Rom im Untergang - Band 1: Eine neue Macht - Alexander Kronenheim - E-Book

Rom im Untergang - Band 1: Eine neue Macht E-Book

Alexander Kronenheim

3,9

Beschreibung

Historischer Roman zur Zeit Marc Aurels, geschildert aus römischer Sicht und durch die Augen eines germanischen Präfekten. In spannender Weise werden die aufkeimenden Konflikte mit neuen Mächten beschrieben, welche als Auslöser des Untergangs von Roms zu sehen sind. Auszug: Vom Flaminischen Tor her kamen zwei Krieger des Weges, mit Soldatenstiefeln und dunklen, groben Kappenmänteln, wie solche, die bei den in den nördlichen Provinzen liegenden Legionen in Gebrauch waren. Obwohl sie der Armee der die Welt beherrschenden Stadt angehörten, war das heiße Italien doch offenbar nicht ihre Heimat. Üppiges blondes Haar fiel ihnen in goldigem Glanz über den breiten Nacken, und den Melieren schmückte ein dichter Bart; die Sonne hatte ihre Gesichter gebräunt, und der Staub einer langen Reise bedeckte Helme und Mäntel. Von riesenhaftem Wuchs, überragten sie das gewöhnliche römische Volk um einen ganzen Kopf. Sie gingen langsam einher in schwankendem Gang, wie er Reitern eigen ist, schauten aber aufmerksam um sich. Als sie mit dem Zug zusammenstießen, wichen sie bis an den Fußsteig aus, verließen jedoch nicht die Mittelbahn. Einem der Klienten missfiel das, denn er schrie: „Zur Seite, ihr germanischen Hunde!" Und als diese Aufforderung erfolglos blieb, sprang er hinzu und fasste den jüngeren Krieger am Mantel. „Siehst du denn nicht, wer da kommt?!" Der Germane runzelte die Stirn, wies mit dem Daumen zum Angreifer und sprach zu seinem älteren Begleiter hinter ihm nur das eine Wort: „Hermann!" In seinem Ton lag ein Befehl. Der bärtige Krieger verstand ihn, denn er packte den Schreier und stieß ihn so heftig zurück, dass der römische Bürger mit seinem Schädel das Straßenpflaster berührte. Sofort wurden die beiden Germanen unter Geschrei und heftigen Gebärden umringt. „Barbaren!" „Überfallen römische Bürger!" „Nehmt sie fest!" So schlug es ihnen entgegen. Und wirklich erschienen Stadtdiener, von denen einer fragte: „Welcher Legion gehört ihr an?" Anstatt zur antworten warf der jüngere Germane seinen Mantel zurück. Ein Silberpanzer wurde sichtbar; um seinen Hals hing eine goldene Kette als Belohnung der Tapferkeit; über seine Hüften war ein farbiges Band geschlungen, das Abzeichen eines hohen Offiziers. „Platz für den Präfekten der Legionen des göttlichen Imperators!" riefen nun die Stadtdiener und senkten ihre in Rutenbündeln steckenden Beile vor dem Barbaren, den sie an seinen Abzeichen als den Anführer der germanischen Reiterei erkannt hatten.

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 1

Vor dem Haus des Tribunen Julius Quinctilius Varus in Rom ging es schon laut und bunt her, obwohl die späte Oktobersonne soeben erst hinter dem Albanischen Gebirge auftauchte.

Einige Dutzend Männer in weißen Togen, ihrer Kleidung nach freie Bürger Roms, schlenderten gemächlich vor der hohen Gartenmauer hin und her.

Einer von ihnen, ein hochgewachsener, breitschulteriger Mann mit dunklem Haupthaar, näherte sich schließlich dem Tor, pochte dreimal mit dem Holzklöppel daran und rief: „Hallo! Hallo! Torwächter, mach auf! Wir sind's, die Klienten deines Herrn."

Hinter der Mauer ließ sich nur ein Hund hören, der grimmig bellte.

„Von Hunden werden wir überall begrüßt.“ brummte der Klient und zog sich gegen die Straßenmitte zurück, wo mehrere andere römische Bürger den Worten eines kleinen hageren Kauzes lauschten, welcher irgendetwas mit großer Lebhaftigkeit vortrug.

Das winzige Männlein verfügte über eine dünne, schreiende Stimme, half sich aber mit Gebärden; seine Hände, Füße und sein Kahlkopf waren in fortwährender Bewegung.

„Was haben wir von diesem Sieg über die Parther?“ knurrte er. „Man hat sie zu Brei zusammengeschlagen, man hat ihre Städte verbrannt, ihre Tempel und Paläste ausgeraubt, man hat unzählige zu Sklaven gemacht . . . Aber wir? Wir erhielten von alledem auch nicht eine einzige Sesterze! Die Heerführer haben, wie immer, so auch jetzt die Beute eingeheimst! Über das Heer ist ein Regen von Belohnungen niedergeprasselt; uns, den Bürgern Roms, hat man die Ehre belassen, die im Triumph einziehenden Legionen nur zu bestaunen."

„Du hättest im Krieg mit dabei sein sollen.“ bemerkte der breitschultrige Braunkopf.

„Seht ihn an, den Helden!“ schrie der Kleine. „Man könnte glauben, dass er seine Jugend im Kriegslager verbracht hätte! Indes wissen wir alle, dass er sich auch nicht einen Tag von der herrschaftlichen Türschwelle weg gewagt hat. In den Krieg? Ja, wozu denn? Die Knochen abnutzen in Wäldern und Wüsteneien, den Stab des Zenturionen auf dem Buckel tanzen lassen, einen ganzen Berg von Gerümpel auf dem Rücken tragen, ein Krüppel werden, sich der Todesgefahr aussetzen? Wahrlich, nicht dazu haben unsere Vorfahren die Welt erobert, dass wir römischen Bürger in den Wäldern Germaniens oder an den heißen Gestaden Afrikas oder Asiens jämmerlich umkommen!"

„Lucius spricht richtig!" wurde allseitig bestätigt. „Lucius hat Recht!“ wiederholten viele.

Dadurch ermuntert, schalt Lucius weiter: „Wozu sind denn die germanischen, spanischen, ägyptischen Hunde da und all' die anderen barbarischen Völker? Die sollen sich für uns herumschlagen, die sollen Hände, Füße und Ohren verlieren. Der römische Bürger ist zum Genießen da! Das ist sein Vorrecht, das ist der Lohn für die Tapferkeit seiner Ahnen."

„Deine Ahnen haben gewiss nicht mit dem Arm, sondern mit dem Maulwerk gefochten!“ unterbrach ihn der Starke. „Caius wird witzig." bemerkte ein Dritter.

„Und die deinigen“ entgegnete Lucius, „haben im Amphitheater sicherlich Stierrollen gespielt."

Der ganze Haufen lachte spöttisch auf.

„Stiere haben Hörner!“ brummte Caius zurück.

„Und fressen gern Heu!“ fügte Lucius hinzu. Schnell wandle er sich zur Mauer, riss eine Hand voll von dem dort wuchernden Unkraut ab und hielt es dem Caius unter die Nase, zu großer Belustigung der Zuhörer.

Caius beugte sich, als wollte er das Unkraut mit den Zähnen fassen, stieß aber mit seinem Schädel so heftig an Lucius, dass dieser zu Boden ging.

„Raufbold! Warte nur, bis ich mich erhoben habe!“ schrie der Kleine, sich mühsam aufraffend.

Er ließ es jedoch bei seiner Drohung bewenden, als er wieder auf den Beinen stand, und warf dem Caius nur einige Schmähworte zu; dann rannte er zum Tor und begann wieder heftig mit den Fäusten darauf zu trommeln. „Mach' auf!“ rief er.

Nun meldete sich hinter der Mauer eine laute Stimme: „Ruhe da! Der hochberühmte Tribun schläft noch."

„So mach doch auf! Du bekommst auch Trinkgeld!“ bat Lucius.

„Kein Spatz könnte sich bei deiner Freigebigkeit besaufen!“ rief der Hauswächter hinüber.

„Ich habe für dich eine ganze Sesterze."

„Kaufe dir dafür ein Frühstück; du bist ja hungriger als ich."

„Sei nicht so frech, du Sklave!" schrie Lucius.

„Schrei' nicht so, du freier Bettler, sonst wirst du noch länger warten."

Lucius spie verärgert aus und kehrte zur Gruppe zurück.

„Ein elendes Handwerk, dieses Kliententum!“ bemerkte er unwillig. „Den ganzen Abend die verschlissene Toga flicken und reinigen, sich des Morgens bei Tagesanbruch von der Streu erheben, stundenlang in der kühlen Morgenluft am Tor herumlungern, dann den Tag über dem Herrn Senator Bücklinge machen, bis es dem Potentaten gefällt, einem römischen Bürger einen Knochen hinzuwerfen! . . . Hat nicht irgendjemand von euch einen kleinen Schluck bei sich? Allmählich wird's jetzt kalt schon am Morgen."

Da niemand sich meldete, hüllte er sich fester in seine Toga und blies in seine erstarrten Hände.

„Ein Hundeleben!“ zischte er.

„In der Tat, elend ist unser Gewerbe.“ sagte Caius. „Ich hab‘s schon satt."

