Salz - Peter Greminger - E-Book

Salz E-Book

Peter Greminger

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Beschreibung

Das weisse Gold war schon in der Antike ein Symbol der Reinheit und Göttlichkeit. Die Gewinnung war immer mit viel Arbeit und Schweiss verbunden, bis heute. Die Salinen von Janubio auf Lanzarote werden aber plötzlich zum Schauplatz von Intrigen und Machtkämpfen, die im Mord an einem unbekannten Fremden enden. Ex-Comisario Fernando Romero stolpert per Zufall in die wirren Ereignisse, welche unerwartet auch seine nächsten Angehörigen und Freunde hineinzuziehen drohen. Salz wird für vieles benötigt, zum Würzen, Kochen, Konservieren und nicht zuletzt auch als edles Handelsgut. Plötzlich geht es um viel Geld, Reichtum und Macht. Ist da ein einfacher Polizist nicht ganz einfach überfordert?

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Über das Buch

Das weiße Gold war schon in der Antike ein Symbol der Reinheit und Göttlichkeit. Die Gewinnung war immer mit viel Arbeit und Schweiß verbunden, bis heute.

Die Salinen von Janubio auf Lanzarote werden aber plötzlich zum Schauplatz von Intrigen und Machtkämpfen, die im Mord an einem unbekannten Fremden enden. Ex-Comisario Fernando Romero stolpert per Zufall in die wirren Ereignisse, welche unerwartet auch seine nächsten Angehörigen und Freunde hineinzuziehen drohen.

Salz wird für vieles benötigt, zum Würzen, Kochen, Konservieren und nicht zuletzt auch als edles Handelsgut. Plötzlich geht es um viel Geld, Reichtum und Macht. Ist da ein einfacher Polizist nicht ganz einfach überfordert?

Über den Autor

Für Peter Greminger war Reisen immer eine besondere Herausforderung. Er verbrachte einen großen Teil seines Lebens im südostasiatischen Raum, wo er lange beruflich tätig war. Schon damals hielt er seine Erlebnisse oft in Reiseberichten und Kurzgeschichten fest.

Nach Abschluss seiner beruflichen Tätigkeit verbrachte der Autor zwei Jahre in Neuseeland, wo vier Romane über das Land der Kiwis entstanden. Nun lebt er, zusammen mit seiner Frau, in der Ostschweiz. Seit mehreren Jahren entfliehen die Beiden der Kälte des Winters nach Lanzarote. Dort, auf der bizarren kanarischen Insel, sind der Phantasie des Autors, mit Comisario Fernando, keine Grenzen gesetzt.

Peter Greminger

Weitere Romane des Autors:

9 783 752 820 836 „Pakeha“ (Fremde in Neuseeland)

9 783 752 806 380 „Tangiwai“ (Weinendes Wasser, Neuseeland)

9 783 752 805 604 „Kahurangi“ (Grüner Stein, Neuseeland)

9 783 752 820 393 „Paua“ (Meerohrschnecken, Neuseeland)

9 783 741 205 477 „Sunda“ (Indonesien)

9 783 752 877 663 „Fuego“ (Lanzarote Utopie)

9 783 753 463 551 „Schwarze Masken“ (Lanzarote-Krimi 1)

9 783 754 374 658 „Die Anmutige“ (Lanzarote-Krimi 2)

Manchmal brauchten wir das Salz der Tränen, um uns daran zu erinnern, wie wir die Süße des Lebens genießen können.

Lysa TerKeurst.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 1

Es schmeckte einfach viel besser, als das herkömmliche Salz, und ihre Gäste liebten es über die köstlichen, grünen Pimientos gestreut oder auch als Kruste um einen zarten Wolfsbarsch.

Ilona erstand gleich ein halbes Dutzend Kilosäcke für gerade mal zwölf Euro, bezahlte, verließ das kleine Geschäft und warf den Einkauf auf den Rücksitz ihres Kleinwagens. Sie war bewusst früh unterwegs und kurz vor zehn Uhr praktisch die erste Kundin in der Bodega Janubio. Dem entsprechend war der staubige Parkplatz, unterhalb der Straße, noch gähnend leer. Einzig ein einsamer Kastenwagen stand dort verlassen am Rand. Das blaue Logo an der Seite war unklar, und ein Firmenname war nicht auszumachen. Wahrscheinlich gehörte er zum Inventar des kleinen Ladens.

Später würden dann die Touristen eintreffen, aus dem Bus klettern und die große rostige Skulptur, unten am Rande der Salinen, bestaunen. Es war eigentlich die eiserne Darstellung eines kaum zwei Zentimeter langen kleinen Krebstieres, welches sich in den Teichen der Saline tummelt. Ob sich die Besucher, mit den vielen Smartphones, wirklich bewusst waren, was sie da fotografierten und übers Internet in die ganze Welt verbreiteten, war fraglich. Auch die leicht rötliche Farbe des Wassers in den großen Trocknungsflächen war irritierend. Es handelt sich dabei um halophile Organismen. Für Ilona sah das immer etwas unappetitlich aus, soll aber angeblich völlig harmlos sein.

Die Anlage ist riesig und erstreckt sich über eine Fläche von etwa vierzig Hektaren. Vulkanische Aktivitäten, während den verheerenden Eruptionen um 1730 bis 1736, formten die Lagune an der Westküste von Lanzarote und schafften damit ein natürliches Becken, wo gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts mit der Salzgewinnung begonnen wurde. Das Wasser wurde mit Pumpen, durch Windmühlen angetrieben, in ein weit verzweigtes Kanalsystem befördert und von dort in die stufenartig angelegten Becken geleitet. Seit langem haben natürlich moderne, elektrische Pumpen diese Aufgabe übernommen, aber das Prinzip bleibt das Gleiche. Durch Sonnenwärme und Wind verdunstet das Meerwasser aus den großen viereckigen Flächen, und der Salzgehalt steigt entsprechend kontinuierlich. Diese Sole wird nun Stufe um Stufe hinunter geleitet, verdichtet, gesäubert und schlussendlich als kristallines Salz zu kegelförmigen Haufen aufgeschichtet.

Seit Jahrtausenden war Salz ein wichtiges Handelsprodukt und war sogar einmal auch ein Zahlungsmittel, kostbarer als Silber. „Auf Gold kann man verzichten, nicht aber auf Salz“, sagte schon der römische Staatsmann und Gelehrte Cassiodor um das fünfte Jahrhundert.

Ilonas Blick schweifte über die Salzfelder in Richtung offenes Meer. Dort zeichneten sich, schwarz gegen den Horizont, die Türme der alten Windmühlen ab. Von den drei Anlagen existierten praktisch nur noch die massigen Sockel, mit darauf aufragenden kläglichen Holzgerüsten. Diese sahen aus wie abgemagerte Vögel, deren Flügel gänzlich fehlten. Eigentlich schade, dachte Ilona. Diese alten Windmühlen wären durchaus wertvolle Zeugen einer einst wichtigen Epoche und sollten erhalten bleiben. Aber, es war offensichtlich, dass für die Salinen die wirtschaftlich interessanten Zeiten längst vorbei waren, dass sie praktisch nur noch eine Touristenattraktion darstellten und gerade noch einen Bruchteil der früheren Salzmenge produzierten. Es war um diese Zeit auch kein einziger Arbeiter auszumachen, welcher die Becken pflegen und das Salz zusammenhäufen sollte. Die wenigen noch beschäftigten Männer würden wohl auch eher in den kühleren Morgenstunden ihre Arbeit verrichten. Das Sonnenlicht flimmerte bereits gleißend über den Anlagen, und es musste dort draußen, jetzt kurz nach zehn Uhr, eine mörderische Hitze herrschen.

Auch Ilona fühlte die Wärme des Tages aufkommen und entledigte sich ihrer Jacke mit einer energischen Bewegung. Sie fuhr mit der Hand durch das struppige, kurz geschnittene schwarze Haar und atmete tief durch. Die zierliche, eher kleine Gestalt, machte vor der weiten Szenerie der Saline und dem dahinter liegenden Atlantik, einen eher verlorenen Eindruck. Das täuschte jedoch, denn die Frau war ein Bündel von Energie, und dass sie die Geschäftsführerin eines erfolgreichen Restaurants war bewies, dass sie alles andere als ein unsicheres Mädchen war. Ihre dunklen Augen blickten dann auch unerschrocken und zeugten von der Lebenserfahrung ihrer fünfundvierzig Jahre. Eigentlich war dieser Botengang nach Janubio nicht ihre Aufgabe. Sie hätte ohne Weiteres einen ihrer Angestellten beauftragen können, aber manchmal hatte sie das Verlangen nach einer Stunde Freiheit für sich alleine, auch wenn es nur eine simple Autofahrt und Besorgung war, so wie heute. Sie atmete nochmals tief die salzhaltige Luft ein. Ja, sie war glücklich.

