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Rosmarie Weichslers zweiter Fall Diesen April ist es heiß in Steyr. Seit Veit Kogler das Lokalblatt Steyrer Echo übernommen hat, hat sich dessen Auflage verdreifacht. Neben der erfolgreichen Gründung der regionalen Whistleblower-Seite Steyrleaks und seinen 40. Geburtstag ein guter Grund, um zu feiern. Doch inmitten der Festivität passiert ein folgeschwerer Unfall, der Veit Kogler das Leben kostet - und genauso gut ein Anschlag hätte sein können. Das erfolgreiche Ermittlerduo, die Zwillinge Rosa und Marie Weichsler, die sich nach außen hin als EINE Person ausgeben, nehmen gemeinsam mit Chefinspektor Frühauf die Ermittlungen auf, erhalten jedoch eine als scharf und unerbittlich geltende zweite Chefinspektorin zur Seite gestellt, die ihnen die Arbeit nicht unbedingt erleichtert. Eine unheimliche Nonne, ein Gärtner, eine Telefon-Sexhotline, zwei verschwundene Hunde und ein Bombenattentat auf die Echo-Redaktion sind weitere Ingredienzien dieses rasanten Steyr-Krimis.
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Seitenzahl: 210
J. J. Preyer
ROSMARIE WEICHSLER
und das Echo von Steyr
Kriminalroman
ENNSTHALER VERLAG STEYR
Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder toten Personen und realen Handlungen ist zufällig und nicht beabsichtigt.
www.ennsthaler.at
ISBN 978-3-7095-0045-3
J. J. Preyer · Rosmarie Weichsler und das Echo von Steyr
Alle Rechte vorbehalten
Copyright © 2014 by Ennsthaler Verlag, Steyr
Ennsthaler Gesellschaft m.b.H. & Co KG, 4400 Steyr, Österreich
E-Book-Herstellung: Ronald Ganglmayer, www.raumc.com
Titelbild: © fotolia.de · Martin Horinek · Alex Tihonov · Dionisvera
Titel
Impressum
1. Abendrot
2. Bombenstimmung
3. Mörderbuch
4. Weiße Nonne
5. Stiefmütterchen
6. Hardy Herders Geheimnis
7. Der Mörder ist immer der Gärtner
8. In Linz beginnt’s
9. Trojanisches Pferd
10. Rosmaries Befürchtung
11. Das Wiehern des Trojanischen Pferdes
12. Traum vom steinernen Herzen
13. Heiße Spur
14. Leibwächter
15. Am Wendepunkt
16. Des Pudels Kern
17. Frage und Antwort
Über den Autor
Weiters erschienen
Um dreiviertel acht war es noch einigermaßen erträglich, die Kirchengasse bergauf zu gehen. Der April war außergewöhnlich heiß. Seit zweieinhalb Wochen hatte es in großen Teilen Oberösterreichs nicht mehr geregnet. Mit Ausnahme des Salzkammerguts, versteht sich. Ein schaler Geruch lag über dem Platz beim Roten Brunnen, dessen Wasser versiegt war.
»Roter Brunnen«, dachte Veit Kogler. »Eigentlich müsste man von einem toten Brunnen sprechen.« Diese Gegend Steyrs war dem Tod geweiht. Die Geschäftslokale standen leer, von der ehemaligen Apotheke zum Heiligen Geist, über die gegenüberliegende Trafik bis zur Parfümerie Lettner. Alles verlassen, die Schaufenster mit Plakaten zugekleistert.
Zum Irish Pub in der Gleinkergasse rollten zwei Männer Aluminiumfässer. Immerhin ein Zeichen von Leben.
Der Journalist des Steyrer Echos dachte an den Abend, an dem er im Gasthaus Schoiber auf dem Damberg seinen vierzigsten Geburtstag feiern würde. Im Freien, im Gastgarten, denn für den Nachmittag und den Abend war Föhn angesagt.
Auf dem Steyrer Hausberg konnte er, sobald es dunkel war, ungestört das Feuerwerk abschießen, für das er einen spektakulären illegalen Böller erworben hatte, der neben herkömmlichen Feuerwerkskörpern die düstere Nachtruhe über der alten Stadt vertreiben sollte. Die Polizei war weit genug entfernt. Bis die Polizisten das Gasthaus am Damberg erreichen würden, wäre alles vorüber.