„Und was willst du denn anfangen?“ schrie Lucius. „Aus ist‘s mit den guten Zeiten der ersten Cäsaren, denen die Götter im Olymp ihre Beglückung der Armen lohnen mögen. Sie überhäuften die Plebejer mit Getreide, Geschenken und Gold, bewarben sich um unsere Gunst, hätschelten uns . . . Was ist's aber jetzt? Nicht einmal Denunziant, Menschenschinder, Spion kann man sein, weil…"

„Halt's Maul!“ unterbrach ihn heftig Caius. „Sehnst du dich zurück nach den Ächtungen, den Proskriptionen und den blutigen Schrecken der Caligula, der Nero und Domitian? Seht, was er für ein Bürger Roms ist, ein Nachkomme von Legionären! Er wäre wirklich bereit, den göttlichen Marcus Aurelius anzubellen ob seiner Güte und Gerechtigkeit!"

„Ja, was habe ich denn von der Güte und Gerechtigkeit des göttlichen Imperators? Dass Caligula, Nero und Domitian die Reihen der stolzen Geldprotzen ein wenig gelichtet, den Patriziern und Rittern etwas Blut abgezapft haben, was liegt denn daran? Für uns, für die Armen fanden sie stets Brot, Spiele und ein freundliches Lächeln. Jetzt aber? Seit drei Tagen habe ich nichts Warmes genossen, und nicht einmal ein Hund fragt danach, ob ich hungrig bin. Der Imperator philosophiert, seine Berater philosophieren, sogar Weiber philosophieren. Wenn mir dieses Elend allzu eklig wird, werde ich am Ende auch noch Philosoph!"

Die letzte Worte riefen allgemeines Gelächter hervor.

„Lucius ein Philosoph!“ höhnte ein beleibter Mann, sich den Bauch haltend, welcher unter der Toga in heftige Bewegung geraten war.

„Warum denn nicht?“ schrie Lucius. „Als ob es ein gar so großes Kunststück wäre, das Haar nicht zu kämmen, sich den Bart wachsen zu lassen, in einem allen, fadenscheinigen, angeflickten Mantel langsam und würdevoll einherzuschreiten und allerlei ungereimtes Zeug über Tugend und Götter zu schwatzen! Löcher habe ich ohnehin genug in meiner Toga, und mein Mund ist in Ordnung, wie ihr hört."

Die bisher leere Straße begann sich zu beleben. Truppweise zogen Klienten anderer Herren an denen des Julius Quinctilius Varus vorbei, alle in stark abgetragenen, leichten Togen. Sie schlenderten gähnend einher, die mit gestickten Sandalen beschuhten Füße mühselig hinter sich herschleppend.

„Ich wünsche euch ein reichliches Frühstück!“ rief Lucius einer jeden neuen Gruppe zu.

„Gleichfalls, gleichfalls!“ antwortete man zurück.

Kinder beiderlei Geschlechtes, mit Wachstäfelchen in den Händen, gingen zur Schule; flink bewegten sich Bäderburschen, Weißbrot in Körben auf dem Kopf tragend.

„Frisches Brot, frisches Brot, mürb und duftig!“ rief ein solcher. „Kauft Quiriten, kauft!"

„So zeig's 'mal her!“ gab einer von den Klienten zur Antwort.

„Das ist für euch!" lachte der Bursche, streckte gegen die „römischen Bürger" die Zunge aus und lief weiter.

„Sogar Sklaven haben vor uns keinen Respekt mehr“ brummte Caius.

Da öffnete sich das Tor und in demselben erschien ein riesenhafter germanischer Sklave in roter Tunica; in der Rechten hielt er einen mächtigen Stab.

„Mein hochberühmter Herr entbietet seine Klienten zu sich.“ verkündete er in holperigem Latein.

Kraft einer kaiserlichen Verordnung musste den Personen des Senatorenstandes der Titel ‚hochberühmt‘ beigelegt werden.

Der Tribun war nach jahrelanger Abwesenheit, da mehrere aufeinanderfolgende Feldzüge ihn zurückhielten, nach Rom heimgekehrt, um zunächst das Prätoramt zu übernehmen. Er hatte heute zum ersten Mal die Klienten seines Hauses zu sich bestellt.

Mit dem Ungestüm eines eingedämmten Baches, wenn plötzlich die Schleuse geöffnet wird, drängte die Gruppe römischer Bürger zum Eingang. Einer überrannte den anderen; jeder wollte der erste sein.

„Langsam, ruhig!“ mahnte der Sklave, den Stab erhebend.

Der Anblick des Stabes und die Haltung seines Inhabers brachte Ordnung unter die Drängenden.

„Mein Herr liebt nicht Gepolter!“ fügte der Torwächter noch hinzu.

Nachdem sie die Torschwelle überschritten hatten, befanden sich die Klienten auf einem geräumigen Platz, dessen Mitte ein altes Haus einnahm. Rückwärts grünte ein Park, der sich an einen lang gedehnten und von Gärten bedeckten Hügel anlehnte.

Der Herrenhof des Julius Quinctilius Varus erglänzte nicht in Marmorwänden, wie diejenigen anderer, besser mit der Zeit vorangehender Römer. Vor dem Haupteingang sprudelten keine Springbrunnen und standen keine Säulen von phrygischem Stein. Nur zwei riesige Lotusbäume überdeckten beinahe das ganze Dach mit ihren weit ausgreifenden Ästen. Auch nicht von der Hand eines griechischen Meisters, sondern von dem Schimmel der Jahrhunderte war dieses aus großen Ziegeln erbaute Haus übermalt; aber es atmete Ruhe und Würde.

Die Klienten durchschritten den Portikus, das Vorderhaus, und nahmen Aufenthalt in einem geräumigen Saal, dem Atrium, welcher von einer durch eine quadratische Öffnung im Dach einfallenden Lichtsäule erhellt wurde. Zu beiden Seiten vom Eingang standen hier Schreine, aus denen vom Alter dunkel gewordene Wachsbüsten hervorschauten: Bilder der Ahnen des Quinctilier-Geschlechtes. Auf dem Mosaikboden, knapp an der eingefassten Vertiefung in der Mitte des Saales, in welcher sich an Regentagen das vom Dach herabfließende Wasser ansammelte, erhob sich der Hausaltar, auf dem das heilige Feuer glimmte. An der Walid gegenüber dem Eingang stand der Thron, verziert mit halb erhabenen Schnitzereien, welche Schlachten und Triumphzüge darstellten.

„Siehst du?“ fragte Lucius in gedämpftem Ton und lenkte die Aufmerksamkeit seines Nebenmannes auf den Feuerherd.

„Ein Anhänger alter Sitte!“ entgegnete der Befragte. „Vielleicht lässt er uns beten."

„Wenn er nur an unseren knurrenden Magen, denkt!“ gab Lucius zurück.

„Die Quinctilier sind niemals Geizhälse gewesen.“ bemerkte Caius.

„Aber sie sind zu wenig zu Hause gewesen, um . . ."

Die Unterhaltung verstummte, denn in diesem Augenblick erschien im Saale ein hoch und schlank gewachsener Sklave, ein schwarzäugiger und schwarzhaariger Grieche, ebenso wie der Torwächter mit einer roten Tunika bekleidet — ex alticinctis unus atriensibus, einer der hochgeschürzten Saaldiener, wie sie Phädrus schildert.

Der Sklave stellte sich neben den Stufen einer Tür auf, die zu einem anderen Gemach führten und nur mit einem Vorhang von schwerem Stoff verkleidet war. In der einen Hand hielt er einen weißen Schleier, in der anderen eine silberne Platte, auf welcher eine kleine Amphora mit Wein, kleine Körbchen mit Brot und Früchten sowie ein Behälter mit Räucherwerk standen.

„Julius scheint uns wirklich nach urväterlicher Sitte empfangen zu wollen!" lispelte mürrisch Lucius, und an den Sklaven sich wendend, fügte er die Frage hinzu:

„Hast du vielleicht beobachtet, mit welchem Fuße dein Herr heute zuerst dem Bett entstiegen ist?"

Der Grieche legte zwei Finger der minder belasteten linken Hand an den Mund.

Im Nebengemach ließen sich rasche Schritte hören. Die Klienten hielten ihren Atem an. Eine kräftige Hand warf den Türvorhang zurück, und gleich darauf erschien aus dem Hintergrund des wieder fallenden Vorhanges die Gestalt eines jungen Mannes. Gleichzeitig erscholl im Saal der brausende Zuruf: „Sei gegrüßt in Rom, unser Patron und König!"

Nachdem der Zuruf verklungen war, ließ sich der ‚Patron und König‘ also vernehmen: „Seid gegrüßt, Freunde meines Geschlechtes!"

Es geschah aber in einem so schroffen Ton, als wäre es ein militärisches Kommando. Darauf nahm er den weißen Schleier aus der Hand des griechischen Sklaven, legte ihn über den Kopf, schritt die Türstufen hinab und näherte sich dem Altar. Hier beugte er sich über das Feuer, und die Hände darüber ausstreckend, sprach er:

„Bewirke, o heiliges Feuer, dass wir stets glückselig seien. Dass du unsterblich, ewig schön, jung und reich bist, das du uns nährst, erwärmst und erleuchtest, nimm willig unsere Opfer und gib uns dafür Glück und Heil!"

Nach diesem herkömmlichen Gebet römischer Geschlechtshäupter goss er etwas Wein und Öl ins Feuer und ließ auf die Glut eine Handvoll Brot, Früchte und Weihrauch fallen.

