Rom kämpft um den Rhein - Walter Krüger - E-Book

Rom kämpft um den Rhein E-Book

Walter Krüger

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Beschreibung

Der vorliegende Teil II der Buchreihe "Rom kämpft um den Rhein" ist nach der Schilderung des Krieges gegen die Helvetier und Sweben im Teil I der Versuch, die historischen Ereignisse zu untersuchen, die sich während der Unterwerfung des belgischen Stammesverbandes abspielten. Das gesamte Geschehen ist unter dem Begriff "Gallischer Krieg" allgemein bekannt und anerkannt. Der Autor beleuchtet diese Vorgänge kritisch und auf die jeweiligen Volksgruppen bezogen. Alles, was wir über diesen Krieg und die beteiligten Stämme wissen, stammt aus der Feder Caesars, der zugleich Feldherr und Autor war. Obwohl die heute bekannte Geschichte über diesen Krieg als eine zusammenhängende und logische Handlung präsentiert wird, lässt sie bei näherer Betrachtung eine Menge Zweifel aufkommen. Jeder einzelne Band dieser Buchreihe wird einem Stammesverband gewidmet. Während Caesar seine Geschichte als Abfolge einer Kette von Feldzügen geschrieben hat, sollen die Darstellungen in den drei Büchern die Kriegsgeschichte der belgischen und germanischen Stämme zusammenhängend nachvollziehen, kritisch beleuchten und bewerten. Dem von göttlichen und machtpolitischen Motiven gelenktem Handeln Caesars soll durch eine Parteinahme für die betroffenen Völker deren verzweifeltes Ringen um Freiheit und Unabhängigkeit ein höherer Stellenwert eingeräumt werden. Soweit das Buch "De Bello Gallico" es zulässt, werden die Motive des Handelns der angegriffenen Stämme, die politischen und militärischen Fähigkeiten ihrer Anführer besonders herausgestellt.

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Rom kämpft um den Rhein

Teil II

Caesars Kriege gegen die Belger 57 v.Chr.- 51 v.Chr.

Der Krieg gegen die Nervier - Schlachtfeld an der Selle

ROM KÄMPFT UM DEN RHEIN

TEIL II

CAESARS KRIEGE GEGEN DIE BELGER 57 V.CHR. - 51 V.CHR

Walter Krüger

© 2020 Walter Krüger

Umschlaggestaltung, Illustrationen, Fotografien: Walter Krüger Verlag und Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

ISBN Paperback:

978-3-7497-5564-6

ISBN Hardcover:

978-3-7497-5565-3

ISBN ebook:

978-3-347-00291-3

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Meiner Frau Ingrid

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Caesar plant eine neue Provinz Gallien

Westeuropa am Ende des Jahres 58 v.Chr.

Caesars Eroberungspläne 57 v.Chr.

Caesars Kriegsgründe

Was unternahmen die Belger?

Der belgische Stammesverband

Herkunft – Quellen

Die räumliche Einordnung

Belger und Kelten

Die römische Bedrohung wird konkret

Caesar überfällt die Suessionen

Die Bildung der belgischen Koalition

Der Überfall auf die belgische Koalition

Die Spaltung der Koalition

Die Schlacht an der Aisne

Die Trennung vom römischen Heer

Der Sturm auf Noviodunum

Nach dem Sieg über die Suessionen

Caesar überfällt die Bellovaker

Der Stamm der Bellovaker

Bellovaker in der belgischen Koalition

Der Feldzug Caesars

Der Überfall auf die Ambianer

Der Stamm der Ambianer

Der Zug nach Amiens

Die Unterwerfung

Der Überfall auf die Nervier 57 v.Chr.

Der Stamm und sein Lebensraum

Die Verbündeten

Die Vorbereitungen auf einen römischen Angriff

Der Schlachtplan der Nervier

Das vermutete Schlachtfeld

Caesar und die Nervierschlacht

Der Verlauf der Schlacht

Nach der Schlacht

Die Ausgangslage Ende 57 v.Chr.

Kriege des Jahres 56 v.Chr.

Der Aufstand der Veneter und ihrer Verbündeten

Die Moriner und ihr Lebensraum

Die Moriner müssen sich 56 v.Chr. verteidigen

Die Geschichte des Kampfes 56 v.Chr.

Die Kriege des Jahres 55 v.Chr.

Die Moriner und der Britannienfeldzug

Überfälle auf die Nervier und Menapier

Die Krieger des Jahres 54 v.Chr.

Die Moriner und der 2.Britannienfeldzug

Der Landtag in Amiens

Versuch, die Standorte der Winterlager zu ermitteln

Die Angriffe auf die Winterlager

Die Nervier greifen Cicero an

Feldzug gegen die Nervier 53 v.Chr.

Die allgemeine Lage in den belgischen Gebieten

Der Überfall Caesars auf das Gebiet der Nervier

Der Landtag in Lutetia

Überfall auf die Menapier 53 v.Chr.

Der unterstellte Kriegsgrund

Die Strafexpedition Caesars

Der Einmarsch und die Verwüstungen

Der Keltenaufstand 52 v.Chr.

Die Zeit nach dem Aufstand

Aulus Hirtius und das VIII.Buch des De Bello Gallico

Hirtius strategische Überlegungen im Winter 51 v.Chr.

Wir folgen der Geschichte Hirtius

Der Bellovakeraufstand 51 v.Chr.

Die Nachwirkungen des Aufstands 52 v.Chr.

Die Überraschungsangriffe Caesars im Winter 51v.Ch

Wo befanden sich die Lager der Bellovaker?

Kann man Schlussfolgerungen ziehen?

Der Bellovakeraufstand aus militärischer Sicht

Schlussfolgerungen aus den militärischen Aktionen

Schlussfolgerungen aus der Geografie

Wie bewegten sich die Römer

Versuch einer endgültigen Ortsbestimmung

Caesar setzt seinen Vormarsch fort

Die Unterwerfung der Belger

Abbildungsverzeichnis

Einleitung

Der Titel des Buches heißt „Rom kämpft um den Rhein“. Es erscheint in drei Teilen, die hintereinander veröffentlicht werden. Sie tragen folgende Untertitel:

Teil I - Caesars Kriege 58 v.Chr. gegen Helvetier und Sweben

Teil II - Caesars Kriege gegen die Belger 57 v.Chr. - 51 v.Chr.

Teil III - Caesars Kriege am Niederrhein 57 v.Chr. - 52 v.Chr.

In ihrer Gesamtheit sollen diese Bücher von wichtigen Ereignissen berichten, die sich während des sogenannten Gallischen Krieges, der von 58 v.Chr. bis 50 v.Chr. dauerte, zugetragen haben. Ausgelöst wurde dieser Krieg von Gaius Julius Caesar (100 v.Chr. - 44 v.Chr.). Als Statthalter der römischen Provinz Gallia Transalpina und ausgestattet mit einem über fünf Jahre gültigen Kommando überschritt er 58 v.Chr. die nördliche Provinzgrenze und fiel in keltische Gebiete ein, um sie zu unterwerfen. Caesar selbst hat diesen Krieg ausführlich in seinem Buch „De Bello Gallico“ beschrieben. Da er Akteur und Autor in einer Person war, sind seine Kommentare entsprechend seines persönlichen Weltbildes und seiner persönlichen Ansichten das Ergebnis einer nicht ungefährlichen Gratwanderung zwischen Wunschträumen und Wirklichkeit. Sein Buch ist jedoch die einzige Quelle eines Zeitgenossen. Eine andere oder gar bessere gibt es nicht. Nachfolgende Historiker und Autoren haben stets auf diese Quelle zurückgreifen müssen. Da die betroffenen Völker, die Kelten, die Belger und die Germanen keine schriftlichen Zeugnisse hinterlassen haben, konnten Caesars Kommentare fast unangetastet überdauern.

Jeder, der sich mit diesem Thema beschäftigt, steht vor der schweren Entscheidung über die Glaubwürdigkeit der von Caesar beschriebenen Ereignisse. Eine Trennung in richtige und falsche Fakten wäre zu einfach, denn es gibt viele Zwischenstufen. Insofern ist der Umgang mit diesen Fakten stets ein subjektiv gefärbter Prozess. Zeitgeist und Weltbild des Autors spielen in ihn hinein. Am Ende stehen Caesars Kommentare selten in Frage, aber deren Interpretation führt möglicherweise zu neuen Erkenntnissen. Das Buch „Rom kämpft um den Rhein“ will die Commentarii de Bello Gallico nicht nacherzählen. Es behandelt nur einige, wenn auch bedeutende, Ausschnitte seines Krieges.

