Satansbraut - Edith Kneifl - E-Book

Satansbraut E-Book

Edith Kneifl

3,8

Beschreibung

MORD IM SCHÖNEN WALDVIERTEL - EIN FALL FÜR "DAS QUARTETT"! Schauerlicher Mord im Waldviertel: Ein junger Popstar wird unter einem Granitblock aufgefunden, splitternackt und tot. Drogenexzess? Selbstmord? Oder ist der Jüngling gar Opfer eines Triebtäters geworden? Auf ihrem morgendlichen Ausritt findet Gräfin Elsa von Kuenring die Leiche des jungen Mannes auf einem Opferstein in einem Wäldchen. Gemeinsam mit ihren drei Freunden: einem Donaukapitän, einem Pfarrer und einem Arzt - das Quartett genannt, ermittelt sie in diesem mysteriösen Todesfall auf ihre eigene Weise: bei Essen, Wein und Kartenspiel ... SATANSBRAUT IST BESTE KRIMIUNTERHALTUNG MIT AUTHENTISCHEM LOKALKOLORIT UND VIEL HUMOR GEWÜRZT, DAZU MIT EINER PRISE MYSTIK VERFEINERT. Angesiedelt im rauen Hochland zwischen Donau und tschechischer Grenze, sind tiefe Einblicke in die Abgründe der österreichischen Seele garantiert! "Definitiv ein kurzweiliger Krimi mit gut gezeichneten Figuren. Es bleibt bis zum Schluss spannend, wer der Täter ist und auch humorvolle Szenen und Lokalkolorit kommen hier nicht zu kurz."

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Edith Kneifl

Stefan M. Gergely

Satansbraut

Ein Waldviertel-Krimi

Inhalt

Titel

Hinweis

1.

2.

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4.

5.

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7.

8.

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20.

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28.

29.

30.

Erklärung der österreichischen Dialektwörter

Plan

Stefan M. Gergely und Edith Kneifl

Zu den Autoren

Impressum

Weitere E-Books aus dem Haymon Verlag

Namen und Charaktere in diesem Krimi sind frei erfunden. Allfällige Übereinstimmungen mit realen Personen sind zufällig.

1.

Ein Pferd trabte den moosbedeckten Waldweg entlang. Erste Strahlen der Morgensonne blitzten durch hohe, mit Raureif verzierte Fichten. Auf den Granitfelsen, die aus dem Waldboden ragten, lagen Schneereste. Eiskristalle funkelten wie kleine Diamanten im Sonnenlicht.

Plötzlich wieherte der Rappe und blieb abrupt stehen. Elsa von Kuenring wurde aus ihren Tagträumen gerissen. Sie richtete sich im Sattel auf und streichelte den Kopf des edlen Tieres. „Beruhig dich, Azzo.“

Die Gräfin war eine schlanke, groß gewachsene Frau an die fünfzig mit einem schmalen sonnenverbrannten Gesicht und bernsteinfarbenen Augen. Sie war nicht ängstlich, aber die Stille behagte ihr nicht. Kein Vogelgezwitscher, kein Rauschen des Windes in den Baumwipfeln. Nur hin und wieder ein unheim­liches Knarren und Knacken im Unterholz, untermalt vom Brummen eines Lastwagens, der in der Ferne über eine Landstraße rollte.

Selbst Azzo schien den Atem anzuhalten.

Unter einem hohen Granitblock ragten zwei nackte Beine hervor.

Elsa lief ein Schauer über den Rücken. Sie zögerte kurz, bevor sie abstieg und die Zügel ihres Rappen am nächstgelegenen Baum festband.

Ringsum deutliche Spuren im Schnee. Einige sahen wie Abdrücke von Stiefeln stattlicher Größe aus.

Leises Rascheln in den Sträuchern. Waren es Schritte oder huschte nur ein Vogel durchs Dickicht? Sie näherte sich dem Felsen, den Blick ins Unterholz gerichtet, um nicht zu stolpern.

Auf einem dürren Birkenzweig, dessen Stamm schräg aus dem Granit herauswuchs, hing etwas Glitzerndes: ein Kettchen mit einem rötlich schimmernden Anhänger. Und gleich dahinter, zwischen schneekahlen Büschen, lag jemand.

Elsa bog die Äste beiseite und ging auf die halbkreisförmige Höhle unter dem Steinblock zu.

Kopf und Schultern eines zarten, jugendlich wirkenden Körpers steckten im Dunkel der Höhle. Nur Lenden, Gesäß und Beine waren sichtbar. Die Luft war kalt, eisig kalt.