Ilona stieg in ihr Auto und fuhr die Anhöhe zur Straße hinauf. Bevor sie abbog und den nahen Kreisel erreichte, erhaschte sie einen Blick zurück über die ganze weite Anlage. Auf der anderen Seite, westwärts, führte ein einfacher Fahrweg um die Saline herum zu einem weiter draußen liegenden Strand. Dieser schloss die Lagune wie eine Barriere zum weiten Ozean ab und lud sonnenhungrige Besucher zum Schwimmen und Picknicken ein. Allerdings war der schwarze Sand gewöhnungsbedürftig, und er erinnerte daran, dass Lanzarote eine Vulkaninsel war, übersät von Basalt, Lapilli und schwarzer Asche.

Sie folgte dem Kreisverkehr und nahm die Hauptroute in Richtung Tías und Arrecife. Die Straße war vor ein paar Jahren neu angelegt worden und umrundete jetzt gnädig das schöne Dorf Yaiza. Früher führte der ganze Verkehr durch die enge Straße des Ortes, vorbei an der Kirche, der Parkanlage und den kleinen traditionellen Lokalen. Jetzt, kurz vor Ostern, würde dort, endlich unbehindert, bald eine kleine Prozession veranstaltet werden. Die schwarz gekleidete Jungfrau Maria würde auf einem Podest, mit Blumen geschmückt, durch den Ort getragen. Die katholischen Traditionen waren hier noch nicht vergessen, allerdings wusste Ilona jetzt nicht genau, wann das Ereignis stattfinden würde. Der Gedanke an die „Iglesia de Nuestra Señora de los Remedios“ berührte sie aber besonders, denn vor knapp drei Jahren hatten sie, genau in dieser Kirche im Dorfzentrum, geheiratet. Es erschien ihr noch heute wie ein unbeschreibliches Wunder. Fernando und sie hatten sich das Jawort gegeben und damit ihre Liebe vor allen verkündet.

Fernando, er war normalerweise eher der Pragmatiker. Er hatte nach ihrer schon zwei Jahre dauernden Beziehung gemeint, es wäre nun an der Zeit, alles legal zu ordnen. Er hatte ihr in aller Öffentlichkeit einen Heiratsantrag gemacht und meinte, eine Trauung in der Kirche von Puerto del Carmen, gleich gegenüber ihrem Lokal, wäre doch am einfachsten. Na ja, der ehemalige Polizist war für klare und möglichst sinnvolle Verhältnisse, aber auf ihre Einwände hörte er dann doch und ließ sich erweichen. Wie konnte man gleich gegenüber dem Arbeitsplatz und mitten im Touristenrummel heiraten? Ja, sie wollte von ganzem Herzen! – Aber doch nicht so. In Yaiza wäre eine Hochzeit viel feierlicher und persönlicher. Sie wusste genau, seine Liebe ließ ihn verstehen und einlenken. Er nahm sie dann auch in die Arme und versicherte ihr, er würde sie heiraten wo immer sie möchte. Er würde ihr die Sterne vom Himmel holen, um sie glücklich zu machen.

Überhaupt, Fernando war ein außergewöhnlicher Mann. Der Ex-Comisario war seit einiger Zeit im Ruhestand, was aber nicht hieß, dass er einfach untätig blieb. Es war ihm ein Anliegen, etwas Sinnvolles zu tun. Ja, er hatte eine Zeit lang sogar in ihrem Lokal, dem ‘El Rondó‘, gekellnert, was sie dann aber bald wirklich unpassend fand. Der Mann, der ihr Herz, ihr Leben und buchstäblich auch das Hinterzimmer ihres Lokals heimlich eroberte, konnte unmöglich weiter ihr Angestellter bleiben. Sie verlegten ihre erstaunliche, späte Leidenschaft deshalb bald einmal in ihr kleines Studio an der Calle Reina Sofía. Jetzt, nach der Hochzeit, lebten sie aber zusammen in einer größeren Wohnung, wenn auch an der gleichen Adresse.

Als ehemaliger Polizeibeamter war es Fernando aber noch immer ein Anliegen, den Mitmenschen zu helfen und ihnen, wann immer möglich und notwendig, zu ihrem Recht zu verhelfen. Dass er dabei manchmal auch selber in Bedrängnis geriet, nahm er in Kauf. Ihr aber machte diese Situation je länger je mehr Sorgen. Sollte er nicht einfach endlich seinen Ruhestand genießen und ihnen ein paar Jahre gemeinsames Glück ermöglichen?

Den heutigen Tag verbrachte Fernando wahrscheinlich oben auf der Finca Magdalena, dem Weingut seines Sohnes. Er half dort aus, wo auch immer. Bei der Lese im August wurde jede Hand gebraucht. Anfang Jahr war die Zeit des Rückschnittes der Reben und des Ausbesserns der Felder. Jetzt mussten aber Lager- und Kellerräume aufgeräumt und instand gestellt werden. Ein Weingut dieser Größe brachte viel Arbeit. Eigentlich gehörte es ja Ingrid, der deutschen Lebenspartnerin seines Sohnes, aber man half, wann immer notwendig. – Das war wieder so eine unmögliche Situation, welche von Tante Amara immer wieder aufgeregt angeprangert wurde. Der Vater hatte jetzt endlich geheiratet, warum machte der Sohn nicht auch vorwärts. Es war eine Schande, in wilder Partnerschaft zusammen zu leben, so lamentierte die Alte und bekreuzigte sich demonstrativ.

Tante Amara lebte oben in Tías in ihrem Haus, wo auch Fernando aufwuchs. Sie war eigentlich seine Mutter, aber alle nannten sie Tía Amara, also Tante. Die ganze Familie liebte sie abgöttisch, und sie bildete, trotz ihrer störrischen Art, den Mittelpunkt von allem. Es war also nicht außergewöhnlich, dass Fernando oft bei ihr einkehrte und viel Zeit dort verbrachte. Es schmerzte Ilona manchmal, wenn er dort zum Essen blieb und davon schwärmte, wie köstlich doch der gebratene Fisch oder der deftige Eintopf geschmeckt hatte. Die Tante kochte hervorragend, das war eine Tatsache, wenn auch diese traditionelle Zubereitung für Ilona unerreichbar war und sie selbst durch ihre Arbeit auch selten am eigenen Herd stand.

Sie erreichte das ‘El Rondó‘ kurze Zeit darauf, stellte den roten Honda auf den Platz vor dem Kühlhaus und überblickte die kleine Hafenanlage unschlüssig. Direkt gegenüber stand ein Kutter wie ein gestrandeter Fisch auf dem Trockendock. Er war umgeben von kleineren Booten unbekannter Art und Herkunft. Neben dem Gewirr von Masten und Aufbauten erstreckten sich verschiedene Anlagen entlang dem Kai, Lokale, Werkstätten und das neue eiserne Pier hinaus in das Hafenbecken. Irgendwie erschien die Anlage völlig überfüllt und unübersichtlich.

Für Ilona war der Anblick völlig normal, denn solange sie hier lebte, war die Hafenanlage immer ein wildes Durcheinander gewesen. Früher waren die Fischerboote nachts hinausgefahren und hatten am Morgen ihren Fang herein gebracht. Der wurde von den Händlern unter lautem Feilschen erstanden oder landete im nahen Kühlhaus. Heute waren die Boote eher für Touristen da, für Angler oder Möchtegern-Kapitäne. Es waren nun schon mehr als zwanzig Jahre her, seit sie von Andalusien nach Lanzarote gekommen war. In dieser Zeit hatte sich die Situation sehr verändert und natürlich auch ihr Leben. Sie überblickte die lebhafte Szenerie auf dem Wasser vor ihr und beobachtete das im hellen Licht strahlende Relief der Vulkanhöhen in der Ferne dahinter. Warm und dankbar durchfuhr sie ein Glücksgefühl für diesen herrlichen Ort und für die große Liebe, die sie hier gefunden hatte. Fernando, welch ein unverhofftes Geschenk. Wie ein glühender Funke war es plötzlich aufgetaucht, war zu einem heißen Feuer entflammt und war als wärmendes Glück geblieben.