Während dieser Zeremonie sahen die Klienten einander verwundert an. Spöttische Blicke zuckten herüber und hinüber. Lucius versteckte ein höhnisches Lächeln in den Falten seiner Toga.

Als Julius Quinctilius Varus dem Griechen den Schleier zurückgab, kamen eilig vier Sklaven in den Saal, die einen gedeckten langen Tisch trugen. Gierige Blicke der Klienten hefteten sich an die Amphoren und anderes Geschirr. Es gab Wein, Brot und Früchte.

„Bitte." sprach Julius mit einer einladenden Handbewegung. Er selbst nahm auf dem Thronsessel Platz.

Hager, von mittlerem Wuchs, mit dem runden Schädel eines römischen Patriziers, zählte er nicht mehr als einige dreißig Jahre. Die breite Stirn, die Adlernase und die fest geschlossenen Lippen verliehen ihm von der Seite gesehen das Aussehen eines Geiers. Stolzer, unbeugsamer Wille bildete den Charakterzug dieses nüchternen, ganz glatt rasierten Gesichtes; eine kühle Entschlossenheit, die weiches Mitleid weder für sich noch für andere kennt, kam in ihm zum Ausdruck.

Indem er so da saß nachlässig zurückgelehnt, die Unterlippe verächtlich vorgeschoben, die Augen halb geschlossen, machte er trotz seines schmächtigen Körperbaus den Eindruck großer Stärke. Reiche Stoffe trug er nicht, noch war an ihm ein Edelstein zu bemerken. Sein Kleid war eine Toga von grober Wolle; seine schön gestalteten Füße steckten in schweren Soldatenstiefeln; nur der Ritterring schmückte seine Linke. Das einzige Abzeichen seiner hohen sozialen Stellung bestand in dem breiten Purpursaum seiner Kleider.

„Ich bitte." wiederholte er mit einer neuerlich einladenden Handbewegung, da er bemerkte, dass die Klienten, durch seinen Ernst eingeschüchtert, sich nur zögernd dem Tisch näherten. „Bei überreich gedeckter Tafel werdet ihr in meinem Hause nicht schwelgen; aber auch unsere Väter aßen nicht mehr und nicht besser, und doch haben sie alle barbarischen Völker überwunden."

Dem griechischen Sklaven sich zuwendend, fügte er hinzu: „Artemidorus, reiche mir Brot und Wein."

Der schlanke Grieche machte einen Sprung wie ein Eichhörnchen und stand graziös gebeugt vor seinem Herrn.

„Halte dich gerade und lasse das Lächeln einer Dirne." sagte Julius Quinctilius, eine feine Schnitte Weißbrot zum Munde führend. „Auch spüre ich Gerüche von dir her. Dass mir das nicht mehr vorkommt!"

„Du hast es befohlen, Herr!" antwortete verlegen der Sklave, bis über die Ohren errötend.

Die Klienten, durch das Beispiel ihres Patrons ermutigt, umringten nun den Tisch und langten gierig nach den gefüllten Bechern. Bald waren die Amphoren ihres Inhaltes entleert und die Berge von Brotschnitten verschwunden. Lucius benutzte einen Augenblick, da er sich von den Augen der Dienerschaft unbeobachtet wähnte, um eine Handvoll Oliven hinter seiner Tunika verschwinden zu lassen. Ebenso machten es auch andere.

Das Frühstück war bald vorüber.

„Nach uralter Sitte" — nahm Julius Quinctilius das Wort, nachdem Sklaven den Tisch mit den geringen Resten hinausgetragen hatten — „will ich euch ein Patron im alten, guten Sinne des Wortes sein. Sowohl im Senat wie beim Gericht werde ich eure Angelegenheiten vertreten und fördern, wenn der Prätor oder der Aedil irgendeinen von euch vorladen sollte. Die Sorgen meiner Klienten werden bei mir stets geneigtes Gehör finden, ihre Bedürfnisse eine offene Hand. Tretet heran und sprecht: Was kann ich für euch tun?“

Über die Anwesenden schweifte ein kühler Blick, welcher nicht sonderlich zum Sprechen einlud.

Julius wartete; die Klienten schwiegen einige Augenblicke, einander fragende Blicke zuwerfend.

Als erster trat Lucius hervor, und die Rechte an die Brust gelegt, sprach er:

„Heil und Ehre dir, unserem Patron, hochberühmter Sprössling ausgezeichneter Ahnen! Dank dir für die gnädigen Worte, mit denen du bei deiner Heimkehr die Klientel des großen Quinctilius-Geschlechtes zu beehren geruht hast . . ."

„Salus, honor!" — Heil und Ehre!" wiederholten die anderen mit erhobener Stimme.

„Der ganzen Welt ist es bekannt.“ sprach Lucius, den Mund voll nehmend, weiter, „dass Patron und Klientel ehedem gewissermaßen eine einzige Familie bildeten, die stets fest zueinander hielt, sei es im Feld, sei es vor Gericht, oder auch in Wahlversammlungen. Der Patron schützte den Klienten, der Klient war bereit, sein Leben zu lassen für den Patron. Aber andere Zeiten sollten kommen, und mit ihnen neue Sitten — Pluto verschlinge sie! — und diese neuen Zeiten und Sitten haben die Grundlage zerstört, auf welcher sich die Größe des heiligen Rom zu weltumspannender Macht entfaltet hatte. Der Patron kümmert sich nicht mehr um seinen Klienten, der Klient verdirbt mitten unter dem Pöbel, ärmer als ein Sklave. Schwere Zeiten sind über die Quiriten gekommen. Getreide hat man aus den Staatsspeichern seit Jahr und Tag nicht mehr ausgeteilt; die Wohnungen, die Wolle, die Nahrungsmittel sind teuer geworden; von Hunger und Not werden wir in unseren Schlupfwinkeln auf Dachböden heimgesucht . . ."

Lucius wollte weitersprechen; aber sein Redefluss wurde durch ein Zeichen des Patrons unterbrochen. Julius Quinctilius erhob die Hand und sprach: „Mein Verwalter wird jedem von euch tausend Sesterzen auszahlen und Wolle für Togen ausgeben."

Mit lautem Freudengeschrei dankten die Klienten für das reiche Geschenk.

„Heil dir, Ehre dir, unserem Patron und König!" schrie man allerseits, und jeder wollte Julius' Knie umfassen.

Ein verächtliches Lächeln glitt über die Lippen des Tribunen und mit ebenso verächtlichem Blick schaute er auf die sich demütig neigenden Häupter römischer Bürger.

Nachdem der Lärm sich gelegt hatte, ergriff Julius wieder das Wort.

„Ist vielleicht einer unter euch, der nach alter Sitte seinem Patron treu und redlich dienen möchte? Ich habe einen Verwalter nötig für meine städtischen Besitzungen, einen Haus- und Sklavenwärter."

Dumpfes Schweigen legte sich über die Klientenschar. Sie tauschten beunruhigte Blicke aus. Der kleine Lucius, bisher ihr Anführer, machte sich noch kleiner und versteckte sich hinter seinen stärkeren Genossen. Nur Caius, obwohl von hinten an der Toga gezupft, trat hervor und verbeugte sich vor dem Herrn.

„Wenn du mir Vertrauen schenken wolltest, hochberühmter Tribun, hättest du an mir einen dankbaren Klienten."

Wohlwollend blickte Julius Quinctilius in das breite Gesicht des Caius. welchem Offenheit und Redlichkeit abzulesen waren. Die Stimme des Tribunen, die bisher schroff geklungen hatte, setzte um einen ganzen Ton tiefer ein, und milde sprach er:

„Du bist es, Caius? Deinen Vater bringst du mir in Erinnerung, der mich auf dem Marsfeld das Pferd besteigen lehrte. Du willst bei mir dienen? Vergiss nicht, dass du ein Bürger des großen Rom bist!"

Caius erwiderte: „Dich, den Sprössling albanischer Könige, hat der harte Dienst unter den goldenen Adlern des göttlichen Imperators nicht geschändet. Auch mich, den Nachkommen von Libertinen (freigelassene Sklaven) deines Hauses, wird Arbeit zu Nutz und Frommen meines Patrons nicht entehren. Ich will dir ehrlich dienen, wie meine Väter den deinigen gedient haben."

„Wir werden Freunde sein, Caius." erwiderte Julius Quinctilius.

Darauf erhob er sich und warf seinen Klienten den kurzen Befehl zu: „Morgen brauche ich euch bei meiner Sänfte!"

Dann verabschiedete er sie mit einer Handbewegung und verschwand hinter dem Türvorhang.

Ihm folgten Caius und Artemidorus.

Zusammengedrängt wie eine vom Wolf geschreckte Schafherde bewegte sich die Klientenschar schweigsam dem Ausgang zu, und draußen hatten es alle eilig, den Platz vor dem Haus hinter sich zu bekommen. Erst auf der Straße fühlten sie wieder sicheren Boden unter ihren Füßen, und ihr Unwille machte sich in abgerissenen Sätzen Lust.

„Hast du gesehen?!"

„Hast du gehört?!"

„Ein Patrizier aus den Zeiten des stolzen Tarquinius!"

„Vom Thron herab spricht er!"

„Bringt Opfer den Hausgöttern!"