Mädchen oder Junge? Das Becken sieht männlich aus, dachte die Gräfin. Ist der arme Kerl womöglich erfroren? Aber warum liegt er ausgerechnet hier unter diesem Opferstein?

Lautes Krächzen. Gänsehaut breitete sich auf ihren Armen und Beinen aus. Erschrocken drehte sie sich um.

Sie hatte nur ein paar Kolkraben aufgescheucht.

Elsa fröstelte. Dennoch zog sie ihre mit Lammfell gefütterten Handschuhe aus, bückte sich und berührte den nackten Rücken der leblosen Gestalt. Der Körper fühlte sich kühl an, aber nicht richtig kalt. Sie ergriff das linke Handgelenk. Kein Pulsschlag. Er war tot, aber wahrscheinlich erst seit kurzem.

Hatte sie einen Mörder vertrieben? Rasch überblickte sie das Gestrüpp und das kleine Wäldchen ringsum. Nichts regte sich.

Sie nahm ihr Mobiltelefon aus ihrer Jackentasche und wählte den Polizeinotruf.

Die Beschreibung ihres Standortes war einfach für sie. Elsa war in dieser Gegend aufgewachsen und kannte jeden Winkel, jedes Gehöft. „Ich befinde mich beim sogenannten Opferstein von Thail nahe Groß Gerungs“, erklärte sie dem Beamten am Telefon.

Die nächstgelegene asphaltierte Straße war kaum zweihundert Meter entfernt. Die Polizei wird also bald da sein, hoffte die Gräfin. Da sie die leblose Gestalt nicht länger anstarren wollte, drehte sie sich um. Ihr Blick fiel wieder auf die Halskette. Der amulettartige Anhänger zeigte ein seltsam geformtes Kreuz, in dessen Mitte sich ein braunroter geschliffener Stein befand. Gedankenverloren steckte Elsa das Kettchen ein.

Neuerlich schweiften ihre Augen zu dem nackten Körper. Sie bog ein paar Zweige zur Seite, ging in die Hocke und beugte sich nach vorn in die Höhle. Vorsichtig drehte sie den blonden Lockenkopf zur Seite.

Ihr Schrei durchbrach die Stille. Ein Spatz tschilpte aufgeregt und flatterte davon.

Der Tote war David Engels, der berühmte Hip-Hop-Jungstar aus dem Waldviertel. Elsa erkannte ihn sofort, weil sie seit Jahren mit Davids Mutter befreundet war und daher die Karriere des Burschen von Anfang an mitverfolgt hatte. Hey Dave, wie er sich neuerdings nannte, hatte im vergangenen Herbst eine Castingshow im Österreichischen Rundfunk gewonnen.

Was für ein hübscher Junge, dachte die Gräfin, sogar im Tod sieht er aus wie ein Engel.

Hey Dave war ein begnadeter Sänger und groß­artiger Tänzer gewesen. Den sexy Hüftschwung beherrschte er besser als Elvis Presley.

Elsa hatte sich erst unlängst per Skype mit ihrem Sohn James über den jungen Sänger unterhalten. James hielt sich gerade in Kalifornien auf. Er hatte Davids neueste Songs auf YouTube gehört und gemeint, dass Hey Dave selbst in den Vereinigten Staaten Erfolg haben könnte, weil er Pop- und Hip-Hop-Elemente geschickt miteinander verflechte, und das komme derzeit in den Staaten gut an. Die Hip-Hop-Szene würde außerdem auf sein schräges Englisch bestimmt total abfahren.

Die Gräfin betrachtete den leblosen Körper genauer. Die rechte Hand war durch Laub verdeckt. Elsa hob sie leicht in die Höhe und entdeckte eine dünne Strieme am Handgelenk. War der Junge gefesselt gewesen?

Unwillkürlich musste sie an einen anderen Burschen denken. Ein Lächeln erschien auf ihren schmalen Lippen, als sie sich daran erinnerte, wie sehr sie diese Fesselspiele mit ihm geliebt hatte. Sie hatte nicht genug davon bekommen können.

Die Gedanken an ihre sexuellen Vorlieben empfand sie momentan als äußerst unpassend. Sie versuchte sich zusammenzureißen. Elsa stand auf muskulöse und stark behaarte Männer, insbesondere wenn sie etwas Animalisches an sich hatten.

David hatte nichts von alldem. Dennoch fand sie ihn bezaubernd. Erinnerungen an die vergangene Nacht tauchten auf, in der sie sich schlaflos im Bett gewälzt hatte und dann traumwandelnd durch die Korridore ihres Schlosses nahe der Ortschaft Sonnenau geirrt war. Es war ein Donnerstag gewesen. Morgen erwartete man den Frühlingsbeginn. Eine Vollmondnacht. Nicht selten bewirkten solche Konstellationen einen Ausbruch ihrer Obsessionen.