Bis dahin war noch Arbeit zu erledigen für die nächste Ausgabe des Steyrer Echos, das in verdreifachter Auflage erschien, seit er die Zeitung übernommen und die Idee mit der Whistleblower-Seite gehabt hatte. Das Echo hatte sich unter seiner Führung zum Hecht im Steyrer Karpfenteich gewandelt.
»Hecht«, überlegte er lächelnd. In der Schule, in der Unterstufe des Gymnasiums, hatten ihn die Mitschüler wegen seines schmalen Kopfes Hecht genannt.
Die Enthüllungsseite funktionierte ganz einfach. Man forderte die Steyrer auf, Material für Steyrleaks zur Verfügung zu stellen, ob als Brief ohne Absender oder verschlüsselt über das Internet.
Veit Koglers Aufgabe war es dann, die geeigneten privaten oder öffentlichen Skandale auszuwählen, zu recherchieren und darüber zu schreiben. Sein Freund Ronald Ahammer, der Rechtsanwalt, las die Artikel für gutes Geld, bevor sie in Druck gingen, um ihn und seine Zeitung vor juristischen Verwicklungen zu bewahren.
Die Steyrer stürzten sich geradezu auf die Seite dreizehn des Echos, so lange sie nicht selbst von den Enthüllungen betroffen waren.
Beim Bäcker am Schnallenberg aß Veit Kogler wie jeden Morgen ein Frühstück, das aus frischgebackenen Semmeln mit Butter und Marmelade und Milchkaffee bestand.
Bei der Verkäuferin, die ihm die Speisen serviert hatte, bedankte sich der Journalist mit einem großzügigen Trinkgeld. Man musste sich gut stellen mit den jungen Frauen. Immerhin war er schon vierzig und wieder frei, Gott sei Dank ohne Kinder, denn für Kinder hätte er weder Zeit, noch hätte er die Geduld, sich mit ihnen abzugeben.
Isi, seine Frau, hatte aus Langeweile zu trinken begonnen. Er hatte sich rechtzeitig von ihr getrennt. Ihr Verhalten war immer belastender geworden, davon abgesehen, dass sie ihren Pflichten als Partnerin und Hausfrau nicht mehr nachgekommen war.
Egal. Der freie Markt an willigen Frauen stand ihm wieder offen. Geld hatte er mehr als genug. Mehr als er in der freien Zeit, die ihm die Zeitung ließ, ausgeben konnte. Und eines hatte er gelernt aus seiner Ehe: Er würde nie und nimmer wieder heiraten.
Sein einziges Problem bestand in einer quälenden Schlaflosigkeit, die er mit Medikamenten bekämpfte.
Der morgendliche Fußmarsch, auf den er aus Gesundheitsgründen auch bei schlechtem Wetter nicht verzichtete, führte ihn weiter durch die Wolfernstraße zum ehemaligen Ziegelwerk am Holzberg, in dem die Redaktion des Echos untergebracht war.
Die Autos, die zu der Werkstatt und dem Lackierbetrieb fuhren, die in demselben Komplex untergebracht waren, wirbelten Sand und Staub auf, der zwischen seinen Zähnen knirschte.
Er hatte sich entschieden, Redaktion und Druckerei vorläufig in dieser mehr als bescheidenen Umgebung zu belassen. Das Echo gab sich betont zurückhaltend, er selbst war den Steyrern nur als schwarze Silhouette, als Mister Anonym, bekannt. Aus Sicherheitsgründen. Denn die Enthüllungen von Steyrleaks waren so brisant, dass Anschläge auf Redaktion, Leib und Leben nicht auszuschließen waren.
Wieder hinterließ ein zu schnell fahrender PKW eine Staubwolke. Veit Kogler hoffte auf ein Ende der Hitze und der Trockenheit, auf Regen, ähnlich seiner journalistischen Tätigkeit, die dieser verschlampten Stadt der Vettern- und Nichtenwirtschaft in der Politik und in den Betrieben schon so manchen reinigenden Wolkenbruch beschert hatte. Eigentlich diente seine Arbeit der moralischen Hygiene Steyrs, fand der Journalist.
Mit diesem erfreulichen Gedanken betrat Veit Kogler, nachdem er noch einmal auf den Damberg und das Gasthaus Schoiber geblickt hatte, die um diese Zeit noch leeren Redaktionsräume des Echos.