Mit einem Lächeln betrat sie das Lokal und übergab Juana die Salzbeutel. Einen hatte sie im Auto gelassen, denn sie beabsichtigte, diesen der Tante Amara zu bringen.

„Hast du im Lotto gewonnen?“, neckte ihre Assistentin. „Du grinst wie ein Käfer.“

„Schön wär’s“, entgegnete Ilona und lachte. „Nein, aber der Tag ist so herrlich. Wer da nicht froh ist, der ist ein Griesgram.“

Die junge chinesische Frau war ihr eine große Hilfe. Sie hieß Liu Han Ma, aber die Spanier hatten ihren Namen einfach in Juana umgeändert, was sie protestlos hinnahm.

Juana warf die Beutel gedankenlos auf die Theke und sagte: „Die Küche soll die haben. Dann wird die Suppe endlich weniger fade.“

Ilona blickte betreten. „Was soll das? Unsere Gerichte sind hervorragend…“

Grinsend korrigierte Juana: „Das war doch nur Spaß. Natürlich ist die Küche vom ‘El Rondó‘ die beste von ganz Lanzarote. Da lasse ich nichts anderes gelten. Einfach spitze!“

„Na also“, schmunzelte Ilona. „Dann wollen wir zusehen, dass das so bleibt.“

Stolz stieg in ihr hoch und vereinte sich mit dem Glücksgefühl des Tages. Ja, dieses Lokal hatte einen guten Ruf, und ein großer Teil war ihr Verdienst. Die Fische und Meeresfrüchte waren immer tagesfrisch. Sie war ja gleich am Hafen an der Quelle. Längst hatte sie ihre ausgesuchten Lieferanten. Da waren nicht mehr viele, aber es gab sie noch, die Fischer, die jeden Morgen hinausfuhren und den Fang für sie reservierten. Natürlich gab es schlechte Tage, so dass sie mit leeren Händen heimkehrten, aber Ilona hatte es zur Regel gemacht, dann das Fehlende nicht einfach mit Tiefkühlware aus fernen Ländern zu ersetzen. Wenn kein Corvina ins Netz ging, dann gab es einfach keinen Corvina.

„Wie war die Lieferung heute früh?“, erkundigte sie sich.

„Ach, ganz gut“, antwortete Juana. „Ich denke wir kommen klar für heute.“

„Sehr gut“, lobte Ilona, erinnerte sich aber dann: „Moment mal! Gib mir einen Beutel Salz zurück. Ich möchte noch zur Finca Magdalena. Es bleiben ja noch genug übrig.“

„Klar“, antwortete Juana. „Fahre du nur, ich komme hier gut zurecht. Es ist ja nicht viel los.“

„Gracias, meine Liebe. Ich bin am späten Nachmittag wieder zurück. Vielen Dank.“

Ein wohliges Gefühl von Freiheit durchströmte sie, als sie in ihr Auto sprang und losfuhr. Ein herrlicher Tag lag vor ihr, und Fernando war auch auf der Finca.

Kapitel 2

Das leichte Schaukeln war kaum zu spüren. Die ‘Seaheaven‘ war groß genug, um stabil im Wasser zu liegen. Sie war fest an der Mole von Puerto Calero vertäut. Der kleine Yacht-Hafen befindet sich ein paar Kilometer südwestlich der Hauptstadt Arrecife, unterhalb der Hauptstraße in den Süden der Insel, und genießt den Ruf einer gewissen Exklusivität.

Pedro polierte seit dem frühen Morgen die Außenwände der Aufbauten der majestätischen Luxusyacht. Es war eine langweilige ermüdende Arbeit, aber er hatte keine Wahl. Der Eigner zahlte gut, und manchmal fiel sogar ein zusätzlicher Bonus ab. Pedro Ayoub war Marokkaner und hieß eigentlich Zinedine, ein Vorname, der total weibisch tönte und schon gar nicht nach Spanien passte. Er war also hier auf Lanzarote für alle ‘Pedro der Araber‘. Natürlich hatte er drüben in Marokko Verwandte, aber er war schon einige Jahre auf der Insel und wohnte seit kurzem in Tías, dem Hauptort der gleichnamigen Provinz. Dieser lag gleich oberhalb von Puerto Calero, war aber mit dem Bus, vom Hafen her, schwer erreichbar. Deshalb benützte Pedro einen alten Roller für die kurze Strecke zur Arbeit. Er lebte dort oben, zusammen mit einem Kollegen, in einer kleinen Wohnung in ‘Los Lirios‘. Das Quartier lag unmittelbar hinter der Schnellstraße und wurde von afrikanischen Immigranten bevorzugt. Da wohnten Familien aus allen möglichen Gegenden Nordafrikas. Viele waren den wirren Bürgerkriegen oder der hoffnungslosen Armut entflohen und hofften auf ein besseres Leben. Sie waren mit der Hilfe von dubiosen Vermittlern und Schleppern herüber gekommen. Lanzarote war die dem schwarzen Kontinent am nächsten gelegene Insel der Kanaren und damit der leichteste Weg nach Spanien und weiter in die Europäische Union. Es liegen gerade mal hundert Kilometer Ozean dazwischen, welche auch mit kleineren Booten durchaus zu schaffen waren. Sein Kumpel stammte aus Senegal, war schwarz wie die Nacht und lebte, wie könnte es anders sein, illegal auf der Insel. Die paar Worte Französisch, neben seinem unverständlichen Dialekt, halfen ihm bei der Arbeitssuche natürlich überhaupt nicht, so dass er sich meist entlang der Promenade von Puerto del Carmen herumtrieb und dort versuchte, Glitzerzeug an die Touristen zu verkaufen. Bei dem Gedanken grinste Pedro vor sich hin und erinnerte sich hämisch, dass früher ja die weißen Missionare den Schwarzen wertlose Glasperlen andrehten, und es heute also genau umgekehrt lief.

Pedro schob den Kübel Schmutzwasser ein Stück weiter und hielt sich den schmerzenden Rücken. Drüben auf der Mole näherte sich ein Paar. Er erkannte den ukrainischen Kapitän und eine Frau. Sie überquerten den Steg zur Yacht und Pedro bemerkte die strenge Schönheit der Frau. Sie stammte mit Sicherheit aus einem slawischen Land, im Osten von Europa. Entgegen der temperamentvollen, oft langhaarigen Erscheinung der spanischen Frauen, erschien diese Begleiterin elegant kühl und selbstbewusst, mit blonder Kurzfrisur. Der Kapitän grüßte beim Vorbeigehen mit einer kaum merkbaren Handbewegung und verschwand mit der Lady im Inneren der Yacht.

Pedro bearbeitete die Scheiben der Kabine mit Seifenwasser und einem Abstreifer, konnte aber dahinter nichts weiter ausmachen. Es ging ihn auch nichts an. Den Eigner, ein bulliger Mann, vermutlich ein Russe, hatte er nur einmal kurz gesehen, aber gesprochen hatte er natürlich nur mit dem Zahlmeister, einem mageren, nervösen Mann namens Soroko. Dieser erklärte ihm, sie würden für ein paar Wochen hier in Puerto Calero liegen, und das Schiff müsse gründlich gereinigt und auf Vordermann gebracht werden.

Seither machte er täglich seine Arbeit unter der Anleitung von Rasim, einem ständigen Crewmitglied. Wöchentlich, jeden Samstag, erschien der Zahlmeister und entlohnte die paar Hilfskräfte kommentarlos. Pedro war zufrieden, und wenn die Zeit hier abgelaufen war, konnte er immer wieder zum Hafenmeister gehen und um die Vermittlung einer weiteren Arbeit bitten. Irgendetwas war immer zu tun, und da er ja alleine war, brauchte er sich um seine Zukunft auch nicht allzu viele Gedanken zu machen.

