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Satan und Ischariot 2 ist der zweite Teil der Trilogie. Die Trilogie gehört nicht zu den bekanntesten Werken von Karl May. Ein Spektakel der Abenteuerliteratur!
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Seitenzahl: 626
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Unsere Pferde hatten nicht leicht zu tragen, da uns die Vorsicht geboten hatte, uns für drei bis vier Tage mit allem zu versehen, was nötig war und was nötig werden konnte. Wir hatten nicht nur Proviant für uns und Futter für sie, sondern auch noch verschiedene Gegenstände mitgenommen, von denen anzunehmen gewesen war, daß sie uns von Nutzen sein würden. Dazu gehörte ein Paket Lichter und ein Bündel lange Wachsfackeln. Von beiden hatten wir in den Wagen einen ziemlich bedeutenden Vorrat vorgefunden; da diese Requisiten unter der Erde gebraucht wurden, hatte Melton sie bei dem Kaufmanne in Ures bestellt. Auch drei große Fässer mit Brennöl waren verladen worden. Wie schon vorher aus vielem anderem konnte man jetzt auch hieraus ersehen, daß Melton sein »Geschäft« schon vorbereitet gehabt hatte, ehe er mit dem Haziendero den Kauf abschloß. So hatte er auch mit den Yumas alles Nähere vorher verhandelt und ihnen alles, was sofort gebraucht wurde, zum Transporte übergeben. Der Herkules hatte mir ja erzählt, daß die dreihundert Yumas über vierhundert Pferde gehabt hatten, also über hundert mehr, als sie für sich brauchten. Nahm ich an, daß von diesen sechzig für die Deutschen nötig gewesen waren, so hatte man noch über vierzig schwer beladene Packpferde gehabt, welche die sofort notwendigen Gegenstände in die Berge schleppen mußten.
Natürlich hatte ich mich vor unserm Fortreiten gegen Winnetou über mein Vorhaben soviel, wie notwendig war, ausgesprochen, damit er, wenn uns etwas passierte und wir nach vier Tagen noch nicht zurück waren, wußte, wo er uns zu suchen hatte. Vor allen Dingen und ganz selbstverständlich hatte er wissen müssen, daß ich die Höhle des Players und den Gang, welchen der Herkules entdeckt hatte, untersuchen wollte. Das gab den Anfang des Fadens, welchem er folgen mußte, falls er veranlaßt sein sollte, nach uns zu forschen.
Da wir gestern von unserer Richtung abgewichen waren, so mußte ich mit dem kleinen Mimbrenjo heute zunächst auf dem letzten Teile des gestrigen Weges zurück und bemerkte dabei zu meiner Genugtuung, daß die Wagen- und Pferdespuren schon nicht mehr zu sehen waren. Und wo es doch eine Stelle gab, welche die Eindrücke noch zeigte, war vorauszusehen, daß dieselben im Laufe des Tages verschwinden würden. Diese Bemerkung befriedigte mich für den Fall, daß Melton uns Kundschafter entgegenschicken sollte; ich konnte überzeugt sein, daß die Leute unsern Lagerplatz nicht finden würden.
Nachdem wir vielleicht vier Stunden lang südwärts geritten waren, lenkten wir nach Osten um und erreichten bald darauf die schon mehrmals erwähnte Grenze der Vegetation. Die Einöde begann. Da, wo das letzte Gras zu sehen war, hielten wir an, um den Pferden eine Stunde Erholung zu gönnen und sie das spärliche Futter abweiden zu lassen. Dann ging es weiter.
Es war ein Ritt, wie durch eine Wüste. Der Boden bildete lange, niedrige Wellen, zwischen denen seichte Vertiefungen lagen, und alles war Fels, war Stein, Geröll oder Sand. Kein Strauch, kein Grashalm war zu sehen. Dieses nackte Gestein saugte die Strahlen der glühenden Sonne auf, bis es von denselben gesättigt war; die nachfolgende Hitze konnte nicht mehr eindringen und lagerte nun wie eine vier oder fünf Fuß hohe, flimmernde oder zitternde Glutsee auf die Erde. Das Atmen wurde schwer, und der Schweiß drang mir aus allen Poren; aber es mußte ausgehalten werden; wir trabten fort, ohne Unterbrechung, weiter und immer weiter, denn wir mußten, wollten wir nicht einen ganzen Tag verlieren, Almaden noch vor Abend erreichen.
Gesprochen wurde fast gar nicht. Der Mimbrenjo erlaubte sich nicht, mich anzureden, und die Einförmigkeit des Rittes gab mir keine Veranlassung zum Reden. So verging die Zeit im tiefen Schweigen, bis ich mir sagte, daß Almaden nun nördlich von uns liegen müsse. Wir bogen also nach dieser Richtung um, hielten nun ein scharfes Auge nach vorn und betrachteten zugleich den Boden, ob derselbe vielleicht eine Fußspur zeigen werde.
Als die Sonne fast den Horizont erreichte, stieg vor uns in der Ferne ein niedriger und doch sich scharf vom Horizonte abzeichnender Felsen auf, welcher desto höher wurde, je mehr wir uns ihm näherten.
»Das muß Almaden sein,« sagte ich. »Nun gilt es, doppelte Vorsicht zu üben.«
»Will unser großer Bruder Old Shatterhand nicht absteigen?« antwortete der Knabe in bescheidenem Tone.
Ja, er hatte recht. Ein Reiter ist viel weiter zu sehen, als ein Fußgänger. Zwar wäre ich auch bald abgestiegen, aber daß er diese Bemerkung machte, freute mich, denn er bewies mir, daß er die wünschenswerte Bedachtsamkeit besaß. Wir setzten also, die Pferde hinter uns her am Zügel führend, unsern Weg zu Fuße fort.
Die vorhin erwähnten Bodenwellen hatten aufgehört. Wir schritten über ebenes Land, welches wie ein Ring um Almaden lag. Das war der Grund, daß wir sehr weit sehen konnten. Wir erblickten keinen Menschen, was uns natürlich nichts weniger als unlieb war.
Da begann der Boden plötzlich sich abwärts zu senken. Wir standen am Rande der Vertiefung, in deren Mitte Almaden sich erhob, oder vielmehr, wir standen am Ufer des einstigen Sees, dessen Mitte die Felseninsel eingenommen hatte, welche jetzt Almaden genannt wurde.
Ich hatte mich doch um ein weniges verrechnet, wohl infolge der Einförmigkeit der Gegend, welche eine genaue Schätzung schwer machte: Wir erreichten Almaden nicht von Süden, sondern von Südwesten her, was zwar gefährlicher war, weil ich die Indianer auf der Westseite glaubte, mir aber jetzt lieb sein konnte, da ich nun gleich die Stelle erblickte, welche ich sonst hätte suchen müssen, nämlich den Felsblock, von welchem der Player und der Herkules erzählt hatten.
Das riesige Felsenbollwerk, welches sich da drüben in der Mitte des einstigen Seebeckens erhob, war oben platt und bildete einen beinahe regelmäßigen Kubus, dessen Seiten fast genau nach den vier Winden lagen. Da wir vor der südwestlichen Ecke hielten, konnten wir die südliche und westliche Seite sehen. Die erstere stieg im allgemeinen auch senkrecht in die Höhe, hatte aber tiefe Risse und in der Mitte eine Schlucht, von welcher man gleich bei dem ersten Blicke sah, daß sie nach oben führte. Und das stimmte mit dem, was mir der Player gesagt hatte, nämlich, daß das Plateau von der südlichen und von der nördlichen Seite aus erstiegen werden könne.
Die westliche Seite bildete eine lotrechte Fläche, deren Regelmäßigkeit nur an ihrem unteren Teile, in der Mitte, unterbrochen wurde, denn dort lag der Block, welcher sich aus der Wand gelöst hatte und herabgestürzt war. Wir sahen ganz deutlich das Geröll, von dem die Lücke, welche zwischen ihm und der Wand lag, ausgefüllt wurde.
Um dorthin zu gelangen, hatten wir ungefähr zehn Minuten oder eine Viertelstunde zu gehen, durften dies aber nicht wagen, obgleich kein Mensch zu sehen war. Droben auf dem Plateau befanden sich jedenfalls Leute, und wenn einer von ihnen an der südlichen Kante stand, mußte er uns sehen, falls wir es wagten, uns zu nähern.
Zunächst war es notwendig, zu erforschen, wo die Indianer sich aufhielten. Das wollte natürlich ich tun, während der Mimbrenjo bei den Pferden blieb. Ich folgte dem Rande des einstigen Sees, indem ich mich nach Westen wendete. Da es keinerlei Deckung für mich gab, mußte ich die Augen offen halten, denn es war anzunehmen, daß, sobald ich einen Menschen sah, er mich in demselben Augenblicke auch sehen werde.
Schon war ich eine ziemliche Strecke gegangen, da bemerkte ich im Nordwesten kleine, dunstartige Wölkchen oder Wellen, welche langsam aufstiegen, sich ausbreiteten und verschwanden. Das war Rauch, und zwar der Rauch eines Indianerfeuers, welches mit nur ganz wenig Holz unterhalten wurde und also keinen dichten Rauch verursachte. Noch durfte ich eine kleine Weile aufrecht gehen; dann aber bückte ich mich auf die Hände nieder und lief genau wie ein Vierfüßler weiter.
Bald sah ich fünf oder sechs Zelte, bei denen sich Menschen bewegten. Als ich es gewagt hatte, mich noch mehr zu nähern, mußte ich mich ganz niederlegen und auf dem Bauche kriechen, sonst wäre ich gesehen worden. Es trennte mich jetzt nur eine so kurze Strecke von den Zelten, daß ich die Figuren erkennen konnte, mit denen sie gezeichnet waren.
