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Der Journalist Leo Kainzer soll über die argentinische Präsidentenwahl berichten und eilt aus der Toskana ins herbstliche Buenos Aires. Doch statt auf Kundgebungen und Pressekonferenzen zu gehen, muss er sich auf die Spur des Ehemanns einer Jugendfreundin setzen - eines Experten für die Wasserreserven der Welt, der sich grußlos mit einer halben Million Dollar und viel Whisky im Gepäck in den patagonischen Regenwald abgesetzt hat. Kainzer kann nicht einmal annähernd ahnen, was auf dem gefährlichen Ritt durch die südliche Andenwildnis auf ihn zukommen wird: ein durchgeknallter Diplomat mit austrofaschistischer Gattin; ein bisexueller Naturanbeter aus dem Innviertel; ein zwergenhafter Schuhputzer und Fabulierer; eine trostbedürftige junge Frau aus Montevideo. Stets ein Phantom bleibt dabei Franz Melan, der Verschollene. Der schwelgt indessen, kaum aus dem Sattel, in patagonischen Gaumenfreuden und fällt bald in die Arme einer oft missbrauchten, vergeltungssüchtigen Mapuche. Eine bigotte, esoterische Initiationsreise, ein ironisch-patagonischer Western, ein redlicher Kampf um reines Süßwasser? Germán Kratochwil entführt in einen Urwald menschlicher Begierden und Sehnsüchte, wo gegensätzliche Interessen und widersprüchliche Charaktere aufeinanderstoßen. Er tut dies in einer saftigen Prosa, voll Scharfsinn und Humor.
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Seitenzahl: 424
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Copyright © 2013 Picus Verlag Ges.m.b.H., Wien Alle Rechte vorbehalten Grafische Gestaltung: Dorothea Löcker, Wien Umschlagabbildung: © Pablo Rodríguez/agefotostock/Avenue Images Datenkonvertierung E-Book: Nakadake, Wien ISBN 978-3-7117-5175-1 Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt
Informationen über das aktuelle Programm des Picus Verlags und Veranstaltungen unterwww.picus.at
»… und fern, in den Urgebirgen der Cordilleren, wandelte ein unbekannter, starker, verachtender Mensch, um dort neue Himmel für sein wallendes, schaffendes, dürstendes, schuldlos gebliebenes Herz zu suchen.«
ADALBERT STIFTER, Der Condor
Ein jäher Luftstrom fuhr durch das Gedränge an der Sperre, aber es warf nur Livia herum, die gleich nach einem aufgerissenen Fenster, einer aufgestoßenen Tür Ausschau hielt. Doch da war nichts. Die rempelnden Fans in der Ankunftshalle starrten unverwandt auf die Öffnung in einer grauen Trennwand, aus der ihr Idol heraustreten würde. Fernes Grollen von Triebwerken durchbebte Livias Brust. Das zeugt von meinem Zustand, meinem schlechten Gewissen … Dies ist doch eine imboscata meinerseits, ein Hinterhalt. Wie kann ich Leo das zumuten?! Ich hätte ihn gestern noch in der Toskana anrufen können, sollen! – um ihn zu warnen. Was wird er nun von mir denken, von Franz, von uns beiden … Ein spöttisches Lachen, Johlen und Pfeifen unterbrach sie. Es galt dem ersten Ankömmling – einem erschrockenen, verständnislos blickenden Rentnertyp. Der argentinische Torjäger von Juventus Turin ließ wohl noch auf sich warten.
Weitere Passagiere kamen hinter der Zollschranke hervor; an ihren Koffern und Taschen hing das Etikett der Alitalia. Leos Flug: AZ0680, Roma/FCO–Buenos Aires/EZE, wie Livia vor der Ankunftstafel memoriert hatte. Sie blickte in Gesichter, an denen ihr – nach den langen Sommermonaten hier – die Blässe auffiel, und in verschwollene Augen, die vom endlosen Nachtflug über den Atlantik zeugten. Eines der Gesichter wird seines sein; dann werden sie einander entdecken, zuwinken … sich schließlich umarmen. Und sie wird ihm alles erzählen müssen. Und ihn dann auch noch bitten müssen …
Rücksichtslos drängten Ungeduldige sich an ihr vorbei, nach vorne, verstellten ihr die Sicht. Sie ließ es geschehen, es war ihr sogar recht; das würde die unmittelbare Begegnung mit Leo hinauszögern. Wie hatte sie nur auf den Gedanken kommen können, den Nichtsahnenden in dieses Unglück hineinzuziehen? – Bei aller Freundschaft, die sie seit Jahrzehnten verband, sodass sie beide oft über eine Beziehung per tutta la vita gescherzt hatten – im Schatten von Franz. Wie allein ich hier stehe, und wie allein wir im Grunde doch beide, Franz und ich, hier in Buenos Aires lebten … Längst hätten wir wieder nach Genf oder Wien oder Rom zurückkehren sollen, in die Nähe unserer Freunde, in eine andere gesellschaftliche Umwelt, weit weg vor allem von dieser immer gegenwärtigen und zuletzt verhängnisvollen Versuchung namens Patagonien.
Aber Franz wollte ja nicht. Hier sei jetzt unsere »Lebenswelt«, hatte er borniert behauptet. Allein schon dieses blöde Wort! Und von einem Tag auf den anderen macht er mich zur »verlassenen Frau«, ja zur sitzen oder stehen gelassenen eigentlich, und ich habe natürlich prompt schon das falsche Kleid gewählt; etwas Spätsommerliches hätte ich heute anziehen sollen, bunt und leicht. Aber zugegeben: Das einzige Schöne ist mir zu eng geworden. Und jetzt komme ich in diesem blaugrauen Herbsttailleur daher, in dem ich aussehe wie eine Kandidatin für den Witwenstand. Ja, man riecht mir die Frühverwitwete geradezu an, allein schon wegen des schweren, süßlichen Parfüms, das ich mir unsinnigerweise aufgetupft habe – und die Schuhe geben mir den Rest. Flache Schuhe, schwarze Ballerinas, was ist mir denn da eingefallen, einfach infantil … Wieder mein unheilbares Trauma der Schuhwahl: Wo andere vor einer Speisekarte kapitulieren, erstarre ich in der Garderobe vor meinen Schuhen und wähle bestimmt die falschen. Warum denn heute nicht die kirschroten Pumps, die Franz früher, als er mich noch ansah, ganz unmöglich fand, oder die neuen Schwarzen vom letzten Empfang, aus Lackleder – darin bin ich wenigstens um fünf Zentimeter größer! Diese lebenslange Suche nach dem eigenen Stil. Was hilft es, dass ich mir gestern etwas Asymmetrie ins Haar schneiden ließ. Nun steh ich hier in meiner Witwentracht und warte auf meinen Retter. Bin blass und teigig, wie diese unausgeschlafenen Ankömmlinge, die mit ihren brennenden Augen ins hereinflutende Tageslicht blinzeln und herumspähen nach winkenden Bekannten, Abholern mit Namensschildern, Mietwagenanbietern, Shops, Wechselstuben; oder einfach nur wie Frischgelandete auftreten, die in die chaotische, unübersichtliche Arrival-Halle von Ezeiza blicken, auf den wiedergewonnenen soliden Boden, und durch die Glaswände hinaus auf Parkplätze, Verkehr, Flachbauten, Bäume. Leo wird todmüde sein – und hier erwarte ich ihn in meiner Witwenkluft und komme ihm mit diesem Überfall, der doch mit seinem Reiseziel überhaupt in keinem Zusammenhang steht.
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