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Es ist so langweilig! In Rocky Beach ist wirklich überhaupt gar nichts los. Skinny Norris kann noch nicht einmal die drei ??? ärgern: Justus, Peter und Bob sind verreist. Als Lys de Kerk auftaucht, gibt es endlich Hoffnung. Vielleicht passiert jetzt endlich etwas Spannendes? Lys' Bruder Yan ist mit einem Freund losgezogen, um einen Schatz zu suchen. Das ist Skinnys Chance! Vielleicht ist er schneller als die anderen? Keiner kennt sich in den Küstenbergen so gut aus wie er. Skinny erklärt sich bereit, Lys zu helfen. Ein humorvoller Lokalkrimi, in dem der Erzfeind der drei ??? im Mittelpunkt steht.
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Seitenzahl: 198
Rocky Beach Crimes. Der blutrote Kondor
Skinny Norris ermittelt
Kari Erlhoff
KOSMOS
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Umschlagsabbildung: © Claudia Castiglione | Guter Punkt, München unter Verwendung von Motiven von iStock /Getty Images Plus
© 2024, Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG
Pfizerstraße 5–7, 70184 Stuttgart
Alle Rechte vorbehalten
ISBN 978-3-440-50888-6
E-Book-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig
»Schnell, wir müssen zurück!«
Ein Geschoss prallte von der Felswand ab. Steinsplitter flogen in alle Richtungen. Yan de Kerk drehte sich zu dem Felsentunnel um, aus dem er eben erst gekrochen war.
»Nein!«, brüllte Maxiwo. »Das schaffen wir nicht!«
Für Diskussionen blieb keine Zeit. Yan folgte seinem Freund und hatte ihn bereits nach wenigen Sekunden eingeholt. Nebeneinander sprangen sie über Felsbrocken und Geröll. Ein weiterer Schuss erklang, verfehlte sie jedoch um Längen. Mit etwas Glück konnten sie ihren Verfolger abhängen.
»Beeilung!« Yan hastete durch den Canyon, der sich vor ihnen zu einem dunklen Schlund verengte. In der Hoffnung, irgendwo einen Ausgang zu finden, drängte er sich zwischen scharfkantigen Vorsprüngen hindurch. Doch zu früh gefreut.
»Das ist eine verdammte Sackgasse!« Maxiwo verlangsamte das Tempo.
Voller Entsetzen stellte Yan fest, dass der Weg direkt vor ihnen an einer uralten Holzbarracke endete. Das Gebäude klemmte förmlich unter den steilen Felswänden, die es wie einen Kessel einschlossen. Nirgendwo gab es einen Ausgang.
Ihr Verfolger holte trotz seiner Verletzung auf. Humpelnd und fluchend kam er näher. Ein drittes Geschoss surrte durch die Luft. Dieses Mal verfehlte es Yan nur knapp. Maxiwo stolperte über den unebenen Boden und schlug mit den Knien auf. Yan packte ihn an der Schulter und riss ihn mit sich. Seine Augen suchten vergeblich nach einem Fluchtweg. Doch nirgends gab es einen Spalt, der groß genug war. Wären sie doch bloß in die andere Richtung gelaufen!
Yan blickte über seine Schulter. Ihr Verfolger hatte erneut seine Waffe gehoben, zielte und drückte ab.
Yan warf sich auf Maxiwo und sie stürzten in einem Knäuel aus Armen und Beinen zu Boden. Jede Faser ins Yans Körper war angespannt, erwartete den tödlichen Knall. Doch der blieb aus.
»Er hat keine Munition mehr!«, ächzte Maxiwo.
Die Erleichterung war leider nur von kurzer Dauer. Ihr Gegner warf die nutzlose Pistole von sich und zog ein Messer, das er am Gürtel getragen hatte. Es blitzte in der Abendsonne bedrohlich auf.
»Da hoch!« Yan sprang wieder auf die Beine. Er hatte etwas entdeckt. Vielleicht gab es doch noch einen Weg in die Freiheit! Es war ein Vorsprung in der linken Felswand, unweit der Baracke. Wind und Wasser hatten über die Jahrhunderte so etwas wie Stufen geformt. Wenn sie schnell waren, konnten sie an dieser Stelle aus dem Canyon hinausklettern. Irgendwo da oben, gut versteckt hinter einem Gestrüpp, hatte Maxiwo seinen Jeep geparkt. Yan fühlte Hoffnung in sich aufkeimen.