„Ein lächerlich stolzer Tyrann!"

„Verlangt Dienste von freien Bürgern!"

So ging es hin und her unter lebhaften Gebärden.

„Wenn's ihn nach den Ehren des Prätorates gelüstet.“ schrie Lucius, „so soll er dafür zahlen! Aber beeilen müssen wir uns, seine dumme Eitelkeit auszunutzen, denn bald werden sich Neider finden, die ihm seine Freigebigkeit verleiden. Der Stier mit der Sklavenseele, der gemeine Caius, wird unsere Sache nicht fördern. Das Rindvieh spricht von Ehrlichkeit wie ein Prokonsul, der eine Provinz bestohlen hat."

„Man sollte ihm einmal ordentlich die Haut durchgerben!" rief ein stämmiger Klient mit dickem Hals und fleischigen Armen.

„Jawohl, jawohl!" stimmten mehrere zu, „er hat eine Lehre verdient."

„Wohin aber jetzt?" fragte Lucius. „Vielleicht gelingt es uns, noch einen schönen Bissen zu erhaschen, da der Tag so schön angefangen hat.“

Er überlegte einen Augenblick.

„Ich weiß schon!" rief er dann mit selbstzufriedenem Lächeln. „Noch sind wir bei jenem reich gewordenen Ägypter nicht gewesen, der den Germanen die Haut über die Ohren gezogen hat und jetzt die steile Höhe des Senatorenstandes erklimmen will und Titulaturen und Ehrenbezeugungen gut bezahlt. Rufen wir ihm heute einen lauten ‚hochberühmten Herrn, Patron und König‘ zu; vielleicht greift der Sklavensohn in die Geldtruhe und überschüttet uns mit einem Hagel von Sesterzen!"

„Lucius soll leben!" rief der Stämmige mit dem Stiernacken. „Er klügelt immer etwas Gescheites aus. Gehen wir zum Fabius!"

„Zu Fabius, zu Fabius, dem hochberühmten Herrn im Libertinerhut! Ha, ha, ha!"

Lachend zog die Schar in eine Seitengasse.

- o -

Julius Quinctilius Varus betrat, nachdem er die Klienten verabschiedet hatte, sein Arbeitszimmer, das Tablinum. Auch hier war von Prunk und Luxus keine Spur. Auf dem Mosaikboden stand ein großer Tisch von Eichenholz mit einem starken Fuß, der unten zwischen vier in Stein gemeißelte Bärenköpfe eingelassen war. An einer Wand standen zwei Schreine, mit Büchern und Pergamentrollen gefüllt. Einige Sessel mit ge-bogenen Lehnen vervollständigten die Einrichtung des Zimmers, dessen Schmuck nur in Marmorbüsten bestand: Abbildungen Vergils, Tacitus', Juvenals, Nervas und Trajans.

Der Tribun überließ dem Artemidorus seine Toga, nahm Platz in einem großen ungepolsterten Lehnstuhl und wies dem Caius mit einer Handbewegung einen anderen Sessel an. Als der Klient keinen Gebrauch davon machen wollte, sagte er: „Setze dich; zum Freund will ich dich haben, nicht zum Diener!"

Dem griechischen Sklaven sich zuwendend, befahl er: „Rufe mir den Siegfried!"

Mit Caius allein, sagte er mit gedämpfter, fast müder Stimme: „Ich hatte geglaubt, dass das gute Beispiel des göttlichen Marcus Aurelius vorteilhaft zurückwirken würde auf die müßige Masse der Plebejer, dass es ihre Herzen der gemeinen Bettelei abwendig machen würde, welche der Würde eines römischen Bürgers so abträglich ist. Indes bemerke ich nach mehrjähriger Abwesenheit von der Hauptstadt keinerlei Änderung. Trajan, Antonius und Marc Aurel haben nicht vermocht, den Pöbel zu veredeln, dessen Vorfahren die Greul der Bürgerkriege beklatschten und einen Nero und Domitian vergötterten. Das sind römische Bürger!…"

Julius Quinctilius' Lippen verzogen sich zu einem bitteren Lächeln, der Glanz seiner scharfen Augen erlosch im Schatten der Trauer, ein tief empfundener Schmerz verwischte den stolzen Ausdruck aus seinem Antlitz.

„Römische Bürger!" wiederholte er leise. „Ich kenne sie gut, diese Herren der Welt. Mit Schwert und Kreuz muss man sie im Lager an ihre Legionärpflichten erinnern . . ."

Auf der Türschwelle erschien ein alter germanischer Sklave. „Du hast befohlen, Herr!" meldete er sich, die Hand an die Brust legend.

Julius' Auge ruhte mit freundlicher Milde auf der hohen, riesenhaft gebauten Gestalt des Barbaren, der trotz seiner siebzig Jahre eine gerade Haltung bewahrt hatte.

„Sklaverei stand nicht an deiner Wiege, Siegfried?" fragte der Patrizier.

„Du weißt es. Herr. Ich führte Scharen meiner freien Brüder gegen das mächtige Rom. Auf dem Schlachtfeld haben mich die Sieger, da ich verwundet und wehrlos war, in schmachvolle Ketten gelegt."

In den blauen, glanzlosen Augen des Germanen zuckle es wie ein Blitz in der Finsternis.

„Wie ich sehe, hat zwanzigjährige Sklaverei die Erinnerung an deine heimatlichen Wälder nicht erstickt."

Der Greis schwieg.

„Hast du deinen Siegern nie verziehen?"

„Ich bin weder deinem Vater noch dir untreu gewesen, Herr; ich habe euch redlich gedient." antwortete Siegfried ausweichend.

„Ich weiß es; die Söhne germanischer Wälder bewahren Treue und haben reine Herzen. Für zwanzigjährige Misshandlung gebührt dir der Lohn. Knie nieder, Freigelassener!"

Der Sklave griff sich mit beiden Händen an die Brust; er wankte, dann stürzte er dem Patrizier zu Füßen.

„Herr, ich Herr!" rief er laut unter heftigem Schluchzen.

Stückweise, abgerissen rang es sich aus seiner Brust, starke Zuckungen durchliefen den ganzen Körper. Die Verzweiflung eines langen Sklavenlebens entwand sich ihm in heißen Tränenströmen.

Die Stimme des Tribunen klang weich und begütigend, als er sagte:

„Einer Sitte meiner Ahnen gemäß, welche den Tag ihrer Heimkehr aus glücklich beendeten Kriegen mit milder Tat zu verherrlichen pflegten, gebe ich dir die Freiheit zurück. Von diesem Augenblick an kannst du nach Belieben über dich und die Deinigen verfügen. Morgen wirst du mir berichten, ob du bei mir bleiben oder in deine dunklen Wälder zurückkehren willst. Nun aber gehe zu Weib und Kind und erfreue sie mit der frohen Kunde."

Der Patrizier versetzte mit den Fingerspitzen der rechten Hand dem Sklaven einen leichten Backenstreich und sprach dazu die Worte:

„Du bist frei! Von nun an hast du Anspruch auf meinen wohlwollenden Schutz, hast du ein Anrecht auf meinen Namen; du bist mein Klient… Du aber" — damit wendete er sich an Caius —

„wirst Zeugenschaft ablegen darüber, was ich soeben verfügt habe, wenn es den Göttern gefallen sollte, mein Lebenslicht zu löschen, bevor die entsprechenden Rechtsformen offiziell zu Ende geführt wurden."

„Herr, o Herr!" weinte immer noch der Greis, sein Haupt in den Schoß des Patriziers legend.

„Geh' schon, geh'!" mahnte Julius Quinctilius milde. „Du hast dir die Freiheit verdient; sie ist die Folge deiner Redlichkeit."

Nachdem der Greis sich entfernt hatte, legte der Patrizier seinen Kopf in die flache Hand und schwieg, in tiefes Sinnen versunken.

Nach einiger Zeit sagte er halblaut, wie zu sich selbst: „Wir nennen sie Barbaren, aber entbehrten wir die Hilfe ihrer Arme in den Legionen, die Welt neigte sich nicht vor uns. Das ist unser ganzes Glück, dass die Barbarenvölker noch nicht zum Bewusstsein ihrer Kraft gelangt sind."

In diesem Augenblicke nieste jemand laut im Vorsaal.

Caius sprang vom Sessel auf; Julius Quinctilius zog die Augenbrauen zusammen.

„Ist nicht nötig, anzumelden!…. ist nicht nötig!“ ließ sich vom Vorsaal her eine klangvolle Stimme vernehmen, und gleich darauf trat ein schlanker junger Mann mit schön frisiertem dunklem Haupthaar in das Arbeitszimmer; seine Tunika und Toga zierte, wie die des Hausherrn, der breite Purpursaum der Senatoren.

Ohne ein Zeichen seitens des letzteren abzuwarten, entfernte sich Caius. Der Gast aber ergriff Julius' beide Hände und schüttelte sie lebhaft und herzlich.

„Lenker der Schlachten, zeusähnlicher Julius! Endlich, endlich bist du wieder da, du Lagerbär, du grausamer Mörder, du Vernichter verschiedener Barbaren. Schon hatte man gesagt, ein parthischer Riese habe dich verschluckt, ich aber habe es nicht geglaubt, denn welche Bestie könnte so einen gehörnten, zähen Römer verdauen?…"

Er machte ein drolliges Gesicht und nieste wiederum.