Die Sonne stand schon weit im Westen, nicht mehr lange, und er konnte nach Hause fahren. Von seiner Position, auf dem Deck der Yacht, konnte er mühelos über die Hafenmauer blicken, hinaus auf das Meer und weit hinüber auf die Ausläufer der Ajaches. Dieser Gebirgszug verläuft entlang der Küste bis weit hinunter in den Süden. Im frühen Abendlicht erschienen die Berge wie ein Relief mit dunklen geheimnisvollen Abhängen. Ostern stand vor der Tür, und die Tage wurden jetzt wieder wärmer. Pedro freute sich auf die freien Stunden. Er hatte nicht im Sinn, seine Zeit mit Kirchgang oder ähnlichem zu vertrödeln, angeln war ihm wichtiger. Er stammte aber tatsächlich aus einer christlichen Familie, was ein wesentlicher Grund für seine Flucht gewesen war.

Drüben im muslimischen Marokko war man als Christ ein Außenseiter und war massiven Einschränkungen und Schikanen ausgesetzt. Seine Vorfahren stammten ursprünglich aus Tétouan, im spanischen Protektorat am Mittelmeer, wurden aber 1956 nach blutigen Kriegsjahren von dort vertrieben. Sie verloren ihr schönes Stadthaus und flohen ins nahe Rif-Gebirge. Der nächsten Generation, welche noch immer die Merkmale der spanischen Vorfahren in sich trug und am Christentum festhielt, ging es auch nicht gut. Seine Eltern lebten auf einem kleinen Hof, vorwiegend als Selbstversorger und Gelegenheitsarbeiter. Seine Mutter starb bei der Geburt ihres zweiten Kindes im Jahre 1998 und hinterließ ihren Mann, das Neugeborene und den dreijährigen Zinedine.

Er erinnerte sich nur ungern an die harte Zeit der Entbehrungen und der Niedertracht. Die Geheimhaltung ihres christlichen Glaubens wurde zusehends schwieriger, aber den Knaben störte der blöde Name weit mehr, als irgendeine Religion der Erwachsenen. Die Jahre der Grundschule waren für ihn eine einzige Qual der Niederträchtigkeiten, der Verheimlichung und der erzwungenen Teilnahme an islamischen Lehrpflichten. Oft hatte er seinen Vater angefleht, doch diesem Islam beizutreten, den doch alle anderen so großartig fanden. Glücklicherweise waren in der ländlichen Bergwelt aber weit mehr Familien zu traditionellem Schamanismus bereit, als zu den großen Weltreligionen. Es herrschte also trotz allem, in der abgeschiedenen Kommune, so etwas wie Toleranz. Sein Vater aber blieb hart und verbot sich alle Gedanken an eine Abkehr.

Im Alter von fünfzehn Jahren verließ Pedro mitten in der Nacht sein Heimatdorf und machte sich auf den Weg in die Hauptstadt. Er hatte gehört, dass dort alle Möglichkeiten offen standen und immer Arbeit zu finden sei. Mittellos wie er war, schlug er sich durch, zu Fuß, mit Schwarzfahren im Bus, mit Lügen, Stehlen und Betrügen.

Zwei Monate später musste er in Rabat erleben, dass es auch da keine Datteln vom Himmel regnete. Vielmehr geriet er in eine kriminelle Gesellschaft, aus der er nur mit viel Glück wieder heraus kam. Knapp entkam er einer Verhaftung, nach einer Messerstecherei in einer Gasse des Souks, in der Innenstadt. Er floh und machte sich auf den Weg südwärts. Monatelang war er unterwegs und mied die großen Städte wie Casablanca und Marrakesch. Oft war er nahe am Verdursten oder Verhungern, er bettelte und stahl. Nachts verkroch er sich irgendwo am Straßenrand und lebte immer in der Hoffnung, ein Lastwagenfahrer würde sich erbarmen und ihn mitnehmen. Einer der Hilfsbereiten, ein bärtiger Mann aus dem Süden, erzählte von der Möglichkeit übers Meer zu den Kanaren zu gelangen, eine Idee, an die er sich festklammerte und die er nicht mehr losließ.

Viele hundert Kilometer weiter südlich erreichte er Agadir, nur um festzustellen, dass eine Überfahrt zu den Kanaren von skrupellosen Schleppern organisiert wurde und diese sich teuer bezahlen ließen. Es schlug sich weiter nach Süden durch, bis in die Nähe der umstrittenen Grenze zur Westsahara. In einem kleinen Fischerhafen gelang es ihm, nach vielen Monaten unmenschlicher Dienste, elenden Lebensbedingungen und immer in akuter Gefahr von der Polizei aufgegriffen zu werden, einen Platz auf einem zweifelhaften Boot zu ergattern. Der skrupellose Skipper rechnete damit, dass die Küstenwache seine unselige Last dann sowieso auffischen würde, und er dabei problemlos das Weite suchen könnte. Es kam dann auch so. Die Strecke von hundert Kilometern übers Meer wurde zu einer Höllenfahrt. Die dicht gedrängten Menschen auf dem altersschwachen Boot waren total ausgeliefert, schrien, weinten und beteten um ihr Leben. Noch heute verkrampfte sich sein Inneres, wenn er an die schrecklichen Stunden und Szenen dachte. Der schwache Außenbordmotor war völlig machtlos gegen die mörderisch stampfenden Wellen, welche jeden Moment das marode Schiffchen zu zertrümmern drohten. Es grenzte an ein Wunder, dass sie dann tatsächlich von der Küstenwache gerettet wurden. Irgendwie musste doch eine größere Macht, ein Gott, eingegriffen haben, denn sonst wären sie alle, Mann und Maus, ertrunken.

Nun stand das große Christenfest vor der Tür, und wenn sich Pedro eigentlich auch nie viel darum gekümmert hatte, so war er doch dankbar und freute sich auf die freien Tage. Er plante seine Zeit mit Angeln zu verbringen. Vielleicht konnte er Modou, seinen schwarzen Mitbewohner, dazu bewegen mitzukommen. Allerdings wusste er nicht, ob der Kerl überhaupt Interesse am Fischen hatte, und ob er auch eine Angelausrüstung besaß. Wohl eher nicht. Pedro kannte einige vielversprechende Stellen drüben in Richtung Playa Quemada. Die Küste war dort rau und felsig, aber man konnte leicht hinunterklettern und fand immer einen guten Standplatz, um die Angel auszuwerfen.

Modou war dann, wie vermutet, doch nicht zu bewegen mitzukommen. Er hätte unten an der Avenida viel zu tun, war seine Ausrede. Klar, der Mann streifte lieber um die leicht bekleideten Touristen herum und schäkerte mit den Mädchen, als dass er stundenlang eine Rute über das Wasser halten möchte. Pedro war das auch recht. Er hatte damit seine Ruhe und viel Zeit zum Nachdenken. Eigentlich hatte er, als er vor etwas mehr als zehn Jahren nach Lanzarote kam, sich seine Zukunft ganz anders vorgestellt. Der Traum von lohnender Arbeit, viel Geld, einem eigenen Haus, Familie und Glück, war aber schnell verflogen. Immigranten waren hier nicht besonders willkommen. Die Behörden prüften akribisch, woher er kam und ob sein Status als Flüchtling wirklich gegeben sei. Seine zurechtgelegten Geschichten über Krieg, Mord und Totschlag in seiner Heimat, überzeugten sie wenig, aber aus Mangel besserer Informationen, gewährten sie ihm gnädig ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht. – Vorübergehend konnte man lange ausdehnen. Er fand eine Arbeit in einer Appartement-Anlage, wo er für die Reinigung und den Unterhalt des Außenbereiches eingesetzt wurde. Aufgrund dieser Anstellung wurde seine Aufenthaltsbewilligung immer wieder verlängert und schließlich definitiv erteilt. Allerdings mit der Auflage, dass er auf Lanzarote bleibe und nicht nach Spanien oder in die Europäische Union weiterreise. Er war also hier praktisch gestrandet, stand völlig alleine da, und sein Traum von Glück und Reichtum war endgültig geplatzt. Vor drei Jahren gab er die unbefriedigende Arbeit auf und bewarb sich bei der Hafenbehörde von Puerto Calero. Es herrschte generell die Meinung, hier würden sich die reichen und stolzen Besitzer von Luxus-Yachten nur so tummeln. Ein Versuch war es wert. – Na ja, auf eines dieser edlen Boote hatte er es geschafft, aber noch immer war er der Handlanger und in zwei, drei Wochen wohl wieder arbeitslos. Den Gedanken an Frau, Kinder und eigenes Haus konnte er vergessen. Er hockte, dort oben in Tías, in einer schäbigen engen Wohnung und plagte sich ab, nur um die Miete rechtzeitig bezahlen zu können. – Lag sein schwarzer Kumpel vielleicht doch richtig, wenn er meinte, ein Schäkern mit ein paar freizügigen Touristinnen wäre vielversprechender, als ein täglicher Arbeitstrott? – Mensch, er hatte nicht einmal einen Hauch einer Freundin…

Die südliche Küste von Lanzarote ist zerklüftet und besteht aus rauen schwarzen Klippen. Nicht umsonst wurde dieser Abschnitt ‘Piedra Negra‘, Schwarzer Stein, genannt. Oben führte ein beliebter, oft begangener Wanderweg entlang, aber unten nahe dem Wasser war er völlig allein. Er hatte seine Ausrüstung sicher zwischen den Felsen deponiert. Nun saß er rittlings auf einem großen Felsen und starrte auf das Meer hinaus. Das stetige Brausen der Brandung versetzte ihn in eine Art von Isolation. Nichts störte diese Abgeschiedenheit, fern von allem. Einzig der Schrei einer Möwe durchbrach manchmal den absoluten Frieden.