Nina Röder, die junge Deutsch- und Englischprofessorin, saß in ihrem roten Toyota Aygo und rauchte. Auf dem Beifahrersitz lag die letzte Ausgabe des Steyrer Echos mit dem verheerenden Artikel über sie. Mister Anonym nannte zwar ihren Namen nicht, doch deuteten alle Details in ihre Richtung. Professorin an einem der Steyrer Gymnasien, neunundzwanzig Jahre alt, langes blondes Haar, schlank, Besitzerin einer für ihre finanziellen Verhältnisse viel zu teuren Eigentumswohnung in der Schlühslmayrsiedlung.
Hätte sie doch das Geld für ihren aufwendigen Lebensstil auf unverfängliche Weise, durch Nachhilfestunden, verdient oder sich mit dem bescheidenen Anfangsgehalt zufriedengegeben! Sie hätte dem Ruf ihres ehemaligen Studienkollegen Gerald Holzer nicht folgen dürfen, für seine Telefonhotline zu arbeiten. Zugegeben, ihre Stimme hatte, besonders wenn sie getrunken hatte, einen verführerischen Ton, der sich für erotische Gespräche am Telefon bestens eignete. Diese Beschäftigung, der sie am Abend und in der Nacht nachging, bedeutete für sie Abenteuer und Entspannung. Sie konnte ihren Fantasien freien Lauf lassen und hatte ein williges erwachsenes Gegenüber, im Gegensatz zu den halbwüchsigen Mädchen und Burschen, mit denen sie sich in der Schule abmühen musste.
Als Kennerin der Werke Shakespeares hatte sie sich auf ihren Abgang vorbereitet. Sie hatte die Zeilen nachgelesen, die Hamlets Mutter Gertrude über den Tod der Geliebten ihres Sohnes spricht:
Es neigt ein Weidenbaum sich übern Bach
Und zeigt im klaren Strom sein graues Laub,
Mit welchem sie phantastisch Kränze wand
Von Hahnfuß, Nesseln, Maßlieb, Kuckucksblumen.
Dort, als sie aufklomm, um ihr Laubgewinde
An den gesenkten Ästen aufzuhängen,
Zerbrach ein falscher Zweig, und nieder fielen
Die rankenden Trophäen und sie selbst
Ins weinende Gewässer. Ihre Kleider
Verbreiteten sich weit und trugen sie,
Sirenen gleich, ein Weilchen noch empor,
Indes sie Stellen alter Weisen sang,
Als ob sie nicht die eigne Not begriffe,
Wie ein Geschöpf, geboren und begabt
Für dieses Element. Doch lange währt’ es nicht,
Bis ihre Kleider, die sich schwer getrunken,
Das arme Kind von ihren Melodien
Hinunterzogen in den schlamm’gen Tod.
Nina Röder hatte Millais’ Gemälde der besinnungslos inmitten der Blumenpracht auf dem Wasser treibenden Ophelia vor Augen, als sie in der Blumenwiese gelben Hahnenfuß pflückte. In der Kindheit hatte sie diese Pflanze Dotterblume genannt. Dem Strauß fügte sie noch seidig schimmernde Glockenblumen, rosarote Kuckucksnelken, Vergissmeinnicht und Gänseblümchen hinzu, die August Wilhelm Schlegel in seiner Übersetzung von Shakespeares Text als Maßliebchen bezeichnet hatte. Auf Margeriten verzichtete sie, die rochen nicht besonders gut. Ach ja, Taub- und Goldnesseln durften nicht fehlen in diesem Bouquet, das sie an der Uferböschung deponierte, während sie dazu überging, schwere Steine zu sammeln, die sie in einen Rucksack packte. Als dieser voll war, schulterte sie ihn, nahm die Blumen und watete in den tödlich kalten Fluss.
Sie würde wohl mit einer Erkältung im Jenseits ankommen, dachte sie und lächelte. Oder sollte sie doch umkehren, weiterleben, den Beruf aufgeben, der sie immer schon eingeengt hatte und etwas Vernünftiges aus ihrem Leben machen? Eigentlich nicht. Sie hatte schon zu viel falsch gemacht. Es reichte. Sie war für diese Welt nicht geeignet. Vielleicht gab es ein anderes Leben für sie. Und wenn nicht, dann eben nicht.
Die Blumen breiteten sich rings um sie aus, als blühender Teppich auf dem smaragdgrünen Wasser der hier langsam fließenden Enns.
Sie spürte die Kälte nicht mehr und war froh, sanft nach unten zu gleiten.
»Ich hoffe, dieser Mister Anonym wird nicht auch unser Geheimnis aufdecken«, sagte Rosa zu Marie Weichsler.