Jeder Indianer pflegt sein Zelt, wenigstens sein aus Leinen gefertigtes Sommerzelt, mit seinem Namenszeichen oder mit einem Bilde, welches sich auf irgend einen hervorragenden Vorgang aus seinem Leben bezieht, zu versehen. Um eines dieser Zelte wand sich eine große, mit roter Farbe gemalte Schlange; auf einem andern war ein Pferd, auf dem dritten ein Wolf zu sehen. Zwischen ihnen gingen Indianer hin und her, oder sie saßen rauchend an der Erde. Vor dem Schlangenzelte standen zwei Lanzen; es schien das Zelt des Anführers zu sein.
Ich hatte genug gesehen, denn ich wußte nun, wo sich die Yumas befanden und welche Gegend ich infolgedessen zu meiden hatte, und wollte eben umkehren, als drei Personen aus dem genannten Zelte traten, zwei Männer und ein Frauenzimmer. Letzteres erkannte ich sogleich; es war Judith, die schöne Jüdin. Der eine der Männer war Melton und der andre ein Indianer, jedenfalls der Besitzer des Zeltes. Sie sprachen noch einige Augenblicke miteinander, dann verschwand der Indianer in seinem Zelte, und Melton ging mit der Jüdin fort, dem Bergwerke zu. Sie hing sich dabei an seinen Arm, eine Vertraulichkeit, bei welcher dem Herkules, wenn er sie gesehen hätte, das Blut in den Kopf gestiegen wäre.
Es war mir nicht unlieb, Melton sogleich bei meiner Ankunft zu sehen; aber dieser Umstand brachte mich in keine geringe Gefahr, denn die beiden kamen in einer so kurzen Entfernung von mir vorüber, daß mir hätte bang werden mögen. Ich lag auf lockerem Sande und warf so rasch wie möglich mit den Händen einen kleinen Haufen vor mir auf, welcher zwar nicht so hoch war, daß er hätte auffallen müssen, mir aber doch soviel Schutz gewährte, daß mich nur ein mißtrauisches Auge entdecken konnte.
Angst fühlte ich ganz und gar nicht. Wenn Melton mich sah, nun, so war trotzdem noch nichts verloren; ich wußte, was ich in diesem Falle zu tun hatte. Versicherte ich mich seiner Person, so war er eine Geißel, mit welcher ich mir die Roten vom Halse halten konnte. Doch war es besser, daß dieser Fall nicht eintrat; er ging mit Judith vorüber, ohne nur einmal dahin zu blicken, wo ich lag. Sie sprachen miteinander und lachten, waren also bei besserer Laune, als der Vater des Mädchens, welcher tief im Innern des vor mir liegenden Felsens steckte. Sie gingen nach der Nordseite desselben, um deren westliche Ecke ich sie verschwinden sah.
Nun konnte ich zurück; ich tat das so, wie ich gekommen war, erst auf dem Bauche kriechend, dann auf Händen und Füßen gehend und endlich, als man mich nicht mehr sehen konnte, aufrecht. Die Sonne war mittlerweile verschwunden, und die in jenen Gegenden so kurze Dämmerung begann. Als ich bei den Pferden ankam, stiegen wir auf und hatten nur noch wenige Augenblicke zu warten. Es mußte genau der Zeitpunkt benützt werden, an welchem es dunkel genug war, daß man uns nicht sehen konnte, aber auch noch hell genug für uns, um den Eingang zur Höhle ohne große Mühe zu entdecken.
Als dieser Moment gekommen war, galoppierten wir die Senkung hinunter und dann, unten auf dem Boden des früheren Sees angekommen, nach dem Blocke hinüber. Dort stiegen wir ab und erkletterten das Geröll, um dasselbe im Hintergrunde des Winkels von der Felswand zu entfernen.
Das ging rasch und bald bildete sich vor uns, zu unsern Füßen, ein Loch, welches desto größer wurde, je mehr Steine wir entfernten. Als es so erweitert war, daß ich hineinsteigen konnte, holte ich mir eine der Wachsfackeln und kletterte in das Innere der Höhle hinab. Das ging sehr leicht, weil das Geröll nach innen nur langsam abfiel.
Als ich den Boden erreicht hatte, fand ich den hohlen Raum ganz der Beschreibung des Players entsprechend. Er hatte weit über doppelte Manneshöhe und konnte leicht gegen hundert Menschen fassen. Die kleine Nebenhöhle enthielt sehr kaltes, jedenfalls kalkhaltiges Wasser. Den Hintergrund wollte ich später untersuchen, wenn wir die Pferde untergebracht hatten. Diese mußten natürlich auch herein in die Höhle, da wir sie draußen unmöglich stehen lassen konnten.
Wir sahen uns also genötigt, das Loch bis über Pferdehöhe zu erweitern, was keine angenehme Arbeit war, da wir nur die Hände dazu hatten und das lockere Geröll immer wieder nachrutschte. Als wir endlich soweit waren, holten wir die Pferde. Das war nun noch schwieriger. Andere Tiere hätten wir gewiß nicht in die Höhle gebracht, wenigstens nicht ohne einen Lärm, der uns verraten konnte; die beiden edlen Geschöpfe aber stiegen gehorsam auf den Geröllhaufen und wurden erst dann bedenklich, als es dann jenseits hinab in die Höhle gehen sollte. Das war ihnen doch nicht ganz geheuer. Ich bat und streichelte, doch vergeblich. Mein »Blitz« wollte gehorchen; er setzte den Vorderfuß einige Male vor, zog ihn aber schnell wieder zurück, weil das Gestein unter demselben wich. Endlich kam er doch vertrauensvoll herab-, allerdings mehr geglitten als gestiegen.
Dann begann dieselbe Prozedur mit dem »Iltschi« Winnetous, welcher noch schneller herabkam als der »Blitz«, indem er auf dem Schwanze Schlitten fuhr. Die guten Tiere durften zur Belohnung gleich Wasser trinken und bekamen ihre Portion Mais vorgelegt. Dann waren sie versorgt, und ich konnte den Hintergrund der Höhle untersuchen oder vielmehr besichtigen, da das Hinabblicken in einen Abgrund keine Untersuchung ist.
Ein Abgrund war es allerdings. Als ich einen Stein hinabwarf, dauerte es sehr lange und ich mußte scharf horchen, bis ein kaum hörbares Geräusch mir sagte, daß er aufgetroffen war. Wer da hinabfiel, war verloren.
Der Player hatte nicht gewußt, wie breit der Abgrund, die tiefe Felsenspalte war, da er nicht das nötige Licht zur Hand gehabt hatte. Meine Fackel leuchtete hell und weit genug, um mir, als ich hart an der diesseitigen Kante stand, die jenseitige zu zeigen. Ihn hatte die Finsternis getäuscht, ich aber sah, daß der Spalt nicht breiter als zehn oder elf Ellen war. Während ich da hinüberschaute, war der junge Mimbrenjo niedergekauert und machte sich mit dem Boden zu schaffen. Er untersuchte eine Stelle desselben erst mit dem Finger und begann dann, mit dem Messer zu graben.
»Will Old Shatterhand sehen, daß sich hier ein Loch befindet?« sagte er dabei, indem er die Erde, die es verstopfte, mit der Klinge herauswarf.
»Es wird durch Wasser, welches früher von der Decke tropfte, gebildet worden sein,« antwortete ich.
»Dann wäre dieses Loch rund; es hat aber Ecken.«
»So zeig her!«
Ich bückte mich nieder und half beim Graben. Wirklich! Es war ein mehr als fußtief in den Boden gemeißeltes viereckiges Loch von einer Männerspanne Durchmesser.
»Suchen wir, ob es das einzige ist,« meinte ich, und bald hatten wir noch drei andere entdeckt. Als wir die Erde, mit welcher sie gefüllt waren, entfernt hatten, sah der Mimbrenjo mich fragend an. Darum forderte ich ihn auf:.
»Wenn mein junger Bruder etwas über die Löcher sagen will, so mag er sprechen.«
»Ich kann nichts sagen,« antwortete er. »Man macht ein Loch, um etwas hineinzustecken. Was kann in diesen Löchern gesteckt haben? Old Shatterhand wird es gewiß wissen.«
»Es ist nicht schwer zu erraten, aber die Sprache meines Bruders hat kein passendes Wort dafür. Oder wüßtest du, was ein Bolzen oder eine Klammer ist?«
»Nein.«
»Ein Eisen oder ein Holz, welches in den Boden oder in die Wand geschlagen wird, um irgend einem Gegenstande oder einer Last Festigkeit und Halt zu geben. Die Last, um welche es sich hier handelt, ist eine Brücke über den Spalt. Wären wir drüben, so würden wir, wie ich vermute, vier ganz gleiche Löcher sehen.«
»Wo aber ist die Brücke?«
»Fort. Wahrscheinlich haben diejenigen, welche dieselbe zuletzt benutzten, sie in den Abgrund geworfen. Es hat verborgen bleiben sollen, daß man den Spalt mit einer Brücke überschreiten kann. Man hat die Löcher mit Absicht verstopft, damit Späterkommende sie nicht entdecken sollen. Die Augen meines jungen Bruders aber sind scharf gewesen.«
»Nicht die Augen, sondern ich fühlte die Erde, weil sie weicher als der Felsen war, mit der Spitze meines Fußes. Wäre die Brücke noch vorhanden, so könnten wir hinüber und dann weiterforschen.«
»Wir brauchen die Brücke nicht, denn wir werden in den Gang, welcher da drüben beginnt, auf andere Weise kommen. Er hat, wie ich vermute, ein Loch, in welches wir steigen werden.«
»Wann? – Heute abend?«
»Nein, sondern morgen. Das Loch ist zugemacht worden; ich würde es in der Dunkelheit nicht finden, und Licht dürfen wir draußen nicht anzünden; aber wenn es Tag geworden ist, werden wir in den Gang eindringen, um ihn zu untersuchen, jetzt wollen wir essen, und dann werde ich fortgehen, um die Gegend kennen zu lernen.«
»Wird Old Shatterhand mir erlauben, ihn zu begleiten?«
»Nein. Ich würde dich gern mitnehmen, aber du mußt um der Pferde willen bleiben.«
»Sie befinden sich hier in Sicherheit. Kein Yuma kann sie finden.«
»Das ist richtig; aber sie kennen die Höhle nicht; sie fürchten sich; sie verhalten sich ruhig, weil wir uns bei ihnen befinden. Ließen wir sie allein und im Finstern, so könnten wir sie später unten im Abgrunde suchen.«
Der Knabe mußte also bleiben, und ich ging, als wir unser frugales Abendessen verzehrt hatten, auf Entdeckungsreisen aus. Es hatte freilich nicht den Anschein, als ob große Entdeckungen zu machen seien, denn es war finster draußen; ich mußte warten, bis der Schein der Sterne heller wurde. Doch blieb ich nicht bei der Höhle stehen, sondern ging weiter, an der Felswand hin, bis ich die nördliche Ecke derselben erreichte. Dort setzte ich mich nieder, um zu warten.