Im Teil I, der bereits erschienen ist, wird auf die fadenscheinigen Begründungen eingegangen, die Caesar für seine Feldzüge beschreibt. Der Schwerpunkt dieses Krieges ist die Veränderung der Einflussgebiete an der nördliche Provinzgrenze. Er vertreibt die Helvetier (Tiguriner) aus den haeduischen und sequanischen Stammesgebieten, behält diese zugleich als römischen Besitz ein und besiegt Ariovist, den König der Sweben nahe Mühlhausen im Elsass, um dessen Eingreifen in römische Angelegenheiten auf Dauer zu verhindern. Caesar kämpfte demnach im ersten Kriegsjahr nicht gegen Kelten (von den Römern Gallier genannt), sondern gegen germanische Stämme. Und er stand zum ersten Male am Rhein. Zog sich aber wieder zurück.

Im hier vorliegenden Teil II wird der Eroberungsfeldzug Caesars in den belgischen Stammesgebieten beschrieben. Weitab von der römischen Provinz Gallia Transalpina und weitab von den Konflikten im dortigen Grenzvorland wird sichtbar, dass es Caesar weder um den Schutz römischer Interessen noch angegriffener römischer Bundesgenossen ging, sondern ausschließlich um die Eroberung fremder Territorien. Anfänglich noch zögerlich, lässt er nunmehr die Maske fallen und strebt offen danach, eine neue Provinz zu erobern, die alle Gebiete Westeuropas von den Pyrenäen und den Westalpen bis an den Rhein umfasst. Mit der Unterwerfung der belgischen Stämme, der nördlichen Nachbarn der Kelten, bekäme Caesar den wichtigsten Wasserweg zwischen dem Rhein und der britannischen Insel sowie die Häfen und reichen Ressourcen des belgischen Hinterlandes in die Hände. Die Unterwerfung der Belger war die Voraussetzung für den weiteren Vorstoß zum Rhein, der von Germanen bewohnt wurde.

Der Krieg gegen die Belger dauerte fast ebenso lange wie der gesamte Gallische Krieg, sieben Jahre. Aus Caesars Buch wurden alle Abschnitte, die dort verstreut entsprechend den Jahresberichten enthalten sind, ausgewählt und als zusammenhängende, nur diese Stammesgemeinschaft betreffende, historische Abhandlung wiedergegeben. Sozusagen eine Geschichte der Belger von 57 v.Chr. bis 51 v.Chr. Und es erstaunt, dass die Feldzüge ab 57 v.Chr. wiederum nicht keltische, sondern belgische Stämme, trafen. Bereits der Titel seines Buches müsste deshalb Anstoß erregen. Der „Gallische Krieg“. Anders gesagt: Der Krieg Caesars in Gallien. „Gallia est omnis divisa in partes tres, quarum….“ so beginnt er sein erstes Buch. Zu keiner Zeit hat es ein Land, ein Volk, eine Landschaft, eine sprachliche, kulturelle oder politische Einheit gegeben, die eine solche Bezeichnung verdient hätte. „Gallien“ ist eine Erfindung Caesars. Er bezieht diese Bezeichnung nicht auf ein Gebiet, das nur von Galliern (Kelten) bewohnt war, sondern auf das, was er für seine neue Provinz im Auge hatte, ungeachtet dessen, dass auch andere Ethnien darin leben würden. In den Jahren 27 v.Chr. bis 16 v.Chr. (Neuer Pauly) wurde seine Eroberung in drei kaiserlich-prätorische Provinzen Gallia Belgica, Gallia Lugdunensis und Gallia Aquitania geteilt. Zwischen Belgern, Kelten und Aquitaniern wurde eindeutig unterschieden. Der Begriff Gallien wurde als verbindendes Glied benutzt, hatte demnach nur eine administrative Bedeutung.

Und dennoch hat sich Caesars Begriff Gallien mit dem entsprechenden Inhalt Jahrhundertelang gehalten und für erhebliche Konflikte gesorgt. Die französischen Herrscher beriefen sich auf ihn und kämpften gegen Deutschland um den Rhein als Staatsgrenze. Und noch heute gibt es genügend Historiker, sowohl französische als auch deutsche, die den Rhein vor und während der Römerzeit als ethnische Grenze betrachten und alles, was links davon lebte, als keltisch bezeichnen. Die archäologischen Forschungen über die Zeit der römischen Eroberung sind bemerkenswert. Sie erlauben uns, ziemlich genaue Vorstellungen zur Lebensweise und Kultur der damaligen Bewohner zu entwickeln. Was sie nicht können, ist die Bestimmung ihrer ethnischen Zugehörigkeit. Deshalb ist jede kritische Auseinandersetzung mit Caesars Werk zugleich mit einem dauerhaften Streit über die Rolle des Rheins als ethnische Grenze zwischen Kelten und Germanen verbunden. Darauf wird im nachfolgenden Text öfters Bezug genommen. Die Idee zu dem Buch „Rom kämpft um den Rhein“ entstand nach der Fertigstellung meines Buches: „Die Kimbern und Teutonen kamen nicht aus Jütland“. Bereits in dieser Arbeit rückte der niederrheinische Großraum in den Mittelpunkt meines Interesses. Dort siedelte ich die germanisch sprechenden Stämme, zusammengefasst unter der Bezeichnung Teutonen, an. Deren Kern bildeten die Eburonen und Sugambrer. Caesars Aussage über die Abstammung der Atuatuker von den Kimbern und Teutonen war eine wichtige Anregung.

„Belgica“, diese Bezeichnung Caesars, gilt für einen Verband, der sich aus mehreren Stämmen zusammensetzte, die sich von der Gemeinschaft, die sich Germanen nannte, abgrenzen ließ. Von den Germanen im Osten, Norden und Nordwesten umfasst, bildet Belgica eine Art Pufferzone zu den keltischen Stämmen. Caesar grenzt sie in Gebiet, Sprache, Einrichtungen und Gesetzen eindeutig von den Kelten ab. Die Belger waren eine starke Großgruppe im Nordwesten Europas, die von der Landschaft Champagne über die Picardie bis Artois reichte und im Norden den Hennegau einschloss. Ihre Lage am Kanal hatte dazu geführt, das sie sich auch hinüber nach Britannien bewegt und dort sogar gesiedelt hatten. Diese Lage und der relative Wohlstand der Region waren sehr bedeutend für Caesars Pläne. Eine neue Provinz bis an die Rhein erforderte die bedingungslose Unterwerfung dieses Großvolks. So entsteht eine zusammengefasste Darstellung der Geschichte des sieben Jahre dauernden Kampfes dieser Stämme gegen die Römer, in dem es um ihre Freiheit und Unabhängigkeit geht. Im Unterschied zu Caesars Buch, aus dem man sich stets in sprunghafter Weise die Ereignisse eines Stammes heraussuchen muss, entstehen übersichtliche Räume und Schauplätze mit den kontinuierlichen Handlungen der darin lebenden Bewohner.

Diese Geschichte ließ jedoch während der Bearbeitung viele Lücken, Widersprüche und Zweifel in den Handlungen und deren räumlicher Einordnung aufkommen. Es musste versucht werden, diese zu Lücken schließen, aufzuheben und zu entschärfen. Besondere Untersuchungen und Berechnungen wurden erforderlich, um die geografischen Räume annähernd nachzubilden, in denen sich die Handlungen vollzogen. Auf das Mittel, frei zu erzählen, was nicht belegt werden kann, wurde überwiegend, aber nicht ganz verzichtet. Der Neigung, die historischen Vorgänge nicht nur in der Sichtweise Caesars niederzuschreiben, sonder mehr auf die der Betroffenen einzugehen, wurde nachgegeben. Das ist durchaus ein schwieriges Unterfangen. Was Caesar überliefert, ist bereits eine Mischung aus Tatsachen und Wunschvorstellungen. Nur selten stellt er die Gegner vor oder lässt sie zu Worte kommen. Deren Ansichten und Handlungen können nur sichtbar gemacht werden, wenn man aus Caesars Schrift die Reaktionen auf seine Aktionen spiegelt. Es wurden teilweise Ergänzungen eingefügt, deren Inhalte nur eine vage Annäherung an die Wirklichkeit sein können.