„Dieser dein heiliger Rauch, in welchem, wie alte Weiber erzählen, die Manen unserer Ahnen geräuchert werden, kratzt mir im Hals, kitzelt mir in der Nase, fällt mir aus die Lunge! Lass doch das Feuer löschen, falls du nicht deine Gäste hinausräuchern möchtest!"

„Aber, Marcus!" unterbrach ihn Julius.

„Weiß schon, weiß schon, was du sagen willst!" fuhr der Angekommene lebhaft fort. „Du willst sagen: Marcus Quinctilius Varus, der Taugenichts, der Schlemmer, der mit griechischem Häcksel ausgestopfte elende Philosoph, ist aus der Art

des hochberühmten Quinctiliergeschlechtes geschlagen. Ich kann das alles schon auswendig, denn du hast mir gegenüber mit heilsamen Lehren nicht gespart. Trotzdem bin ich so frei, Rauch nicht zu vertragen und mich über den absonderlichen Geschmack der Toten zu verwundern. Denn du wirst zugeben, das.. „Genug!" unterbrach ihn Julius ernst.

Marcus zog die Augenbrauen zusammen und schaute finster drein, aber aus seinen großen, glanzvollen, schwarzen Augen lachte der Schalk.

„Genug!!" machte er dem Hausherrn nach, dessen ernsten Ton nachahmend. „Jupiter vom Kapitol hat die Stirn gerunzelt und einen Blitz abgedonnert!"

„Kind, Kind!" entgegnete Julius mit nachsichtigem Lächeln. „Du bist aus den Flegeljahren noch nicht heraus, obwohl du schon den Kurulischen Sessel inne hast und über andre Recht sprichst!"

„Gewöhnlich schlummere ich auf dem Prätorenstuhl nach lustig verbrachter Nacht."

„Und wer fällt das Urteil?"

„Meine Richter kennen sich in den Gesetzen besser aus als ich, der Prater. Mich plagt die Neugier nicht so viel, dass ich in fremde Streitigkeiten Einblick nehmen sollte."

„Ich sehe mich getäuscht, da ich voraussetzte…" Julius unterbrach sich selbst. „Lassen wir das. Setze dich und sage mir, wieviel Geld du brauchst; denn sicherlich hättest du mich nicht so schnell aufgesucht, wenn deine Schatulle voll wäre."

Marcus Quinctilius stieß ein gezwungenes Lachen hervor. „Ich bemerke.“ sagte er, sich niederlassend, „dass dir dein Witz unter den Barbaren nicht verloren gegangen ist . . . Übrigens.“ so fügte er mit schmerzlich verzogenem Gesicht schnell hinzu, „übrigens könntest du im Arbeitszimmer ein Sofa haben, damit deine Gäste nicht zu Krüppeln werden."

„Unsere Väter . . ."

„Unsere Väter haben keine gepolsterten Möbel gekannt: ich weiß, ich weiß!" fiel Marcus dem Julius ungeduldig ins Wort. „Aber unsere Väter haben auch in schmutzigen, kalten, rauchgeschwärzten Spelunken gewohnt und sich mit Wolfspelzen bekleidet!"

Julius zuckte die Achseln.

„Ich kann dir mit keinem anderen Sessel dienen.“ sagte er kühl. „Polsterlager findest du bei mir nur im Speisesaal."

Mit einer komischen Grimasse machte es sich Marcus Quinctilius auf dem Holzsessel so bequem wie er konnte; er legte die Falten seiner Toga zurecht und streckte beide Füße von sich, so dass ein Paar Schnürschuhe von seinem weißen Leder zum Vorschein kamen.

Dann begann er: „Also ja, so ist es, du gedankenlesender Tribun der Legionen: um Sesterzen bin ich zu dir gekommen; du hast es gut erraten! Die Wucherer machen Treibjagd auf mich, und meine Schatulle ist leer."

„Als ich in den Krieg zog, habe ich all deine Schulden bezahlt." bemerkte Julius.

„Du sprichst, als wüsstest du nicht, dass der Senatorenstand nicht zu den bequemen gehört.“ entgegnete Marcus, seine weiße, wohlgepflegte, mit Ringen beladene Hand zum dunklen, von Goldstaub schimmernden Haupthaar erhebend. „Man muss sich entweder im Kriegslager in Sturm und Sonnenglut bis ins Greisenalter hinein abrackern wie du, oder nach allen Seiten Geld verschleudern wie ich. Diese gierige Klientel kostet mich sehr viel, eine Legion Sklaven verzehrt die Hälfte meiner Einkünfte, und den Kurulischen Sessel habe ich mit Festspielen bezahlt, in denen meine Besitzungen bei Ravenna untergegangen sind…"

„Den Rest haben Schauspielerinnen, griechische Sängerinnen, orientalische Tänzerinnen und Gelage verschlungen." ergänzte Julius.

„Nun ja, eines zum anderen." meinte Marcus, nachlässig mit seiner Toga spielend.

„Wieviel brauchst du?"

„Die Wucherer verlangen eine Million Sesterzen.“ antwortete Marcus gleichgültig.

Im Arbeitszimmer wurde es für längere Zeit mäuschenstill. Aus dem kühlen Antlitz des Tribunen kam weder Verwunderung noch Entrüstung zum Ausdruck; nur ein leises Zucken um seine Lippen machte sich bemerkbar.

„Und wenn ich es dir abschlagen würde?" sagte er endlich in ruhigem Ton.

„Das wirst du nicht tun."

„Du bist meiner Freigebigkeit allzu sicher."

„Julius Quinctilius wird es nicht darauf ankommen lassen, dass Marcus Quinctilius, sein einziger naher Verwandler, die Rechte des Senatorenstandes verliert!"

Wiederum wurde es für längere Zeit still. Über die Augen des Hausherrn schlichen Schatten tiefer Bekümmernis. Schwer erhob er sich, und sein Antlitz von Marcus abgewendet, sprach er: „Mein Verwalter wird überzählige Sklaven verkaufen, den Palast auf dem Palatin zu Geld machen und deine Schulden bezahlen."

Marcus sprang auf. „Ich danke dir!" rief er erfreut.

„Danke nicht! Nicht deinetwegen veräußere ich das Haus, in welchem drei Konsule aus dem Quinctiliergeschlecht geboren wurden und gestorben sind; ich tue es um unseres Namens willen. Aber, Marcus, bedenke, dass das Vermögen des Julius nicht an die Hunderte von Millionen, die mancher durch Spionage reich gewordener Freigelassener sein eigen nennt, heranreicht; es könnte erschöpft werden. Auch ich habe kostspielige Pflichten, die dem Purpur anhaften."

„Ich habe schon daran gedacht." bemerkte Marcus.

„Du?" fragte Julius im Ton des Erstaunens.

Marcus lächelte.

„Du glaubst, dass ich nur zu prassen verstehe." antwortete er, sich wieder auf den Sessel niederlassend und die Falten seiner Toga ordnend. „Wer ein bequemes und angenehmes Leben liebt, vergisst auch die Mittel nicht, die Glanz und Unabhängigkeit verleihen. Ich heirate."

»Du heiratest?! . . . Wen denn?"

„Du wunderst dich, dass sich ein Weib gefunden hat, welches ihr Schicksal einem solchen Taugenichts anvertrauen will, wie ich es bin? O, viele Weiber gibt es in Rom, die es nach dem Namen und dem Purpur der Quinctilier gelüstet. Ich heirate binnen einem Monat."

„Wen denn?" wiederholte Julius.

„Dreihundert Millionen Sesterzen."

„Der Name!"

„Ein sehr schöner, ein historischer." gab Marcus mit zweideutigem Lächeln zur Antwort: „Livia, die Tochter des Fabius."

„Das Geschlecht der Fabier ist längst erloschen."

„O, die alten, die im Qualm der häuslichen Feuerherde geräucherten; jene Törichten, die ihr Blut auf allen Schlachtfeldern des entstehenden Rom verspritzten; jene Frechen, die dreist genug waren, nicht an die Göttlichkeit der ersten Cäsaren zu glauben! Aber es blühen junge Fabier, Iebensfrisch und hoffnungsvoll, goldtriefend: sie blühen und verlangen Enkel . . ."

Marcus konnte seine Rede nicht beenden, denn in diesem Augenblick ergriff ihn Julius an beiden Armen mit solcher Kraft, dass er aufspringend in der Luft schwebte.

„Marcus!" kam es dröhnend aus der Kehle des Tribunen, welcher den in seinem Innern aufbrandenden Sturm gewaltsam zurückhielt. „Du sprichst von jenem Räuber, welchen alle germanischen Ansiedelungen verwünschen; von jenem Schinder, dessen Gier in den Wäldern Germaniens unauslöschlichen Hass gegen das heilige Rom entfacht hat; von dem erbärmlichen Steuerpächter, dem freigelassenen ägyptischen Sklaven…"

„Schon sein Vater war ein Freigelassener.“ wehrte sich Marcus kreidebleich. „Caius Fabius trägt den Ritterring und zählt Senatoren zu seinen Freunden."

„Senatoren . . ." wiederholte Julius dumpf und ließ ab von seinem Verwandten.