Meine Absicht war, den auf das Plateau führenden Weg auszukundschaften, was bei der jetzigen Dunkelheit nicht nur erfolglos sein mußte, sondern mir überdies gefährlich werden konnte. Es war zwar nicht wahrscheinlich, aber doch möglich, daß jemand sich auf dem Wege befand und mich kommen hörte; in diesem Falle war vorauszusehen, daß mein Spaziergang einen für mich nicht sehr angenehmen Verlauf nehmen werde.
Da, wo ich saß, lagen mehrere Steine von verschiedener Größe. Auch das war ein Grund für mich, nicht weiter zu gehen, denn wenn es auf meinem Wege mehr solche Felsstücke gab, so mußte das beabsichtigte Schleichen in der Dunkelheit zu einem immerwährenden Stolpern und Stürzen werden.
So wartete ich wohl eine Stunde lang. Es herrschte tiefe Stille rings umher. Die erst so bleichen Sterne bekamen Glanz; ich konnte weiter sehen als vorher und stand eben im Begriff, von meinem Sitze aufzustehen und weiterzugehen, als ich Schritte hörte, welche näher kamen. Ich nahm natürlich an, daß der Nahende vorüber wolle, und duckte mich hinter einem der erwähnten Felsstücke nieder. Die Schritte kamen näher, gerade auf mich zu; ich sah die Gestalt eines Indianers, welcher nicht weit von mir stehen blieb und sich umsah. Als er niemand erblickte, ließ er einen halblauten Ausruf der Enttäuschung hören, kam noch näher und setzte sich auf einen Stein, welcher nicht weiter als drei Schritte vor mir lag.
Das war fatal, im höchsten Grade fatal! Die Steine lagen so, daß ich nicht zurückkonnte, ohne gehört zu werden. Vorwärts konnte ich auch nicht, denn da hätte ich gerade an ihm vorüber gemußt. Es blieb mir also nichts anderes übrig, als geduldig zu warten, bis er wieder ging.
»Uff!« hörte ich den Indianer nach langer Pause halblaut rufen. Er stand auf und trat einige Schritte vor. Es kam jemand – es war die Jüdin! Ich wurde Ohrenzeuge einer höchst interessanten Unterhaltung. Im Verlaufe derselben nannte er sich »Schlange«. Er war also der Inhaber des Zeltes, welches ich gesehen hatte, und der Anführer der hier liegenden dreihundert Yumas, ein Unterhäuptling des »großen Mundes«. Wie ich hörte, war sein englischer und spanischer Wortschatz ein für einen Yuma nicht gewöhnlicher; die Jüdin wußte nicht den zwanzigsten Teil davon und verstand kein Wort indianisch. Aus diesem Grunde konnten sie grammatikalisch einander das nicht sagen, was sie sagen wollten; aber sie verstanden einander doch, wenn es auch hier und da ein Mißverständnis gab, über welches man hätte aufschreien mögen. Wo Worte nicht ausreichten, wurde das Zeichen zu Hilfe genommen; kurz und gut, sie verstanden sich trotz aller sprachlichen Hindernisse, und ich verstand sie auch.
Er nahm sie, als sie kam, bei der Hand, führte sie zu dem Steine, auf welchem er gesessen hatte, und sagte:
»Schon glaubte die ›listige Schlange‹, daß die weiße Blume nicht kommen werde. Warum ließ sie ihn warten?«
Er mußte seine Frage mehrere Male wiederholen und ihr ein anderes Gewand geben, ehe sie dieselbe verstand und darauf antwortete:
»Melton hielt mich ab.«
Nun verstand er sie nicht; sie wiederholte ihre Worte und erklärte sie durch Zeichen.
»Was tut er jetzt?« fragte die Schlange.
»Er schläft,« antwortete sie weniger durch das Wort, als durch die Pantomime.
»Meint er, daß die weiße Blume auch schlafe?«
»Ja.«
»So ist er ein Tor, welcher betrogen wird, weil er selbst betrügen will. Die weiße Blume darf nicht glauben, was er sagt; er belügt sie und wird nicht halten, was er ihr versprochen hat.«
Jedem Satze folgte, da keiner sogleich verstanden wurde, eine mühevolle Pantomimenerklärung, wobei sie nach Worten suchten, welche gegenseitig bekannt waren. Mir machte dies Spaß; den Leser aber würde es langweilen, wenn ich die Unterhaltung so wiedergeben wollte, wie sie in Wirklichkeit geführt wurde; sie soll darum auf dem Papiere so glatt verlaufen, als ob die beiden der notwendigen Redeteile vollständig mächtig gewesen wären.
»Weißt du denn, was er mir versprochen hat?« fragte sie.
»Ich denke es mir. Hat er nicht gesagt, daß er dir große Reichtümer geben will?«
»Ja. Er meint, daß er durch dies Bergwerk bald eine Million verdient haben werde. Dann soll ich seine Frau werden, Diamanten, Perlen und allerlei kostbares Geschmeide haben, ein Schloß in der Sonora und einen Palast in San Franzisco.«
»Du wirst keine Edelsteine, kein Gold, kein Schloß und keinen Palast haben, denn er wird zwar viel Geld verdienen, es aber doch nicht besitzen.«
»Wieso nicht?«
»Das ist Geheimnis der Yumas. Aber selbst wenn es so käme, wie er denkt, würde er dir nichts davon geben. Du bist die einzige Blume in dieser Einsamkeit; nur darum trachtet er nach dir. Wenn es später andre gibt, wird er dich wegwerfen.«
»Das sollte er wagen! Ich würde mich rächen und alles verraten, was er hier begangen hat!«
»Das wirst du nicht können. Man kann, wenn eine Blume welk geworden ist und gefährlich werden will, sie hier leicht zertreten, anstatt sie bloß wegzuwerfen. Glaube mir, daß bei ihm keine deiner Hoffnungen sich erfüllen wird!«
»Das sagst du, weil du mich auch haben willst. Beweise es mir!«
»Die ›listige Schlange‹ kann beweisen, was sie behauptet. Sag mir, warum du zugegeben hast, daß dein Vater mit in das Bergwerk gegangen ist?«
»Weil er nicht arbeiten, sondern Aufseher sein und sich viel Geld verdienen soll.«
»Er ist angebunden wie jeder andere, muß arbeiten wie die andern und bekommt auch keine bessern Speisen als sie. Ich weiß, es ist ihm versprochen worden, daß er von Zeit zu Zeit herausgehen darf, um dich zu sehen und sich in der guten Luft zu erholen; aber das Versprechen wird man nicht halten.«
»Ich würde Melton zwingen, es zu halten!«
»Glaube das nicht! Über einen solchen Mann können die tausend schönsten Squaws der Erde keine Macht erlangen. Verlange, deinen Vater zu sehen! Er wird ihn nicht herauslassen.«
»So gehe ich fort und zeige ihn an!«
»Versuche das,« meinte der Rote mit einem kurzen Lachen. »Er wird dich auch einsperren. Dann wird in kurzer Zeit deine Schönheit zerstört und dein Körper von dem Gifte des Quecksilbers zerfressen sein. Er ist ein Betrüger; ich wiederhole es; mein Herz aber ist aufrichtig gegen dich. Was er dir nur zum Scheine bietet, das biete ich dir in Wirklichkeit. Wenn ich nur will, so werde ich reicher, viel reicher als Melton sein.«
»Ein Indianer und reich!« lachte sie.
»Zweifelst du daran? Wir sind die eigentlichen Besitzer des Landes, welches uns die Weißen genommen haben. Bei dem Leben, welches wir führen, bedürfen wir des Goldes und Silbers nicht. Wir wissen, wo es in den Bergen in großer Menge zu finden ist, sagen das aber den Bleichgesichtern nicht, obgleich wir es nicht brauchen. Aber wollte die weiße Blume in mein Zelt kommen und meine Squaw werden, so würde ich Gold und Silber haben, soviel sie haben will, und ihr alles geben, was Melton ihr versprochen hat und doch nicht geben wird.«
»Ist das wahr? Viel Geld, Geschmeide, ein Schloß, einen Palast, schöne Kleider und viele Diener?«
»Alles, alles das würdest du haben! Ich liebe dich sehr, wie ich kein rotes Mädchen lieben könnte. Ich könnte dich auch gegen deinen Willen zu meiner Squaw machen, denn wir roten Männer rauben die Mädchen, welche wir haben wollen und doch auf andere Weise nicht bekommen können. Aber du sollst freiwillig meine Squaw werden. Darum werde ich nicht Hand an dich legen, sondern warten, bis du sagst, daß du mir dein Herz geben willst. Kannst du das nicht jetzt sogleich sagen?«
Er stand auf, schlug seine Arme über der Brust zusammen und blickte forschend zu ihr nieder. Sie antwortete nicht. Ihr Leichtsinn war auf eine kleine Liebelei mit dem hübschen jungen Häuptlinge nicht ungern eingegangen; an die Folgen hatte sie nicht gedacht. Nun verlangte er von ihr, daß sie seine Frau werden solle! War es wahr, daß Melton sie betrügen wollte? War es wahr, daß der Indianer so reich sein konnte, wenn er wollte? Er stand wartend vor ihr und hielt den Blick scharf auf sie geheftet, als ob er die Gedanken sehen wolle, die sich jetzt in ihr bewegten. Als sie aber auch nach längerer Zeit noch mit der Antwort zögerte, unterbrach er das Schweigen:
»Ich weiß, was die weiße Blume denkt. Sie liebt den Reichtum, das Vergnügen, das Leben in den Städten der Bleichgesichter. Der rote Mann besitzt nichts als sein Zelt, sein Pferd und seine Waffe. Er lebt im Walde und auf der Savanne und versteht nichts von den Künsten und Genüssen der Bleichgesichter. Wie konnte die weiße Blume jemals den Gedanken hegen, die Squaw eines Indianers zu sein! Nicht wahr, es ist so?«
»Ja,« antwortete sie.