Der Aufstieg war zunächst ein Kinderspiel. Yan und sein Freund waren erfahrene Kletterer und durchtrainiert. Doch dann wurde der Weg mit jedem Handgriff und jedem Fußtritt beschwerlicher. Der Berghang verwandelte sich zunehmend in eine steile Fläche. Verzweifelt tastete Yan nach einem sicheren Halt. Eine Ladung Steine löste sich und prasselte über die Felsen in die Tiefe.
»Vorsicht!«, rief Maxiwo, der noch ein ganzes Stück unter ihm kletterte.
Yans Schläfen begannen zu pochen. Er hatte viel zu lange nichts getrunken. Er war müde und erschöpft von der Hitze und dem langen Tag, der bereits hinter ihnen lag. Das Adrenalin in seinem Blut trieb ihn voran, aber seine Muskeln würden bald schlappmachen. Seine Arme fingen an zu zittern. Schließlich erreichte er einen weiteren Vorsprung. Das Ende der Steilwand schien so nah. Und doch war es unerreichbar. Über ihm lag glatter Fels. Vergeblich suchte er nach Mulden, an denen er Halt finden konnte. Wenn doch nur …
Unter sich hörte er Maxiwos Aufschrei. Yan blickte hinab. Von hier oben wirkte die Schlucht plötzlich viel tiefer. Aus den Augenwinkeln sah Yan, dass ihr Verfolger nicht aufgegeben hatte. Er hatte Maxiwo erreicht und packte dessen Bein.
»Max!«, brüllte Yan. Er glaubte, wieder das Aufblitzen des Messers zu sehen. Aber vielleicht war das auch nur eine Täuschung. Ein zweiter Schrei hallte durch den Canyon. Ehe er verklungen war, stürzte Maxiwo in die Tiefe und prallte am Fuße der Steilwand auf.
Fassungslos sah Yan hinab. Doch von dort kam ihm schon sein Verfolger entgegen.
»Dich kriege ich auch noch!«, keuchte der Mann. Langsam, aber stetig holte er auf. Yan konnte bereits die Narben und sogar einzelne Schweißperlen auf dem Gesicht seines Verfolgers erkennen.
Trotz der Hitze spürte Yan, wie ihn eine eiskalte Welle des Zornes überkam. Er kochte förmlich. Denken war in diesem Augenblick unmöglich. Yans Körper bestand nur noch aus Reflexen. Impulsgesteuert packte er einen losen Stein und schleuderte ihn hinab. Ein weiterer, größerer Stein folgte.
Der Mann brüllte auf. Yan hörte Schlittern und Schleifen, dann einen Aufprall. Einen Augenblick lang verharrte Yan wie erstarrt, den Körper an den Felsen gepresst. Unten blieb alles still – viel zu still. Es war, als hielte die Bergwelt entsetzt den Atem an. Erst, als der Schrei eines Vogels erklang, konnte Yan sich lösen. Unter sich sah er Maxiwo und seinen Verfolger, regungslos auf dem Geröll ausgestreckt.
Mühsam kämpfte Yan gegen die aufsteigende Übelkeit an. Er musste die Felswand wieder hinabklettern, um nach Maxiwo zu sehen. Yans Kopf hämmerte. Seine Sicht verschwamm. Trotzdem schaffte er es, von dem Vorsprung zurück auf die obersten Stufen zu gelangen. Nach den ersten zögerlichen Schritten legte er an Tempo zu. Maxiwo durfte nicht tot sein! Das war einfach nicht möglich! Yan hoffte inständig, dass sein Freund einfach nur verletzt war.
Unaufmerksam griff Yan nach einem scharfkantigen Vorsprung. Instinktiv zog er seine Hand zurück. Ehe er realisierte, was geschah, verlor er den Halt. Sein Herz machte einen gewaltigen Satz. Der freie Fall fühlte sich seltsam lang an, beinahe wie in Zeitlupe. Und doch traf er nur Sekunden später auf dem harten Boden des Canyons auf. Der Schmerz war heftig, aber nicht von langer Dauer. Ein paar Sekunden lang sah Yan verzerrte Bilder – Maxiwos gekrümmten Körper, das leblose Gesicht ihres Verfolgers und … dann wurde die Welt um ihn herum schwarz.