Elsa fürchtete sich vor ihren eigenen Fantasien. Gleichzeitig sehnte sie sich danach, sie auszuleben. So sehr sie sich auch dagegen wehrte, es war ihr in all den Jahren nicht gelungen, ihre Leidenschaften in den Griff zu kriegen.

Sie stieß einen Seufzer aus und strich langsam über Davids glatten, unbehaarten Körper. Er schien fast zu klein und zu zart für sein Alter. Bewundernd betrachtete sie seine Haut, die so feinporig war, dass man vermuten hätte können, er wäre noch ein Kind. Seine Backenknochen waren in die Breite gezogen. Elsa hatte ein vergleichbares Antlitz schon bei einem jungen Einwanderer aus dem Kaukasus gesehen. Sie lächelte in Gedanken an die Amerikaner, die Kaukasier als typisch europäische Weiße bezeichneten, während dieselben Typen in Russland als Schwarze beschimpft wurden. Dabei war David ja zweifellos ein Waldviertler. Oder vielleicht doch nicht?

Elsa erstickte eine neuerlich aufwallende Erregung im Keim. Sie beugte sich über den Toten, vergrub ihr Gesicht in dem lockigen hellblonden Haar des Jungen und vergoss ein paar Tränen. Ihre Hand glitt über seinen linken Oberschenkel. Plötzlich spürte sie etwas Klebriges. Sie sprang auf, starrte erschrocken auf ihre Handfläche.

2.

Die Sirene eines Polizeiautos ließ die Gräfin zusammenzucken. Sie hörte, wie der Wagen bremste, der Motor stoppte und zwei Türen fast gleichzeitig ins Schloss fielen. Rasch wischte sie sich die Tränen aus den Augen und setzte ihre große dunkle Sonnenbrille auf. Kerzengerade und mit gefasster Miene stellte sie sich neben den Granitfelsen und winkte die beiden Uniformierten heran.

Nicht gerade im Laufschritt stapften sie den Hang hinauf. Die haben’s anscheinend nicht besonders eilig, dachte Elsa, die keine Freundin der Polizei war.

Einen der Beamten kannte sie persönlich, nur fiel ihr sein Name nicht gleich ein. Er stammte aus Arbesbach und hatte es nur bis zum Bezirksinspektor gebracht. Dabei war er ewig lange bei der Gendarmerie gewesen, bevor diese im Jahre 2005 mit der Polizei vereinigt worden war.

Der Bezirksinspektor war sehr korpulent und schnaufte schwer. Seine Wangen und vor allem seine Nase waren durch jahrelangen Konsum von Branntwein aufgedunsen und voller geplatzter Äderchen.

Der zweite Beamte schien um einiges jünger, hatte ein kantiges Gesicht und einen militärischen Kurzhaarschnitt.

Der Bezirksinspektor verneigte sich und grüßte freundlich. Der Jüngere nickte der Gräfin nur kurz zu. Ihre Blicke kreuzten sich und blieben etwas länger aneinander hängen, als es bei einem Gruß zwischen Fremden angemessen ist.

Der junge Polizist gab sich einen kleinen Ruck, griff in die Innentasche seiner Uniformjacke und holte Notizzettel und Kugelschreiber hervor. „Ihr Name und Ihre ...“

„Aber hör doch auf“, fiel ihm der Ältere ins Wort, „das ist die Gräfin von Kuenring. Die Dame kennt hier ein jeder – darf ich Ihnen unseren neuen Revierinspektor Rudi Rauensteiner vorstellen, gnädige Frau. Er ist erst seit kurzem bei uns … kommt aus dem Burgenland“, fügte er grinsend hinzu, so als wäre damit alles gesagt. „Bei der Frau Gräfin musst du aufpassen“, wandte er sich wieder an seinen Kollegen. „Sie gehört dem Quartett an. Kennst des net? Sie und ihre Freunde haben in den vergangenen Jahren einige Verbrechen aufgeklärt – und das beim Kartenspielen im Wirtshaus.“ Was er geflissentlich verschwieg, war der Umstand, dass das erwähnte Quartett die Polizei schon mehr als einmal blamiert hatte, weil die Beamten auf der falschen Fährte gewesen waren.

Elsa von Kuenring ignorierte die plumpe Anbiederei. Die Ansichten des Bezirksinspektors interessierten sie nicht. Er ist nur ein simpler Polizist, devot, ungebildet und außerdem viel zu dick, dachte sie. Wortlos wies sie auf den Granitfelsen und den darunter­liegenden Körper.