„So ist es: Senatoren!" bestätigte Marcus lebhaft. „Du weilst stets in der Fremde, du kennst die Verhältnisse in der Hauptstadt nicht. Ehen zwischen Mitgliedern des Senatorenstandes und Töchtern reich gewordener Steuerpächter, Zöllner, Unternehmer von Staatsbauten und ähnlicher Emporkömmlinge sind in Rom etwas Gewöhnliches, und niemand lässt sich mehr darüber aus. Sie haben das Geld, wir haben die Ahnen und den Purpur. Ahnen und Purpur ohne Geld, das ist eine Lächerlichkeit, ein Mann ohne Kopf!"

„Ich gebe dir die Hälfte meines Vermögens.“ wendete Julius ein.

Marcus zuckte geringschätzig die Achseln. „Was könntest du mir wohl geben? Zehn, fünfzehn Millionen, und damit wäre ein Quinctilier nicht viel mehr als ein Bettler."

Julius schwieg und wandte sein Angesicht wiederum von Marcus ab. Dann sagte er halblaut:

„Ich hatte den göttlichen Marcus Aurelius bitten wollen, dass er mir die Pflicht, zum zweiten Male zu heiraten, erlasse; die Erinnerung an meine erste Gattin sucht mich in einsamen Augenblicken noch heim. Indes sehe ich, dass es nicht deine Bestimmung ist, das Quinctiliergeschlecht durch einen unseres Namens würdigen Sprossen zu erneuern."

„Heiratest du?!" rief Marcus lustig. „Vergiss nur nicht, die rauhe Haut des Legionärs abzustreifen, wenn du unter Venus' Fahne trittst. Die schöne Gattin mag keine Toga von grober Wolle, kein gebräuntes Gesicht und keine Soldatenstiefel. Tullia Cornelia hat sich öfters nach dem Tag deiner Heimkehr erkundigt. Ich wünsche guten Erfolg!"

„Lass mich jetzt allein.“ brummte Julius.

„Ich gehe schon, du Lagerbär, und komme erst dann wieder, wenn du eingesehen hast, dass ich vernünftig handle, indem ich die angestammte Würde verkaufe, welche in meinen Augen genau nur so viel wert ist, wie Dummköpfe dafür zahlen. Vergiss aber nicht jene Million . . ."

Lange starrte Julius auf den Vorhang, der hinter seinem Verwandten herabgefallen war. Dann ließ er sich wieder auf seinen Sessel nieder, stützte sein Haupt in die Hand und verfiel in tiefes Nachdenken. Das war nicht mehr der stolze Patrizier beim Empfang seiner Klienten; ein schwer getroffener Mann starrte vor sich hin mit müden Augen.

Von der Straße her drang das Geräusch des großstädtischen, leidenschaftlich pulsierenden Lebens zu ihm, das gedämpfte Branden einer ewig bewegten Flut, deren Wellen an der Mauer abprallten, welche den einsamen Herrenhof von dem Straßengetümmel trennte.

Julius Quinctilius Varus erhob langsam sein Haupt; schmerzvoll heftete sich sein Blick an die Porträtbüsten Tacitus' und Juvenals, und seinen Lippen entschlüpfte der leise Seufzer:

„Rom, o Rom, mein Rom!"

Kapitel 2

In nächster Nachbarschaft des alten Hauses des Julius Quinctilius, in derselben, am Fuße des Gartenhügels — der heute Monte Pincio heißt — sich hinziehenden Straße stand das Haus der Tullia Cornelia, der jungen Witwe eines alten Prokonsuls.

Keine hohe Mauer verdeckte die weiße Marmorvilla den Augen vorübergehender Neider. Man betrat dieselbe unmittelbar von dem Basaltfußsteig, welcher als schmaler, erhöhter Streifen die Häuserzeile entlang lief.

Am Tage nach den Vorgängen, die sich in dem Nachbarhaus abgespielt hatten, in den Morgenstunden hielt vor dem kleinen Palast eine vergoldete Sänfte, getragen von vier kappadocischen Sklaven, denen ein Läufer voraneilte.

„Rufe den Torwächter!" meldete sich, hinter den goldbefransten Vorhängen der Sänfte eine müde Stimme Der Bursche eilte zum Tor, klopfte mit dem Holzhammer daran, und nachdem der Schieber, der eine runde Öffnung in der Tür verdeckte, sich aufgetan hatte, rief er laut:

„Der hochberühmte Marcus Quinctilius Varus befiehlt dir, vor seinem Angesicht zu erscheinen."

Sofort knarrten Riegel und Angel, und vor dem Haus erschien ein wohlbeleibter Sklave, einen Stab mit goldenem Knauf in der Hand.

„Der Nomenklator soll deiner Herrin ankündigen, Prätor Quinctilius werde in einer Stunde seine Morgenhuldigung darbringen.“ befahl Marcus, ohne den Kopf hinter den Vorhängen hervor zu beugen.

Der 'Nomenklator‘ oder Namenrufer hatte zu Hause die Besucher zu melden; befand sich sein Herr oder seine Herrin auf der Straße, so musste er neben der Sänfte einhergehen und auf die vorbeikommenden Personen aufmerksam machen. Man wählte dazu nur Sklaven mit ausgezeichnetem Gedächtnis.

Der Torwächter legte nun die Hand an die Brust, und die Sänfte bewegte sich schnell weiter.

- o -

In demselben Augenblick, da Marcus Quinctilius dem Sklaven den Auftrag erteilte, verließ Tullia Cornelia eben ihr Schlafgemach Mit einer weißseidenen Tunika, die bis an die Fußknöchel reichte angetan, an den Füßen leichte rote Sandalen, ging sie ins Ankleidezimmer hinüber, wo weibliche Dienerschaft schon auf sie wartete. Hochgewachsen, von tadellosem Körperbau, zählte sie wohl nicht mehr als fünfundzwanzig Jahre. Das aufgelöste, glänzendschwarze Haupthaar bedeckte mantelartig ihre entblößten runden Schultern.

„Sei gegrüßt, Herrin!" riefen ihr gleichzeitig drei ägyptische Sklavinnen entgegen.

„Seid gegrüßt!“ gab Tullia zurück und ließ sich in einen Lehnstuhl vor einem niedrigen runden Tischchen von Citrusholz nieder, auf welchem, an einen Herkuleskopf von Elfenbein angelehnt, ein silberner Spiegel stand.

„Heute machst du mir eine griechische Frisur.“ befahl Tullia.

Schweigend ging eine alte, runzelige Ägypterin an ihre gewohnte Arbeit. Behutsam fasste sie mit ihrer gelben Hand das üppige Haar der Römerin zusammen und begann, dasselbe mittels eines bronzenen Kammes zu glätten.

„Hipparchos hat wahrscheinlich verschlafen!"

Anstatt der Sklavin, zu welcher diese Worte gesprochen waren, antwortete ein Mann, der in einen dunklen Philosophenmantel gehüllt, hereintrat und ihre Gestalt mit lüsternen Blicken umfing.

Gegen den Rücken der Herrin sich tief verbeugend, sagte er mit süßer Stimme: „Hipparchos würde es sich nie verzeihen, wenn er durch eine allergeringste Nachlässigkeit in der Ausübung seiner Pflichten die Ungeduld der Herrin gereizt hätte."

Der Hofphilosoph und Vorleser Tullia Cornelias setzte sich auf einen niedrigen Schemel, und indem er aus einer daneben stehenden Schachtel einige Pergamentblätter hervorholte, sagte er:

„Soll ich dort beginnen, wo wir gestern aufgehört haben?"

„Beginne, wo du willst. Mir ist gar nichts daran gelegen, deinen lächerlichen Epiktet gründlich kennen zu lernen; ich will nur einen allgemeinen Begriff von seinen Theorien haben. Du kannst ganze Kapitel überschlagen."

Hipparchos glättete mit seiner weißen Hand den langen Bart und las:

„Wenn du während einer Seereise auf Land gehst, dann nimmst du vom Sand eine Muschel oder eine kleine Zwiebel auf. Aber indem du derart dich unterhältst, blicke fleißig nach dem Schiff, damit es dich nicht im Stich lasse. Denn, wenn der Steuermann ruft, dann musst du alles lassen, was du gesammelt hast, und seinem Ruf nacheilen. Ebenso verhält es sich mit dem Leben. Du musst Weib und Kind verlassen, wenn dir der Tod winkt. Im Alter entferne dich nicht zu weit vom Schiff…"

„Das bedeutet . . wollte der Philosophielehrer erklären.

„Ich verstehe." wehrte Tullia ab, während er, eine dicke Goldnadel vom Tischchen nahm.

„Weiter!"

Die Ägypterin hatte das Haar ihrer Herrin schon in einen griechischen Knoten gelegt; ihre Gehilfinnen, zwei junge Mädchen, traten mit heißen Brenneisen hinzu.

„Vorsichtig!" mahnte Tullia und versenkte die spitze Nadel tief in den Arm desjenigen Mädchens, welches sich zuerst über sie gebeugt hatte.

Die junge Sklavin kniff vor Schmerz die Lippen zusammen, gab aber nicht den leisesten Laut von sich.