Die Sonne versank im Westen. Für einen Moment sah das Tal aus, als würde es in Flammen stehen. Die Glut verglomm und die Dunkelheit setzte ein. Yan bekam davon nichts mehr mit. Er sah weder das schwache Leuchten der ersten Sterne noch den Puma, der oben am Berghang auf Jagd ging. Er hörte nicht die Grillen, die im trockenen Gras sangen, und merkte nicht, dass sich eine dunkle Gestalt aus den Schatten der Felsen löste.
»Joe Rollins!« Die Gestalt beugte sich über den Körper des Verfolgers und lächelte. Doch es war kein gutes Lächeln.
Der Kojote war siegessicher. Seine lange Schnauze formte sich zu einem hämischen Grinsen. Dieses Mal würde er nicht leer ausgehen. Er hüpfte zu dem gigantischen Felsbrocken, der nur wenige Meter über dem Abgrund lag. In der Ferne hörte er den Ruf des Vogels. Seine Beute näherte sich in einer Staubwolke.
E. Skinner Norris beugte sich vor. Natürlich wusste er, was kommen würde. Er hatte es schon so oft gesehen. Trotzdem fieberte er jedes Mal mit, wenn der Kojote im Fernsehen den aussichtslosen Kampf gegen den pfeilschnellen Vogel aufnahm. Skinny griff in eine Tüte Chips, während die hagere Cartoon-Gestalt auf dem Bildschirm ein Streichholz an eine Zündschnur hielt. Die Lunte brannte. Der Kojote hielt den Atem an und Skinny tat es ihm gleich. Er kannte dieses Gefühl nur zu gut. Diesen Wunsch, ein einziges Mal zu triumphieren. Doch dieser blöde Vogel war unbesiegbar. Egal, was der Kojote auch tat, der Vogel entkam jeder Falle, überwand jedes Hindernis und konnte am Ende über den Kojoten lachen. Genau wie die drei ???, Skinnys Erzfeinde.
»Hallo?« Die Stimme kam aus dem Nichts. Überrascht sah Skinny auf. Vor dem Pförtnerhäuschen, in dem er soeben die Nachtschicht übernommen hatte, stand eine junge Frau.
»Äh, hallo«, sagte Skinny. Er setzte sich gerade hin und schob schnell die Chipstüte zur Seite. Auf dem Bildschirm krachte der Felsblock in die Tiefe. Dramatische Musik untermalte die verzweifelte Attacke des Kojoten.
»Störe ich?«, erkundigte sich die junge Frau. Die Frage war eindeutig ironisch gemeint.
Skinny konnte schlecht mit »ja« antworten. Er brauchte diesen Job. Vor einigen Tagen hatte er wieder einmal eine Einnahmequelle verloren. Sein Vater hatte daraufhin ein weiteres Mal seine Beziehungen spielen lassen und seinem Sohn den Posten als Pförtner einer luxuriösen Wohnanlage in Rocky Beach besorgt. Natürlich nicht ohne Bedingungen. Mr Norris war ein harter Geschäftsmann und ein noch härterer Vater. Ein weiterer Fehlschlag und Skinny würde dieses Mal endgültig enterbt werden.
Skinny räusperte sich und versuchte, einen möglichst höflichen Tonfall zu treffen. »Verzeihung. Wie kann ich Ihnen helfen?«
Der Felsbrocken hatte den Vogel verfehlt, rollte nun an der anderen Seite des Canyons hoch, flog durch die Luft und landete – wie konnte es auch anders sein – genau auf dem Kojoten. Skinny verzog das Gesicht.
»Skinny Norris?«
Er blinzelte verdutzt. Die junge Frau stand nun genau im Licht der Außenbeleuchtung. Ihr langes, blondes Haar wehte im Nachtwind – wie in einer schlechten Shampoo-Werbung. Lys de Kerk sah eben nicht nur im Film aus wie ein Modell, sondern auch in der Realität. Selbst Justus Jonas, der eingebildete Anführer der drei Detektive, hatte die junge Schauspielerin vergöttert. Er war angeblich sogar so etwas wie ihr fester Freund gewesen, was Skinny jedoch stark bezweifelte. Lys de Kerk war immerhin etwas älter als Justus, ein Hollywood-Star, grauenvoll sportlich und noch dazu hochintelligent. Mit anderen Worten: Sie war geradezu nervtötend perfekt.