Caesar plant eine neue Provinz Gallien

Westeuropa am Ende des Jahres 58 v.Chr.

Im Teil I des Buches „Rom kämpft um den Rhein“ wurde beschrieben, wie sich der Statthalter von Gallia Transalpina, Gaius Julius Caesar, unter einem fadenscheinigen Grund das Recht herausnahm, zum ersten Mal mit einem Heer die Nordgrenze der Provinz zu überschreiten. Er fiel in das Stammesgebiet der Sequaner ein und eröffnete dort einen Krieg gegen die Tiguriner (von ihm Helvetier genannt), der sich auch in das Stammesgebiet der Haeduer hineinzog. In der Schlacht nahe Bibracte, dem Hauptort der Haeduer, besiegte er die Tiguriner und ihre verbündeten Stämme. Doch zog Caesar es vor, nach diesem Sieg das Land der Tiguriner weder zu besetzen noch zu unterwerfen. Er verzichtete auch auf Tribute und andere Verpflichtungen. Offensichtlich genügte es ihm, diesen starken Stamm hinter dem Jura zu wissen und ihm sein Einflussgebiet an der Saône genommen zu haben.

Dieser Fluss verlängert ab Lyon (Lugdunum) die von Nord nach Süd fließende Rhone entlang der wichtigsten Nord-Süd-Verkehrsachse Westeuropas. Zwischen dem Stammesland der Haeduer und der römischen Provinz bestand nunmehr eine feste und gesicherte Verbindung auf dem Wasser und zu Lande und die Stämme der Sequaner und Lingonen gerieten unter römischen Einfluss.

Im Teil I wurde weiterhin dargelegt, dass sich Caesar mit dem Erreichten nicht zufrieden gab. In seinen Überlegungen bildete der Zugang vom Oberrheintal zum sequanischen Stammesgebiet über den wichtigen Fernweg, der von dort entlang des Doubs zur Saône und Rhone führte, einen Unsicherheitsfaktor. Dieses Gebiet wurde von dem swebischen König Ariovist (so von den Römern betitelt) beherrscht. Seit 71 v.Chr. hatte dieser mächtige Mann die Sequaner und Averner darin unterstützt, sich gegen die Vorherrschaft der Haeduer zu wehren und 61 v.Chr. in einer bedeutenden Schlacht diesem Drängen ein Ende gesetzt. Seitdem mussten sich die Haeduer verpflichten, Tribute an die Sieger zu zahlen und dies durch Geiseln, die bei den Sequanern verblieben, bekräftigen. Zum Zeitpunkt, als Caesar in den Stammesgebieten der Sequaner und Haeduer gegen die Tiguriner kämpfte, hielten sich keine Sweben mehr dort auf. Dennoch stürzte er den Fürsten der Haeduer, Dumnorix, der sein Gegner war, und setzte dessen romtreuen Bruder Diviciacus als neuen Fürsten ein. Mit diesem Mann heckte er den Plan aus, Ariovist anzugreifen. Der Grund, den er dafür anführte, die Tyrannei des Sweben über die Haeduer, war eigentlich mit der Ernennung Diviciacus als neuen Herrn dieses Stammes aufgehoben worden. Doch konstruierten sie alle möglichen zweifelhaften Vorwürfe für einen Kriegsgrund gegen Ariovist und fielen in das Land der Triboker, einem seiner Klientelstämme, ein. Selbst die Verhandlungen dort zwischen Caesar und Ariovist waren nur noch ein vorgetäuschtes Manöver, in dem er erkennen wollte, ob er die Sweben und ihre Verbündeten als unterlegen einschätzen und deshalb besiegen könne. Caesar zwang schließlich Ariovist, der immer wieder versuchte, dem Krieg auszuweichen, zur Schlacht. Ariovist verlor sie. Diese militärische Schwächung war dem Römer wichtig. Gleichzeitig musste er erkennen, dass seine Kraft nicht ausreichte, die swebischen Stämme am Rhein zu unterwerfen. So zog er sich nach dem Sieg schnell ohne Geiseln, ohne Tributforderungen, ohne Zwang zu Aufgeboten zurück in das Land der Sequaner. Die Vogesen betrachtete er von da an als Grenzgebiet zwischen seiner und Ariovists Einflusssphäre. Caesars Erwerbungen 58 v.Chr. sind in Abb.1 dargestellt.

Abb.1 Caesars Eroberungen keltischer Gebiete 58 v.Chr. und die Ziele 57 v.Chr.

Caesars Eroberungspläne 57 v.Chr.

Im Herbst 58 v.Chr. zog sich Caesar nicht in die Provinz zurück, nachdem er die Verhältnisse bei den nördlichen Nachbarn in seinem Sinne geklärt hatte, obwohl das Anliegen des Senats, lediglich Freunde des römischen Volkes vor Angriffen Fremder zu schützen, scheinbar erfüllt war. Doch Caesar hatte für fünf Jahre ein Kommando und war nicht bereit, dieses vorzeitig abzugeben. Er verbrachte den Winter in Gallia Cisalpina, einer Provinz, die er ebenfalls als Prokonsul verwaltete. Dort weilte er nicht, um an seinen „Commentarii de Bello Gallico“ zu schreiben, sondern um sich auf einen neuen Feldzug vorzubereiten. Im milden Klima Oberitaliens, noch trunken vom Erfolg gegen die Sweben und Tiguriner, überrascht von der Unterwürfigkeit der gallischen Stämme der Sequaner, Lingonen und Leuker, entwickelte er den Plan über die Ausweitung seiner neuen Provinz.

Längst hatte er sich mit Männern umgeben, die ihm die notwendigen Informationen über die Geografie, Völker, Stämme, Sprachen, Gesetze, Einrichtungen, Beziehungen und Führungspersönlichkeiten verschafften. Es dürfte nicht zu vermessen sein, sich Caesar vor einem großen Plan stehend vorzustellen, wie er vom Genfer See über den Rhein eine rote Grenzlinie bis zu dessen Mündung in die Nordsee zog und diesen Raum als sein neues Gallien bezeichnete. Der weitaus größte Teil dieses Territoriums wurde von Farbflächen bedeckt, die als Stammesgebiete der Kelten ausgewiesen waren. Im Süden setzte sich das Gebiet der Aquitanier und im Norden das der Belger davon ab. Die Gebiete der Kelten bezeichnete er als „eigentliches Gallien“.

Sein erster Vorstoß in das neue Land zeigte einen Pfeil entlang der Saône und des Doubs in Richtung des Rheinknies. Die Siege über die Tiguriner und Sweben im vergangenen Jahr bescherten ihm auch die beiden Stammesgebiete der Haeduer und Sequaner, die er als Protektorate Roms behandelte. In Besançon hatte er ein Verwaltungszentrum gegründet und es mit Winterlagern unter General Labienus gesichert. Diese militärische Macht bedrückte die unmittelbaren Nachbarn, die Lingonen und Senonen so sehr, dass sie keinen Widerstand gegen die Römer wagten.

Caesar musste abwägen, ob ein zweiter militärischer Vorstoß gegen die noch nicht unterworfenen keltischen Stämme gerichtet sein müsse. Die Nachrichten aus dem Hauptquartier in Besançon nahmen ihm diese Sorge. Sowohl die Lingonen als auch die Leuker, die nördlichen Nachbarn der Sequaner, zeigten sich unterwürfig. Das Bündnis der haeduischen Koalition, das bis in das Herz der Kelten reichte, und die Biturigen, Senonen und Parisier umfasste, hielt zu ihm und das bestärkte seinen Eindruck, dass er alle keltischen Gebiete bereits ohne Kampf unterworfen habe.

Deshalb richtete er sein Augenmerk auf die Belger, die nördlichen Nachbarn des eigentlichen Galliens (liber II, 3,2). Diese Stämme würden sich nicht kampflos ergeben wie die Kelten, so glaubte er. Dorthin müsse er mit all seiner militärischen Macht ziehen und die Eroberung der restlichen Gebiete bis zum Rhein vollenden. Schließlich stimmte er sich über dieses Ziel mit Labienus in Besançon ab und veranlasste, um ganz sicher zu gehen, die Aushebung von zwei neuen Legionen in seiner italienischen Provinz. Er gab ihnen die Bezeichnung XII und XIII. Jetzt konnte er dem ersten Pfeil zum Rhein weitere hinzufügen, die von Besançon und von Bibracte nach Norden zeigten, an die Marne. Die Fernwege für die Märsche waren vorhanden und gut ausgebaut. Jetzt galt es, die Versorgung der Truppen und ihre Ausrüstung zu sichern. Diese Aufgabe übertrug er Labienus. Eine offizielle Erklärung über einen Krieg gegen die Belger und dessen Gründe gab es nicht.