»Es wird aber anders werden, sobald du nur willst. Sag ja, und ich gehe augenblicklich, um deine Wünsche zu erfüllen. Meine Hand soll die deinige nicht eher berühren, als bis ich dir soviel Gold gebracht habe, wie du brauchst, um alle deine Wünsche zu erfüllen!«
Das wirkte; denn sie rief aus:
»Könntest du das wirklich? So viel Gold mir bringen?«
»Ich kann es.«
»Und spielt Melton wirklich ein falsches Spiel mit mir?«
»Prüfe ihn, indem du verlangst, deinen Vater zu sehen; aber sag ihm nichts davon, daß du mit mir gesprochen hast!«
»Gut, ich werde ihn auf die Probe stellen, und hält er mir nicht Wort, so werde ich ihn augenblicklich verlassen und zu dir kommen.«
»Das wird er nicht zugeben, sondern dich zwingen, bei ihm zu bleiben.«
»Was hätte ich in diesem Fall zu tun?«
»Nichts weiter als zu warten, denn ich fordere dich von ihm. Er befindet sich in unsern Händen. Wenn er es wagte, dich ohne Erlaubnis auch nur zu berühren, würde ich ihn töten. Komm, bis du dich entschlossen hast, an jedem Abend um dieselbe Zeit hierher. Wenn du nicht erscheinst, nehme ich an, daß dir etwas geschehen ist, und werde augenblicklich zu ihm gehen, um dich von ihm zu fordern.«
»Wirst du aber auch Wort halten?«
»Die ›listige Schlange‹ ist klug gegen alle Menschen; dich aber wird sie nie betrügen; du kannst dich auf mich verlassen. Howgh!«
Er wendete sich nach diesem indianischen Bekräftigungsworte zum Gehen, ohne ihr die Hand gegeben zu haben. Sie ließ ihn drei oder vier Schritte fort, da sprang sie auf, ihm nach, schlang die Arme um seinen Hals; ich hörte das Geräusch eines Kusses; dann kam sie schnell zurück und setzte sich wieder auf den Stein. War dies Berechnung, plötzliche Gefühlswallung oder eine Art Pränumerandodank für das Gold, welches er ihr versprochen hatte? Vielleicht ein weniges von allen dreien. Er blieb überrascht stehen, kehrte dann langsam zu ihr zurück und sagte:
»Die weiße Blume hat mir freiwillig gegeben, was ich mir jetzt noch nicht erbeten hätte. Sie mag bedenken, daß sie sich von jetzt an von keinem andern liebkosen lassen darf. Sobald es Tag geworden ist, stelle sie Melton auf die Probe, um sich zu überzeugen, daß er ihr nicht Wort halten wird. Morgen abend bin ich dann wieder hier, und wehe Melton, wenn er ihr ein Leid getan hat. Zum Dank aber für ihren Kuß will ich ihr etwas mitteilen, was sie sonst wohl nicht erfahren würde. Von den Bleichgesichtern, welche wir hierher führten, ist eins entkommen; es war ein hoher, starker Mann, den die weiße Blume kennen wird.«
»lch kenne ihn.«
»Ja, du kennst ihn, und zwar besser, als du die andern kanntest.«
»Woher weißt du das?«
»Das Auge, mit welchem er dich bewachte, hat es mir gesagt. Du hattest ihn lieb?«
»Nein. Er ist mir nachgelaufen.«
»Dann wird es dich nicht betrüben, wenn ich dir sage, daß er tot ist.«
»Tot? Woher weißt du das?«
»Die beiden Wellers haben ihn verfolgt und erschlagen. Die Geier werden seinen Leib nun schon gefressen haben. «
Sie saß eine Weile stumm; dann rief sie aus:
»Es ist so ganz recht gekommen. Er war mir widerwärtig, und nun bin ich ihn los!«
4a, er wird nicht zurückkehren; ich aber bin morgen wieder hier. Howgh!«
Er entfernte sich. Sie blieb sitzen, nachdenklich und ohne sich zu bewegen. Dann schnippste sie mit den Fingerspitzen, wie man es macht, wenn man eine Grille, einen unangenehmen Gedanken verjagt, und begann, leise vor sich hin zu trällern. Es war die Melodie eines alten Gassenhauers. Als sie aufstand und fortging, hätte ich ihr nur zu folgen brauchen, um den Aufstieg nach dem Plateau schnell kennen zu lernen; es fiel mir aber nicht ein, dies zu tun, denn ich kannte das Indianerleben zu genau, um nicht zu wissen, daß die »listige Schlange« sich nicht ganz entfernt hatte. Er folgte ihr jedenfalls von fern, um sie heimlich zu begleiten, bis sie oben angekommen war. Er konnte sogar Veranlassung finden, oben zu bleiben, weshalb mir die Vorsicht gebot, heute lieber auf die Rekognoszierung zu verzichten, als mich und mein Unternehmen in Gefahr zu bringen. Ich kehrte also nach der Höhle zurück, auch so ganz zufrieden mit dem Ergebnisse meines kurzen, nächtlichen Schleichganges.
Wenn ich alles, was ich erfahren hatte, summierte und überlegte, welche Vorteile ich daraus ziehen konnte, so brachte ich jetzt einen viel größeren Nutzen mit, als ich bei dem Ausgange beabsichtigt hatte. Die Kenntnis des Weges konnte ich mir später auch holen; heute brauchte ich sie noch nicht; aber was ich gehört hatte, mußte, falls ich es richtig verwertete, mir ungeahnten Nutzen bringen. Wir konnten dadurch zum Ziele gelangen, ohne auf noch mehr Mimbrenjos warten zu müssen, um die Yumas zu besiegen. ja, wenn ich länger darüber nachdachte, so erschien mir etwas als sehr möglich, was ich vorher für eine absolute Unmöglichkeit gehalten hätte, nämlich, daß es mir gelingen werde, allein und ohne die Hilfe Winnetous und unserer Begleitung unsern Zweck zu erreichen, und zwar ohne jeden Kampf, auf friedlichem Wege.
Was war diese Judith für ein Geschöpf! Wie gelassen hatte sie die Nachricht von dem Tode ihres früheren Bräutigams aufgenommen! Mit einem Fingerschnippsen hatte sie die Kunde beantwortet, daß er von den Geiern aufgefressen worden sei! Armer Herkules! Freilich wurde ich mit diesem Leichtsinne einigermaßen dadurch versöhnt, daß ich mich in Bezug auf ihren Vater in ihr geirrt hatte. Er war nicht so ganz gefühllos von ihr verlassen worden, sondern sie glaubte ihn in einer erträglichen Lage. Das Benehmen der »listigen Schlange« hatte mir eine gewisse Achtung abgewonnen; er war ein Charakter und jedenfalls ein besserer Mensch, als sein Name vermuten ließ. Man konnte mit Zuversicht wagen, mit ihm in Unterhandlung zu treten. Er liebte die Jüdin, die für mich jetzt eine wichtige Person, ein wertvolles Tauschobjekt geworden war. Ich gestehe nämlich aufrichtig, daß ich entschlossen war, etwas ganz Verdammenswertes zu treiben – ein wenig Menschenhandel! Ich wollte Judith festnehmen, um durch sie Macht über die »falsche Schlange« und seine Yumas zu bekommen. Ich hätte mich ihrer gleich vorhin, nach seiner Entfernung, bemächtigt, wenn ich nicht überzeugt gewesen wäre, daß er sich noch in der Nähe befand, und wenn ich auch über andere Dinge genügsam unterrichtet gewesen wäre.
Als ich in der Höhle ankam, wagte der Mimbrenjo nicht, mich zu fragen, und ich hielt es nicht für nötig, ihn über meine Erfolge zu unterrichten. Ich sagte ihm nur, daß wir jetzt schlafen würden, um schon bei Tagesgrauen aufzustehen; dann legte ich mich auf meine Decke und schlief nach dem anstrengenden und heißen Tage bis zur angegebenen Zeit, ohne ein einziges Mal aufzuwachen. Der Mimbrenjo war wohl noch ermüdeter gewesen, als ich, hatte es sich aber nicht anmerken lassen, denn ich mußte ihn wecken und brachte ihn nicht gleich aus dem Schlafe.
Es handelte sich jetzt darum, den Gang zu untersuchen. Nachdem wir die Pferde versorgt hatten, machten wir uns ans Werk. Draußen auf dem Geröll angelangt, war es zunächst unsere Sorge, dasselbe wieder vor dem Eingange so aufzuhäufen, daß derselbe verdeckt war. Der Zufall konnte doch einen Yuma herführen.
Dann stiegen wir hinab, um an der andern Seite des Felsblockes wieder emporzuklettern. Wir konnten von hier aus das Indianerlager sehen. Es zeigte sich noch keine Spur von Leben in demselben. Dennoch waren wir so vorsichtig, uns kriechend zu bewegen. Wir fanden die Windungen, von denen der Herkules gesprochen hatte, und hielten bei der von ihm bezeichneten an. Er war der Meinung gewesen, daß ich die Stelle sofort erkennen würde, und hatte recht gehabt. Er war in solchen Dingen ungeübt und hatte das Loch so zugedeckt, daß ein erfahrenes Auge sich gar nicht täuschen konnte. Der Ort war von dem Indianerlager aus nicht zu sehen; darum durften wir uns frei bewegen.