»Hallo, Pretty Peggy«, sagte Skinny geringschätzig. Er war aus einer ganzen Reihe von Gründen immun gegen ihren Charme und das durfte sie ruhig wissen. »Oder war es Mary Sue? Mein Namensgedächtnis ist so schlecht.«
Lys de Kerk korrigierte ihn nicht. »Ich möchte zu meinem Bruder. Er wohnt zurzeit hier.«
»Wie heißt er denn?«, fragte Skinny, obwohl er es genau wusste. Yan de Kerk war schließlich auch ein Star. Im Gegensatz zu Lys hatte ihr Zwillingsbruder Hollywood nicht den Rücken zugekehrt und drehte weiterhin Filme. Skinny wollte es Lys nicht zu einfach machen. Allein die Tatsache, dass sie gut mit den drei ??? befreundet gewesen war, machte sie automatisch zu einer Feindin.
»Yan«, sagte Lys. »Yan de Kerk. Er passt auf das Haus von Mrs Fowler auf.«
»Hmmm«, machte Skinny betont langsam. Der Kojote wurde gerade von einer Explosion erfasst und landete auf einem Kaktus. Skinny musste an die Drohung seines Vaters denken. Wenn Lys sich beschwerte, würde man ihn rauswerfen. »Ich kann bei Mrs Fowler anrufen. Moment.«
Lys beobachtete, wie er nach dem Telefonhörer griff. Skinny lauschte dem Tuten. Niemand nahm ab.
»Ich verstehe das nicht«, sagte Lys.
»Es ist ganz einfach«, erwiderte Skinny. »Entweder er ist nicht da, oder er möchte nicht gestört werden.«
»Ich war heute Nachmittag schon einmal hier.« Lys wirkte nun ernsthaft besorgt. »Und dann wieder am frühen Abend. Dein Kollege sagte, Yan sei unterwegs. Aber ich habe ihm doch schon gestern auf den Anrufbeantworter gesprochen, wann ich in Rocky Beach ankomme.«
»Er hat es gehört und ist abgehauen, sorry, Babe«, erwiderte Skinny. »Mehr Zeit für dich, zum Schrottplatz zu fahren und deinen Exfreund zu besuchen.«
»Justus ist …«, begann Lys, doch dann winkte sie ab. »Ich habe heute nur seine Tante angetroffen. Die drei Jungs sind wohl gerade gemeinsam verreist.«
Natürlich. Justus, Peter und Bob nutzten die Sommerferien voll aus. Es wurmte Skinny, dass sie Urlaub machten, während er arbeiten musste – in einer Wohnanlage, deren Namen man nicht einmal nüchtern aussprechen konnte. Andererseits war es immer ein gutes Gefühl, wenn die drei Plagegeister nicht in der Stadt waren. Es erinnerte Skinny an die Wochenenden, an denen seine Eltern ausgegangen waren und er sturmfreie Bude gehabt hatte.
»Kannst du mich in das Haus von Mrs Fowler lassen?«, fragte Lys. Sie klang plötzlich überraschend freundlich. Ihr Schauspieltalent war überzeugend, das musste man ihr lassen. Zu dumm, dass sie mit ihren traurigen Augen und dem Schmollmund an den Falschen geraten war.
»Das ist gegen die Regeln«, erklärte Skinny sachlich. »Unbefugte haben keinen Zutritt zur Anlage.«
Sie griff in ihre Handtasche und förderte kurz darauf zwanzig Dollar zutage. »Kannst du bei mir eine Ausnahme machen? Du hast doch bestimmt einen Zentralschlüssel.«
»Der Zentralschlüssel ist ein Hundert-Dollar-Schein«, erklärte Skinny würdevoll.
Lys verzog das Gesicht. »So viel Geld habe ich nicht dabei.«
»Ach richtig, du bist ja jetzt eine arme Studentin.« Skinny versuchte sich an einem bedauernden Lächeln. »Und die Gagen aus den Kinofilmen hast du komplett für verwaiste Regenwürmer, aussterbende Mikroben, blinde Einhörner und obdachlose Schnecken gespendet, nicht wahr?«
»Darfst du eigentlich während der Arbeitszeit fernsehen?«, fragte Lys und ignorierte Skinnys Sticheleien gekonnt. Dann deutete sie auf die Zigarettenschachtel neben der Chipstüte. »Rauchen ist auch erlaubt? Interessant.«
Skinny schluckte. »Nun ja …«
»Auf deinem Diensthemd ist ein Fleck. Was sagt dein Chef dazu?«
»Es kann ja nicht jeder perfekt sein.«
Lys hielt ihm erneut die zwanzig Dollar hin. »Kannst du mich reinlassen?«
Skinny stöhnte leise. Er vergewisserte sich, dass die Sicherheitskamera am Tor eingeschaltet war. Etwas langsamer, als die Höflichkeit es gebot, verließ er das kleine Wachhäuschen.