Die Beamten traten näher. Die Stiefelspuren im Schnee rund um den Felsen schienen sie nicht zu bemerken. Das ist wieder mal typisch, dachte Elsa und wollte schon einschreiten. Zu spät. Die beiden trampelten bereits über die Spuren hinweg.

Elsa trug Reitstiefel, deren Abdrücke deutlich kleiner waren als diejenigen, die sie bei ihrem Eintreffen entdeckt hatte. Außerdem war sie sehr darauf bedacht gewesen, die anderen Spuren nicht zu zerstören. Jedem aufmerksamen Beobachter hätte auffallen müssen, dass mindestens zwei, wenn nicht mehr Personen im Umfeld des Leichnams herumgestapft waren. Die Stiefelabdrücke hatten die beiden Polizisten nun gründlich verwischt. Dieses Kapitel der Spurensicherung war damit erledigt.

Mit auffallender Behäbigkeit, die er in all seine Gesten legte, bückte sich der Bezirksinspektor und drehte den Leichnam zur Seite. „Aber das … das ist ja der David, der Sohn vom Engels Alois!“, rief er bestürzt. „Der David ist ein Superstar. Wie hat er sich noch mal genannt, Frau Gräfin?“

„Hey Dave“, meldete sich der jüngere Beamte, der inzwischen ebenfalls einen Blick auf den Leichnam geworfen hatte.

„Bei meinem Eintreffen hatte ich den Eindruck, dass sein Körper noch nicht ganz kalt war, aber ich kann mich irren“, sagte die Gräfin.

Revierinspektor Rauensteiner zückte sein Handy und machte ein Foto vom Gesicht des Toten.

„Was tuast eam denn obüdl’n?“, herrschte ihn der Alte an.

Betreten steckte Rauensteiner das Telefon wieder ein und gestand schuldbewusst, dass seine kleine Nichte ein Fan des Popstars und unsterblich in ihn verliebt sei.

„Bist’ gaunz versumpat?“

„Meine Herren, bitte!“

„Tschuldigen S’ schon, Frau Gräfin. Aber das darf doch net wahr sein. Der will doch glatt seiner Nichte a Büdl von ana Leich zeig’n, der Heiochs, der … unterschreiben kann der David aber nicht mehr“, setzte er in bemühtem Hochdeutsch nach.

Anscheinend verfiel er nur in tiefsten Dialekt, wenn er sich aufregte.

Sein junger Kollege errötete.

„Na, das wird einen ordentlichen Wirbel geben, wenn der Tod vom David bekannt wird“, seufzte der Bezirksinspektor. Er setzte sich auf einen breiten Baumstrunk, griff zum Telefon und läutete den Amtsarzt aus dem Bett. „Ich glaub, wir haben da eine echt prominente Leiche“, erklärte er dem Mediziner. „Blutspuren habe ich keine gesehen. Nein, auch keine äußer­lichen Zeichen von Gewaltanwendung.“ Er schlug dem Amtsarzt eine gerichtsmedizinische Untersuchung vor. „Und vergesst ja nicht, zu schauen, ob ihr nicht irgendeinen Hinweis auf Drogen findet.“

„Wie kommen Sie denn auf Drogen?“, fragte die Gräfin, nachdem der Polizist das Telefonat beendet hatte.

„Das darf ich eigentlich nicht sagen“, erwiderte der Dicke.

„Aber gehen S’, Herr Haslinger“ – eben war der Gräfin der Name des Bezirksinspektors wieder eingefallen – „Sie kennen mich doch. Ich werde schweigen wie ein Grab.“

Der Beamte schüttelte den Kopf. Elsa wusste, dass er ein Sturschädel sein konnte. Schon einmal, als das Quartett der Polizei nach einem Überfall auf eine Bankfiliale einen wichtigen Hinweis geben wollte, hatte er die privaten Ermittler nicht einmal ignoriert. Von wegen gute Zusammenarbeit von Polizei und Bevölkerung.

„Ich mache Ihnen ein Angebot: Sie erzählen mir, was Sie gehört haben, und ich verrate Ihnen etwas, das für Sie von Interesse sein könnte.“

Die Gräfin setzte sich ihm gegenüber auf einen umgestürzten dicken Ast und sah ihn auffordernd an.