Caesars Kriegsgründe

Nach den Gesetzen der römischen Republik hatte Caesar keinen Grund, gegen die Belger einen Feldzug durchzuführen. Er formulierte ihn auch nicht. So wie bereits im Jahr 58 v.Chr. geschehen, ließ er auch diesmal eine andere Person für sich sprechen. Damals war es Diviciacus, der Haeduer, diesmal war es Labienus, sein wichtigster General und Stellvertreter. Der schrieb ihm angeblich:

Abb.2 Das Gebiet der Belger zwischen Germanen und Kelten

„…alle Belger, die wir als den dritten Teil Galliens bezeichnen, unternähmen eine Verschwörung gegen das römische Volk und tauschten Geiseln aus.“ (liber II, 1, 2)

Titus Labienus war ein treuer Anhänger Caesars und folgte ihm in den Krieg gegen die keltischen, belgischen und germanischen Stämme. Mit 32 Jahren übernahm er als Legat die Führung einer Legion und in Abwesenheit Caesars die des gesamten Heeres. Als hervorragend operierender Offizier erwarb er sich großen militärischen Ruhm und zugleich Reichtümer in den eroberten Landstrichen. Labienus formulierte für Caesar den Kriegsgrund: einen Aufstand der Belger gegen das römische Volk, d.h. er hatte die noch freien Belger bereits zu römischen Untertanen erklärt.

Caesars Feldzug gegen die Tiguriner und Sweben 58 v.Chr. konnte, wenn auch sehr zweifelhaft, immerhin noch damit begründet werden, dass ein Verbündeter Roms zu schützen seine Pflicht war In diesem Fall die Haeduer. Doch welcher Verbündeter Roms wurde von den Belgern bedroht? Dieser Stammesverband lebte mindestens 400km, getrennt durch große Gebiete der keltischen Stämme, von der nördlichen Grenze der Provinz Gallia Transalpina entfernt. Niemals wären Belger auf die Idee gekommen, einen Feldzug gegen das römische Volk zu unternehmen, besonders angesichts der Niederlagen solch berühmter Feldherren wie Divico und Ariovist. Caesar hatte, so zeigt es seine ungeschminkt platte und hohle Formulierung von einem Aufstand der Belger gegen Rom, keinen Grund, einen Krieg zu führen. Einzig sein Ehrgeiz, durch Krieg Ruhm und Macht zu erlangen, trieb ihn an. Das Fundament für diese Triebe legte er 58 v.Chr. mit der Unterwerfung der Sequaner und Haeduer, mit der Ergebenheitserklärung der Lingonen und Leuker und mit seiner Idee, eine neue Provinz zu schaffen.

Diese gedankliche Schöpfung einer neuen Provinz Gallien bot ihm die Möglichkeit, sie zeitlich und räumlich nach Belieben auszuformen. Er musste nicht sogleich alle Gebiete erobert haben, ehe er sie formal durch Senatsbeschluss in einer Provinz zusammenfassen würde. Nein, allein deren Bestehen in seinem Kopf genügte, alle kommenden Handlungen, die sich in der Realität dagegen stellten, als Aufruhr oder Aufstand gegen die befreundeten Haeduer und damit gegen Rom, einzustufen und militärisch einzugreifen. Wie sollte man sonst erklären oder begründen, dass er im Jahr 57 v.Chr. mit einem Krieg gegen die Belger begann, weil diese einen „Aufstand“ planten. Im Allgemeinen wird von einem Aufstand nur gesprochen, wenn sich ein Volk, ein Stamm, eine Gruppe gegen eine bestehende Herrschaft erhebt. Die Belger wurden zu Caesars Zeit von keiner fremden Macht beherrscht, noch längst nicht von Römern. Gegen wen sollten sich diese unabhängigen Stämme demnach erhoben haben? Sie rüsteten ganz selbstverständlich zur Verteidigung ihrer Unabhängigkeit auf, nachdem sie von den Feldzügen in den Gebieten südlich der Seine und Loire gehört hatten. Ihre engen Beziehungen zu den keltischen Nachbarn ermöglichten weite und umfassende Informationsströme von dort in die belgischen Lande.

Was unternahmen die Belger?

Caesar nennt das, was die Belger im Winter 58 v.Chr. bis 57 v.Chr. taten, eine Verschwörung gegen das römische Volk. So absurd diese Darstellung auch sein mag, gab es doch Bewegungen in diesem Stammesverband, die man als Ertüchtigung und Erhöhung der Wehrfähigkeit bezeichnen könnte. In aller Offenheit rüsteten sie zur Verteidigung ihrer Lebensräume gegen einem vorauszusehenden Angriff der Römer. Nachdem sie erleben mussten, wie sich die keltischen Stämme unterwarfen, sie aber dieser Haltung nicht folgen wollten, ahnten sie, dass Caesar sie aufsuchen und gewaltsam niederwerfen würde. Caesar formulierte das so:

„Erstens fürchteten sie, nach der Unterwerfung ganz Galliens (er meint an dieser Stelle das „eigentliche Gallien“) könne unser Heer auch zu ihnen kommen; zweitens würden sie von einigen Galliern aufgehetzt, und zwar von solchen, die keine Germanen länger in Gallien dulden wollten, doch ebenso empört waren, dass das römische Heer dort überwinterte und sich einniste;…“ (liber II, 1,3-4).

Aus diesen Texten spricht kein Wort der Achtung gegenüber Völkern, die bisher in Freiheit gelebt hatten und nun versklavt werden sollten. Die wahren Gründe für die Rüstungen bei den Belgern wollte er nicht sehen oder einfach nicht beim Namen nennen. Caesar erwartete, dass die belgischen Stämme allein beim Anblick seiner ungeheuren Massen an Soldaten ohne Gegenwehr die Unterwerfung anböten.

Inzwischen war bekannt geworden, dass, wer dieses Angebot an Caesar unterbreitete, für immer seine Souveränität und Unabhängigkeit, seine Lebensweise, seinen Besitz und seine Freiheit aufgäbe. Der überwiegende Teil des belgischen Stammesverbandes wollte das nicht. Und das hieß, sich zu verbünden und zu verteidigen, um in Freiheit zu überleben.

Denn was hieß das, sich den Römern freiwillig zu unterwerfen? Das bedeutete folgendes:

- Sich dem römischen Volk auf Gnade und Ungnade zu ergeben;

- Allen Bündnissen und Verschwörungen gegen Rom zu entsagen;

- Geiseln zu stellen;

- Unbedingten Gehorsam zu leisten;

- Alle Städte und befestigten Anlagen kampflos zu öffnen;

- Korn und sonstigen Nachschub zu liefern;

- Dienst der wehrfähigen Männer in römischen Hilfstruppen zu leisten.

Caesars Politik gegen die Kelten und Germanen am Rhein schweißte die Belger zusammen und veranlasste sie zu gemeinschaftlichem Planen und Handeln.

Was waren das für Stämme? Welche bildeten den Stammesverband? Bevor auf den Zusammenstoß zwischen Belgern und Römern eingegangen wird, soll dieser ethnische Verband näher beleuchtet und erklärt werden.