Wir räumten das Gestein vorsichtig weg; dadurch entstand eine Öffnung, in welche selbst ein starker Mann steigen konnte, so weit war sie. Wir sahen die Steine liegen, aus denen der Herkules Stufen gebildet hatte, und stiegen hinab. Sie waren behauen, was mich vermuten ließ, daß der Gang oder Stollen seinen Ursprung nicht Indianern zu verdanken hatte. Er lief nicht waagrecht, sondern geneigt in das Innere des Berges.
Zunächst untersuchten wir ihn nach rechts, also aufwärts. Das dazu nötige Licht hatten wir uns natürlich mitgebracht. Schon nach wenigen Schritten kamen wir an den Abgrund, jenseits dessen unsere Höhle lag. Die Pferde erkannten unsere Stimmen und kamen drüben herbei. Sie hatten die Nacht in der Höhle zugebracht und fürchteten sich nicht mehr, doch wollte ich sie nicht so nahe an dem Abgrunde haben und trieb sie durch Zurufe zurück. Als ich dann meinem Hatatitla befahl: »Iteschkosch – lege dich!« gehorchte er, und Winnetous Pferd legte sich sogleich auch nieder. Ich war sicher, daß sie vor unserer Rückkehr nicht aufstehen würden.
Wir fanden an dem Rande des Spaltes vier mit den gestern gefundenen übereinstimmende Löcher; es war früher also wirklich ein künstlicher Übergang vorhanden gewesen. Dann wendeten wir uns zurück, um dem Gange abwärts, nach innen, zu folgen.
Er war ein wenig über mannshoch, so daß ich mich nicht zu bücken brauchte, und ungefähr drei Fuß breit. Die Wände zeigten Spuren des Spitzeisens oder der Spitzhacke und zuweilen auch Teile der Rundungen von Bohrlöchern. Man hatte die festeren Teile des Gesteins mit Pulver gesprengt; der Gang war also gewiß von Weißen angelegt worden. Er führte meist durch Fels. Wo er auf Spalten oder Klüftungen gestoßen war, hatte man behauene Steine angewendet.
Wir schritten tiefer hinein, ohne daß uns ein Hindernis entgegengestoßen wäre. Die Luft war wider alles Erwarten ganz erträglich. Dieser Umstand machte mich auf unsere brennende Fackel aufmerksam; die Flamme brannte nicht grad aufwärts, sondern wehte, wenn auch nur ganz leise und kaum bemerklich, in den Gang hinein, Es war also eine Zirkulation der Luft vorhanden. Die frische Luft kam hinter uns her und folgte dem Gange. Da sie sich bewegte, mußte sie irgend einen Abfluß haben. Sollte dieser Stollen mit dem Schachte in Verbindung stehen? Das war leicht möglich, da sein Lauf ostwärts gerichtet war, nach der Mitte des Felsens, wo sich, wie ich wußte, der Schacht befand.
Wir waren schon über dreihundert Schritte gegangen, als der Mimbrenio auf einen eingemauerten Stein zeigte.
»Eine Schrift!« sagte er. »Aber es ist keine Indianerschrift.«
Als ich die Stelle mit der Fackel beleuchtete, konnte ich ganz deutlich lesen: Alonso Vargas of. en min. y comp. A. D. MDCXI Ich ergänzte mir die Abkürzungen zu »Alonso Vargas, oficial en minas y compa(eros, Anno Domini MDCXI« oder zu deutsch: »Alonso Vargas, Bergsteiger, und Genossen, im Jahre des Herrn Eintausendsechshundertundelf.« Es waren also bis heut mehr als zweihundertfünfzig Jahre vergangen, seit dieser spanische Bergmann den Stollen angelegt hatte. Ich notierte mir die Inschrift, denn es war mir neu, daß die Spanier damals soweit in die entlegenen Gegenden von Mexiko, welches sie Neuspanien nannten, vorgedrungen waren.
Dann ging es weiter, immer weiter, bis der Gang zu Ende war. Er wurde, so breit und hoch er war, durch eine aus Hausteinen errichtete Mauer verschlossen. Dennoch wehte die Flamme der Fackel nach vorwärts, nach dieser Mauer hin, obgleich keine Öffnung zu sehen war. Als ich die Wand daraufhin untersuchte, fand ich, daß sie eine Art Sieb bildete. Der Mörtel, welcher die Steine verband, war da, wo die Ecken derselben zusammentrafen, weggelassen worden, wodurch Löcher entstanden oder vielmehr geblieben waren, welche man nur dann bemerkte, wenn man, durch den Luftzug auf sie aufmerksam gemacht, nach ihnen suchte. Dabei bemerkte ich auf einem der Steine die mit einem spitzen Werkzeuge flüchtig eingegrabene Inschrift E. L. 1821. Das E. L. waren jedenfalls die Anfangsbuchstaben eines Namens; die Zahl sagte, daß der Gang im Jahre 1821 durch die Mauer verschlossen worden war, aus welchen Gründen, das konnte mir gleichgültig sein. jedenfalls hatte man da auch die über den Abgrund führende Brücke weggenommen und den Eingang der Höhle, welcher zugleich auch Eingang des Stollens war, mit dem Geröll verschüttet. Die Löcher waren in der Mauer gelassen worden, damit die Luft fortzirkulieren könne und, falls das Bergwerk später wieder in Bau genommen werden solle, beim Eindringen der Arbeiter das Leben derselben nicht durch tödliche Gase gefährdet sei.
Was nun tun? Wir lauschten. Hinter der Mauer machte sich kein Leben bemerkbar. Ich wagte zu klopfen, und erhielt keine Antwort. Dennoch pochte mein Herz vor Freude, denn ich war überzeugt, daß jenseits dieser Mauer meine Landsleute zu finden seien. Wenn ich mich in dieser Voraussetzung nicht täuschte, konnte ich sie wahrscheinlich ohne alle Gefahr für mich und sie befreien. Es galt also, durch die Mauer zu kommen. Wir mußten Steine aus derselben brechen. Aber womit? Wir hatten keine andern Werkzeuge als unsere Messer. Die Löcher bildeten gute Ansatzpunkte für dieselben; aber der Mörtel war eisenhart, und nach einem kurzen Probieren kamen wir zu der Überzeugung, daß wir wahrscheinlich den ganzen Tag zu arbeiten hätten, um nur einen Stein aus den Fugen zu lösen. Dennoch machten wir uns an die Arbeit; wir hatten ja nichts weiter zu tun, da wir am hellen Tage draußen nichts vornehmen konnten.
Wir arbeiteten, bis die beiden Fackeln, welche wir mitgenommen hatten, verbrannt waren, und dann noch einige Zeit im Finstern. Als wir von der Anstrengung so ermüdet waren, daß wir der Ruhe bedurften, kehrten wir nach der Höhle zurück, in welcher die Pferde noch genau so lagen, wie sie sich auf meinen Befehl hingelegt hatten. Sie durften aufstehen und bekamen eine kleine Portion zu fressen. Wir aßen auch und kehrten dann in den Stollen zurück, nachdem wir uns mit einigen Fackeln und mehreren Lichtern versehen hatten. Auch die Gewehre nahmen wir mit, weil wir sie als Hebel oder Brechstangen zu brauchen meinten.
Den Mörtel zwischen zwei Steinen herauszukratzen, scheint gar nicht schwer und anstrengend zu sein; wir mußten aber doch oft innehalten, um einige Minuten auszuruhen. Endlich – meine Uhr zeigte sieben Uhr nachmittags – hatten wir den ersten Stein los. Ich blickte durch das dadurch entstandene Loch. Jenseits der Mauer herrschte tiefes Dunkel und ebenso tiefe Stille. Der zweite Stein machte uns weniger Mühe; er folgte dem ersten schon nach zwei Stunden; nach wieder einer Stunde hatten wir den dritten los. Es war zehn Uhr. Um Mitternacht waren sieben Steine ausgewuchtet, und um ein Uhr konnten wir durch die Öffnung kriechen, was natürlich mit der größten Vorsicht und ohne Licht geschah. Wir hatten unsere Fackeln sogar ausgelöscht, da der Schein durch die Öffnung hinüberfiel.
Als sich nun nichts Verdächtiges regte, wagten wir es, eine Kerze anzubrennen und mit hinüberzunehmen. Da sahen wir denn zunächst, daß die Mauer auf dieser Seite, die kleinen Löchelchen abgerechnet, mit einem so gefärbten Mörtel überzogen worden war, daß man sie von dem angrenzenden Felsen nicht unterscheiden konnte.
Wir befanden uns in einem breiten und ziemlich hohen Gange, welcher von natürlichen Säulen, stehengelassenen Steinblöcken, getragen wurde. Er war abgebaut und gab also keinen Ertrag mehr. Daher die Stille, welche hier herrschte. Der Luftzug wollte uns nach rechts führen, dennoch wendeten wir uns erst nach links, um zu wissen, was wir hinter uns hatten. Wir kamen nicht weit, denn schon nach wenigen Schritten war der Gang zusammengestürzt. Die Schuttmassen geboten uns Halt; darum kehrten wir zurück, um dem Gange nach rechts zu folgen.