„A Kollege in Zivil hat den Popstar bei einem privaten Besuch in einer Sankt Pöltener Disko g’sehn, wie er sich Tabletten eing’worfen hat. Glauben S’ ma, wir haben schon öfter g’hört, dass der Engels Kokain und andere Drogen nimmt. Aber weil er gar so einen prominenten Namen hat, hamma halt keine Ermittlungen begonnen. Für mich ist der Fall sonnenklar“, sagte Haslinger im Brustton der Überzeugung. „Dem Burschen ist der ganze Rummel um seine Person zvü wurd’n, er ist in die Drogenszene abgerutscht und hat sich mit einer Überdosis um’bracht.“

Elsa schwieg, runzelte nur ihre hohe Stirn.

„Sie werden sehen“, setzte der Bezirksinspektor nach, „der Drogentest wird positiv sein, wett’ ma?“

Der junge Polizist war dem Gespräch eher teilnahmslos gefolgt. „Wir brauchen ein Protokoll“, sagte er plötzlich und wollte beginnen, der Gräfin die üblichen Fragen zu stellen. Sie aber ließ ihn nicht zu Wort kommen, sondern diktierte in perfektem Amtsdeutsch: „Mein Name ist Elsa von Kuenring. Ich bin geboren auf Schloss Kuenring bei Zwettl am 1. Mai 1962. Ich bin ledig. Heute, Freitag, den 21. März um fünf Uhr früh, habe ich meinen Hengst Azzo gesattelt, weil ich nicht schlafen konnte, und bin von meinem Schloss in Richtung Groß Gerungs geritten. Knapp vor sechs Uhr bin ich hier angekommen. Wegen des Sonnenaufgangs habe ich auf die Uhr gesehen. Als ich unter dem Opferstein von Thail einen nackten Körper entdeckt habe, bin ich vom Pferd gestiegen und habe den Puls des Jungen gefühlt. Ich konnte kein Lebenszeichen feststellen. Zum Todeszeitpunkt kann ich nichts aussagen. Ich habe in der Nähe des Tatorts keine andere Person gesehen. Dann habe ich die Polizei angerufen. Diese ist kurz vor halb sieben Uhr eingetroffen.“

Der Polizist notierte sich noch die Telefonnummer der Gräfin und kündigte an, er würde sich melden, sofern im Zuge der Ermittlungen weitere Fragen auftauchen sollten. „Sie dürfen jetzt gehen ..., nein, ich habe mich ... reiten ..., nein, ich wollte nur sagen ..., wir sind so weit miteinander fertig“, stammelte der Revierinspektor. Wieder überzog eine leichte Röte sein jugendliches Gesicht.

„Halt, halt, Gnädigste, nicht so schnell. Sie haben mir doch was Wichtiges mitzuteilen, haben Sie vorher zumindest behauptet“, rief Haslinger, als Elsa aufstand und Anstalten traf, zu ihrem Pferd zu gehen.

„Ich wollte Ihnen nur vorschlagen, nach den Kleidungsstücken des Jungen Ausschau zu halten. Er wird ja nicht nackt hierhergekommen sein.“

„Meiner Seel’, Sie haben völlig Recht. Daran hab ich bei der ganzen Aufregung gar nicht gedacht. Das kannst du übernehmen, Rudi, mir tun schon die Füß’ weh von der ganzen Hatscherei“, sagte er zu seinem Kollegen. „Ich bleib hier sitzen und wart auf den Amtsarzt. Wer weiß, ob der den Weg findet. Von hier aus seh ich hinunter auf die Straß’n.“

Die Gräfin schlug vor, die Suche rund um den Opfer­stein zu beginnen und erst, wenn sie dort nichts finden würden, auf das ganze Wäldchen auszudehnen. „Wenn Sie möchten, begleite ich Sie. Vier Augen sehen mehr als zwei.“ Sie zwinkerte dem Revierinspektor zu. Der Bursche gefiel ihr immer besser. Er war gut gebaut und sicher noch keine dreißig.

Sie suchten die Umgebung des Opfersteins ab, bahnten sich dabei den Weg durch Haselgehölz und Brombeersträucher. Prompt blieb der Polizist mit seiner schicken Uniformhose an einem dornigen Gestrüpp hängen. „Verdammter Mist“, fluchte er.

„Halten Sie still.“ Die Gräfin bückte sich und befreite seine Hose vorsichtig von den winzigen Stacheln. Zuletzt strich sie, wie bei einer Leibesvisitation, mit beiden Händen über seine kräftigen Beine und murmelte: „Alles in Ordnung.“

Der Opferstein war mindestens drei Meter hoch. Auf einer Seite der wuchtigen Granitformation lehnte eine Holzleiter. Der Revierinspektor kletterte forsch hinauf. Elsa folgte ihm, obwohl sie nicht ganz schwindelfrei war. Sein strammes Hinterteil vor Augen, vergaß sie auf ihre Höhenangst.