Die beiden Zwillingsschwestern saßen bei Gin-Tonic und einigen belegten Brötchen im Garten hinter dem kleinen Haus, das sie von ihrem Vater übernommen hatten. Zu ihren Füßen döste der braune Großpudel Herbert vor sich hin. Er mochte es, wenn seine Herrinnen friedlich beisammensaßen und nicht mit seinem Namensvetter Herbert Frühauf, dem Chefinspektor der Steyrer Polizei, irgendwelchen Verbrechern hinterherjagten. Obwohl natürlich Jagden auch etwas für sich hatten, wenn sie sich auf Rehe, Hasen, Fasane und eventuell auch Katzen bezogen. Menschenjagd interessierte Herbert weniger. Menschen waren zu böse, zu schlau und damit gefährlich. Mit Ausnahme seiner Herrinnen, selbstredend. Den meisten anderen Menschen begegnete Herbert vornehm reserviert. Er traute ihnen nicht.
»Wir haben keine Geheimnisse«, erwiderte Marie etwas vorschnell, um sich gleich darauf zu verbessern: »Die Welt wird nicht untergehen, wenn sie erfährt, dass Rosmarie Weichsler eigentlich …«
»… ein Phantom ist«, ergänzte Rosa.
»Phantom. Was für ein düsteres Wort für unser heiteres Spiel, mit dem wir die Menschen verwirren. Die Zwillingsschwestern Rosa und Marie, die sich der Öffentlichkeit als einziges menschliches Wesen, als Rosmarie Weichsler, präsentieren.«
»Nicht nur der Öffentlichkeit.«
»So ist es. Und dabei bleiben wir, so lange es geht. Wir sind damit gut gefahren, nicht wahr, Rosa?«
»Im Wesentlichen ja.«
»Aber diese arme Professorin, über die Mister Anonym heute schreibt. Der bleibt eigentlich nichts anderes übrig, als ihren Beruf aufzugeben …«
»… und weit, weit weg einen Neuanfang zu versuchen. In Steyr wird das nicht möglich sein. Dafür ist die Stadt zu klein. Man würde bis zu ihrem Lebensende Geschichten über sie erzählen.«
»Obwohl es auch andere Steyrerinnen gab, über die man bis zu deren Tod Geschichten erzählte.«
»Du denkst an …«
»An Gertrud Landerl, die Pianistin.«
»Man sollte ein Buch über sie schreiben. Weißt du noch, wie sie, als das Stadttheater noch ein vernünftiges Abonnement anbot …«
»Als das Linzer Landestheater noch in Steyr spielte«, ergänzte Marie.
»Genau. Die Landerl begab sich immer nach dem letzten Läuten, knapp bevor das Licht im Zuschauerraum erlosch, in Begleitung des grauen Ehemannes zu ihrem Sitz in die erste Reihe und verbeugte sich vor den versammelten Theaterbesuchern, bevor sie Platz nahm. Erst dann konnte die eigentliche Vorstellung beginnen.«
»Sie musste keine Konzerte mehr geben. Ihr bloßes Erscheinen in der Öffentlichkeit verschaffte ihr die ersehnte Aufmerksamkeit. Was hat man ihr eigentlich vorgeworfen?«
»Fotos. Du weißt schon.«
»Ja, natürlich. Gewagte Fotos. Sie hat das überlebt, ist in Steyr geblieben und war hoffentlich glücklich bis an ihr Ende.«
»Aber sie war keine Lehrerin, kein Vorbild der Jugend.«
«Du meinst doch das nicht ernst, das mit dem Vorbild?«
»Ich nicht und niemand sonst. Dennoch wird es von den Lehrern gefordert.«
»Von den Lehrerinnen. Lehrer können sich mehr herausnehmen.«
»Egal. Jedenfalls tut mir die Frau leid. Eigentlich sollte man solchen Tratsch gar nicht lesen, dieses billige Blatt gar nicht kaufen.«
»Wir haben es nicht gekauft«, erinnerte Marie ihre Schwester.
»Stimmt. Und ich muss gestehen, dass ich zuallererst diese Seite dreizehn aufklappe, um zu sehen, wer wieder Opfer von Mister Anonym geworden ist.«
»Wir sollten Herbert fragen, um wen es sich bei dieser Professorin handelt. Vielleicht können wir ihr helfen, ihr den Rücken stärken.«
Als der Name Herbert erwähnt wurde, zuckte der Pudel kurz mit den Ohren, ohne dabei die geschlossenen Augen zu öffnen. Er ahnte, dass es wie so oft nicht um ihn, sondern um den Chefinspektor ging.