Während Pedro aufs Meer hinaus blickte und die Angel mit dem tanzenden Schwimmer kaum beachtete, flüchteten sich seine Gedanken weit hinaus in die Ferne zum Horizont und erahnten die unendlichen Tiefen und Abgründe des Meeres. Was bedeutete diese ungeheuerliche Weite des Wassers überhaupt? Der größte Teil dieses Planeten war bedeckt damit, kein anderes Element war grösser und wichtiger. Klein musste man werden ob diesem Wunder und alle die täglichen menschlichen Probleme mussten unbedeutend erscheinen. Er hatte auf seiner Flucht versucht, dieses Meer zu bezwingen und war nur mit viel Glück entkommen. Manchmal kam ihm der Gedanke, was wäre, wenn er es nicht geschafft hätte, und wie so viele andere im Ozean versunken wäre. Vielleicht wären dadurch alle Probleme gelöst gewesen, und er müsste sich jetzt nicht weiter durch dieses klägliche Leben kämpfen.

Ein leichter Ruck an der Rute brachte ihn zurück in die Gegenwart. Es war kein Fisch dran, aber der Moment brachte ihn wieder zurück in die Realität. Er holte die Angelleine ein und warf sie erneut hinaus. Nein, man durfte nicht aufgeben. Es war wie beim Fischen, nur mit viel Geduld und Ausdauer war ein Erfolg, ein Fang möglich. Seine Situation war nicht schlimmer, als für viele andere. Er war gesund, hatte eine Arbeit und war frei zu tun und lassen, was er wollte.

Am Ende der Feiertage hatte er doch einige stattliche Fische in seinem Eimer. Da lagen zwei beachtliche Abade oder Königsbarsche, einige kleine Besuguitos und sogar ein schöner Corvina, auch Adlerfisch genannt, von beinahe 60 cm. Ein stolzer Fang, aber was sollte er damit. Ihm blieb nichts anderes übrig, als diese der Nachbarin im Haus gegenüber zu bringen. Die hatte Familie und drei, vier oder fünf Kinder. – Wer konnte das so genau wissen? Die würden sich freuen.

Kapitel 3

„Fernando!“, rief Ilona verwirrt. „Schau dir das an! Sie haben einen Toten gefunden.“

Sie senkte die Zeitung neben ihre Tasse, drehte sich um und schnaubte: „So komm doch endlich! Die schreiben, er müsse schon Tage in der Saline gelegen haben.“

„Was sagst du?“, kam die Antwort unwirsch aus dem Badezimmer. „Ich bin noch nicht fertig.“

Ilona kannte das, Fernando wollte während dem Rasieren keine Störung. Sie lächelte vor sich hin. Jeder hatte seine Marotten, und ihrem Liebsten konnte sie diese frühmorgendliche kleine Unart gerne verzeihen.

„Komm schon Lieber, dein Kaffee wird kalt.“

„Bin ja schon da“, brummte er entschuldigend und küsste sie zärtlich in den Nacken.

Der leichte Duft seines Aftershaves umwehte sie, und in einer liebevollen Wendung zog sie ihn zu sich und küsste ihn spontan auf seinen Mund. Wie jedes Mal, durchströmte sie ein warmes Gefühl von Glück und Leidenschaft. Dieser Mann war ihr Leben, und sie staunte immer noch, wie es eine unglaubliche Wendung genommen hatte, als sie Fernando begegnet war. Sie waren beide nicht mehr die Jüngsten. Er hatte seine anspruchsvolle Aufgabe als Comisario der Policía Nacional mit fünfundfünfzig an den Nagel gehängt und frönte seitdem seinem Ruhestand. Nicht ganz, gestand sie sich ein. Er war immer noch darauf bedacht zu helfen, wenn sich jemand hilflos um sein Recht gebracht glaubte oder sonst irgendwie in Not war. Erst vor kurzem hatte er eine fürchterliche Geschichte enträtselt, bei welcher sogar sein Sohn verwickelt gewesen war. Ilona wünschte sich aber, dass er sich in Zukunft aus solchen Ermittlungen heraus halten würde. Solche waren einfach zu gefährlich, und sie würde es nicht überleben, wenn ihm etwas zustoßen würde.

„Wo sagtest du liegt ein Toter?“, fragte Fernando und setzte sich ihr gegenüber.

Während er seinen Kaffee trank, zitierte Ilona aus dem Zeitungsartikel:

„In einem Teich der Saline Janubio wurde gestern am 5. April eine männliche Leiche gefunden. Laut Coronel Martinez der Guardia Civil, muss diese über die Osterfeiertage dort gelegen haben. Sie wurde aber erst am Montag bei der erneuten Arbeitsaufnahme entdeckt. Ob es sich dabei um einen unvorsichtigen Touristen handelt oder ob ein Gewaltdelikt vorliegt, muss noch ermittelt werden.“

„Na ja, ein ungewöhnlicher Ort um zu sterben“, war Fernandos trockener Kommentar.

Ilona ließ die Zeitung nachdenklich sinken. „Da war ich doch, dort bei der Saline von Janubio“, sagte sie unsicher. „Genau, am Tag vor Karfreitag, ich holte mir ein paar Beutel Salz. Jetzt erinnere ich mich.“

„So… ach, natürlich, du kamst auch ganz unerwartet zur Finca. Brachtest einen äußerst wichtigen Beutel Salz mit“, schmunzelte Fernando. „Machtest einfach blau und wolltest zu mir.“

Ilona konterte: „Sei nicht so hochnäsig, du hast dich doch auch gefreut.“

„Klar doch, meine Liebe. Ich hätte dich auch ohne Salzzugabe in die Arme genommen.“

„Das Salz war auch nicht für dich“, neckte Ilona weiter. „Es landete in Ingrids Küche.“

Das Geplänkel ging eine Weile weiter. Dann wurde Fernando ernst: „Dass du dort bei der Saline warst, bedeutet überhaupt nichts. Du hast ja auch nichts gesehen. – Oder doch?“

Ein Funke Neugier und Interesse stand plötzlich im Raum.

„Nichts, nicht dass ich wüsste, lieber Herr Comisario“, antwortete Ilona spöttisch. „Deine Frau hat niemanden umgebracht, und in die Salzlake geworfen habe ich auch keinen. Ich bin unschuldig.“

„Hab‘ ich auch nicht behauptet“, wehrte sich Fernando. „Die Leiche muss gut erhalten sein, so schön gepökelt wie ein Fisch.“

Ilona räumte die Frühstückstassen weg und tadelte: „Hör‘ auf! Es gibt heute Abend gegrillte Dorade mit Papas arrugadas. Verdirb mir nicht den Appetit.“

„Da freue ich mich sehr darauf“, erwiderte Fernando. „Gehst du jetzt zum ‘El Rondó‘?“

„Was denkst du denn? Natürlich! Ich muss zur Arbeit. Ein Lokal führt sich nicht von alleine.“

Es dauerte noch eine ganze Weile. Geschirr spülen, Betten machen und Kleider im Schrank verstauen. Lange Umarmungen, Küsse und geflüsterte Liebesbeteuerungen, dann wurde es aber Zeit. Die Tür schlug zu, und ihre Schritte klapperten die Treppe hinunter. Fernando stand etwas verlassen in der Küche.