Da sahen wird denn bald eine Menge Werkzeuge längs der Wände liegen. Wir kamen, wie es schien, in eine begangene Gegend. Der Luftzug wurde auch wahrnehmbarer. Dann kamen wir an eine Erweiterung des Ganges, eine viereckige Kammer, in deren Mitte wir einen starken Holzkasten erblickten, welcher aus dem Boden und drei Wänden bestand. An seinen vier Ecken waren starke, aus Riemen zusammengedrehte Seile befestigt, welche mit den andern Enden an einer Kette hingen, die nach oben führte. Dort hinauf gab es eine Öffnung, welche einen etwas größeren Durchmesser als der Kasten hatte. Die Öffnung war jedenfalls der Schacht, denn die Luft stieg hier nach oben. Der Kasten bildete den Förderstuhl, welcher an der wandlosen Seite beladen wurde. Es lagen da herum noch verschiedene Gegenstände, denen ich jetzt keine Beachtung schenkte, weil meine Aufmerksamkeit von zwei Türen gefesselt wurde, welche aus schwerem, sehr roh bearbeitetem Holze bestanden und durch starke Riegel verschlossen waren. Die eine lag dem Gange gegenüber, aus welchem wir kamen, die andere uns zur rechten Hand. Wahrscheinlich führten sie nach dem jetzt in Abbau begriffenen Teile des Bergwerkes, da es sonst keinen Gang oder Stollen gab.
Wir wendeten uns zunächst nach der rechts von uns liegenden Tür und schoben die beiden Riegel zurück. Der Mimbrenjo hielt die Fackel. In dem Augenblicke, in welchem die Tür offen war, stürzte aus derselben eine weibliche Gestalt auf mich zu, krallte mir die zehn Fingernägel in den Hals und kreischte in deutscher Sprache:
»Elender Bösewicht! Bist du schon wieder da! Laß mich hinauf, oder ich erwürge dich!«
Die Begrüßung war keine sehr freundliche; ich nahm sie aber nicht Übel, da sie jedenfalls an eine andere Adresse gerichtet war, schob die Arme des wütenden Wesens, in welchem ich zu meiner Überraschung die Jüdin erkannte, von mir ab, hielt sie fest, um den Nägeln nicht Gelegenheit zu geben, meinen Hals abermals einer so eindringlichen Lokalinspektion zu unterwerfen, und antwortete:
»Bitte, Fräulein, wollen Sie bemerken, daß Sie sich in der Person irren! Ich komme nicht in der Absicht, von zarter Hand zu sterben.«
Der Mimbrenjo leuchtete mir ins Gesicht. Sie erkannte mich und rief aus:
»Sie sind es, Sie? Gott sei Dank! Sie werden mich nicht hier stecken lassen!«
»Nein. Ich werde Sie in die Freiheit führen. Wer hat Sie denn hier eingesperrt?«
»Melton, dieses Scheusal, dieser Teufel in Menschengestalt.«
»Wie hat er Sie denn hier heruntergebracht? Es kann doch nicht leicht sein, jemand, der sich wehrt, in die Tiefe zu schaffen.«
»Durch List. Ich bin ihm freiwillig gefolgt. Wir fuhren im Förderkasten herab.«
»So hat er Ihnen etwas weisgemacht, Ihnen vielleicht gesagt, daß er Ihnen Ihren Vater zeigen will?«
»Ja, das hat er gesagt; ich sollte meinen Vater heraufholen. Sie wissen, daß er hier eingesperrt ist?«
»Das weiß ich. Ich weiß überhaupt mehr, als Sie denken. So weiß ich zum Beispiele, daß die listige Schlange, der junge Häuptling der Yumas, gestern mit einer Dame redete, die ihn so in Entzücken versetzt hat, daß er ihr Edelsteine, Gold, ein Schloß, einen Palast, schöne Kleider und viele Diener zur Verfügung stellen wird.«
Sie errötete nicht, wie es sicher bei einem andern Mädchen der Fall gewesen wäre. Sie antwortete vielmehr ganz unbefangen:
»Haben Sie mit ihm gesprochen?«
»Nein.«
»War er bei Melton?«
»Das weiß ich nicht. Es steht aber zu erwarten, daß er noch zu ihm gehen wird, wenn er noch nicht bei ihm gewesen ist.«
»Ich warte auf ihn und dachte, als ich Sie erkannte, er hätte Sie geschickt, um mich herauszuholen. Erst hielt ich Sie für Melton, diesen Schurken.«
»Und doch haben Sie zu ihm gehalten!«
»Weil er mir große Versprechungen machte.«
»Ja, Gold und Geschmeide, ein Schloß und einen Palast. Haben Sie denn das wirklich glauben können? Der Umstand, daß er Ihre Landsleute hierher lockte, um sie einzusperren und für sich arbeiten zu lassen, mußte Ihnen doch unbedingt sagen, daß bei ihm von Ehrlichkeit keine Rede sein kann. Wie haben Sie sich die Zukunft der armen Menschen denn eigentlich gedacht?«
»Gar nicht schlimm. Sie sollten hier unten solange arbeiten, bis sie eine gewisse Anzahl von Zentnern Quecksilber zu Tage gefördert hatten; das hätte gar nicht lange gedauert; er wäre dadurch ein steinreicher Mann geworden, hätte sie dann freigelassen und jedem soviel Geld gegeben, daß auch sie nun ohne Arbeit hätten leben können.«
»Das haben Sie ihm geglaubt?«
»Ja.«
»Hm, dazu gehört sehr viel. Ich will Ihnen sagen, wie es gekommen wäre. Durch die hier unten herrschende Luft, die schlechte Nahrung und die eingeatmeten Quecksilberdämpfe wäre der Körper jedes Arbeiters in kurzer Zeit zerstört worden, und nach zwei oder drei Jahren hätte keiner mehr gelebt. Das wäre der entsetzlichste Massenmord gewesen, der sich denken läßt, und Sie wären dabei seine Mitschuldige geworden.«
»Zwei oder drei Jahre? Solange sollte es nicht dauern; es ist nur von einigen Monaten die Rede gewesen.«
»In so kurzer Zeit wird man nicht so reich, daß man so vielen Menschen soviel geben kann, daß sie ohne Arbeit leben können. War es denn Ihr Ernst, seine Frau zu werden?«
»Warum nicht?«
»Und nun wollen Sie die listige Schlange heiraten?«
»Ja, Melton zur Strafe!«
»Und Ihr einstiger Verlobter, der Ihnen so treu ergeben ist!«
»Was geht er mich noch an? Übrigens ist er jetzt tot.«
»Ja, von den Geiern aufgefressen! Sie scheinen fast ebensowenig Gewissen zu haben wie Melton, und fast hätte ich Lust, Sie wieder einzusperren und Ihrem Schicksale zu überlassen.«
Ich hatte ihre Arme längst losgelassen, so daß sie sich frei bewegen konnte. Sie stand noch zwischen mir und der Tür, drängte sich jetzt aber rasch an mir vorüber und rief aus:
»Das werden Sie nicht tun! Kein Mensch bringt mich wieder in dieses Loch!«
»Nun, es fällt mir auch nicht ein, meine Worte wahr zu machen. Sie werden frei sein.«
»Das würde ich auch, wenn Sie mich wieder einsperrten, denn der Häuptling käme ganz gewiß, um mich wieder herauszulassen.«
»Wenn er kann!«
»Meinen Sie, daß er verhindert werden könnte?«
»Ja, von Melton.«
»Der kann ihm nichts tun; er hat ihn in der Hand.«
»Das hat der Häuptling Ihnen gestern allerdings gesagt, aber es ist sehr möglich, daß Melton ihn viel eher in seine Hände nimmt. Und wenn dies geschieht, so tragen Sie die Schuld.«
»Wieso?«
»Das kann ich erst dann sagen, wenn ich weiß, was Sie mit Melton gesprochen haben. Die listige Schlange riet Ihnen, ihn auf die Probe zu stellen. Wie haben Sie das angefangen?«
»Sagen Sie mir erst, woher Sie alles so genau wissen! Sie behaupten, nicht mit dem Häuptling gesprochen zu haben, und können das, was Sie wissen, doch nur von ihm erfahren haben.«
»Ich lag hinter dem Steine, auf dem Sie mit ihm saßen, und belauschte Sie.«
»Das haben Sie gewagt, das? Wenn der Häuptling Sie bemerkt hätte, wären Sie von ihm erschossen oder erstochen worden.«
»Das geschieht nicht so schnell und leicht, wie Sie anzunehmen scheinen. Hätte er mich bemerkt, so wäre dies jedenfalls für ihn gefährlicher gewesen, als für mich. Nun sagen Sie mir, wie Sie es angefangen haben, Meltons Ehrlichkeit auf die Probe zu stellen.«
»So, wie der Häuptling mir geraten hat. Da Sie uns belauscht haben, müssen Sie es doch wissen.»