Die Wohnanlage Cheshire Square war erst ein paar Jahre alt, sah jedoch aus wie die Kulisse eines Kostümdramas. Rocky Beach war definitiv nicht Hollywood, aber das hatte den Architekten nicht davon abgehalten, einen verrückten Traum zu realisieren. Der gewagte Mix aus gepflegtem Landhausstil, verspielten Elementen, kleinen Parkanlagen und verstecktem Hightech schien den reichen Bewohnern zu gefallen. Der Blick auf den Pazifik war ebenfalls nicht zu verachten.
Skinnys Eltern hatten erst vor Kurzem eines der Häuser besichtigt. Man konnte schließlich nie genug Immobilien besitzen. Damit gab Skinny gerne an. »Mein Alter hat so viele Immos, dass wir kein Zuhause brauchen«, war seine Standard-Antwort, wenn er nach seiner Herkunft gefragt wurde. Skinny hätte sonst umständlich erklären müssen, dass er sowohl in einer Villa in einem anderen Bundesstaat, einem Ferienhaus in Rocky Beach als auch einer Ferienwohnung in Carmel aufgewachsen war, in zwei weiteren Bundesstaaten Internate besucht und schließlich in einem vierten Bundesstaat als Kadett die Militärschule absolviert hatte. Als wäre das nicht schlimm genug gewesen, hatten ihm seine Eltern nach dem Schulabschluss auch noch den Geldhahn zugedreht und die Schlüssel zu allen Immobilien der Familie abgenommen. Seitdem lebte er notgedrungen in billigen Unterkünften in der Umgebung.
»Wir sind gleich da«, erklärte Skinny, als sie an einer kleinen Parkfläche vorbeigingen. Besucher sahen sich normalerweise begeistert um. Selbst bei Nacht war die Anlage beeindruckend. Doch Lys achtete weder auf die gepflegten Blumenrabatten noch auf den Panoramablick über die abendliche Bucht.
»Da ist es schon.« Skinny wies auf die Nummer 14, ein verspieltes Haus mit Holzfassade und Türmchen.
Lys verlangsamte ihr Tempo. Ihr Gesichtsausdruck war schwer zu lesen. Hatte sie Angst?
»Alles klar?«
Sie antwortete nicht.
»He, Wonderwoman.« Skinny wedelte mit einer Hand vor ihrem Gesicht herum. »Was ist los? Dein Bruder hat dich versetzt, das ist doch kein Grund, gleich Panik zu schieben!«
»Ich mache mir Sorgen«, gestand Lys.
»Ach ja, Super-Yan ist ja schon ein paar Stunden weg. Willst du nicht sofort die Polizei rufen? Oder vielleicht diese unglaublich erfolgreichen Alleskönner vom Schrottplatz?« Skinny machte eine bedeutungsvolle Pause, um ihre Reaktion abzuwarten.
»Tja, zu blöd, dass Justus MacSherlock und seine Schergen gerade nicht in der Stadt sind«, fügte er hinzu, als sie nicht reagierte.
»Es ist nur … Yan hat in den letzten Tagen …« Lys unterbrach sich schon wieder selbst und schüttelte den Kopf. »Egal, schließ bitte die Tür auf.«
»Kann es sein, dass du gern mitten im Satz …«, witzelte Skinny. Doch Lys hatte sich wieder in Bewegung gesetzt und steuerte die Haustür von Nummer 14 an.
»Wow«, machte Skinny, nachdem er aufgeschlossen und das Licht eingeschaltet hatte. »Wer so reich ist, sollte doch eigentlich ein paar Dollar für einen Dekorateur übrig haben, oder nicht? Kein Wunder, dass die Alte dauernd nach Europa reist. Das hält man ja kaum aus!«
Das matte Licht eines Kronleuchters offenbarte einen dunkel getäfelten Eingangsbereich, an dessen Wänden riesige Ölschinken hingen. Ein Großteil des Raumes wurde von wuchernden Grünpflanzen in riesigen Kübeln beansprucht.