Gedankenverloren griff er nach der Zeitung und überflog den Artikel über den Toten in Janubio erneut. Da war wenig Hilfreiches zu erfahren, allerdings bemerkte er, dass offensichtlich sein alter Rivale Coronel Martinez, sich mit dem Fall beschäftigte. Erstaunlich, denn ein Tötungsdelikt, sofern es überhaupt eines war, gehörte in den Aufgabenbereich der Policía Nacional und nicht in den der Guardia Civil.

Entgegen seiner schnellen Behauptung, die Angelegenheit würde Ilona nicht betreffen, keimte in ihm der nagende Gedanke, es könnte vielleicht doch…

Nein! Natürlich nicht! Ilona hatte nichts mit den Salinen zu tun und schon gar nicht mit einem Todesfall dort. – Man wusste ja nicht einmal, ob es sich nicht einfach um einen unglücklichen Unfall handelte. – Er könnte vielleicht nachfragen…

Kurz entschlossen warf er sich eine leichte Weste über und verließ die Wohnung. Sein Auto, ein alter Skoda, stand am Straßenrand gegenüber. Während er aufschloss, überlegte er zum hundertsten Mal, dass es an der Zeit wäre, sich ein neueres Fahrzeug zuzulegen. Die alte Kiste hatte ihre Macken, aber irgendwie konnte er sich einfach nicht von ihr trennen. Es war wohl wie bei allen Beziehungen, man gewöhnte sich an die Fehler und verzieh gerne, da man ja mit zunehmendem Alter selber auch so seine Ticks hatte. Er startete den Motor, fuhr zielbewusst hinauf zum Ort Macher und nahm dort die Autostraße LZ2 in Richtung Westen.

Nach der Umfahrung von Yaiza führt die Straße einem riesigen Lavafeld entlang. Es ist eine zerrissene, unwirtliche, schwarze Landschaft, die aussieht, wie wenn der Teufel hier in wilder Wut gepflügt hätte. Es sind die erkalteten Überreste der Eruptionen vor rund dreihundert Jahren. Die Vulkanausbrüche hatten sechs Jahre gedauert und hatten auch den Krater mit der Lagune von Janubio geschaffen. Beim Kreisel rechts weg, führt die Straße direkt zu den Salinen, welche etwa zwanzig Meter tiefer, unterhalb der Fahrbahn liegen. Fernando bemerkte schon von weitem, dass die Zufahrt abgesperrt war. Blauweiße Bänder flatterten im Wind und verrieten, dass dort unten eine Polizeiaktion im Gange war.

Er fuhr etwa dreihundert Meter weiter und bog dann in die Einfahrt des Aussichtspunktes und Restaurants ‘Mirador de las Salinas‘ ein. Er ließ das Auto vor einer Mauer stehen und blickte hinüber. Das Lokal liegt gleich oberhalb der Saline und bietet, mit seiner verglasten Terrasse, einen herrlichen Ausblick über die ganze Anlage, die Lagune, den Strand und das Meer. Das Restaurant war bekannt für seine gute Küche, aber Fernando war nicht zum Essen gekommen. Es war auch noch nicht geöffnet. Ein Schild informierte, dass man erst ab ein Uhr Gäste empfangen würde. Fernando kannte die lockere Angewohnheit der Einheimischen, ihr Mittagessen sehr spät einzunehmen, oft sogar nach zwei Uhr. Eine anschließende Siesta zog sich dann bis in den späten Nachmittag hinein.

Drüben, links neben den Salzteichen, lag das kleine Gebäude mit der Tienda, einem Laden mit Angeboten, vor allem für Touristen. Davor standen jetzt zwei Polizeiautos, ansonsten war niemand zu sehen. Fernando umrundete das Restaurant und entdeckte die Tür zur Küche und für die Angestellten. Sie stand halb offen, und drinnen hörte man ein Klappern und Poltern.

„Hallo!“, rief Fernando und stieß gegen die Tür. „Ist da jemand?“

Es dauerte eine ganze Weile, bis endlich ein hagerer Mann in einer langen, weißen Schürze erschien. Er trocknete seine Hände notdürftig am Zipfel der wenig sauberen Schürze und betrachtete den Störenfried argwöhnisch.

„El Restaurante ist erst um ein Uhr geöffnet“, sagte er ungehalten.

„Señor“, erwiderte Fernando schnell, bevor der Mann wieder verschwinden konnte. „Entschuldigen Sie, ich wollte nicht stören.“

„Ich sagte doch, es ist noch zu“, wiederholte der Mann. „Ich habe zu tun.“

„Natürlich, aber ich wollte nur fragen, ob Sie gesehen haben, was dort unten war, und was jetzt vor sich geht. Die Polizei…“

„Ja, die war schon gestern da“, brummte der Küchenmann. „Sie haben eine Leiche gefunden.“

„Wessen Leiche…?“

„Woher soll ich das wissen? Die lag dort drüben rechts, hinter der alten Pumpstation in einem Teich. Weiß der Teufel, wie die dort hin kam.“

Fernando spähte hinüber und entdeckte das einfache Gebäude am Rande der Anlage. Dahinter ging es felsig steil hinauf zur Straße. Offensichtlich war der Ort nur durch die Saline oder vom schwarzen Strand, von der Bucht her, erreichbar.

Der Koch wurde zugänglicher und folgte Fernando zur abgrenzenden Mauer vor dem steilen Abhang. „Sehen Sie, die Polizeifahrzeuge gelangten gestern nur über den Parkplatz dort drüben beim Strand zu der Stelle. Die Wege durch die Saline sind zu schmal.“

„Wer ist denn der Tote?“, erkundigte sich Fernando erneut.

„Weiß ich wirklich nicht“, brummte der Angesprochene. „Angeblich soll’s ein Mann sein. Er wurde erschossen.“

„Mierda!“, entfuhr es Fernando. „Sind Sie sicher?“

„Ja, der José von der Tienda hat’s von den Beamten gehört.“

Er wand sich verlegen. „Nachdem dort drüben der Teufel los war, war ich natürlich unten bei der Bodega. Man will ja wissen, was in der Gegend passiert. José ist ein alter Freund von mir.“

Fernando nickte. Er wusste, wie die Leute reagierten, sobald die Polizei auftauchte. Man wollte sich nichts entgehen lassen. Nur mit den Vermutungen und Meinungen solcher Zeugen war Vorsicht angebracht.

Trotzdem fragte er: „Was glauben Sie, ist da geschehen? Das ist wirklich ein ungewöhnlicher Ort für einen Todesfall. Hat er sich vielleich selber umgebracht?“

„Ha! Ist doch eher unwahrscheinlich“, sagte der Koch, der jetzt auf einmal richtig gesprächig wurde und viel Zeit hatte. „Da könnte ich mir tatsächlich eine bessere Art vorstellen, als mir dort draußen eine Kugel in den Kopf zu jagen, um dann in der stinkenden Salzbrühe zu ersaufen. Meiner Meinung nach, hat da einer nachgeholfen und hat den armen Kerl erledigt.“

Obwohl diese Theorie etwas an sich hatte, wehrte Fernando ab: „Vorsicht, mit solchen Vermutungen. Ein gewaltsamer Tod kann viele Facetten haben, wir erleben da immer wieder manche Überraschungen.“

Der Mann horchte auf. „Sie, Sie kennen das? Sind Sie vielleicht auch von der Polizei?“

„Ich entschuldige mich“, sagte Fernando bestürzt. „Ich habe mich nicht vorgestellt. Ich bin Fernando Romero, Comisario im Ruhestand.“

„Oh, Señor Comisario, ich heiße Carlos und bin der Koch von diesem Lokal. Eigentlich müsste ich längst das Mittagessen vorbereiten.“

„Aber selbstverständlich“, bestätigte Fernando. „Ich danke Ihnen für die Auskunft. Am besten, wir lassen die Beamten ihre Pflicht erledigen. Nochmals vielen Dank!“

Nachdem der Koch verschwunden war, setzte sich Fernando in sein Auto und überlegte. Noch wusste er nichts über diesen mysteriösen Todesfall. Wer war der Tote? Wie kam er ums Leben? War es ein Unfall, ein Selbstmord oder gar ein Mord? Wie kam es denn zu diesem ungewöhnlichen Tatort, und noch unerklärlicher war die Frage nach einem möglichen Motiv. – Und er selber, was wollte er eigentlich hier? Die ganze komische Angelegenheit ging ihn überhaupt nichts an. – Und doch, die Ermittler würden unweigerlich entdecken, dass Ilona an diesem Tag die Bodega besucht hatte. Das musste absolut nichts heißen. Dennoch, er könnte sich vorab ein Bild machen. Er könnte versuchen, den Tatort zu besichtigen. Es sah ganz so aus, wie wenn sich dort draußen niemand mehr aufhalten würde.