Der belgische Stammesverband

Herkunft - Quellen

Im heutigen Europa trägt den Namen Belgien ein Staat, der im Westen vom Kanal, im Norden von den Niederlanden, im Osten von Deutschland und Luxemburg, und im Süden von Frankreich begrenzt wird. Dieser Staat existiert erst seit 1830. Seinen Namen verdankt er der römischen Überlieferung, vor allem Gaius Julius Caesars Buch „De Bello Gallico“. Wie bereits gesagt, führte der Statthalter der römischen Provinz Gallia Transalpina seit dem Jahr 58 v.Chr. Krieg in Westeuropa, mit dem er im darauffolgenden Jahr auch die belgischen Stämme überzog. Der Lebensraum dieser Stämme deckt sich nur teilweise mit dem Territorium des heutigen Belgiens. Die frankophonen Gründungsväter dieses Staates wählten mangels eines passenden historisch überlieferten Namens eine Bezeichnung aus der Antike. Über Jahrhunderte lag das heutige Staatsgebiet im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation und zeitweise im Königreich der Niederlande. Caesar selbst beschreibt die Belger so:

„Die Gallier trennt von den Aquitanern die Garunna, von den Belgern die Matrona und die Sequana… Das Belgerland beginnt an der Grenze von Gallien, reicht bis zum Niederrhein und liegt gegen Nordosten. “ (Liber I,1)

Caesar unterscheidet sehr klar und deutlich zwischen den Kelten und Belgern. Er spricht von Unterschieden in „Sprache, Einrichtungen und Gesetzen“ (Liber I,1). Belger waren keine Kelten. Sie beriefen sich auf ihre germanische Abstammung (Liber II,4) und waren stolz darauf. Als belgische Stämme überliefert Caesar die Remer, die Bellovaker, die Suessionen, die Nervier, die Atrebaten, die Ambianer, die Moriner, die Kaleter, die Veliokassen und Viromanduer. Die Belger bildeten nach seinen Worten einen Stammesverband, der im römischen Sinne aber keinem Staat glich. Über dem Bund stand wahrscheinlich ein Landtag, auf dem die alle Stämme betreffenden Angelegenheiten behandelt wurden. Es ist anzunehmen, dass die Führer der mächtigsten Stämme, z.B. der Nervier, Bellovaker und Suessionen wechselweise und zeitlich begrenzt den Verband anführten und den Landtag leiteten.

Die räumliche Einordnung

Bislang gibt es keine Karten, in denen überschaubar und verständlich die Lebensräume der als belgisch bezeichneten Stämme, wie sie Caesar überliefert hat, dargestellt wurden. Das liegt vor allem daran, dass sie von vielen Historikern als keltisch bezeichnet werden und man ihre germanische Abstammung verschleiern möchte. In den aktuellen historischen Kartenwerken erscheint unter der Bezeichnung „Belgica“ ein Territorium, das seit der von Caesar übernommenen Beschreibung seine Ausdehnung und Grenzziehung von Jahrhundert zu Jahrhundert änderte. Am gravierendsten mit der Bildung der germanischen Provinzen links des Rheins, die eine notwendige, wenn auch ungern getroffene Entscheidung der römischen Kaiser waren. So musste aber den in großer Zahl dort lebenden Germanen Rechnung getragen werden. Wenn es gelänge, die von Caesar als belgisch bezeichneten Stämme räumlich zu definieren, dann erhielte man daraus das Gebiet des damaligen Stammesverbandes. Zugleich auch die Abgrenzung zu den keltischen und zu den nach Caesar „gemeinschaftlich Germanen“ genannten (Liber II,4) Stämmen. Dazu gehörten z.B. die Kondruser, Eburonen, Käroser und Kämaner.

Wenden wir uns zuerst den Belgern zu, die sich bereits 57 v.Chr. ernsthaft von den Römern bedroht fühlten. Sowohl in Droysens Historischem Atlas als auch im Historischen Weltatlas des marixverlags (Dr. Walter Leisering als Herausgeber), ebenso in Wikimedia (Map Gallia Tribes) u.a. Quellen stimmt die geografische Einordnung der Stammesnamen annähernd überein.

Um sie mit größerer Präzision, d.h. sogar mit Stammesgrenzen darstellen zu können, ist die Betrachtung der naturräumlichen Gegebenheiten zwingend erforderlich. Die wichtigste Rolle spielen darin die Gewässer, d.h. die Beziehungen zu den Küsten, zu den großen Flüssen und zu den Systemen der Nebenflüsse. Um einen ersten Überblick über das in Frage kommende Gebiet zu geben, wurde die Abb.2 angefertigt. Das Stammesgebiet der Belger könnte man sich demnach durchaus als die Summe mehrerer Flusseinzugsgebiete vorstellen. Aber ganz so einfach ist es nicht.

Belger und Kelten

Um die folgenden Ereignisse verstehen zu können, bedarf es einiger Ergänzungen zum Begriff „Belger“. Caesar ist die einzige Quelle, die uns mitteilt, dass die Belger einen Stammesverband bildeten, der sich klar von keltischen Stämmen unterschied. Dieser Verband hatte zu Caesars Zeit bereits seine Geschichte. Denn er erwähnt in seinem Buch den Zug der Kimbern und Teutonen durch die keltischen Lande. Als sie im Norden auf die Belger trafen, so vermittelt er uns, seien sie von den Belgern zurückgeschlagen worden. Darauf waren sie noch zu seiner Zeit sehr stolz. Ihre Überlieferungen darüber bezeichnete er sogar als sehr überheblich. Diese Begebenheit ist zwar nicht weiter belegt, doch vorstellbar ist, dass die Teutonen, die ich als Stammesverband am Niederrhein angesiedelt habe (siehe mein Buch: „Die Kimbern und Teutonen kamen nicht aus Jütland“) und deren Hauptlager sich im Land der Eburonen befunden haben soll, die Belger für ihre Züge gewinnen wollten. Doch sie wiesen das Ansinnen zurück. Welche Gründe dazu führten, dass sich mehrere ursprünglich germanische Stämme zu einem belgischen Verband zusammengeschlossen hatten, kann nicht genau ermittelt werden.

Mit Sicherheit war es eine gemeinsame Sprache, in der sich die Angehörigen verständigen konnten. Des Weiteren werden die geografische Lage und die daraus resultierenden Lebensbedingungen eine wichtige Rolle gespielt haben. Man baute die gleichen Häuser, Boote und Wagen, verfügte über gleichartige Kleidung, Werkzeuge und Waffen. Landwirtschaft und Viehzucht, an der Küste die Schifffahrt, bildeten die Lebensgrundlagen. Wie überall in Europa glaubten die Menschen an viele Götter, denen sie in ihren Kultstätten näher kamen und wo sie ihnen auch ihre Opfer brachten. Eng verknüpft mit dem Götterglauben war die Gesetzgebung der Stämme. In einem Verband müssen alle Stämme nach gleichem Recht und Gesetz leben. Eben, weil die Belger keine Kelten waren und sich den östlichen Nachbarn, den Germanen, verbunden fühlten, könnten sie die nordischen Götter verehrt haben.

Die Belger bewohnten überwiegend die Hügellandschaften zwischen der Seine, Marne, oberer Leie, oberer Schelde, Oise und Sambre. Nach Norden zu erstreckte sich das Land bis an den Rand der Geest hinter der flandrischen Küste und südlich der Maas und des Rheins.

Seit Menschen dort dauerhaft siedelten, waren sie dem ewigen Kampf mit den Elementen Wasser, Sturm und Regen ausgesetzt. Als sie diese Widrigkeiten meisterten, über Landwirtschaft, Viehzucht und Salzgewinnung zu Wohlstand gelangten und über den Ärmelkanal und die nahe liegenden Arme der Seine und des Rheindeltas in die Nordsee hinaus fuhren, Fischfang und Handel trieben, entstanden neben den Einzelgehöften und Weilern größere Siedlungen, die Caesar bereits als Städte bezeichnete. Die belgischen Seefahrer kreuzten nicht nur auf der Nordsee, sondern wagten es bereits, auf Dauer nach Britanniens Südosten zu ziehen und dort neue Stammesgebiete zu erschließen. Die Belger gehören nach heutigen wissenschaftlichen Begriffen ethnisch zur nordwestlichen germanischen Volksgruppe. Ihre unmittelbaren Nachbarn waren die germanischen Stämme, die sich am Niederrhein im 2.Jh. v.Chr. zeitweilig zu einem Verband der Teutonen zusammengeschlossen hatten. Zur Zeit Caesars bezeichneten sie sich als germanische Gemeinschaft. Römische Kaufleute waren in diesem Teil Westeuropas nicht gern gesehen. Zu sehr erinnerten sie an die Sperrung des Rhonetals nach der Eroberung der Provinz und die Siege über die Teutonen und Ambronen. Da dies in keltischen Gebieten anders gesehen wurde, hatten sich römische Produkte und Lebensgewohnheiten dort bereits stärker ausgebreitet.

