie das zu Stande kam! Jeder Match eine Zitterpartie. Gegen Aarau und Thun sogar nur ein Unentschieden! Gegen diese Provinzmannschaften sind wir nicht über ein Remis hinaus gekommen.»

«Du kannst dich ja als Trainer bewerben und es besser machen.»

«Ha! Das wäre kein Problem.»

«Cheftrainer Francesco Ferrari! Da lachen ja die Hühner», spottete Nadine.

«Denen würde ich die Leviten lesen. Und wie. Ich hätte da schon die eine oder andere Idee …»

«Du vergisst, dass ihr Meister und Cupsieger geworden seid und euch jetzt sogar für die Champions League qualifiziert habt», wiederholte Nadine genervt.

Doch Ferrari hörte nicht zu.

«Ich würde den Lackaffen da in seinem Ferrari hochkant rauswerfen und mit ihm die halbe Mannschaft. Ach was, die gehen ja sowieso. Sobald ihnen ein Club mehr bietet. Das ist der eigentliche Jammer. Es fehlt den Spielern an der notwendigen Identifikation mit dem Club und der Stadt. Treue ist ein Fremdwort geworden. Ich frage mich, wo unsere Ideale geblieben sind? Auf jeden Fall haben wir jedes Jahr eine neue Mannschaft. Ist ja klar, dass die Spieler eine gewisse Zeit brauchen, bis sie zusammen harmonieren und ein geschlossenes Ganzes entsteht. Wenn das in der nächsten Saison … he, warte Nadine, warte auf mich!»

3. Kapitel

Staatsanwalt Borer machte einen bekümmerten Eindruck.

«Weshalb immer bei uns, Ferrari? Immer bei uns. Die Kriminalität nimmt ständig zu. Mord und Totschlag, wohin man blickt. Und dann meist berühmte Leute. Dieser Frank Brehm vor zwei Jahren. Zum Glück haben wir den Fall gelöst. Und jetzt ein weltberühmter Musiker. Was ist das nur für eine Welt, in der wir leben?»

Daher wehte der Wind. Berühmte Tote waren dem Staatsanwalt ein Gräuel.

«Was wissen Sie über diesen John Lauscher?»

«Eigentlich nichts. Nur das, was man so aus der Regenbogenpresse kennt.»

«Und ihr Schatten? Die weiss doch immer alles. Sie ist ja ganz vernarrt in diese Devils.»

«Nadine klärt im Augenblick ab, in welchem Hotel die Band wohnt.»

«Im ‹Radisson›», kam die Antwort wie aus der Pistole geschossen.

«Sind Sie sicher?»

«Natürlich bin ich sicher, Ferrari. Schliesslich bin ich mit Hans Kessler vom ‹Radisson› befreundet. Und gestern Abend hatten wir ein Bankett. Da hat er es mir erzählt. Sie hätten mich nur fragen müssen.»

Ferrari verliess kopfschüttelnd Borers Büro. Da will man den Kerl nur kurz orientieren und im Nebensatz informiert er mich, als ob es das Selbstverständlichste auf der Welt wäre. Eine halbe Stunde später tauchte Nadine auf.

«Sie wohnen im ‹Radisson›.»

«Woher weisst du das?»

«Von Borer.»

«Was? Und woher weiss der Arsch das?»

«He, he. Einer seiner Freunde ist der Kessler vom ‹Radisson›.»

«Typisch Basel. Es tauchen immer die gleichen Personen auf, die sich alle irgendwie zu kennen scheinen.»

«Ist das in Bern anders?»

«Nein, eigentlich genauso. Nur heissen sie anders. Von Suri, von Graffenried oder von Gunten.»

«Bevor wir ins ‹Radisson› gehen eine Frage: Was weisst du über die Band?»