Plötzlich pfiff der junge Mann durch die Zähne. Als er sich weiter nach vorne beugte, wäre er fast von der Leiter gerutscht, wenn ihn die Gräfin nicht mit beiden Händen gestützt hätte.

„Um Himmels Willen, was ist denn dort oben los?“, rief sie.

„Bleiben Sie lieber, wo Sie sind.“

„So reden Sie doch! Was gibt’s denn da zu sehen?“

„Also bitte, wenn Sie unbedingt wollen.“

Der Polizist schwang seine langen Beine über die letzte Sprosse und stand nun auf dem Rand einer etwa drei Quadratmeter großen Steinschale.

Die Gräfin folgte ihm, bis auch sie in die Wanne hineinschauen konnte. In der Schale lag ein schwarzer Hahn in einer kleinen Blutlache. Er war arg zerzaust, nacktes Fleisch lugte unter seinem Federkleid hervor. Einige dunkle Federn lagen am Rand der Steinschüssel.

„Wie kommt das Viech da her?“

„Wir sollten besser nichts anrühren“, warnte Elsa ihn.

Zu spät. Er hatte den toten Hahn bereits an den Füßen gepackt und hielt ihn der Gräfin vor die Nase.

„Muss das sein?“

Rasch ließ er das Tier zurück in die flache Steinschale fallen. Elsas Hand bekam ein paar Blutspritzer ab.

„Können Sie nicht aufpassen?“

„Tut mir echt leid.“

„Ist schon gut. Kommen Sie jetzt wieder runter“, forderte sie den Revierinspektor auf.

Als sie die Leiter hinunterstiegen, hätte sich Elsa am liebsten auf den moosbedeckten Boden fallen gelassen und ein bisschen ausgeruht. Schön langsam wurde ihr alles zu viel. Zuerst die schlaflose Nacht, dann der Fund der Leiche und jetzt auch noch ein zerzauster Hahn. Vielleicht lag sie zu Hause in ihrem Bett und träumte nur?

Glitzerte da nicht etwas unterhalb der Leiter? Sie bückte sich, doch der Revierinspektor war schneller, hob eine silberne Pillendose auf und öffnete sie.

Beim Anblick der runden, gelblichen Pillen murmelte er: „Höchstwahrscheinlich Ecstasy“, und wollte das Döschen in seine Hosentasche stecken.

„Halt. Denken Sie an die Spurensicherung“, ermahnte ihn die Gräfin.

„Alle Fundstücke werden amtlich gesichert und verwahrt“, beteuerte er.

„Ist das nicht Aufgabe der Kriminalpolizei?“

Rudi Rauensteiner schenkte ihr einen langen Blick, legte die Pillendose aber wieder dorthin, wo er sie gefunden hatte.

Galant half er dann der Gräfin den rutschigen Hang hinunter. Obwohl sie ebenso gelenkig schien wie er, ließ sie sich von ihm die Hand reichen. Dennoch geriet sie auf den letzten Metern ins Rutschen und landete in seinen Armen. Geschickt fing er sie auf. Elsa schmiegte sich länger als nötig an seine uniformierte Brust und ließ die Rechte rein zufällig über seinen Hintern gleiten.

„Hab noch nie eine echte Gräfin in meinen Armen gehalten“, murmelte Rauensteiner.

„Und, wie fühlt sich eine echte Gräfin an?“

„Ich ... ich ... ich bin im Dienst …“

„... vielleicht möchten Sie mich mal besuchen, wenn Sie außer Dienst sind, Herr Revierinspektor.“

Die Stimme von Bezirksinspektor Haslinger bereitete dem Techtelmechtel ein jähes Ende: „Da kommt wer!“

Außer zwei Rehen, die mitten am Feld standen und neugierig ihre Köpfe reckten, war weit und breit kein Lebewesen in Sicht. Doch dann vernahmen auch Elsa und der Revierinspektor ein Motorengeräusch.

„Das wird der Amtsarzt sein“, sagte Haslinger.

„Auch wenn Sie glauben, dass es Selbstmord war, würde ich an Ihrer Stelle die Kriminalpolizei verständigen“, empfahl die Gräfin.

„Wie kommen S’ denn darauf, Gnädigste?“

„Wir haben dort oben in der Opferschale einen toten schwarzen Hahn gefunden. Ist das nicht merkwürdig? Warum sollte sich der Junge bei diesen Temperaturen nackt ausziehen, einen Hahn umbringen und danach sich selbst …?“

Das Telefon der Gräfin klingelte. Es war kurz nach sieben Uhr. „Elsa von Kuenring.“ Sekunden später strahlte sie übers ganze Gesicht: „James, mein Lieber! Das ist ja eine Überraschung. Wo bist du? Was? In Frankfurt? Warte, ich ruf dich gleich zurück. – Ich muss weg“, sagte sie zu den beiden Polizisten. „Melden Sie sich bitte, wenn Sie noch was von mir brauchen.“ Sie schwang sich auf ihr Pferd und galoppierte davon.