»Draculas Dschungel«, kommentierte Skinny. »Wohnt dein Bruder freiwillig hier, oder hält Mrs Fowler ihn etwa gefangen? Bist du deshalb so panisch?«
Lys öffnete eine Tür zu ihrer Linken und spähte in den Raum dahinter. Wenige Sekunden später machte sie auch schon wieder auf dem Absatz kehrt und eilte über den dicken roten Teppich zur nächsten Tür.
»Ignoriere mich nur weiter«, rief Skinny ihr zu. »Die Leute auf den Gemälden starren mich übrigens an. Das ist voll der gruselige Effekt.«
Lys tauchte hinter einer Palme auf. »Er ist nicht hier.«
Skinny schaute in eine Bodenvase, die mit chinesischen Drachen-Motiven bedruckt war. »Hier ist er auch nicht. Aber ich helfe dir gerne suchen. Für einen Sonderpreis von sagenhaften hundert Dollar.«
Dieses Mal erwartete er keine Antwort. Und es kam auch keine. Amüsiert sah er Lys zu, wie sie die Treppe zum Obergeschoss hinaufsprang, zwei Stufen auf einmal nehmend.
»Yan?« Ihre Stimme zitterte. »Yan, bist du hier?«
»Yan«, imitierte Skinny die Stimme der jungen Schauspielerin. »Bist du hier? Sag was!« Neugierig sah er sich um, ging an der Treppe vorbei und gelangte in eine großzügig geschnittene Küche. »Mein Brüderlein, wo bist du nur?«
»Ich hatte einfach keine Lust auf deinen Besuch«, antwortete er sich selbst in einer deutlich tieferen Tonlage. »Außerdem habe ich nicht aufgeräumt.«
Auf dem Tisch in der Küche standen die Überreste eines Frühstücks. Der Herd war verkrustet und der Mülleimer quoll über. Eine Fliege landete summend auf einem schmutzigen Teller.
»Zzzt!« Etwas surrte und zischte. Skinny fuhr herum und blickte in kaltes, blaues Licht. Eine winzige Rauchwolke breitete sich aus und es roch unangenehm verbrannt.
»Eine Fliegenfalle«, entfuhr es Skinny erleichtert.
Dieses Haus war unheimlicher als erwartet. Eine Gefahr gab es hier aber nur für Insekten, die dem Licht der Lampe zu nah kamen und zwischen die elektrischen Drähte gerieten. Einen schwarzen Brummer hatte es erwischt.
Skinny schlenderte langsam weiter. Im vollgestellten Wohnzimmer entdeckte er auf einem antiken Tischchen den Anrufbeantworter. Ein rotes Lämpchen blinkte. Ohne nachzudenken, drückte er die Abspieltaste.
Eine monotone Computerstimme erklang: »Mittwoch, erster September, 21:00 Uhr.« Dann folgte die helle Stimme von Lys: »Hallo, Yan? Ich kann dich leider nicht erreichen, aber ich wollte dir sagen, dass ich beim Umsteigen in Albuquerque einen früheren Bus nehmen kann und schon morgen am frühen Nachmittag in Rocky Beach ankomme. Wir können zusammen essen gehen und du erzählst mir in Ruhe, was passiert ist, okay?«
Es war also etwas passiert. Etwas Schlimmes? Machte sie sich deswegen Sorgen? Oder gar Vorwürfe? Mit dem Flugzeug waren es von New York bis Los Angeles nur ein paar Stunden. Stattdessen war sie quer durch Amerika getingelt – mit Bus und Bahn. Miss Mustergültig hatte wohl voll auf Umweltschutz gesetzt und sich mehrere Tage lang in öffentliche Verkehrsmittel gezwängt. Genug Zeit für Yan, um von der Bildfläche zu verschwinden.
Skinny verließ das düstere Wohnzimmer und stieg nun ebenfalls die Treppe hinauf.
»Dein Bruder hat deine Nachricht nicht abgehört«, sagte er, als er Lys in einem der Schlafzimmer fand. »Er war anscheinend seit gestern Abend nicht mehr hier, wenn nicht länger.«
Lys presste eine Hand vor den Mund. Mit blassem Gesicht saß sie auf der Kante eines großen Bettes. Der Überwurf war zerwühlt. Gebrauchte Socken und eine Jogginghose lagen achtlos auf dem Boden. Ein aufgeklappter Koffer lehnte an einer Wand. Yan gehörte definitiv zu den schlampigen Typen, die nicht viel von Ordnung hielten. Das machte ihn beinahe sympathisch.