Er startete sein Auto und fuhr zurück auf die Straße. In westlicher Richtung führt nach gut einem Kilometer eine steile Zufahrt hinunter auf den Parkplatz zum Strand von Janubio. Fernando stellte sein Fahrzeug mitten auf den staubigen Platz, stieg aus und blickte zum verlassenen Ufer. Rechts lag der weite Ozean, und links schimmerte die dunkle Lagune mit den Salzfeldern. Der schwarze Sandstrand bildete dazwischen so etwas wie einen natürlichen Damm. Fünfzig Meter weiter, entdeckte er einen Weg nach links, zu der Saline. Ein zerrissenes Band flatterte im Wind und verriet, dass hier offensichtlich abgesperrt gewesen war, aber wen kümmerte das.

Fernando betrachtete seine polierten Schuhe und die schwarzen Hosenstösse. Er würde beides ruinieren, aber es half nichts, er musste die Strecke zu Fuß gehen. Es war weiter, als er gedacht hatte. Missmutig stolperte er über den Weg und verfluchte seine Sturheit. Was wollte er da eigentlich, bei diesen verlassenen ausgetrockneten Becken. Offensichtlich war hier seit langem nicht mehr gearbeitet worden. Etwas weiter vorne traf er auf ein erstes Gemäuer. Auch dieses sah nicht wirklich unterhalten aus. Es stand einsam und abweisend zwischen den vergammelten Becken, wie ein vergessener Stein auf einem riesigen alten Schachbrett.

Nach wenigen Minuten erreichte er ein grösseres Gebäude, und hier waren die umliegenden Salzteiche tatsächlich noch in Betrieb. Die kegelförmigen Anhäufungen von Salz erinnerten nun aber eher an ein lustiges Hütchenspiel, welches er von seiner Kindheit her noch kannte. Dabei schnippte man die Hütchen in die Löcher des Spielbrettes. Je nach getroffener Farbe gab es mehr oder weniger Punkte. Hier standen die weißen Kegel aber in langen geordneten Reihen und ließen erahnen, dass doch noch einiges an Meersalz gewonnen wurde. Nach einem monatelangen Trocknungsprozess wurde das Salz mit Krücken und Schaufeln zusammengekratzt und zu diesen Kegeln angehäuft.

Ein leises Brummen aus dem vorderen Gebäude deutete darauf hin, dass tatsächlich Motoren liefen und Pumpen betrieben wurden. Fernando interessierte die Gewinnung von Meersalz im Moment aber wenig. Beim Näherkommen entdeckte er mit Schrecken zwei Gestalten im nahen Teich. Die Polizei war offensichtlich mit ihrer Arbeit doch noch nicht fertig. Die Männer steckten in weissen Schutzanzügen und beugten sich tief suchend über das trübe Wasser. Sie sahen aus wie verirrte Enten, welche nach Futter tauchten. Die Vermutung lag nahe, dass der Tote in diesem Teich gelegen hatte, und dass die beiden nach Spuren suchten.

Der Ankömmling blieb unentdeckt und es blieb Fernando nichts anderes übrig, als auf sich aufmerksam zu machen. Er näherte sich dem Rand des Teiches und rief: „Hallo, ich denke Sie sind von der Polizei!“

Sie schauten erschrocken auf, und der vordere Mann antwortete barsch: „Wer denn sonst? Nur die Polizei wühlt hier wohl noch im Dreck? – Und wer sind Sie? Haben Sie die Absperrung nicht gesehen?“

„Bitte entschuldigen Sie. Ich war einmal ein Kollege, Comisario Romero“, stellte sich Fernando beschwichtigend vor. „Was suchen Sie denn?“

„Ja, was denn? – Eine Waffe vielleicht, eine Patronenhülse oder sonst irgendetwas, was uns weiter helfen könnte. ‘Ist doch ein hoffnungsloses Unternehmen, man sollte einfach erst einmal das Wasser ablassen. Die Brühe ist scheusslich.“

Mit diesen Worten stapfte der Mann aus dem Teich und trampelte sich den Schlamm von den Füssen. Obwohl er Stiefel trug, war der Schutzanzug sichtlich ramponiert. Der Beamte im Range eines Sargentos fluchte leise vor sich hin. Dann rief er seinen Kollegen aus der Salzbrühe: „Miguel, komm schon heraus! Das bringt doch nichts.“

Offensichtlich wussten die beiden nicht so richtig, wie sie den Unbekannten einordnen sollten. Fernando nutzte den Moment und fragte: „Wohin wurde die Leiche gebracht? – Weiß man schon wie er zu Tode kam? – Ein Unfall? – Selbstmord?“

„Kaum“, meinte der Sargento. „Man stellt sich doch nicht in diese Salzbrühe um sich zu erschießen, und der Tote ist wohl auch nicht selber hineingesprungen. Es war eindeutig Mord. Er wurde erschossen.“

„Sie suchen also nach der Waffe?“

„Na ja, der Inspector meinte, wir sollten danach suchen. – Ich glaube aber, dass der Täter wohl nicht so dumm war, seine Waffe hier zurück zu lassen.“

„Der Inspector…?“

„Ja, Inspector Sánchez leitet den Einsatz.“

„Javier Sánchez!“ rief Fernando erfreut.

„Sie kennen ihn? – Ach so, natürlich, als Polizist. Ja, er hat übernommen, nachdem dieser Coronel der Guardia Civil gestern ein riesiges Theater veranstaltet hatte. Der wollte ja gleich die ganze Belegschaft der Bodega verhaften.“

Fernando konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. „Coronel Martinez, den kenne ich auch. – Ist Javier jetzt vielleicht noch drüben in der Tienda?“

„Klar, wir gehen jetzt auch dort hin.“ Er winkte seinem Kollegen und fuhr fort: „Wir brechen hier ab, das ist sinnlos.“

„Mein Wagen steht dort hinten auf dem Parkplatz. Ich fahr jetzt auch hinüber“, meinte Fernando und dann etwas voreilig: „Wollt ihr mit?“

Nun grinste auch der Sargento. „In dieser Kluft? Wohl eher nicht, außer Sie wollen ihr Auto ruinieren. Wir gehen zu Fuß quer durch die Saline.“

Nach einem beschwerlichen Rückweg und einer kurzen Fahrt, erreichte Fernando die Einfahrt hinunter zum kleinen Gebäude auf der anderen Seite der Saline. Die Absperrung war inzwischen aufgehoben. Das Geschäft musste weitergehen. Warum dort eine Tafel grossspurig ‘Bodega Janubio‘ anzeigte, war unverständlich, denn eine Bodega war ein Lager- oder Kellergewölbe, vorwiegend ein Weinkeller oder eine Weinhandlung. Dieses Gebäude hier war aber eher ein einfaches Steinhaus, mit einem Eingang in einen kleinen Verkaufsraum. Dort wurden Produkte der Saline angeboten, also vor allem Salz.

Neben den beiden Polizeiautos hatten sich ein paar Wagen von Touristen eingefunden. Die Besucher schlenderten interessiert entlang den Teichen, und ein junges Pärchen machte eifrig Fotos neben der Eisenskulptur. Die Krebsfigur leuchtete rostrot in der Sonne, und Fernando dachte, dass die Salzluft das Kunstwerk wohl bald zerstören könnte. Nun war er aber nicht hier um sich Gedanken über den Tourismus oder die Kunstwerke zu machen. Er brauchte ein paar Informationen.

Javier kam ihm entgegen. Die beiden Beamten waren bereits zurück und machten sich am Kofferraum ihres Autos zu schaffen. Offensichtlich hatten sie ihren Vorgesetzten bereits informiert.