Hipparchos las weiter:

„Die Männer nennen das Weib schon in dessen vierzehntem Lebensjahr Frau. Sobald die Weiber merken, dass ihr ganzer Verdienst auf dem Zusammenleben mit Männern beruht, fangen sie an, sich zu putzen, weil sie all ihre Hoffnungen aus Flittertand setzen. Man sollte sie belehren, dass sie nur dann Achtung verdienen, wenn sie sich sittsam und anständig benehmen…"

„Dieser von euch so verehrte Epiktet hat offenbar nur für sich allein gedacht, da seine Weisheit sogar auf Philosophen keinerlei Einfluss ausübt.“ bemerkte Tullia, das schön gekämmte Haar und den wohlgepflegten Bart ihres Vorlesers mit boshaften Blicken streifend.

„Es wäre unziemlich, vor dem Antlitz einer so schönen und gnädigen Patronin in vernachlässigtem Äußere zu erscheinen."

„Dass du bei Rhetoren geschmeidige Worte gelernt hast, ist mir bekannt; ich brauche aber deine Beredsamkeit nicht.“ entgegnete Tullia. Gleich darauf fuhr sie die junge Sklavin heftig an: „Du bringst mir das Brenneisen zu nahe an die Stirn, du Ungeschickte!"

Und zum zweiten Mal durchbohrte die Nadel den Arm des Mädchens, in dessen Augen Tränen traten.

Das Schmerzgefühl der Dienerin bekümmerte die Herrin so wenig, dass sie nicht einmal aufblickte, um sich von der Wirkung der schmerzlichen Mahnung zu überzeugen. Graziös zurückgelehnt, verfolgte sie im Spiegel die Handbewegungen der um ihren Kopf beschäftigten Sklavinnen. Ihr frisches Gesicht verriet auch nicht die geringste Spur von Erregung. Sie brachte Wunden bei mit der Ruhe und Gleichgültigkeit eines Operateurs.

Hipparchos las weiter:

„Es ist ein Zeichen gemeiner Natur, wenn jemand allzu eifrig sinnlichen Tätigkeiten verfällt, wenn er zu viel isst, schläft und zu oft mit Weibern verkehrt. Solche Dinge sollen nur nebenher geschehen; dem Geistigen ist das Hauptaugenmerk zuzuwenden . . ."

Tullia lächelte höhnisch.

„Ich habe gestern bemerkt.“ unterbrach sie den Leser, „dass du einen ausgezeichneten Appetit hattest; du hast viel mehr gegessen, als wir gemeine Naturen! Auch alten Wein verschmähst du nicht; sündhafte Genüsse sind dir ebenfalls nicht fremd!"

Durch halbgesenkte Augenwimpern warf sie dem Philosophen einen verächtlichen Seitenblick zu.

„Vielleicht möchtest du acht Tage hindurch fasten und in einem Fass wohnen? Da hättest du genug Zeit und Ruhe, über die weisen Ratschläge deines Meisters nachzudenken."

Und als der Vorleser niedergeschmettert sein Haupt über die Papierrollen senkte und Miene machte, weiter zu lesen, fuhr sie fort:

„Stecke sie ein, diese Faseleien! Das ist eine Philosophie für Bettler und Sklaven. Ich begreife nicht, wie sich der göttliche Marcus Aurelius mit Wohlgefallen in so lächerliches Zeug hineinlesen kann? . . . Sind die heutigen Tagesnachrichten schon da?"

Nachdem der Kopf der Herrin in Ordnung gebracht war, flochten die Sklavinnen eine Schnur Perlen in ihr Haar und steckten über den griechischen Knoten einen mit Edelgestein reich besetzten goldenen Kamm. Die zwei jüngeren eilten hinaus und kehrten sofort zurück mit einer frisch geplätteten Tunika und einem langen weißen Kleid von weichem syrischem Wollstoff mit breitem Purpursaum.

Bevor sie der Herrin die Tunika anlegten, zwängte die alte Ägypterin die Taille derselben in eine breite rote Binde, welche die Brüste hervortreten ließ, und alle drei machten sich dann zu schaffen, das über die Tunika geworfene Schleppkleid in schöne Falten zu legen.

Mit peinlicher Aufmerksamkeit verfolgte Tullia die Arbeit ihrer Dienerinnen, während sie nebenher den Tagesnachrichten lauschte, die Hipparchos von Wachstafeln herunterlas.

„Der göttliche Imperator Marcus Aurelius geruhte gestern, mit dem göttlichen Imperator Lucius Verus im Lager der Prätorianer der Einweihung einer neuen Fahne beizuwohnen. Der göttliche Marcus Aurelius hielt eine herzliche Ansprache an unsere wackere Leibwache und dankte derselben für ihre im Krieg gegen die Parther bewiesene Tapferkeit . . .*

„Lasse die Hofnachrichten beiseite.“ unterbrach Tullia. „Siehe nach, ob es heute ein interessantes Schauspiel gibt."

Hipparchos las weiter.

„Aus Afrika sind vier Elefanten angekommen, welche der Tribun Julius Quinctilius Varus angekauft hat in der Absicht, dieselben den Bürgern Roms am Tage der Prätorspiele vorführen zu lassen."

„Julius Quinctilius?" fragte Tullia überrascht. „Ist denn der Tribun schon heimgekehrt?"

„Sein Klient Lucius hat mir gesagt, der hochberühmte Tribun befindet sich seit zwei Tagen in Rom.“ antwortete Hipparchos.

„Weißt du, wo er wohnt?"

„In dem alten Palast neben uns."

Tullia hob mit zwei Fingern ihr Kleid, und auf eine gebräunte Stelle hinweisend, fragte sie: „Wer hat heute geplättet? Vielleicht du, Mimut?"

Die junge Sklavin mit großen, braunen Gazellenaugen stürzte ihr mit leisem Seufzer zu Füßen.

„Du weißt es, Herrin.“ lispelte sie mit bleichen Lippen.

Tullia klatschte in die Hände, und als auf dieses Zeichen der Namenrufer im Toilettenzimmer erschien, befahl sie: Die Mimut ist an den Pflock zu binden und vom Wärter durchpeitschen zu lassen! . . . Hat sich noch niemand anmelden lassen?"

„Der hochberühmte Prätor Marcus Quinctilius hat seine Morgenhuldigung ankünden lassen.“ antwortete der Sklave, Mimut an den Haaren packend.

„Du wirst den Prätor in den Säulenhof einladen."

Das Weinen Mimuts störte Tullia nicht einen Augenblick; ruhig musterte sie sich im Spiegel.

In ihrem langen weißen Kleid, mit der schlanken Taille, breitschulterig, hochgewachsen, der Kopf mit so reinen Umrissen, als wäre er in Stein gemeißelt, machte sie den Eindruck eines lebenden Standbildes. Stirn und Nase bildeten, von der Seite gesehen, eine gerade Linie; über den frischen, sinnlichen Lippen machte sich ein zarter Anflug von dunklem Flaum bemerkbar; aus ihren schwarzen Augen leuchtete die Glut der Jugend, die nach Lebensgenüssen lechzte.

Der Philosophielehrer fand gewiss Wohlgefallen an seiner stolzen Herrin; denn er vergaß die Tagesnachrichten und betrachtete das schöne Weib mit den Blicken einer Katze, die einem Vogel nachstellt.

Tullia tat, als bemerke sie gar nicht die Verzückung ihres Vorlesers, obwohl sie seine stumme Verehrung sehr wohl sah. Mit verächtlichem Lächeln sagte sie kühl: „Meine afrikanischen Hündchen haben schon seit gestern keine Sonne gesehen; wenn Hipparchos freundlich sein wollte, führte er sie in den Garten spazieren."

Der Philosoph erbleichte, aber er erhob sich sofort und verließ das Toilettenzimmer.

Die alte Ägypterin legte der Herrin nun eine dreifache Schnur Perlen um den Hals, vier goldene, brillantenbesetzte Spangen um die Arme und hielt ihr eine Kassette mit Ringen zur Auswahl hin.

Hohe Schuhe von weißem Leder vervollständigten die Toilette.

Noch einen Blick in den Spiegel, und Tullia begab sich aus dem Ankleidezimmer in den kleinen, gedeckten quadratischen Hof, welchen doppelreihig gestellte Säulen von karrarischem Marmor umgaben, zwischen denen Statuen — Werke ausgezeichneter Meister — sowie riesige Vasen mit fremdländischen Blumengewächsen standen. In der Mitte des fein gemusterten Mosaikfußbodens befand sich ein tiefes, eingefasstes Becken, in welchem große Fische plätscherten. Zwei Cupido - Figuren von Bronze spien Wassersäulen, die gleich silbernem Staub in das Becken zurückfielen.

Kaum war Tullia im Hof erschienen, so wurde sie von einem Schwarm von Sklaven umgeben. Alle eilten geschäftig um sie herum, leise auftretend, ohne das geringste Geräusch zu verursachen.

Einer trug einen kleinen Tisch herbei, zwei andere stellten ein Sofa in die Sonne, ein dritter legte die Polster darauf zurecht, ein vierter deckte den Tisch, ein fünfter hielt das Frühstücksgeschirr auf einer Tasse, ein sechster das Brot, ein siebter Früchte, ein achter legte Bücher auf ein Tischchen neben dem Sofa.

Nachdem sich Tullia auf das weiche Sofa niedergelassen hatte, verschwand die Dienerschar ebenso schnell und geräuschlos, wie sie gekommen war. Nur ein junger, prächtiger Grieche mit schön gekämmtem Haupthaar blieb zurück; er versah das Amt des Hausverwalters.

„Hat Timon Geschäfte?" fragte die Herrin, während sie sich eine Schale Glühwein zum Mund führte.