»Er hat sie verlassen«, murmelte Lys. »Die Beziehung war am Ende.«
»Mrs Fowler?«, fragte Skinny entgeistert. »Die stammt doch aus der Urzeit. Sag jetzt nicht, dass Yan und sie ein Paar waren. Bah! Allein die Vorstellung ist schon absolut schaurig.«
»Nein.« Lys sah genervt auf. »Ich meine doch Thymian Thiry, Yans Freundin, oder besser seine Exfreundin. Sie ist Schauspielerin und hat an seiner Seite im Finale von Cosmic Trek gespielt. Aber zwischen den beiden lief es wohl nicht so gut und sie haben sich getrennt. Yan ist daraufhin Hals über Kopf aus ihrer gemeinsamen Wohnung in Hollywood ausgezogen. Er wollte die Zeit bis zum nächsten Dreh nutzen, um sein Leben zu ordnen.«
»Nach Ordnung sieht das hier aber nicht aus«, fand Skinny. »Mrs Fowler sollte ihre Untermieter besser aussuchen. Manche schrulligen Diven nehmen streunende Katzen auf, die Fowler sammelt stattdessen chaotische Schauspieler. Da hört man ja so einiges von den Kollegen.«
»Mrs Fowler ist mir egal«, gab Lys zu. »Es geht hier doch um Yan! Er muss total durch den Wind sein. Ich habe unterschätzt, wie schlecht es ihm wegen der Trennung ging. Und jetzt ist er verschwunden!«
»Tja, wenn mein Bruder eine dramatische Lebenskrise hätte, würde ich auch mit dem öffentlichen Nahverkehr anreisen«, bemerkte Skinny lakonisch, während er die Gegenstände auf dem Nachttisch betrachtete. Neben einer altmodischen Lampe aus bunten Glasstücken befanden sich dort ein Wecker, zwei Romane und ein in dunkelbraunes Leder gebundenes Buch. Es war mit einer Kordel verschnürt. Ein teurer Füllfederhalter steckte in einer Lasche an der Seite.
»Wie lange hast du für die Reise gebraucht. Drei Tage?«
»Fast vier«, bekannte Lys matt. »Du hast auch einen Bruder?«
»Einzelkind«, erwiderte Skinny. »Und jetzt bitte keine Sprüche über die üblichen Klischees!«
»Wo könnte Yan nur stecken?«
»Lies doch einfach sein Tagebuch.«
»Was?«
»Na, sein ultrageheimes, super privates Tagebuch.« Skinny nahm das Buch vom Nachttisch, löste die Kordel und blätterte die dicht beschriebenen Seiten um, bei denen es sich tatsächlich um Tagebucheinträge handelte. In einer kindlich anmutenden Krakelschrift hatte Yan de Kerk die letzten Tage bis zum Dienstag dokumentiert. Was für ein Streber!
Skinny räusperte sich und tat so, als würde er vorlesen: »Meine Hand zittert, während ich diese Zeilen schreibe. Ich bin total durch den Wind. Ich habe Thymian Tee abserviert und meine wundervolle Penthouse-Wohnung in Hollywood gegen ein staubiges Spukhaus voller Grünpflanzen getauscht. Und jetzt kommt auch noch meine Zwillingsschwester aus New York angereist – mit dem Bus. Wenn ich in diesem Leben noch herausfinden möchte, was ich wirklich will, muss ich abhauen und … oh …«
Skinny starrte auf die Buchstaben vor ihm. Sein Blick blieb an einem Wort hängen. Spielte ihm seine Fantasie plötzlich Streiche? Er stutzte und versuchte, den ganzen Absatz zu lesen.
»Gib das her!« Unbemerkt von Skinny, war Lys aufgesprungen. Sie riss ihm das Buch aus der Hand.
»He«, beschwerte sich Skinny. »Das war gemein.«
»Und das hier ist geheim!« Lys deutete auf das Tagebuch.
»Da stand etwas von einem Schatz!«, platzte Skinny heraus. »Yan hat einen Schatz gesucht!«
»Ich rufe die Polizei!« Lys klappte das Tagebuch, in dem sie nun doch gelesen hatte, zu und legte es aufs Bett.
Skinny hätte es nur zu gern wieder in die Finger bekommen. »Was hat dein Bruder denn so geschrieben?«, fragte er möglichst beiläufig.