»Sie haben also Ihren Vater zu sehen verlangt?«
»Ja. Er antwortete, daß ich noch warten Solle, weil mein Vater notwendig hier unten gebraucht werde; ich ließ mich aber nicht damit von ihm abspeisen, sondern bestand auf meinem Verlangen und drohte schließlich, daß ich ihn verlassen würde.«
»Was antwortete er?«
»Er lachte und sagte, daß ich ohne den Vater doch gar nicht fortkäme. Dann drohte ich ihm mit dem Häuptlinge.«
»Ah, habe es mir doch gedacht! Damit haben Sie doch verraten, daß Sie mit dem Indianer im Einvernehmen stehen.«
»Was schadet das? Er mußte wissen, daß ich auch ohne den Vater nicht so sehr, wie er dachte, ohne allen Schutz und alle Hilfe dastehe.«
»Sie werden aber doch gleich einsehen, daß Sie damit keineswegs sehr pfiffig gehandelt haben. Ich vermute, daß Sie nicht nur den Namen des Roten als denjenigen Ihres Beschützers genannt, sondern noch mehr ausgeplaudert haben.«
»Warum sollte ich nicht antworten, wenn er mich danach fragte!«
»Aus Klugheit. Haben Sie ihm etwa gesagt, daß die rote Schlange Ihnen einen Antrag gemacht und Ihnen ganz dasselbe Glück und Wohlleben versprochen hatte, wie vorher Melton?«
»Ja.«
»Und daß er Melton packen will, falls dieser Ihnen irgend eine Gewalt antun würde?«
»Gerade das mußte ich besonders erwähnen.«
»Dann danken Sie Gott, daß ich gekommen bin! Denn die listige Schlange hätte Sie nicht aus diesem Schacht geholt.«
»O, er wäre ganz gewiß gekommen.«
»Er kann es nicht. Nachdem Sie so unvorsichtig gewesen sind, Melton alles mitzuteilen, weiß dieser, woran er mit dem Roten ist. Er kennt in demselben nun nicht nur einen Nebenbuhler, sondern weiß auch, daß er ihm mißtraut und jede an Ihnen etwa begangene Strenge rächen will.«
»Das schadet nichts, denn ich weiß, daß er sich in der Gewalt der Yumas befindet und sich vor Ihrem Häuptlinge fürchten muß.«
»Und ich weiß, daß es ihm ganz im Gegenteile gar nicht einfällt, sich zu fürchten. Sie selbst sind der Beweis dafür. Er hat Sie trotz allem, was Sie gesagt und womit Sie gedroht haben, eingesperrt. Das beweist doch, daß er sich vor dem Indianer nicht fürchtet.«
»Er wird sehr bald einsehen, daß er sich irrt, denn ich habe ihm gesagt, daß die listige Schlange mich heute erwartet und nach mir forschen wird, wenn ich nicht komme.«
»Ah, das meinen Sie, klug angefangen zu haben und doch ist's das Törichtste, was Sie tun konnten, denn Melton ist nun vorbereitet und wird sich auf den Empfang Ihres roten Beschützers eingerichtet haben. Es steht zu erwarten, daß dieser nun selbst des Schutzes wenigstens ebenso bedarf wie Sie.«
»Denken Sie etwa, daß er sich an ihm vergriffen hat? Das brächte ihm doch den ganzen Stamm der Yumas auf den Hals, die sich an ihm rächen würden!«
»Glauben Sie doch das nicht! Melton, den Sie selbst einen Teufel in Menschengestalt nennen, ist nicht so dumm, das, was er tut und vielleicht schon getan hat, sie wissen zu lassen. Er kann den Häuptling unschädlich machen und beiseite schaffen, ohne daß sie es jemals erfahren. Sie haben, davon können Sie überzeugt sein, Ihren roten Anbeter durch Ihre Schwatzhaftigkeit in die größte Gefahr gebracht.«
»Wenn das wirklich der Fall sein sollte, so hoffe ich, daß Sie ihn aus derselben erretten werden! Unter den obwaltenden Umständen steht sehr zu erwarten, daß Melton gleich zu dem schlimmsten Mittel greift.«
»Wissen Sie übrigens, wo sich Ihre Landsleute befinden? Sie müssen doch mit Melton darüber gesprochen haben.«
»Wir haben oft von ihnen geredet, aber nicht so ausführlich.«
»Die Leute müssen doch essen und trinken. Wer versorgt sie mit Speise und Trank?«
»Melton sagte, daß Wasser unten sei; gefüttert werden sie einstweilen von zwei Indianern.«
»Was bekommen sie zu essen?«
»Nichts als Maiskuchen, die ich mit den Indianerinnen gebacken habe.«
»Da die Arbeiter nicht freiwillig hier sind, muß man sie gefangen halten und die notwendigen Maßregeln getroffen haben, daß sie nicht entfliehen und sich an denen, die sie zu versorgen haben, vergreifen können. Was für Vorkehrungen hat man da getroffen?‹
»Sie haben Hand- und Fußschellen.«
»Wie hat Melton hier in dieser Wildnis zu solchen Marterwerkzeugen kommen können?«
»Er hat sie mitgebracht. Die Indianer, welche uns transportierten, hatten alle notwendigen Gegenstände auf ihre Packpferde geladen.«
»Können die Bedauernswerten denn in ihren Fesseln arbeiten?«
»Wahrscheinlich; aber jetzt arbeiten sie noch nicht. Die Arbeit wird erst beginnen, wenn noch einige Weiße angekommen sind, auf welche Melton wartet. Diese sind teils Aufseher und teils Sachverständige.«
»Hat man sie einzeln eingesteckt, oder befinden sie sich beisammen?«
»Soviel ich weiß, stecken sie beisammen.«
»Sie werden jetzt von zwei Indianern versorgt. Diesen können sie doch trotz der Hand- und Fußschellen gefährlich werden!«
»Nein, denn es ist stets eine starke Tür dazwischen. Hoffentlich werden Sie dieselbe öffnen können?«
»Auf alle Fälle.«
»Dann lassen Sie die Gefangenen heraus?«
»Natürlich.«
»Und was geschieht mit Melton? Wollen Sie den vielleicht laufen lassen?«
»Den lasse ich nicht laufen, sondern hängen!«
»Ich will Ihnen sagen, wie Sie das anzufangen haben. Draußen im Freien dürfen Sie ihn nicht angreifen, denn er würde Sie niederschießen.«
»Das befürchte ich nicht.«
»O doch, denn er ist stets mit zwei Revolvern bewaffnet. Die legt er aber ab, sobald er sich daheim befindet. Sie müssen ihn also in seiner Wohnung aufsuchen.«
»Das beabsichtige ich allerdings, obgleich ich mich vor seinen Revolvern nicht fürchte.«
»Kennen Sie denn seine Wohnung?«
»Nein. Ich weiß nur, daß man in den Schacht steigen muß, um zu ihr zu gelangen; ich denke aber, daß Sie mir eine Beschreibung von ihr geben werden.«
»Das kann ich, denn ich kenne sie genau. Sie ist von einem gewissen Eusebio Lopez gebaut worden.«
»Eusebio Lopez? Ich habe vorhin die beiden Buchstaben E. L. gesehen; das werden die Anfangsbuchstaben dieses Namens sein. Die Wohnung ist zugleich ein Versteck, kann also wohl nicht sehr geräumig sein.«
»O, sie ist groß genug. Es hat oben auf dem Felsen eine Rinne gegeben, welche Lopez einfach zugemacht hat; dadurch ist ein verdeckter Gang entstanden, welcher im Schacht beginnt und nach der Wohnung führt. Die Rinne ist an ihrem Ende, an der Felsenwand, sehr breit gewesen, und Lopez hat sie durch Mauern abgeteilt, wodurch mehrere Stuben entstanden sind, die wir bewohnen. Die äußere Wand sieht gerade wie der Felsen aus, weshalb man von unten nicht bemerken kann, daß da oben eine Wohnung ist. Die Fenster sind Mauerlöcher, die in der Entfernung gar nicht auffallen können.«
»Wie tief steigt man in den Schacht, um in den Gang zu kommen?«
»Vielleicht zwanzig Stufen eine Leiter hinab.«
»Ich sehe aber hier einen Förderkasten, welcher an einer Kette hängt; da ist doch anzunehmen, daß es oben eine Welle, einen Göpel gibt, durch welchen man den Kasten in die Höhe zieht?«
»Ein solcher Göpel ist allerdings da.«
»So ist die Leiter eigentlich überflüssig.«
»Sie führt auch nicht bis ganz herab, sondern nur bis in den Gang. Wer von da aus herunter will, muß in den Kasten steigen.«
»Gut. Und nun die Wohnung!«
»Die besteht aus vier Stuben. Zwei liegen am Ende des Ganges und zwei an den Seiten desselben.«
»In welcher ist Melton zu finden?«
»Wenn Sie dem Gange folgen, so liegt rechts der Raum, in welchem die alten Indianerinnen wohnen; links wohnte ich. Dann haben Sie zwei Türen vor sich, die hart nebeneinander liegen. Rechts wohnen die Weller, und links befindet sich Melton.«
»Was für Schlösser haben die Türen?«
»Sie können keine haben, denn sie sind nicht von Holz, sondern bestehen aus Matten, welche von oben herabhängen.«
»Wie ist das Lager Meltons beschaffen?«
»Er schläft auf Decken in der ersten Ecke links.«
»Wer bewegt den Göpel, wenn der Förderkasten auf- und niedersteigen soll?«
»Die Indianer, welche im Förderhause wachen. Das sind –- horch!«
Sie wendete sich, indem sie sich unterbrach, in die Richtung des Schachtes. Dort klirrte die Kette, an welcher der Kasten hing; er bewegte sich; wir sahen, daß er aufgezogen wurde.
»Man ist oben noch wach,« sagte ich. »Warum will man den Kasten oben haben? Ob jemand herunter will?«
»Jedenfalls,« antwortete sie. »Sie werden jetzt erfahren, daß Sie vorhin unrecht hatten, denn der Häuptling wird jetzt kommen.«
»Das glauben Sie ja nicht! Wenn jemand kommt, so wird es entweder Melton oder der alte Weller sein.«
»Weller ist heute gar nicht da.«
»Wo befindet er sich?«
»Er ist mit mehreren Indianern fort, um Sie zu beobachten und es Melton zu sagen, wenn Sie kommen. Er scheint Sie nicht gesehen zu haben, sonst wäre er wieder zurück.«
»So ist er es also nicht, den wir jetzt hier unten zu erwarten haben. Melton wird es sein.«
»So haben Sie die beste Gelegenheit, ihn zu ergreifen!«
»Ob ich das tue, kommt auf die Umstände an. Man muß vorsichtig sein. Weller kann auch zurückgekehrt sein und mitkommen. Wir werden also abzuwarten haben, was geschieht. Darum muß ich Sie bitten, sich einstweilen wieder einriegeln zu lassen.«
»Einriegeln?« fragte sie erschrocken. »Das werde ich nicht. Ich bin tausendfroh, daß ich heraus bin,
»Ich gebe Ihnen mein Wort, daß ich Sie sicher wieder herauslasse. Ich will wissen, wer da kommt und warum er kommt; er muß darum hier alles in Ordnung finden und darf nicht vermuten, daß jemand bei Ihnen gewesen ist.«
Sie wollte nicht, fügte sich aber endlich doch, wenn auch mit großem Widerstreben. Ich verriegelte hinter ihr die Tür, und dann kroch ich mit dem Mimbrenjo hinter einen Haufen von Hölzern, welche dort, wo der alte, verlassene Gang begann, aufgeschichtet waren. Natürlich hatten wir unser Licht ausgelöscht.