Der Stammesverband der Belger führte nicht zu einem gemeinsamen Staat. Das Bündnis musste immer wieder in zähen Verhandlungen und durch den Austausch von Geiseln und Geschenken, manchmal auch in Gestalt von Tributen, erneuert werden. Bis zu Caesars Erscheinen hielt dieser Verband. Er verstrickte sich häufig in Konflikte untereinander und mit den gallischen Nachbarn an der Seine. Es kann davon ausgegangen werden, dass sich die ethnischen Grenzen nicht eindeutig ziehen lassen, sondern dass es keltische Bauern nach Norden in belgische Gebiete und umgekehrt belgische in keltische drängte. So begann in den Grenzgebieten ein Austausch von Sprache und Kultur.

Historische Karten zeigen die Grenzen zwischen den Belgern und den Galliern überwiegend entlang der Seine und südlich der Marne und ließen sie etwa vor den Ardennen enden. Sie baut auf Caesars Angaben auf, der die Seine und Marne als Grenzflüsse genannt hatte. Diese Grenzziehung ist jedoch ungenau und würde sich im 2. Jh. v.Chr. als nicht umsetzbar erwiesen haben. Zwischen den Stämmen wurden solch relativ kleine Flüsse selten zu ethnischen Grenzen. Lebensräume wurden überwiegend durch Flusssysteme gebildet. Da das Einzugsgebiet der Seine viel zu groß für einen Stamm gewesen wäre, muss man sich auf die Systeme der Nebenflüsse orientieren. Dann können geografische Räume erkennt werden, die durchaus geeignet wären, einzelne Stämme aufzunehmen.

Das kann selbst in der heutigen Zeit anhand von Staatsgrenzen nachgeprüft werden. Man kann davon ausgehen, dass sich sowohl die von keltischen als auch von belgischen Stämmen bewohnten Gebiete auf einer ähnlichen sozialen und kulturellen Entwicklungsstufe befanden. Archäologische Funde weisen nach, dass die Gebiete der Belger, Germanen und Kelten überwiegend eine durch Landwirtschaft geprägte und geformte Kulturlandschaft mit relativ dichter Besiedlung waren.

Die sogenannte Latènekultur hatte sich vom oberen Donaugebiet einschließlich der Alpen über große Teile Westeuropas ausgebreitet, so dass aus diesen Funden keine ethnischen Unterschiede ermittelt werden konnten. Aber etwas anderes ist bedeutsam. In den Niederrheingebieten wird durch die Archäologen eine lange Siedlungskontinuität nachgewiesen. Verschiebungen ganzer Stammesgruppen, wie sie immer wieder ins Spiel gebracht werden, hat es demnach nicht gegeben. Diese Bewegungen werden merkwürdigerweise hauptsächlich germanischen Stämmen zugeschrieben. So soll ganz im Sinne der römischen Eroberer der Eindruck erweckt werden, dass diese Germanen, die wir auf der linken Rheinseite vorfinden, keltische Stämme aus ihren Wohnsitzen verdrängt hätten. Doch die Vorgeschichte lehrt, dass die Wanderungen von Menschen, Kulturen und Innovationen überwiegend von Südost nach Nordwest und von Süd nach Nord erfolgten und nicht umgekehrt. Bewegungen ganzer Stämme in der vorrömischen Eisenzeit wären einschneidend für alle Beteiligten und Betroffenen gewesen. Irgendwo hätten Leerräume und andernorts Überfüllungen entstehen müssen.

Tatsächlich gibt es für diese Theorie, die nur das eine Ziel verfolgt, nämlich die römische Definition des Rheins als ethnische Grenze zwischen Kelten und Germanen auch heute noch zu rechtfertigen, keine Beweise. Da die französischen Historiker dieser Theorie nur selten folgen, sondern ihre keltischen Vorfahren dort leben lassen, wo sie auch Caesar schon einordnete, wurden von den deutschen und österreichischen Historikern die Kelten erfunden, die sowohl die rheinischen als auch die Donaugebiete bevölkert haben sollen. Nur gibt es dafür keine Beweise und man versteht erst recht nicht, warum sie zwischen Galliern und Kelten unterscheiden, wo doch beide Begriffe für ein und dasselbe Großvolk stehen. Die französischen Historiker haben es etwas leichter, denn ihre Gallier haben überlebt, während die Kelten den deutschsprachigen Historikern überall abhanden gekommen sind. Diese Ausführungen sind notwendig, weil in Wirklichkeit die Lebensräume der Kelten und Germanen als Vorfahren der Franzosen, Niederländer und Deutschen im Großen und Ganzen dieselben geblieben sind, die schon zu Caesars Zeiten bestanden. Die Inbesitznahme eines geografischen Raumes durch die Mitglieder eines Stammes erfolgte über einen langen Zeitraum als Ergebnis des verlustreichen Existenzkampfes. Solche Räume werden nicht freiwillig aufgegeben. Aber von Fremden auch nicht gern in Besitz genommen, ausgenommen in Form von Herrschaft, d.h. ohne Wechsel der Ethnien. Seit Menschengedenken spielte das Wasser eine entscheidende Rolle in der Ausbildung von Siedlungsräumen. Die Flüsse waren die wichtigsten Verkehrswege. Sie gestatteten durch ihr weit verzweigtes Netz, dem Einzugsgebiet, auch eine gewisse hierarchische Ordnung beim Aufbau der Siedlungsstruktur. Die Wasserscheiden boten sich als ideale Grenzräume zu anderen Stämmen an.

In der Abb. 3 wird auf diese möglichen und bevorzugten Grenzen eingegangen. Ursprünglich besiedelte eine ethnisch homogene Gruppe aus der Ebene heraus einen Flusslauf mit seinen Nebenflüssen und Bächen flussaufwärts. Es war ganz wichtig, auch die Quellen zu besitzen. Hier trat das lebensspendende und lebensnotwendige Wasser in seiner reinsten Form aus der Erde. Dieses Wunder der Natur galt es zu schützen und zu verehren. Häufig entwickelte sich aus diesem Anliegen eine Kultstätte. Diese ursprünglichen Siedlungsräume lassen sich auf der Abb.3 noch gut erkennen. Das Stammesgebiet der Suessionen, Remer und Bellovaker wird durch die Netze der Oise und Aisne geprägt. Das Gebiet der Ambianer und Viromanduer entspricht dem Netz der Somme. Die Nervier und Atrebaten lebten überwiegend am Flussgebiet der Schelde mit ihren Nebenflüssen. Die Moriner als Küstenbewohner bevölkerten die meisten Flüsse, die direkt in den Kanal strömten. Im Laufe der Jahrhunderte, in denen die Bevölkerung zunahm und sich gesellschaftliche Hierarchien herausbildeten, teilten sich ethnische Gruppen und bildeten eigene Stämme. Hinzu kamen die üblichen Streitigkeiten um Land und Ressourcen, die zu Verschiebungen mancher Grenzen führten. Doch überwiegend überlebten sie wiederum als Wasserscheiden. So spalteten sich die Remer von den Suessionen ab und übernehmen das Netz des Oberlaufs der Aisne. Die Viromanduer lösten sich von den Ambianern und übernahmen alle Gewässer des Oberlaufs der Somme. Die Atrebaten und Moriner übernahmen das Quellgebiet der Leie und drängten von dort die Menapier zurück. Die Nervier besiedelten das Gebiet der Schelde und einiger Nebenflüsse soweit die Bodenverhältnisse das zuließen, d.h. ihr Lebensraum endete am Übergang zu den Marschgebieten der Nordsee, der Leie und der Maas, die von „Spezialisten“ für diese Räume, den Menapiern, in Besitz genommen wurden. Und im Osten hatte sich am Netz der Demer der Stamm der Eburonen ausgebreitet, zwar verwandt mit den Nerviern, aber inzwischen autark und noch eindeutig germanisch geprägt.

An dieser Stelle möchte ich auf eine Grenze verweisen, die mir während dieser Betrachtungen besonders auffiel: die nördliche Wasserscheide der Seine. Sie ist in der Abb.3 grün markiert. Ihr Verlauf mitten durch das von Caesar belgisch genannte Gebiet ist untypisch für die Einordnung einer ethnischen Gemeinschaft. Eigentlich wäre diese Wasserscheide unter dem Gesichtspunkt der lang andauernden Entwicklung von ethnisch homogenen Ethnien die ideale Grenze zwischen den germanischstämmigen Belgern und den südlich lebenden Kelten (Galliern) gewesen.