Der Sklave überreichte schweigend eine starke Lage von Wachsstäbchen. Tullia hatte es nicht eilig, die Hand danach auszustrecken.

„Rechnungen?" fragte sie gleichgültig .

„Rechnungen.“ bestätigte der Sklave.

„Bring' sie dem Zahlmeister."

„In der Kasse ist Geldmangel eingetreten; der Juwelier aber, der Maler und der Purpurhändler dringen auf Bezahlung.“ bemerkte der Verwalter.

Tullia runzelte die Stirn

„Der Zahlmeister soll zahlen!" warf sie hin.

Der Verwalter wollte noch etwas sagen, als von der Schwelle her die helle Stimme des Namensrufers erscholl: „Der hochberühmte Prätor Marcus Quinctilius Varus!"

In den Hof kam eiligen Schrittes Marcus, näherte sich Tullia, küsste sie auf die Schulter und sagte auf griechisch: „Sei gegrüßt, schöne Tullia!"

„Sei gegrüßt, lieblicher Marcus." antwortete Tullia in derselben Sprache, dem Gast freundlich zulächelnd. „Aber wie siehst du denn aus?"

„Bedeutend besser, als vor einer Stunde.“ entgegnete Marcus. „Erlaubst du?"

Tullia lud ihn mit einer Handbewegung ein, sich niederzulassen. Marcus machte es sich aus einem zweiten Sofa bequem. Er war blass und ganz ermattet; seine müden Augen hatten blaue Ränder.

„Du fragst, wie ich aussehe.“ nahm er das Gespräch auf. „Ganz ebenso, wie du aussehen würdest nach einer in der lustigsten Gesellschaft von Rom verbrachten Nacht."

„Es gibt in Rom keinen liebenswürdigeren Lebemann, als du es bist."

„Diesmal hat mich der Imperator Lucius Verus übertroffen.“ antwortete Marcus gähnend . . .

„Entschuldige, teure Tullia. aber du musst deinem Verwandten seine Müdigkeit schon verzeihen. Wir haben uns schon lange nicht so ausgezeichnet vergnügt. Dieser Lucius Verus hat zuweilen Einfälle. wie sie nicht einmal Caligula hatte. Stelle dir vor: ein Triumphzug mit einer ganzen Legion von Sängerinnen und Tänzerinnen zieht an dem Saal vorbei, in welchem der göttliche Marcus Aurelius mit seinen Philosophen über die Vergänglichkeit alles Irdischen herumdisputiert! Lucius Verus spielt seinem Bruder und Schwiegervater gern solchen Schabernack."

„Und was sagt der Imperator Marcus Aurelius dazu?“ fragte Tullia.

„Der göttliche Imperator zuckt die Achseln und lächelt mit der Nachsichtigkeit eines Weisen."

„Wenn ich Lucilla wäre, duldete ich solch einen öffentlichen Skandal nicht."

„Lucius Verus kümmert sich um seine Gemahlin gerade so viel, als wäre sie gar nicht auf der Welt."

Marcus gähnte wieder.

Tullia runzelte die Stirn.

„Wahrscheinlich hast du wiederum die letzte Sesterze im Würfelspiel verloren, da du es wagst, in solchem Zustand vor mir zu erscheinen! Du weißt, ich liebe es nicht, wenn Männer die einer Frau gebührenden Rücksichten außer Acht lassen.

Übrigens hast du dich umsonst bemüht, denn auch bei mir sind die Rechnungen unbezahlt."

„Solch eine Kleinigkeit wie Spielverlust würde mich nicht davon abhalten, mich dem gerechten Zorn der schönen Tullia auszusetzen."

„O, also etwas Wichtigeres? Ich höre."

Tullia rückte sich auf dem Sofa zurecht und heftete ihre Augen wissbegierig auf den Prätor.

„Im Voraus will ich dich darauf vorbereiten, dass du gleich zu Anfang Unangenehmes zu hören bekommst." begann Marcus;

„aber fürchte nicht: Die Sache endet mit froher Botschaft. Ist es wahr, dass dein Zahlmeister anfängt, die Zahlungen einzustellen?"

Das bräunliche Gesicht Tullias wurde kreidebleich.

„Marcus!" erwiderte sie vorwurfsvoll.

„Sei nicht böse bitte. Schwierige Lagen erscheinen mir weder verwunderlich, noch anstößig; ich bin sie gewöhnt. Nur wundert und ärgert es mich, wenn Kaufleute von der Unterschrift Tullia Cornelias geringschätzig sprechen."

Der Prätor beobachtete aufmerksam das verfinsterte Antlitz Tullias und fuhr dann mit gedämpfter Stimme fort: „Es ist nicht deine Schuld, dass du ohne eine ganze Legion von Sklaven, die dich betrügen und bestehlen, nicht bestehen kannst. Auch bist du unschuldig daran, dass du den Wert des Geldes nicht kennst; so hat man dich eben einmal erzogen, und ich finde nichts Besonderes dabei. Aber die Welt betrachtet die Sache nicht mit den Augen des Verwandten. Du weißt, Rom hasst die Armut, verachtet die Not und verabscheut ein fadenscheiniges Kleid. Ich kann dich mir ohne glänzende Einfassung gar nicht einmal denken."

Die Witwe hörte den Worten des Prätors aufmerksam zu. Ihre glatte Stirn legte sich in Fallen.

Da erhob sich Marcus, beugte sich zu ihr hinüber und sprach beinahe flüsternd: „Noch ein Jahr, zwei, drei Jahre, und du bist obdachlos! Willst du abwarten, bis die Gläubiger dich aus deinen Palästen vertreiben und Dich dem Pöbel aussetzen? Oder vielleicht heiratest du einen reich gewordenen Wucherer, Zöllner, Steuerpächter, den es nach Eintritt in deine Familie gelüstet?"

Tullia erhob sich nun auch ihrerseits, richtete sich stolz auf und heftete auf den Prätor den Blick einer gereizten Löwin.

Aber Marcus hielt ihrem Blicke ruhig stand, unbekümmert um die daraus sprühenden Zornesfunken.

„Was heute als Schmach, als Unglück erscheint, wirst du morgen freudig begrüßen, wenn der Gerichtsvollzieher an dein Tor klopft.“ sprach er weiter. „Man ist nicht Herr seiner Ab- und Zuneigungen, wenn man Sklave seiner Gewohnheiten ist. Je nach Umständen treibt das Leben sein Spiel mit uns, wie der Wind mit dürrem Laub."

Er nahm Tullia unter den Arm und führte sie die Säulenreihe entlang. So gingen sie einige Zeit schweigend neben einander, dann fing Marcus wieder an: „Für deine Lage gibt es ein sehr einfaches Auskunftsmittel. Julius ist nach Rom zurückgekommen; er hatte dich immer sehr lieb . . ."

„Julius ist ein Sonderling." unterbrach Tullia; „er lebt in ganz veralteten Anschauungen."

„Du wärst kein Weib, würdest du nicht verstehen einige Zeit hindurch die Rolle einer Matrone alten Stiles zu spielen. Du besitzst die Gestalt, das Benehmen, die Schönheit und den Stolz der älteren Agrippina . . . den Rest besorgt weibliche Schlauheit. Lasse im Saal einige Spinnräder und Webstühle ausstellen; zünde Feuer auf dem Hausherd an; verstecke die griechischen Romane und die anstößigen Malereien; bediene dich im Gespräch mit Julius stets der lateinischen Sprache; sprich viel über den Glanz Roms, über die Pflichten einer Patrizierin, über den Beruf der Gattin, der Mutter, der Hausfrau; besuche die Tempel und heuchle Glauben an die Faseleien der Priester.

Julius zeichnet sich, wie jeder Soldat, nicht durch Schlauheit aus. Du fängst ihn sehr leicht, und siehst du dieses ungeschliffene Schlachtungetüm einmal zu deinen Füßen, dann kannst du es leiten nach Belieben."

„Nur wundert es mich.“ bemerkte Tullia, Marcus gerade in die Augen schauend, „dass du, der du als Julius' Vetter auf seinen Nachlass Anrecht hast, mir diese Heirat anrätst!"

„Ich würde den Millionen des Julius nicht törichterweise entsagen, wüsste ich nur, dass sie auf mich übergehen.“ antwortete Marcus.

„So hat er dich enterbt?!"

„Nein; aber er hat mir gestern erklärt, dass er zu heiraten beabsichtigt, und ich möchte lieber dich als eine andere an seiner Seite sehen. Mit dir wäre es mir unschwer mich zu verständigen, befände ich mich einmal in Not."

„Nur das?" fragte Tullia, ihn fest ansehend, so dass seine Augen den ihrigen nicht ausweichen konnten. „Welchen Lohn verlangst du außerdem noch für deinen guten Rat?"

Marcus brach in ein gezwungenes Lachen aus.

„Ich habe mich nicht getäuscht.“ antwortete er verlegen, da ich deiner Schlauheit Großes zumute… Ich wollte mir eine große Gnade erbitten…"

Tullia zuckte zusammen.

Nach kurzem Schweigen fügte er mit unsicherer Stimme hinzu: „Livia, die Tochter des Fabius, möchte dich begrüßen."

Schnell entzog Tullia dem Marcus ihren Arm.

„Du verlangst von mir ein allzu großes Opfer.“ erwiderte sie kühl.