Ich hätte keine Minute länger mit der sich weigernden Jüdin verhandeln dürfen, denn wir hatten uns kaum versteckt, so kam von oben ein Geräusch, aus welchem wir entnahmen, daß der Kasten wieder nach unten unterwegs sei. Das Geräusch näherte sich; ein Lichtschein fiel von oben; der Kasten wurde sichtbar und erreichte den Boden. Melton stand darin; er hatte eine Laterne im Gürtel hängen. Er stieg aus, bückte sich in den Kasten zurück und zog aus demselben einen Gegenstand, in welchem ich, obgleich wir ziemlich entfernt steckten, einen gefesselten Menschen erkannte. Hier unten verstärkte sich der Schall an den engen Mauern; darum hörte ich ganz deutlich jedes Wort, als Melton zu dem Gefesselten in höhnischem Tone sagte:
»Du hattest solche Sehnsucht nach deiner weißen Blume. Darum habe ich dich hierher gebracht, um sie dir zu zeigen. Paß auf!«
Er trat zu der Tür, hinter welcher die Jüdin steckte, öffnete dieselbe und rief hinein:
»Kommen Sie heraus, Fräulein; haben Sie die Güte! Es steht Ihnen eine freudige Überraschung bevor.«
Sie kam heraus. Er führte sie zu dem auf dem Boden liegenden Indianer und fragte:
»Kennen Sie diesen? Hoffentlich erinnern Sie sich noch, wer er ist!«
»Die ›listige Schlange‹!« rief sie betroffen aus. »Sie haben ihn überwältigt!«
»Ja, das habe ich! Sie sehen da, was für ein Held Ihr neuester Liebhaber ist. Er kam, um mich zur Rechenschaft zu ziehen und Sie zu befreien, und befindet sich nun selbst hierunter. Er wird die Sonne niemals zu sehen bekommen. Sie haben mir zu viel von ihm erzählt, als daß ich ihm das Leben schenken könnte.«
»Sie wollen ihn ermorden?« fragte sie schaudernd.
»Ermorden! Welch ein Ausdruck! Muß man es denn geradezu einen Mord nennen, wenn ich ihn ein wenig unter die Erde grabe und ihm eine so hübsche Decke gebe, daß er rasch einschläft? Wenn er dann nicht wieder aufwacht, so ist das seine Sache.«
»Also lebendig begraben!«
»Ja, wenn es Ihnen Vergnügen macht, es so und nicht anders zu nennen.«
»Unmensch, der Sie sind!«
»Ereifern Sie sich nicht! Ich werde Ihnen gleich beweisen, daß ich kein Unmensch, sondern ein Mensch, und zwar ein sehr gutherziger, bin. Sie lieben den roten Gentleman, und er ist Ihnen zugetan. Sie sollen, ehe er stirbt, zwei oder drei Stunden beisammen sein. Geben Sie Ihre Hände her, damit ich sie Ihnen auf den Rücken binde, sonst könnten Sie meine Güte mißbrauchen und Ihren Anbeter losbinden.«
Sie zögerte und sagte:
Denken Sie ja nicht, daß Sie straflos tun können, was Sie wollen! Die Yumas werden ihren Häuptling rächen.«
»Fällt ihnen nicht ein. Sie wissen nicht, daß ich es bin, der ihn verschwinden läßt.«
»Sie wissen aber doch, daß er jetzt bei Ihnen ist. Die Wächter haben ihn zu Ihnen gehen sehen.«
»Sie werden ihn aber wieder fortgehen sehen. Es ist finster droben, so daß ich es leicht bewerkstelligen kann, daß sie mich für ihn halten; aber das ist gar nicht notwendig. Ich habe die Wächter, um jetzt herabgelassen zu werden, wecken müssen. Sie werden nachher weiter schlafen und müssen es glauben, wenn ich behaupte, daß der Häuptling inzwischen fortgegangen ist. Also her mit den Händen! Ich sage das zum letzten Mal!«
Er hatte einen Riemen in der Hand. Ich war wirklich neugierig darauf, was sie tun würde. Sie wußte, daß ich hier war und ihr helfen würde. Ebenso wußte sie aber auch, daß ich sie, wenn sie sich binden ließ, dann befreien würde. Mochte sie ihm gehorchen oder mich rufen, mir war es gleich. Sie reichte ihm die beiden Hände hin und sagte:
»Da, binden Sie mich! Ich will nicht mit Ihnen ringen, da es mir graut, Sie zu berühren. Aber der Strafe werden Sie nicht entgehen!«
»Wollen Sie Prophetin sein, Judith? Das ist ein schlechtes Geschäft, denn die jetzige Menschheit besitzt keinen Glauben.«
Er band ihr die Hände auf den Rücken und schob sie in den dunkeln Raum, in welchem sie gesteckt hatte. Sie ließ es ruhig geschehen. Sodann schleifte er den Indianer auch hinein, machte die Tür zu und schob den Riegel vor. Nun blieb er eine Zeitlang stehen und hielt das Ohr an die Tür, um zu lauschen. Der Schein seiner Laterne fiel auch auf sein Gesicht. Der Ausdruck desselben war ein teuflischer. Dann stieg er in den Kasten und gab mit einer herabhängenden Schnur ein Zeichen nach oben, auf welches man den Förderkasten aufwärts zu winden begann. Das Licht verschwand und mit demselben auch das Geräusch, welches der Kasten verursachte, indem er an die Wände des Schachtes stieß.
Ich hatte den Menschen für vorsichtiger und klüger gehalten, als er sich jetzt zeigte. Mir an seiner Stelle wäre Judiths gegenwärtiges Verhalten aufgefallen; es hätte mich mißtrauisch gemacht; ich hätte mir sogleich gesagt, daß irgend ein Grund für sie vorhanden sei, seinen jetzigen Besuch in solcher Ruhe hinzunehmen, und ich wäre bemüht gewesen, den Grund kennen zu lernen. Daß dies bei ihm nicht stattfand, ließ seinen Scharfsinn in keinem rühmlichen Lichte erscheinen.
Mein Mimbrenjo hatte, seit wir durch die Mauer gekrochen waren, kein Wort gesagt; jetzt aber wunderte er sich über mein Verhalten so sehr, daß er nicht zu schweigen vermochte, sondern, als wir uns hinter den Hölzern erhoben, zu mir sagte:
»Der Weiße, den wir haben wollen, war da. Wir konnten ihn ergreifen. Warum hat Old Shatterhand ihn fortgelassen?«
»Weil er mir sicher genug ist. Später wird sein Schreck ein doppelter sein.«
Ich steckte das Licht wieder an und ging wieder zu der Tür, um sie zu öffnen. Die Jüdin hatte dicht hinter derselben gestanden, um zu horchen. Sie trat rasch heraus, holte tief Atem und sagte:
»Gott sei Dank! Es war mir wirklich angst, ob Sie kommen würden!«
»Was ich verspreche, halte ich. Haben Sie mit dem Häuptling gesprochen?«
»Noch kein Wort. Ich konnte vor Sorge nicht reden. Sie haben gehört, was Melton sagte?«
»Alles.«
»Wie leicht konnte er Sie entdecken! Dann befand ich mich wieder in seiner Gewalt!«
»Nein, sondern er hätte sich in der meinigen befunden. Wenn Sie noch nicht mit der ›listigen Schlange‹ gesprochen haben, so werde ich ihn aufklären. Wie gut, daß er von Melton überwältigt worden ist! Der Bösewicht hat mir dadurch einen Trumpf in die Hand gespielt, an dem seine Karte verloren gehen wird.«
Ich trat zu dem Indianer und durchschnitt seine Fesseln. Er richtete sich schnell auf und fragte die Jüdin:
»Wer ist das Bleichgesicht, welches sich in unserm Schachte befindet und doch nicht zu uns gehört?«
»Mein roter Bruder wird sogleich erfahren, wer ich bin,« antwortete ich an des Mädchens Stelle. »Er hat nicht verstehen können, was Melton zu der weißen Tochter sagte, denn es wurde in einer ihm fremden Sprache gesprochen. Darum frage ich ihn, ob er weiß, was Melton mit ihm vornehmen will?«
»Ich weiß es. Ich sollte sterben; er wollte mich hierunten in die Erde graben.«
»Glaubt mein roter Bruder, daß er dies wirklich getan hätte?«
»Er hätte es getan, denn nur mein Tod hätte ihm Sicherheit gegeben.«
»Was wäre aus dem weißen Mädchen geworden, welches die ›listige Schlange‹ zur Squaw begehrt?«
»Sie hätte hierunten sterben und verderben müssen, wie die andern Bleichgesichter, von denen keins wieder das Licht des Tages erblicken wird.«
»Darin irrt mein roter Bruder, denn sie alle werden das Licht schon des nächsten Morgens sehen. Ich werde sie aus dem Schachte führen.«
»Das wird Melton nicht zugeben!«
»Er wird es nicht zugeben können, weil ich ihn nicht um seine Erlaubnis frage. Ich bin gekommen, alle Gefangenen zu befreien, wie ich dich auch befreie.«
»Noch bin ich nicht frei, denn wie komm ich aus dem Schachte?«
»Das fragst du? Du brauchtest ja nur zu warten, bis Melton wieder herabkommt; es würde, da er nicht darauf vorbereitet ist, sehr leicht für dich sein, ihn zu überraschen und zu überwältigen. Aber das ist nicht nötig. Ich werde die ›listige Schlange‹ und die weiße Tochter auf einem ihnen unbekannten Wege aus dem Schachte führen; dann kann mein Bruder sie zu seiner Squaw machen und ihr einen Palast und ein Schloß bauen.«