„Fernando!“, begrüßte der Polizei-Chef aus Tías seinen Freund erfreut. „Schön dich zu sehen. Was treibst du denn immer? – Aber was willst du hier?“

„Javier! Ich freue mich!“, erwiderte Fernando den Gruß. „Ich hab‘ gehört, dass hier einer umgekommen ist.“

„So ist es. Der Mann lag mausetot in der Saline. Er wurde erschossen.“ Javier grinste plötzlich: „Mensch Fernando, du kannst es einfach nicht lassen. Diese unbedachten Aktionen sind dir immer noch wichtiger als dein Ruhestand. Was sollte die Fragerei an meine Leute?“

„Es stand doch in der Zeitung, ein Toter in der Saline, das ist doch wirklich ungewöhnlich.“

„Na ja“, meinte Javier unwillig. „Das ist doch kein Grund hier aufzukreuzen.“

Fernando zögerte, entschloss sich dann aber zur Wahrheit. „Ilona war, per Zufall, am Tag vor Karfreitag hier, und ich dachte, ich sehe vorsorglich mal nach. Nicht dass sie plötzlich darin verwickelt wird.“

„Mein lieber Freund, es ist bereits festgestellt, dass deine Frau am Donnerstag vor Ostern um zehn Uhr hier vor Ort war. Coronel Martinez bestand darauf, die Dame zu befragen.“

„Das ist doch Unsinn“, entgegnete Fernando. „Man weiß ja nicht einmal, wann und wo der Mann umgekommen ist.“

Javier nickte. „Natürlich, aber du kennst ja Martinez. Der sture Bock spielt sich auf. – Jetzt bin aber ich zuständig, und du brauchst nichts zu befürchten. Trotzdem werde ich Ilona befragen müssen, wie viele andere auch.“

„Wie weit bist du denn mit den Ermittlungen?“

„Ha, wie weit wohl? Wir haben nichts, überhaupt nichts“, klagte Javier. „Der Tote ist noch nicht identifiziert. Keiner wird vermisst. Wo, wie und wann er erschossen wurde, das sind alles ungelöste Rätsel.“

„Dein Sargento meinte, dass er eher nicht am Fundort getötet wurde. Da hat er vielleicht recht, aber wo denn? Um ihn dorthin zu tragen, brauchte es mindestens zwei kräftig Männer. – Oder er ist selber dorthin gelaufen und wurde dann getötet. – Wie war die Leiche denn bekleidet?“

„Nichts besonderes, Shorts und ein schwarzes T-Shirt. Schuhe oder Sandalen fehlten, genauso fanden wir keinen Tascheninhalt. Der könnte natürlich nachträglich entfernt worden sein. Wir haben absolut nichts.“

„Der könnte vielleicht dort am Strand gewesen sein“, überlegte Fernando laut. „Habt ihr den abgesucht?“

„Ja, daran hat sogar der Coronel der Guardia Civil gedacht. Eine ganze Gruppe war gestern dort und hat den Strand durchgekämmt. Mit wenig Erfolg. Da war der übliche Abfall, den die Badegäste zurücklassen und natürlich viel Schwemmgut. Gestern war Ebbe, und da blieb viel liegen. Sie füllten ganze Säcke, aber nichts scheint auf den Toten hinzuweisen.“

„Wo ist das ganze Zeug jetzt?“

Javier seufzte: „Wurde alles nach Arrecife zur dortigen Comisaría gebracht. Dieser Martinez ist wie immer sehr voreilig. Der Tote ist im Hospital General zur Obduktion.“

Fernando kannte diese Reibereien zwischen den beiden Polizei-Einheiten nur zu gut. Coronel Martinez war immer sehr schnell dabei, sich die Lorbeeren einzusammeln, aber ein Tötungsdelikt fiel noch immer in den Aufgabenbereich der Policía Nacional, also in die Hände von Javier. Sollte dieser von der Situation überfordert werden, müsste er Verstärkung aus Madrid beantragen. Die Erfahrung zeigte aber, dass das lange dauern konnte.

„Wenn du Zeit hast, würde ich gerne nochmals hinüber auf die andere Seite“, sagte Fernando. „Es scheint unwahrscheinlich, dass der oder die Täter ihr Opfer von dieser Seite, quer durch die ganze Saline schleppten, um es dann dort abzulegen. Sie müssen von der Strandseite gekommen sein.“

Javier nickte. „Lass mich zuerst hier fertig machen. Ich komme dann nach.“

Fernando fuhr zurück auf den Parkplatz des Strandes und wirbelte eine grosse Staubwolke auf. Es ging gegen die Mittagszeit, und es herrschte Ruhe, wenn man vom ständigen Rauschen der Brandung absah. Ein einsam abgestelltes Auto ließ vermuten, dass jemand unten auf dem Strand war. Das störte Fernando aber nicht. Er trottete ziellos über den Platz. Am äussersten Punkt war eine herrliche Aussicht über die ganze Küste, bis weit hinüber zu den Gebäuden der Meerwasserentsalzung für den Süden von Lanzarote. Gischt spritzte weiter vorne an der schroffen Steilküste auf und überzog die Bucht mit einem feinen Sprühnebel.

Suchend trottete Fernando über den Platz und betrachtete die Fahrspuren im Sand. Die kreisförmigen Bahnen ließen vermuten, dass hier öfter angetrunkene Autohelden, zu später Stunde, mit heulenden Motoren ihre Runden drehten und damit ihren aufgestauten Aggressionen freien Lauf ließen. Es war aber eher unwahrscheinlich, dass einer von den Rowdies etwas Verdächtiges gesehen hatte oder sogar etwas mit dem Tötungsdelikt zu tun hatte. Die Kerle waren wohl eher mit lauter Musik, Gegröle, Frauen und mit sich selber beschäftigt.

Fernando überlegte, der Zugang zur Saline war weiter vorne, und dort neben einem Abfallcontainer könnte man ohne weiteres unbeobachtet eine Leiche ausladen. Aber konnte man sie auch den ganzen Weg bis zum Fundort tragen? Einer allein konnte das nie und nimmer schaffen, und zwei Täter waren doch eher unwahrscheinlich. Das Opfer wurde also vermutlich hingeführt, ob freiwillig oder gewaltsam war die offene Frage.

Unterdessen war auch Javier mit seinem Dienstwagen angekommen, stieg aus und ging Fernando entgegen. „Sehr unwahrscheinlich, mein lieber Freund, dass da mitten auf dem Platz einer jemanden umbringt“, meinte er sofort.

„Auch meine Meinung“, brummte Fernando. „Allerdings eine Leiche ausladen wäre durchaus vorstellbar. Dort vorne neben dem Container wäre eine geeignete Stelle und nahe genug der Saline. Allerdings glaube ich nicht, dass jemand eine Leiche so weit tragen konnte.“

Auf Lanzarote sehen die Abfallcontainer alle gleich aus. Eine große, viereckige grüne Kiste, mit einem schweren Deckel. Sie steht wackelig auf vier Rädern, und ein Rohrgestänge dient der etwas schwierigen Öffnung. Auch hier war es den Besuchern wohl oft zu mühsam den Deckel anzuheben, weshalb viel Unrat rund herum im Staube lag. Fernando schüttelte den Kopf und brummte vorwurfsvolle Bemerkungen über die Nachlässigkeit der Touristen. Sie durchkämmten eher oberflächlich Verpackungen, Tüten und Essensreste, Getränkedosen, Flaschen und Raucherabfall. Ein Blick in den Container brachte auch nichts. Er war praktisch leer und musste erst kürzlich entleert worden sein.

„Mensch, Fernando, wir sind doch nicht die Mühlmänner und zum Aufräumen da“, maulte Javier. „Hier finden wir nichts, was einem eventuellen Täter zugeordnet werden könnte. Er könnte alles oder aber auch nichts hier weggeworfen haben.“

Er wischte sich die Stirn und stöhnte laut: „Die Hitze! Wir sollten aufhören, bevor wir einen Hitzeschlag bekommen und tot umfallen.“

Tatsächlich stand die Sonne fast senkrecht über ihnen und brannte mit aller Kraft auf den Platz und auf die beiden Männer. Selbst ein leichtes kühlendes Lüftchen fehlte, wie wenn die normalerweise angenehme Brise der Insel bösartig eine Pause eingelegt hätte. Es war brütende Mittagshitze.

„Fernando, komm! Lass uns hier verschwinden“, ächzte Javier und ging zu seinem Wagen.