Rudi Rauensteiner sah ihr mit bewunderndem Blick nach.

3.

Annemarie Engels saß vor dem Kreuz Jesu Christi in der holzgetäfelten Stube ihres Winzerhofes und betete. Die Stille wurde hin und wieder durch ihr heftiges Schluchzen unterbrochen. „Warum nur, David, warum?“

Seit sie von der Polizei verständigt worden war, dass ihr jüngster Sohn höchstwahrscheinlich an einer Überdosis Drogen gestorben war, stammelte sie unentwegt den gleichen Satz. Sie machte sich bittere Vorwürfe. Warum hatte sie weggeschaut, als ihr kleiner Liebling in den letzten Wochen immer stiller und verschlossener geworden war? Warum hatte sie nicht gefragt, was ihn bedrückte?

„Lieber Herrgott, verzeih mir, denn ich bin mit schuld an seinem Tod“, jammerte sie und brach neuer­lich in Tränen aus. Ihr ausgemergelter Körper bebte vor Verzweiflung. Dass sich ihr Jüngster nach seinen ersten Erfolgen als Popsänger immer mehr von seinem Elternhaus entfernen würde, war seit Monaten ihre größte Sorge gewesen. Aber auf die Idee, dass er sich das Leben nehmen könnte, wäre sie nie gekommen. Genau genommen war dazu auch kein Anlass gewesen. David war durch die Tantiemen aus den Verkäufen seiner Songs mittlerweile begüterter als seine Eltern. Er war der Schwarm aller Teenie-Girls. Eine feste Freundin hatte er allerdings nicht gehabt.

Meist umgab sich David mit einer Clique halbwüchsiger Burschen. „Die sind schwer okay. Sie checken alles für mich“, hatte er seiner Mutter versichert. Sie wusste nicht, wo sich diese Buben herumtrieben. Oft waren sie nächtelang unterwegs gewesen. Vielleicht hatte sie es auch gar nicht so genau wissen wollen? Das ganze Getöse, seine Singerei und Tanzerei, und der hysterische Rummel um ihn, das alles war, weiß Gott, nicht ihre Welt.

Annemarie war in den letzten Monaten hin- und hergerissen gewesen zwischen einer wachsenden Abneigung gegen die Popszene, in der sich alles um ihren David zu drehen schien, und dem mütterlichen Stolz auf ihren berühmten Sohn. Seit Davids kometenhaftem Aufstieg zum Popstar war der Engels’sche Winzerhof in der Nähe von Krems zum Wallfahrtsort für Davids Fangemeinde geworden.

Viele Eltern kamen mit ihren Kids angereist und verließen den Hof nicht ohne ein paar Kisten Wein im Gepäck. Kaum hatten sie Ende Februar den neuen Jahrgang abgefüllt, waren die Kreszenzen restlos ausverkauft. Die Engels konnten für ihre besten Rieslinge ab Hof neuerdings dreißig Euro pro Flasche verlangen, fast so viel wie die weltberühmten Wachauer Winzer.

Vor einigen Monaten hatten sie um teures Geld zwei Parzellen auf der bekannten Riede Pfaffenberg erworben. Sie hofften, die höheren Erntemengen ebenfalls gut verkaufen zu können. Zuletzt hatten sie sogar ein neues Weinetikett mit dem Konterfei Davids drucken lassen. Es hätte nach der kommenden Weinlese als Markenzeichen für eine Sonderabfüllung dienen sollen. Hundert handsignierte Flaschen dieser Edition wollten sie bei einer Auktion an die Meistbietenden versteigern.

Nun schienen all die ehrgeizigen Pläne zusammenzufallen wie ein Kartenhaus. Oder würden die treuen Fans den Popstar nach seinem Tod noch mehr verehren als zu Lebzeiten, ähnlich wie das bei Prinzessin Diana der Fall gewesen war?

Vor dem Haus hatten sich schon am frühen Vor­mittag, kurz nachdem die Todesnachricht bekannt geworden war, zahlreiche Verehrerinnen versammelt. Sie zündeten Kerzen an und sangen die Hits ihres Idols. Bis zu Mittag verwandelte sich der Gehsteig vor dem Weingut in ein Blumenmeer. Dazwischen standen Kerzen, Andenken, Tagebücher, Fotografien und Teddybären, wohin das Auge blickte.