Dass diese Wasserscheide stets eine besondere Rolle im belgischen Gebiet gespielt hat, war noch zur Zeit Caesars zu spüren. Er nennt uns zwar eine Fülle von Stammesaufgeboten und lässt sie als vereinte Streitmacht unter dem Suessionen Galba aufmarschieren, doch sah die Wirklichkeit, wie ich später darlegen werde, ganz anders aus. Nur die Stämme südlich der Wasserscheide hatten sich unter Galba an der Aisne den Römern entgegengestellt. Die Stämme nördlich davon traten erst danach an der Selle gegen Caesar an, unter Führung des Nerviers Boduognatus. Die südlichen Stämme waren auch diejenigen, die sich fast ohne Kampf den Römern unterwarfen, während die nördlichen ganz entschieden wehrhafter waren. Deshalb behaupte ich, dass die Stämme südlich der Wasserscheide schon stark von den keltischen Nachbarn im Süden, die zur Unterwerfung neigten, beeinflusst waren, während die nördlich davon ihre germanischen Wurzeln viel stärker bewahrt hatten und heftigeren Widerstand leisteten.

Offensichtlich waren große Teile der belgischen Aristokratie in den Stämmen des Südens bereits seit längerer Zeit verwandtschaftliche Bindungen zu keltischen Aristokraten der Nachbarstämme eingegangen und deshalb stark von deren Kultur beeinflusst worden. Diese engen Bindungen könnten auch dazu geführt haben, dass keltische Siedler nach und nach in südbelgische Stammesgebiete einwanderten. Sicher ist das nur eine Hypothese. Doch immerhin eine Erklärung z.B. für das Verhalten der Remer, Bellovaker und Ambianer.

Ob die Belger ihren Lebensraum zwischen der Seinemündung und der Oisemündung bis an die Seine herangeschoben hatten oder dort nur über die eigentlich keltischen Bewohner herrschten, muss offen bleiben.

Die heutige Sprachgrenze zwischen den französisch, niederländisch, luxemburgisch, moselfränkisch und allemannisch sprechenden Menschen gibt die Sprachgrenze des 2. Jh. nicht wider. Anhand der Ortsnamen auf französischem Gebiet kommt man den Stammesgrenzen zwischen den germanisch und keltisch sprechenden Bewohnern viel näher. Auch ein Blick auf die Grenzziehungen des frühen Frankenreichs und die Reichsgrenzen seit dem 9.Jh. bis zum ausgehenden 17.Jh., als Frankreich seine Ostgrenze gewaltsam auf deutsches Reichsgebiet vorschob, zeigt eine annähernde Übereinstimmung mit der ethnischen und sprachlichen Grenze. Insbesondere wird das deutlich entlang der oberen Maas. In Abb.3 ist die fränkische Grenzziehung zwischen Austrien und Neustrien interessant. Die lilafarbene Linie folgt auf weiten Strecken der Wasserscheide der Seine und schwenkt dann hinüber zum Lauf der Somme. Daraus könnte man schlussfolgern, dass sich an dieser bereits zu Caesars Zeiten erkennbaren Trennlinie zwischen Nord- und Südbelgern eine ethnische und sprachliche Abgrenzung vollzogen hatte. Die Franken berücksichtigten diese Sprachgrenze zwischen der romanischen und germanischen Bevölkerung.

Die nördlichen belgischen Stammesgebiete verloren nach der Unterwerfung durch die Römer viele Einwohner durch Krieg, Verwüstung der Felder, Niederbrennen der Gehöfte und Weiler und durch Versklavung. In die frei werdenden Räume wurden systematisch Bewohner aus den römerfreundlichen keltischen Stammesgebieten angesiedelt.

Das erklärt vielleicht auch das langsame Vordringen der keltischen und später gallo-römischen Sprache in die Gebiete der Kaleter, Ambianer, Veliokassen, Suessionen und Remer. Die Gebiete der Viromanduer, Atrebaten und Nervier waren als Kernland der Franken dagegen lange germanisches Sprachgebiet geblieben. Noch heute sprechen die Flamen von Französisch-Flandern.

Bevor Caesar Westeuropa eroberte, das er später Gallien nannte, lebten in diesem geografischen Raum verschiedene Ethnien. Das waren die Kelten innerhalb der bereits römischen Provinz Gallia Transalpina und die Kelten außerhalb dieser Provinz. Sie wurden begrenzt von den Germanen hinter dem Jura und den Vogesen im Osten, den Belgern nahe von Seine und Marne im Norden, den Aremorikern im Nordwesten (Bretagne und Normandie) und den Aquitaniern im Südwesten (hinter der Garonne).

Man kann deshalb nicht davon sprechen, dass auf dem Gebiet der angestrebten Provinz Gallien nur Kelten, d.h. die namensgebenden Gallier, lebten. Selbst nach zweitausend Jahren sehr bewegter Geschichte, die in diesem Teil Europas tiefe Spuren hinterlassen hat, erinnern Reste der alten Ethnien daran, dass Caesar sie richtig erfasst hatte. Alle Versuche der Nachfahren der Kelten, die Gebiete Westeuropas zwischen Atlantik und Rhein als gallisch, sprich französisch, gelten zu lassen, sind am Ende doch nicht ganz gelungen: Es gibt noch Aquitanier und Basken im Südwesten, Aremoriker in Gestalt der Bretonen im Westen, Belger in Gestalt der Flamen im Nordwesten und Germanen in Gestalt der Lothringer, Elsässer und Schweizer im Osten.

Die Bezeichnung Gallier, die Caesar eingeführt hat und die bis heute noch genutzt wird, hat demnach keinen ethnischen Bezug. Vielmehr dient sie als künstlicher Oberbegriff für alle Völkerschaften, die in der neuen Provinz leben mussten.

Caesars Namensgebung kommt sehr gut in modernen, auch französischen Karten zum Ausdruck, wenn die verschiedenen Ethnien mit Bezeichnungen belegt werden, die so lauten:

- Gaule Belgique,

- Gaule Armorique,

- Gaule Celtique,

- Gaule Transalpine,

- Gaule Aquitaine.

Die einzelnen Ethnien bekommen, wie Caesar es eingeführt hat, den Oberbegriff Gallier vorgesetzt, auch die eigentlichen Kelten. Es ist deshalb schwer zu verstehen, dass die ethnischen Gruppen, die Caesar selbst, sicher auch römische Händler und seine verbündeten Keltenführer, namentlich erwähnt haben, von einer großen Anzahl Historiker nicht akzeptiert werden. Erst recht nicht die von Caesar links des Rheins nachgewiesenen Stämme, die sich „gemeinschaftlich Germanen“ nannten. Stattdessen ist es heute üblich, über das gesamte Gebiet von Caesars Gallien und noch dazu über des westliche Rheinland, Südwest- und Süddeutschland, die Schweiz und Österreich eine Großgruppe anzuordnen, die man insgesamt Kelten nennt.

Abb.3 - Das von Caesar beschriebene Grenzgebiet zwischen Kelten (Galliern) und Belgern.

Unzweifelhaft hat Caesar eine Trennung zwischen den Belgern und den benachbarten Germanen vorgenommen. Sie wollten angeblich mit 40.000 Kämpfern den Belgern zu Hilfe eilen. Da sich die aufgeführten Stämme gemeinschaftlich Germanen nannten, ist er gar nicht der Schöpfer dieser Volksbezeichnung, sondern hat sie als Eigenbezeichnung von den Eburonen u.a. übernommen. Der Begriff „Germane bzw. germanisch“ war auch den Belgern vertraut, denn sie beriefen sich wegen ihrer Abstammung darauf. Die Herkunft der Volksbezeichnung ist Gegenstand heftiger und langandauernder wissenschaftlicher und leider auch politischer Auseinandersetzungen, die hier nicht berücksichtigt werden sollen. Auch die Etymologie des Begriffs Belger ist nicht eindeutig geklärt. Für meine Ausführungen genügt es zu wissen, dass sich eine Gruppe westgermanischer Stämme unter einem eigenen Sammelnamen zusammengefunden und von den östlichen germanischen Stämmen abgesetzt hatte. Zieht man germanische Silben zugrunde, könnten die Belger möglicherweise die „belgan“ die Zornigen gewesen sein.