»Ich werde ihn morgen in der Trafik fragen«, sagte Rosa, die am nächsten Vormittag Dienst hatte. »Ich mach uns noch Brötchen.«
»Eine gute Idee. Obwohl wir eigentlich auf unserer Linie achten sollten.«
»Linie? Wir haben Rundungen, keine Linien und sind ganz gut in Form für unsere sechsundvierzig Jahre.«
»Ich bin ganz deiner Meinung, Rosa.«
Die Feier auf dem Damberg begann um sieben Uhr. Ein Nostalgiebus der Österreichischen Post vom Typ Steyr 380a, Baujahr 1950, transportierte die Festgäste von der Redaktion zum Schoiber.
Wegen der abnormen Wärme für Ende April saßen die Gäste im Garten, von dem aus man auf die weit unten liegende Stadt blicken konnte. Das Ausflugslokal der Steyrer lag auf 660 Meter Seehöhe, die Stadt selbst 310 Meter über der Adria.
Die Mitarbeiter Veit Koglers hatten sich an einem der runden Tische versammelt. Der junge Journalist Marvin Lipkovsky, der wie eine um zehn, fünfzehn Jahre jüngere Kopie Veit Koglers wirkte, mit seinem viel zu hellen Haar, das an einen Albino denken ließ und dem schmalen hechtartigen Gesicht mit den tiefen Nasolabialfalten, die ihm einen leidenden Ausdruck verliehen. Am selben Tisch saß noch Silvester Pfeifer, der schon bei jeder Zeitung tätig gewesen war, die es in Steyr gab und je gegeben hatte. Er war kurz vor der Pensionierung nur mehr für die Durchsicht und Korrektur der Texte verantwortlich. Und natürlich die unverzichtbare Redaktionssekretärin Erika Lubinger, eine trotz ihrer dreiundvierzig Jahre mädchenhaft wirkende, große, schlanke Frau mit riesigen Schneidezähnen, die sie gerne beim Lachen entblößte.
Der Rest der Gäste verteilte sich auf neun weitere Tische, denen Veit Kogler immer wieder kurze Besuche abstattete.
Der Wirt und die Kellnerinnen servierten die bodenständigen Speisen, die aus Grießnockerlsuppe mit Schnittlauchkrönung und Wiener Schnitzel mit Petersilienkartoffeln bestanden.
Die zuvor etwas gehobene Lautstärke der Gäste senkte sich merklich, als die Speisen aufgetragen waren. Man konnte fast sagen, dass kurzfristig so etwas wie eine feierliche Stimmung über dem Gastgarten lag.
Kurz nach acht Uhr, als die Sachertorten gebracht wurden, ging die Sonne über Steyr unter und verfärbte den Himmel blutrot.
Dagmar Ahammer, die aufgrund wiederkehrender ehelicher Krisen esoterische Beratungsgruppen aufsuchte, bemerkte, dass dies kein gutes Zeichen sei. »Irgendetwas Unangenehmes kündigt sich an.«
Ihr Mann Ronald, Rechtsanwalt von Beruf und als solcher auf dem Boden der Tatsachen stehend, widersprach umgehend: »Du kennst dich ja überhaupt nicht aus. Abendrot ist ein Zeichen für schönes Wetter. Abendrot Schönwetterbot …«
»Habe ich ein Wort zum Wetter gesagt?«, unterbrach ihn die aufgebrachte Ehefrau. »Ich habe gesagt, dass ein roter Himmel am Abend kein gutes Zeichen ist.«
»Weibergetratsche, murmelte der Mann beinahe unhörbar.
»Was hast du gesagt?«, fuhr ihn Dagmar an.
»Nichts«, war die Antwort.
»Was hat er soeben gesagt?«, wandte sich Dagmar Ahammer nun an den praktischen Arzt Siegfried Kerbl.
»Nichts von Bedeutung«, brummte dieser, und die anderen nickten stumm.
»So wie immer«, nahm Dagmar den Faden auf. »Nichts was Ronald sagt, ist je von Bedeutung.«
Damit schien das Thema erledigt, obwohl Frau Ahammer mehrmals die Worte kein gutes Zeichen wiederholte.
Die Frau des Juristen schien Recht zu behalten, denn nun setzte Silvester Pfeifer zu einer Rede an, die die Verdienste seines Chefs hervorhob, der ein hervorragendes Glied im Team des darstelle.
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