Annemarie Engels hatte Türen und Fenster fest verriegelt. Sie wollte nichts sehen, nichts hören. Die Lieder der Fangemeinde vernahm sie dennoch. Bald empfand sie diese als Trost, weil sie spürte, dass sie in ihrer Trauer nicht alleine war.

Ihr Mann Alois hatte, kurz nachdem ihnen Bezirks­inspektor Haslinger die schreckliche Nachricht überbracht hatte, das Haus verlassen. Er ging in seine Weingärten und versuchte, den Schock in Arbeit zu ertränken. Zu tun war genug. Der Rebschnitt war zwar schon vorbei, aber in den neu erworbenen Parzellen am Pfaffenberg mussten die Triebe angebunden werden. Das war keine einfache Arbeit. Der Pfaffenberg ist ein steiler Hang mit zahlreichen Steinterrassen. Von den obersten Rieden hat man einen traumhaften Blick auf die Donau. Die Grünen Veltliner und Rieslinge, die hier gedeihen, sind wegen ihrer mineralischen Noten bei Kennern sehr beliebt.

Früher hatte sich Alois um solche Feinheiten nicht geschert. Er machte biederen Wein, den man auch in größeren Mengen trinken konnte, ohne am nächsten Tag mit einem brummenden Schädel aufzuwachen. Seit immer mehr echte und noch viel mehr selbsternannte Weinkenner in ein Glas Wein hineinschnüffelten und wie bei einem Liebesakt stöhnten: „Ah, welch feine Würze!“ oder „Oh, dieses Terroir ist unvergleichlich“, hatte Alois gemeint, mit der Zeit gehen zu müssen. Insgeheim war ihm aber dieses ganze Getue zuwider.

Wenn wenigstens der Lukas da wäre, dachte Alois. Sein älterer Sohn war für ein paar Monate bei einem befreundeten Winzer im Rheingau, um Erfahrungen mit moderner Kellertechnik zu sammeln. Am nächsten Wochenende sollte er wieder zurückkommen. Alois überlegte, ihn sofort nach Hause zu rufen.

Lukas und David hatten sich nie besonders gut verstanden. Der Große war unattraktiv und bei seinen Kameraden wenig beliebt. Er war von klein auf eifersüchtig auf den jüngeren Bruder, der stets der Hahn im Korb gewesen war. Lukas hatte ihn deshalb ständig schikaniert und oft verprügelt. Als David die Karriere­leiter hochkletterte, zog sich Lukas immer mehr zurück, wurde zu einem Sonderling. Alois war froh gewesen, ihn bei dem deutschen Winzer unterzubringen, weil er hoffte, der Abstand von seinem Bruder würde ihm guttun.

Zu Mittag ging Alois zum Essen nach Hause. Die Fans verstummten und harrten mit gesenkten Köpfen aus, als der Vater ihres geliebten Dave an ihnen vorbeikam. Annemaries Schwester war kurz vor ihm eingetroffen. Sie hatte zum Andenken an David ein Schwammerlgulasch zubereitet. Schwammerlgulasch war seine Lieblingsspeise gewesen.

Die drei aßen schweigend. Zwischendurch wechselte Alois ein paar beiläufige Sätze mit seiner Schwägerin, dankte ihr, dass sie gekommen war. Mit seiner Frau sprach er kein Wort. Annemarie schien etwas gefasster, seit ihre Schwester da war.

Alois öffnete eine Flasche vom Grünen Veltliner und schenkte allen ein, obwohl Annemarie zunächst ihre Hand über ihr Glas hielt.

„Trink einen Schluck“, forderte er sie auf.

„Meinst, das hilft.“

„Das mit den Drogen glaube ich nicht“, sagte er.

„Aber er war in letzter Zeit so verschlossen, irgendwas muss gewesen sein“, erwiderte Annemarie.

„Ich glaub, dass einige seiner Freunde einen schlechten Einfluss auf ihn hatten. Da waren so komische Typen dabei.“

Sie kamen dann auf das Quartett zu sprechen.

„Jessas Maria, ich muss die Elsa anrufen, sie hat ihn ja gefunden.“ Annemarie griff zum Telefon.

„Elsa, bist du es? Hier ist die Annemarie. Ich hoffe, ich störe nicht.“

Die Gräfin sprach ihr Beileid aus und erzählte, dass David ganz friedlich ausgesehen habe.

„Zum Drogenverdacht kann ich nichts sagen, meinem Bauchgefühl nach ist das aber nicht die Todesursache gewesen. Wir müssen die gerichtsmedizinische Untersuchung abwarten.“

„Kannst du nicht auf einen Sprung bei uns vorbeischauen?“