Die römische Bedrohung wird konkret

Der Krieg im Jahr 58 v.Chr. gegen die Tiguriner und Sweben hatte zahlreiche keltische Stämme unter militärischem Druck der Römer eingebunden, indem sie Getreide, Schlachtvieh, Ausrüstungen und Krieger für die Legionen bereitstellen mussten. Manche, wie die Haeduer, bekannten sich offen als Verbündete der Römer. Andere erfüllten die Forderungen nur widerwillig. Es war eine erhebliche Unruhe entstanden unter den Bewohnern Westeuropas. Die Nachrichten über Caesar, der als Statthalter der römischen Provinz kam und als Eroberer blieb, verbreiteten sich in Windeseile in alle Stammesgebiete. Krieger aus Ariovists Heer, die aus dem Oberrheintal stammten, z.B. Nemeter und Markomannen, konnten als Augenzeugen ihren Nachbarn, den Treverern und Chatten, unmittelbar von der Schlacht im Elsass berichten. Die Schiffer auf dem Rhein und auf der Mosel überbrachten diese Erlebnisse als ausgeschmückte liedhafte Darstellungen zu den teutonischen Stämmen am Niederrhein. Über die Loire, die Seine und die Maas trafen die Informationen auf die nördlichen keltischen Stämme und die Belger.

Nichts blieb verborgen vor den Augen und Ohren der anderen Stämme. Vor allem verbreiteten sich, beabsichtigt oder unbeabsichtigt, die Ansichten und Auffassungen Caesars, die er in Gesprächen mit keltischen Anhängern äußerte, so vor allem mit dem anhänglichen Diviciacus, dem von ihm eingesetzten Anführer der Haeduer, über das ganze Land. Merkwürdigerweise vermeidet es Caesar, ihm in seinen Büchern einen Titel zu geben. So weiß man nicht, ob er überhaupt wieder nach der Schlacht bei Bibracte ein König oder ein Stammesherzog war. Auch konnte er nach Caesars Siegen über die Tiguriner und Sweben nicht in seinem Stammesland bleiben und dort regieren, sondern musste stets an der Seite des Eroberers an allen Feldzügen teilnehmen.

Da Caesar als Statthalter einer neuen Provinz Gallien auftrat, was ihm aber bezogen auf die verbündeten Haeduer nicht zustand, vermied er es offensichtlich, Diviciacus als Stammesherrscher anzuerkennen. Diese Haltung zeugt nicht gerade von Respekt vor dem Mann, der ihm bisher alle Argumente für die fragwürdige Kriegsführung geliefert hatte. Und ausgerechnet dieser Mann bestärkte den Römer in der Ansicht, dass die Germanen, auch die germanischen Belger, vor irgendeiner Zeit über den Rhein gezogen seien zum Schaden der Kelten, die sie aus ihren Wohnsitzen vertrieben hätten, um sich selbst darin niederzulassen.

Caesar adelte nachträglich die Kelten, in dem er für sie Partei ergriff und einen „allgemeinen Germanenhass“ schürte. Dieser Begriff stammt tatsächlich von ihm. Er versuchte, keltische Stämme gegen die Belger und Germanen aufzuhetzen. Dadurch säte er Zwietracht zwischen allen Völkern Westeuropas.

Er erzeugte Unruhe und Unsicherheit unter den Stämmen, was zu ganz neuen Bündnissen und Feindschaften führen sollte. Diese Zwietracht wurde von ihm verstärkt, indem er hier und da Milde walten ließ und da und dort mit grausamster Strenge bestrafte.

Nach den damals gültigen Stammesgesetzen und Verhaltensnormen war es die Pflicht eines jeden Stammes, wenn Gefahr drohte, sich zu wappnen und sich auf die Verteidigung seiner Rechte, Einrichtungen und Religion vorzubereiten. Das schloss den Schutz der Bewohner, Siedlungen, Gehöfte und allen Eigentums ein. Eben dieser Prozess vollzog sich in den belgischen Gebieten seit der Unterwerfung der Haeduer unter Dumnorix, der Sequaner und der Niederlage der Sweben unter Ariovist.

Die Belger bildeten zwar nur einen losen Stammesverband, seit Caesars Erscheinen festigte er sich wahrscheinlich durch das gemeinsame Interesse, sich einer römischen Herrschaft zu widersetzen, notfalls auch mit Waffengewalt.

Caesar überfällt die Suessionen

Die Bildung der belgischen Koalition

Der Winter 58 v.Chr./57 v.Chr. kam und mit ihm wuchsen die Befürchtungen vor einem Überfall der Römer im kommenden Frühjahr stetig. Die südbelgischen Stammesführer vermuteten zurecht, da die wichtigsten Wege von Besançon und Bibracte alle in ihre Länder an der Oise und Aisne führten, dass sie ab kommenden Frühling, bzw. bis zum Sommeranfang, von den Römern für einen Vormarsch nach Norden genutzt werden könnten. Zuerst würde es die Suessionen und die Bellovaker treffen. Letztere waren zeitweise Verbündete der Haeduer im Krieg gegen Ariovist gewesen und dennoch im Zweifel darüber, ob sie dieser ehemalige Bund vor den Römer schützen könne.

Von einem bestimmten Landtag der Belger, der sich dieses Themas einer möglichen römischen Invasion angenommen haben könnte, wissen wir von zwei remischen Aristokraten, Iccius und Andecumborius, die Caesar von diesem Ereignis erzählten. Diesem Landtag waren gewiss viele Treffen zwischen den Stammesführern vorausgegangen. Eine solch große Stammesgruppe für ein gemeinsames Kriegsaufgebot zu gewinnen, war ein schwieriges Unterfangen. Zu viele unterschiedliche Interessen, Ansprüche und Differenzen waren zu berücksichtigen.

Doch gab es ganz sicher solche formellen und wahrscheinlich weit mehr informelle Treffen der führenden Aristokraten aus allen Stämmen. Sie tauschten ihre Meinungen aus. Als deutlich wurde, dass die meisten Anführer es als ihre Pflicht ansahen, Würde, Ehre und Gesetze ihrer Stämme zu verteidigen, begannen sie damit, ihre Bauern auf den Kriegsdienst vorzubereiten.

Auffällig war in diesen Wochen und Monaten die Reisetätigkeit nicht nur von Edlen aus den belgischen, sondern auch aus den benachbarten keltischen Stämmen der Senonen, Parisier, Melder und Trikassen. Warum wohl tauchten sie so zahlreich bei den nördlichen Nachbarn auf? Nicht alle wirkten wie harmlose Besucher. Es gab einige, die sehr auffällig die Vorzüge eines Bündnisses mit den Römern priesen. Andere bemühten sich, Konflikte zwischen den führenden Familien auszunutzen und den Angehörigen einer unterlegenen Partei Unterstützung gegen die überlegene zu versprechen – zu dem Preis, sich den Römern anzuschließen. Und tatsächlich fanden sich in allen Stämmen Edle, die solchen verlockenden Angeboten nicht abgeneigt waren. Zwischen den führenden Familien eines Stammes gab es immer wieder genügend Rivalitäten um die Macht. Auch zwischen den belgischen Stämmen herrschten nicht nur Eintracht und Wohlwollen. Im Laufe der Zeit hatten sich starke und schwache, ärmere und reichere Stämme herausgebildet. Manche hatten Schutzbündnisse mit kleineren Stämmen aufgebaut, andere streckten die Macht aus nach den Ländern über dem Kanal oder über keltische Nachbarn. Die Stammesgesellschaften waren kleinteilig organisiert und duldeten keine Überlegenheit eines Mitglieds über alle anderen. Es herrschten also in den belgischen Gebieten ähnliche Bedingungen und Beziehungen vor wie in den keltischen. Deshalb konnten die Besucher aus dem Süden relativ leicht von den Römern gesteuert, aber auch von den besuchten Aristokraten erkannt werden.

„Den Senonen und allen gallischen Grenznachbarn der Belger trug er auf, zu erkunden, was bei ihnen vorgehe, und es ihm zu berichten“. (liber II,2)

Diejenigen unter den Belgern, und das war noch immer die Mehrheit, die ihre Freiheit unter allen Umständen verteidigen wollten, versuchten, ohne das Gastrecht zu verletzen, die keltischen Besucher aus ihren Häusern auszuschließen. Aber manche Tür und manches Ohr konnten für ein nobles Geschenk dennoch geöffnet werden. Es war nicht zu übersehen, dass hier in den Gebieten der Belger erkundet wurde, ob und welche militärischen Maßnahmen sie ergreifen würden.